Gefühle zeigen - Gewalt vermeiden: Erste Schritte zur primären Gewaltprävention in einer fünften Realschulklasse


Examensarbeit, 2005

98 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit
1.2 Aufbau der Arbeit

2. Theoretische Grundlagen
2.1 Aggressives Verhalten, Gewalt und ihre Prävention
2.2 Die Vielfalt der Gefühle
2.3 Gefühle ausdrücken
2.4 „Achtsamkeit“

3. Vorüberlegungen und Planung
3.1 Bedingungsanalyse: Die Lerngruppe
3.2 Didaktische Überlegungen
3.3 Vorarbeiten und Entwicklung der Einheit

4. Durchführung, Reflexion und Auswertung der einzelnen Unterrichtsstunden
4.1 Auflistung der gesamten Einheit
4.2 Meine Gefühle - Stunde 1 + 2
4.3 Meine Gefühle - Stunde 3 + 4
4.4 Meine Gefühle - Stunde 5 + 6
4.5 Deine Gefühle - Stunde 1 + 2
4.6 Deine Gefühle - Stunde 3 + 4
4.7 Deine Gefühle - Stunde 5 + 6

5. Schlussbetrachtungen und Ausblick

6. Quellen- und Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

„ Nur wer Vertrauen in eigene Gefühle hat, wer seine Grenzen und die anderer wahrnimmt, kann einen bewussten, selbstbestimmten und verantwortungsvollen Umgang mit sich und anderen entwickeln. “ 1

Das soziale Lernen ist eines von vielen bedeutsamen Erziehungsaufträgen in der Schule. Im Hinblick auf den Umgang mit seinen Mitmenschen spricht das obige Zitat der Funktion von Gefühlen eine zentrale Bedeutung zu. Will man das dort erwähnte Vertrauen in die eigenen Gefühle in der Schule stärken, ist es wichtig früh anzusetzen und mit den Schülerinnen und Schülern in dieser Richtung zu arbeiten, damit diese in ihrer Zukunft möglichst umfassend davon profitieren und ihr Leben mit der Hilfe von stabilen Gerüsten ohne unnötige Probleme gestalten können. Mit meiner Unterrichtseinheit möchte ich dazu einen Beitrag leisten.

1.1 Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit

Im alltäglichen Unterrichtsgeschehen nehmen disziplinarische Maßnahmen immer mehr Raum ein, sodass die eigentliche Vermittlung von fachlichem Stoff immer kürzer treten muss. Mit dem Umgang der Schülerinnen und Schüler untereinander und der Klassengemeinschaft steht und fällt der Unterricht. Gewalt, Streitereien und nicht endende Unruhe lenken zu oft vom eigentlichen Unterricht ab. In das soziale Lernen muss immer mehr Unterrichtszeit investiert werden, die sich durch Konsequenz und Ernsthaftigkeit allerdings in den folgenden Schuljahren wieder auszahlen kann. Es gibt viele Programme und Unterrichtseinheiten als Präventionsmaßnahmen, in denen die Themen Gewalt und Aggressionen behandelt werden. Viele dieser Programme haben sich wirklich bewährt, dennoch denke ich manchmal, dass man in der Präventionsarbeit mit den Schülerinnen und Schülern noch einen Schritt vorher beginnen sollte, indem man frühzeitig intensiv alle möglichen sozialen Kompetenzen fördert. Während ich Literatur zum Thema Gewaltprävention sichtete, fiel mir auf, dass viele Fäden immer wieder bei dem zentralen Punkt „Gefühle ausdrücken“ zusammenlaufen. Daraufhin hatte ich beschlossen hier meinen zentralen Schwerpunkt zu setzen. Insbesondere der Buchtitel „Gefühle zeigen - Gewalt vermeiden“ von Töpelmann, Jennewein und Schiwy hat mich zum Nachdenken angeregt und inspiriert, sodass ich ihn als Motto für meine Unterrichtseinheit und als Titel für diese Arbeit übernommen habe.

Das grobe Lernziel meiner Unterrichtseinheit ist, dass die Schülerinnen und Schüler die Vielfalt ihrer Gefühle kennen und verstehen lernen, diese wahrnehmen und bewusst und konstruktiv mit ihnen umgehen, um zukünftig in Konfliktsituationen umsichtiger und vernünftiger agieren und reagieren zu können. Auch wenn das letztendliche Ziel Gewaltprävention ist, werden die Punkte Gewalt und Aggressionen in meiner Unterrichtseinheit nur am Rande angesprochen. Eine Sensibilisierung für Gefühle durch Aktivierung möglichst vieler Sinne und Lernkanäle ist zunächst das Ziel meiner Einheit und soll eine dienende Funktion im Hinblick auf eine primäre Gewaltprävention haben.

Während der Vorbereitung und Durchführung meiner Unterrichtseinheit stelle ich mir folgende Fragen, die sich auf den Ist-Zustand der Klasse beziehen: In welchen Bereichen ist es für die Schülerinnen und Schüler problematisch Gefühle zu zeigen oder zu erkennen? Gibt es erkennbare Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen, was die Grundeinstellung zum Thema und die Herangehensweise an dieses betrifft?

Die Möglichkeiten und Grenzen für mich als Lehrer werde ich mittels dieser Fragen analysieren: Durch welche Aufgaben und Übungen gelingt es mir ein Bewusstsein für Gefühle zu fördern? Wo erkenne ich Grenzen meiner Einheit? Kann ich mit der Einheit einen erkennbaren Beitrag zur Gewaltprävention leisten?

Den Blick in die Zukunft gerichtet frage ich mich schließlich: Was muss zukünftig geschehen, um positive Ergebnisse bezüglich primärer Gewaltprävention in dieser Klasse langfristig zu erreichen?

Mit meiner Unterrichtseinheit möchte ich das Thema Gewalt unter Kindern und Jugendlichen einmal anders angehen. Dabei muss das Wort Gewalt nicht einmal erwähnt werden, denn hier geht es zunächst um die Förderung elementarer sozialer Kompetenzen, die eine Basis für alle folgenden Bemühungen der Schule bilden sollen.

