Welche Konstruktionen sind zum deutschen Passiv zu rechnen?


Hausarbeit, 2005

32 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Genera verbi und Passiv
1.1. Auswirkung des Passivs auf den Inhalt eines Satzes
1.2. Vorgangspassiv
1.2.1. Das unpersönliche Passiv
1.2.2. Das Reflexivpassiv
1.3. Zustandspassiv
1.4. Rezipientenpassiv

2. Weitere Möglichkeiten, „passivische“ Sehweise auszudrücken
2.1. lassen + sich + Infinitiv
2.2. sein + zu + Infinitiv
2.3. bleiben –Passiv
2.4. Funktionsverben mit einem „Nomen actionis“
2.5. Reflexive Konstruktionen mit unpersönlichem Subjekt
2.6. Auf - bar und – lich endende Adjektive

3. Abgrenzung des Zustandspassivs von Kopulakonstruktion

4. Rezipientenpassiv oder prädikatives bzw. adverbiales Prädikat?
4.1 Haider: Partizip II als adjektivisches bzw. adverbiales Prädikat
4.2 Wagener und Reis: bekommen – Passiv als regelhafte Passivform

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

0. Einleitung

Im Vergleich zum Griechischen – der Muttersprache der Autorin dieser Hausarbeit -, ist die deutsche Sprache durch die häufigere Verwendung des Passivs gekennzeichnet[1]. Innerhalb der deutschen Gegenwartssprache jedoch sind Aktiv und Passiv in Texten ungleich verteilt. Im Durchschnitt entfallen etwa 93% der finiten Verforme auf das Aktiv im Gegensatz zu den 7% des Passivs. Aufgrund dieser Verteilung kann man das Aktiv als Erst- und das Passiv als Zweitform bezeichnen, ohne dass diese Betrachtungsweise ein abwertendes Urteil über die Wichtigkeit des Passivs zu bedeuten hat (Duden 1998:172f.).

Dementsprechend ist das Thema dieser Arbeit die Darstellung der Bildung und Funktion des Passivs im Deutschen als eines von den fünf verbalen Merkmalen, hinsichtlich derer ein Verb im Deutschen gekennzeichnet ist, und seine Unterscheidung in hauptsächlich drei Formen - Vorgangs-, Zustands- und Rezipientenpassiv -, deren Gemeinsamkeit die Verwendung des Partizips Perfekt (Part. II) ist.

Dazu lassen sich noch Gefüge wie „lassen + sich + Infinitiv“, „sein + zu + Infinitiv“, bestimmte Verben in Verbindung mit einem Nomen actionis[2] - die Funktionsverbgefü ge - Verbaladjektive mit Endung auf – bar und – lich und „reflexive Konstruktionen“ wie „sich bewegen“ zu passivähnlichen Konstruktionen rechnen (Askedal 1987:22ff.). Dieselben Konstruktionen werden in Duden – Grammatik (1998) als Konkurrenzformen des Vorgangspassivs erwähnt.

Interessant und umstritten ist in der Literatur die Lage des Rezipientenpassivs, das von Hentschel und Weydt (1995) als „leidig“ charakterisiert wurde. Im Jahre 1971 rechnete Brinker die Konstruktion mit „bekommen + Part. II“ zu den „…bisher nicht erfassten verbalen Fügungen…“. Mittlerweile wird das Rezipientenpassiv von einigen Sprachwissenschaftlern als eine Passivform anerkannt, von anderen Sprachwissenschaftlern jedoch nicht. Haider (1984:33) bringt als Gegenargument die eigenständige Semantik seiner „Hilfsverben“bekommen, kriegen, erhalten, deshalb werden die Partizipien prädikativ bzw. adverbial erklärt und nicht als Teil der Passivkonstruktionen betrachtet.

1. Genera verbi und Passiv

Erstens ist wichtig, dass es einem deutlich wird, was man unter „Passiv“ versteht. Das Passiv ist eines von zwei Teilen der Genus verbi (vgl. Bußmann 32002:274); unter Genus verbi soll man die Aktiv- und Passivformen eines Verbs verstehen. Genus verbi ist wiederum eines von den fünf verbalen Merkmalen, hinsichtlich derer ein Verb im Deutschen gekennzeichnet ist (Duden 1998:113). Grundsätzlich kann beim Genus verbi „Passiv“ zwischen Vorgangs-, Zustands- und Rezipientenpassiv unterschieden werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Alle drei Formen sind periphrastische Formen der Vollverben, teilweise auch der Modalverben, die aus dem Partizip II des Verbs und aus einem Hilfsverb bzw. dessen periphrastische Formen bestehen (Zifonun 1997:1790). Das Vorgangspassiv wird mit dem Hilfsverb werden, das Zustandspassiv mit dem Hilfsverb sein und das Rezipientenpassiv mit dem Hilfsverb bekommen, erhalten oder kriegen gebildet.

Beispiele: (1) a. Die Wohnung wurde ihm versprochen. (Vorgangspassiv)

b. Die Wohnung war ihm versprochen. (Zustandspassiv)

c. Er bekam die Wohnung versprochen. (Rezipientenpassiv)

1.1. Auswirkung des Passivs auf den Inhalt eines Satzes

In einem Passivsatz steht die Handlung im Vordergrund; die handelnde Person (das Subjekt des Aktivsatzes) ist oft unwichtig oder uninteressant, deshalb wird sie auch meist weggelassen. Wird aber der Handlungsträger im Passiv genannt, erscheint er im letzen Teil des Satzes, weil dieser Teil vom Mitteilungsgehalt her die am meisten betonte Position ist. Somit wird die Konstruktion kommunikativ als besonders wichtig empfunden. Oft ist der Urheber einer Handlung nicht bekannt; dann gebraucht man einen Aktivsatz mit man oder einen Passivsatz, wobei man immer wegfällt.

