Healthcare Compliance. Richtgrößen und Kriterien für die Pharma- und Medizinprodukteunternehmen zur Festlegung des Fair-Market-Value für Honorarzahlungen an ÄrztInnen mit Sitz in Deutschland


Masterarbeit, 2017

86 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gesetzliche Rahmenbedingungen
2.1 Hintergrund
2.2 Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen §§ 299 a, b StGB
2.3 Weitere relevante Antikorruptionsnormen

3. Industriekodizes der Pharma- und Medizintechnikindustrie
3.1 Gemeinsamer Standpunkt zur strafrechtlichen Bewertung der Zusammenarbeit zwischen Industrie, medizinischen Einrichtungen und deren Mitarbeitern
3.2 FSA Kodex Fachkreise
3.3 AKG Verhaltenskodex der Mitglieder
3.4 Kodex Medizinprodukte

4. Theoretische Überlegungen für die Festlegung von Kriterien zur Festlegung eines Fair-Market-Value .
4.1 Begriffsdefinition Fair-Market-Value
4.2 Wissenschaftliche Publikationen zur Festlegung der Kriterien und Richtgrößen eines Fair-Market- Value
4.3 Beurteilung auf Basis des Vergütungsreferenzsystems des InEK
4.4 Beurteilung auf Basis der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)
4.5 Betrachtung der Urteile der Schiedsstelle des FSA e.v
4.6 Betrachtung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM)
4.7 Zusammenfassung der theoretischen Überlegungen

5. Methodische Auswertung für die Festlegung von Kriterien zur Festlegung eines Fair-Market-Value
5.1 Online-Befragung mit Fachgruppenmitgliedern Healthcare Compliance des BCM
5.1.1 Fragebogenkonstruktion und Ablauf der Erhebung
5.1.2 Auswertung der Online-Erhebung
5.2 Auswertung des Zl-Praxis Panels
5.3 Fair-Market-Value am Beispiel von Honorarzahlungen der B. Braun Melsungen AG

6. Fazit und Ausblick

Quellen Ill

Anhang IV

HINWEIS

Im Rahmen der vorliegenden Masterarbeit wird aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung und zugunsten des Leseflusses auf die zusätzliche männliche Form der Bezeichnung verzichtet1. Die weibliche Form wird im Sinne der Funktions- und Berufsbezeichnung verwendet und meint selbstverständlich gleichermaßen Frauen und Männer.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

- Abbildung 1- §§ 299a, b (eigene Abbildung nach Kirsch 2016)

- Abbildung 2 - Übersicht der Antikorruptionsnormen im StGB

- Abbildung 3- Übersicht zur deutschen ״Kodexlandschaft“ (Dieners 2010: 71)

- Abbildung 4 - Die vier Healthcare Compliance Prinzipien (eigene Abbildung)

- Abbildung 5- Zweistufentheorie nach Schneider 2016 (eigene Abbildung)

- Abbildung 6 - Bewertung der unterschiedlichen Dienstleistungen nach Honorarhöhe (Eigene Abbildung)

- Abbildung 7 - Einschätzung der Wichtigkeit bei der Festlegung der Honorarhöhe bei einzelnen Kriterien(Eigene Abbildung)

- Abbildung 8 - Anwendung der Kriterien zur Festlegung von Honoraren (Eigene Abbildung)

- Abbildung 9- Beachtung von Veröffentlichungen und Vergütungsreferenzsystemen bei Festlegung von Honoraren an Ärztinnen (Eigene Abbildung)

- Abbildung 10 - Brutto-Stundenvergütung von niedergelassenen Ärztinnen nach Fachbereich im Berichtsjahr 2013 in Euro (eigene Abbildung mit Daten des Zl-Praxis-Panel 2016: 42-65)

- Abbildung 11 - Verteilung der Honorarverträge auf Themenbereiche bei B. Braun (Eigene Abbildung)

- Abbildung 12 - Verteilung der Häufigkeit der Honorarhöhe (gruppiert) (Eigene Abbildung)

- Abbildung 13 - Häufigkeitsverteilung der Brutto-Stundenvergütung von Referentinnen in Euro (Eigene Abbildung)

- Abbildung 14 - Durchschnittliche Brutto-Stundenvergütung in Euro nach akademischem Titel (Eigene Abbildung)

1. Einleitung

״Ein niedergelassener, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassener Arzt handelt bei der Wahrnehmung der ihm in diesem Rahmen übertragenen Aufgaben (§ 73 Abs. 2 SGB V, hier: Verordnung von Arzneimitteln) weder als Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst, c StGB noch als Beauftragter der gesetz­liehen Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB.“ (Bundesgerichtshof 2012: 2)

Dieses Urteil wurde im März 2012 vom Großen Senat für Strafsachen des Bun­desgerichtshofes verkündet. Die Verneinung der Anwendbarkeit von §§ 299, 331 ff. Strafgesetzbuch (StGB) auf niedergelassene Ärztinnen und der Appell des BGH an den Gesetzgeber, in diesem Bereich tätig zu werden, hat zur Notwendig­keit geführt die bisherigen Antikorruptionsnormen des Gesundheitswesens zu erweitern. Nach mehrfach diskutierten Versionen wurden am 04. Juni 2016 die §§ 299a, b StGB ״Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen“ als Ergänzung von § 299 StGB eingeführt.

Durch die Aktualität der Gesetzesänderung ergibt sich für viele Unternehmen ein verstärktes Interesse detailliertere Richtgrößen2 und Kriterien festzulegen, um einen angemessenen Marktwert zu ermitteln, nachdem Honorarzahlungen an Ärztinnen bemessen werden können. Demnach haben laut einer Veröffentlichung von PricewaterhouseCoopers (PwC), 62 Prozent der Pharmaunternehmen in Deutschland die Befürchtung bei Referententätigkeiten mit niedergelassenen Ärztinnen ein mittleres bis hohes Risiko einzugehen, in Korruptionsvorwürfe verstrickt zu werden. Bei Verträgen über Beratungsdienstleistungen steigt der Wert auf 75 Prozent der befragten Pharmaunternehmen an (vgl. Bussmann et. al. 2013: 13).