1.2 Aufbau der Arbeit

Nach der Problemstellung und Zielsetzung dieser Arbeit werde ich die theoretischen Grundlagen betrachten, in denen es um die Gründe aggressiven Verhaltens, die Vielfalt der Gefühle und den Ausdruck dieser geht. Anschließend schildere ich, welche Vorüberlegungen zur Planung meiner Unterrichtseinheit nötig waren um diese erfolgreich durchführen zu können. Dazu gehören unter anderem eine Analyse der Schulklasse (die Namen der Schülerinnen und Schüler werden hier aus Gründen des Datenschutzes durch andere ersetzt), eine didaktische Begründung und Einordnung der Einheit und die Zusammenstellung der Unterrichtsinhalte. Ferner gehe ich darauf ein, welche Gespräche und Recherchen ich im Vorwege durchgeführt habe und wie ich die Schülerinnen und Schüler bereits vor der eigentlichen Unterrichtseinheit zum Thema hingeführt habe. Daraufhin benenne ich die Lernziele der einzelnen Unterrichtsstunden und beschreibe die Planung dieser, wie sich die Durchführung gestaltet hat, welche Probleme und Auffälligkeiten auftraten, welche Ergebnisse ich und die Lerngruppe erzielen konnten und werte diese aus. Abschließend werde ich meine Beobachtungen und Folgerungen in den Schlussbetrachtungen zusammenfassend darstellen und einen Ausblick auf mögliche Arbeitsfelder, die sich in dieser Klasse an diese Unterrichtseinheit anschließen lassen, geben. Im Anhang wird die Einheit durch Unterrichtsverläufe, Unterrichtsmaterialien, einzelne Arbeitsergebnisse und Fotos dokumentiert.

2. Theoretische Grundlagen

2.1 Aggressives Verhalten, Gewalt und ihre Prävention

Aggressionen und Gewalt gehen mit Gefühlen stets Hand in Hand. Ein Wutausbruch, Neid, Stress oder Frust können z.B. in aggressiven Handlungen münden. Wie genau kommt es zu Aggressionen, die nicht nur in Schulen ein Alltagsproblem darstellen? In der Theorie gibt es verschiedene psychologische Erklärungsversuche für aggressives Verhalten. Einer besagt, dass Aggression ein angeborener Instinkt oder Trieb ist und bildet einen Pol. Ein weiterer sieht Frustration als Ursache und nimmt eine mittlere Position ein, während die dritte Theorie Aggression als gelerntes Verhalten bezeichnet und den zweiten Pol darstellt.2

Der ethologische Ansatz „Aggression als Instinkt“ besagt, dass Aggression als Trieb eine für die Spezies nützliche Funktion ist, welche die Chance zum Überleben und zur erfolgreichen Erhaltung der Art erhöhen soll. Sie stellt eine soziale Rangordnung her.3 Wie das Tier verfüge der Mensch über einen angeborenen Instinkt zur Aggression, einen Kampftrieb, der bis heute in unseren Genen stecken soll. Dieser Instinkt oder Trieb steht ursprünglich im Dienste der Verteidigung, Selbsterhaltung und des Beutetriebs. Einer aggressiven Handlung liegt demzufolge nicht immer eine böse Absicht zugrunde.4 Das Dampfkesselmodell von Lorenz („Bei kontinuierlichem Zufluss von Wasserdampf muss kontinuierlich Dampf abgelassen werden.“) besagt, dass Aggression durch Schlüsselreize ausgelöst werden. Bleiben diese aus, kommt es zu einem Aggressionsstau, der sich spontan und grundlos entladen kann. Eine spontane Entladung soll durch die kontinuierliche Abfuhr kleiner Energiemengen, etwa durch sportliche Wettkämpfe, vermieden werden.5

Die Frustrations-Aggressions-Hypothese besagt, dass eine Person nicht durch angeborene innere Faktoren, sondern durch Frustration zu aggressivem Verhalten getrieben wird. Unter Frustration versteht man hier die Bedingung, die entsteht, wenn eine Zielreaktion blockiert wird. Die dadurch entstehende Aggression richtet sich nicht immer gegen den Urheber der Frustration. Wenn sie sich gegen eine andere Person richtet, spricht man von einer

Verschiebung der Aggression. Die Annahme, dass Frustration immer zu Aggression führt, wurde durch die Erkenntnis widerlegt, dass Frustration auch zu anderen Reaktionen, wie Weinen oder Apathie, führen kann. Frustration schafft vielmehr eine Bereitschaft für Aggression.6 Es hängt jedoch von zusätzlichen Bedingungen ab, ob es wirklich zur Aggression kommt. Die Reaktion resultiert nicht nur aus den augenblicklichen Gefühlen, sondern zusätzlich aus den Verhaltensgewohnheiten, Handlungsmöglichkeiten und bisherigen Lernerfahrungen der betroffenen Person.7 Eine aggressive Tat wird also aus mehreren Quellen gespeist.

Neuere Erkenntnisse sehen Aggression als eine spezifische Form sozialen Verhaltens. Wenn ein Kind also lernt, dass aggressives Verhalten zum Erfolg führt, wird es immer wieder zu diesem Instrument greifen, da es sich schließlich als brauchbar erwiesen und bewährt hat. Durch positive Verstärkung wird sich dieses Verhalten künftig häufen. Man spricht auch vom instrumentellen Konditionieren. Selbst wenn ein Kind bestraft wird, kann es dieses für sich als Erfolg werten, da es Aufmerksamkeit und Beachtung bekommen hat. Wenn Kinder Erwachsene imitieren, weil sie erkannt haben, dass diese dafür belohnt wurden und ein bestimmtes Ziel erreicht haben, spricht man vom sozialen Modelling.8 Selbst wenn ein Kind unter den Verhaltensweisen der Eltern oder Geschwister gelitten hat, werden diese oft übernommen. Erfahrungen zeigen, dass Gewalt in der Familie meist weitergereicht und übernommen wird, da Kinder gelernt haben, dass man dadurch seine Interessen erfolgreich durchsetzen kann.9

Auch durch die Medien, die gerne als Sündenbock herangezogen werden, aber in diesem Zusammenhang nicht unbeachtet bleiben dürfen, erfahren Kinder und Jugendliche, dass aggressives Handeln ein effektives Mittel zur Erreichung der eigenen Ziele sein kann. Dabei kann es sich sowohl um fiktive als auch um reale Gewalt handeln. Diese wird im Fernsehen oder bei Computerspielen und im Internet bagatellisiert, da die Konsequenzen für die Opfer, wie Leid, Schmerz und Angst, häufig nicht dargestellt werden. Die Folgen von Gewalt, die als Realität und nicht als Fiktion dargestellt wird, werden verharmlost oder ganz ausgespart.10 „Martialische“ Computerspiele trainieren Kinder darauf ihre Gefühle und Empathieregungen zu unterdrücken, um Spaß am Spiel zu haben.11 Gewaltdarstellungen lassen den Zuschauer „abstumpfen“, enthemmen ihn und reizen zum Nachahmen an, da Gewalt in den Medien oft als einziger Ausweg aus einer Konfliktsituation dargestellt wird. Die regelmäßige Reizüberflutung lässt Gewalt als alltäglich und normal erscheinen, was bis zur Gleichgültigkeit gegenüber Aggressionsopfern führen kann. Jeder Mensch baut unbewusst ein Repertoire an Gewaltmodellen auf, auf die er in möglichen Grenzsituationen zurückgreifen könnte. Es handelt sich keinesfalls um eine monokausale Wirkung des Fernsehkonsums auf aggressives Verhalten, die Medien nehmen jedoch eindeutig eine Verstärkerrolle ein, da sie den Zuschauer stetig trainieren Ausübung von Gewalt als potentielle Konfliktlösung im Hinterkopf zu behalten.12

