Ist Platons Tyrannistheorie in der Praxis anwendbar? Ein Vergleich der Tyrannisdarstellung in der "Politeia" und in George Orwells "Animal Farm"


Hausarbeit, 2009

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Darstellung der Tyrannis in Platons „Politeia“
2.1 Entstehung der Tyrannis
2.2 Entstehung des Tyrannen
2.3 Leben des Tyrannen und des tyrannischen Staates
2.4 Der tyrannische Mensch

3. Darstellung der Tyrannis bei George Orwells „Animal Farm“
3.1 George Orwells Beweggründe für „Animal Farm“
3.2 Charaktere in „Animal Farm“
3.3 Wichtige Ereignisse während und hin zur Tyrannis

4. Vergleich der Tyrannis in der „Politeia“ mit der in „Animal Farm“

5. Fazit

6. Anhang

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Platons „Politeia“ und George Orwells „Animal Farm“ sind Meilensteine in der Geschichte der Weltliteratur, nicht nur aufgrund der Brillanz der Autoren, sondern auch wegen des gesellschaftskritischen Inhalts. Während Platon über einen fiktiven Staat schreibt, indem er, ausgehend vom Philosophenstaat, welcher die Staatsform der Aristokratie, mit dem guten und gerechten Menschen, beheimatet (544e8 - 10), den Verfallsprozess des Staates bis hin zur Tyrannis, über die Timokratie, Oligarchie und Demokratie, beschreibt, handelt George Orwells „Animal Farm“ von einer realen Staatsform, nämlich dem kommunistischen System unter der Diktatur Stalins in Russland.

In dieser Arbeit soll nun der Versuch eines Vergleiches angestrebt werden zwischen der in der „Politeia“ beschriebenen Tyrannis und dem totalitärem System bei Orwell, was einer Tyrannis gleich kommt. Was aber versteht man im eigentlichen Sinne unter einer Tyrannis? Eine Tyrannis in der Antike war nichts Ungewöhnliches und auch nichts zwangsweise Schlechtes, da sie nur einen Alleinherrscher darstellte, der über das Volk, in der Art eines Monarchen handelte, nur mit dem Unterschied, dass das Amt des Tyrannen nicht vererbt werden konnte. Platon hingegen geht, aufgrund der schlechten Erfahrungen die er mit den 30 Tyrannen von Athen, zu denen er verwandtschaftliche Beziehungen unterhielt, erlebt hat, nur vom schlechtesten aus, da in ihrer Herrschaft nur Gewalt allein den Ausschlag gegeben hat.1 In der heutiger Zeit verbindet man mit dem Wort Tyrann schlagartig einen Alleinherrscher, der sein Volk unterdrückt und nur sein besonderes Wohl in den Vordergrund stellt.

Ist es nun also möglich den fiktiven Tyrannen aus Platons „Politeia“ mit dem realen Tyrannen aus George Orwells „Animal Farm“ zu vergleichen? In wieweit gibt es Überschneidungen und an welchen Stellen herrscht eine enorme Diskrepanz? Gibt es Stellen in beiden Werken die darauf hinweisen könnten, dass die Werke in einem bestimmten Maße geschichtsdeterministische Züge haben, d.h. kann ein Staat aus einer Tyrannis entkommen und wieder zur Aristokratie aufsteigen oder geht er mit ihr unter?

Diese Fragen sollen nun zum einen anhand von Meinungen anderer Autoren, obwohl in neuer Zeit sich wenig mit dem Thema befasst wurde, da wir zur Zeit keine Diktatur oder Tyrannis in großen und bedeutenden europäischen Ländern haben, und zum anderen selbstverständlich anhand der beiden Originalwerke.

2. Darstellung der Tyrannis in Platons „Politeia“

Nun soll als Grundlage für die Klärung der vielfältigen Probleme, in diesem Kapitel die Entstehung der Tyrannis, des Tyrannen, sowie das Leben eines solchen und der Menschen, die in einer Tyrannis leben müssen, betrachtet werden. Platon lässt in seinem Werk zwar immer Sokrates zu Wort kommen, jedoch ist es nicht sicher ob der reale Sokrates hier gemeint ist oder nicht. Aus diesem Grunde soll im folgenden von einem platonischen Sokrates gesprochen werden.