In der vorliegenden Masterthesis sollen daher Richtgrößen und Kriterien zur ange­messenen Honorierung von Ärztinnen mittels eines theoretischen und metho­dischen Untersuchungsteils erarbeitet werden. Bei dieser Untersuchung wird insbesondere die Berufsgruppe der Ärztinnen mit Sitz in Deutschland im Hinblick auf angemessene Vergütung für Fachvorträge, Beratungen und Moderations­leistungen Betrachtung finden. Für diese angemessene Marktvergütung wird in der Masterthesis, analog zur Literatur3 im Bereich Healthcare Compliance4 (vgl. EUCOMED 2015: 8; Ramb 2015: 585; Koyuncu 2015: 583), der Begriff Fair- Market-Value verwendet (FMV), welcher die angemessene Vergütung von Ärztinnen bei der Zusammenarbeit mit einem Pharma- oder Medizintechnikunter­nehmen beschreibt (vgl. Ramb 2015: 585).

Um geeignete Kriterien und Richtgrößen für einen FMV festzustellen, werden im Hauptteil der Masterarbeit die rechtlichen Rahmenbedingungen beschrieben. Dabei findet eine detailliertere Besprechung der §§ 299a, b StGB (Kapitel 2.2) aufgrund der Aktualität statt. Darüber hinaus werden anschließend weitere rele­vante Antikorruptionsnormen erläutert (Kapitel 2.3).

Zusätzlich werden die gängigen Industriekodizes (Kapitel 3) zum Thema Korrup­tion im Gesundheitswesen vorgestellt und inhaltlich auf Informationen über die Angemessenheit von Flonorarzahlungen analysiert. Bestandteil dieses Kapitels sind der ״Gemeinsame Standpunkt zur strafrechtlichen Bewertung der Zusam­menarbeit zwischen Industrie, medizinischen Einrichtungen und deren Mitar­beitern“ (Kapitel 3.1), der ״FSA Kodex Fachkreise“ (Kapitel 3.2), der ״AKG Verhaltenskodex der Mitglieder“ (Kapitel 3.3) sowie der ״Kodex Medizinprodukte“ (Kapitel 3.4). In Kapitel 3.1 werden darüber hinaus die vier Prinzipien der Flealthcare Compliance detailliert dargestellt, da sie als zentrales Element des ״Gemeinsamen Standpunktes“ gelten. Dabei wird das Äquivalenzprinzip beson­dere Beachtung finden, weil es das grundlegende Prinzip für die Festlegung einer angemessenen Flonorierung darstellt.

Im theoretischen Abschnitt der Arbeit wird zunächst die Begriffsdefinition von FMV vorgenommen, um anschließend wissenschaftliche Publikationen im Hinblick auf mögliche FMV-Kriterien zu betrachten. Hierbei wird die Zweistufentheorie nach Schneider ausführlich erläutert. Darüber hinaus werden weitere theoretische über­legungen anderer Autorinnen beschrieben, welche sich mit geeigneten Kriterien für die Festlegung der Honorarhöhe bei Ärztinnen befassen. Nach Betrachtung der jeweiligen Publikationen werden die theoretisch und praktisch relevanten Vergütungsreferenzsysteme auf mögliche Kriterien und Richtgrößen heraus­gearbeitet, die für die Beurteilung der Angemessenheit von Bedeutung sind.

Hierbei handelt es sich um die Beurteilung auf Basis des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) (Kapitel 4.3), die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) (Kapitel 4.4) und die Urteile der Schiedsstelle des FSA (Kapitel 4.5). Anschließend werden die theoretischen Überlegungen des Kapitels zusammen­gefasst (Kapitel 4.5).

Im methodischen Abschnitt der Arbeit werden die Ergebnisse des Theorieteils aufgegriffen und darauf basierend eine statistische Erhebung mit den Mitgliedern der Fachgruppe ״Healthcare Compliance“ des Berufsverbandes der Compliance Manager (BCM) durchgeführt (Kapitel 5.1). Hierfür wird ein Online-Fragebogen entwickelt und über den BCM an die Mitglieder der Fachgruppe ״Healthcare Compliance” versendet. Bei dieser Online-Befragung werden Kriterien erhoben, die die Mitglieder der Fachgruppe bereits in ihrem eigenen Unternehmen verwen­den oder als wichtig erachten, um eine angemessene Vergütung festzulegen.

Im weiteren methodischen Vorgehen wird das aktuelle ״Praxis-Panel“ des ״Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland“ (ZI) im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage unterschiedlicher Fachärztinnengruppen betrachtet und in Bezug zu den bisherigen Ergebnissen gesetzt (Kapitel 5.2). Durch die Analyse der Gehaltstabellen können daher Richtgrößen ermittelt werden, welche sich an einem aktuellen Marktwert orientieren.

Das abschließende Kapitel des Methodenabschnitts stellt die Analyse der internen Daten der B. Braun Melsungen AG (Kapitel 5.3) dar. Dabei werden die Honorar­vertrage im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Honorarhöhe und diversen Kriterien aus dem Geschäftsjahr 2016 beleuchtet. Hierbei finden die Kriterien Verwendung, welche im theoretischen und methodischen Abschnitt entwickelt wurden. Dieses Kapitel soll als Beispiel gelten, inwiefern die in der Masterthesis ermittelten Kriterien in der Praxis bei B. Braun Anwendung finden.

Im letzten Kapitel der Arbeit (Kapitel 6) werden die bisherigen Ergebnisse zusam­mengefasst und diskutiert. In einem anschließenden Fazit wird ein Ausblick gegeben, inwiefern die zukünftigen Entwicklungen sich auf die Industrieunter­nehmen auswirken.

2. Gesetzliche Rahmenbedingungen

2.1 Hintergrund

Die gesetzlichen Entwicklungen, die im Nachgang beschrieben werden, sind u. a. begründet durch Strafbarkeitslücken, die in Gerichtsurteilen erkannt wurden. Ein solcher Fall hat sich im Zusammenhang mit der ratiopharm GmbH ereignet. Dieser Fall ist für die Entwicklung der Gesetzesänderungen relevant und wird daher nachfolgend näher betrachtet.

