Pierre Bourdieu. Habitus und sozialer Raum


Hausarbeit, 2003

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Habitustheorie
2.1 Der Klassenhabitus

3. Die Theorie sozialer Felder

4. Der Kapitalbegriff
4.1 Ökonomisches Kapital
4.2 Kulturelles Kapital
5.2.1 Kulturelles Kapital im objektivierten Zustand
5.2.2 Kulturelles Kapital im inkorporierten Zustand
5.2.3 Kulturelles Kapital im institutionalisierten Zustand
4.3 Soziales und symbolisches Kapital

5. Der Soziale Raum
5.1 Der Raum der sozialen Positionen
5.2 Der Raum der Lebensstile
5.2.1 Legitimer Geschmack
5.2.2 Mittlerer Geschmack
5.2.3 Populärer Geschmack

6. Schlussbemerkungen

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Soziologe und Ethnologe Pierre Bourdieu zählt zu den bedeutendsten französischen Sozialwissenschaftler des letzten Jahrhunderts. Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit seinem einflussreichsten theoretischen Werk: Der Habitustheorie sowie seinem Modell des sozialen Raumes. Allerdings werden bei dieser Ausarbeitung auch andere Entwürfe Bourdieus beschrieben, um auf die Entwicklungen innerhalb seiner Arbeiten aufmerksam zu machen, die gerade bei Bourdieu von Interesse sind. Als Ethnologe basieren nämlich seine Modelle in der Regel auf dem Prinzip der teilnehmenden Beobachtung und sind deshalb ständigem Wandel ausgesetzt. Und diese Änderungen der gegebenen Untersuchungssituation führen auch zwangsläufig zu Modifizierungen der Untersuchungserkenntnisse. Deshalb haben die Theorien Bourdieus in der Regel den gleichen Hintergrund (Habitus) und bauen zumindest ansatzweise aufeinander auf.

Bourdieus Arbeiten haben zu großen Kontroversen geführt. So stößt die Habitustheorie beispielsweise auf großen Widerstand bei Positivisten, die auf die uneingeschränkte Freiheit des menschlichen Handelns bestehen und deshalb mit Bourdieus zweifelsohne desillusionierenden Theorien wenig anfangen können. Auch Bourdieus Untersuchungsgebiete bei seinen Ausarbeitungen zum Modell des sozialen Raumes sind unkonventionell. So untersucht er das für wissenschaftliche Ausarbeitungen untypische Feld der Geschmäcker und leitet aus seinen Forschungsergebnissen einen gesamtgesellschaftlichen Theorieansatz ab.

Zuerst wird in dieser Hausarbeit allerdings auf Bourdieus Habitustheorie eingegangen. Diese dient als Basis für die weiteren Ausführungen.

2. Die Habitustheorie

Die Habitustheorie ist Bourdieus wichtigstes theoretisches Konzept. Sie bildet die Basis beinahe aller Forschungs- und Untersuchungsansätze Bourdieus.

In der Alltagssprache definiert sich der Habitus als das Aussehen, Erscheinungsbild und Auftreten eines Menschen. Auch Bourdieu schließt bei seinem Habituskonzept diese Merkmale der äußeren, wahrnehmbaren Erkennung eines Menschen mit ein. Er versteht den Habitus als ein inkorporiertes – einverleibtes – „System von Anlagen zu einem bestimmten Verhalten“[1] (Dispositionen) und der „unbewussten Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata“.[2]

Der Habitus wird von Bourdieu somit als eine Art inne wohnender Regisseur angesehen, der die Rezeption und Verarbeitung von Informationen steuert und somit Einfluss auf die Aktionen des Individuums hat. Der Regisseur arbeitet allerdings im Verborgenen. Das Individuum nimmt ihn nicht wahr. Es glaubt, in seinem Handeln völlig selbstbestimmt agieren zu können und ist sich der habituellen Dispositionen nicht bewusst. „Ihre „Genese – ihre Geschichte – wurde vergessen“[3].