2.1 Entstehung der Tyrannis

Die Tyrannis in der „Politeia“ entsteht also, wie bereits erwähnt, aus der Demokratie. Aber wie kann es überhaupt geschehen, dass aus einer Demokratie, in der unbeschränkte Freiheit herrscht (562b12 - 562c2), die Menschen in die tiefste und härteste Knechtschaft verfallen (564a11). Wolfgang Kersting gibt hierzu eine sowie einfache, aber auch kurze und präzise Erläuterung. „Übermäßig genossene Freiheit lässt in den Demokaten 'das Verlangen nach Tyrannenherrschaft' entstehen (562c), denn die ungeordnete Freiheit wird mit der Zeit zu einer Strapaze; Ordnung und Weisung erscheinen den Demokraten immer verlockender. Sie unterwerfen sich einem Tyrannen.“2 Somit wissen wir nun, dass die Demokratie an ihrem höchsten Gut, der Freiheit, scheitert.

Dies geht in dem selben Wege vor sich wie bereits der Übergang von der Oligarchie zur Demokratie. In diesem Falle ging die Oligarchie zu Grunde, da nur nach Geld gestrebt und alles andere vernachlässigt wurde (562a9 - 562b7). Nun streben alle nach Freiheit, was ihnen zum Verhängnis wird. Denn sobald sich jemand durch einen anderen unterdrückt fühlt beschuldigt er diesen eine oligarchische Gesinnung zu haben und ein Gegner der Demokratie zu sein (562c9 - 562d5). Dieser Freiheitsdrang geht sogar soweit, dass nicht einmal mehr Gesetze, weder die geschriebenen noch die ungeschriebenen, beachtet werden, da selbst diese als eine Art der Unterdrückung angesehen werden (563d3 - 7). So kommt es dazu, dass keiner mehr Respekt vor dem anderen hat. Weder die Schüler vor den Lehrern, noch die Kinder vor den Eltern, sogar die Jungen vor den Alten oder die Frauen vor den Männern haben keinen Respekt mehr (562e6 - 563b3). Der Höhepunkt der absoluten Freiheit ist also die Anarchie, in der pure Gesetzlosigkeit herrscht und einen unerträglichen Zustand zur Folge hat.3 Diesen Zustand der Anarchie fürchteten die Menschen in der Antike in der selben weise wie wir heute, da man nie wissen kann was danach kommt oder was dieser Prozess der Anarchie uns bringt.4 In diesem Falle hat sie zur Folge, dass „[d]as äußerste aber, [...], was an Freiheit der Menge in solchem Staat zum Vorschein kommt, ist wohl dieses, wenn die gekauften Männer und Frauen nicht minder frei sind, als ihre Käufer.“

(563b5 - 7). Der platonische Sokrates meint, dass dies nun der Anfang der Tyrannis sei, da sich jede Übertreibung immer in das Gegenteil verändert. So entsteht also aus unbegrenzter Freiheit, die finsterste Knechtschaft.5

2.2 Entstehung des Tyrannen

Nachdem wir nun geklärt haben wie es dazu kommen kann, dass eine Tyrannis entsteht, soll nun der Weg des einen Menschen hin zum Tyrannen dargestellt werden. Um dies besser zu veranschaulichen teilt der platonische Sokrates den demokratischen Staat in drei Teile ein. Denn dieser ist es ja, wie wir wissen, aus dem die Tyrannis entsteht. Den ersten Teil bildet das Geschlecht der Drohnen, jener „fauler und verschwenderischer Menschen, wovon die tapferen anführen, und die feigeren ihnen folgen.“ (564b4 - 7). Dieses Geschlecht kann nun in der Demokratie besser gedeihen als in der Oligarchie, wo es zum ersten Mal erwähnt wurde, da diese Drohnen durch die unbegrenzte Freiheit es leicht haben sich zu entwickeln. Es wäre möglich anzunehmen, dass der platonische Sokrates in einer leicht zynischen Art und Weise mit dem Geschlecht der Drohnen die Politiker meint, was wiederum erklären würde, warum sie sich in einer Demokratie besser entfalten können als in einer Oligarchie (564d1 - 564e2).

Den zweiten bezeichnet er als Drohnenweide, was nichts anderes ist, als die reichsten und ordnungsliebendsten Menschen in einem Staat. Von diesen werden die Drohnen durchgefüttert, da sie ansonsten nichts erwirtschaften (564e4 - 13).

