Marx und die Sozialphilosophie


Hausarbeit, 2017

17 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Abgrenzung vom Idealismus

3. Aus Metaphysik wird eine soziale Anthropologie

4. Die verknüpfte Zusammenschau der Teile

5. Kritik an den nachmarx’schen Theoretisierungen

6. Die Vergeistigung von Marx bei Lukάcs

7. Der schwindende Marxismus in der Kritischen Theorie

8. Schlussgedanken

Literaturverzeichnis:

1. Einleitung

Marx und Engels schreiben „Die deutsche Ideologie“ in den Jahren 1845 und 1846.

In kritischer Auseinandersetzung mit damaligen zeitgenössischen Philosophen, allen voran Feuerbach, B. Bauer und Max Stirner, entwickeln sie eine kritisch philosophische Betrachtungsweise, die im Kern bereits den historischen Materialismus in sich trägt. Dabei beleuchten sie, welche Verhältnisse innerhalb der geschichtlichen Entwicklung die geistigen Produktionen der Menschen mit der Gesellschaft eingehen. Die Analyse dieser beiden Theoretiker ist eine Analyse mit nicht nur philosophischen, sondern auch anthropologischen, geschichtlichen, soziologischen und ökonomischen Elementen. Dadurch, dass Marx und Engels nie nur um der weltanschaulichen Betrachtung willen philosophiert hatten, sondern damit immer auch einen politischen Zweck verfolgten, sind die Urteile von Marx und Engels fortwährend auf eine gesellschaftliche Praxis bezogen. Das Hauptaugenmerk liegt daher nicht, auf den innertheoretischen Philosophie-Problemen, die durch die abstrakte Betrachtung der Welt und ihre Erscheinungen entsteht, sondern vielmehr auf die lebensweltlichen Gesellschaftsprobleme, die sich im Verlaufe der historischen Entwicklung zeigen. Marx und Engels nutzten die Philosophie als eine Art Instrument, um die wirklichen Verhältnisse und Bindungen innerhalb der sozialen Welt zu analysiert, zu beurteilen und in Sprache zu bringen. Von daher ist der historische Materialismus, den Marx und Engels entwickelt haben, eine genuin auf Praxis bezogene Philosophie, die den sozialen Prozess der Gesellschaft in das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit stellt. Die Methode ist Kritik, der Zweck ist die Wandlung. Von daher erörtern die beiden Freunde die gesellschaftliche Konstitution anhand von anthropologischen und sozial-ökonomischen Annahmen und Urteilen. In meiner Hausarbeit versuche ich darzustellen, von welchen Annahmen Marx und Engels in der „Deutschen Ideologie“ ausgehen und was das konkret für eine positive Sozial-Philosophie bedeutet. Denn mehr noch als bei den vorhergehenden Philosophen, die exemplarisch im Deutschen Idealismus mehr Subjekt-Philosophien erzeugt haben, steht bei Marx und Engels die gesellschaftliche Gesamt-Konstitution im Mittelpunkt der philosophischen Tätigkeit. Es ist eine Erweiterung der Betrachtungsweise über die Ich-Grenzen hinaus, auf die objektiven Bewegungsgesetze der historischen Menschheitsentwicklung. Um den Wert der Analyse zu fassen, will ich einige gewichtige Aussagen der Beiden eingehend analysieren, damit die Bedeutung der Annahmen für die moderne Sozial-Philosophie ersichtlich wird. Denn wenn wir Christoph Henning zustimmen wollen, ist die ganze Nach-Marx’sche und marxistische Rezeptionsgeschichte gekennzeichnet durch einen substantiellen Gegenstandsverlust innerhalb der theoretischen Betrachtungsweise, nämlich der Verlust von einem adäquaten Gesellschaftsbegriff. Dabei werde ist exemplarisch auf einige Aussagen von Henning eingehen, die beanspruchen, diesen theoretischen Gegenstandsverlust dingfest zu machen. Abschließend will ich den positiven Wert der marxschen Analyse sinngemäß unterstreichen, damit die internationale Sozial-Philosophie wieder zu ihren substanziellen Gegenstand zurückfinden kann. Denn nicht die Feststellung einer Abwesenheit eines adäquaten Gesellschaftsbegriffs ist das Ziel meiner Arbeit, sondern die Rückerinnerung und Bekräftigung sozialphilosophischer Annahmen, die den Korpus der gesellschaftlichen Verfasstheit wirklichkeitsgerecht beschreiben.

2. Abgrenzung vom Idealismus

„Hegel hatte den positiven Idealismus vollendet. Nicht nur hatte sich ihm d[ie] ganze materielle Welt in eine Gedankenwelt u[nd] d[ie] ganze Geschichte in eine Geschichte von Gedanken verwandelt.“[1]

„Die deutschen philosophischen Kritiker behaupten sämtlich, dass Ideen, Vorstellungen, Begriffe bisher d[ie] wirklichen Menschen beherrscht u[nd] bestimmt haben, dass die wirkliche Welt ein Produkt der ideellen Welt ist. Das findet bis auf diesen Augenblick statt, das soll aber anders werden.“[2]

Zum Anfang des Feuerbach-Kapitels in der Deutschen Ideologie stellen Marx und Engels fest, dass das hegelische System in einen Umwandlungsprozess geraten sei:

„Es handelt sich allerdings um ein interessantes Ereignis: um den Verfaulungsprozess des absoluten Geistes.“[3]

