Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland

Inwiefern beeinflusst die soziale Herkunft von Studienberechtigten mit Migrationshintergrund den Hochschulübergang?


Bachelorarbeit, 2018

83 Seiten, Note: 1,0

Neema Li (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitiiiig

2 Postsekundare Ausbildungsalternativen in Deutschland
2.1 Ausbildungsalternativen fur Studienberechtigte
2.2 Postsekundarer Bildungsabschluss und Sozialschichtzugehorigkeit in Deutschland

3 Theoretischer Hintergrund
3.1 SozialeBildungsungleichheitenamHochschulubergang
3.1.1 Primare und sekundare soziale Herkunftseffekte
3.1.2 Bildungsaspirationen
3.1.3 Wisconsin-Modell
3.1.4 Theorieder rationalenWahl
3.1.5 ModellderFrame-Selektion
3.1.6 Bildungshintergrund und Hochschulbesuch
3.2 EthnischeBildungsungleichheitenamHochschulubergang
3.2.1 Primare, sekundare und tertiare ethnische Herkunftseffekte
3.2.2 Migrationsspezifische Einflussfaktoren
3.2.3 Soziales Kapital in ethnischen Netzwerken
3.2.4 TheoriederrationalenWahl
3.2.5 ModellderFrame-Selektion
3.2.6 Bildungshintergrund und Hochschulbesuch

4 Zusammenfassung der Hypothesen
4.1 MigrationshintergrundundHochschulbesuch
4.2 Bildungshintergrund und Hochschulbesuch bei Studienberechtigten mit Migrationshintergrund

5 Empirische Ausgangslage in Deutschland
5.1 SozialeBildungsungleichheitenamHochschulubergang
5.2 EthnischeBildungsungleichheitenamHochschulubergang

6 Methode
6.1 DatenbasisundmethodischesVorgehen
6.2 Statistisches Vorgehen

7 Empirische Ergebnisse
7.1 MigrationshintergrundundHochschulbesuch
7.1.1 Operationalisierung der Variablen und deskriptive MaBzahlen
7.1.2 BivariateErgebnisse
7.1.3 MultivariateErgebnisse
7.1.4 Zusammenfassung
7.2 Bildungshintergrund und Hochschulbesuch bei Studienberechtigten mit Migrationshintergrund
7.2.1 Operationalisierung der Variablen und deskriptive MaBzahlen
7.2.2 Bivariate Ergebnisse
7.2.3 Multivariate Ergebnisse
7.2.4 Zusammenfassung

8 Zusammenfassende Betrachtung und Diskussion
8.1 Zusammenfassung
8.2 Diskussion
8.3 Ausblick

Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tabelle l: Fiskalische Bildungsrenditen2009 (in%)

Tabelle 2: Migrationshintergrund und Hochschulbesuch: Deskriptive MaBzahlen der verwendeten Variablen

Tabelle 3: Migrationshintergrund und Hochschulbesuch: Absoluten Haufigkeiten und Zeilenprozente

Tabelle 4: Migrationshintergrund und Hochschulbesuch: Bildungshintergrund und Bildungsaspirationen - Absolute und relative Haufigkeiten

Tabelle 5: Migrationshintergrund und Hochschulbesuch: Indikatoren des Rational- Choice-Modells- Mittelwerteund Standardabweichung

Tabelle 6: Migrationshintergrund und Hochschulbesuch: Hochschulbesuch und er- klarende Variablen - ZusammenhangsmaB Cramers V

Tabelle 7: Migrationshintergrund und Hochschulbesuch: Logistische Regressions- analysen

Tabelle 8: Migrationshintergrund und Hochschulbesuch: Interaktionseffekt des Bildungshintergrunds

Tabelle 9: Bildungshintergrund und Hochschulbesuch bei Studienberechtigten mit Migrationshintergrund: Deskriptive MaBzahlen der verwendeten Variab­len

Tabelle 10: Bildungshintergrund und Hochschulbesuch bei Studienberechtigten mit Migrationshintergrund: Absolute Haufigkeiten und Zeilenprozente

Tabelle 11: Bildungshintergrund und Hochschulbesuch bei Studienberechtigten mit Migrationshintergrund: Hochschulbesuch und erklarende Variablen - Zu­sammenhangsmaB Cramers V

Tabelle 12: Bildungshintergrund und Hochschulbesuch bei Studienberechtigten mit Migrationshintergrund: Vermittelnde Variablen - Mittelwerte und Stan­dardabweichung

Tabelle 13: Bildungshintergrund und Hochschulbesuch bei Studienberechtigten mit Migrationshintergrund: Logistische Regressionsanalysen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Zusammenhang von EGP-Klassenzugehorigkeit und Bildungsab- schluss

Abbildung 2: Wisconsin-Modell

Abbildung 3: Bildungsertrag und Bildungsniveau nach Bildungshintergrund

Abbildung 4: Handlungsweiseimas-Modusvs.rk-Modus

Abbildung 5: Bildungsertrag und Bildungsniveau nach Bildungshintergrund von Stu- dienberechtigten mit und ohne Migrationshintergrund

Abbildung 6: Hochschulbesuch nach Bildungs- und Migrationshintergrund

Abbildung 7: Entwicklung der sozialen Zusammensetzung der Studierenden nach Herkunftsgruppen, 1982 bis 2003 (in %)

Abbildung 8: Migrationshintergrund und Hochschulbesuch: Hochschulbesuch nach Bildungshintergrund und Generationenstatus

Abbildung 9: Migrationshintergrund und Hochschulbesuch: Z-Statistik des Interakti- onseffekts

1 Eiiileitinig

Im Zuge der Bildungsexpansion, als Reaktion auf die defizitare Bildungsbeteiligung und die vorherrschende groBe soziale Ungleichheit wahrend der 1960er Jahre, ist die Teilhabe an terti- arer Bildung in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt stark angestiegen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016: 127). Trotz der gestiegenen Bildungsbeteiligung kann nur be- dingt von einer Verringerung der sozialen Ungleichheiten gesprochen werden (Allmendinger et al. 2009: 54 ff.). Beck (1986: 129) verwendete zur Beschreibung der Entwicklungen die Me- tapher des ,Fahrstuhleffekts‘ der Bildungsexpansion. Darunter wird eine vermehrte Beteiligung aller sozialen Schichten an der weiterfuhrenden Bildung verstanden, diejedoch insgesamt kaum Unterschiede der sozialen Selektion im Bildungswesen zur Folge hat. Wahrend die Bildungs­expansion zu einer leichten Abnahme der herkunftsspezifischen Unterschiede beim Erwerb der Hochschulreife fuhrte, nehmen die Unterschiede beim Ubergang ins Studium deutlich zu. Viel- mehr hat damit eine Verschiebung der sozialen Selektivitaten stattgefunden, von der Sekundar- stufe auf den Ubergang zur Hochschule (vgl. Lorz Schindler 2011: 471).