Es gibt drei Strategien der Gewaltprävention, die beschriebenes aggressives Verhalten bekämpfen oder eindämmen sollen. Die primäre Prävention zielt darauf ab Voraussetzungen zu schaffen, damit das problematische Verhalten überhaupt nicht auftritt. Die sekundäre Prävention versucht das bereits eingetretene problematische Verhalten zu reduzieren und zum Verschwinden zu bringen. Die tertiäre Prävention strebt an bereits eingetretenes problematisches Verhalten, das nicht mehr zum Verschwinden gebracht werden kann, in seinen Auswirkungen zu begrenzen.

Gewalt als soziale „Krankheit“ wird meist erst durch gestörte Kommunikation hervorgerufen. Oft spielt eine schwere Beeinträchtigung der Eltern-Kind-Kommunikation eine verstärkte Rolle. In Milieus, die durch Gewalt gekennzeichnet sind, ist oft eine Beeinträchtigung der Kommunikation zu beobachten. Lothar Martin sieht den Leitgedanken „Miteinander reden - Einander verstehen“, also auch das Äußern von Gefühlen, als eine mögliche Grundform der Gewaltprävention.13 Eine primäre Prävention in der Schule, die sich auf Gefühlsäußerungen konzentriert, soll den Schülerinnen und Schülern aufzeigen, wie sie ihren Frust kanalisieren und ihre Ziele auch ohne Gewalt erreichen können, sodass sie gar nicht erst auf die Idee kommen diese zur Durchsetzung ihrer Interessen anzuwenden.

2.2 Die Vielfalt der Gefühle

Für Kinder und Jugendliche ist die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit eine von vielen Entwicklungsaufgaben. Dazu gehört auch der Umgang mit Gefühlen. Gefühlsäußerungen werden in einer von Vernunft bestimmten Welt oftmals als peinlich und unangenehm oder gar als Rückschritt gesehen. Wenn Kinder in die Sekundarstufe I eingeschult werden, befinden sie sich schon längst in der Pubertät, auch wenn dieses oft erst im 6. oder 7. Schuljahr gänzlich sichtbar wird. Die Pubertät zeichnet sich durch extreme Gefühlsschwankungen mit ständigen Hochs und Tiefs aus. Diese jeweiligen Stimmungen sind wesentlich kurzlebiger als bei Erwachsenen und bewegen sich weniger oft im Mittelfeld zwischen den Extremen. Jugendliche gehen mit Gefühlen anders um als Erwachsene und sind sich oft nicht bewusst, in welchem Ausmaß ihr Verhalten durch ihre Gefühle beeinflusst wird. Sie sind überempfindlich und gehen in einem anhaltenden inneren Dialog viel kritischer mit sich selber um, als es ihre Umwelt tun würde.14 Jugendliche verstehen ihre eigenen Gefühle dabei meist selber nicht. Doch gerade der richtige Umgang mit Gefühlen, seien es die eigenen oder die der Mitmenschen, ist für die Entwicklung von Sozialverhalten von zentraler Bedeutung15 und scheint ebenso ein Schlüsselelement und Knotenpunkt der primären Gewaltprävention zu sein. Jeder Mensch erlebt fast ununterbrochen seine Gefühle und die anderer, dennoch ist niemand ein Experte auf diesem Gebiet. Welche grundlegenden Gefühle gibt es eigentlich und welchen Zweck erfüllen diese? Kann man zwischen guten und schlechten Gefühlen unterscheiden?

Der Begriff „Emotion“ ist eine andere Bezeichnung für Gefühl. Emotionen bewegen (von der lateinischen Wurzel „movere“) und gehen immer mit körperlichen Empfindungen einher. Dazu zählen etwa Herzklopfen, Schweißausbrüche, ein flaues Gefühl im Magen, weiche Knie oder Verfärbungen des Gesichts.16 Emotionen sind aktuelle Zustände von Personen und stets objektgerichtet, da man sich über etwas freut oder traurig ist, auf etwas stolz ist, vor etwas Angst hat oder von etwas enttäuscht ist. Diese Objekte von Emotionen sind allerdings nicht immer zwingend real existierend, also bedarf es auch nicht unbedingt real existierender Ereignisse, damit eine Emotion ausgelöst wird. Die Sichtweise oder Interpretation der jeweils betroffenen Person ist wesentlich entscheidender.17

Alle Menschen erleben zwar dieselben Emotionen, aber jeder erlebt sie anders. Bei jedem Menschen gibt es unterschiedliche Auslöser dieser Emotionen und er erlebt sie in individueller Intensität und Dauer. Eine emotionale Episode zeichnet sich dadurch aus, dass sie zwar unterschiedlich lang andauern kann, jedoch insgesamt eher von kurzer Dauer ist. Wenn sie über mehrere Stunden anhält, spricht man nicht mehr von einer Emotion, sondern von einer Stimmung. Emotionale Episoden treten immer dann in Erscheinung, wenn es um etwas geht, das der betreffenden Person wichtig ist. Für Emotionen kann sich niemand bewusst entscheiden; sie werden erlebt als etwas, das mit uns passiert.18 Der Mensch ist seinen Emotionen ausgeliefert und muss sie über sich ergehen lassen. Er ist jedoch nicht hilflos, sofern er es versteht seine Gefühle richtig zu lesen, um dann Konsequenzen für sein Handeln zu ziehen.

