Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Begriffsdefinitionen
2.1 Migration
2.2 Flüchtling
2.3 Asyl
3 Ursachen der Zielstaatsbestimmung der Fluchtmigration
3.1 Push und Pull Faktoren der Migration
3.2 Faktoren aus der sozialen Dynamik des Migrationsprozesses
3.3 Migrationsentscheidung im Fluchtkontext
4 Die politischen/ historischen Hintergründe vor der Grundgesetzänderung
4.1 Genfer Flüchtlingskonvention
4.2 Harmonisierung der BRD zu Europa
5 Die restriktive Asylpolitik
5.1 Die Asyldebatte (1990-1992)
5.2 Grundgesetzänderung der Asylpolitik 1993-Asylkompromiss
6 Gesellschaftliche Meinungsentwicklungen in Bezug auf die Flüchtlingsdebatte..
6.1 Zahlreiche Anschläge im Zuge der Asyldebatte
6.2 Kritik an der Asylpolitik 1990-1993
7 Schlussbetrachtung /Fazit
8 Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprob nicht enthalten
1 Einleitung
Diese Arbeit ist im Rahmen des Seminars „Flüchtlingspolitik im historischen Vergleich“ entstanden. Sie soll die Entwicklung der Asylpolitik in Deutschland beleuchten und erste Harmonisierungsansätze zu anderen europäischen Ländern zu der Zeit der EG1 aufzeigen. Mein Interesse, die Entwicklung und Hintergründe im Rahmen der BRD und der Zeit der 1990er Jahre aufzuzeigen, ist im Hinblick auf die sogenannte „Flüchtlingswelle“ im Jahr 2015 zurückzuführen. Denn, es ist nicht das erste Mal, dass eine sehr große Anzahl von Menschen in Deutschland Asyl gesucht haben.
Im Jahr 1992 stieg die Zahl der Asylantragssteller der Erstanträge auf 438.191 (BAMF 2018). Deutschland hat darauf mit einer restriktiven politischen Maßnahme ihre Antwort auf die steigenden fremdenfeindlichen Debatten, wie die des „Flüchtlingsproblems“ und zunehmender Unsicherheiten, gegeben. Genau diese politische Entscheidung und die Grundgesetzänderung ist heute noch Bestandteil in der Asylgesetzgebung.
Diese Arbeit gliedert sich in drei Teile auf: Zunächst sollen im ersten Teil die Begriffe Migration, Flüchtling und Asyl in Form von Definitionen näher erläutert werden, um dann eine mögliche Verbindung zwischen den Definitionen herauszufiltem. Darauf folgend wird ein theoretischer Teil aufgemacht, der die Fluchtursachen und die Zielstaatbestimmung soziologisch erklärt.
Im zweiten Teil der Arbeit werden die Kontexte in der Entwicklung der Flüchtlingspolitik der BRD angerissen. Von der Genfer Flüchtlingskonvention 1951 bis zum Dubliner Abkommen 1990 werden die Rahmen international und auf europäischer Ebene gelegt, um schließlich die Grundgesetzänderung in der Asylpolitik, in Folge des hohen Flüchtlingszustroms aufgrund der Balkankriege und dem Mauerfall, darzulegen.
Der dritte Teil der Arbeit gilt der Untersuchung der gesellschaftlichen Reaktionen auf die Asyldebatte um 1992. Durch die Anführung der zahlreichen rassistisch-motivierten Anschläge soll die zu der Zeit vorherrschende Lage veranschaulicht werden.
Im Schlussteil wird ein Bogen von 1993 zur jüngsten Flüchtlingsthematik 2015 gespannt. Die Arbeit orientiert sich an folgenden Leitfragen: Welche Fluchtursachen gibt es und wie lässt sich Fluchtmigration unter soziologischem Aspekt erklären? Welche politischen und gesellschaftlichen Hintergründe gab es im Hinblick auf die Grundgesetzänderung 1993? Wie sind die Begriffe und die Thematik der Flüchtlingspolitik in der deutschen Gesellschaft konnotiert? Mit welchen Ereignissen lassen sich diese Ergebnisse manifestieren? Welche Veränderungen der Sichtweise zur Flüchtlingsthematik sind erkennbar und woran lässt sich dies festmachen?