Die ratiopharm GmbH ist eines der führenden Generikaunternehmen in Deutsch­land und entwickelt, produziert und vertreibt patentfreie Pharmaprodukte. Anfang der 2000er Jahre geriet das Unternehmen aufgrund von Korruptionsvorwürfen in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Bei den im Jahre 2005 beginnenden Ermittlungen gegen die ratiopharm GmbH stellten die Ermittlungsbehörden fest, dass die Mitarbeiterinnen des Unternehmens Möglichkeiten zur Umsatzsteigerung anwendeten, die den Verdacht der Korruption erweckten. Im Laufe der Untersuch­ungen stellten die Behörden fest, dass Ärztinnen Gutscheine und Umsatz­beteiligungen für die Umstellung auf ein spezielles Medikament der ratiopharm GmbH erhielten. Weiterhin rechneten die ratiopharm Angestellten Praxisessen mit Ärztinnen und deren Mitarbeiterinnen als ״Fortbildungsveranstaltung” ab und gegen ein ״Verordnungsversprechen” stellte ratiopharm der Praxis bis zu drei Espressomaschinen zur Verfügung oder gewährte Preisnachlässe auf Produkte (vgl. Meyer 2008: 41-53). Diese Auszüge sind nur einige Beispiele, die im Ermittlungsbericht des Regierungspräsidiums Tübingen aufgeführt sind und die Korruptionsvorwürfe gegen die ratiopharm GmbH beschreiben.

Nach über 3000 Verfahren gegen Ärztinnen und 400 Verfahren gegen ratiopharm Mitarbeiterinnen (vgl. Grill 2012: 74) wurde am 09.12.2010 eine Pharmareferentin der ratiopharm GmbH wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) vom Landgericht Hamburg zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu jeweils 50 Euro verurteilt. Ebenso wurde der bestochene Arzt wegen Bestech­lichkeit im geschäftlichen Verkehr zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu jeweils 300 Euro verurteilt (vgl. Landgericht Hamburg 2010: 2). Die verurteilte Pharmareferentin legte Widerspruch und der Fall wurde somit in nächst höherer Instanz vom Bundesgerichtshof verhandelt.

Wie im Einleitungsszitat beschrieben entschied der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichthofes im Falle von ratiopharm, dass eine Vertragsärztin weder Amtsträger i.s. des §§10 Abs. 1 Nr. 2 lit. c, 331 ff. StGB noch Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen i.s. des § 299 Abs. 1 StGB ist. (vgl. Halbe 2015: S.174; Bundesgerichtshof 2012: 2). Niedergelassene Ärztinnen werden nicht als Amtsträger gesehen, da sie - laut Auffassung der Karlsruher Richter - keine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Daher können die niedergelassenen Ärztinnen sich weder mit einer Vorteilsnahme i.s. von § 331 StGB noch mit Bestechlichkeit i.s. von § 332 strafbar machen, wenn diese Zuwendungen entgegennehmen gegen die Vornahme bestimmter Verordnungen. Weiterhin können die niedergelassenen Ärztinnen nicht als Beauftragte eines Unternehmens oder Angestellte nach § 299 StGB für die Annahme von Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr verurteilt werden, da niedergelassene Ärztinnen als Freiberufler anzusehen sind (vgl. Rauerund Pfuhl 2016: 357).

Diese Entscheidung führte dazu, dass niedergelassene Ärztinnen bei der gleichen Handlung straffrei bleiben, wohingegen angestellte Ärztinnen an bspw. Kliniken oder medizinischen Versorgungszentren für die Annahme von Zuwendungen für bestimmte Gegenleistungen bis zu drei Jahren Haftstrafe erhalten können. Das Strafmaß erhöht sich auf bis zu fünf Jahren Haftstrafe in besonders schweren Fällen (vgl. ebd.: 357; s. Kapitel 2.3).

Um diese Strafbarkeitslücke im Bereich der Korruptionsdelikte zu schließen, hat der Bundesgerichtshof einen deutlichen Apeli an den Gesetzgeber ausge- sprachen (vgl. Bundesgerichtshof 2012: 21-22). Es sei Aufgabe des Gesetzgebers festzulegen, ob Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig sei. Daher müsse auch der Gesetzgeber, für die effektive strafrechtliche Verfolgung, entsprechende Straftatbestände schaffen (vgl. Geiger 2016a: 172). Bis jedoch das ״Gesetz zur Bekämpfung zur Korruption im Gesundheitswesen” in Kraft trat, vergingen vier Jahre. Die Verzögerung, die dazu führte, dass das Gesetz erst am 14. April 2016 beschlossen wurde, war vor allem durch die Wahl des neuen Bundestages 2013 sowie tagespolitische Themen begründet (vgl. Rauer und Pfuhl 2016: 357; Geiger 2016a: 172).

Diese neu geschaffenen Straftatbestände machen es für die Pharma- und Medizintechnikunternehmen jedoch zwingend notwendig detaillierte Richtgrößen und Kriterien anzuwenden um Honorare für Ärztinnen festzulegen. Daher werden im anschließenden Kapitel zunächst die rechtlichen Rahmenbedingungen erläu­tert. Aufgrund der Aktualität der Gesetzesänderung werden insbesondere die neuen Straftatbestände des §§ 299a, b StGB besprochen.

