Werbung für eine terroristische Vereinigung im Spannungsfeld zur Meinungsäußerungsfreiheit

Sympathiebekundungen als Straftat?


Seminararbeit, 2013

34 Seiten, Note: 14,00


Leseprobe


Gliederungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

A. Einführung

B. Hauptteil
I. Statistische Relevanz der Werbung für eine terroristische Vereinigung im Rahmen der Strafverfolgung
II. Die Kriminalisierung der Sympathie-Werbung von 1976 bis 2002
III. Die Entkriminalisierung der Sympathie-Werbung durch den Gesetzgeber

C. Ergebnis und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Einführung

Am 18. August 1976 verkündete der Gesetzgeber das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Bundesrechtsanwaltsordnung und des Strafvollzugsgesetzes.1 Das Gesetz führte mit §129a StGB einen neuen Straftatbestand ein, der das Gründen einer Vereinigung und die Mitgliedschaft in ihr pönalisierte, wenn der Zweck und die Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung schwerster Kriminalität gerichtet sind. Gleichzeitig sah die Norm die Strafbarkeit von Werbe- oder Unterstützungshandlungen für eine solche sogenannte terroristische Vereinigung vor. Der Schaffung des neuen Straftatbestandes waren in weiten Teilen inhaltsgleiche Gesetzesentwürfe der Fraktionen CDU/CSU2, SPD und FDP3, des Bundesrates4 und der Bundesregierung5 vorausgegangen. Den Anlass für die gleiche Stoßrichtung der Entwürfe bildeten mehrere in der jüngeren Vergangenheit durch die Rote Armee Fraktion und die „Bewegung 2. Juni“ verübte Terrorakte.6 Angesichts der Häufung und Intensität der Taten wurde der Rechtsschutz des §129 StGB gegen kriminelle Vereinigungen nicht mehr als ausreichendes Instrument gegen den Terrorismus angesehen.7 Zudem waren alle Bundestagsparteien bemüht aufgrund der am 3. Oktober 1976 bevorstehenden Bundestagswahl ihr innen- und sicherheitspolitisches Profil zu schärfen.8

Die Ausgestaltung des §129a StGB war jedoch bereits während des Gesetzgebungsverfahrens umstritten. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung standen die Tatmodalitäten des „Unterstützens“ und „Werbens“. Während die einen ihre Aufnahme in den Straftatbestand als richtig und die Strafbewehrung noch als zu gering ansahen9, wurden von anderer Seite Bedenken geäußert, dass der Gesetzgeber durch die Strafdrohung gegenüber bloßen Beistandshandlungen für eine Gruppierung eine zu weit gehende Kriminalisierung im Vorfeld der von den Gruppenmitgliedern befürchteten Rechtsgutverletzungen anordne.10 Diese Arbeit beschränkt sich in diesem Zusammenhang in ihren Ausführungen auf das „Werben für eine terroristische Vereinigung“ in Form der reinen Sympathie-Werbung. Soweit von Terrorismus die Rede ist, sind die von der RAF und anderen linksextremistischen Gruppen vorrangig in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts verübten Gewalttaten gemeint.

Seit seiner Entstehung war umstritten, ob §129a StGB bereits denjenigen mit Strafe bedroht, der versucht bei einer Person bloße Sympathien für eine terroristische Vereinigung hervorzurufen, ohne den anderen in Richtung einer konkreten Unterstützungshandlung zu beeinflussen. Dabei gilt es zu beachten, dass ein werbendes Eintreten für die eigene Position durch die Meinungsäußerungsfreiheit aus Art.5 I S.1 Hs.1 GG geschützt wird und der kommunikative Widerstreit von Meinungen das maßgebliche Charaktermerkmal einer freiheilich-demokratischen Staatsordnung bildet.11 Die entscheidende Frage lautet demnach, ob überzeugende Gründe bestehen, die Sympathie-Werbung für eine terroristische Vereinigung als nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, sondern als strafwürdig anzusehen.