Wesentliche Wissenschaftler, die zu dieser Thematik geforscht und hauptsächlich zu meiner Arbeit beigetragen haben, sind:
Erstens, im Bereich der Begriffsdefinitionen und der soziologischen Eingliederung, Annette Treibei (2011, Erstausgabe: 1990), Petrus Han (2016, Erstausgabe: 2000) und Thomas Faist (1997). Zweitens, bezogen auf die deutsche Asylpolitik, die Arbeiten von Klaus J.Bade (1994/2000), sowie Ursula Münch (1992).
Drittens, über die Entwicklung im europäischen Raum, Steffen Angenendt (2002) und schließlich, mit einem Gesamtumfang der Geschichte der Ausländerpolitik, Herbert Ulrich (2001). Auch aktuelle Zeitschriften und Aufsätze der BAMF dienten als wichtige Forschungsliteratur.
2 Begriffsdefinitionen
Die Bereiche, die es zu untersuchen gilt, bedürfen einer Differenzierung und Einordnung der Begrifflichkeiten. Die Leitbegriffe Migration, Flüchtling, Asyl werden daher im Folgenden näher erläutert.
2.1 Migration
Der Begriff Migration2 ist durch die uneinheitliche Verwendung, zahlreichen Definitionen ausgesetzt (Vgl. Treibei 2011: 17 Erstausgabe 1990).
Nach Treibei gibt es zehn verschiedene Definitionsfelder, die nach den jeweiligen Wissenschaften festgesetzt werden. Zudem wird der Begriff Migration mit der Wanderung synonym verwendet (vgl. 2011: 18).
Einige Wissenschaftler definieren Migration als „jede längerfristige, räumliche Verlagerung des Lebensschwerpunktes über eine größere Distanz, die ein Verlassen des sozialen Aktionsraumes zur Folge hat“ oder „Migration ist der auf Dauer angelegte bzw. dauerhaft werdende Wechsel in eine andere Gesellschaft bzw. in eine andere Region von einzelnen oder mehreren Menschen“ (Treibei 2011: 19).
Zudem kann Migration als Oberbegriff bezeichnet werden, den man in Arbeitsmigration und Fluchtmigration unterteilt (vgl. Treibei 2011: 157). Nur die letzte Definition wird Gegenstand dieser Arbeit sein.
Fluchtmigration ist ein Feld, das aufgeteilt ist zwischen internationaler Politik, Menschenrechtsgruppen, Hilfsorganisationen und politikwissenschaftlicher Analyse. Sie hat kein eigenes soziologisches Feld (vgl. Treibei: 2011: 158).
In der älteren Forschung wurde zwischen freiwilliger (Arbeitsmigration) und erzwungener (Vertreibungs-)Migration getrennt. Wobei diese Unterteilung in vielerlei Hinsicht problematisch erscheint (vgl. Treibei 2011: 20).
Nach Treibei besteht in der jüngeren Migrationsforschung Konsens darüber, dass Einwanderung, Gastarbeit und Flucht fließende Übergänge aufweisen und nicht vollständig voneinander zu trennen sind (2011: 22). Da man also von „gemischten Migrationsströmen“ spricht, ist demnach die Fluchtmigration selten monokausal. Vielmehr treten mehrere unterschiedliche Migrationsmotive gleichzeitig auf, können sich überlappen oder stehen nebeneinander (vgl. BAMF 2013: 20)
2.2 Flüchtling
Ein Flüchtling ist eine Person,
„[die] aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer, Ethnie, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will [...]“ (Genfer Flüchtlingskonvention 1951; UNHCR 2018).