Neben den sozialen Ungleichheiten, rucken auch die ethnischen Ungleichheiten seit den 1990er Jahren immer mehr in den Vordergrund der soziologischen Bildungsforschung (Kristen 1999: 45 ff.; Relikowski 2012: 14). Die Ergebnisse der PISA-Studie (Programme for International Students Assessment, Deutsches PISA-Konsortium 2001) offenbarten nicht nur verhaltnisma- Big schlechte Leistungen der deutschen Schuler/-innen im internationalen Vergleich, sondern auch erhebliche Kompetenzunterschiede zwischen Schuler/-innen mit und ohne Migrationshin- tergrund innerhalb Deutschlands (vgl. Stanat et al. 2002: 21).

So lasst sich in Deutschland seit einigen Jahren eine Verschiebung der Bildungsbenachteiligung feststellen, von der Arbeitertochter vom Lande, hin zum Migrantensohn aus bildungsschwa- chem Elternhaus. Wahrend in den 1960er Jahren vorwiegend Landkinder, Arbeiterkinder und Madchen mit den geringsten Chancen auf einen hohen Bildungsabschluss in Verbindung ge- bracht wurden, ist es heute zusatzlich die ethnische Zugehorigkeit, welche als eine neue Di­mension die Chancenstruktur im Bildungssystem mitbestimmt (GeiBler 2005: 27 ff.). Die eth­nischen Bildungsungleichheiten sind dabeijedoch nicht isoliert zu betrachten, sondern stellen vielmehr einen Spezialfall der sozialen Bildungsungleichheiten dar (vgl. Kalter 2005: 326).

Der geringe Bildungserfolg von Schuler/-innen mit Migrationshintergrund ist somit durch die Uberlagerung von ethnischen und sozialen Herkunftseffekten zu erklaren. Menschen mit Mig­rationshintergrund sind in den unteren sozialen Schichten nach wie vor uberreprasentiert (vgl. Baumann 2012: 138). Dies lasst sich vor allem auf die Rekrutierung von gering qualifizierten Gastarbeitern, aufgrund des Arbeitskraftemangels ab den 1950er Jahren zuruckfuhren, von de- nen viele ihre Familien nachholten und dauerhaft in Deutschland verblieben (vgl. GeiBler 2002: 286).

Damit liegt der Schluss nahe, dass Schuler/-innen mit Migrationshintergrund aufgrund der so- zialen und ethnischen Herkunftseffekte einer doppelten Benachteiligung ausgesetzt sind. Je- doch zeigt eine Reihe nationaler und internationaler Studien, dass Eltern und Schuler/-innen mit Migrationshintergrund besonders hohe Bildungsaspirationen aufweisen, trotz durchschnitt- lich geringerer Schulleistungen und soziookonomisch niedrigerer Positionen (Kao Tienda 1995; Kristen et al. 2008; Relikowski et al. 2012).

Im theoretischen Verstandnis von sozialen und ethnischen Ungleichheiten, werden durch die Herkunft gepragte akademische Leistungsunterschiede, von dem sozial spezifische Entschei- dungsverhalten an wichtigen Bildungsubergangen abgegrenzt. Die Abwagung von Kosten und Nutzen der jeweiligen Bildungsalternative, in Abhangigkeit von der sozialen Position fuhrt, auch bei gleichen schulischen Leistungen, zu unterschiedlichen Bildungsentscheidungen (Bou- don 1974; Erikson Jonsson 1996). Der Einfluss der Herkunftsfamilie ist, wie empirische Studien gezeigt haben, gerade an entscheidenden Ubergangen im Bildungssystem, wie der Wahl der weiterfuhrenden Schulform nach der Grundschule oder der Entscheidung fur eine berufliche Ausbildung oder ein Studium, besonders groB (vgl. Hillmert 2011: 178).

Die Teilhabe an hoherer Bildung ist somit stark von den ungleichen Ausgangsbedingungen der familiaren Herkunft beeinflusst. Dies liegt unter anderem an der groBen Bedeutung der voran- gegangenen Selektion, durch die Hurden der zu absolvierenden Bildungsstufen (vgl. Water- mann et al. 2014: 235). Die bis zum Abitur akkumulierten Ungleichheiten sind der Ausgangs- punkt fur den weiteren Bildungsverlauf und eine Ursache dafur, dass Studierende aus sozial schwacheren Familien und Studierende mit Migrationshintergrund nach wie vor im tertiaren Bildungssystem stark unterreprasentiert sind (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016: 179;Reimer Schindler2010: 251). WennauchMare (1980: 302)zufolge derEinfluss der sozialen Herkunft aufgrund der Selektivitat der vorangegangenen Bildungsstufen bis zum Hochschulzugang insgesamt abnimmt, zeigt sich dabei trotzdem ein stark herkunftsspezifisches Entscheidungsverhalten, wahrend sich das Leistungsniveau der Studienberechtigten tatsachlich kaum mehr nach der sozialen Herkunft unterscheidet (Schindler Reimer 2010: 634 ff.).

Nach dem Abitur stehen Schuler/-innen zwei grundlegende Altemativen zur Wahl: Die Auf- nahme eines Hochschulstudiums einerseits und der Beginn einer nicht-akademischen, berufli- chen Ausbildung andererseits (vgl. Reimer Schindler 2010: 251). Die Entscheidung fur eine der Ausbildungsalternativen hat langfristige Folgen auf wichtige Aspekte des spateren Lebens. Die Aussichten von Individuen auf vorteilhafte Berufs- und Lebenschancen sind in hohem MaBe durch das erfolgreiche Abschneiden im Bildungssystem gepragt (vgl. Muller et al. 2017: 309). Damit sind auch Moglichkeiten der Teilhabe und Integration in einer Gesellschaft ver- bunden. Der Erwerb hoherer Bildungsabschlusse ist besonders auch fur Personen mit Migrati- onshintergrund bedeutsam, da diese die Positionierung im Statussystem der Aufnahmegesell- schaft definieren und wichtige Perspektiven fur den beruflichen und sozialen Aufstieg eroffnen konnen (vgl. Kristen 1999: 2). Der Ubergang zur Hochschule mit seinen weitreichenden Kon- sequenzen fur die zukunftigen kulturellen, sozialen und beruflich-okonomischen Lebenschan­cen der Individuen soil den zeitlichen Rahmen der vorliegenden Arbeit darstellen.