Im Jahr 2002 hob der Gesetzgeber die Strafbarkeit der Sympathie-Werbung schließlich auf. Der Weg, den Rechtsprechung, Literatur und der Gesetzgeber bis zu dieser Entscheidung gegangen sind, wird im Rahmen dieser Arbeit nachgezeichnet und kritisch hinterfragt. Es soll dabei auch geklärt werden, inwieweit die Pönalisierung von Sympathie-Werbung geeignet, erforderlich und nicht zuletzt angemessen war, um der linksterroristischen Bedrohung zu begegnen. Den Schwerpunkt der Bearbeitung bildet der Zeitraum von der Einführung des §129a StGB 1976 bis 1989, während die neuere Entwicklung des Paragraphen nur zur Kontrastierung aufgegriffen wird.

B. Hauptteil

I. Statistische Relevanz der Werbung für eine terroristische Vereinigung im Rahmen der Strafverfolgung

Um die Bedeutung herauszuarbeiten, welche der Pönalisierung der Werbung für eine terroristische Vereinigung innerhalb der staatlichen Reaktion auf den Terrorismus der 1970er und 80er Jahre zukam, erweist sich zunächst ein Blick auf das verfügbare statistische Material zur strafrechtlichen Verfolgung als hilfreich.

Tabelle 112

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Demnach wurde ein Großteil der Ermittlungsverfahren nach §129a StGB von 1980 bis 1987 wegen des Vorwurfs des „Werbens für eine terroristische Vereinigung“ angestrengt. Im Durchschnitt beruhten ca. 73,7% aller Ermittlungsverfahren auf diesem Vorwurf.

Tabelle 213

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In den Jahren 1980/81 wurde auch der überwiegende Anteil aller Anklagen nach §129a StGB auf den Vorwurf des „Werbens für eine terroristische Vereinigung“ gestützt. 1980 waren es 62,5%, 1981 sogar 85% aller Anklagen. Vergleicht man die wegen des Verdachts des „Werbens für eine terroristische Vereinigung“ eingeleiteten Ermittlungsverfahren mit den späteren Anklageerhebungen fällt zudem auf, dass nur ein geringer Anteil der Ermittlungsverfahren (1980: ca. 6%/ 1981: ca. 5%) zur Erhebung der öffentlichen Klage führte. Diese geringe Anklagequote wird umso deutlicher, wenn man beachtet, dass die allgemeine Anklagequote 1980 bei 40,2% und 1981 bei 39,4% lag.14

Dass sich die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte im Zusammenhang mit §129a StGB vornehmlich mit Fällen der Werbung für eine terroristische Vereinigung befassten, ist ein Indiz für die weitläufige Sympathisanten-Szene zur damaligen Zeit. Horchem ging 1977 davon aus, dass auf etwa 50 bis 60 aktive Terroristen in der Bundesrepublik 2.500 Helfer und Sympathisanten in den westdeutschen Städten und 1.500 Sympathisanten allein in West-Berlin kamen.15 1972 hatten bei einer repräsentativen Umfrage sogar 17,5% der Teilnehmer angegeben, dass sie generell bereit wären Mitgliedern der RAF trotz des strafrechtlichen Verbotes praktische Unterstützung zu gewähren.16 Die Bekämpfung dieses Helfer- und Sympathisantenumfeldes durchzog die Begründungen der Gesetzentwürfe zum §129a StGB. So war es eine wesentliche Intention der Fraktion CDU/CSU gegen den „Dunstkreis der Sympathisanten“, der sich auch aus bürgerlichen Kreisen rekrutiere, vorgehen zu können.17 Die Regierungskoalition hielt ein Vorgehen gegen „alle Helfer der kriminellen Vereinigungen“ für notwendig.18 Nimmt man die Zahl von durchschnittlich fast 200 eingeleiteten Ermittlungsverfahren pro Jahr allein wegen des Vorwurfs „des Werbens für eine terroristische Vereinigung“ und legt ihnen die Schätzung von 3.000 Personen in der Sympathisantenszene zugrunde, scheinen sich die Strafverfolgungsbehörden diese Einschätzung um die Bedeutung der Sympathisantenszene für die Terrorismusbekämpfung uneingeschränkt zu Eigen gemacht zu haben. Teilweise wurde der Vorwurf einer „regelrechten Sympathisanten-Hetze“ Ende der siebziger Jahre und in den achtziger Jahren erhoben.19