Mit Blick auf den Terminus „Flüchtling“ ist zwischen einer politisch-rechtlichen und einer eher allgemein-humanitären Verwendung zu unterscheiden (vgl. BAMF 2013: 16). Rechtlich gesehen sind Flüchtlinge, jedoch nur die Menschen, die Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention bekommen (vgl. UNHCR 2018). Neben der Festlegung des Flüchtlingbegriffs ist das Prinzip des sogenannten Non-refoulement ein weiterer Bestandteil der Genfer Konvention (Art.: 33). Dabei ist hinzuzufügen, dass sie kein rechtsverbindliches Gesetz wie etwa das Asylrecht darstellt, sondern ein Abkommen von über 140 der 185 Staaten der Vereinten Nationen unterzeichnet wurde (vgl. Treibei 2011: 161). Flüchtlinge, die Flüchtlingseigenschaften gemäß der Genfer Konvention erfüllen, werden Konventionsflüchtlinge genannt und unterliegen einem Abschiebeschutz. (Vgl. Birsi 2003 142).
Die Flüchtlingseigenschaften sind hierbei oft einer politischen Auslegung untergeordnet wie beispielsweise in der BRD:
„Das Bundesinnenministerium rechnet, um seine These des Überschreitens in der Belastungsgrenze zu belegen, viele Gruppen zu den 'Flüchtlingen', die entweder schon längst integriert sind oder das Land schon während des Asylverfahrens verlassen haben, während der UNHCR nur die anerkannten Asylbewerber und allenfalls noch die 'de facto- Flüchtlinge' mit einer begrenzten Aufenthaltsduldung in seine Statistik einbezieht, weil die Genfer Flüchtlingskonvention ihre Abschiebung verbietet oder weil sie- wie Flüchtlinge aus Kriegsgebieten- aus humanitären Gründen geduldet werden“ (Nuscheler 2004: 28).
Eine weitere wichtige Unterteilung des UNHCR ist nennenswert. Hierbei stellt die Organisation heraus, dass die Begriffe Flüchtling und Asylsuchender im Alltag oft vemiischt werden: „Das Essentielle ist, dass bei einem Flüchtling die Flüchtlingseigenschaft bereits anerkannt wurde, wobei bei einem Asylsuchenden diese Anerkennung noch bevor steht (UNHCR 2018).“
Als weiteren Punkt ist die Unterteilung des De-facto Flüchtlings zu nennen, deren Asylbegehren zwar abgelehnt wurde, die aber dennoch aus humanitären (humanitäre Flüchtlinge), aus politischen, rechtlichen bzw. „faktischen“ Gründen (z.B. Staatenlosigkeit) nicht in ihre Herkunftsländer abzuschieben sind und auf Zeit „geduldet“ werden (Bade 1994: 10). Hierbei ist auch die Bezeichnung des Kontingentflüchtlings zu nennen, die im Rahmen humanitärer Hilfsorganisationen aufgenommen werden (vgl. Birsi 2003: 142).
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Flüchtlingsbegriff nicht nur auf die politische Verfolgung zurückgeführt, sondem alle Arten von Fluchtursachen impliziert. Angesichts3 der verschiedenen Lesarten des Flüchtlingsbegriffs ist im Hinblick dieser Arbeit eine terminologische Abstufung vorzunehmen. In der juristischen bzw. verfahrenstechnischen Perspektive des Aufnahmestaates wird ein Migrant erst dann zum Flüchtling, wenn sein Flüchtlingsstatus im Rahmen eines staatlich organisierten, ordentlichen Asylverfahrens rechtlich anerkannt wurde (vgl. BAMF 2013: 16f).
2.3 Asyl
Ist der Schutzstatus eines Schutzsuchenden anerkannt, so spricht man von einem positiven Schutzstatus. Neben dem Flüchtlingsschutz können weitere Schutzformen gewährt werden. Menschen, die in ihrem Herkunftsland politisch verfolgt werden, erhalten laut Artikel 16a des Deutschen Grundgesetzes Asyl (vgl. Birsi 2003:129).
Politisch ist eine Verfolgung dann, wenn sie dem Einzelnen aufgrund seiner politischen Überzeugung, seiner religiösen Grundentscheidung oder anderer Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Menschenrechtsverletzungen zuftigt, die ihn aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (Münch 1992: 15).