2.2 Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen §§ 299 А, в StGB

Das neue Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen wurde als Ergänzung zu § 299 StGB veröffentlicht. Dieses umfasst die Bestechlichkeit und Bestechung im öffentlichen Verkehr, wobei Absatz 1 und 2 die Strafbarkeit spiegelbildlich regeln und aktive sowie passive Korruption unter Strafe stellen. Um die Lücken in der strafrechtlichen Bekämpfung von Korruption im Gesundheits­wesen zu schließen und um den Apeli des Bundesgerichtshofs umzusetzen, wurden die neuen Straftatbestände des §§ 299a, b hinzugefügt und somit zwei neue Spezialtatbestände geschaffen (vgl. Schneider 2016a: 14). Bis das Anti­korruptionsgesetz erschien, wurden fünf Gesetzesentwürfe veröffentlicht und Gesetzesänderungen bis kurz vor der Verabschiedung vorgenommen (vgl. ebd.: 172). Bspw. Stand lange zur Debatte, ob die Berufsrechtsverletzung in das neue Gesetz mit aufgenommen werden solle. Letztendlich wurde dieser Zusatz jedoch gestrichen, da sonst für die Ärztinnen kein bundeseinheitliches Gesetzeswerk bestände, um die berufsrechtlichen Pflichten zu bestimmen (vgl. Rauer und Pfuhl 2016: 358). Dazu äußerte sich Jan-Marco Łuczak, Mitglied des Bundestags der CDU folgendermaßen:

״Der Bundesgesetzgeber hätte hier nämlich auf Berufspflichten Bezug genommen, die in den einzelnen Bundesländern durch die Berufskammern sehr unterschiedlich geregelt werden. Folge wäre nicht nur ein Legitimationsdefizit gewesen, sondern mög­licherweise auch eine unterschiedliche Strafbarkeit. Diese verfassungsrechtlichen Zweifel haben wir als Gesetzgeber ernst genommen und daher die zweite Tatbe­standsalternative gestrichen. Denn das gleiche Verhalten eines Arztes darf nicht in einem Bundesland erlaubt, in einem anderen Land aber als Korruption strafbar sein. Ein solcher Flickenteppich hätte zu Rechtsunsicherheit geführt, das wollte ich unbe­dingt vermeiden.“ (Schneider 2016a: 20)

Dies wurde neben verschiedener Stellungnahmen seitens der Industrie (vgl. Geiger 2016b: 58-60) auch vom Rechtsausschuss des Bundestages in der Beschlussempfehlung vom 13.4.2016 unterstrichen und stattdessen empfohlen sich auf das Wettbewerbsmodell zu beschränken (vgl. Geiger 2016a: 174).

Als zentraler Bestandteil ist der ״doppelte Rechtsgüterschutz” geblieben. Zum einen sollen die neuen Korruptionsparagraphen einen fairer Wettbewerb im Gesundheitswesen sicherstellen und somit dem Großteil der Angehörigen der Heilberufe zugutekommen. Zum anderen soll der Schutz der Patientinnen in die Integrität heilberuflicher Entscheidungen bestärkt werden. Indirekt werden damit auch die Vermögensinteressen der gesetzlichen Krankenversicherung, der Patientinnen und der Wettbewerberinnen im Gesundheitswesen geschützt (vgl. Deutscher Bundestag 2016: 12-13; Tsambikakis 2016: 132).

Um weiterhin die Integrität in heilberufliche Entscheidungen zu stärken, wurden die §§ 299a, b StGB — im Gegensatz zu § 299 StGB — als Offizialdelikt ausgestaltet (vgl. Tsambikakis 2016: 133). Daher müssen Strafverfolgungs­behörden von Amts wegen Ermittlungen einleiten, wenn sie Kenntnis von einer möglichen Straftat erlangen (vgl. Dieners 2016: 51).

Die endgültige Version des Gesetzes zur Bekämpfung von Korruption im Gesund­heitswesen wurde folgendermaßen formuliert und gliedert sich in § 299a StGB (Bestechlichkeit im Gesundheitswesen) und § 299b StGB (Bestechung im Gesundheitswesen):

§ 299a Bestechlichkeit im Gesundheitswesen

Wer als Angehöriger eines Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er

1. bei der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten,
2. bei dem Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten, die jeweils zur unmittelbaren Anwendung durch den Heilberufsangehörigen oder einen seiner Berufshelfer bestimmt sind, oder
3. bei der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

§ 299b Bestechung im Gesundheitswesen

Wer einem Angehörigen eines Heilberufs İ.S. des § 299a im Zusammenhang mit dessen Berufsausübung einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er

1. bei der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten,
2. bei dem Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten, die jeweils zur unmittelbaren Anwendung durch den Heilberufsangehörigen oder einen seiner Berufshelfer bestimmt sind, oder
3. bei der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial ihn oder einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Die Formulierung von §§ 299a, b StGB ist ebenso wie bei § 299 Abs. 1 und 2 StGB spiegelbildlich (vgl. Dieners 2016: 49). Entlang dieser Struktur sind im Nach­folgenden die objektiven und subjektiven Tatbestände beschrieben und in Abbildung 1 zusammenfassend dargestellt.

Normadressaten

Der § 299a StGB (Bestechlichkeit im Gesundheitswesen) ist als Sonderdelikt ausgestaltet und somit nur auf Angehörige der Heilberufe beschränkt. Genauer umfasst der Adressatenkreis alle Heilberufe, deren Ausübung eine staatliche Ausbildung erfordert (vgl. Kubiciel 2016: 2). Damit geht die Neufassung des Antikorruptionsgesetzes erheblich weiter als die bisherigen Vorentwürfe des Gesetzes (vgl. Heil und Oeben 2016: 218). Es ist dabei für die Strafbarkeit nicht relevant, ob es sich um einen akademischen oder einen nichtakademischen Heilberuf handelt (vgl. Schneider 2016a: 25). Die Bundesregierung begründet den großen Täterkreis damit, dass Korruptionsrisiken nicht allein von Ärztinnen ausgehen, sondern auch Entscheidungen von nichtakademischen Heilberufs­gruppen wichtig für die Gesundheitsversorgung seien (vgl. Ramb 2015: 263). Die Strafbarkeit des Antikorruptionsgesetzes erstreckt sich somit nicht nur auf Ärztinnen, sondern auf alle Angehörige von Heilberufen. Jedoch wird sich bei der Analyse von Kriterien und Richtgrößen zur Festlegung eines FMV im Rahmen dieser Thesis auf Ärztinnen beschränkt. Weiterhin ausgeschlossen vom Sonder­delikt des § 299a StGB sind sogenannte ״Gesundheitshandwerkerinnen”. Zu dieser Berufsgruppe zählen bspw. Augenoptikerinnen, Orthopädieschuh- mechanikerinnen und Zahntechnikerinnen. Welche regulär eher als Vorteilsgeber i.s. des § 299b StGB auftreten. Gründe für die Exklusion dieser Gruppe sind in der Gesetzesbegründung nicht detailliert dargelegt (vgl. Schneider 2016a: 24).