Hier werden bereits die Weichen gestellt für eine materielle Geschichtsauffassung, die bei Marx und Engels später im historischen Materialismus seinen Namen findet. Die Ideen, Begriffe und Vorstellungen innerhalb der philosophischen und religiösen Anschauungen sind mit Marx und Engels gedacht keine vormenschlichen oder übernatürlichen Ideen, Begriffe und Vorstellungen, sondern die Menschen selbst sind stets die Produzenten ihrer eigenen Ideen, Begriffe und Vorstellungen. „Die Produktion der Ideen, Vorstellungen, des Bewusstseins ist zunächst unmittelbar verflochten in die materielle Tätigkeit und den materiellen Verkehr der Menschen, Sprache des wirklichen Lebens. Das Vorstellen, Denken, der geistige Verkehr der Menschen erscheinen hier noch als direkter Ausfluß ihres materiellen Verhaltens. … Die Menschen sind die Produzenten ihrer Vorstellungen, Ideen pp… Das Bewusstsein kann nie etwas anderes sein als das bewusste Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozess.“[4]

Die geistigen Erzeugnisse sind keine Hervorbringungen eines göttlichen Wesens oder Ausdruck von übersinnlichen Kräften, sondern vielmehr Sublimierungen von menschlichen Wesenskräften. Hier finden wir ein Indiz für die Areligiösität der beiden Verfasser. Sämtliche metaphysischen oder religiös-philosophischen Annahmen wollen Marx und Engels hinterfragen und auf die Basis menschlicher Schöpferkraft stellen. „Wie die Individuen ihr Leben äußern, so sind sie. Was sie sind, fällt also zusammen mit ihrer Produktion, sowohl damit, was sie produzieren, als auch damit, wie sie produzieren.“[5]

Hier wird eine Wesensbestimmung des Menschen gegeben, die die Produktion, also das produktive und tätige Handeln in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Es wird zu einem anthropologischen Wesensmerkmal der Menschen, dass sie genuin schaffende und hervorbringende Lebenswesen seien. Dabei spielen lebenspraktische Produktionen, wie die Produktion von Nahrung, Kleidung und Wohnungen genauso eine Rolle, wie die Produktion von Kunst, Moral, Weltanschauungen und philosophischen Systemen, also geistige Produktionen. Die Menschen sind wesentlich produktive Lebewesen und ihr Lebenssinn liegt im produktiv tätigen Handeln, sowohl in praktischer als auch in geistiger Hinsicht. Im Gegensatz zum Deutschen Idealismus, welcher die religiöse Essenz in philosophische Begriffe umformulierte, verabschieden sich Marx und Engels von sämtlichen Mystifikationen des Deutschen Idealismus und zeichnen den Menschen mit einer substantiellen Schöpferkraft aus. Der Mensch ist selbst mit einer Produktivkraft ausgestattet, wodurch erst sämtliche religiösen Anschauungen und philosophischen Betrachtungsweisen resultieren. So befreit von dem religiösen Ballast, haben Marx und Engels einen offenen Blick für die historischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge entwickeln können.

3. Aus Metaphysik wird eine soziale Anthropologie

„Die erste Voraussetzung aller Menschengeschichte ist natürlich die Existenz lebendiger menschlicher Individuen. Der erste zu konstatierende Tatbestand ist also die körperliche Organisation dieser Individuen und ihr dadurch gegebenes Verhältnis zur übrigen Natur.

* Der erste geschichtliche Akt dieser Individuen, wodurch sie sich von den Tieren unterscheiden, ist nicht, dass sie denken, sondern, dass sie anfangen, ihre Lebensmittel selbst zu produzieren.“[6]

Nicht die Frage, wer hat den Menschen erschaffen, beschäftigt die beiden Philosophen, sondern eher die Frage, was haben die Menschen erschaffen? Nicht die Frage: woher kommen die Menschen? Ist von entscheidender Relevanz, sondern viel mehr die Frage: was tun die Menschen, welche Verhältnisse gehen sie ein und wohin geht die Entwicklung? Keine Letztbegründungen vom universellen Lebensgrund ist das zentrale Thema von Marx und Engels, sondern die historisch materialistische Lehre der Menschen als produktive Lebensgemeinschaft. Und die organisierte Produktivität der Menschen in bestimmten sozialen Verhältnissen ist stets verbunden mit der Ökonomie. Von daher können wir sagen, dass anstatt von metaphysischen Urteilen und Betrachtungen, die anthropologische und soziologische Perspektive bevorzugt wird. Später in seinem Leben wird Marx sich auch voll und ganz auf die ökonomischen Bewegungsgesetze der Gesellschaft konzentrieren. Diese Beschäftigung ist eine Fokussierung auf die menschlich bedingte und gesellschaftlich organisierte Produktivität durch die Menschen für die Menschen. Es wird keine Morallehre oder Ethik mit metaphysischen Elementen entwickelt, sondern eine konkrete Analyse von den geschichtlich bedingten Produktivkräften gegeben mitsamt den daraus resultierenden Produktionsverhältnissen. „Die Tatsache ist also die: bestimmte Individuen, die auf bestimmte Weise produktiv sind, gehen diese bestimmten gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse ein.“[7]

„…; es wird von den wirklich tätigen Menschen ausgegangen und aus ihrem wirklichen Lebensprozess auch die Entwicklung der ideologischen Reflexe und Echos dieses Lebensprozesses dargestellt. Auch die Nebelbildungen im Gehirn der Menschen sind notwendige Sublimate ihres materiellen, empirisch konstatierbaren und an materielle Voraussetzungen geknüpften Lebensprozesses.“[8]