Auch die geringe Anklagequote im Zusammenhang mit §129a StGB, die insbesondere für die Tathandlung des „Werbens“ gilt, wurde zum Ausgangspunkt von Kritik. So wurde vorgebracht, die strafrechtlichen Ermittlungen nach §129a StGB würden bewusst zur Abschreckung missbraucht.20 Das Ausnutzen eines Einschüchterungseffektes, der durch das Einleiten von letztlich unbegründeten Ermittlungsverfahren hervorgerufen wird, ist nach Scheerer ein typisches Merkmal für den staatlichen Umgang mit Anti-Terror-Gesetzen.21 Auch im Zusammenhang mit den zahlreichen Ermittlungsverfahren nach §129a StGB in den achtziger Jahren, denen keine Anklage folgte, erscheint dieser Verdacht nicht unbegründet. Eine wichtigere Ursache für die geringe Anklagequote nach §129a StGB dürfte indes seine Anknüpfungsfunktion für das Strafprozessrecht sein. Zusammen mit der Einführung des §129a StGB und in der Folgezeit wurden den Strafverfolgungsbehörden teils erhebliche Eingriffsbefugnisse bei Verfahren nach §129a StGB eingeräumt. So wurde die Anordnung der Untersuchungshaft durch das Einfügen von §129a StGB in die Vorschrift des §112 III StPO erleichtert und die Identitätsfeststellung und das Festhalten von Personen gemäß §163b II StPO erlaubt, die einer Straftat nicht verdächtig sind, aber zur Aufklärung einer solchen beitragen können. Daneben war es gemäß §103 I S.2 StPO nun zulässig auf der Suche nach einem Tatverdächtigen im Sinne des §129a StGB einen ganzen Wohnblock zu durchsuchen, wenn die verdächtige Person in ihm vermutet wurde oder gemäß §111 I StPO für die Fahndung überall im öffentlichen Raum Kontrollstellen einzurichten, an denen sich jedermann ausweisen und durchsuchen lassen musste. Auch erfasste §100a StPO den neuen §129a StGB ohne Änderung von seinem Wortlaut her und ermöglichte damit die Telekommunikationsüberwachung eines nach §129a StGB Verdächtigen.

Mit der Norm des §129a StGB waren noch zahlreiche andere Eingriffsbefugnisse verknüpft, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann. Doch bereits dieser selektive Ausschnitt an Eingriffsbefugnissen, die den Behörden bei der Verfolgung von Straftaten nach §129a StGB zufielen, offenbart eine erhebliche Missbrauchsgefahr. Die geringe Anklagequote bei Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des „Werbens für eine terroristische Vereinigung“ deutet darauf hin, dass die Strafverfolgungsbehörden den Vorwurf in vielen Fällen vorschnell oder gar im Bewusstsein seiner Haltlosigkeit erhoben, um den Betroffenen und sein Umfeld ausforschen und besser im Zusammenhang mit anderen Straftaten ermitteln zu können. Der §129a StGB wurde aus diesem Grund vielfach als „Ermittlungsparagraph“22 kritisiert, der einen „Ausforschungscharakter“ aufweise23 und „illegitime Ermittlungen in der Privatsphäre von Bürgern ermögliche“.24