Weiterhin kann einem Menschen subsidiärer Schutz gewährt werden, wenn ein stichhaltiger Grund für die Annahme eines ernsthaften Schadens in seinem Herkunftsland wie die Todesstrafe, Folter oder ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Krieg besteht (BAMF, 2013: 17).
Das Asylrecht dient dem Schutz der Menschenwürde in einem umfassenderen Sinne und ist ein im Grundgesetz verankertes Grundrecht (Münch 1992:14). Ein Asylsuchender wird per Antragstellung zu einem Asylantragsteller oder Asylbewerber (BAMF 2013: 18).
3. Ursachen der Zielstaatsbestimmung der Fluchtmigration
Im Folgenden sollen einige ausgewählte Ansätze zur Ursachenuntersuchung dargelegt werden. Dabei werden ausgewählte Faktoren genannt, die zur Erklärung der Fluchtmigration aus dem soziologischen Aspekt beitragen.
3.1 Push und Pull Faktoren der Migration
In der Migrationstheorie nach Everett S. Lee (1972) wird die Bedeutung der „Push- und Pull-Faktoren“ der Migration differenziert dargelegt.
Unter den „Push-Faktoren“ (Schubfaktoren) werden all die Faktoren des Herkunftsgebietes der Migranten zusammengefasst, die diese zur Auswanderung („Emigration“ bzw. „Vertreibung“) veranlassen. Dabei kann es sich „um politische und religiöse Verfolgung, wirtschaftliche Krisen, zwischenstaatliche Kriege, Bürgerkriege, Umwelt- und Naturkatastrophen usw.“ oder um geringes Lohnniveau sowie schlechte Arbeits- und Berufschancen für bestimmte soziale Schichten oder in bestimmten wirtschaftlichen Räumen“ handeln (Han 2016: 15).
Die „Pull-Faktoren“ (Sog- bzw. Anziehungsfaktoren) lassen sich in die Faktoren des Zielgebietes bzw. Aufnahmeortes der Migranten zusanmienfassen, die diese zur Einwanderung (Immigration) motivieren. Als Sogfaktoren können etwa „politische Stabilität, demokratische Sozialstruktur, religiöse Glaubensfreiheit, wirtschaftliche Prosperität und bessere Ausbildungs- und Verdienstmöglichkeiten“ gezählt werden (Han 2016: 15; Vgl. BAMF 2013:21ft).
Ein weiterer theoretischer Ansatz für die Erforschung der Migrationsursachen ist die Unterscheidung in Makro-, Meso- und Mikroebene. Makrotheoretische Erklärungsansätze zur Migration stellen die Rahmenbedingungen in das Zentrum der Untersuchung. Dabei geht es um Rahm en faktoren ökonomischer Natur wie die Globalisierung oder politischer Natur, wie die Ausgestaltung von Migrationspolitik (BAMF 2013: 23).
Die Mikroebene geht von einer individualistischen Interpretation der Entscheidungsfindung aus. Nach Abwägung der Vor- und Nachteile oder einer sogenannten Kosten-NutzenAnalyse richtet sich die Wanderungsentscheidung am individuellen Nutzengewinn aus (BAMF 2008: 15).
3.2 Faktoren aus der sozialen Dynamik des Migrationsprozesses
Ein weiterer wichtiger Punkt sind die sogenannten Migrationsnetzwerke. Die Netzwerke dienen zur praktischen Unterstützung neuer Migranten durch bereits etablierte Einwanderer.
Die Ursachen und die Motive von Migration sind somit nicht immer an dem rational zu erwartenden ökonomischen Vorteil, sondem oft mehr an den sozialen und emotionalen Bindungen orientiert (Vgl. Han 2016: 16). Beziehungen dieser Art bilden lebenswichtige Ressourcen für Individuen und Gruppen und können als „Sozial-Kapital“ bezeichnet werden.
Netzwerke sind nicht nur für ökonomisch motivierte Migranten wichtig, sondem auch für Flüchtlinge und Asylsuchende, die Migrationsweg und -ziel stark von vorhandenen Beziehungen abhängig machen.