Dabei kann sich niemand den steuernden Automatismen des Habitus entziehen, da sich der Habitus bei jedem Menschen im Laufe der familiären Sozialisation bildet. Er wird allen Individuen somit quasi in die Kindesschuhe gelegt – das soziale Umfeld, insbesondere die Eltern, beginnen, die habituellen Imperative schon vor der Geburt, im Leib der Mutter, zu prägen. Allerdings bedeutet das nicht, dass der Habitus unveränderbar ist. Er wandelt sich vielmehr im Laufe des Lebens – neue Erlebnisse prägen auch die Habitusstruktur. Somit ist der Habitus in hohem Maße abhängig von dem Lebenslauf und dem Werdegang eines Menschen – er spiegelt das Erfahrene. Allerdings muss man betonen, dass alle Erfahrungen - gleich dem Aufbau eines Familienstammbaumes - auf die frühen elterlichen Prägungen zurückzuführen sind. Alles baut also auf der Basis der frühen familiären Sozialisation auf.

Weil der Habitus auf der Grundlage aller Erfahrungen entstanden ist, ist er sehr stabil. Kurzfristige Erschütterungen der Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster vermögen die einverleibten Strukturen nicht grundlegend zu ändern. Zwar kann es sein, dass Modifikations-Tendenzen auftreten, diese beeinflussen die Grundschemata meist jedoch nur wenig.

Der Habitus und die wahrgenommene Wirklichkeit stehen in einem speziellen Verhältnis zueinander. Wie bereits vorher angesprochen entsteht der Habitus aus der Praxis heraus – er wird im Laufe der familiären Sozialisation durch andere Akteure gebildet. Doch auch die Praxis selbst ist abhängig von den Habitusstrukturen, welche ihren handelnden Akteuren inne wohnen. Denn diese halten die Strukturen der sozialen Wirklichkeit aufrecht. Ohne die Weitergabe der Habitusformen an nachfolgende Generationen würde es keine dauerhaften Strukturen innerhalb der Praxis geben. Der Habitus stabilisiert – er reproduzier t – die soziale Wirklichkeit und verleiht ihr ihre bestimmte Struktur.

Habitus und Praxis sind also eng miteinander verflochten – sie bedingen sich gegenseitig. Habitusformen sind somit „strukturierte Strukturen, die geeignet sind, als strukturierende Strukturen zu wirken.“[4]

2.1 Der Klassenhabitus

Die Habitustheorie ist laut Bourdieu kein rein individuelles Konzept. Es ist nicht nur auf einzelne Akteure anzuwenden, sondern besonders auf Gruppen. Jeder gesellschaftlichen Klasse schreibt Bourdieu gemeinsame habituelle Dispositionen zu. Besonders auf sozialen Feldern (siehe Abschnitt 4.) und im sozialen Raum (Abschnitt 6) gelangt dieser Klassenhabitus zu seiner Entfaltung. Ohne ein kollektives ‚Leitmotiv’ – eine gemeinsame Ideologie - würde es gesellschaftliche Gruppierungen in ihrer bestehenden Form nicht geben. Denn erst durch Wesenseigenschaften, die mehr oder weniger allen Individuen innerhalb der Klasse zuzuschreiben sind, grenzt sich eine Klasse von einer anderen ab. Der Klassenhabitus charakterisiert und definiert die Schauplätze sozialer Interaktion.

3. Die Theorie sozialer Felder

Eine Praxisform, in denen die Habitusformen zur Anwendung kommen, sind die ‚sozialen Felder’. Unter diesen versteht Bourdieu „objektive, d.h. vom Willen und Bewusstsein der Akteure (relativ) unabhängige Strukturen [...].“[5] Die sozialen Felder sind autonom. Sie grenzen sich aufgrund ihrer eigenen ganz bestimmten Struktur von anderen sozialen Feldern ab. Innerhalb der sozialen Felder müssen sich die Akteure an ganz bestimmten Imperativen orientieren. Ähnlich wie bei einem sportlichen Wettkampf werden alle ‚Spieler’ aus einem sozialen Raum ausgeschlossen, die sich nicht an die statischen, konstitutiven Regeln halten. Allerdings sind die Regeln nur in Ausnahmefällen explizit festgehalten. Sie existieren nur als imaginäre ‚Richtschnur’, als vorgegebener Rahmen, aus dem in der Regel kein Akteur in dem sozialen Raum ausbricht.