Das Forschungsinteresse dieser Arbeit richtet sich auf das spezifische Entscheidungsverhalten am Hochschulubergang von Studienberechtigten mit und ohne Migrationshintergrund, der ers- ten und zweiten Generation. Das spezifische Ubertrittsverhalten von Schuler/-innen mit Mig­rationshintergrund am Ubergang zur Sekundarstufe, wurde in den vergangenen Jahren gut un- tersucht (Dollmann 2010; Kristen 2002; Relikowski 2012). Fur den Ubergang zur Hochschule finden sich dagegen kaum Studien, die sich mit dem Entscheidungsverhalten von Studienbe­rechtigten mit Migrationshintergrund befassen. Daher wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit zunachst der Frage nachgegangen, wie sich Studienberechtigte mit und ohne Migrationshinter­grund in ihrem Ubertrittsverhalten zur Hochschule unterscheiden und welche vermittelnden Faktoren dabei eine Rolle spielen. Im zweiten Teil der Arbeit werden ausschlieBlich Studien­berechtigte mit Migrationshintergrund in den Blick genommen. Dabei soil die Frage geklart werden, wie die hohen Bildungsaspirationen von Studienberechtigten mit Migrationshinter­grund zu erklaren sind und ob sich die Einflussfaktoren nach dem Bildungshintergrund unter­scheiden.

Die Arbeit gliedert sich dabei wie folgt: Zuerst werden die postsekundaren Ausbildungsalter­nativen in Deutschland vorgestellt (Kapitel 2). In Kapitel 3 werden die theoretischen Grundla- gen zur Entstehung von sozialen Bildungsungleichheiten erlautert und auf den Migrationshin­tergrund erweitert. Es wird dabei jeweils auf die primaren und sekundaren Herkunftseffekte, die Bildungsaspirationen, das Wisconsin-Modell, die Theorie der rationalen Wahl und Frame- Selektion sowie auf den Zusammenhang zwischen Bildungshintergrund und Hochschulbesuch eingegangen. Aus den theoretischen Uberlegungen werden in Kapitel 4 Hypothesen abgeleitet. Dieses Kapitel gliedert sich, entsprechend des Forschungsinteresses in zwei Teile: FunfHypo- thesen werden zum Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und Hochschulbesuch formuliert. Der zweite Teil umfasst drei Hypothesen zum Zusammenhang zwischen dem Bil- dungshintergrund und dem Hochschulbesuch bei Studienberechtigten mit Migrationshinter- grund. Das funfte Kapitel enthalt einen kurzen Uberblick uber den derzeitigen Forschungsstand zu sozialen und ethnischen Bildungsungleichheiten in Deutschland. Das methodische und sta- tistische Vorgehen sowie die Datenbasis ist Gegenstand des sechsten Kapitels. Nachfolgend werden die empirischen Ergebnisse, getrennt nach den beiden Forschungsschwerpunkten be- richtet (Kapitel 7). Die Arbeit schlieBt mit der Zusammenfassung und Diskussion der empiri­schen Befunde sowie einem Ausblick auf mogliche zukunftige Forschungsvorhaben (Kapitel 8).

2 Postsekundare Ausbildungsalternativen in Deutschland

In Deutschland liegt die Zustandigkeit fur das Bildungswesen im Wesentlichen bei den Bun- deslandem. Dies ist der Grund, weshalb sich die Bildungssysteme in Deutschland teilweise stark zwischen den Bundeslandern unterscheiden (vgl. Hippach-Schneider et al. 2007: 7).

2.1 Ausbildungsalternativen fur Studienberechtigte

Eine Studienberechtigung kann in Deutschland am Ende der Sekundarstufe II in Form der Fach- hochschulreife oder der allgemeinen Hochschulreife an Gymnasien, Gesamtschulen und beruf- liche Schulen erworben werden (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016: 79 f.).

Mit dem Erhalt der Studienberechtigung stehen den Absolventen verschiedene Ausbildungs- moglichkeiten zur Wahl. Vereinfacht besteht das postsekundare Ausbildungssystem in Deutschland aus drei Sektoren: der dualen Berufsausbildung, der schulischen Berufsausbildung und der akademischen Ausbildung. Innerhalb der letzten Jahre wurde dieses dreigliedrige Sys­tem durch MaBnahmen des sogenannten Ubergangssystems erweitert. Darunter werden kurzere Ausbildungsgange gefasst, die maBgeblich der Vorbereitung auf eine regulare Ausbildung die- nen (Baethge et al. 2007: 13 ff.).

Duale und schulische Berufsausbildung

In Deutschland entscheiden sich jedes Jahr rund 21% der Studienberechtigten fur eine duale Berufsausbildung (vgl. Reimer Schindler 2010: 256). Das zentrale Merkmal der dualen Aus­bildung ist die direkte Einbindung von Betrieben in die berufliche Ausbildung. Es wird an zwei Orten gelernt: im Ausbildungsbetrieb und in der Berufsschule. Die Kombination aus Praxis und Theorie, auf der das deutsche duale System der Berufsausbildung beruht, findet international groBe Beachtung. Die Berufsausbildung ist im Idealfall auf die dauerhafte Integration in einem Betrieb ausgerichtet und ermoglicht dadurch einen reibungslosen Ubergang von der Schule in das Berufsleben (vgl. Schultheis Sell 2014). Auszubildende sind dadurch Arbeitnehmer/- innen und Schuler/-innen zugleich und erhalten von ihrem Ausbildungsbetrieb eine Ausbil- dungsvergutung. Die Ausbildungsdauer betragt in der Regel drei Jahre, die sich fur Studienbe­rechtigte meist auf zwei Jahre verkurzt (vgl. BMBF 2017: 9; Reimer Schindler 2010: 255 f.).

Vollzeitschulische Ausbildungen stellen im Vergleich einen relativ kleinen Bereich der berufli- chen Ausbildung dar. Auszubildende bekommen wahrend der schulischen Ausbildung kein Ge- halt und mussen in manchen Fallen sogar ein Schulgeld zahlen. Die Dauer der Ausbildung va- riiertje nach Ausbildungsfach zwischen zwei und drei Jahren (vgl. Reimer Schindler 2010: 256).

Akademische Ausbildung

Fur Studienberechtigte stellt nach wie vor das Universitatsstudium die am haufigsten gewahlte Ausbildungsaltemative dar. Seit der Bologna-Reform ist das klassische Universitatsstudium in Deutschland in Bachelor- und darauf aufbauende Masterstudiengange unterteilt, welche mit Regelstudienzeiten von sechs bzw. zusatzlich vier Semestern einhergehen. Die Kosten eines Universitatsstudiums ergeben sich durch die Summe der direkten und indirekten Kosten. Unter direkte Kosten fallen beispielsweise Semesterbeitrage und die Beschaffung von Bildungsmate- rialien. Indirekte Opportunitatskosten entstehen, da fur das Studium kein Gehalt gezahlt wird und die Lebenshaltungskosten deshalb schwerer ins Gewicht fallen (vgl. Reimer Schindler 2010: 253). Das Studium an einer Fachhochschule unterscheidet sich durch seine besondere Anwendungsorientierung und starkere Ausrichtung auf die berufliche Praxis von einem Uni­versitatsstudium (vgl. Hippach-Schneider et al. 2007: 32 f.).