Als spiegelbildliches Pendant zu § 299a StGB ist der § 299b StGB formuliert und umfasst den Tatbestand der Bestechung (vgl. Heil und Oeben 2016: 218). Die Seite der Vorteilsgeber wurde als ״Jedermannsdelikt” ausgestaltet und ist daher nicht an besondere Anforderungen des Täters geknüpft. Durch die Begrenzung auf Angehörige der Heilberufe auf der Nehmerseite entstehen somit keine wesent- liehen Strafbarkeitslücken (vgl. Schneider 2016a: 25).

Tathandlung

Die Tathandlung der Nehmerseite i.s. des § 299a StGB wurde, wie in Abbildung 1 dargestellt, mit ״Fordern, Sich-Versprechen-Lassen und Annehmen eines Vorteils für sich oder einen anderen“ beschrieben, dabei handelt es sich nicht um einen Erfolgsdelikt. Der Tatbestand des Forderns bezeichnet die konkludente oder aus­drückliche, einseitige Erklärung des Täters einen Vorteil erlangen zu wollen. Der Tatbestand soll auch dann erfüllt sein, wenn das damit einhergehende Ansinnen erfolglos bleibt. Weiterhin sise nötig, um den Tatbestand zu erfüllen (vgl. Heil und Oeben 2016: 219).

Abbildung in dieser leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1- §§ 299a, в (eigene Abbildung nach Kirsch 2016)

Annehmen hingegen ist die tatsächliche Entgegennahme eines Vorteils, um diesen für Dritte oder eigene Zwecke zu nutzen. Eine Annahme soll dann vorlie­gen, wenn die Person mit dem Vorteil so verfährt, dass objektiv eine Unrechtsvereinbarung festgestellt werden kann (vgl. Bernsmann und Gatzweiler 2013: 52). Die Handlung des Sich-Versprechen-Lassens ist nach Bernsmann und Gatzweiler (2013) ״die ausdrückliche oder konkludente Annahme eines Angebots zur Gewährung eines Vorteils für die Dienstausübung“. Hierbei muss es nicht zur

Vorteilsgewährung kommen, jedoch muss eine Willensübereinstimmung vorliegen (vgl. ebd.: 51).

Auf der aktiven Geberseite i.s. des § 299b StGB wird das ״Anbieten, Versprechen und Gewähren eines Vorteils für sich oder einen anderen“ dargelegt (vgl. Abbildung 1). Das Anbieten bezieht sich auf einen einseitigen Vorschlag, der mit Absicht auf Abschluss einer Unrechtsvereinbarung (s. s. 11) gerichtet ist. Das Versprechen bezeichnet hingegen das Kausalgeschäft im Bezug auf den Abschluss der Unrechtsvereinbarung und wird als sogenannte Vereinbarungsstufe definiert. Der Begriff des Gewährens wiederum beschreibt die tatsächliche Zuwei­sung des Vorteils und wird als sogenannte Leistungsstufe bezeichnet (vgl. Schneider 2016a: 46). Die Begriffe Anbieten und Versprechen werden somit als Vorstufen zum Gewähren definiert (vgl. Heil und Oeben 2016: 46).

Die erörterten Tathandlungen auf Nehmer- und Geberseite werden in den Tatbe­ständen von § 299 StGB und § 331 StGB bereits rechtssicher ausgelegt. Dies gilt bspw. für den Vorteilsbegriff bezüglich der beschriebenen Tathandlungen, die in allen Korruptionsdelikten gleich ausgestaltet sind (vgl. Schneider 2016a: 46; Schneider 2016b: 18ff.).

Vorteil

Der im Tathergang beschriebene Begriff Vorteil wird nach Schneider definiert als: ״jede Leistung [...] auf die der Amtsträger keinen Anspruch hat und die seine wirtschaftliche, rechtliche oder auch nur persönliche Lage objektiv verbessert“ (Schneider 2016a: 26). Hierbei ist der Begriff für Korruptionsstraftatbestände weit auszulegen und kann Urlaubsreisen, Sachgeschenke, direkte Geldzuwendungen, Einladungen zu Kongressen, die Übernahme für die Kosten von Fortbildungs­Veranstaltungen aber auch Ehrungen und Ämter (sowie die Einräumung und Verschaffung von Verdienstmöglichkeiten) umfassen (vgl. Heil und Oeben 2016: 219, Ramb 2016: 263, Kubiciel 2016: 3). Ebenso gilt dies auch für sogenannte ״Drittvorteile”, die der Vorteilsnehmerin nicht selbst zugutekommen sondern einer weiteren Person.

Weiterhin sind beim Begriff des Vorteils keine Geringwertigkeits- oder Bagatell­grenzen vorgesehen. Lediglich sozialadäquate Zuwendungen scheinen den Tatbestand nicht zu erfüllen. Hierbei handelt es sich um geringfügige und allgemein übliche Werbegeschenke, bei der die objektive Eignung fehlt heilberufliche Entscheidungen zu beeinflussen (vgl. Heil und Oeben: 219). In der Rechtsprechung zu §§ 299, 331 ff. StGB wurden bisher Werte im Bereich von 25 Euro bis 50 Euro und bei Arbeitsessen Werte von 50 Euro bis 60 Euro als sozialadäquat beurteilt. Jedoch wird nicht jeder Vorteil im selben Maße bewertet. Bei der Entscheidung ist bedeutend, ob der Vorteil aus subjektiver Sicht zur Willensbeeinflussung geeignet war (Lilie und Reuter 2016: 1792). Daher wird beim Begriff des Vorteils deutlich, dass eine Einzelfallbetrachtung von Kooperations­beziehungen unumgänglich ist.