Anders als im Deutschen Idealismus reflektieren Marx und Engels nicht vom Ich-Subjekt mitsamt seinen substantiellen und akzidentiellen Eigenschaften. Sondern entwickeln sie eine Sprache, die stets das Gattungswesen Mensch ins Zentrum der Betrachtung stellt. Durch die Annahme, dass der Einzelne nur in der Gemeinschaft zum vollwertigen Menschen wird, wird die idealistische Subjektphilosophie umgewandelt in eine anthropologische Soziologie. Nicht mehr das Ich-Bewusstsein in seinen konkreten Manifestationen ist Dreh- und Angelpunkt der philosophischen Anschauung, sondern die menschliche Handlungs- und Produktivkraft in stets sozialen Verhältnissen ist das Forscherinteresse von Marx und Engels. Dadurch wird der Blick gewendet vom Ich hin zum historisch gewachsenen Wir. Welches sich wieder spaltet in die Besitzenden und Nicht-Besitzenden, in die Kapitaleigner und Arbeitskraft-Verkäufer, in die Ausbeuter und Ausgebeuteten. Dieser Antagonismus durchzieht die ganze menschliche Entwicklung und wird von Marx und Engels als Klassenkampf bezeichnet.

Doch allen ist Ihnen gemein, dass sie essen, trinken, sich kleiden usw. sich also mit dem Notwendigsten versorgen müssen. Und das ist eine Produktionsleistung der Menschen selbst. Nicht die Götter geben den Menschen zu essen, sondern die Menschen selbst produzieren ihre Nahrungsmittel, um ihre natürlichen Bedürfnisse zu besänftigen. „Die erste geschichtliche Tat ist also die Erzeugung der Mittel zur Befriedigung dieser Bedürfnisse, die Produktion des materiellen Lebens selbst, und zwar ist dies eine geschichtliche Tat, eine Grundbedingung aller Geschichte, die noch heute, wie vor Jahrtausenden, täglich und stündlich erfüllt werden muss, um die Menschen nur am Leben zu erhalten.“[9]

Mit dieser Produktion für das menschliche Zusammenleben der Menschen beginnt die geschichtliche Entwicklung der Menschen. Die Geschichte selbst kann unterschiedlich geartet sein, ist von Kultur von Kultur verschieden und hat mehrere Ausdrucksformen in je unterschiedlichen weltlichen Regionen. Was den unterschiedlichen kulturellen und geschichtlichen Entwicklungen der Zivilisationen jedoch gemeinsam ist, ist die Produktion von Lebensgütern, die Tag für Tag die Existenz der Menschen sichert. Von daher wird von Marx und Engels die Produktion und Reproduktion von Lebensgütern als die elementare Tätigkeit der Menschen angesehen. Die Produktion ist gleichsam die Basis aus der sämtliche Epiphänomene, wie Moral, Kunst, Politik und Philosophie, resultieren. Die materiellen Vorraussetzungen für die Existenz von geistigen Produktionen liegen überhaupt erst in dem produktiven Umgang der Menschen mit der Welt. Erst die aktive Umgestaltung von Naturstoffen sichert das materielle Überleben der Menschen und ist die Grundbedingung für die Ausarbeitung von gedanklichen Konstrukten, Systemen und Kreationen. Denn:

„Nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, sondern dass Leben bestimmt das Bewusstsein.“[10] so urteilen Marx und Engels. So wird die idealistische Annahme, dass alles Tätigsein der Menschen, die geformten Naturstoffe und die gegebene wirkliche Realität aus dem Geiste entspringe, kritisch überprüft und mit der wirklichen geschichtlichen Entwicklung verglichen. Heraus kommt, wenn wir die geschichtliche Entwicklung materialistisch deuten, dass das Leben selbst, also alle Lebensformen, die dem Lebendigsein zugeordnet werden, weitaus länger existiert als das geistige Bewusstsein darüber, dass überhaupt etwas als lebendige Einheit lebt. Das Leben selbst ist fundamentaler und substanzieller als die bewusste Erkenntnis darüber, dass wir als Lebewesen existieren. So können wir sagen, dass das Bewusstsein gleichsam ein Epiphänomen des Lebens ist und das Leben nicht aus dem Bewusstsein resultiert. Die materielle Tätigkeit ist überhaupt erst die Bedingung für ein Leben mit Bewusstsein und erst durch die produktive Tätigkeit kann sich das Bewusstsein geistig manifestieren. „Da wo die Spekulation aufhört, beim wirklichen Leben, beginnt also die wirkliche, positive Wissenschaft, die Darstellung der praktischen Betätigung, des praktischen Entwicklungsprozesses der Menschen.“[11]