Sie stellen außerdem die Gmndlage für Ansiedlungs- und Gemeinschaftsbildungsprozesse im Einwandemngsgebiet dar (vgl. Castles 2005: 14). Hierbei kann man von starken (z.B. Familie), schwachen (z.B. Nachbarschaft) sowie symbolischen (z.B. religiöse Gemeinschaften) sozialen Bindungen unterscheiden, die ausschlaggebend für die Ursachen für die Entscheidung der Migration sind.
Nach Faist ist hier die Mesoebene einzugliedem. Als Bindeglied verknüpft sie die individuellen Interessen (Mikroebene) und den übergeordneten Stmkturen (Makroebene).
Der Begriff des sozialen Kapitals in Anlehnung an Pierre Bourdieu (1983) findet sich in der Erklämng Faists wieder. Demnach ist das soziale Kapital „verfügbare Ressourcen potentieller Migranten durch Partizipation in Netzwerken und Kollektiven mittels starker, schwacher und symbolischer sozialer Bindungen“) 1997: 66).
3.3 Migrationsentscheidung im Fluchtkontext
Im Fluchtkontext ist der zentrale Full-Faktor, die Sicherheit sowie die Freiheit, anzufiih- ren, der die Menschen anzieht und Migration in andere Regionen fördert. Dabei ist hervorzuheben, dass der konkrete Entschluss zur Flucht häufig unter Zeitdruck geschieht (Nu- scheler2004: 102).
Mit Blick auf den Dringlichkeitsgrad einer Flucht wird ein so genanntes antizipatorisches Fluchtverhalten von einem akuten Fluchtverhalten abgegrenzt (BAMF 2013: 25).
Unter einem akuten Fluchtverhalten versteht man, dass auf die Fluchtentscheidung unmittelbar eine tatsächliche Handlung der Flucht folgt. Priorität hat hier die individuelle Sicherheit.
Wobei das antizipatorische Fluchtverhalten zwar auch unter Druck erfolgt, aber eine Abwägung des Für und Wider mit einschließt, wird davon ausgegangen, dass entsprechende zeitliche Ressourcen gegeben sind um die Rahmenbedingungen zu reflektieren (Nuscheler 2004: 107). Dabei vollzieht sich eine Flucht häufig etappenweise.
Die primäre Migrationsbewegung erfolgt häufig in die nächst sicheren Orte, die innerländlich liegen. Man spricht hierbei auch von einer Binnenmigration (vgl. Treibei 2011: 171). Häufig werden erst bei den sekundären Migrationsbewegungen internationale Ziele angepeilt. Dabei ist auch das Thema der Weiterwanderung mit Blick auf die Zielstaatswahl, wie beispielsweise innerhalb Europas, ein wichtiger Punkt. Entgegen der Logik der Genfer Flüchtlingskonvention, dass die Sicherheit das alleinige Wanderungsmotiv im Fluchtkontext ist, gibt es auch andere Anlässe, wie beispielsweise die der besseren Lebensbedingungen, die aus dem „Gemenge von Schub- und Sogfaktoren“ hervorgebracht werden (vgl. Treibei 2011: 173).
4 Die politischen/ historischen Hintergründe vor der Grundgesetzänderung
Deutschland hat auf eine lange Migrationsgeschichte zurückzublicken. Von dieser Zeit sollen nun die wichtigsten Grundlagen aufgeführt werden.
Angesichts der Tatsache der vielen Vertriebenen und Flüchtlingen aus dem nationalsozialistischen Deutschland während des zweiten Weltkriegs hielt die Bundesrepublik Deutschland lange an einer liberalen Asylpolitik ohne feste Einschränkungen fest. Sie hatte eine wichtige legitimatorische und identitätsbildende Funktion (vgl. Santel/Weber 2000: 116).
