Fehleinschätzungen durch die Verfügbarkeitsheuristik in der Personalauswahl

Handlungsempfehlungen für den eignungsdiagnostischen Prozess


Hausarbeit, 2016

25 Seiten, Note: 1,4


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Die Heuristik
1.1 Definition und Begriffserklärung Heuristik
1.2 Die Verfügbarkeitsheuristik

2. Erkenntnisse aus der Forschung zur Verfügbarkeitsheuristik
2.1 Auffälligkeit (Salienz) & Lebhaftigkeit („vividness“)
2.2 Die stimmungskongruente Erinnerung („mood-congruent recall”)
2.3 Die Unausgewogenheit verfügbarer Informationen

3. Fallbeispiel für Fehlurteile bei der Personalauswahl

4. Handlungsempfehlungen für die Personalauswahl
4.1 Das Anforderungsprofil
4.2 Das strukturierte Einstellungsinterview

5. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 4.1: Musteranforderungsprofil für eine Führungskraft

Abb. 4.2: Prognose des Berufserfolgs mithilfe von Einstellungsinterview..

Abb. 4.3: Auswahlverfahren deutscher Unternehmen bei Bewerbung von Akademikern

Über nichts wird flüchtiger geurteilt als über die Charaktere der Menschen, und doch sollte man in nichts behutsamer sein.

Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)

Einleitung

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen auf einer Parkbank. Eine Frau in schlichter Kleidung, mit neutralem Gesichtsausdruck geht an ihnen vorüber. Einige Minuten später kommt ein junger Mann mit blauen Haaren an Ihnen vorbei. Ob Sie wollen oder nicht – Sie werden beide Personen einschätzen und ein Urteil fällen. Obwohl Ihnen nur einige wenige Informationen zu den Passanten vorliegen, werden Sie kategorisieren, ergänzen und schlussfolgern. Sie werden hierzu auf eigene Erfahrungen oder bereits vorhandenes Wissen zurückgreifen, um ein komplettes Bild von den beiden Personen entstehen zu lassen. Dass dieses Bild nicht mit der Realität übereinstimmt ist aufgrund der dürftigen Informationslage sehr wahrscheinlich. Doch nicht nur in unsicheren, auch in Situationen, in denen schnell ein Urteil getroffen werden muss, kürzen wir die Informationsverarbeitung ab, um zu einem hinreichend genauen Urteil zu gelangen. Diese mentalen Shortcuts werden Heuristiken genannt.

Die vorliegende Arbeit wird aufzeigen, dass heuristische Entscheidungsfindungen – wenngleich sie üblicherweise zu einer recht annehmbaren und praktikablen Lösung führen – nicht für den eignungsdiagnostischen Prozess geeignet sind.

Solche Fehlentscheidungen können sowohl für den Bewerber als auch für das Unternehmen weitreichende Konsequenzen haben. Letztgenannte müssen u. a. mit finanziellen Einbußen, Zeit- und Imageverlust rechnen.

Neben der Definition der Heuristik werden im Speziellen die Verfügbarkeitsheuristik und deren Effekte erläutert, die vor allem auf der Leichtigkeit des Informationsabrufes (schnell verfügbare Informationen) basieren. Anschließend soll ein Fallbeispiel die Entstehung verfügbarkeitsheuristischer Entscheidungsfindungen im Personalauswahlprozess und die weitreichenden Folgen für das Unternehmen und den Bewerber verdeutlichen.

Aber wie kann ich als Unternehmer resp. Personalverantwortlicher die Gefahr von Fehleinschätzungen im eignungsdiagnostischen Prozess minimieren? Hierzu sollen Handlungsempfehlungen geeignete Lösungsansätze anbieten. Die Erstellung eines Anforderungsprofils und die Durchführung strukturierter Einstellungsinterviews werden explizit erläutert und sollen das Bewusstsein für professionelle eignungsdiagnostische Maßnahmen schärfen, um zukünftig optimal für die Auswahl der am besten geeigneten Bewerber gerüstet zu sein.

1. Die Heuristik

1.1 Definition und Begriffserklärung Heuristik

In der Literatur existieren unterschiedliche Definitionen für den Begriff „Heuristik“ (altgr. heurískein: „finden“, „entdecken“).

So beschreibt Pendry (2014, S. 110) die Heuristik als „eine oft genutzte, nicht optimale Faustregel, die Menschen verwenden, um zu einem Urteil zu gelangen, die in vielen Fällen effektiv ist, jedoch nicht in allen.“

Bereits 1974 führten Daniel Kahneman und Amos Tversky an: “[…] people rely on a limited number of heuristic principles which reduce the complex tasks of assessing probabilities and predicting values to simpler judgmental operations.”

Auch Mangold sieht die Anwendung heuristischer Entscheidungsfindungen u. a. in mangelnden Ressourcen begründet. Er führt an, dass Menschen nicht rational urteilen und entscheiden „wenn sie sich in undurchschaubaren Situationen befinden, wenn sie nicht über ausreichende Fähigkeiten zur Verarbeitung komplexer Informationen verfügen, wenn sie nicht ausreichend Zeit dafür haben oder wenn sie sich in emotionalen Zuständen befinden“ (Mangold, 2015, S. 193).