4. Die verknüpfte Zusammenschau der Teile

Die oben genannte Betrachtungsweise mündet bei den Beiden in den historischen Materialismus. Mit dem Anspruch positive Wissenschaft zu betreiben, analysieren Marx und Engels die menschliche Geschichte, in ihren je verschiedenen Stadien bis hin zur kapitalistischen Gesellschaft. Dabei betrachten sie das Gegebene stets als etwas Gewordenes und versuchen keine Momentaufnahmen eines bestimmten gesellschaftlichen Zustandes darzustellen, sondern die Gesellschaft in ihrer spezifischen historischen Dynamik denkend zu erfassen. Von daher ist das philosophische Denken der Beiden kein punktuelles, geschichtlich isoliertes Denken, sondern es ist genuin ein historisch geschultes Prozessdenken. Die zivilisatorischen, ökonomischen und sozialen Prozesse in ihrer fortlaufenden Geschichtlichkeit werden bei Marx und Engels in ihrer Theorie als solche erkannt und stets in ihrer produktiven Dynamik begriffen. Das an Hegel geschulte Prozessdenken begreift somit nicht nur an sich seiende Themen, sondern vielmehr miteinander verknüpfte Thematiken. Eine der wesentlichen Erkenntnisse der Beiden ist es also, dass die menschlich bedingte Produktion von Lebensgütern eine maßgebliche Einflussgröße für die gesellschaftliche Konstitution darstellt und wer somit die Gesellschaft wirklich verstehen will, diese nie ohne die Entwicklung der Produktionszusammenhänge betrachten darf. Marx und Engels sagen darüber: „Hieraus geht hervor, dass eine bestimmte Produktionsweise oder industrielle Stufe stets mit einer bestimmten Weise des Zusammenwirkens oder gesellschaftlichen Stufe vereinigt ist, und diese Weise des Zusammenwirkens ist selbst eine „Produktivkraft“, dass die Menge der den Menschen zugänglichen Produktivkräfte den gesellschaftlichen Zustand bedingt und also die „Geschichte der Menschheit“ stets im Zusammenhange mit der Geschichte der Industrie und des Austausches studiert und bearbeitet werden muss.“[12]

Aus dieser Einsicht können wir entnehmen, dass sämtliches philosopisch-soziologisches Denken, welches die gesellschaftlichen Zusammenhänge begreifen will, stets im Umgang mit ökonomischen Begriffskategorien geschult sein muss, damit ein adäquates Gesamt-Bild in der Gesellschaftstheorie entstehen kann. Denn ökonomische Zusammenhänge strukturieren die Gesamt-Konstitution der gesellschaftlichen Dynamik und beeinflussen ebenso das individuelle und kollektive Bewusstsein in ihren je verschieden Gestaltungen und Expressionen. Ohne die kritische Betrachtung der Produktionssphäre können wir keine zusammenhängenden Urteile über den wirklichen Aufbau der Gesellschaft tätigen. Denn jedes Gesellschaftsdenken, jedes soziologische Reflektieren auf die gesellschaftlichen Strukturen ist unumgänglich mit der Produktionsdynamik verschränkt, denn die Produktion von Lebensgütern sichert gleichsam das materielle Überleben des Individuums wie auch der Gesellschaft. Wenn diese Verschränkung von Soziologie und Ökonomie in einer Theorie nicht abgebildet werden kann, dann entstehen diesbezüglich nur lückenhafte Wirklichkeitsbilder über den tatsächlichen Aufbau der Gesellschaft. Diese lückenhaften Wirklichkeitsbilder in den nachmarx’schen Soziologien, bzw. im Marxismus selbst, versucht der Marxismuskritiker Christoph Hennig zu thematisieren.

5. Kritik an den nachmarx’schen Theoretisierungen

„Denn derzeit gibt es trotz vieler Ansätze keine umfassende Theorie der gesellschaftlichen „Basis“.“[13] (s.20) Dieses prägnante Urteil von Christoph Henning können wir als eine theoretische Diagnose über den gegenwärtigen Zustand der Sozial-Theorien begreifen.

Als gesellschaftliche Basis können wir die gesamte Sphäre der Produktion fassen, da sie gleichsam die basalen und materiellen Grundbedürfnisse der Menschen zu befriedigen versucht und die Vorraussetzung bildet, damit sich der geistige Überbau (Kunst, Moral, Religion, Recht, Politik, Philosophie usw.) auf Grundlage dessen entfalten kann. Um zum elementaren Wesen der Gesellschaft vorzudringen, hat sich Marx zunehmend in seinem Leben mit den ökonomischen Zusammenhängen der Gesellschaft beschäftigt, da ihn seine Analysen dazu brachten, dass die wesentliche Veränderung gesellschaftlicher Strukturen nicht in den geistigen Produktionen liegt, nicht in Religionen, Kunst oder Philosophien, sondern ist das Kraftzentrum jeder gesellschaftlichen Umwälzung in der materiellen Produktionssphäre gleichsam wie verankert. Eine weiterführende Analyse der produktiven Basis der Gesellschaft nach Marx, ist laut Hennig, mehr und mehr mit idealistischen oder ethischen Theoretisierungen vermengt worden.[14]

Henning schreibt: „Die Entwicklungslinie zeigt, dass Marx ein heimliches Zentrum der Sozialphilosophie war. Die Funktion einer Marxwiderlegung oder –vermeidung war nicht immer, aber erstaunlich oft ein unausgesprochener Kern deutschen Denkens. Das hat den theoretischen Marxismus zuletzt implodieren lassen, da er zu viele Vergeistigungen mitvollzog. Es kam zu einem regelrechten eleminativen Idealismus, zu einem Verlust des Gegenstandes „Gesellschaft“ und seine Spezifizierung als „Kapitalismus“ ausgerechnet aus dem Blickfeld der Sozialwissenschaft. Der zeitweiligen Erfolgsgeschichte des Marxismus als politischer Bewegung korreliert so eine „Verfallsgeschichte“ der marxistischen und auf Marx reagierenden Theorien.“[15] Nicht, dass die philosophischen, soziologischen und politischen Theoretiker nach Marx keine klugen Gedanken hatten, doch haben sie die Analyse der basalen Produktionszusammenhänge mitsamt den gesellschaftlichen Auswirkungen zunehmend aus den Augen gelassen. Anstelle von philosophisch-ökonomischen Analysen traten ethische Regulierungsversuche mit normativem Anspruch.[16] Anstelle von wesentlichen Einsichten in die materialistische Wirkungsweise des Wirtschaftssystems traten idealisierte Vorstellungen über den Aufbau der Gesellschaft. Die ökonomische Theorie von Marx, die im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung stets einer zeitgemäßen Aktualisierung bedarf, wurde zunehmend angereichert mit idealistischem und ethischem Gedankengut. Dadurch hat die Theorie von Marx aber keine wirklichkeitskorrelierende Weiterentwicklung erfahren, sondern eine nicht-ökonomische Verzerrung erlitten. Aus dieser Entökonomisierung geschah eine Re-ideologisierung, gerade bei den Theoretikern, die den kommunistischen Aufbau der Gesellschaft in der Praxis versucht hatten.[17] Lenin zum Beispiel hatte die marx’sche Theorie in eine politische Theorie umgeformt und so versucht, Praxis zu gestalten. Ohne wesentliche ökonomische Grundeinsichten in die Funktionsweise der Gesellschaft weiterzuentwickeln, verfiel Lenin in eine „voluntaristische Auslegung des Marxismus“.[18]