II. Die Kriminalisierung der Sympathie-Werbung von 1976 bis 2002

1. Systematische Verortung der Sympathie-Werbung im Strafrecht und im Begriff des Werbens im Sinne des §129a StGB

Das geltende Strafrecht ist in seinen überwiegenden Zügen Tatstrafrecht.25 Es knüpft an die vom Täter begangene Tat an. Eine solche liegt bei Verhaltensweisen vor, die ein Rechtsgut verletzen oder gefährden.26 Das bloße Vorbereiten einer Rechtsgutverletzung ist hingegen regelmäßig straflos.27 Eine darüber hinausgehende Kriminalisierung von Verhaltensweisen im Vorfeld einer Rechtsgutverletzung ist nur ausnahmsweise zulässig und bedarf besonderer Rechtfertigung.28 Zur Legitimierung des §129a StGB hat der Gesetzgeber auf die besondere Gefährlichkeit von terroristischen Vereinigungen verwiesen.29 Diese geht zum einen auf deren leistungsfähige, auf die Begehung von Straftaten ausgerichtete Organisationsstruktur und zum anderen auf gruppendynamische Prozesse zurück.30 So führen die Abkehr von der Gesellschaft und ihre totale Negativzeichnung bei den Gruppenmitgliedern zu einer „Desensibilisierung gegenüber potentiellen Opfern“.31 Durch die weitgehende Selbstaufgabe des einzelnen gegenüber der Gruppe32 wird ihr Erhalt zum obersten Ziel und muss derjenige mit Rache rechnen, der versucht sich von ihr zu lösen.33 Dies alles vermag das strafrechtliche Einschreiten gegen die Gründer oder Mitglieder einer terroristischen Vereinigung im Sinne des §129a StGB zu rechtfertigen, obwohl eine Rechtsgutverletzung durch diese Personen noch fern liegt. Durch die Strafandrohung gegenüber Unterstützern einer terroristischen Vereinigung entfernt sich der Straftatbestand um einen weiteren Schritt von der Rechtsgutverletzung und erfasst aus sich heraus auch Beihilfehandlungen für terroristische Vereinigungen.34 Eine noch größere Distanz zur Rechtsgutverletzung weist die Tatbestandsalternative des „Werbens“ auf, da sie im Gegensatz zum Unterstützen vorliegen kann, ohne dass ein nachweisbarer Nutzen für die terroristische Vereinigung eingetreten sein muss.35 Hinzu kommt, dass die Werbung im Gegensatz zur Unterstützung einen positiven Effekt für die Vereinigung nicht direkt, sondern stets erst mittelbar durch die Beeinflussung eines Dritten entfalten soll.36 Denkbare Formen dieser Einflussnahme sind das Werben um Mitglieder, um zu mindestens einmalige Unterstützung oder um bloße Sympathie für die terroristische Vereinigung. Das reine Werben um Sympathie stellt sich dabei, aufgrund des regelmäßig ungefährlicheren Resultats, als die schwächste Unterform des Werbens im Sinne des §129a StGB dar.37 Der Strafrahmen war indessen 1976 bei allen Tathandlungen des §129a I StGB mit sechs Monaten bis zu fünf Jahren gleich angesetzt worden.38 Dies änderte sich erst 1987 als der Gesetzgeber die Strafdrohung des §129a StGB für die Tatbestandsalternativen des „Gründens“ und der „Mitgliedschaft“ auf ein Jahr bis zu zehn Jahre anhob.39

2. Die Rechtsprechung zur Sympathie-Werbung

Die Strafverfolgung von Sympathie-Werbung lässt sich anhand ihres quantitativen Gewichts in der Rechtsprechung in zwei grobe Phasen unterteilen. Während sie von 1978 bis 1989 angesichts von zahlreichen Anklagen und Urteilen eine beachtliche Rolle spielte, kam ihr nach 1989 nur noch eine geringe Bedeutung zu.