In den 1970erJahren verlor diese Funktion des Artikels 16 im Grundgesetzbuch allmählich an Bedeutung. Zu dieser Zeit wurden in hoher Frequenz Gesetze verabschiedet und Verordnungen erlassen, die die asyl- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen Schritt für Schritt einschränkten und verschärften4 (vgl. Münch 1992: 72f).
In der Regierungszeit des Kabinetts von Helmut Kohl in den 1980er Jahren nahm die Ausländerpolitik bzw. Migrationspolitik einen wichtigen Teil neben der Wirtschaft-, Sozial, Außen- und Sicherheitspolitik ein. Ausgangspunkt des „Dringlichkeitsprogramms“ seiner „Politik der Erneuerung“ war die Feststellung: „Deutschland ist kein Einwanderungsland“.
Hierzu gehörten drei Zielsetzungen, erstens, die Integration der hier lebenden Ausländer, zweitens, die Förderung der Rückkehrbereitschaft, drittens, die Verhinderung eines weiteren Zuzugs (Herbert 2001: 249/250). Die zunehmend restriktiver werdende Migrationspolitik der Regierung Kohl wurde durch die steigenden Asylbewerberzahlen seit Ende der 1980er Jahre bekräftigt.
Mit dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 und der deutschen Wiedervereinigung im Oktober 1990, sowie der Grenzöffnung der ehemaligen Ostblockstaaten nach dem Ende des Kalten Kriegs, änderte sich die Zuwanderung nach Deutschland gänzlich (vgl. Butterwegge 2009: 140).
Als neue Einwanderungsgruppen kamen vor allem Migrierende mit sogenannter „deutscher Volkszugehörigkeit“ nach Art. 116 des Grundgesetzes, also sogenannte Spätaussiedler bzw. deutschstämmige Aussiedler aus Osteuropa und Juden aus Russland, als sogenannte Kontingentflüchtlinge hinzu, sowie später Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Auch die Zuwanderung von Flüchtlingen aus afrikanischen und insbesondere asiatischen Ländern, wie Afghanistan, dem Iran, dem Irak, Pakistan, oder Sri Lanka, die in der Bundesrepublik Asyl suchten, stieg in den 1990er Jahren an (vgl. Birsi 2003: 135f).
Vor diesem Hintergrund erfolgten zu Beginn der 1990er Jahre mit dem Ausländergesetz und dem sogenannten Asylkompromiss mehrere migrationspolitische Weichenstellungen, die bis heute nachwirken (vgl. Butterwegge 2009: 140).
4.1 Genfer Flüchtlingskonvention
Auf internationaler Ebene ist die Genfer Flüchtlingskonvention eines der wichtigsten wenn nicht das wichtigste Abkommen seit 1951 weltweit. Sie stellt die Grundlage des internationalen Rechts zum Schutz für Flüchtlinge (vgl. Gatrell 2016: 25). Das Flüchtlingshochkommissariat übernimmt die Kontrolle darüber, dass „anerkannte“ Flüchtlinge auch den Schutz erhalten, den sie laut der Konvention zugesprochen bekommen (vgl. Gatrell 2016: 29).
Wenn man sich die Entwicklung des Asylrechts in Deutschland anschaut, lässt sich feststellen, dass ab 1982 der Flüchtlingsschutz nach der Konvention nachrangig zum eigenständigen Asylstatus nach Art. 16 des Grundgesetzes gewährt wurde. Dabei wird die Bezeichnung „Großes Asyl“, für das Asylgrundrecht, und „Kleines Asyl“, für den Flüchtlingsschutz, nach der GfK genannt (BAMF 2011: 1).
Durch die Vergemeinschaftung des Politkbereichs der Migrations- und Asylpolitk der EU 1997 im Amsterdamer Vertrag und nach dem Zuwanderungsgesetz 2005 kann man allerdings wieder davon ausgehen, dass der Flüchtlingsschutz der GfK wieder eine zentrale Rolle im deutschen Asylrecht angenommen hat. Das Zuwanderungsgesetz hat die Rechte von Schutzberechtigten nach der GfK und von Asylberechtigten angeglichen (vgl. BAMF 2011: 1).