Emotionen stellen eine Reaktion auf Ereignisse dar, die für das menschliche Wohlergehen von entscheidender Wichtigkeit sind. Sie ermöglichen eine schnelle Reaktion auf lebenswichtige Ereignisse im Leben, so hat es uns die Evolution mitgegeben. Wenn einem Gefühle in einer bestimmten Situation innerhalb von Millisekunden überkommen, ist eine bewusste Entscheidung oder Reaktion unmöglich. In Gefahrensituationen ist eine schnelle Handlung gefordert, ohne dass man lange darüber nachdenken muss. Dies wird durch Emotionen ermöglicht und geschieht jenseits der menschlichen Wahrnehmung. Das Gefühl erledigt zahlreiche Dinge von selbst, meist ohne dass man sich dessen bewusst ist, indem im Gehirn komplexe, automatische Bewertungen einer Situation stattfinden. Im Anschluss an eine Gefahrensituation erinnert sich der Betroffene meist nicht an die genauen Vorkommnisse, weil das Handeln zuvor durch unbewusste Prozesse gesteuert worden ist. Auch wenn uns unsere Emotionen in diesem Zusammenhang meist sehr gute Dienste erweisen, arbeiten sie manchmal auch gegen uns, wenn es zu unangemessenen emotionalen Reaktionen kommt.19 Diese können unterschiedlich ausfallen: In einer Situation wird zwar ein angemessenes Gefühl empfunden, jedoch in einer falschen Intensität oder auf die falsche Weise gezeigt. Eine weitere Möglichkeit ist, dass von vornherein unnötigerweise das falsche Gefühl empfunden wird.20

Trotz oben beschriebener „Körperlichkeit“ sind Gefühle meist schwer zu beschreiben. Es gibt zahlreiche theoretische Ansätze, die versuchen Gefühle in Kategorien einzuteilen. Der Psychologe Paul Ekman benennt 15 grundlegende Emotionen: „Glück/Vergnügen (happiness/amusement), Ärger (anger), Verachtung (contempt), Zufriedenheit (contentment), Ekel (disgust), Verlegenheit (embarrassment), Aufgeregtheit (excitement), Furcht (fear), Schuldgefühl (guilt), Stolz auf Erreichtes (pride in achievement), Erleichterung (relief), Trauer/Kummer (sadness/distress), Befriedigung/Zufriedenheit (satisfaction), Sinneslust (sensory pleasure) und Scham (shame).“ Eifersucht (jealousy) und schwärmerische Liebe (romantic love) zählt Ekman nicht zu den Emotionen, sondern zu längerfristigen affektiven Zuständen oder Stimmungen.21 Die Übergänge zwischen Emotionen, Affekten und Stimmungen sind dabei fließend und können nur schwer getrennt werden. Affekte sind oft impulsiv und reaktiv während Stimmungen längerfristig anhalten.

Fritz Stemme vertritt die Ansicht, dass es nur wenige Grundemotionen gibt, die allerdings unendlich viele Mischungen und Kombinationen ergeben können. Er benennt die Basis- emotionen Glück, Traurigkeit, Wut, Furcht und Ekel als die „Großen Fünf“. Diese Emotionen seien den Menschen als „Grundfarben“ angeboren, während andere Gefühle sich daraus ergebende „Farbmischungen“ seien. Emotionen können sich einerseits potenzieren, andererseits aber auch blockieren oder manchmal auch miteinander inkompatibel sein.22 Diese Grundemotionen wären bereits bei Kleinkindern vorhanden und differenzieren sich lediglich im weiteren Leben. Jede Emotion ließe sich aber stets wieder auf eine der Grundemotionen reduzieren. Viele Emotionen sind sich sehr ähnlich, während andere sehr weit auseinander liegen. Einige werden sehr intensiv erlebt, andere eher schwach und unterschwellig. Genau das macht es so schwierig seine Gefühle zu erkennen, zu beschreiben und zu unterscheiden. Unumstößliche Forschungsergebnisse, die genauen Aufschluss darüber geben, was sich alles in uns abspielt oder wie sich Gefühle in Gruppen zusammenfassen lassen, gibt es allerdings bis heute nicht.23 Gerade die zahllosen Facetten der Gefühle und die Individualität jedes einzelnen Menschen machen die Gefühlswelt nur schwer greifbar. Es gibt zahlreiche Einwände gegen evolutionspsychologische Basisemotionstheorien, da es unter den Theoretikern keine Übereinstimmung bezüglich der Anzahl und Identität möglicher Basisemotionen gibt. Auch die Kriterien, nach denen eine Emotion zu den Basisemotionen gezählt werden kann, sind unklar. Überzeugende empirische Belege sind einfach nicht vorhanden.24

Ich habe einige Emotionen ausgewählt, denen ich eine zentrale Bedeutung zuordne und die mir für einen Fünftklässler besonders greifbar erscheinen. Diese werden unter anderem den Kern meiner Unterrichtseinheit bilden.

Ärger und Zorn beinhalten die Gefahr, dass sie wiederum Ärger und Zorn hervorbringen und somit schnell in einen Teufelskreis und manchmal sogar in Hass übergehen. Diese Gefühle können z.B. durch körperliche und psychische Verletzungen oder durch Zurückweisung entstehen. Zorn hat den Zweck sich den Weg frei zu räumen und Störungen zu beseitigen, um seine Ziele weiter verfolgen zu können. Dabei haben sich viele Menschen nicht mehr im Griff.25 Nicht jeder wird jedoch gewalttätig, da die Reizschwelle bei jedem unterschiedlich hoch ist. Wenn man zusätzlich gereizt ist, fällt es einem umso schwerer den eigenen Ärger zu kontrollieren. Man verspürt Ärger in Situationen, die einen normalerweise lediglich leicht verstimmt hätten. In einer gereizten Grundstimmung hält Zorn länger als gewöhnlich an.26

Stemme ordnet Ärger vier mögliche Auslöser zu: Frustration, Irritation, Provokation und Ungerechtigkeit. Ärger soll Energie liefern und kann als eine Art Treibstoff für Auseinandersetzungen gesehen werden, um Dinge oder Zustände wieder in Ordnung zu bringen oder sein Recht einzufordern. Auf der anderen Seite kann Ärger aber auch (selbst)zerstörerischen Charakter haben. Ursprünglich ist Ärger als eine Angriffswaffe zu betrachten, die das eigene Überleben sichern soll. Im Gegensatz zur Angst, die eine Flucht als Ziel hat, bereitet Ärger den Organismus auf den Angriff vor. Blitzschnelle Reaktionen, die für den Urmenschen noch überlebenswichtig waren, sollen so ermöglicht werden.27

Freude gehört neben Vergnügen, Fröhlichsein, Glücksgefühl oder Genuss zu den Emotionen, die sich angenehm anfühlen und daher in der Forschung meist vernachlässigt werden, da man sich eher auf Probleme und Krankheiten konzentriert, die durch andere Gefühle entstehen.28 Freude kann als „Antriebsfeder unseres Lebens“29 bezeichnet werden. Freude ist kein Erlebnis, das man durch eigene Anstrengungen erleben kann. Sie ist eher ein Nebenprodukt, das gänzlich ungeplant und unerwartet passiert, während man bemüht ist andere Ziele zu verfolgen. Freude lässt sich nicht einfach einschalten und aufrechterhalten. Sie kann sich einstellen, wenn man z.B. nach harter Arbeit ein Ziel erreicht hat, ist dabei aber niemals garantiert. Freude wird durch eine momentane Zufriedenheit mit sich und anderen gekennzeichnet. Sie hat keine spezifischen Auslöser und resultiert nicht aus einer bestimmten Situation oder Handlung. Sie kann aus körperlicher Bewegung, Entdeckungen, Vollendung eines kreativen Prozesses, Essen und Trinken oder einer Begegnung mit etwas Vertrautem (eine Person, die man lange nicht gesehen hat, oder ein Ort, an dem man nach langer Zeit zurückkehrt) folgen. Auch die Beseitigung von Stress, Ekel, Furcht oder Scham kann große Freude auslösen.30