a) Phase der intensiven Strafverfolgung von 1978 bis 1989

Am 3. Mai 1978 bezog der für Staatsschutzdelikte zuständige 3. Strafsenat des BGH erstmalig zur Strafbarkeit der reinen Sympathie-Werbung Stellung und fällte ein Urteil, das später als faktisch präjudiziell für eine weite Auslegung der Tatmodalität des Werbens in §§129, 129a StGB bezeichnet wurde.40 In seiner Entscheidung bestätigte der Senat die Verurteilung eines Angeklagten durch das Landgericht München wegen Werbens für eine kriminelle Vereinigung.41 Dem Angeklagten war zur Last gelegt worden mit weiteren Personen die Parolen „RAF“, „Es lebe die RAF“ und „RAF wir werden siegen“ an die Glastüren des Münchener Justizpalastes angebracht zu haben. Nach der Auslegung des BGH sollte der Begriff des Werbens nicht auf die Gewinnung von Mitgliedern oder Anhängern beschränkt sein, sondern darüber hinaus ähnliche Betätigungen, mit denen eine andersartige Stärkung der Vereinigung und deren gezielte Unterstützung mit den Mitteln der Propaganda bezweckt werde, erfassen.42 Zugleich bestätigte der BGH seine frühere Rechtsprechung43 und wies darauf hin, dass es für die Strafbarkeit des Werbens eines irgendwie gearteten Erfolges der Werbetätigkeit nicht bedürfe.44 In der Folge kam es zu weiteren Verurteilungen nach §129a StGB wegen Sympathie-Werbung, die jedoch unveröffentlicht blieben.45 Ferner schnellte die Anzahl der Ermittlungsverfahren wegen „Werbens für eine terroristische Vereinigung“ nach oben, was wiederum zu öffentlicher Kritik an der weiten Auslegung des Tatbestandsmerkmals führte. Schließlich reagierte der Generalbundesanwalt Rebmann auf die Kritik und veröffentlichte 1981 einen Aufsatz, in dem er eine Reihe an Vorschlägen zur einschränkenden Auslegung des §129a StGB bei Sympathie-Werbung unterbreitete.46 Nach Rebmann sollten fortan nur noch Tätigkeiten erfasst werden, die ohne weiteres von einem Durchschnittsadressaten als Propaganda für eine bestimmte Vereinigung im Sinne des §129a StGB aufgefasst werden, wobei die Werbung sich auf die Vereinigung als Organisation und nicht auf einzelne ihrer Mitglieder beziehen müsse.47 Des Weiteren könne der Werbecharakter einer Erklärung durch den Ort ihrer Äußerung, ihre Aufmachung sowie ihren Kontext beseitigt werden, womit Rebmann insbesondere das Verbreiten unsinniger Parolen und bagatellhafte Verstöße aus dem Tatbestand ausscheiden wollte.48 Es sei zusätzlich zu fordern, dass der Täter selbst werben und dies auch wollen müsse, wodurch Rebmann eine Beschränkung der Strafbarkeit im Pressewesen bei bloßen Dokumentationen anstrebte.49 Außerdem dürfe das Eintreten für bessere Haftbedingungen für Terroristen nur unter Strafe gestellt werden, wenn sich dieses für den Durchschnittsadressaten über das humanitäre Anliegen hinaus als Kampfmaßnahme für eine bessere Organisation der inhaftierten Terroristen und damit als Stärkung für die gesamte Vereinigung darstelle.50

Die Oberlandesgerichte griffen die Restriktionsvorschläge in den folgenden Jahren auf. So lehnte das BayObLG die Eröffnung des Hauptverfahrens nach §129a StGB gegen einen 17-Jährigen, der mit einem Filzstift eine Maschinenpistole mit der Beschriftung „RAF“ an die Wände eines städtischen Musikpavillons gemalt und dabei ein mit dem RAF-Symbol versehenes Sakko getragen hatte, mit der Begründung ab, dass dieser lediglich habe provozieren wollen, was eine Werbeintention von vornherein ausschließe.51 Das OLG Frankfurt hatte 1982 über eine groß angelegte Protestaktion zu urteilen, bei der mehrere Personen eine Ausstellung in der Deutschen Bibliothek in Frankfurt besetzt und Transparente mit unter anderem folgenden Inhalt angebracht hatten: „1933 KZ´s 1981: Hochsicherheitstrakte“, „Gefangene im Hungerstreik, im Kampf um die Menschlichkeit“ (daneben schwarzumrandeter fünfzackigen Stern), „Zusammenlegung der Gefangenen der RAF sofort!“ (Der Punkt des Ausrufezeichens war als fünfzackiger Stern ausgebildet). Das Gericht stellte das Verfahren unter Berufung auf die Auslegungskriterien des Generalbundesanwalts ein, weil die verwendeten Parolen für den Durchschnittsadressaten als humanitäres Anliegen erscheinen mussten und die beigefügte Symbolik keinen Rückschluss auf eine bestimmte terroristische Vereinigung zuließ.52 Das Urteil reiht sich ein in eine ständige Rechtsprechung, die sich aus den Vorschlägen des Generalbundesanwalts zur Behandlung von „Haftbedingungsparolen“ entwickelt hatte.53 1984 bestätigte der BGH diese Rechtsprechung erstmals in einer für die Öffentlichkeit bestimmten Entscheidung. In der Nacht vom 4. auf den 5. April 1981 waren von mehreren Personen auf die Rückseite von Schilderbrücken über die A81 unter anderem die Parolen „Seit 9 Wochen Hungerstreik der Gefangenen der RAF gegen Isolationsfolter“, „Zusammenlegung der Gegangenen aus der RAF sofort“ und „Im Kampf ums Leben gegen US-SPD-Staat“ gesprüht worden. Das OLG Stuttgart hatte die Angeklagten vom Vorwurf des „Werbens für eine terroristische Vereinigung“ freigesprochen und lediglich wegen Sachbeschädigung verurteilt.54 Der BGH bestätigte das Urteil und wies die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie zusätzlich eine Verurteilung nach §129a StGB angestrebt hatte, zurück.55 Aus der regelmäßig geringen Gefährlichkeit von Sympathie-Werbung, für die gleichwohl dieselbe Strafdrohung wie bei den schwereren Begehungsformen des §129a StGB gelte sowie dem Bestimmtheitsgebot und der Meinungsfreiheit ergebe sich das Erfordernis einer einschränkenden Auslegung des Begriffes „Werben“ in §129a StGB.56 Im Anschluss an den Generalbundesanwalt forderte der BGH, der inkriminierte Text müsse „objektiv geeignet sein, von dem im Einzelfall angesprochenen Adressaten als Werbung für die Vereinigung selbst oder als Unterstützung aufgefasst zu werden“.57 Weil das OLG den Aussagegehalt der Parolen rechtsfehlerfrei dahingehend gedeutet habe, dass sich aus ihnen für den Durchschnittsadressaten, also jedermann, der das Autobahnstück in dieser Nacht benutzte, nur das Eintreten für ein humanitäres Anliegen ergebe, scheide ein Werben für die RAF als terroristische Vereinigung aus.58

