Selfies und die Sehnsucht des Menschen nach Identität zwischen Narzissmus und Nächstenliebe


Hausarbeit, 2018

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffserklärungen
2.1 Narzissmus
2.2 Nächstenliebe
2.3 Identität

3. Die Frage nach der Identitätsbildung
3.1 Identität nach Heiner Keupp

4. Medienbildung im Blick - Zwischen Selfies und Identität
4.1 Wegfall des Großen Anderen und Folgen daraus
4.2 Mediennutzung zwischen Narzissmus und Identität
4.3 Weiterer Umgang mit Selfies in der Anthropologie

4. Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß? [...] Wer bin ich, der oder jener? Bin ich denn heute dieser oder morgen ein anderer? Bin ich beides zugleich? [...] Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!“

(Dietrich Bonhoeffer)1

Wer bin ich ?“. So betitelt der Theologe Dietrich Bonhoeffer sein Gedicht, in dem er sich die wesentliche Frage des Seins stellt. Durch das gesamte Gedicht rezipiert er Stimmen, die Dinge über ihn sagen. Immer mit derselben Frage zu Beginn: „Wer bin ich?“, beziehungsweise „Wer bin ich wirklich?“. Bonhoeffer, der durch den Nationalsozialismus im April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg starb, stellt sich zu Lebzeiten diese Frage, die im heutigen Zeitalter nicht präsenter sein könnte. Dieser Arbeit liegt ebendiese Frage zentral zugrunde. Die Forschung stellt sich den Forschungsfeldern der Identit ä t und Authentizit ä t, da das Subjekt, der Mensch, sich seit der Jahrtausendwende, beziehungsweise spätestens seit der Einführung des Internets, öfter denn je selbst thematisiert. Aus diesen Erkenntnissen lässt sich also folgern, dass bis zu diesem Zeitpunkt keine konsensfähigen Antworten auf diese soziokulturelle Frage eingegangen sind. Es deutet sich ab, dass durch die Lücke ein großer Klärungsbedarf bei den Menschen vorherrscht, diese drei so simplen Worte beantworten zu können, bzw. zu wollen. Medien sind im Bereich der Entwicklungs-, und Beziehungspsychologie lange nicht mehr nur marginal. Schulz erläutert, dass sich dort ein Wandel abzeichnet. Medien legen die ergänzende Funktion ab und nehmen eine konstitutive Position ein (vgl. Fuchs 2015: 147f.). In der früheren Literatur des 20. Jahrhunderts spielt sie durch ihre noch nicht so präsente eine untergeordnete Rolle. Der heutigen Bedeutung von Medien wird der damalige Ansatz nicht mehr gerecht. Spätestens seit dem Aufkommen des Internets erfüllen Medien vergleichbare Aufgaben wie die traditionellen Sozialisationsinstanzen. Den Medien fällt inzwischen dieselbe, oder wenigstens eine gleichwertige Sozialisationsinstanz zu, wie zum Beispiel dem Elternhaus, der Schule oder dem Arbeitsplatz (vgl. Schorb 2006: 149 ff.).

Der Verfasser beschäftigt sich mit der Forschungsfrage, inwieweit Selfies, als Beispiel für die heute digitale Außendarstellung, im Spannungsgefüge von Selbstliebe und Nächstenliebe einzuordnen sind. Der Leser soll durch eine induktive Gliederung einen strukturierten und kohärenten Eindruck des Themas erhalten. In Kapitel 2 werden die grundlegenden Fachbegriffe von Narzissmus, Nächstenliebe und Identität näher erläutert und einer Definition angenähert. Im darauffolgenden Kapitel geht der Verfasser spezifischer auf den Prozess der Identitätsbildung ein. Hierbei stützt er sich besonders auf die grundlegenden Thesen von Heiner Keupp.

Eine spezifischere Überleitung hin zur Selfie-Thematik findet sich in Kapitel 4. Hier findet sich eine Symbiose aus medienpsychologischen, theologischen und anthropologischen Sichtweisen hinsichtlich des Forschungsfeldes. Michael Bauer stellt mit seinem Aufsatz die Frage in den Raum, ob die sozialen Netzwerke einer „Narzissmus-Epidemie“ ausgesetzt sind und wie man ihnen begegnen sollte (vgl. Bauer: 74f.). Er entgegnet kritischen Medienberichten, argumentierenden Medienpädagogen und der theologischen Ethik mit zwölf Indizien warum der Narzissmus-Vorwurf gegenüber der Selfie-Kultur unangebracht ist (vgl. ebd. 86 ff.).