Unrechtsvereinbarung

Wenn einem Wert einer erbrachten heilberuflichen Leistung Honorare ohne jeg- liehe Nachvollziehbarkeit in einem unverhältnismäßigen Verhältnis entgegen­stehen, so kann dies als Indiz für eine Unrechtsvereinbarung herangezogen wer­den (vgl. Rauer und Pfuhl 2016: 361). Der Begriff der Unrechtsvereinbarung wird tatbestandlich umschrieben mit der unlauteren Bevorzugung im Wettbewerb (vgl. Ramb 2016: 263).

Eine Unrechtsvereinbarung ist ebenfalls gegeben, wenn das zukünftige sich erkenntlich Zeigen für den Vorteil zumindest unausgesprochen die Geschäfts­grundlage für die Vorteilszuwendung war (vgl. Schneider 2016a: 55). Unlauter ist diese Bevorzugung, wenn sie gegen die Grundsätze des redlichen Geschäfts­Verkehrs verstößt. Dies ist der Fall sofern die beabsichtigte Besserstellung, gemessen an den Grundsätzen eines fairen Wettbewerbs, nicht auf ausschließlich sachlichen Erwägungen, sondern zumindest auch auf der Vorteilsgewährung beruht. Daher werden i.s. einer unlauteren Bevorzugung Regelungen berücksich­tigt, die branchenspezifisch sind und durch freiwillige Selbstkontrolle implementiert werden. Bei Einhaltung dieser sogenannten Industriekodizes ist das Risiko für alle an der Kooperation beteiligten Personen in ein Strafverfahren involviert zu werden erheblich minimiert, wenn nicht sogar ausgeschlossen (vgl. Schneider 2016a: 59). Auf Industriekodizes, wie bspw. den Kodex des Industrieverbandes Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.v. (FSA), wird im weiteren Verlauf der Masterthesis (s. Kapitel 3.2) näher eingegangen, um daraus Kriterien abzu­leiten, welche für die Beurteilung der Angemessenheit geeignet sind.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das neue Antikorruptionsgesetz keine Verhaltensweisen strafrechtlich sanktionieren soll, welche bisher zivil-, Wettbewerbs-, und sondergesetzlich erlaubt waren. Es werden stattdessen Ver­bote und rechtliche Vorgaben auf Strafrechtsebene angehoben, die schon zuvor im Gesundheitsbereich Geltung besaßen. Es ist jedoch festzustellen, dass sich insbesondere die Qualität der Sanktionen verändert hat (vgl. Rauer und Pfuhl 2016: 362). Die Gesetzesänderungen im StGB wurden durch Ergänzungen im SGB V und Gerichtsverfassungsgesetz komplettiert (vgl. Ramb 2016: 589). Dort sind vom Gesetzgeber ausdrücklich geförderte Kooperationsmöglichkeiten abgebildet (vgl. Bahner et al. 2016: 2, 4), welche jedoch nicht auf die in der Masterthesis behandelte Fragestellung anzuwenden ist.

2.3 Weitere relevante Antikorruptionsnormen

Bei der Klärung, ob die §§ 299a, b StGB Anwendung finden, muss die Unterschei­dung zwischen Amtsträgern, Angestellten und niedergelassenen Vertragsärztinnen getroffen werden. Wie bereits zu Anfang der Arbeit beschrieben, gelten niedergelassene Kassenärztinnen laut Urteil des BGH weder als Amtsträger noch als Angestellte, die im Auftrag eines Unternehmens handeln. Daher schuf der Gesetzgeber mit den §§ 299a, b StGB zwei neue Spezialtatbestände für eine eigene Berufsgruppe. Für eine vereinfachte Übersicht sind die beschriebenen Gesetze in Abbildung 2 tabellarisch dargestellt.

Abbildung in dieser leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 - ÜBERSICHT DER Antikorruptionsnormen im StGB

Für Amtsträger5 sind die Antikorruptionsbestände in §§ 331 ff. StGB geregelt und umfassen den Tatbestand der Vorteilsannahme, Bestechlichkeit, Vorteilsge­Währung und Bestechung. Die Tatbestände sind dann anzuwenden, ״wenn ein Amtsträger für die Dienstausübung (Vorteilsannahme) bzw. als Gegenleistung für eine pflichtwidrige Diensthandlung (Bestechlichkeit) für sich oder einen Dritten einen Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt“ (Dieners 2010: 14). Zu den Amtsträgern zählen bspw. Mitarbeiterinnen medizinischer Einrichtungen, welche in öffentlicher Hand sind, Richterinnen, Staatsanwältinnen, Beamtinnen und sonstige Personen, die mit Aufgaben der öffentlichen Verwaltung betraut sind (vgl. Dieners 2010: 2, 10). Des Weiteren kann sich ״jedermann” der Vorteils­gewährung und Bestechung (§§ 333, 334 StGB) eines Amtsträgers strafbar machen.

Die gesetzliche Antikorruptionsnorm für Angestellte oder Beauftragte eines Unternehmens ist in § 299 StGB gesetzlich geregelt und umfasst Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr. Im Bezug auf die Masterthesis gilt dies für Ärztinnen, welche bspw. in Krankenhäusern angestellt sind und einen Vorteil fordern, sich versprechen lassen oder annehmen. Wie auch in § 299b StGB kann sich i.s. von § 299 Abs. 2 ״jedermann” der Bestechung strafbar machen, wenn diese Person einer Angestellten eines Unternehmens einen Vorteil anbietet, verspricht oder gewährt.

Besonders schwere Fälle der Bestechung und Bestechlichkeit

Das Strafmaß der Antikorruptionsnormen kann in besonders schweren Fällen erhöht sein. Bei Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen sowie im geschäftlichen Verkehr gilt § 300 StGB. Diese Norm erhöht das Strafmaß in besonders schweren Fällen auf drei Monate bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Bei Amtsträgern sind diese Fälle in der Norm § 335 StGB geregelt und sehen Frei­heitsstrafen von einem Jahr bis zu zehn Jahren vor. Besonders schwere Fälle i.s. von § 300 StGB liegen vor, wenn die Tat sich auf einen Vorteil großen Ausmaßes bezieht, der Täter gewerbsmäßig handelt oder die Begehung der Tat als Mitglied einer Bande verübt wurde.