Auch im Bereich der Presse entfalteten die Restriktionskriterien des Generalbundesanwalts ihre Wirkung. So pflichtete der BGH dem BayObLG bei, das es abgelehnt hatte die Hauptverhandlung gegen die Herausgeber des Textes „Aufruf – Grüße an politische Gefangene“, der Forderungen nach der Zusammenlegung der RAF-Häftlinge enthielt, wegen eines Vorwurfs nach §129a StGB zu eröffnen.59 Zwar erwiesen sich einzelne Textpassagen isoliert betrachtet gegebenenfalls als geeignet von Dritten als Sympathie-Werbung für eine terroristische Vereinigung verstanden zu werden. Ausschlaggebend müsse bei Publikationen aber eine Gesamtbetrachtung mit Blick auf den Schwerpunkt der Schrift sein. Im vorliegenden Fall seien die kritischen Passagen aber in einen Textzusammenhang eingebunden, „der vornehmlich von der Zielsetzung bestimmt ist, eine freie politische Information und Diskussion für diese Gefangenen zu ermöglichen“. Eine solche Agitation halte sich aber noch im Rahmen der allgemeinen Meinungsfreiheit.60 Das OLG Hamburg stellte 1986 klar, dass das bloße Abdrucken einer Hungerstreikerklärung der RAF durch die Pressefreiheit gedeckt ist, solange nicht „das Vorhaben, unter ihrem Schutz in Wahrheit strafbare Handlungen zu begehen oder zu fördern, evident ist“.61

[...]