Seit Mitte der 1970er Jahre entstanden immer mehr Angebote fur duale Studiengange, welche die betriebliche Berufsausbildung in einem Unternehmen mit einem Studium an einer Fach­hochschule oder Universitat verbinden. Studierende erhalten fur ihre Tatigkeit im Unternehmen ein Ausbildungsgehalt (vgl. Hippach-Schneider et al. 2007: 34). Damit stellt das duale Studium, ebenfalls wie das Studium an Berufsakademien, eine Mischform zwischen Berufsausbildung und Studium dar (vgl. Reimer Schindler 2010: 255).

2.2 Postsekundarer Bildungsabschluss und Sozialschichtzugehdrigkeit in Deutschland

Die Chancen von Individuen fur das Erreichen bestimmter vorteilhafter Berufspositionen ist in hohem MaBe durch das Abschneiden im Bildungssystem bestimmt (vgl. Muller et al. 2017: 309). Die Stellung auf dem Arbeitsmarkt und die damit verbundenen Einkommenschancen wir- ken sich weitreichend auf wichtige Aspekte des spateren Lebens aus (vgl. Salikutluk 2013: 7). AuBerdem ubernimmt das Bildungssystem Prozesse der Selektion, Statuszuweisung und Sta- tusdistribution (vgl. Muller et al. 2017: 309). Muller (2001: 56 f.) weist in seiner Studie die starker werdende Rolle von Bildung beim Statuserwerb im Arbeitsmarkt nach, wodurch sich der spatere berufliche Status gut durch den Bildungsabschluss vorhersagen lasst (vgl. Maaz 2006: 26). Den Zusammenhang von Klassenzugehorigkeit und Bildungsstatus haben Baumert und Schumer (2001) auf Basis der in der PISA-Studie erhobenen Daten hergestellt.

Abbildung 1: Zusammenhang von EGP-Klassenzugehorigkeit und Bildungsabschluss

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Maaz (2006: 27), zit. nach Baumert Schumer (2001: 340).

Aus Abbildung 1 geht hervor, dass sich Beschaftigte mit Hochschulabschluss uberwiegend in den Berufsbereichen wiederfinden, welche den oberen beiden Klassen zugeordnet sind. Be­schaftigte mit Hochschulreife aber ohne Hochschulabschluss, sind zwar mit insgesamt 38 Pro- zent ebenfalls eher in den oberen beiden Klassen angesiedelt, jedoch sind sie auch deutlich mehr als Hochschulabsolventen in den unteren Klassen vertreten.

3 Theoretischer Hintergrund

Um den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsbeteiligung zu erklaren, ha- ben sich in den Sozialwissenschaften unterschiedliche theoretische Ansatze herausgebildet. Ge- meinsam ist diesen Ansatzen, dass die Gelenkstellen in Bildungsverlaufen fur die Persistenz von Bildungsungleichheiten entscheidende Stationen darstellen (vgl. Maaz 2006: 51). Der Hochschulubergang, dem einige Selektionsstufen vorausgehen, stellt eine dieser entscheiden- den Gelenkstellen dar.

Im ersten Teil dieses Kapitels werden die zentralen theoretischen Konzepte, welche den Ein- fluss der sozialen Herkunft auf den Hochschulubergang beschreiben dargestellt, um nachfol- gend diese Ansatze auf den Einfluss der ethnischen Herkunft zu erweitern. Die beiden Teile gliedern sich jeweils wie folgt: Es wird zuerst das Konzept der primaren und sekundaren Her- kunftseffekte nach Boudon (1974) vorgestellt. Daran schlieBt eine Erlauterung des Wisconsin- Modells an, bevor das Modell der rationalen Wahl nach Erikson und Jonsson (1996) beschrie- ben wird. Nachfolgend soil das Modell der Frame-Selektion kurz vorgestellt werden, um ab- schlieBend auf den Zusammenhang von Bildungsherkunft und Hochschulubergang einzugehen.

3.1 Soziale Bildungsungleichheiten am Hochschulubergang

Die Untersuchung von Bildungsungleichheiten hat in der soziologischen Forschung eine lange Tradition. Ausgelost wurde dieses Interesse, durch die Aufdeckung der sozialschichtabhangi- gen Bildungsbeteiligung in den 1960er Jahren (vgl. Maaz et al. 2006: 301). Die empirische Ungleichheitsforschung hat seitdem prazise dokumentiert, dass die entscheidenden Stationen der Entstehung von Ungleichheiten die Ubergansschwellen von Bildungsverlaufen sind, da dort primare und sekundare Herkunftseffekte zusammenwirken (vgl. Watermann etal. 2014:236).

3.1.1 Primare und sekundare soziale Herkunftseffekte

Die Unterscheidung von primaren und sekundaren Effekten wurde ursprunglich von Boudon (1974), zur Untersuchung schichtspezifischer Unterschiede im Bildungserfolg eingefuhrt. Die primaren Herkunftseffekte beschreiben den Einfluss der sozialen Herkunft auf den Kompetenz- erwerb. So weisen Schuler mit verschiedener sozialer Herkunft im Durchschnitt ein unter- schiedliches Schulleistungsniveau auf (vgl. Schindler 2014: 44). Diese herkunftsbedingten Leistungsunterschiede ergeben sich aufgrund von klassenspezifischen Sozialisationsprozessen, bedingt durch die unterschiedliche Ressourcenausstattung im Elternhaus, die unterschiedliche kognitive und motivationale Forderung der Eltern, wie auch unterschiedlicher genetischer Vo- raussetzungen (vgl. Relikowski 2012: 19 f.).

Neben den primaren, uber die Schulleistung vermittelten Leistungsunterschieden, wirken au- Berdem sekundare Herkunftseffekte, welche sich auf das Entscheidungsverhalten der Akteure an den entscheidenden Ubergangen ihres Bildungsweges beziehen. Dieses spezifische Ent­scheidungsverhalten wirkt unabhangig von fachlichen Kompetenzen (primaren Effekten) und ergibt sich aufgrund von Vorerfahrungen, besonderer Motivation oder dem Wunsch des Statu- serhalts der Familie. Damit verbunden kommt es zu einer Abwagung moglicher Alternativen bezuglich der erwarteten Ertrage und Kosten der Bildungsentscheidung (vgl. Kristen Doll- mann 2012: 110 f.). Personen aus der Dienstklasse entscheiden sich demnach eher fur einen tertiaren Bildungsweg, welcher ihren sozialen Status sichert. Im Gegensatz zu Schulern aus der Arbeiterklasse, die ihre Position meistens auch ohne hoheren Bildungsabschluss halten konnen, sehen sich Schuler aus der Dienstklasse von einem moglichen Abstieg bedroht. Personen aus der Dienstklasse befinden sich dadurch in zweifach vorteilhafter Lage: Zum einen profitieren sie von den besseren Ausgangs- und Lembedingungen in ihren Familien, zum anderen entschei­den sie sich bei gleichen Schulleistungen haufiger fur eine der hoheren Bildungsalternativen (vgl. Kristen Dollmann, 2009: 207 f.).