4.2 Harmonisierung der BRD zu Europa
Als Grundbausteine der Entwicklung von Grenzabbau und Neukonstruktion im europäischen Migrationsraum sind die Schengener Verträge kennzeichnend.
Im Schengener Abkommen 1985 schlossen Deutschland, Frankreich und die Beneluxstaaten den schrittweisen Abbau von Grenzkontrollen ab. Zudem wurde vereinbart, migrationsbezogene Fragen abzustimmen (vgl. Tomei 2001: 143).
Das Schengener Folgeabkommen vom 19. Juni 1990 (Schengen II) stellt einen weiteren Versuch dar, in der Gruppe der EG Mitgliedsländern die Harmonisierung der Einreise- und Asylpolitik auf zwischenstaatlicher Ebene voranzutreiben. Durch das Folgeabkommen sollen einheitliche Regeln bei der Kontrolle der Außengrenzen und der Angleichung der Visavorschriften vorangetrieben werden (Santel/ Weber 2000: 119). Ergänzend dazu ist der asylrechtliche Teil von Schengen II im wesentlichen identisch mit dem Dubliner Übereinkommen, das am 15. Juni 1990 ratifiziert wurde. Inhaltlich gesehen möchten beide Abkommen verhindern, dass Asylsuchende doppelte Anträge in verschiedenen EG (ab 1993 EU) Ländern stellen.
Dabei geht es nicht um die Harmonisierung des materiellen Asylrechts oder des Verfahrensrechts. Vielmehr wird durch die Abkommen sichergestellt, welcher Staat im grenzfreien europäischen Binnenmarkt für die Prüfung eines Asylverfahrens verantwortlich ist (vgl. Santel/Weber 2000: 120). Nach dem „Verursacherprinzip“ wird derjenige Staat vertraglich zur Überprüfung des Asylantrags verpflichtet, der die Einreise des Antragstellers „verursacht“ hat. Dieses Prinzip der Verantwortung bewirkte im Zuge der Anwendung, dass jeder Staat durch das hohe Eigeninteresse, eine restriktivere nationale Migrationspolitik einschlug. Ergänzend dazu waren die Asylverfahren nach dem jeweiligen nationalen Recht durchzuführen (vgl. SanteFWeber 2000: 121).
Mit dem in 1992 in Maastricht geschlossenen Vertrag über die Europäische Union, der 1993 nach Ratifizierung in allen Mitgliedsstaaten in Kraft getreten ist, wurde ein neuer Prozess der europäischen Integration erreicht (vgl. Weidenfeld 2008: 36). In diesem Rahmen wurde die Asylpolitik in den sogenannten Dritten Pfeiler der „intergouvemementalen Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres“ überführt. Darüber hinaus wurde das Asyl-und Einwanderungsrecht nicht vergemeinschaftet, aber zu einer „Angelegenheit von gemeinsamen Interesse“ erklärt (Santcl/Wcbcr 2000: 121; Angenendt 2002: 145). Im Kern ging es dabei auch um die Festlegung, wie viele Zuwanderer welcher Art , für welchen Zeitraum aus ökonomischen und demografischen Gründen aufgenommen und wie dies mit den humanitären Verpflichtungen zu vereinbaren ist (Angenendt 2002: 144).
[...]
1 Die EG ist eine supranationale Organisation, aus der 1957 gegründeten EWG hervorging und ab 1993 zur EU winde ( Weidenfeld 2008 35).
2 Der Begriff Migration leitet sich von dem lateinischen „migrare bzw. migratio“ (wandern, wegziehen, Wanderung) ab.
3 Flüchtlinge dürfen nicht in Länder zurückgeschickt oder abgeschoben werden, in denen ihre Sicherheit gefährdet sein könnte.
4 Das Erste Beschleunigungsgesetz 1978 und das Zweite Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung.
- Arbeit zitieren
- Zoe Busch (Autor:in), 2018, Die restriktive Asylpolitik der BRD in den 1990er Jahren unter Berücksichtigung der Asyldebatte in der deutschen Politik und Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/448683
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