Den dritten schlussendlich bildet das Volk. Hiermit gemeint sind jene Menschen, die von ihrer Hände Arbeit leben und sich ansonsten um nichts weiter kümmern. Obwohl sie arme Leute sind, stellen sie den größten Teil des demokratischen Staates dar (565a1 - 5). Dieser ist widerrum auch der mächtigste Teil des Staates, aber nur wenn sie vollzählig versammelt sind (565a4 -5).6 Wie entsteht nun aber der Tyrann aus diesem dreigeteilten Staat? Es beginnt alles damit, dass das Volk seinen Anteil von den Besitzenden fordert. Daraufhin nehmen die Politiker, also die Drohnen, das Geld der Reichen und verteilen einiges unter das Volk, behalten aber das Meiste für sich selbst. Die Besitzenden lassen dies natürlich nicht ohne weiteres über sich ergehen und wehren sich mit Reden und Handlungen, gegenüber dem Volk, der Ungerechtigkeit die ihnen angetan wird. Sie planen zwar keine Revolution, aber beschuldigen die Anderen, Feinde der Demokratie und oligarchischer Gesinnung zu sein. Durch solche Kundtuungen will sich das Volk an den Politikern vergehen, was diese erst zu richtigen Oligarchen macht. Nicht weil sie es wollten, sondern weil sie dazu förmlich vom Volk gezwungen wurden. Nun folgt eine Reihe von Anklagen, Prozessen und Urteilen gegeneinander, bis das Volk einen Mann an seine Spitze stellt, den es aufpäppeln und großziehen kann. Dies ist die Geburtsstunde des Tyrannen, denn von anderswo kann er nicht entstehen.7 Laut Kersting sehnt sich das Volk, nach dieser Zeit der Anarchie, nach Ordnung und Weisung und daraufhin unterwerfen sie sich einem Tyrannen.8

Wie aber kann es geschehen, dass dieser scheinbare Volksführer zum vollendeten Tyrannen heranwächst? Anfangs ist er, wie gesagt, ein Volksführer mit vielen, ihm treu ergebenen, Leuten unter sich. So schleift er seine Gegner unrechtens vor Gericht und befleckt sich mit Blut, weil er Menschenleben vernichtet. Er verbannt, tötet und spricht auf der anderen Seite von Schuldentilgung und Ackerverteilung. Nun gibt es laut dem platonischen Sokrates zwei Möglichkeiten wie es weitergehen kann. Die eine wäre, dass er unter den Händen seiner Feinde zu Grunde geht und die andere ist, dass er zum Tyrann aufsteigt. Wenn wir nun die zweite Möglichkeit annehmen und seinem Weg weiter folgen, hetzt er nun gegen die Besitzenden, woraufhin er verbannt wird. Wenn er jedoch gegen den Willen seiner Feinde zurückkehren will, so muss er dies als vollendeter Tyrann tun. Nach seiner Widerkehr bittet er das Volk um Leibwächter, da er Angst vor seinen Gegnern hat, die ihn immernoch umbringen wollen. Als er nun seine Leibwächter bekommt, haben die Besitzenden anfangs noch die Möglichkeit zu fliehen. Nehmen sie diese aber nicht wahr werden sie hingerichtet. Durch diesen Vorgang wird laut dem platonischen Sokrates der vollendete Tyrann erschaffen, denn er hat seine Gegner ausgeschaltet und kann jetzt seine unbegrenzte Macht ausleben.9

2.3 Leben des Tyrannen und des tyrannischen Staates

In diesem Abschnitt soll nun behandelt werden, wie das Leben des Tyrannen sich darstellt und das der Menschen die in einem solchen Staat leben müssen. Der Tyrann ist am Beginn seiner Herrschaft zu allen freundlich und hilfsbereit, gnädig und milde und wird allen Menschen erklären, dass er in Wirklichkeit gar kein Tyrann sei. Er vernichtet oder versöhnt sich mit anderen Ländern. Wenn es nun ruhig geworden ist, beginnt er immer neue Kriege, damit das Volk bemerkt, dass es einen Führer braucht und ohne ihn verloren wäre. Dies ist aber nicht der einzige Grund für die ständigen Kriege. Zum einen kann er sämtliche Menschen, ob Freund oder Feind, die von Bedeutung sind leichter entfernen und durch Kriegssteuern sein Volk verarmen, damit dieses sich nur noch um sein Überleben und sonst nichts kümmert. Durch solche Dinge steigt natürlich der Hass und der Unmut des Volkes, wodurch der Tyrann Leibwächter braucht. Diese Leibwächter sind ehemalige Sklaven seiner Untertanen und so ihm die treuesten, die er bekommen kann. „Und diese Freude, [...], bewundern ihn und die jungen halten zu ihm; aber die rechtschaffenen hassen und meiden ihn [.]“ (568a4 - 6).10 Es ist also klar zu erkennen, dass weder der Tyrann an sich noch seine Untertanen ein gutes Leben führen. Er lebt ständig in der Angst getötet zu werden und sein Volk lebt in ständiger Angst vor ihm. Jedoch kann das Volk nichts dagegen machen, da es ja arbeiten muss um sich Ernähren zu können.

