Die Utopie der Gerechtigkeit. Egalitaristische und non-egalitaristische Gerechtigkeitstheorien


Hausarbeit, 2015

13 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gerechtigkeit

3. Gleichheit

4. Egalitaristische Gerechtigkeitstheorie
4.1 Kritische Betrachtung egalitaristischer Gerechtigkeitstheorie

5. Non-egalitaristische Alternativen
5.1 Kritische Betrachtung non-egalitaristischer Gerechtigkeitstheorie

6. Zusammenfassung

Quellen- und Literaturverzeichnis..

1. Einleitung

Seit Anbeginn der Menschheit ist die Frage der Gerechtigkeit stets im Mittelpunkt kontroverser Diskussionen. Politiker, Anthropologen, Soziologen und Philosophen zerbrechen sich den Kopf darüber, wie Gerechtigkeit ausgelegt werden muss, damit sie bei allen Mitgliedern der Gesellschaft allgemeinen Zuspruch findet. Dabei ist die Bedeutung des Begriffs an sich schon so weitläufig und zwiespältig, wie nahezu kein zweites Wort, das nach Verwirklichung im sozialen Geflecht verlangt. Es gilt als ein signifikantes Leitziel unserer Gesellschaften – darüber sind sich die Menschen einig. Doch dort, wo es um den Versuch einer für alle Parteien akzeptablen Umsetzung geht, scheiden sich die Geister wieder. Eine Ursache, die im wesentlichen zu eben diesen unterschiedlichen Interpretationen und Auffassungen von Gerechtigkeit beiträgt, lässt sich vielleicht in der Individualität als ein grundlegendes Merkmal der Menschheit finden. Die Einzigartigkeit der Menschen geht einher mit den subjektiven Wahrnehmungen ihrer Umgebung, und hat unter anderem zur Folge, dass unterschiedliche Interessen vertreten und verschiedene Bedürfnisse gestillt werden. Eine im eigenen Ermessen gerechte Vorstellung einer Handlung muss damit nicht zwangsläufig auch von anderen Parteien als gerecht empfunden und gewertet werden. Eine Gerechtigkeit, die für alle gerecht ist, scheint unter diesen Umständen nahezu utopisch.

Eine interessante Theorie zur Umsetzung von Gerechtigkeit vertreten Philosophen, die sich zum Egalitarismus bekennen. Dieser schränkt die Individualität der Menschen ursprünglich in Bezug auf ihre Besitzverhältnisse ein und spricht in diesem Zusammenhang von einer Gleichheit, die als Grundlage für die Lebensaussichten der Menschen geltend gemacht werden soll. Bereits Jean-Jacques Rousseau war der Ansicht, dass der Besitz von Privateigentum als ein signifikanter Grund sozialer Ungleichheiten angesehen werden kann, die einer für alle geltenden Gerechtigkeit zuwider ist.[1] Ebenso sind Vertreter wie Karl Marx zu nennen, die eine sozialistische Planwirtschaft entwarfen, durch deren Gleichverteilung im System das Konkurrenzverhalten und damit ein Empfinden ungerechter Behandlung unterbunden werden sollte. Der egalitaristischen Idee einer Gleichheit stehen beispielsweise humanistische Vertreter wie Angelika Krebs gegenüber. In ihrer schriftlichen Ausarbeitung "Warum Gerechtigkeit nicht als Gleichheit zu begreifen ist", äußert sie sich kritisch zur Gleichheitstheorie. Die Aussage, man könne eine gerechte Gesellschaft nicht auf Gleichheit aufbauen[2], soll These dieser Arbeit sein, die das Gerechtigkeitsverständnis unter Berücksichtigung egalitaristischer, sowie non-egalitaristischer Positionen zu erörtern versucht.

2. Gerechtigkeit

Der Erörterung voran steht natürlich stets die Definition der Begrifflichkeiten. Subjektive Wahrnehmungen und Interpretationen verbieten eine allgemeingültige Begriffsklärung. Dennoch sollen Definitionsversuche aufgeführt werden, die dem Leser eine Vorstellung der Bedeutung vermitteln.