Trotz der durch den sozialen Raum herrschenden externen Zwänge sind die einzelnen Akteure bis zu einem gewissen Grade in ihrem Handeln selbstbestimmt.

Denn die einzelnen Handlungen sind durch die konstitutiven Regeln innerhalb der Felder nicht festgelegt. Nur der Rahmen für das Handeln wird durch die soziale

Praxis gegeben. „Nicht die Praktiken an sich, sondern der Spielraum dessen, was an Praxis möglich ist, wird durch den Habitus festgelegt.“[6] Die inhaltliche Gestaltung, die einzelnen ‚Spielzüge’, liegen also noch immer in den Händen der Akteure. Dabei muss man allerdings relativierend festhalten, dass die Autonomie des Individuums auch immer von seinen habituellen Dispositionen abhängig ist (siehe Habitustheorie). Neben den äußeren Zwängen, die den Rahmen der Handlungen bestimmen, beschneiden also auch inkorporierte Zwänge, die die Handlungen an sich beeinflussen, den Akteur in seiner Freiheit.

Ein soziales Feld wandelt sich ständig. Die Hierarchiestrukturen sind in einem Feld dynamisch. Es finden ständig ‚Kämpfe’ statt, die zu Verschiebungen der Machtverhältnisse führen. Dabei sind unterschiedliche Interessenslagen anzufinden. Die Etablierten in einem Feld versuchen, ihre Machtpositionen aufrecht zu erhalten. Die Ambitionierten streben einen Wandel der Machtstrukturen an – sie möchten eine höhere Position in der hierarchischen Leiter einnehmen. Die „agonistische Grundausrichtung des Bourdieuschen Ansatzes“[7] wird somit deutlich. Die Akteure innerhalb eines Feldes verfolgen also verschiedene Strategien, die aus unterschiedlichen Interessenslagen resultieren. Die Etablierten verfolgen eine „Erhaltungsstrategie“, die Ambitionierten eine „Strategie der Häresie“ – des Umsturzes.[8]

Trotz dieser offenkundigen Analogien zu einem kriegerischen Kampffeld besteht innerhalb eines Feldes aber auch ein (jederzeit kündbarer) Konsens. Die habituellen Dispositionen gleichen sich in der Regel innerhalb eines Praxisfeldes oder es sind zumindest bestimmte gemeinsame Grundtendenzen erkennbar. Dadurch grenzen sie sich von anderen sozialen Feldern ab.

4. Der Kapitalbegriff

In einem sozialen Raum entscheiden bestimmte individuelle Merkmale und Fähigkeiten über den Rang eines Akteurs innerhalb der Hierarchie. Bourdieu beschreibt diese als ‚Kapital’. „Gleich Trümpfen in einem Kartenspiel determiniert eine bestimmte Kapitalsorte die Profitchancen im entsprechenden Feld.“[9] Die Verfügung über Kapital entscheidet also über Auf- oder Abstiege eines Individuums innerhalb eines sozialen Feldes.

Dabei betrachtet Bourdieu das Kapital nicht nur in seinem herkömmlichen (ökonomischen) Sinne, sondern unterscheidet auch noch eine kulturelle und eine soziale Sphäre.

[...]


[1] Treibel: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart: S.210

[2] Mikl-Horke: Soziologie: S.312

[3] Schwingel: Bourdieu zur Einführung: S.55

[4] Treibel: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart: S.211; aus: Bourdieu, 1979:164f.

[5] Schwingel: Bourdieu zur Einführung: S. 77

[6] Schwingel: Bourdieu zur Einführung: S.65

[7] Schwingel: Bourdieu zur Einführung: S.92f.

[8] vgl. Schwingel: Bourdieu zur Einführung: S. 93

[9] Schwingel: Bourdieu zur Einführung: S.81

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Pierre Bourdieu. Habitus und sozialer Raum
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Soziologie)
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
18
Katalognummer
V44696
ISBN (eBook)
9783638422444
Dateigröße
495 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pierre, Bourdieu, Habitus, Raum
Arbeit zitieren
Meiko Merda (Autor:in), 2003, Pierre Bourdieu. Habitus und sozialer Raum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44696

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