2.4 Der tyrannische Mensch

Im letzten Punkt, bezüglich Platons Darstellung des Tyrannen, soll nun der tyrannische Mensch an sich besprochen werden. Diesmal soll zwar auch wieder die Entstehung des Tyrannen betrachtet werden, aber auf einer anderen Ebene. Es wurde bereits besprochen wie die Tyrannis entsteht und wie der Tyrann durch das Volk entsteht. Nun soll aber auch betrachtet werden, welcher Prozess in dem Tyrannen vor sich geht, der ihn erst zum vollendeten Tyrannen macht. Der platonische Sokrates beginnt in seiner Darlegung damit, dass jeder Mensch an sich Triebe beheimatet die gegen Brauch und Ordnung verstoßen. Anfangs wurden Triebe in notwendige und nichtnotwendige unterschieden, wobei die notwendigen solche sind die man zum Leben braucht und die nichtnotwendigen wiederum gesetzwidrige enthalten. Diese nichtnotwendigen Triebe werden aber bei manchen Menschen durch ihren Verstand, Gesetze oder bessere Triebe gebändigt und kommen aus diesem Grunde nicht zum Vorschein oder sind nur sehr schwach ausgeprägt. Bei anderen Menschen aber, die keine solche innerliche Stärke aufweisen, sind sie stärker und zahlreicher ausgeprägt. Die nichtnotwendigen Triebe und Begierden, die in jeden wohnen, kommen, so Sokrates, nur in unseren Träumen zum Vorschein. Es sind solche die sich regen, wenn der vernünftige Teil, das Logistikon, schläft.11 In diesem Moment will der tierhafte wilde Trieb aufspringen und seinen Lüsten fröhnen. Damit dies geschieht, schreckt er vor nichts zurück und nimmt jede Torheit oder Schandtat in Kauf, nur um seine Begierden zu befriedigen. Dies kann nur dann unterbunden werden, wenn man seinen Verstand auf den Schlaf vorbereitet. Der vernünftige Teil soll vor dem Schlaf durch schöne Gedanken angeregt werden, damit der triebhafte und der mutige Teil eingeschläfert werden.12

Nachdem nun geklärt wurde, wie die Triebe des Menschen gebändigt werden können, soll nun gezeigt werden, wie sie sich doch ausbreiten und einen Tyrannen schaffen können. Alles beginnt bereits mit der Erziehung des demokratischen Menschen. Er wurde sparsam aufgezogen und schätzte dadurch die geldschaffenden Triebe und unterdrückte alle anderen. Als es jedoch geschah, dass er mit eben beschriebenen Trieben in Verbindung kommt, fröhnte er seinen unterdrückten

[...]


1 Heintzeler, G.: Das Bild des Tyrannen bei Platon S.52

2 Kersting, W.: Platons Staat, S.283

3 Heintzeler, G.: Das Bild des Tyrannen bei Platon S.72; Sheppard, D.J.: Plato's Republic, S.1344 Blackburn, S.: Platon, S130

5 Plat. Pol. VIII 563e7 - VIII 564a11

6 Nettleship, R. J.: Lectures on the Republic of Plato, S.313; Sheppard, D.J.: Plato's Republic, S.134 5

7 Plat. Pol. VIII 565a6 - VIII 565d3

8 Kersting, W.: Platons Staat, S.283

9 Plat. Pol. VIII 565d5 - VIII 566d4

10 Plat. Pol. VIII 566d6 - VIII 568a6; Bröcker, W..: Platos Gespräche S.302

11 Bröcker, W..: Platos Gespräche S.302

12 Plat. Pol. IX 571a1 - IX 572a11

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Ist Platons Tyrannistheorie in der Praxis anwendbar? Ein Vergleich der Tyrannisdarstellung in der "Politeia" und in George Orwells "Animal Farm"
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
17
Katalognummer
V451403
ISBN (eBook)
9783668843691
ISBN (Buch)
9783668843707
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Platon, Politeia, George Orwell, Animal Farm, Literatur, Buch, englische Literatur, Tyrann, Tyrannis, der Staat, Griechenland, Philosophie
Arbeit zitieren
Martin Richter (Autor:in), 2009, Ist Platons Tyrannistheorie in der Praxis anwendbar? Ein Vergleich der Tyrannisdarstellung in der "Politeia" und in George Orwells "Animal Farm", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/451403

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