Diese „Abkürzungen im Denkprozess“ (Gerrig & Zimbardo, 2008, S. 312) haben einige Vorteile, allerdings warnen Kahneman & Tversky (1973), dass diese Heuristiken zwar sehr nützlich sind, aber manchmal zu schwerwiegenden, systematischen Fehlurteilen führen.

In der Wissenschaft werden vor allem vier Formen von Urteilsheuristiken unterschieden:

- Repräsentativitätsheuristik: Ein Urteil wird auf Basis der Annahme gefällt, dass etwas zu einer bestimmten Kategorie gehört, nur weil es Eigenschaften besitzt, die typisch für diese Kategorie sind (Gerrig & Zimbardo, 2008, S. 314).

- Anker- bzw. Anpassungsheuristik: Ein Urteil wird auf Basis eines unbewussten Schätzwertes als Ankers gefällt, egal wie oder ob dieser Anker mit dem zu schätzenden Ergebnis resp. Ereignis in Zusammenhang steht (Gerrig & Zimbardo, 2008, S. 316).
- Simulationsheuristik: Ein Urteil wird auf Basis der Leichtigkeit mit der ein Ereignis simuliert werden kann, gefällt (vgl. Kahneman & Tversky, 1981). Die Simulationsheuristik ist mit der Verfügbarkeitsheuristik verwandt, bezieht sich aber auf ganze Prozesse die mental oft mehrmals durchgegangen werden.
- Verfügbarkeitsheuristik: Ein Urteil wird aufgrund der Informationen gefällt, die im Gedächtnis leicht verfügbar sind (Gerrig & Zimbardo, 2008, S. 313). Nachfolgend wird auf diese Heuristik näher eingegangen.

1.2 Die Verfügbarkeitsheuristik

Die Verfügbarkeitsheuristik („availability heuristic“) ist eine kognitive Abkürzung und kommt zur Anwendung bei Urteilen über Häufigkeiten und Wahrscheinlichkeiten. Diese werden danach beurteilt, wie schnell bzw. leicht uns Informationen über eine bestimmte Situation einfallen (Pendry, 2014, S. 118).

Die Verfügbarkeitsheuristik ist ein probates Mittel, um unter widrigen Umständen oder bei schwacher Informationslage eine adäquate Entscheidung fällen zu können. Allerdings kann sie auch zu Fehleinschätzungen führen, weil die Verfügbarkeit von Informationen nicht nur von deren Wahrscheinlichkeit abhängt, „[…] sondern auch von anderen Faktoren – und dort, wo das der Fall ist, kommt es zu Verzerrungen der Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten.“ (Beck, 2014, S. 41).

Während sich die Pioniere auf dem Gebiet der Forschung zum Thema Heuristiken wie Kahneman & Tversky größtenteils auf den reinen Prozess des Abrufens aus dem Gedächtnis beschränkten, bezieht die aktuellere Forschung u. a. auch die Konsequenzen der Urteilsverzerrungen für das Individuum mit ein.

So untersuchten beispielsweise Schwarz und seine Kollegen 1991 die Auswirkungen leicht verfügbarer Informationen auf das Selbstbewusstsein.

Die folgenden Ausführungen beschränken sich der Übersichtlichkeit halber aber auf die klassische Auslegung der Verfügbarkeitsheuristik.

2. Erkenntnisse aus der Forschung zur Verfügbarkeitsheuristik

Nach Kahneman und Tversky (1974) beeinflussen die Leichtigkeit des Abrufes einer Information u. a. solche Ereignisse die häufiger oder auffällig aktiviert werden.

Da viele Faktoren auf die Mechanismen der Verfügbarkeitsheuristik einwirken, wird nachfolgend nur auf einige Effekte näher eingegangen.

2.1 Häufiger („frequency“) & kürzlicher („recency) Abruf 1979 untersuchten Combs & Slovic das Berichterstattungsverhalten zweier Zeitungen (USA) und fanden heraus, dass krankheitsbedingte Todesfälle viel seltener berichtet wurden, als Todesfälle die beispielsweise durch Naturkatastrophen verursacht wurden. So wurde dreimal häufiger über Morde als über krankheitsbedingte Todesfälle berichtet, obwohl diese 100-mal häufiger vorkommen. Das tatsächliche Risiko einem Mord zum Opfer zu fallen statt beispielsweise an einem Herzinfarkt zu sterben wird also durch das häufigere Aktivieren („frequency“) überschätzt.

Auch wenn eine Information erst kürzlich aktiviert („recency“) wurde, entsteht ebenfalls ein Gefühl der Leichtigkeit beim Informationsabruf („ease of retrieval“, 1973, Kahneman & Tversky), was wiederum zu einer Fehleinschätzung der tatsächlichen Wahrscheinlichkeit oder Häufigkeit führen kann.