Die Bildungsubergange nach dem Abitur ergeben sich durch ein Wechselspiel zwischen pri­maren und sekundaren Effekten, deren relatives Gewicht sich nicht eindeutig ermitteln lasst. Trotzdem kann angenommen werden, dass den sekundaren Herkunftseffekten eine besonders groBe Bedeutung bei Bildungsentscheidungen nach dem Abitur zukommt. Zum einen wird dies auf die Leistungshomogenitat der Abiturienten unterschiedlicher sozialer Herkunft zuruckge- fuhrt, aufgrund der erfolgreichen Bewaltigung vorheriger Selektionsstufen des Bildungssys- tems. Zum anderen kommt den sekundaren Effekten durch die herkunftsspezifische Bewertung von postsekundaren Ausbildungsalternativen eine groBe Bedeutung zu (vgl. Schindler Rei- mer 2010: 627 f.).

3.1.2 Bildungsaspirationen

Ursprunglich eingefuhrt wurde das Aspirationskonzept von Dembo (1931: 50 ff.), um Veran- derungen in den Zielen der Untersuchungspersonen zu erfassen. Erst durch Lewin (1935) er- langte esjedoch wissenschaftliche Aufmerksamkeit (vgl. Gardner 1940: 59). Aspirationen mei- nen dabei Einstellungen und Verhaltensweisen, welche auf die Erfullung eines bestimmten Vorhabens abzielen. Angewandt auf die Bildung, umfasst der Begriff in verschiedenen Studien Konzepte von konkreten Planen, Wunschen und Chancen, einen hoheren Bildungsabschluss zu erreichen (vgl. Salikutluk 2013: 8). Der Aspirationsbegriff kann somit als kognitiver Aspekt zielgerichteten (Bildungs-)Verhaltens verstanden werden (vgl. Haller 1968: 484).

Es konnen idealistische und realistische Bildungsaspirationen unterschieden werden. Unter ersteren sind Bildungswunsche zu verstehen, unabhangig von der Realisierungswahrscheinlich- keit dieser. Realistische Bildungsaspirationen stellen hingegen konkrete Bildungsplane dar, welche unter Einbezug der strukturell gegebenen Bedingungen, wie der schulischen Leistun- gen, als umsetzbar betrachtet werden (Haller 1968: 485; Relikowski et al. 2012: 112). Diese Unterscheidung spielt im Rahmen der vorliegenden Arbeit eine untergeordnete Rolle, da ange- nommen werden kann, dass mit Erhalt der Studienberechtigung die strukturellen Bedingungen fur den Ubergang zur Hochschule erfullt sind und somit die idealistischen, den realistischen Aspirationen angleichen.

Die Bildungsaspirationen werden durch die unterschiedliche Positionierung der Individuen im gesellschaftlichen Statusgefuhle und die damit verbundenen unterschiedlichen Werthaltungen und Einstellungen gegenuber der Bildung beeinflusst.

3.1.3 Wisconsin-Modell

Das Wisconsin-Modell (Sewell et al. 1969) stellt eine Erweiterung des Blau-Duncan Modells der intergenerationalen Statusvererbung dar, indem es vermittelnde sozialpsychologische, als auch sozialstrukturelle Einflussfaktoren, miteinbezieht. Den Zusammenhang zwischen dem so- ziookonomischen Hintergrund und dem Bildungserfolg sehen Sewell et al. (1969) vermittelt durch sozialpsychologische Faktoren, wie den Einfluss der sogenannten signifikanten Anderen.

Unter signifikanten Anderen werden Personen verstanden, die betrachtlichen Einfluss auf das AusmaB der Bildungs- und beruflichen Aspirationen einer Person ausuben. Dies konnen bei- spielsweise Gleichaltrige oder Verwandte sein, indem sie als Vorbild dienen oder entspre- chende Erwartungen explizit kommunizieren (vgl. Sewell et al. 1969: 84). Diese Gruppen sind oft statushomogen und teilen die selben kulturellen Werteorientierungen fur die Bedeutung von Bildung (vgl. Becker Gresch 2016: 77)

Das Pfadmodell ist in Abbildung 2, in leicht vereinfachter Form dargestellt. Ausgehend von dem soziookonomischen Status und der kognitiven Fahigkeiten, welche uber die schulische Leistung und den Einfluss der signifikanten Anderen auf die Bildung und beruflichen Aspira­tionen wirken, schreiben sie den signifikanten Anderen einen direkten Effekt zu. Aus den Bil­dungsaspirationen folgt ein entsprechender Einfluss auf den Bildungsabschluss, welcher sich maBgeblich auf die spatere berufliche Position auswirkt (vgl. Sewell et al. 1969: 84 f.).

Folgende Annahmen liegen dem Modell zugrunde:

1. Bestimmte sozialstrukturelle und psychologische Faktoren wirken sich auf den Einfluss der signifikanten Anderen wie auch auf die Selbstwahmehmung der eigenen Fahigkeiten aus.
2. Der Einfluss der signifikanten Anderen und deren Einschatzung der eigenen Fahigkeiten beeinflusst das AusmaB der Bildungsaspirationen.
3. Das AusmaB der Aspirationen wirkt sich auf den Bildungsabschluss aus.
4. Der erworbene Bildungsabschluss beeinflusst maBgeblich die erreichte berufliche Position.

Die Fahigkeiten, Einstellungen und Werthaltungen von Personen werden somit durch deren Stellung im gesellschaftlichen Statusgefuge gepragt. Wiederum ergeben sich deren Handlun- gen (Bildungs-/Berufsabschlusse) aus diesen kognitiven und motivationalen Orientierungen (vgl. Sewell etal. 1969: 83; Becker2010: 5).

Abbildung 2: Wisconsin-Modell

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Becker (2010: 5), zit. nach Sewell et al. (1969: 85). Leicht modifizierte Darstellung.

Der soziookonomische Status der Eltern pragt besonders stark die Ausbildung der Bildungsas­pirationen ihrer Kinder. Durch die meist statushomogene Gruppe der signifikanten Anderen, wird der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Aspirationen weiter verstarkt. Die soziale Her- kunft wirkt somit in doppelter Weise, durch die Werthaltungen der Eltern und der signifikanten Anderen (vgl. Becker Gresch 2016: 77).

Festzuhalten gilt, dass die Werthaltungen und Normen innerhalb der Familie und den sozialen Netzwerken zu den Haupteinflussfaktoren auf die Auspragung der Bildungsaspirationen von Schuler/-innen und Studienberechtigten zahlen.