Freude hat große Bedeutung für das Leben und zeichnet sich durch mehrere Funktionen aus. Sie bietet Erleichterung von der negativen Stimulierung durch Emotionen wie Angst, Trauer, Stress und Ärger. Durch Freude werden zwischenmenschliche Beziehungen gestärkt. Ein Lächeln ruft meist unvermeidbar ein Lächeln bei einem anderen Menschen hervor und festigt auf diese Weise soziale Bindungen. Die Wichtigkeit für eine Mutter-Kind-Beziehung ist hier besonders hervorzuheben. Evolutionstheoretiker haben festgestellt, dass das Lächeln eines Babys, das es seiner Mutter schenkt, seine Überlebenschancen erhöhen soll. Freude kann einen sozialen Rahmen für ein Kleinkind schaffen, in dem es erfolgreich zu einem erwachsenen Menschen aufgezogen werden kann.31

Traurigkeit und Kummer stellen unvermeidliche seelische Prozesse dar, mit denen ein Verlust jeglicher Art verarbeitet werden soll.32 Eine wesentliche Ursache von Kummer ist körperliche oder psychische Trennung. Dabei kann es sich um Trennung von Menschen, die einem lieb und teuer sind, oder auch von Gegenständen und Lebensumständen handeln. Eine weitere Ursache für Kummer ist Versagen, sei es real oder eingebildet. Dieses kann sich z.B. auf soziale Beziehungen oder das Berufsleben beziehen. Kummer bedeutet, dass man sich traurig, hilflos, niedergeschlagen, mutlos, einsam, isoliert oder regelrecht elend fühlt. Dabei spielt auch die Unzufriedenheit mit sich selbst eine große Rolle. Man hat das Gefühl nicht zu erreichen, was man sich inständig wünscht. Während des Heranwachsens lernt jeder Mensch seinen Ausdruck von Kummer stärker zu kontrollieren. So wird z.B. Weinen im

Erwachsenenalter sehr selten und man lernt die Mimik schnellstmöglich wieder unter Kontrolle zu bekommen.33

Kummer hat diverse psychologische Funktionen. Kummer teilt einem selber und der Umwelt mit, dass nicht alles in Ordnung ist, sodass die Mitmenschen erfahren, dass Hilfe benötigt wird. Ihr Mitgefühl soll geweckt werden. Der Betroffene wird durch dieses Gefühl motiviert etwas gegen die Ursache seines Kummers zu unternehmen und Dinge wieder ins Lot zu bringen. Die „negative Motivation“ von Kummer scheint notwendig zu sein, um den Betroffenen auf seine eigenen Probleme oder die seiner Umwelt aufmerksam zu machen, damit Lösungsstrategien entwickelt werden können. Schließlich fördert Kummer auch den Zusammenhalt einer Gemeinschaft, indem er Menschen miteinander verbindet, sei es der Freundeskreis, Familie oder die Gesellschaft. Im gleichen Maße, in dem es Liebe und Zuneigung in einer Gruppe gibt, muss es auch Kummer geben.34

Angst und Furcht sind wesentlich schwerer zu ertragen als Traurigkeit und Kummer. Es handelt sich um elementare emotionale Zustände, die uns vor Personen, Objekten, Ereignissen und Situationen warnen und Aufmerksamkeit, Unruhe und erhöhte Reaktionsbereitschaft hervorrufen. Große Furcht führt zu Vermeidungs- und Abwehrverhalten, Fluchtdrang oder „blindem“ Angriff. Man empfindet Angst in Situationen, denen man sich nicht mehr gewachsen fühlt. Neben angeborener Furcht gibt es die konditionierte, also erlernte Furcht. In diesem Fall wird ein bestimmter Reiz durch Erfahrungswerte mit einem unangenehmen Ereignis verbunden. Dieser Reiz kann z.B. ein Geruch, ein Geräusch oder eine Person sein. Diese Furchtkonditionierung läuft meist unbewusst ab. Scheinbar intuitiv meidet man bestimmte Personen, Dinge oder Situationen ohne genau zu wissen, warum dies so ist.35

Ein elementares Gefühl wie Angst ist in den Anfängen der Evolution von entscheidender Wichtigkeit gewesen. Angst warnt vor Gefahren und löst einen inneren Alarm aus. Sie wird nicht vom Gehirn gefiltert und ein Organismus kann sich vor einer Gefahr rechtzeitig in Sicherheit bringen, bevor das Gehirn diese bewusst registriert. Angst lässt keinen anderen Gedanken mehr zu, damit sich ein Organismus ohne Ablenkung auf die Beseitigung der Bedrohung, in der rationales Verhalten nicht mehr gefragt ist, konzentrieren kann. Alle Kräfte, die zur Verfügung stehen, werden mobilisiert, um eine Gefahr zu überwinden. In gefährlichen Situationen wird die Bewertung des Großhirns, ob es sich tatsächlich um eine Bedrohung handelt, gar nicht erst abgewartet. Das Großhirn wird nicht beteiligt, da der Organismus schnell handeln muss. Gefühle werden nicht von bewussten Überlegungen abgeleitet, sondern von der direkten Wahrnehmung. Solange die Angst nicht außer Kontrolle gerät, hat sie ursprünglich eine rein positive Aufgabe. Häufig wird durch äußere Reize ein innerer Alarm ausgelöst, ohne dass dieses von Notwendigkeit ist. Die Emotionen warnen den Organismus lieber einmal zuviel als einmal zuwenig. In heutigen Zeiten sind diese Gefühlskurzschlüsse jedoch manchmal auch nachteilig, da die Intelligenz für kurze Momente außer Kraft gesetzt wird. Ein biologisches Überlebensmuster ist scheinbar zu einem Verhinderungsmuster für Verhaltensweisen geworden.36 Dennoch beschützt uns dieses Gefühl in allen möglichen Lebenslagen, auch wenn es nicht mehr so bedeutungsvoll wie zum Anfang der Evolution ist, in der es um das nackte Überleben ging.