Ein Vorteil großen Ausmaßes ist nicht rechtssicher definiert. Laut Auffassung des BGH wurde der Vorteil großen Ausmaßes in einem Fall bei Zuwendungen in Höhe von 25.000 Euro erreicht. In einem weiteren Fall urteilte der BGH, dass die Gren­ze bei 50.000 Euro noch nicht erreicht war (vgl. Scheider 2016: 62). Diese Urteile machen deutlich, dass eine Einzelfallbetrachtung bei der Bewertung der Honorar­höhe notwendig ist, da viele Kriterien in die Beurteilung von Korruptionsfällen mit einbezogen werden.

Ein Täter handelt gewerbsmäßig, wenn entweder Vorteilsnehmerin oder Vorteils­geberin bezwecken sich aus dem Tathergang eine kontinuierliche Einnahmequelle durch wiederholte Tatbegehungen zu sichern, die von gewisser Dauer und bestimmtem Umfang ist (vgl. ebd.: 63).

Die Mitgliedschaft in einer Bande bezieht sich auf den Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die sich mit dem Willen verbunden haben bestimmte Straftaten zu begehen. Jedoch ist nicht abschließend geklärt, ob sich diese Definition des Begriffs uneingeschränkt auf Korruptionsstraftaten anwenden lässt (vgl. ebd.: 63).

Neben den bereits genannten Normen des Strafrechts können bei der Vertrags­gestaltung unter bestimmten Voraussetzungen weitere Straftatbestände in Be­tracht kommen, die für die Beantwortung der Fragestellung jedoch eine unter­geordnete Rolle spielen. Hierbei handelt es sich um § 263 StGB (Betrug) und § 266 (Untreue) (vgl. Dieners 2010: 10). Auch weitere Gesetze, insbesondere die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes (AMG), des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) sowie das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), beschreiben relevante Normen in der Pharma- und Medizintechnikindustrie. Diese werden aber in der Masterthesis aufgrund der geringen Relevanz für die Fragestellung nicht weiter betrachtet.

Neben den gesetzlichen Straftatbeständen gibt es diverse Industriekodizes der Pharma- und Medizintechnikindustrie denen sich Unternehmen freiwillig ver­pflichten. Diese spielen sowohl eine essentielle Rolle in der Bewertung von Anti­korruptionsfällen als auch im praktischen Umgang in Unternehmen bezüglich

Zuwendungen und Honorierungen. Diese Kodizes legen verschiedene Prinzipien fest, nach denen sich Unternehmen der Pharma- und Medizintechnikindustrie richten können bzw. müssen6. Durch die damit einhergehende Relevanz für die Fragestellung der Thesis werden die relevanten Kodizes der Pharma- und Medizintechnikindustrie im nachfolgenden Kapitel näher erläutert.

3. Industriekodizes der Pharma- und Medizintechnikindustrie

Während die Normen des Strafgesetzbuches die Korruptionstatbestände unter Strafe stellen, setzen die Industrieverbände auf ״Prävention vor Sanktion“ (vgl. AKG 2015: 2) und geben in ihren Veröffentlichungen Vorgaben bzw. Handlungsempfehlungen, welche Grundsätze bei Kooperationen von Angehörigen der Heilberufe mit Unternehmen des Gesundheitswesens zu beachten sind. Für die Honorierung von Ärztinnen lassen sich aus den Industriekodizes Leitlinien zur Festlegung der FMV-Kriterien ableiten. Daher werden nachfolgend die, für die Fragestellung bedeutendsten, Industriekodizes beschrieben, wie der ״FSA-Kodex Fachkreise“, der ״AKG-Verhaltenskodex der Mitglieder“, der ״Gemeinsame Standpunkt“ zur strafrechtlichen Bewertung der Zusammenarbeit zwischen Industrie, medizinischen Einrichtungen und deren Mitarbeitern” und die ״Muster- Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte”.

Um das Beziehungsgeflecht der Verbände, Vereine und Kodizes vereinfacht dar­zustellen, wird in Abbildung 3 die ״deutsche Kodexlandschaft” nach Dieners abge­bildet. In der Masterarbeit wird nicht auf die vollständige Kodexlandschaft einge­gangen, europäische Leitlinien und Selbstverpflichtungen werden dabei ausge­klammert (wie bspw. MedTech Europe Code, EFPIA Code). Diese Kodizes konstatieren jedoch ähnliche Grundsätze für die Zusammenarbeit.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 - ÜBERSICHT ZUR DEUTSCHEN ״KODEXLANDSCHAFT“ (Dieners 2010: 71)

3.1 Gemeinsamer Standpunkt zur strafrechtlichen Bewertung der Zusammenarbeit zwischen Industrie, MEDIZINISCHEN Einrichtungen und deren Mitarbeitern

Die Publikation ״Gemeinsamer Standpunkt zur strafrechtlichen Bewertung der Zusammenarbeit zwischen Industrie, medizinischen Einrichtungen und deren Mitarbeitern“ (nachfolgend Gemeinsamer Standpunkt) wurde von verschiedenen Verbänden der Pharma- und Medizintechnikbranche, wie dem Verband Forschen­der Arzneimittelhersteller e.v. (VFA) und dem Bundesverband der Pharmazeu­tischen Industrie (BPI), erarbeitet. Die Veröffentlichung soll u. a. präzisierende Flinweise für die Zusammenarbeit von Industrie mit medizinischen Einrichtungen und deren Mitarbeiterinnen schaffen (vgl. Verband Forschender Arzneimittelher­Steller e.v. 2000: 4).