Hier ist aber nicht der Ort sich mit dem Scheitern des Sozialismus in der Sowjetunion zu beschäftigen. Ich will vielmehr mein Blick wenden auf die nachmarx’schen Sozialphilosophien.

6. Die Vergeistigung von Marx bei Lukάcs

Anfangen will ich bei Georg Lukάcs, der als einer der Gründerväter für den westlichen Marxismus gilt. Lukάcs’ Denken wird theoretisch dem philosophischen Marxismus zugeordnet.[19] Sein Intellektualisieren der marx’schen Theoreme wird von Henning zwar wertgeschätzt[20], er kritisiert aber gleichzeitig die entökonomisierte Vergeistigung der marxschen Theorie.[21] Henning schreibt: „Der Gegenstandsverlust und der Abschied von Marx im Herzen des Marxismus,…, werden von Lukάcs verfestigt. Er reduziert Theorie auf philosophische Theorie, will diese als ein System konstruieren, …, und muss sie dann auf eine utopisch-mystische „Praxis“ gründen. Auf diese Weise hat er Marx’ ökonomische Theorie verabschiedet, die Philosophie idealisiert, und die Sicht auf die reale Praxis mit spekulativem Ballast überladen und damit gerade verstellt.“[22] Diese kritischen Anschuldigungen sind bedingt durch die geistige Nähe zu idealistischen, und somit bürgerlich-philosophischen Gedankengängen. Nicht, dass Lukάcs sich bewusst von der politischen Ökonomie von Marx verabschiedet, sondern moniert Henning, dass er durch die philosophische Betrachtungsweise den Marxismus in seinem Kern nicht weiter voran führt, sondern sich von den sozio-ökonomischen Grundeinsichten der marx’schen Analyse entfernt. Die Vermengung mit idealistischen Elementen im Denken von Lukάcs verstellt somit den Blick auf eine adäquate Gesellschaftsdynamik, die bedingt ist durch ökonomische Grundstrukturen. „ Auch als Marxist bleibt Lukάcs dem idealistischen Systemdenken verhaftet“[23] so schreibt Henning. „Lukάcs hat die Gegenstände der Marx’schen Theorie zu „geistigen“ gemacht („die Macht einer jeden Gesellschaft [ist] im Wesen doch eine geistige Macht“.[24] Diese Akzentverschiebung, die bei Lukάcs geschehen ist, also die Verschiebung von einer ökonomisch-gesellschaftlichen Analyse hin zu einer genuin vergeistigten Gesellschaftsbetrachtung, ist der Hauptkritikpunkt, den Henning Lukάcs zur Last legt. Die Nicht-Betrachtung der basalen Gesellschaftszusammenhänge mit ihren ökonomischen Produktionsverhältnissen sorgt für eine vergeistigte Sozialphilosophie mit entökonomisierten Inhalt. Zwar habe er selbst, Lukάcs, sich als gelungen gezeigt, die marxistische Dialektik auf konkrete philosophische Problemstellungen anzuwenden, jedoch sei dies lediglich eine „Dialektik des Überbaus“ (Benjamin), die Henning als bereits entfernt von Marx kritisiert.[25] Als philosophischer Gesellschaftstheoretiker habe das Denken von Lukάcs allerdings nicht nur einen theoretischen Eigenwert, sondern habe er in der Philosophiegeschichte auch maßgeblich die Sozialtheoretiker der Kritischen Theorie beeinflusst. Wie sich die philosophische Betrachtung des Marxismus weiter fortentwickelt hat, will ich nun mit einigen Anmerkungen zu Horkheimer und Adorno illustrieren.