Paul Ekman unterscheidet in seinen Veröffentlichungen stets positive und negative Gefühle. Da jedes Gefühl jedoch einen bestimmten Sinn und Zweck erfüllt, komme ich zu dem Schluss, dass man Emotionen nicht in gut und schlecht kategorisieren sollte. Ohne Tiefs gäbe es keine Hochs, ohne Angst keine Erleichterung, ohne Stress keine Erfolgserlebnisse. Jedes Gefühl hat seine Berechtigung. Die Bezeichnung „schlechtes Gefühl“ hinterlässt den trügerischen Eindruck, dass uns dieses Gefühl schadet und folglich beseitigt oder unterdrückt werden muss. Daher werde ich es während meiner Unterrichtseinheit vermeiden von positiven und negativen Gefühlen zu sprechen und vielmehr hervorheben, dass z.B. Angst gut für uns ist, weil sie uns beschützt.

2.3 Gefühle ausdrücken

Die Art Gefühle zu zeigen ist in Kultur und Erziehung tief verankert. Viele Menschen sind dazu erzogen worden bestimmte Gefühle zu unterdrücken. Es gibt jedoch kein Gefühl, das falsch oder gar verboten ist. Ständig kommt es zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen, weil Gefühle verborgen bleiben oder überspielt werden und verbale und nonverbale Äußerungen nicht kongruent sind und sich nicht decken. Meist wird der Ausdruck von Gefühlen jedoch nicht bewusst gesteuert und kontrolliert. Bei einigen Menschen erscheinen Gefühle nur sehr unterschwellig, während sie sich bei anderen in sehr ausgeprägten Gesichts- und Stimmausdruck widerspiegeln.37 Wenn ein Gefühl wie Ärger oder auch Trauer nicht nach Außen gezeigt wird, weil es einem unangenehm oder peinlich ist, äußert es sich dennoch meistens in der Körpersprache. Es ist schlicht ein Erbe der Evolution, dass der Mensch Signale aussendet, sobald er von Gefühlen befallen wird.38 Mimik, Gestik, Körperhaltung und Tonfall der Stimme sprechen als emotionale Signalsysteme meist eine eindeutigere Sprache als Worte. Diese Körperreaktionen stehen immer im direkten Zusammenhang mit den Gefühlen und werden durch das vegetative Nervensystem verursacht. Wahre Gefühle lassen sich nur schwer unterdrücken ohne verkrampft und unecht zu wirken. Sie können sich auch unbeabsichtigt in Handlungen widerspiegeln, ohne dass sich die betroffene Person dessen bewusst ist. Der Gefühlshintergrund bleibt für Außenstehende dabei meist undurchschaubar. Im Extremfall kann sich ein Gefühlsstau explosionsartig entladen. Wenn man es lernt seine Gefühle zu akzeptieren und zu zeigen, läuft man keine Gefahr andere zu verwirren. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um alle möglichen Probleme im Leben zu lösen.39

Unerkannte Gefühle können zur körperlichen Verspannungen oder psychosomatischen Beschwerden führen. Daher muss man lernen seine Gefühle wesentlich bewusster wahrzunehmen. Es ist keine Schwäche, wenn man zugeben kann Ärger oder Aggressionen in sich zu spüren, diese Gefühle darf man nur nicht immer ausleben. Den Ausdruck von Ärger muss man kultivieren. Viele Menschen haben Angst sich angreifbar zu machen, wenn sie ihre Gefühle offen ausdrücken. Seine Gefühle direkt auszudrücken ist auch ein Zeichen von Stärke, da man zu seiner eigenen Person steht. Zudem muss man lernen, dass man sich widersprechende Gefühle durchaus gleichzeitig empfinden kann. Solche ambivalenten Gefühle können dazu führen, dass sich das eine in Worten und das andere nonverbal äußert und somit zu verwirrender Kommunikation führen kann. Es ist eine große Herausforderung seine komplexe Gefühlswelt kennen zulernen, Körpergefühle zu erkennen und diese für sich und andere zu übersetzen und in Sprache umzusetzen.40

Oft machen Menschen den Fehler ihre Gefühle in Gesprächen nur sehr undeutlich auszudrücken und somit nicht transparent zu machen. Sie äußern nur ihre Meinung oder Ansichten, obwohl sie eigentlich ihre Gefühle meinen. Diese werden auf einer anderen Ebene ausgedrückt und bleiben für den Gesprächspartner schwer nachvollziehbar. Oft fällt es einem schwer zu sagen: „Ich bin traurig, weil…“ oder „Ich habe Angst vor…“. Hier spricht man vom direkten Ausdruck der Gefühle. Im Gegensatz dazu redet man beim indirekten Ausdruck von seinen Gefühlen eher über die Eigenschaften des Gesprächspartners. Die Frage „Musst du immer so laut sprechen?“ drückt die Gefühle des Fragenden indirekt aus. Eine direkte Gefühlsäußerung hingegen könnte lauten: „Ich fühle mich gestört, wenn du so laut sprichst.“ Letztendlich könnte aber auch ein anderes Gefühl dahinter stecken. Direkt geäußerte Ich- Botschaften sorgen für Klarheit und lassen weniger Missverständnisse und anschließende Konflikte aufkommen. Oft werden indirekte Ausdruckformen gewählt, damit man Verantwortung von sich weisen kann. Es wird eine Unverbindlichkeit geschaffen und man macht sich unangreifbar. Der indirekte Ausdruck kann anklagend wirken, der Gesprächspartner ist gezwungen sich zu verteidigen, und so wird vom eigentlichen Problem abgelenkt und ein weiteres geschaffen, welches absolut überflüssig ist. Die direkte Gefühlsäußerung birgt die Vorteile, dass man sich seiner eigenen Empfindungen bewusster wird, den Gesprächspartner daran teilhaben lässt ohne ihn in eine Verteidigungshaltung zu bringen, um schließlich gemeinsam an einer Lösungsstrategie zu arbeiten.41

2.4 „Achtsamkeit“

In jedem Menschen laufen unaufhörlich Bewertungsprozesse ab, mit denen die Umwelt gemustert wird. Stößt man dabei auf Dinge, die einen persönlich angehen, werden die Emotionen aktiv. Diese Prozesse laufen stets unbewusst und automatisch ab. Dieser Umstand ist vergleichbar mit einem routinierten Autofahrer, der unbewusst sein Auto lenkt, während er gleichzeitig problemlos Gespräche führen oder andere Dinge tun kann. Emotionen entstehen oftmals plötzlich und unvermittelt, ohne dass das bewusste Selbst daran Anteil hat. Auch die Auslöser, die zum Auftreten eines bestimmten Gefühls geführt haben, bleiben dem Betroffenen dabei meist verborgen. Wenn es zu einer emotionalen Reaktion kommt, wird man sich dieser erst bewusst, nachdem sie eingesetzt hat. Erst wenn man sich bewusst wird, dass man von einem Gefühl beherrscht wird, kann man die Situation erneut bewerten und seine weiteren Handlungen darauf abstimmen. Um seinen Gefühlen nicht völlig ausgeliefert zu sein, ist es wichtig, dass man ein Gewahrsein für sich und seine Gefühle entwickelt und seine „Achtsamkeit“ schärft. Jeder muss seine brisanten Auslöser, die eine Lage problematisch machen könnten, kennen lernen und Strategien entwickeln, die ihn befähigen seine emotionalen Reaktionen in solchen Situationen zu regulieren und zu entschärfen.42