2.2 Auffälligkeit (Salienz) & Lebhaftigkeit („vividness“)

Je auffälliger (salient) wir etwas dargeboten bekommen, desto verfügbarer sind die entsprechenden Informationen.

So erhöht ein Bericht über ein brennendes Haus in der Zeitung die wahrgenommene Eintrittswahrscheinlichkeit nicht so sehr als würde man direkt vor einem brennenden Haus stehen (vgl. Tversky & Kahneman, 1974).

Ist die Berichterstattung der Zeitung allerdings (möglichst zusätzlich zu einer hohen Frequenz) auch noch sehr lebhaft („vivid“), wie bei den Zeitungsberichten die Combs & Slovic 1979 untersucht haben, dann kann dies die Fehleinschätzung zusätzlich fördern.

2.3 Die stimmungskongruente Erinnerung („mood-congruent recall”)

Auch die Stimmung hat einen Einfluss darauf, wie leicht wir bestimmte Informationen abrufen können. 1992 veröffentlichten MacLeod & Campbell eine Studie, in der die Versuchspersonen an glückliche bzw. unglückliche Momente denken sollten, die ihnen in letzter Zeit zugestoßen waren. Daraufhin sollten sie prognostizieren, ob ihnen in nächster Zeit mehr positive oder mehr negative Dinge zustoßen werden. Die Personen die angaben, sie wären gut gelaunt, sagten für sich selbst mehr erfreuliche und weniger unerfreuliche Ereignisse binnen der nächsten 6 Monate voraus. Durch die gute Stimmung waren Informationen positiver Natur also verfügbarer im Gedächtnis und ließen sich leichter abrufen.

2.4 Die Unausgewogenheit verfügbarer Informationen

Eine 2005 von Kruger et al. veröffentlichte Studie untersuchte mithilfe mehrerer Experimente („The Eraser Study“, „Should I Stay or Should I Go?“, etc.) u. a. verzerrte Erinnerungen bei Studenten.

Von den 3.291 abgeänderten Antworten eines Multiple-Choice-Tests von 1.561 Studierenden, führten 25% von einer richtigen zu einer falschen Antwort, 23% von einer falschen zu einer falschen und 51% von einer falschen zu einer richtigen Antwort. Nach dem Test gab die Mehrheit allerdings an, dass man lieber seinem ersten Instinkt vertrauen und die Antwort nicht wechseln sollte.

Die Auswertung bestätigte die Vermutung der Forscher, dass die Teilnehmer die Wahrscheinlichkeit von einer richtigen zu einer falschen Antwort zu wechseln überschätzten und die Wahrscheinlichkeit von einer falschen zu einer richtigen Antwort zu wechseln unterschätzten.

In einem anderen Experiment wurde festgestellt, dass die Studenten sich einfach überwiegend falsch erinnerten: Sie schienen sich eher an Antworten zu erinnern, die eine negative Auswirkung hatten (Wechsel von richtig zu falsch) und überschätzten daher die Effektivität des Beibehaltens der ersten Antwort.

3. Fallbeispiel für Fehlurteile bei der Personalauswahl

Anhand eines fiktiven Beispiels soll nun deutlich gemacht werden, wie die Effekte der Verfügbarkeitsheuristik im eignungsdiagnostischen Entscheidungsprozess zutragen kommen.

Das Industrieunternehmen MeschuCar GmbH produziert extravagantes Fahrzeugzubehör und ist mit 1.500 Mitarbeitern in 5 Ländern vertreten. Für die Hauptfiliale in Buxtehude wird ein zusätzlicher Rohstoffeinkäufer gesucht, der sich zum einen auf dem Markt auskennt und zum anderen eine kreative Ader hat, was die Beschaffung von Alternativmaterialen betrifft. Auf Grundlage des bereits vorliegenden Anforderungsprofils wird die vakante Position ausgeschrieben. Nur Bewerber, die kein wirtschaftliches Studium zzgl. 3-jähriger Berufserfahrung mitbringen, werden von der Personalabteilung ausgemustert. Alle anderen werden an den Einkaufsleiter, Herrn Kilmister,

[...]

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Fehleinschätzungen durch die Verfügbarkeitsheuristik in der Personalauswahl
Untertitel
Handlungsempfehlungen für den eignungsdiagnostischen Prozess
Hochschule
( Europäische Fernhochschule Hamburg )
Note
1,4
Autor
Jahr
2016
Seiten
25
Katalognummer
V450023
ISBN (eBook)
9783668838789
ISBN (Buch)
9783668838796
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eignungsdiagnostik, Personal, Heuristiken, Verfügbarkeitsheuristik, Psychologie, Interview, Führung, Einstellungsgespräch, Mitarbeiter, Vorurteile, Schubladendenken, Kategorisierung
Arbeit zitieren
Jessica Motzer (Autor:in), 2016, Fehleinschätzungen durch die Verfügbarkeitsheuristik in der Personalauswahl, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/450023

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