7. Der schwindende Marxismus in der Kritischen Theorie

Henning konstatiert zu dem Amtseintritt Horkheimers in das Institut für Sozialforschung 1930 : „… nicht mehr die empirische Erforschung der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit aus marxistischer Perspektive, sondern die Schaffung einer allgemeinen Theorie der Gesellschaft durch interdisziplinäre Arbeit verschiedenster sozialwissenschaftlicher Disziplinen unter philosophischer Durchleuchtung und Führung war nun angestrebt.“[26] Hier repetiert Henning die gleiche Kritik, die er ähnlich bereits an Lukάcs entfaltete. Die „weitere Philosophierung der Marx’schen Theorie“ sieht Henning als durchaus problematisch an.[27] Nicht, dass Marx nicht philosophisch zu deuten sei, doch dass Hauptgewicht der marx’schen Theorie läge in der politischen Ökonomie. Und diese findet in der Kritischen Theorie zu wenig Anklang. Henning bezeichnet die Kritische Theorie sogar als eine „plakativ marxistische Kulturtheorie“[28], die zunehmend zu einer bloßen „philosophischen Kulturkritik“ verkomme.[29] Dieser negativen Kritik liegt die Überzeugung zugrunde, dass die Philosophie nicht als eine Art Selbstzweck zu betrachten sei, in der die Philosophie lediglich als betrachtende Theoretisierung wirklicher Phänomene oder Probleme fungiere, sondern als eine Art kritisches Instrument, als methodisches Werkzeug zu fassen sei, um wirklich tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung zu evozieren. Henning schreibt dazu: „Philosophen können zwar protestieren gegen das „Elend der Welt“ (Bourdieu 1997). Wollen sie jedoch mehr leisten, müssen sie über die Philosophie hinausgehen. Marx wurde daher politisch und trieb Ökonomie. Sein Grundgedanke war einfach: Nur wenn Philosophie sich derart in die Wissenschaft „aufhebt“, kann sie daran denken, sich politisch „verwirklichen“ zu wollen.“[30] Nicht mit Theorien allein, wie kritisch sie auch sein mögen, verändern sich die ökonomischen Sozial- und Sachverhältnisse, sondern mit dem tatsächlichen tätigen Bezug zur menschlich ökonomischen Praxis, die durch die Politik vermittelt wird. Doch diesen positiven Praxisbezug kann die Kritische Theorie nicht liefern. Horkheimer sagte 1968 selbstkritisch: „Ich bekenne mich zur kritischen Theorie; das heißt, ich kann sagen, was falsch ist, aber ich kann nicht definieren, was richtig ist.“[31] Henning kritisiert diesbezüglich: „Eine Theorie, die alles zu kritisieren sich anschickt, jedoch die Auskunft darüber, wie es besser zu machen sei, mit dem Verweis auf das „Bilderverbot“ abweist, hat tatsächlich ein Begründungsproblem.“[32] Zwar haben die Theoretiker der Kritischen Theorie, allem voran Horkheimer und Adorno, sich theoretische Anleihen von Marx geholt, haben es aber weitergehend versäumt, die ökonomische Basis der Gesellschaft mit ihren jeweiligen Interdependenzen, weiter kritisch auszuleuchten. Anstatt dessen entwickelten sie eine kultursoziologische Theorie in „philosophischen Fragmenten“.[33] Weiterhin können wir sagen, dass Marx und Engels direkten Bezug zur Arbeiterklasse hatten, durch ihre politisch agitatorische Tätigkeit, die im Sinne des Kommunismus eine realwirksame Umwälzung ökonomischer Verhältnisse intendierte. Horkheimer und Adorno blieben weitgehend ihn ihrem interlektuellem Milieu verhaftet und schickten sich nicht dazu an, konsequent politisch wirksam zu werden. Von daher erscheint die Veränderungsabsicht der beiden Kritischen Theoretiker als philosophischer Wunsch, doch ohne die praktische Bemühung durch positives Handeln etwas innerhalb der sozialen Welt umzugestalten. Denn die theoretische Negation von real-praktischen Verhältnissen ist noch keine Bedingung für die wirkliche vernünftige Umgestaltung sozio-ökonomischer Verhältnisse. Zwar wurde die real-praktische Irrationalität der Gesellschaft, mitsamt dem in verschiedensten Bereichen wirksamen Ausbeutungs- und Unterdrückungssystem erkannt, in großen Teilen auch verurteilt, aber es wurde keine positiv wirksame Praxis eingeleitet oder verursacht. Von daher bleibt die Kritische Theorie, wie sie Horkheimer und Adorno exemplarisch vertreten haben, in einer negativ betrachtenden und gesellschaftliche Prozesse lediglich kritisierenden Position, ohne jedoch eine vernünftige Praxisanleitung für ein gelingendes Leben und positiv rationale Sozialverhältnisse zu bieten. Die teils auch kryptische Form, der sich Adorno bedient hat, macht den gemeinten Inhalt schwer zugänglich, sodass große Teile der Arbeiterklasse keine Möglichkeit hat, sich die vermittelten Thematiken von Adorno sachgerecht anzueignen. Dies mindert den Gebrauchswert der Theorie, da die Inhalte einer philosophischen Elite vorbehalten sind. Marx und Engels haben großen Wert auf Verständlichkeit gelegt, da sie in einem offenen Austausch mit der Arbeiterklasse standen, und durch die offene Kommunikation, die selbsttätige Umgestaltungskraft der Arbeiterschaft aktiv befördern wollten.