Mit „Achtsamkeit“43 wird die Fähigkeit beschrieben sich der eigenen Gefühle bewusst zu werden. Man kann auch von „Acht geben“ oder „Beachtung schenken“ sprechen. Im Idealfall sollte diese Fähigkeit zur Routine oder Gewohnheit werden. Gefühle nehmen den Menschen so stark in Anspruch, dass der Geist das daraus resultierende Handeln meist nicht mehr beobachten oder gar hinterfragen kann. Viele Menschen schenken ihren eigenen Emotionen meist zu wenig Beachtung, weil sie es nie gelernt haben. Wenn es gelingt eine andere Art von emotionalem Bewusstsein zu entwickeln, könnte man, noch während man ein Gefühl empfindet, einen Moment innehalten, sich seiner Gefühle klar werden, um dann bewusst eine Entscheidung zu treffen, wie es mit seinem Gefühl und Handeln weitergehen soll. Um sein emotionales Verhalten zu zügeln und zu mäßigen muss man sein Bewusstsein schärfen und ein Gespür dafür bekommen, wann und weshalb man emotional wird. Emotionen sollen dabei keinesfalls ausgeschaltet werden. Gefühle sollten mit einem wachen Bewusstsein gelesen und gelebt werden. Es sollte die Chance erkannt werden, die sich im Ausleben der Gefühle verbirgt, da sich somit immer neue Möglichkeiten und Wege eröffnen, die man zuvor vielleicht noch nicht gesehen hatte, solange die Sensibilität für die eigenen Gefühle gefehlt hat oder unterentwickelt war. Wenn man die Empfindungen seiner Mitmenschen bewusster im Auge hat, hilft es einem auch die eigenen Emotionen deutlicher zu erkennen. Wenn man seine Gefühle klarer sieht, kann man sein emotionales Verhalten stets mäßigen. Das Geschehen kann dank der Achtsamkeit neu bewertet werden, die Schwierigkeit besteht jedoch darin dieses zu tun, solange man noch von seinen Emotionen beherrscht wird, und bedarf eines intensiven Trainings. Wichtig ist, dass man zunächst lernt im Reden und Handeln einige Momente innezuhalten und seinen Gefühlen nicht unkanalisiert freien Lauf zu lassen. Achtsamkeit hilft dabei die Kontrolle nicht zu verlieren und etwas nicht zu sagen oder zu tun, das man später bereuen könnte.44

Natürlich wird man nicht immer erfolgreich sein, wenn man versucht seine Gefühle so schnell wie möglich zu verstehen und sein Handeln anschließend zu überdenken. Man kann zwar beschließen in einer Situation nicht mehr zornig zu reagieren, wenn man jedoch schon im Ernstfall extrem gereizt ist oder unter großem Druck steht, kann es durchaus vorkommen, dass man trotz seines Bewusstseins nicht fähig ist die Situation zu entschärfen und eine Eskalation zu vermeiden. Ein erster Schritt wäre dennoch seine emotionalen Episoden zunächst im Anschluss an eine Situation zu analysieren. Dazu sollte man sich dringend einen Schonraum gönnen, in dem man sich vor niemanden mehr für sein Handeln rechtfertigen muss. Im Nachhinein werden viele Dinge verständlicher und so kann man für die nächste emotionale Situation dazulernen. Die Fähigkeit seine eigenen und die Emotionen anderer frühzeitig zu erkennen wird dabei langsam und sukzessive geschult. Wenn man die geläufigsten Auslöser für seine Emotionen kennt, ist man auf spätere emotionale Begegnungen besser vorbereitet und kann im günstigsten Fall die Achtsamkeit langsam zur Gewohnheit werden lassen.45

Emotionen sollen durch beschriebene Achtsamkeit nicht überlistet oder gar abgestellt werden. Es macht das Leben jedoch nur einfacher, wenn man sich für seine Emotionen und deren Auslöser sensibilisiert, auch wenn es nicht immer gelingt diese im Ernstfall sofort zu entschlüsseln und zu reagieren.

3. Vorüberlegungen und Planung

3.1 Bedingungsanalyse: Die Lerngruppe

Ich unterrichte die 5. Klasse seit Anfang des Schuljahres 2004/05 mit 5 Wochenstunden eigenverantwortlich im Fach Englisch. Die Lerngruppe besteht aus 10 Schülerinnen und 15 Schülern. Durch die Mehrheit der Jungen erscheint die Klasse als sehr lebhaft, gelegentliche Unruhen sind jedoch meist konstruktiver Art.

Einige der Mädchen sind sehr schüchtern, insbesondere Sandra, Verena, Marion und Tanja. Auch Jan, Hans, Daniel und Carsten sind meist sehr zurückhaltend. Jedoch folgen alle genannten Schülerinnen und Schüler dem Unterricht aufmerksam. Einige der Jungen äußern ihre Motivation im Unterricht zuweilen sehr lautstark und führen zudem oft Privatgespräche. Zu diesen Schülern gehören Claas, Hendrik, Marcus, Sebastian und vor allem Torsten und Daniel. Meist arbeiten sie aktiv im Unterricht mit, lenken sich aber zwischenzeitlich gegenseitig ab. Sie müssen noch verstärkt an ihrer Disziplin arbeiten. Torsten, Sebastian und Jacob besuchen regelmäßig die „Insel“, eine Einrichtung der Schule, in der soziale Kompetenzen und Konzentration geschult werden sollen.

Im ersten Halbjahr an der weiterführenden Schule haben sich die Schülerinnen und Schüler schnell aufeinander eingestellt. Es herrscht mit vereinzelten Ausnahmen ein sehr freundlicher Umgang miteinander, eine gute Klassengemeinschaft und eine allgemein angenehme Atmosphäre. Die meisten Schülerinnen und Schüler arbeiten sehr gewissenhaft, interessiert, motiviert und aktiv am Unterricht mit. Das Unterrichten in dieser Klasse macht mir sehr viel Freude.

Der Klassenraum befindet sich in einem Flur mit den anderen Klassen der Unterstufe. Wenn die Kinder unmittelbar vor dem Unterricht vor ihren verschlossenen Klassenräumen auf ihre Lehrer warten, kommt es dort häufig zu Rangeleien. Einige Jungen meiner Klasse haben manchmal Auseinandersetzungen mit der gegenüberliegenden H-Klasse. Hin und wieder muss ich in solchen Situationen schlichten und vermitteln. Die meisten Kinder haben zu mir, einem Lehrer der mit einem Hauptfach mit relativ vielen Stunden vertreten ist, schnell Vertrauen gefunden und erzählen mir oft in den Pausen, was alles in der Klasse vorfällt. Dabei ist Martin durch Ausübung körperlicher Gewalt vereinzelt aufgefallen. Am auffälligsten ist Jacob, der Konflikte ständig mit Fäusten löst und von mir deshalb einmal mit einer schriftlichen Missbilligung getadelt werden musste. Zwischen dem Klassenlehrer und Jacobs Eltern haben bereits zahlreiche Telefonate aufgrund seines Verhaltens stattgefunden. Fredericks Handeln scheint sehr unüberlegt zu sein, da er sich in Gesprächen immer sehr einsichtig und betroffen zeigt. Auch Torsten, Marcus und Daniel sind oft in Raufereien verwickelt oder provozieren diese gerne.

Insbesondere die ersten Monate in der Orientierungsstufe stellen eine sensible Phase dar, in der die Schülerinnen und Schüler ihren Platz in der neuen Klasse und Schule finden müssen. Einige erkämpfen sich ihre Position, zur Not auch mit Fäusten, so auch in dieser Klasse. Daher halte ich es für notwendig möglichst früh ein Vorhaben wie meines anzusetzen.

Die Kinder zeigen sich in diesem Alter noch sehr aufgeschlossen, zugänglich und mitteilungsfreudig. Ich empfinde diesen Zeitpunkt als ideal, um mein Vorhaben durchzuführen. Die Klasse und ich kennen uns einerseits sehr gut und haben einen vertrauensvollen Umgang miteinander, andererseits ist das Schamgefühl bei den Kindern noch nicht so stark ausgeprägt, als dass sie sich grundsätzlich sträuben würden über das sensible und sehr private Thema „Gefühle“ zu sprechen. Zudem denke ich, dass ich noch einen nachhaltigen Einfluss auf die Schülerinnen und Schüler in diesem Alter habe und meine Unterrichtseinheit Spuren hinterlassen wird.

3.2 Didaktische Überlegungen

Die Schülerinnen und Schüler für Gefühle zu sensibilisieren ist eine fortwährende Herausforderung, die über die Durchführung einer einzigen Unterrichtseinheit hinausgeht, insbesondere wenn man bedenkt, dass Kinder und Jugendliche zunehmend sozial-aggressiv werden. „Sie überschreiten Grenzen, weil sie kein Gespür für die Gefühle der anderen haben.“46 Auch eine scheinbar harmlose Rauferei kann außer Kontrolle geraten, wenn Signale zum Aufhören nicht rechtzeitig erkannt werden. Kinder müssen lernen, wann es Zeit ist innezuhalten und sich zu stoppen. Vorraussetzung dafür ist es sich in den anderen hineinversetzen zu können. Dazu muss das Empathievermögen geschult werden.47

[...]


1 Reichling/Wolters 1994, S. 4

2 vgl. Mummendey 1996, S. 422

3 vgl. Mummendey 1996, S. 423

4 vgl. Bründel/Hurrelmann 1994, S. 255 f.

5 vgl. Mummendey 1996, S. 424 f.

6 vgl. Mummendey 1996, S. 426 f.

7 vgl. Bründel/Hurrelmann 1994, S. 261

8 vgl. Mummendey 1996, S. 429 f.

9 vgl. Bründel/Hurrelmann 1994, S. 262

10 vgl. Mummendey 1996, S. 433

11 vgl. Martin 1999, S. 114

12 vgl. Mummendey 1996, S. 433

13 vgl. Martin 1999, S. 114 f.

14 vgl. Lions Clubs International 1997, S. III - 3

15 vgl. Petermann/Petermann 1996, S. 36

16 vgl. Roth 2001, S. 257 f.

17 vgl. Meyer/Schützwohl/Reisenzein 1997 (a), S. 25ff. 9

18 vgl. Ekman 2004, S. 298

19 vgl. Ekman 2004, S. 26 ff.

20 vgl. Ekman 2004, S. 23

21 Ekman, zitiert nach: Roth 2001, S. 265 f.

22 vgl. Stemme 1997, S. 158 f., S. 263

23 vgl. Stemme 1997, S. 160 f.

24 vgl. Meyer/Schützwohl/Reisenzein 1997 (b), S. 158

25 vgl. Ekman 2004, S. 156 ff.

26 vgl. Ekman 2004, S. 173

27 vgl. Stemme 1997, S. 168 f.

28 vgl. Ekman 2004, S. 263 f.

29 Ekman 2004, S. 276

30 vgl. Izard 1999, S. 271 f., S. 275 f.

31 vgl. Izard 1999, S. 276 f.

32 vgl. Voigt 1989, S. 83

33 vgl. Izard 1999, S. 322 ff.

34 vgl. Izard 1999, S. 328 f.

35 vgl. Roth 2001, S. 290 ff.

36 vgl. Stemme 1997, S. 185, S. 191, S. 195

37 vgl. Ekman 2004, S. 297

38 vgl. Ekman 2004, S. 78

39 vgl. Schwäbisch/Siems 1974, S. 48, 50

40 vgl. Schwäbisch/Siems 1974, S. 49 ff.

41 vgl. Schwäbisch/Siems 1974, S. 52 ff.

42 vgl. Ekman 2004, S. 298 ff.

43 Ekman benutzt in der englischsprachigen Originalausgabe den Begriff „ attentiveness “

44 vgl. Ekman 2004, S. 104-110

45 vgl. Ekman 2004, S. 114 ff.

46 Portmann 1997, S. 19

47 vgl. Bründel/Hurrelmann 1994, S. 279

Ende der Leseprobe aus 98 Seiten

Details

Titel
Gefühle zeigen - Gewalt vermeiden: Erste Schritte zur primären Gewaltprävention in einer fünften Realschulklasse
Hochschule
Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein
Veranstaltung
2. Staatsexamen
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
98
Katalognummer
V45214
ISBN (eBook)
9783638426527
Dateigröße
1786 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen in Schleswig-Holstein, Unterrichtseinheit zur Gewaltprävention und zur Stärkung sozialer Kompetenzen, angelegt für 6 Doppelstunden mit komplettem Material. Arbeit beschreibt, analysiert und reflektiert die Einheit!
Schlagworte
Gefühle, Gewalt, Gewaltprävention, Staatsexamen, Emotionen
Arbeit zitieren
Stephan Holm (Autor:in), 2005, Gefühle zeigen - Gewalt vermeiden: Erste Schritte zur primären Gewaltprävention in einer fünften Realschulklasse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45214

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