Der römische Jurist Ulpian, der bis etwa 228 nach Christus lebte, betrachtete die Gerechtigkeit als einen „festen und dauernden Willen, jedem sein Recht zuzuteilen.“[3] Ein anderer Versuch beschreibt die Gerechtigkeit als ein "ethisches und rechtliches Prinzip, das in seinem konkreten Inhalt die geschichtlichen Interessen und Forderungen bestimmter Klassenkräfte zum Ausdruck bringt." In diesem Zusammenhang steht im Wesentlichen die Forderung einfacher Arbeiter der Klassengesellschaft nach "grundsätzlich gleichen sozialen Bedingungen und Möglichkeiten für die freie und allseitige Entwicklung der Persönlichkeit."[4]

Der Gerechtigkeitsbegriff kann sich je nach Betrachtung auf verschiedene Bereiche beziehen, was eine einheitliche Zusammenfassung zusätzlich erschwert. Während Egalitaristen unter dem Begriff "eine Gleichheit zwischen Menschen in einer bestimmten Hinsicht" verstehen, setzen gegnerische Positionen, wie die der Humanisten, auf eine Gesellschaft, die nur dann gerecht sein kann, wenn jedem Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird.[5] Der signifikante Unterschied wird hier unter Verwendung der Gleichheit deutlich.

3. Gleichheit

Dass Gleichheit nicht gleich Gleichheit ist, präzisiert Angelika Krebs als Non-Egalitaristen in ihrer Schrift: "Warum Gerechtigkeit nicht als Gleichheit zu begreifen ist." Hier führt sie verschiedene Arten von Gleichheit auf, die den jeweiligen Positionen zuzuordnen sind.

Im Wesentlichen wird zwischen deskriptiver und normativer Gleichheit unterschieden. Beide Arten beschreiben die "Ununterscheidbarkeit mindestens zweier Objekte in einer relevanten Hinsicht." Der hauptsächliche Unterschied liegt in der Stellung der Gleichheit. Die deskriptive Gleichheit begreift Gleichheit lediglich als eine Begleiterscheinung, nicht aber als Ziel, auf das eine gerechte Gesellschaft aufbauen kann. Absolute Standards geben dabei einen festgelegten Schwellenwert an, der von allen Objekten zu erreichen ist. Non-Egalitaristen wie Angelika Krebs beziehen sich auf diese Art der Gleichheit, wobei der eben genannte, festgelegte Schwellenwert, den alle oder jeder erlangen soll, nicht als Sinn des gerechten Lebens angestrebt wird. Zur Verdeutlichung wird hier oft mit einer Digitalwaage gearbeitet. Für ein gutes und gerechtes Leben müssen alle Menschen einen bestimmten Wert auf der Waage erreichen. Darüber hinaus kann es natürlich große Unterschiede und Ungleichheiten geben. Wichtig ist nur, dass ein gewisser Standard erzielt wird, auf dem individuell aufgebaut werden kann. Beispielsweise kann es als Voraussetzung für ein gutes Leben als notwendig erachtet werden, ein Auto zu fahren. In dem Fall müssen alle Menschen deskriptiv gleich darin sein, ein Auto zu haben. Welches Auto oder wie viele Autos ein Mensch dabei im Gegensatz zu anderen Menschen fährt, ist nicht von Bedeutung. Da Gleichheit hierbei also nicht als Ziel betrachtet werden kann, kann es bei der Beschreibung des Schwellenwertes auch ausgetauscht werden, so dass es für Non-Egalitaristen durchaus irrelevant ist. Aus "Alle Menschen sind gleich darin, ein Auto zu fahren." könnte danach auch "Alle Menschen sollen mindestens ein Auto fahren." werden. Man spricht hierbei von einer redundanten, also einer überflüssigen Gleichheit.