1 BGBl. I, 2181.

2 BT-Drs. 7/3661.

3 BT-Drs. 7/3729.

4 BT-Drs. 7/4004.

5 BT-Drs. 7/4005.

6 BT-Drs. 7/3661, 4; vgl. auch BT-Drs. 7/3729, 7.

7 Felske, 356f.

8 Hawickhorst, 28f.

9 BT-Drs. 7/3661, 5.

10 Grünwald, DuR 1976, 305 (311).

11 Vgl. nur BVerfGE 7, 198 (208).

12 BT-Drs. 11/2774, 3.

13 BT-Drs. 9/1745, 2.

14 Statistisches Jahrbuch 1984, Tabelle 15.7.2.

15 Horchem, in: Funke, Terrorismus, 296.

16 Scheerer, in: Blankenburg, Politik der inneren Sicherheit, 124.

17 BT-Drs. 7/3661, 4.

18 BT-Drs. 7/3729, 7.

19 Gössner, 37.

20 Ostendorf, Alternativ-Kommentar StGB, §129a Rn. 4.

21 Scheerer, in: Blankenburg, Politik der inneren Sicherheit, 138.

22 Estermann/Koll, Bürgerrechte & Polizei Cilip 22, 39 (41).

23 Gössner, DuR 1987, 142 (156).

24 Fürst, 268.

25 Roxin, Strafrecht AT, §6 Rn. 13.

26 Vgl. Heinrich, Strafrecht AT, Rn. 704.

27 Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, §11 Rn. 6.

28 Vgl. Letzgus, 120 ff.

29 BT-Drs. 7/4005, 8.

30 Rudolphi, FS Bruns, 315 (317).

31 Schmidtchen, in: Geißler, Der Weg in die Gewalt, 48ff.

32 Müller-Luckmann, in: Schwind, Ursachen des Terrorismus, 63.

33 Veelken, in: Schwind, Ursachen des Terrorismus, 96.

34 Vgl. BGHSt 29, 99 (101), wonach Unterstützung zu Täterschaft verselbständigte Beihilfe ist.

35 OLG Stuttgart, StV 1984, 76 (77).

36 Rudolphi, JR 1979, 33 (34).

37 BGHSt 33, 16 (18).

38 Vgl. BGBl. I, 2181.

39 Vgl. BGBl. I, 2566.

40 Giehring, StV 1983, 296 (298).

41 BGHSt 28, 26; Dass sich die Verurteilung auf §129 StGB stützte, lässt darauf schließen, dass sich die Tat vor der Einführung des §129a StGB zutrug.

42 BGHSt 28, 26.

43 BGHSt 20, 89 (90).

44 BGHSt 28, 26 (27).

45 BGH, Beschl. v. 6.7.81 – 3 StR 451/80 (S); BGH, Beschl. v. 15.7.81 – 3 StR 207/81 (S); Vgl. insoweit den Hinweis bei Schmidt, MDR 1981, 972 (974) Fn. 14.

46 Rebmann, NStZ 1981, 457.

47 Rebmann, NStZ 1981, 457 (459f.).

48 Rebmann, NStZ 1981, 457 (460f.).

49 Rebmann, NStZ 1981, 457 (460ff.)

50 Rebmann, NStZ 1981, 457 (460f.).

51 BayObLG, NStZ 1983, 123.

52 OLG Frankfurt, StV 1983, 287.

53 Vgl. Bruns, NStZ 1985, 22 (23).

54 OLG Stuttgart, StV 1984, 76.

55 BGHSt 33, 16.

56 BGHSt 33, 16 (18).

57 BGHSt 33, 16 (18).

58 BGHSt 33, 16 (19f.).

59 BGH, NStZ 1985, 263.

60 BGH, NStZ 1985, 263.

61 OLG Hamburg, StV 1986, 253.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Werbung für eine terroristische Vereinigung im Spannungsfeld zur Meinungsäußerungsfreiheit
Untertitel
Sympathiebekundungen als Straftat?
Hochschule
Universität Hamburg  (Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Juristische Zeitgeschichte)
Veranstaltung
Seminar - Die Strafverfahren gegen die Rote Armee Fraktion im Spiegel der strafjuristischen Zeitgeschichte
Note
14,00
Autor
Jahr
2013
Seiten
34
Katalognummer
V448547
ISBN (eBook)
9783668861312
ISBN (Buch)
9783668861329
Sprache
Deutsch
Schlagworte
RAF, Rote Armee Fraktion, strafjuristische Zeitgeschichte, juristische Zeitgeschichte, terroristische Vereinigung, Werbung für eine terroristische Vereinigung, Meinungsäußerungsfreiheit, Strafverfahren gegen die Rote Armee Fraktion, Strafverfahren gegen die RAF
Arbeit zitieren
Timo Junker (Autor:in), 2013, Werbung für eine terroristische Vereinigung im Spannungsfeld zur Meinungsäußerungsfreiheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/448547

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Werbung für eine terroristische Vereinigung im Spannungsfeld zur Meinungsäußerungsfreiheit



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden