Gogols Selbstidentität im Roman 'Die toten Seelen'


Seminararbeit, 2004

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Menschliche Identität im Fokus der Gogols Forschung
1. Gogols eigene Identitätssuche
2. Psychologische und sexualtheoretische Analyse

III. „The Sexual Labyrinth of Nikolai Gogol” – der Schlüssel zu der Biographie Gogols
1. Der Schatten des Gogol Lebens – seine Homosexualität
2. Analyse die Charakteren des Romans durch die sexualtheoretischen Ansätze
- Charakter Chichikov
- Rolle der Tochter des Gouverneurs
- Charakter Sobakevich
- Charakter Manilov
- Charakter Nozdryov
- Frauenfeindliches Bild

IV. Paradigmawecksel des Romans „Die Toten Seelen“ - die Lebenswende des Autors
1. Model des zweiten Teils „Die Toten Seelen“

V. Fazit

VI. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Wenn Nikolaj Gogol wirklich „der merkwürdigste Prosa-Poet“ gewesen sein sollte, „den Russland je hervorgebracht hat“ wie Vladimir Nabokov meinte, so verdankt er diesen Status auch und vor allem seinem 1842 erschienen Roman «Мёртвые души» (Die Toten Selen). Dieses Werk bezeichnet nicht nur den Höhepunkt der russischen Literatur und der Weltliteratur überhaupt. Wenige Texte haben ihren Interpreten freilich derartige Problemen bereitet, so sie in Frustration versetzt, ja zu Wutanfällen und Unterstellungen verleitet.

Dieses Werk ist außerdem ein unfangreicher Feld für die literaturwissenschaftliche Forschung. Die Zeitgennosser betrachteten den Roman als die tapfere Herausforderung der Zeit, die tragische Satire der Gesellschaft. Gogol hat ebenfalls ein Ziel verfolgt, Russland in Wirklichkeit darzustellen. Die langen Aufenthalte im Ausland haben ihm die Möglichkeit gewährleistet sein Land durch fremdes Prisma zu betrachten. Alles anderes: die Menschen, Sitten, Sprache, sowie politisches Wesen und Lebensnormen.

Aber die wichtigste und dabei schwierigste Arbeit für Gogol gewesen, die Charakteren des Romans, deren Temperament, Moral, Taten darzustellen. Jeder Held des Romans ist eine vollendete Idee des Autors, in dem er seiner inneren Seite des Charakters darstellt.

Da ich meine Arbeit überwiegend Anhang des Buches Karlinsky´s schreibe, stelle ich das breite Spektrum der Analyse dar. Karlinsky ist einer der Autoren, der sich mit dem unerforschten Gebiet Gogols Leben befasst. Seine Sexualität steht im Kern seiner Forschung. Wir, Leser, sind erstaunt über seine offene Auffassung, dass jeder Charakter der „Toten Seele“ ist eine sexuelle Fantasie Gogols. Gogols Homosexualität spiegelt im Roman die Frauenfeindlichkeit und das Wesen der Ehre und Familie.

Ziel dieser Arbeit ist die Selbstidentität Gogols im Roman „Мёртвые души“zu erforschen Anhang der Werken der wichtigen Schriftsteller und Kritikers, die sich mit seinem Leben und Werken befasst haben und dabei uns in die atemberaubende innere Welt Gogols begleiten.

II. Menschliche Identität im Fokus der Gogols Forschung

Als ich Puschkin die ersten Kapitel der „Toten Seelen“ in ihrer damaligen Gestalt vorlas, wurde er, der bei meinem Lesen immer lachte, allmählich immer trübsinniger und war schließlich verdüstert. Als ich zu Ende gelesen hatte, sagte er mir mit schwermütiger Stimme: „Mein Gott, wie traurig ist doch unser Russland!“ Das machte mich betroffen. Puschkin, der so gut Russland kannte, hatte nicht bemerkt, dass das alles eine Karikatur und meine eigene Erfindung war! Das sah ich erst. Was es heißt, wenn etwas aus der Seele genommen ist, überhaupt, was Seelenwahrheit bedeutet, und in welch entsetzlicher Gestalt dem Menschen die Finsternis und das erschreckende Fehlen des Lichts vorgeführt werden kann. Seitdem denke ich nur mehr daran, wie dieser niederschmetternde Eindruck gemildert werden könnte .[1]

aus dem 3. Brief über die „Toten Seelen“ - 1843

Nikolai Gogol betrachtet die „Toten Seelen“ als sein literarisches Hauptwerk. Plan und Ausarbeitung beschäftigt ihn seit dem Jahr 1835 uns lassen bis seinem Tod nicht mehr los. Ganze sechs Jahre schreibt er am ersten teil, der 1842 erscheint. Ein zweiter Teil erscheint bereits seit 1840, dessen erste Fassung Gogol 1845 verbrennt. Er setzt neu an und verbrennt das fertige Manuskript einer zweiten Fassung im Februar 1852, acht Tage vor seinem Tode.

Gogol selbst hat sich zu seiner Arbeitsweise in einem Gespräch mit einem befreundeten Schriftsteller geäußert: „Zuerst soll man alles entwerfen, wie se gerade kommet, wen auch schlecht, verwässert, aber restlos alles, und dieses Heft vergessen. Dann, nach ein, zwei Monaten – das Geschriebene hervorholen und durchlesen. Sie werden dann sehen, dass manches nicht richtig ist, vieles überflüssig, und das manches fehlt“.[2]

Je weiter man der Entwicklung von Gogols Persönlichkeit und Werk zu folgen sucht, desto auffälliger tritt das Disparat und Paradoxe hervor. Eben das, was man von seinem Still gesagt hat, dass er im Grunde keine normale, neutrale Sprachebene kenne[3] - seinem Verhalten im Leben wie von der Kompositionen seiner Werke. Während sein Leben von Krise zu Krise taumelt, gewinnt sein Werk, solange die Schöpferkraft ihn nicht verlässt, jene unvergleichliche Qualität, die seinem Weltrang sichert, obgleich sie auf Eigenschaften beruht, die Verständnis und Würdigung eher erschweren: einer über geschmackliche Bedenken erhabenen Virtuosität in der Handlung der Sprache und dem übergewicht der Details über Fabel und Sujet.

Je länger man sich mit dem Roman beschäftigt, umso besser versteht man, dass es Gogol gar nicht auf Tschitschikow an­kommt. In den sechs Jahren, in denen der Dichter an dem ersten Teil der „Toten Seelen" arbeitete, erblickte er seine Aufgabe immer mehr darin, zu zeigen, „wie leer und schrecklich es in der Welt"[4] - in der russischen Welt seiner Zeit war. Tschitschikows betrügerisches Unternehmen ist Gogol nur das Mittel zum Zweck, eine Gesellschaft bloßzustellen, die solche Abenteuer überhaupt aufkommen lässt. Tschitschikow erfüllt die Bestim­mung, ein Regime zu entlarven, das jede freie Regung erstickt, das nicht Menschen, sondern nur Marionetten duldet; an ihm, der auszieht, Tote einzuhandeln, marschieren die Lebenden als die wahren Toten, als die innerlich Gestorbenen vorbei. Es ist die Zeit der Reaktion bald nach dem Krieg gegen Napoleon I. An materiellem Behagen fehlt es dieser Zeit nicht, es wird gut gegessen und getrunken, getanzt und gespielt. Russland leidet in Gogols Darstellung mehr unter Schlendrian und Routine, als unter Willkür und Verknechtung. Sogar die Leibeigenen haben noch Anteil an diesem satten Leben, scheinen nicht unzu­frieden, stecken unsentimental ihre Prügel ein und wissen sich mit Mutterwitz und Spitzbüberei gegen ihre Herren zu wehren. Aber welch geistige Stickluft in diesem Leben einer russischen Kleinstadt, welche Herzensträgheit, welche Unterwürfigkeit der kleinen und welcher Zynismus der großen Leute![5]

«При полном реализме найти в человеке человека. Это русская черта по преимуществу», - schreibt Dostojewski kurz vor Gogols Tote.[6]

1. Gogols eigene Identitätssuche

Fast alle Biographen Gogols schildern ihn als in irgendeiner, Weise gespalten. Zen'kovskij sieht eine Polarisation in Idealismus und pragmatischen Utilitarismus oder in Irrationalität und Rationalität oder in idealisierte Fiktion und Realismus.[7] Zitejskij sieht, wie später auch Gippius, einen Konflikt zwischen einer ethischen urui einer ästhetischen Weltsicht.[8] Eigil Steffensen schließlich dramatisiert Gogols Leben dahin, dass dieser seinen Mitmenschen die Wahrheit mittels Literatur zeigen möchte, immer wieder aber einsehen muss, dass die literarischen Versuche, die Wahrheit zu zeigen, notwendigerweise Illusionen sein müssen und dass sie deshalb in sich unwahr, da fiktiv sind. Bei allen diesen Forschern spielt die Polarisation auf etwas Transzendentales an, das mit der diesseitigen Alltagswelt im Konflikt steht.

In Gogols Biographie finden sich in der Tat manche Hinweise auf innere Konflikte. Er lebte recht isoliert und lange Zeit im Ausland, seine freundschaftlichen Kontakte pflegte er hauptsächlich in Brie­fen. So ist über seinen Alltag wenig bekannt. Er war sich seiner Identität unsicher und begriff sich vornehmlich als einen im Werden befindlichen Menschen. Schon während seiner Schulzeit in Nez"in wollte er der Menschheit dienen, dem Vaterland Nutzen bringen und berühmt werden.[9]

Er erregte sich schon damals über Menschen, die selbstzufrieden und ohne einen höheren Sinn zu suchen in den Tag hineinleben. Er nannte sie Suscestvovateli, also Menschen, die nur existieren.[10]

Damals überlegte er noch, ob er Jurist werden sollte, und er ging nach der Schulzeit nach Petersburg, um dort in einer Kanzlei zu arbeiten. Aus dieser Zeit stammen seine ersten literarischen Ver­suche, die zunächst ohne Erfolg blieben. Seinen ersten großen Erfolg erreichte er mit Abenden auf dem Vorwerk bei Dikan'ka. Er hatte mit diesen Erzählungen sowohl ein populäres Thema (die Ukraine, die sich sowieso großer Beliebtheit in der Literatur erfreute) als auch einen neuartig wirkenden Ton (den humorvoll­volkstümlichen) getroffen. In diesen frühen Erzählungen findet man jedoch wenig "Botschaft" an die Menschheit. Gogol' bereitete sich zu dieser Zeit auf eine Zukunft im Staatsdienst vor und sah seine Pflichten vor allem noch in diesem Bereich. Seinen Aussagen in der Beichte des Autors, et habe sich am Anfang nur möglichst lustige Geschichten ausgedacht, um selber darüber zu lachen und sich zu zerstreuen, kann man insofern sogar Glauben schenken, als er wohl wirklich mit der routinemäßigen Tätigkeit in den Petersburger Kanzleien und dem kärglichen Leben in der nördlichen Hauptstadt recht unzufrieden war und sich des Schreibens als Zeitvertreib bedient haben mag. Die Erzählungen haben ja in der Tat eine Dimension der Sehnsucht nach der Ukraine. Trotzdem finden sich schon in diesen Erzählungen Elemente von Go­gols Menschenbild und Seinsverständnis, denn in ihrer fiktiven Welt ist alles voller Schein und Illusion, und die Identität der Figu­ren wird immer wieder in Frage gestellt.

Schon nach diesem ersten Erfolg wählte Gogol' die Literatur als seinen Weg, der Menschheit Nutzen zu bringen. Er war jedoch auch sogleich mit dem erzielten Resultat unzufrieden und wollte Besseres schaffen. Diese Unzufriedenheit mit sich selbst bleibt fortan in seinen Werken und Briefen vorherrschend, wie auch immer wieder von seinen Biographen hervorgehoben wurde.[11]

2. Psychologische und sexualtheoretische Analyse

S. Karlinskij widmet sein Buch „The Sexual Labyrinth of Nikolai Gogol“ ganz der Hypothese, dass Gogol' homosexuell gewesen sei.[12]

Die meisten psychologischen Arbeiten sehen die Diskrepanzen, die sich zwischen Gogols fiktiven Welten und der Wirklichkeit ergeben, als unbewusste Störungen in seiner Wahrnehmung. Da sich ihr Interesse nicht so sehr auf die Aussageintention hinter den Texten, sondern mehr auf die biographische Person des Schriftstellers als pathologischer Fall richtet, gehen sie davon aus, dass es Gogols Intention war, unkomplizierte Beschreibungen der Realität zu produzieren, dass er jedoch durch seine eigenen Neurosen ein verzerrtes Bild dieser Realität hatte. Hierbei wird den Aussagen Gogols zur Aufgabe der Literatur keine Rechnung getragen.

[...]


[1] Гоголь в воспоминаниях современников, Москва 1952, Band VIII, S. 294

[2] Aus der Erinnerungen der russischen Dichters und Übersetzers Nikolaj Berg, in ZSIPh 14, 1937, S. 63

[3] Rolf-Dietrich Keil: Nikolai W. Gogol, Reinbek bei Hamburg 1985, S. 90

[4] Гоголь в воспоминаниях современников, Москва 1952, Band XII, S. 213

[5] Waldemar Jollos in Vorwort, in: Nikolai Gogol: Die Abenteuer Tschitschikows oder die Toten Seelen, Frankfurt am Mainz

[6] Литературное наследство, т. 83, с. 84

[7] Zen´kovsskij V.V.: Н.В. Гоголь в его религиозных гисканиях, in: Крестианская мысль, Киев 1916, Nr.3, S.13

[8] Житейский И.П.: Гоголь – проповедник и писатель, in: Журнал народного просвещения, Санкт Петербург 1909, S. 90

[9] Vgl. Briefe an seinen Onkel, P. P. Kosjanovskij, 3/10 1827, in: N. V. Gogol'. Sobr. Soc. v 8-mi tomach. Moskva 1984, Bd. 8, S. 22 ff., sowie an seine Mutter, M. I. Gogol', 1/3 1828, in: N. V. Gogol'. Sobr. Soc. v 8-mi tomach. Bd. 8, Moskva 1984, S. 24 ff

[10] Brief an Vysockij, 26/6 1827, in: N. V. Gogol'. Sobr. Soc. v 8-mi tomach. Bd. 8,Moskva 1984, S. 17

[11] Brief an Pogodin, 1/2 1833, in: Perepiska Gogolja v dvuch tomach, Moskva 1988, Bd. I, S. 342

[12] Simon Karlinsky: The Sexual Labyrinth of Nikolai Gogol, London 1976, S. 12

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Gogols Selbstidentität im Roman 'Die toten Seelen'
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
23
Katalognummer
V44824
ISBN (eBook)
9783638423441
ISBN (Buch)
9783638772846
Dateigröße
629 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gogols, Selbstidentität, Roman, Seelen
Arbeit zitieren
Olga Nikitina (Autor:in), 2004, Gogols Selbstidentität im Roman 'Die toten Seelen', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44824

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