Egalitaristen begreifen den kontroversen Begriff als eine normative Gleichheit. Diese Gleichheit soll unabgeleitetes Ziel für alle sein. Für einen Vergleich muss dafür stets Bezug zu anderen genommen werden, weshalb die Balkenwaage zur Veranschaulichung genutzt wird. So ist es nach Auffassung der Egalitaristen gerecht, wenn Menschen alle gleich viel zu essen haben. Da das Ergebnis am Ende die bedingungslose Gleichheit sein muss, kann diese auch nicht eliminiert oder ausgetauscht werden, weshalb von einer Gleichheit gesprochen wird, die nicht redundant ist.[6]

4. Die egalitaristische Gerechtigkeitstheorie

Der neue Egalitarismus verbreitete sich in Europa erstmals durch das Eindringen des westlichen Kapitalismus. Die Privatisierung der Produktionsmittel und die Ausrichtung auf wirtschaftlichen Profit hatte zunehmend eine extreme soziale Ungleichheit zur Folge. Die Herstellung bestimmter Güter war nicht primär auf menschliche Bedürfnisse, sondern im Wesentlichen auf den tatsächlichen Gewinn ausgerichtet, der sich daraus für die Privateigentümer ergab. Verschärfungen sozialer Gegensätze in der Bevölkerung, wie auch schon zu Zeiten der Sklavengesellschaft, führten zur Entstehung egalitaristischer Strömungen und Revolutionen der unteren Klassen, vor allem getragen durch Kleinbauern.[7] Die geforderte Gleichheit an Produktionsmitteln sollte das Aufheben der Klassengesellschaften bewirken und damit zu einer bedingungslosen Gerechtigkeit führen. Hier findet die Verknüpfung von Gleichheit und Gerechtigkeit ihren Ursprung.

Beim modernen Egalitarismus geht es weniger um Produktionsmittel und Güter, als vielmehr um die Gleichheit hinsichtlich der Freiheit und Lebenschancen.

4.1 Eine kritische Betrachtung der egalitaristischen Gerechtigkeitsidee

Unter den aufgeführten Gesichtspunkten kann man den Egalitaristen, vor allem den modernen Vertretern, nicht den Vorwurf machen, dass es ihnen um absolute Gleichmacherei geht. Auch wenn die Gleichheit hier als das Ziel einer gerechten Gesellschaft beschrieben wird, muss hinter dieser Idee eine Utopie verstanden werden, die es zu akzeptieren gilt. Doch ein gerechtes System kann natürlich auch nicht auf einer sehr ungleichen Gesellschaft aufgebaut werden. Demnach muss ein guter Mittelweg zur Problemlösung gefunden werden. Egalitaristen, die Gleichheit hinsichtlich der Freiheit oder der Chancen auf ein gutes Leben fordern, stellen eine gute Möglichkeit zur Umsetzung von Gerechtigkeit bereit - aus einer Chancengleichheit ließe sich für alle Menschen eine Freiheit abgewinnen, durch welche man sich individuell und selbstständig entfalten könnte. Sie gäbe dem Einzelnen eine Existenzsicherheit im System, aus der sich Ängste überwinden ließen und Kräfte geschöpft werden könnten. Gewissermaßen ähnelt diese Gerechtigkeitskonstruktion sehr der der Non-Egalitaristen, wenn man die Chancengleichheit als den von Egalitarismus-Gegnern geforderten Schwellenwert betrachtet, über dessen Grenzen hinaus frei und individuell aufgebaut werden kann. Unter genauerer Betrachtung ist die Chancengleichheit in ihrer Definition jedoch genauso schwammig und unfassbar, wie der Gerechtigkeitsbegriff an sich. Hier spielen Faktoren eine Rolle, deren Beeinflussungen nicht greifbar sind. Besondere Talente und Stärken, die einem von Natur aus gegeben sind, oder Schicksale, die einen unerwartet treffen - das alles kann nicht aufgefangen und gleichermaßen verteilt werden, und ist gerade deshalb ausschlaggebend für eine Ungleichheit hinsichtlich der Chancen auf ein gutes und den Wünschen der Menschen entsprechendes Leben. Das Ziel einer gerechten Gesellschaft ist in Bezug auf die eben aufgeführte Schlussfolgerung genauso utopisch, wie die absolute Gleichheit, auf die sie aufbauen soll, womit Krebs' Aussage, man könne eine gerechte Gesellschaft nicht auf Gleichheit aufbauen, einen tatsächlichen Zuspruch findet.