3.1.4 Theorie der rationalen Wahl

Eine bedeutsame Weiterentwicklung des Wisconsin-Modells besteht darin, dass weitere Deter- minanten der Bildungsentscheidungen berucksichtigt und systematisch mit der Wirkung von Bildungsaspirationen in Beziehung gesetzt werden. Bei diesen Faktoren handelt es sich um be- stimmte Einflusse von Schulwahlentscheidungen, wie Kosten, Ertrag, Erfolgserwartung und Statuserhalt (Breen Goldthorpe 1997; Erikson Jonsson 1996).

In der Literatur werden vor allem Rational-Choice-Ansatze zur Erklarung sozialer Ungleich- heiten beim Bildungserwerb herangezogen. Diese erlauben es am ehesten, konkrete Vorhersa- gen uber die Ursachen der sozial ungleichen Beteiligung an unterschiedlichen postsekundaren Bildungsmoglichkeiten zu machen (vgl. Reimer Schindler 2010: 252). Die Grundidee dabei ist, dass sich fur die Individuen,je nach den ihnen zur Verfugung stehenden Ressourcen, unter- schiedliche Handlungsmoglichkeiten ergeben. Mit diesem Ansatz ruckt das Entscheidungsver- halten der Individuen an wichtigen Ubergangsschwellen im Bildungsverlauf in den Vorder- grund (vgl. Kristen Dollmann 2012: 105). Anknupfend an Boudons Unterscheidung zwi- schen primaren und sekundaren Herkunftseffekten wurden weitere Erklarungsansatze, wie bei- spielsweise die von Erikson und Jonsson (1996), Breen und Goldthorpe (1997) oder Esser (1999) entwickelt. Auf das Modell von Erikson und Jonsson (1996) soil im Folgenden naher eingegangen werden.

Nach Erikson und Jonsson (1996: 13 f.) stellen Bildungsentscheidungen an entscheidenden Ubergangen des Bildungsverlaufes eine zukunftsgerichtete Wahl zwischen verschiedenen Al- ternativen dar. Personen an Bildungsubergangen treffen eine rationale Entscheidung fur die Bildungsalternative, fur die sich der groBte subjektiv erwartete Gesamtnutzen (U) ergibt. Fur Studienberechtigte besteht im Wesentlichen die Entscheidung zwischen einem Studium (S) und einer Berufsausbildung (B). Ein Studium wird dann aufgenommen, wenn der Gesamtnutzen eines Studiums (Us) groBer ist als der einer Berufsausbildung (Ub) und somit gilt: Us > Ub.

Der Gesamtnutzen (U) der Bildungsalternativen ergibt sich aus den subjektiv erwarteten Kosten (C), den erwarteten Ertragen (B) sowie der Erfolgswahrscheinlichkeit (p). Zu den Kosten zah- len dabei direkte Kosten, wie Studiengebuhren und die allgemeine Finanzierung des Studiums sowie die indirekten, sogenannten Opportunitatskosten, wie das entgangene Gehalt durch die Nicht-Aufnahme einer Berufsausbildung oder den direkten Einstieg ins Erwerbsleben. Die er­warteten Ertrage (B) ergeben sich aus dem erwarteten Einkommen nach Abschluss des Studi­ums oder der Berufsausbildung sowie dem zukunftigen Sozialprestige. Aus den beschrieben Uberlegungen wird folgende Formel abgeleitet:

U = pB - C.

Grundsatzlich folgen alle Studienberechtigten, unabhangig der sozialen Herkunft, bei der Ab- wagung zwischen den Bildungsalternativen dem rationalen Entscheidungsprinzip. Die sozialen Ungleichheiten am Bildungsubergang ergeben sich durch die unterschiedliche Einschatzung derjeweiligenEinflussfaktoren (Kosten, Ertrage, Erfolgswahrscheinlichkeit), abhangigvon der sozialen Herkunft (vgl. Erikson Jonsson 1996: 16).

Familiare Ressourcen und soziale Beziehungen beeinflussen damit zusatzlich zu den gegebenen strukturellen Umstanden die Entscheidung fur eine der postsekundaren Bildungsalternativen. Ausgehend von der Unterscheidung zwischen okonomischen, kulturellen und sozialen Ressour­cen nach Bourdieu (1983), beschreiben Erikson und Jonsson die Entstehung sozialer Ungleich­heiten.

Okonomische Ressourcen

Je nach finanzieller Lage der Familie werden die Kosten, welche die jeweilige Bildungsent- scheidung mit sich bringt, unterschiedlich schwer gewichtet. 1st das Einkommen der Eltem ver- haltnismaBig hoch, so kann der/die Studienberechtigte mit der finanziellen Unterstutzung der Eltem wahrend eines Studiums rechnen, wodurch sich der gewohnte Lebensstandard nur ge- ringfugig andert, im Vergleich zu einer Ausbildung mit eigenem Einkommen. Die Opportuni- tatskosten des Studiums fallen damit fur Studienberechtigte aus Familien mit hohem okonomi- schen Kapital geringer aus (Erikson Jonsson 1996: 17 ff.).

Kulturelle Ressourcen

Schon Collins (1971) und Bourdieu (1983) betonen die Wichtigkeit der kulturellen Ressourcen fur Bildungsentscheidungen. Studienberechtigte mit hoherem sozialen Hintergrund sind von Haus aus vertraut mit den kulturellen Werten und Anforderungen, welche im hoheren Bildungs- system vorherrschen. Sie fuhlen sich wohl in dieser Umgebung, weshalb sie hoherer Bildung grundsatzlich eher zugetan sind. Des Weiteren konnen diese Studienberechtigten auf das im- plizite Vorwissen ihrer Eltern uber das Bildungssystem zuruckgreifen, was die strategischen Uberlegungen zur optimalen Nutzung der Bildungsalternativen vereinfacht. Ihnen ist es daher eher moglich, die Vorteile tertiarer Bildung zu uberschauen und bestmoglich fur die eigene Profitmaximierung zu nutzen. Die Erfolgswahrscheinlichkeiten eines Studiums konnen durch das Vorwissen der Eltem besser eingeschatzt werden, wodurch den Studienberechtigten deut- lich wird, dass man nicht auBergewohnlich klug sein muss, um ein Studium erfolgreich zu ab- solvieren (vgl. Erikson Jonsson 1996: 22 f.).

Die soziale Position der Eltern hat, abgesehen vom strukturellen Vorwissen, einen starken Ef- fekt an sich: Studienberechtigte bewerten die Bildungsaltemativen ausgehend von der sozio- okonomischen Position ihrer Eltern. Studienberechtigte mit hoherer sozialer Herkunft haben somit mehr zu verlieren, wenn sie sich gegen die Aufnahme eines Studiums entscheiden, als jene mit niedriger sozialer Herkunft, da sie einen sozialen Abstieg riskieren wurden.

Abbildung 3: Bildungsertrag und Bildungsniveau nach Bildungshintergrund

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

MH=Migrationshintergrund

Quelle: Erikson Jonsson (1996: 28). Modifizierte Darstellung. Eigene Ubersetzung.

Der relative Ertrag hoherer Bildung, wie beispielsweise des zukunftigen Einkommens, ist zwi- schen den sozialen Schichten gleich. Der absolute Ertrag unterscheidet sich jedoch nach der sozialen Herkunft. Bis zu einem gewissen Bildungsniveau steigt der erwartete Gesamtertrag derjeweiligen Bildung fur Studienberechtigte aus niedrigen und hohen Klassen gleichermaBen stark an (vgl. Abbildung 3). Die PunkteNl und N2 bildenjeweils den Grad der Bildung ab, ab welchem der Statuserhalt als gesichert gilt. Nach diesem Punktbringt hohere Bildung weiterhin eine Ertragssteigerung hinsichtlich des sozialen Status mit sich. Diese istjedoch deutlich gerin- ger als bis zu dem Punkt des Statuserhalts, da der negative Effekt des Statusverlustes deutlich schwerer wiegt als der positive Effekt der Statusverbesserung (vgl. Erikson Jonsson 1996: 28 f.).

Soziale Ressourcen

Auch soziale Ressourcen nehmen Einfluss auf die Bildungsentscheidung. So kann das beschrie- bene strategische Wissen uber das Bildungssystem beispielsweise uber soziale Beziehungen auBerhalb der Familie vermittelt werden. Das Bestreben nach Statuserhalt kann ebenfalls durch die Erwartungen von signifikanten Anderen auBerhalb des Eltemhauses entstehen. Freunde und andere Bezugspersonen konnen auBerdem als MaBstab fur den sozialen Status gelten. Der Er- trag hoherer Bildung wird daher hoher eingeschatzt, wenn beispielsweise die eigenen Freunde sich ebenfalls fur ein Studium entscheiden (vgl. Erikson Jonsson 1996: 30 f.).

3.1.5 Modell der Frame-Selektion

Das Modell der Frame Selektion wurde von Esser (2001) aufgestellt, indem er wichtige Theo- riestrange aus der okonomischen, soziologischen und psychologischen Handlungstheorie zu- sammenfuhrte. In den folgenden Jahren wurde es von Kroneberg (2005) erweitert und formali- siert. Es geht von einer „Vorstrukturierung des Handelns durch kognitiv-emotional verankerte Schemata und einer variablen Rationalitat der Akteure“ (Kroneberg 2007:217) aus. Handlungs- entscheidungen werden demnach in Abhangigkeit des Situationsrahmens (Frame) und der Ge- wohnheiten und Normen (Skript) getroffen (Kroneberg et al. 2006). Es wird weiter angenom- men, dass Akteuren eine unterschiedlich starke Auspragung von Rationalitat zugrunde liegt, wenn sie eine Handlungsentscheidung treffen. Alltagliches Handeln folgt Traditionen, Routi- nen und Gewohnheiten, deren Richtigkeit nicht infrage gestellt wird. Je starker die Normen nach denen sie handeln internalisiert sind, desto weniger ziehen sie andere Alternativen und Folgen des Handelns in ihre Handlungsentscheidung ein. Nur unter bestimmten Umstanden folgt ihr Handeln strategischen Uberlegungen (vgl. Kroneberg et al. 2006: 4). Es wird in dem Modell der Frame-Selektion zwischen dem automatisch-spontanen Modus und dem reflektiv- kalkulatorischen Modus unterschieden (vgl. Abbildung 4).

Normatives, automatisch-spontanes Handeln findet uber die Aktivierung von Programmen statt, die in der Vergangenheit erlernt wurden. Zu rationalem Handeln kommt es dann, wenn die Erreichung von bestimmten Zielen angestrebt wird und Konsequenzen, die in der Zukunft liegen mit einzubeziehen sind. AuBerdem mussen die Bedingungen von hoher Motivation, nied- rigen Kosten und einer Gelegenheit erfullt sein (vgl. Esser 2005: 15).

Abbildung 4: Handlungsweise im as-Modus vs. rk-Modus

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Kroneberg et al.(2006: 38) Eigene Ubersetzung.

1st jedoch die Intemalisierung der Norm fur die Zielerreichung besonders stark, so folgt der Akteur dem Skript (Gewohnheiten, Normen), ohne weitere (rationale) Uberlegungen (vgl. Kroneberg et al. 2006: 22). Die soziale Herkunft und die soziale Einbettung in unterschiedlich homogene Bezugsgruppen, beeinflusst das AusmaB der verinnerlichten Bildungsanspruche. Je haufiger und ausnahmsloser das Anspruchsniveau durch die Bezugspersonen in der alltaglichen Interaktion bestatigt wird und die Bildungsnormen verinnerlicht sind, desto weniger werden die Bildungsaspirationen durch Nutzlichkeitsabwagungen und realistischen Erfolgswahrschein- lichkeiten gepragt (vgl. Stocke 2014).

3.1.6 Bildungshintergrund und Hochschulbesuch

Der Bildungshintergrund wirkt besonders auf das Motiv des Statuserhalts, welches sich stark auf die Studienaspirationen auswirkt (Lorz 2012). Schon Erikson und Jonnson (1996: 29) be- tonen, dass der negative Effekt des Statusverlustes deutlich schwerer wiegt, als der positive Effekt der Statusgewinnung, weshalb der Ertrag hoherer Bildung ab dem Punkt weniger stark zunimmt, ab dem der Status als gesichert gilt.

Auch die kulturelle Pragung, welche im familiaren Kontext vermittelt wird ist ein Faktor, der sich auf die Studiemeigung auswirkt. In bildungsnahen Familien hat der Eigenwert von Bildung (U) einen hoheren Stellenwert. Die kulturelle Reproduktion nimmt damit auch Einfluss auf das Entscheidungsverhalten von Studienberechtigten (vgl. Schindler Reimer 2010: 649).

Die Vertrautheit mit hoheren Bildungsinstitutionen, was Lorz (2012) als die soziale Distanz zum hoheren Bildungssystem bezeichnet, ist eine wichtige EinflussgroBe, welche sich auf die Einschatzung der Kosten (C), Ertrage (B) und Erfolgsaussichten (p) auswirkt. So werden von Studienberechtigten mit niedrigem Bildungshintergrund die Kosten tendenziell uber- die Er­trage und Erfolgsaussichten unterschatzt. Studienberechtigte mit hoherem Bildungshintergrund konnen von der Vertrautheit ihrer Eltern mit dem tertiaren Bildungssystem profitieren und eine realistische Einschatzung treffen. Auch Peter et al. (2016) weisen auf die Bedeutung der Infor- mationen fur Studienberechtigte mit niedrigem Bildungshintergrund hin. Informationen erho- hen die Studienabsicht von Schuler/-innen ohne akademischen Bildungshintergrund, indem sie die Kosten-Nutzen-Vorstellungen verandern.

Hohere Bildung wirkt auch indirekt auf die Ubergangsentscheidung. Hohere Bildung bedeutet meistens auch hoheres Einkommen der Eltern (Butz 2001), wodurch den Kosten (C) eines Stu- diums weniger Gewicht beigemessen wird.

V Bezugsgruppeneinflusse weitestgehend statushomogen und durch ein bestimmtes Bildungs- klima gepragt sind, kommt es dadurch zu einem verstarkenden Effekt der Bildungsherkunft auf die Bildungsaspirationen (Stocke 2014). Unter anderem verstarkt die sozialraumliche Segrega­tion in Stadten die statushomogene Zusammensetzung der sozialen Netzwerke. Durch unter- schiedliche Ressourcenausstattung von Familien entstehen ungleiche Verteilungen von unter- schiedlichen Bewohnergruppen im Stadtgebiet mit entsprechend hohem oder niedrigem sozio- okonomischen Status (HauBermann 2008).

3.2 Ethnische Bildungsungleichheiten am Hochschulubergang

Die theoretischen Modelle zur Erklarung sozialer Bildungsungleichheiten sollen nachfolgend auf den Migrationshintergrund erweitert werden.

3.2.1 Primare, sekundare und tertiare ethnische Herkunftseffekte

Boudons Differenzierung zwischen primaren und sekundaren Herkunftseffekten, bezieht sich auf die schichtspezifischen sozialen Unterschiede im Bildungsverlauf. In den vergangenen Jah- ren wurde das Modell auf die Entscheidungssituation in Familien mit Migrationshintergrund ubertragen (Heath Brinbaum 2007; Kristen Dollmann 2009). Kristen und Dollmann (2009; 2012) unterscheiden explizit in primare und sekundare Effekte sozialer und ethnischer Her- kunft. Es wird die Annahme zugrunde gelegt, dass sich die sozialen Herkunftseffekte zwischen Schuler/-innen mit und ohne Migrationshintergrund nicht unterscheiden.

Primare ethnische Herkunftseffekte sind fur Migranten spezifischen Einflusse, welche auch nach Kontrolle der primaren sozialen Effekte weiter auf den Kompetenzerwerb der Schuler einwirken. Beispielsweise zahlen dazu unterschiedliche Vorkenntnisse der schulischen Ver- kehrssprache. Kinder mit Migrationshintergrund, welche zu Hause uberwiegend nicht deutsch sprechen, sind damit gegenuber deutschen Kindem im Nachteil. Sie starten einerseits mit schlechteren Deutschkenntnissen ihre Bildungslaufbahn, andererseits kommt ihnen von Haus aus geringeres Unterstutzungspotential durch die Eltern zu (vgl. Kristen Dollmann 2012: 107 f.). Gute Kenntnisse in der Unterrichtssprache sind wiederum nicht nur im Fach Deutsch fur erfolgreiche Lemprozesse eine notwendige Voraussetzung (vgl. Esser 2006: 403 f.).

Sekundare ethnische Effekte beziehen sich auf migrationsspezifische Bedingungen, die zusatz- lich zu den sekundaren sozialen Effekten auf die Bildungsentscheidungen wirken. Einerseits beeinflussen Wissensunterschiede uber das Funktionieren des Bildungssystems die Ubergangs- entscheidungen. Eltern mit Migrationshintergrund, welche selbst kaum bis keine Erfahrungen mit dem deutschen Bildungssystem erworben haben, fehlt es oft an entsprechendem Wissen, das zu strategischem Handeln in Ubergangssituationen befahigt (vgl. Kristen 2008: 498 f.). Diese Informationsdefizite konnen sich auf den Ubergang vom Gymnasium zum Studium ent- weder nachteilig auswirken, indem Eltern die Anforderungen eines Studiums zu hoch einschat- zen. Ihnen ist namlich nicht klar, dass ihr Kind kein Ausnahmetalent sein muss, um ein Studium erfolgreich zu absolvieren, wodurch sie diesem eher zur Aufnahme einer Berufsausbildung ra- ten. Andererseits kann geringes Vorwissen auch zur Unterschatzung der fachlichen Anspruche im Studium fuhren, wodurch eher zu der Aufnahme eines Studiums tendiert wird (vgl. Reli- kowski et al. 2010: 147 f.). Letzteres Argument wird haufig zur Erklarung der hoheren Bil- dungsaspirationen von Migrant/-innen herangezogen. Neben Informationsdefiziten wird ihnen auBerdem eine besonders hohe Motivation zur Aufwartsmobilitat zugeschrieben (Kao Tienda 1995). Die sekundaren ethnischen Effekte in Form hoherer Bildungsaspirationen bei gleicher Leistungsausgangslage fuhren, bei Personen mit Migrationshintergrund, oft zu vorteilhafteren Ubergangsraten auf denjeweils hoheren Bildungszweig (Kristen 2016). In diesem Fall zur Auf­nahme eines Studiums, anstelle einer Berufsausbildung.

Gresch (2012) knupft an die Erweiterung von Kristen und Dollmann an, indem sie einen terti- aren ethnischen Effekt definiert. Dieser wirkt, unabhangig von den sozialen wie ethnischen pri- maren und sekundaren Effekten auf den Bildungsubergang, namlich durch die Beurteilungs- prozesse der Lehrkrafte. Sie meint damit eine intendierte oder unintendierte Sonderbehandlung durch konkrete Bevorzugung oder Benachteiligung, von Schuler/-innen mit Migrationshinter­grund, aufgrund der ethnischen Herkunft (vgl. Gresch 2012: 54; Kemper 2015: 44 f.). Die ter- tiaren ethnischen Effekte sind im Rahmen dieser Arbeit von Bedeutung, da der Aspekt der Dis- kriminierung hervorgehoben wird. Negative Diskriminierungserfahrung oder auch nur die Wahmehmung dieser kann sich auf die Bildungsmotivation von Migranten auswirken, durch einen Effekt der Uberkompensation einerseits, oder Entmutigung andererseits (Kao Tienda 1998: 353 ff.).

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Ende der Leseprobe aus 83 Seiten

Details

Titel
Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland
Untertitel
Inwiefern beeinflusst die soziale Herkunft von Studienberechtigten mit Migrationshintergrund den Hochschulübergang?
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
83
Katalognummer
V449108
ISBN (eBook)
9783668878815
ISBN (Buch)
9783668878822
Sprache
Deutsch
Schlagworte
herkunft, bildungserfolg, deutschland, inwiefern, studienberechtigten, migrationshintergrund, hochschulübergang
Arbeit zitieren
Neema Li (Autor:in), 2018, Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/449108

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