Die Autorin Kathrin S. Kürzinger stellt die Spiegelfunktion von Selfies heraus, die durch das Like-System und die darauffolgende schriftliche Kommunikation verläuft. Sie sieht den Trend zu mehr Individualisierung und gleichzeitig einhergehender Pluralität von Lebensformen weniger mit Besorgnis als vielmehr eine Chance für Jeden den Fragen der modernen Anthropologie ein Stück näher zu gelangen (vgl. Kürzinger 2016). Der theologischen Sichtweise widmet sich Johanna Haberer. In ihrer Arbeit thematisiert sie die Begriffe ‚Authentizität‘ und ‚Inszenierung‘ in den realen und digitalen Räumen der heutigen Gesellschaft (vgl. Haberer 2014). Heiner Keupp wird eine besondere Stellung innerhalb des Forschungsfeldes zuteil, da seine Ansichten innerhalb der Forschung hohes Ansehen haben. Die Identitätsarbeit innerhalb eines gesellschaftlichen Wandels ist ein großes Thema seiner vielen renommierten Arbeiten. Ihm zugrunde liegt das Kapitel der Identitätsbildung und - entwicklung (vgl. Keupp 1997, 2000, 2003, 2011).

2. Begriffserklärungen

Für eine korrekte Einordnung und Behandlung der Thematik bedarf es zu Beginn der Arbeit Begriffsdefinitionen der behandelnden Begriffe. Innerhalb der Debatte ob, und wenn ja wie Social Media-Konsum in Form von Selfies die heranwachsende Jugend beeinflusst, stehen einige Begrifflichkeiten, denen es einer näheren Definition bedarf, da diese Begriffe in verschiedenen Kontexten geläufig sind. Erst eine Systematisierung der Begriffsfelder kann helfen, einen Einblick in die höchst aktuelle Thematik zu erhalten.

2.1 Narzissmus

Siegmund Freud legte mit seinen Studien zur Theorie des Narzissmus den Grundstein für eines der weitreichendsten Forschungsfelder des 20. Jahrhunderts. Freud verwendete den Ausdruck Narzissmus zum ersten Mal öffentlich bei einem Vortrag am 10. November 1909 in Wien (vgl. Welsch 2002). Die Ursache der immer wieder neu auftretenden Definitionen des „Narzissmus“ liegt wohl in den ständig neu auftretenden, beziehungsweise neu beschriebenen, Phänomenen des Narzissmus. Freud definiert in seinem wichtigen Aufsatz Zur Einf ü hrung des Narzi ß mus den Ausdruck folglich als „libidinöse Ergänzung zum Egoismus des Selbsterhaltungstrieb“ (Freud 1968: 138). In diesem Fall unterliegt der Mensch einem Größenwahn, der ihm zudem das Interesse an der Außenwelt nimmt (vgl. Welsch 2002).

Der Begriff des „Narzissmus“ entfernt sich jedoch im Laufe dieser Arbeit von dem Größenwahn und Abgrenzen und zeichnet das eher alltagspsychologische Auftreten einer im weitesten Sinne zu verstehenden Selbstverliebtheit oder Selbstbewunderung des Menschen. Zudem richtet sich der Blick in der Arbeit auf den „Zentralbegriff kulturkritischer Gesellschaftstheorie, die eine narzisstische Gesellschaft [...] diagnostiziert“ (Bauer 2016: 79) und versucht Erklärungen im Zusammenhang zu Selfies zu ziehen.

Egoismus, Eigeninteresse und Mangel an Empathie sind Formulierungen, die in der Kritik über die Zeit beständig sind.

Es gibt innerhalb der Forschung neben dem oben genannten Narzissmus noch andere Auslegungen. Narzissmus in einem pathologischen oder „subclinical“ Sinn existiert neben den Genannten (vgl. ebd: 75 ff.), wird in der Arbeit aber nicht weiter behandelt.

Es ist anzumerken, dass der Narzissmus-Begriff selbst als ein sehr negativ behafteter gesehen wird (vgl. Sprenger 2015). Der exerzierte Medienkonsum innerhalb der Gesellschaft, dieser betrifft nämlich mittlerweile ebenso die Sparte der Erwachsenen, ruft die theologische Ethik und Religionspädagogen auf den Schirm.

2.2 Nächstenliebe

In der Literaturrecherche ist mit zunehmender Dauer der Suche aufgefallen, dass eine genaue und wissenschaftliche Definition des Begriffs „Nächstenliebe“ nicht zu finden ist. Daher bedarf es einer Zusammensetzung verschiedener Quellen zu einer Begriffsannäherung.

Nächstenliebe möchte nicht nur die Achtung und Wertschätzung des oder der dir Nahestehende/n ausdrücken, sondern einen oft unbeachteten Punkt beleuchten: Der Liebe zu seinem Selbst. Neben der obigen Betrachtung des Narzissmus (auch Eigenliebe genannt) bekommt diese Aussage, der Liebe zu einem selbst, eine negative Konnotation. Jedoch ist die Selbstliebe von elementarer Wichtigkeit, da ohne eine Akzeptanz der eigenen Person die Liebe zu einer anderen schwer möglich ist (vgl. ebd. : 28).

In der Bibel ist der Nächstenliebe-Begriff oftmals vorzufinden. Die wohl bekannteste Textstelle über die Liebe zu seinem Nächsten ist die von Jesus im Markusevangelium: „Du sollst deinen Nächsten2 lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer [...]“ (Mk 12,31). Dieses Bibelzitat wird häufig im Gedanken der Selbstverwirklichung als Maß genommen. Der Nächste ist dem Selbst keinesfalls nachgestellt, sondern bestenfalls gleichgestellt. Es geht bei diesem Zitat keineswegs nur um die moralische Forderung, so selbstlos wie möglich zu handeln, sondern um die „Beschreibung einer psychologischen Notwendigkeit“ (Sprenger 2015: 28). Im Zentrum der christlichen Identität findet sich die Liebe wieder (vgl. Henrix 2008: 154). Diese Liebe kann verschiedene Formen haben. Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Balance zwischen den beiden Extremen Narzissmus und N ä chstenliebe. Das Zitat aus dem Markusevangelium soll uns daran erinnern, dass beide Extreme ungesund sind (vgl. Sprenger 2015.: 28f.). So soll die ausgelebte Eigenliebe zum Maßstab der

Nächstenliebe werden. Wobei die Eigenliebe nicht gleichzeitig mit dem alltäglichen Narzissmus gleichzustellen ist. Knauer stellt sich hier die Frage, ob es überhaupt nötig ist, dem anderen seine Selbstliebe aufzunötigen. Zwangsbeglückung steht für ihn als die schlimmste Form von Unglück (vgl. Knauer 2002: 13f.).

2.3 Identität

Die Identität wird als das Grundgerüst einer jeden Persönlichkeit angesehen und bekommt in dieser Arbeit ein besonderes Augenmerk, da der Begriff Identität eng mit der Thematik der Selfies einhergeht.

„Jedes Individuum entwirft seine Identität, indem es auf Erwartungen der anderen, der Menschen im engeren und weiteren Bezugskreisen, antwortet (Krappmann 1997: 67)“. Daraus abgeleitet folgert, dass der Mensch sich durch die dauerhafte Kommunikation in Bild und Sprache reziprok der anderen Mitmenschen gegenüber (weiter-)entwickelt. Identität ist also das Ergebnis sozialer Interaktionen, in deren Reaktionen und Erwartungen der Interaktionspartner sie Struktur erhalten (vgl. Kürzinger 2016: 128). Hier kann Bezug zur Thematik der Selfies gezogen und der Blick erneut auf die anfängliche These gerichtet werden. Das Individuum lebt in einer sozialen Sphäre, die sich an der Schnittstelle des Zusammenspiels von persönlichen Entwürfen, zum Beispiel materielle oder immaterielle Wünsche, Träume oder Ziele, und sozialen Zuschreibungen ansiedelt (vgl. Krappmann: 67). Die Identität bildet hier quasi ein „selbstreflexives Scharnier zwischen der inneren und äußeren Welt“ (Keupp 2000). Somit verdeutlicht die Metapher des Scharniers die Kompromissbildung zwischen dem Eigensinn und der Anpassung (vgl. ebd. 2011: 636). Eine dauerhafte Kommunikation und Spiegelung ist von immenser Wichtigkeit für den Menschen und seine Identitätsbildung. Das Grundbedürfnis nach Bestätigung des eigenen Wertes durch andere ist für Bernd Sprenger ein lebenslanges Grundbedürfnis des Menschen (vgl. Sprenger 2015: 22).

Dieses Phänomen begleitet den Menschen schon vom Kleinkindalter an: „Wir sind von Beginn unseres Lebens an auf Echo und Reflexion angewiesen. Die individuelle Persönlichkeit entsteht in sozialen Spiegel- und Resonanzräumen“ (Altmeyer 2003: 3). Beim Phänomen der Selfies sieht der Mensch sich im Bildschirm seines Smartphones, seiner Kamera oder des Spiegels vor dem er steht selbst - er ist in dem Moment der Aufnahme keinem anderen Menschen gegenüber, sondern nur seinem eigenen

[...]


1 Ausschnitt aus dem Gedicht „Wer bin ich?“ von Dietrich Bonhoeffer, in: Bonhoeffer 2008, 188.

2 Hier ist ein begrifflicher Unterschied zu beachten: Im Alten Testament ist der ‚Nächste‘ das Mitglied des Bundesvolkes, im Neuen Testament gilt der Mensch an sich und jeder Mensch als der ‚Nächste‘ (vgl. Henrix 2008: 157). Letztere wird als die grundlegendes Maß der Nächstenliebe bestimmt.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Selfies und die Sehnsucht des Menschen nach Identität zwischen Narzissmus und Nächstenliebe
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (Katholische Theologie)
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
20
Katalognummer
V449695
ISBN (eBook)
9783668836822
ISBN (Buch)
9783668836839
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Selfie, Medien, Medienpädagogik, Theologie, Narzissmus, Nächstenliebe, Keupp, Jugend, Identität, Identitätsbildung
Arbeit zitieren
Jan Borges (Autor:in), 2018, Selfies und die Sehnsucht des Menschen nach Identität zwischen Narzissmus und Nächstenliebe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/449695

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