Eine weitere, seitens der Humanisten oft aufgeführte Kritik an egalitaristische Vertreter sei die Verwechslung des Begriffs der Gleichheit mit dem der Allgemeinheit. Die Hungerhilfe wird hierbei als besonders beliebtes Beispiel zur Verdeutlichung genannt. Eine Gleichheit hinsichtlich der Verteilung von Nahrungsmitteln sei haltlos und nicht von Bedeutung. Menschen sollten nicht über gleiche und gleich viele, sondern über ausreichend Lebensmittel verfügen. Die Erkenntnis, Hungernden zu helfen, wird nicht durch Vergleiche mit Gesättigten erlangt. Vielmehr ergibt sie sich aus der Tatsache heraus, dass den Hungernden mit einer Selbstverständlichkeit geholfen werden muss, weil ein unter diesen Umständen geführtes Leben kein menschenwürdiges Leben ist.[8] Die hier genannte Schlussfolgerung Krebs' ist verständlich, lässt aber keine eindeutige Befürwortung ihrer These zu. Die Redundanz der Gleichheit bestätigt sich hier lediglich in einer simplen Umstellung des Begriffs. Zweifellos ist eine exakte Gleichverteilung von Nahrungsmitteln an alle Menschen untragbar und gegenstandslos. An dieser Stelle kann der Gleichheitsbegriff tatsächlich eliminiert werden. Dennoch ist auch Allgemeinheit eine Form von Gleichheit. So sind alle Menschen, also die Allgemeinheit, in ihren natürlichen Bedürfnissen, beispielsweise in dem Bedürfnis, essen zu müssen, gleich. Auch wenn die Gleichheit durch non-egalitaristische Umformulierungen nicht mehr das Ziel einer gerechten Gesellschaft ist, ist sie dennoch ein wichtiger Bestandteil des Verständnisses zur Umsetzung eben dieser Gerechtigkeit. Bedürfnisse, die allen Menschen gleich sind, bilden die Grundlage zur Bündelung des Gerechtigkeitsbegriffes. Sie stellen fundamentale Gebote der Menschen dar, die erfüllt werden müssen, um überhaupt leben zu können. Dass eine gerechte Gesellschaft nicht auf einer künstlich hergestellten Gleichheit aufgebaut werden kann, bedeutet nicht, dass die natürliche Gleichheit eine genauso überflüssige Rolle zur Verwirklichung von Gerechtigkeit spielt. Bezogen auf dieses Argument ist die Ausgangsthese nicht haltbar.

[...]


[1] Klaus, Georg.; Buhr, Manfred: Philosophisches Wörterbuch A-Kybernetik. Leipzig: VEB Bibliographisches Institut 1976, S. 289 (Band 1).

[2] Schönlebe, Dirk.: Waagerecht. Die Philosophin Angelika Krebs über Gleichheit und Gerechtigkeit. In: Fluter. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2009, online im Internet: http://www.fluter.de/de/gleichheit/heft/5677/ (02.09.2015).

[3] Springer Gabler Verlag (Hrsg.): Gerechtigkeit. In: Gabler Wirtschaftslexikon. Online im Internet: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/6013/gerechtigkeit-v9.html (02.09.2015).

[4] Klaus, G.; Buhr, M., 1976, S. 457

[5] Schönlebe, D., online im Internet: http://www.fluter.de/de/gleichheit/heft/5677/ (02.09.2015).

[6] Krebs, Angelika: Warum Gerechtigkeit nicht als Gleichheit zu begreifen ist. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Basel: 2003, S. 236, 237

[7] Klaus, G.; Buhr, M., 1976, S. 288, 289

[8] Krebs, A., 2003, S. 240

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Die Utopie der Gerechtigkeit. Egalitaristische und non-egalitaristische Gerechtigkeitstheorien
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
2,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
13
Katalognummer
V446503
ISBN (eBook)
9783668825987
ISBN (Buch)
9783668825994
Sprache
Deutsch
Schlagworte
utopie, gerechtigkeit, egalitaristische, gerechtigkeitstheorien
Arbeit zitieren
Jessica Bauer (Autor:in), 2015, Die Utopie der Gerechtigkeit. Egalitaristische und non-egalitaristische Gerechtigkeitstheorien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/446503

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