Als nächstes möchte ich mich der Kritik von Henning an Jürgen Habermas widmen. Vorangestellt sei, dass ich mich selbst persönlich noch nicht allzu viel mit den Theorien von Jürgen Habermas beschäftigt habe, weswegen ich mich auf eine knappe Rekonstruktion der Kritik von Henning beschränke. Nun zum Inhalt. Habermas gilt als zeitgenössischer Gegenwartsphilosoph, der in der Tradition der Kritischen Theorie viele Themengebiete philosophisch durchleuchtete. Die Kritik von Henning ist, dass auch er keine wirklichkeitsnahe Analyse der produktiven Basis formuliert habe. Henning schreibt: „Habermas teilt deren Problematik [der Kritischen Theorie], eine mit der Basis unverbundene ethisierte Überbauphilosophie nicht mehr mit Theorien über die Basis verbinden („begründen“) zu können. Er transformiert diese Aporie durch mehrere Theoriemoden hindurch, von der Anthropologie über die Tranzendentalphilosophie und Rationalitätstheorie bis hin zur normativistischen, nur noch ethischen Sozialmetaphysik.“[34] Nicht mehr der adäquate, kritische Blick auf die ökonomischen Grundstrukturen der Gesellschaft beschäftigt Habermas, sondern vielmehr theoretische Phänomene des geistigen Überbaus.[35] Nicht die Wiederentdeckung von Marx spielt bei Habermas eine wesentliche Rolle, sondern die Wiederentdeckung von Hegel und der idealistischen Betrachtungsweise auf gesellschaftliche Zusammenhänge.[36] Ökonomische Analysen sind bei Habermas nicht zu finden.[37] Anstatt dessen beschäftigte er sich mit den „normativen Fundamenten“ im Aufbau der Gesellschaft. Und nicht nur das, sondern er vermengt die Kritische Theorie mit weiteren philosophischen Disziplinen: „mit Entwicklungspsychologie, Sprechakt- oder Moraltheorie.“[38] Henning moniert dazu: „Die Kritische Theorie wurde dadurch vollends weltlos und entökonomisiert.“[39] In der Hinwendung von Habermas zu den normativen Fundamenten einer Gesellschaft erhält somit die kommunikative Ethik Einzug in die Sozial-Theorie. Habermas schreibt: „Die Identität einer Gesellschaft ist normativ bestimmt und hängt von ihren kulturellen Werten ab“. Diese Werte „dürfen wir … allenfalls in den Grundstrukturen sprachlicher Kommunikation suchen“[40] und Henning ergänzt dazu: „Damit liegt, obwohl Marx noch positiv erwähnt wird, eine Ethisierung und Psychologisierung der Gesellschaft vor.“[41] Bei Habermas ist nicht mehr die Wirtschaft primär für den strukturellen Aufbau einer Gesellschaft, sondern das Primat einer Gesellschaft hat vielmehr die Kommunikation und die Politik sowie die Normativität in Form von anerkannten Rechten. Somit verabschiedet sich Habermas vom „kritischen Marxismus“ und betreibt eine ethisierte Philosophie des Überbaus. In der Annahme, dass die ökonomischen Probleme, die Marx aufgezeigt habe, „heute nicht mehr“ die brisante Relevanz für die Sozialtheorien hätten, ersetzt Habermas die notwendige Betrachtung der Entwicklung der basalen Produktionszusammenhänge durch eine Beschreibung und Ergründung einer Diskursethik. Hierdurch verlässt er aber das Gebiet einer fundamentalen, auf Praxis bezogenen Gesellschaftstheorie und begibt sich in die Begriffszusammenhänge moraltheoretischer Vorstellungen. „Habermas hatte Gesellschaftstheorie weichenstellend erst als Erkenntniskritik, dann als Moraltheorie bestimmt.“[42] Durch diese normativistische Betrachtungsweise verzerrt er sowohl die marxistische Perspektive, als auch ist durch die Nicht-Betrachtung der Produktionszusammenhänge eine gewaltige Lücke in der Gesellschaftstheorie entstanden. Denn die philosophische Beschreibung von Gesellschaft, die größtenteils auf ökonomische Kategorien verzichtet, ist nicht ausreichend für eine adäquate und Erfassung der sozialen Konstitution. Weiterhin haben sich Marx und Engels mit gesellschaftlichen Strukturen und nicht mit den Einzelindividuen beschäftigt. „Habermas interessiert sich für Strukturen also nur, insofern sie relevant für das kommunikative Handeln sind – für geistige, näherhin normative Strukturen. Nur solche machen im aktorzentrierten und normativistischen Modell „Sinn.““ und weiter schreibt Henning: „Die Prozeduralität der normativen Strukturen repliziert den Gehalt des einstigen Terminus „Interaktion“: Ausgangspunkt bleiben verständigungsorientierte Handlungen von Individuen, und nur diese. Sie bedienen nach wie vor die Subjektphilosophie.“[43] Nicht mehr die Theoretisierung sozioökonomischer Strukturen war bei Habermas entscheidend, sondern die Theoretisierung von Normen, Rechten, Politik und Staat und deren Auswirkungen auf das bürgerliche Individuum. Somit geschieht eine Reduktion der Gesellschaftstheorie bei Habermas, die ohne die Produktionssphäre zu analysieren, lediglich geistige Phänomene menschlicher Handlungskraft in Beziehung zueinander setzt. Dies berührt aber keineswegs die elementaren Zusammenhänge einer Gesellschaft im marxistischen Sinne. In kritischen Worten äußert sich Henning über die Philosophie von Habermas: „Die entfallenden Gegenstände sind die bürgerliche Gesellschaft und die wirkliche Geschichte. Die Behandlungsart von Rechtsstaat und Demokratie ähnelt dem älteren Neohegelianismus.

Hiermit beende ich meine kurze Rekonstruktion der Kritik von Henning an der Theorie von Habermas.

8. Schlussgedanken

Die materialistischen Einsichten von Marx und Engels in das Wesen des menschlichen Zusammenlebens haben direkt oder indirekt wirkungskräftige Folgen in der Geschichte der Sozialphilosophie generiert. Zum einen in aktiver Auseinandersetzung, wodurch viele von Marx und Engels geprägte Denker, Theoretiker und Politiker gesellschaftlichen Einfluss nehmen konnten, als auch anderseits durch aktive Marxwiderlegungen, die die Weichen für die Neoklassik in den Wirtschaftswissenschaften gestellt haben. Jedoch ist die Trennung von Ökonomie und Soziologie nicht im Marx’schen Sinne. Deswegen ist auch eine Sozialphilosophie, die systematisch ökonomische Produktionszusammenhänge ausklammert oder nur marginal thematisiert, ungenügend für eine profunde und wirklichkeitsgenaue Gesellschaftstheorie. In der Marx’schen Theorie spielen mehrere heutzutage einzelwissenschaftliche Disziplinen eine Rolle, wie zum Beispiel die Anthropologie, die Geschichte, die Ökonomie, die Politik, die Soziologie und die Philosophie. Und als verständiger Marxist sollte wir darum bemüht sein, das Gesamtbild der Gesellschaft durch die Zusammenführung von mehreren Teilwissenschaften wirklichkeitsgetreu nachzuzeichnen. Dies ist auch die Aufgabe einer modernen Sozialtheorie. Zum einen die Gesellschaft als eine in historischer Entwicklung begriffene Gesellschaft zu fassen und zum anderen die verschiedenen Teilaspekte zu einem konsistenten gesellschaftlichen Gesamtbild zu vereinigen. Dies ist keine leichte Aufgabe, doch um die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu verstehen, eine notwendige. Dafür haben Marx und Engels die gesellschaftliche praktische Basis theoretisch ergründet, von der wir Philosophen, Soziologen und Gesellschaftsanalytiker uns auf den Weg begeben können, um die ökonomische, soziale, kulturelle und politische Dynamik sachgerecht zu begreifen. Die Sozialtheorien nach Marx, die bis in die moderne Gegenwart hineinreichen, wurden von Henning oft negativ kritisiert. Sie hätten sich theoretisch wie ökonomisch von Marx entfernt, indem sie nicht mehr den gesamten Korpus der Gesellschaft in den Blick gebracht haben, sondern bestimmte Teilaspekte der Gesellschaft, oftmals Phänomene des geistigen Überbaus z.B. „die normativen Gehalte“ , als fundamental setzten. Somit wird die politische Ökonomie, das Herzstück der marx’schen Sozialtheorie, konsequent marginalisiert, wodurch klaffende Lücken in den philosophischen Gesellschaftstheorien entstanden sind. Um diese Lücken zu schließen, hat eine moderne Sozialphilosophie die Aufgabe, anstatt zu moralisieren, sich wieder zu ökonomisieren, um die produktive Basis der Gesellschaft durch eine kritische Untersuchung zu durchleuchten. Dafür muss Marx erst wieder neu entdeckt werden, damit seine profunden Einsichten und Kritiken in die Wirkungsweise des kapitalistischen Produktionssystems erneut zu uns sprechen. Denn nicht die Nicht-Beachtung der marx’schen Theorie hilf uns, uns gesellschaftlich weiter zu entwickeln, sondern die kritische Aufarbeitung und Aktualisierung wesentlicher Sozialanalysen fördert unser Verständnis von den Wirkungsweisen der modernen, leider immer noch kapitalistischen Gesellschaften.

Literaturverzeichnis:

- Karl Marx/Friedrich Engels „Die Deutsche Ideologie – Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B.Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten“ 1845-1846 geschrieben, veröffentlicht 1932, Moskau
- Henning, Christoph, „Philosophie nach Marx – 100 Jahre Marxrezeption und die normative Sozialphilosophie der Gegenwart in der Kritik“ transcript Verlag, Bielefeld, 2005

[1] Karl Marx/Friedrich Engels „Die Deutsche Ideologie – Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B.Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten“ 1845-1846 geschrieben, veröffentlicht 1932, Moskau, s. 14

[2] ebenda. S.14

[3] ebenda. S. 17

[4] ebenda. S. 26

[5] ebenda. S. 21

[6] ebenda s. 20f.

[7] ebenda. S. 25

[8] ebenda. S. 26

[9] ebenda. S.28

[10] ebenda. S. 27

[11] ebenda. S. 27

[12] ebenda. S. 30

[13] Henning, Christoph, „Philosophie nach Marx – 100 Jahre Marxrezeption und die normative Sozialphilosophie der Gegenwart in der Kritik“ transcript Verlag, Bielefeld, 2005 s. 20

[14] ebenda. S. 29

[15] ebenda. S. 24

[16] vgl. ebenda. S. 29

[17] vgl. ebenda. S. 129

[18] ebenda. S. 129

[19] vgl. ebenda. S. 296

[20] vgl. ebenda. S. 300

[21] ebenda. S. 298

[22] ebenda. S. 297

[23] ebenda. S. 293

[24] ebenda. S. 298

[25] vgl. ebenda. S. 298

[26] ebenda. S. 344

[27] ebenda. S. 345

[28] ebenda. S. 347

[29] ebenda. S. 347

[30] ebenda. S. 359

[31] ebenda. S. 357

[32] ebenda. S. 356

[33] ebenda. S. 359

[34] ebenda. S. 412

[35] vgl. ebenda. S. 412

[36] vgl. ebenda. S. 413

[37] vgl. ebenda. S 420

[38] ebenda. S. 424

[39] ebenda. S. 424

[40] ebenda. S. 426

[41] ebenda. S. 426

[42] ebenda. S. 429

[43] ebenda. S. 441

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Marx und die Sozialphilosophie
Hochschule
Universität Leipzig
Veranstaltung
Für eine Erneuerung der Philosophie – zum metaphysischen Bedürfnis der Gegenwart
Note
2,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
17
Katalognummer
V446839
ISBN (eBook)
9783668840980
ISBN (Buch)
9783668840997
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Marx, Engels, Sozialphilosophie, Deutsche Ideologie
Arbeit zitieren
Alexej Licharew (Autor:in), 2017, Marx und die Sozialphilosophie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/446839

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