Die tragenden Verbände des Gemeinsamen Standpunktes sind der Meinung, dass sich die Strafbarkeitsrisiken, unter Verwendung der vier Healthcare Compliance Prinzipien, erheblich senken lassen. Bei diesen Prinzipien handelt es sich um das Trennungs-, Transparenz-/Genehmigungs-, Dokumentations-, und Äquivalenzprinzip (vgl. ebd.: 5). Diese im Standpunkt genannten Prinzipien werden in der weiterführenden Literatur ebenfalls als zentrale Prinzipien zur Senkung von Korruptionsrisiken bei Kooperationen erwähnt und werden daher nachfolgend eingehend erläutert.

Trennungsprinzip

Das Trennungsprinzip beschreibt, dass eine klare Trennung zwischen ärztlicher Entscheidung, Leistung und Zuwendung vorgenommen werden muss (vgl. Halbe 2015: 174). Es dürfen demnach keine Beschaffungs-, Verordnungs- oder Therapieentscheidungen in Abhängigkeit vom Umsatzgeschäft getroffen werden (vgl. Dieners 2010: 89-90). Laut des Gemeinsamen Standpunktes dürfen Mitarbeiterinnen medizinischer Einrichtungen auch keine Zuwendungen in Abhängigkeit von Umsatzgeschäften erhalten (vgl. Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.v.: 2000: 10). In besonderer Weise dürfen Zuwendungen nicht gewährt werden, um auf Beschaffungsentscheidungen Einfluss zu nehmen. Des Weiteren dürfen Mitarbeiterinnen weder Zuwendungen annehmen, die insbesondere dem privaten Zwecke dienen, noch derartige Zuwendungen gewähren. Das Trennungsprinzip ist die Umsetzung des strafrechtlichen

Postulats, welche die Beeinflussung der Beschaffungsentscheidung an Amts­träger bestraft (vgl. ebd.: 11). Im Hinblick auf die Zusammenarbeit von Fachkreis­angehörigen mit der Industrie muss stets eine klare Trennung herrschen (vgl. Heil und Oeben 2016: 222).

Transparenz-/Genehmigungsprinzip

Nach dem Transparenz-/Genehmigungsprinzip müssen sämtliche Geld- und Sachzuwendungen an Mitarbeiterinnen medizinischer Einrichtungen schriftlich angezeigt und genehmigt werden (vgl. Dieners 2010: 90-91). Dabei ist die sogenannte Dienstherrenregelung einzuhalten (Schneider 2016a: 87). Diese erfordert das prinzipielle Involvieren des Arbeitgebenden bzw. des Dienstherrn und gilt sowohl für gegenseitige als auch für einseitige Leistungsaustauschbezie- hungen7 (vgl. Dieners 2010: 90). Wurde die Handlung vom Dienstherren geneh­migt, kann eine strafrechtliche Verfolgung wegen Vorteilsannahme und Vorteils­gewährung i.s. des § 331 StGB und § 333 StGB vermieden werden. Diese Genehmigungspflicht gilt jedoch nicht im Bezug auf niedergelassene Ärztinnen, da diese selbstständig sind und somit keinen Arbeitgebenden haben (vgl. ebd.: 91). Die Beachtung des Prinzips soll den möglichen Eindruck unzulässiger Einfluss­nahmen auf ärztliche Entscheidungen vermeiden oder vermindern und gilt daher als eines der zentralen Kriterien, die bei der Vertragsgestaltung zu beachten sind.

[...]


1 Die Verwendung von der ausschließlichen weiblichen Form wird u. a. von der Universität Leipzig genutzt und wurde seit 2013 in deren Grundordnung aufgenommen.

2 ln der Masterthesis wird der Begriff Richtgröße İ.S. von Richtwert verwendet und nicht i.s. der gesetzlich vorgeschriebenen Wirtschaftlichkeitsprüfung § 106 SGB 5 (vgl. KBV 2017)

3 In der deutschen Literatur findet der Begriff Fair-Market-Value teilweise Verwendung, jedoch ist die Verwendung weniger üblich als bei englischsprachigen Veröffentlichungen (vgl. Koyuncu 2015: S.585).

4 Der Begriff Healthcare Compliance wird in der Masterthesis definiert als rechtskonforme Zusammenarbeit zwischen Pharma-/Medizinprodukteunternehmen und Leistungserbringern (insbesondere Ärztinnen).

5 Amtsträger werden laut StGB folgendermaßen definiert: ״Wer nach deutschem Recht a) Beamter oder Richter ist, b) in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis steht oder c) sonst dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform wahrzunehmen.“ (§ 11 Abs.1 Nr.2 StGB)

6 Die Unternehmen der Pharma- und Medizintechnikbranche verpflichten sich zu großen Teilen die Richtlinien der Kodizes einzuhalten, wenn sie Mitglied in den jeweiligen Verbänden sind. Jedoch gilt bei der Einhaltung der Kodizes nur Vereinsrecht.

7 Einseitige Leistungsaustauschbeziehungen sind insbesondere Einladungen zu Veranstaltungen, Bewirtungen, Geschenke, Rabatte, Musterabgaben etc. (vgl. Heil und Oeben 2016: 222). Gegenseitige Leistungsaustauschbeziehungen sind bspw. Forschungs- und Beraterverträge (vgl. Dieners 2010: 92).

Ende der Leseprobe aus 86 Seiten

Details

Titel
Healthcare Compliance. Richtgrößen und Kriterien für die Pharma- und Medizinprodukteunternehmen zur Festlegung des Fair-Market-Value für Honorarzahlungen an ÄrztInnen mit Sitz in Deutschland
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Note
1,8
Autor
Jahr
2017
Seiten
86
Katalognummer
V450227
ISBN (eBook)
9783668855342
ISBN (Buch)
9783668855359
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Compliance, Healthcare, §299, Bezahlung an Ärzte, Management, Pharmaunternehmen, Compliance-Management, Strafgesetzbuch
Arbeit zitieren
Nadine Bliedung (Autor:in), 2017, Healthcare Compliance. Richtgrößen und Kriterien für die Pharma- und Medizinprodukteunternehmen zur Festlegung des Fair-Market-Value für Honorarzahlungen an ÄrztInnen mit Sitz in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/450227

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