(2) a. Man baut hier eine neue Straße.

b. Hier wird eine neue Straße gebaut.

In Bedienungsanleitungen ist es beispielsweise durch die Verwendung des Passivs möglich, den menschlichen Handlungsträger unerwähnt zu lassen, weil das Erwähnen des Handlungsträgers für das Verständnis des beschriebenen technischen Sachverhalts meist unwesentlich ist oder gar nicht angegeben werden kann. Dadurch wird außerdem der Eindruck von Objektivität vermittelt (Göpferich 1995:411).

Was das Verb in Passivkonstruktionen betrifft, merkt man, dass es sich aus der wenig betonten Stelle herauslöst, an der es im Aktivsatz erscheinen würde, und in die stark betonte Endposition gebracht wird. Damit erscheint das Verb als das wichtigste Satzglied in einer betonten Stellung. Während dessen wird sowohl die Aufnahme als auch das Einprägen des Inhalts erleichtert. Daraus erklärt sich auch die häufige Verwendung des Passivs in fachwissenschaftlichen Texten, Gesetzestexten, Anordnungen und Gebrauchsanweisungen.

In manchen Fällen wird der Gebrauch des Passivs auch dadurch motiviert, dass Vorgänge als gesetzmäßig dargestellt werden können, die vom Menschen zwar erkennbar oder anwendbar, aber nicht veränderbar sind. Studien weisen darauf hin, dass die Häufigkeit von Passivkonstruktionen mit zunehmendem Fachlichkeits- und Abstraktionsgrad der Texte steigt (ebd.).

1.2. Das Vorgangspassiv

Das Vorgangspassiv ist die erste und einfachste Form des Passivs, da man es als das Gegenteil des Aktivs verstehen kann und bezeichnet den Vorgang eines Prozesses. Es wird aus den konjugierten Formen des Hilfsverbs werden mit dem Partizip II des Vollverbs gebildet. Im Perfekt und Plusquamperfekt verliert das Partizip II von werden das Präfix ge-[3].

Präsens: Ich werde geimpft.

Präteritum: Ich wurde geimpft.

Perfekt: Ich bin geimpft worden.

Plusquamperfekt: Ich war geimpft worden.

In dieser grundlegenden Passivform handelt es sich um das Ergebnis der Umwandlung (Transformation) von Aktivsätzen; bei dieser Umwandlung findet folgende Änderung statt:

(Agensis) Subjekt => (von – Phrase)

(Patiens) Akkusativobjekt => Subjekt

Das Akkusativobjekt des Aktivsatzes wird zum Subjekt des Passivsatzes (transitive Verben) und das Subjekt des Aktivsatzes ist fakultativ, d.h. es kann im Passivsatz entweder wegfallen oder als „von – Phrase“ realisiert werden. Man soll darauf achten, dass nicht die Argumentsstruktur des Verbs, sondern die grammatischen Funktionen beim Passiv sich ändern. Das bedeutet, das Subjekt bleibt Agens und das Objekt Patiens, auch wenn ihre syntaktischen und grammatischen Funktionen sich ändern. Was sich ändert, ist die Abbildung der thematischen Rollen auf die syntaktischen Funktionen.

Diewald (1997:31) gibt ein einfaches Beispiel (3), in dem einem sowohl die Perspektive des Geschehens als auch die thematischen Rollen verdeutlicht werden. Sie zeigt, dass das Objekt des Aktivsatzes zwar der Zielpunkt des Geschehens ist, während im Passivsatz das Subjekt der Zielpunkt ist, die semantischen Rollen sich aber nicht verändern. Im Beispiel (3) sieht man, dass die semantische Rolle von Sabine die gleiche ist, d.h. das Patiens. Nur die syntaktische Rolle veränderte sich: von Objekt zum Subjekt.

(3) a. Claudia besucht Sabine

b. Sabine wird besucht

Hinsichtlich der Wortstellung innerhalb des Satzes steht fest, dass sie frei ist.

(4) a. Ein Bekannter kaufte das Auto.

b. Das Auto wurde (von einem Bekannten) gekauft.

c. Von einem Bekannten wurde das Auto gekauft.

Mit dem Perspektivenwechsel während der Transformation beschäftigte sich Leiss (1992:72-155, in: Pittner 2004:56f.). Im Aktivsatz wird das Ereignis aus der Handlungsperspektive wiedergegeben, während im Passivsatz das Ereignis aus der Geschehensperspektive betrachtet wird. Die Verbsituation ist immer auf das Patiens gerichtet, was auch Diewald betont (1997:31). Der Unterschied liegt darin, dass im Aktivsatz das Ereignis vom Standpunkt des Agens wiedergegeben wird, während es im Passiv vom Patiens her betrachtet wird.

(5) a. Hausmeister Müller ruft die Feuerwehr an. (Aktiv)

b. Die Feuerwehr wird von Hausmeister Müller angerufen. (Passiv)

Vorgangspassivfähig sind die transitiven Verben, also diejenigen mit einem Akkusativobjekt, zum Teil die intransitiven Verben mit einem Genitiv-, Dativ- oder Präpositionalobjekt und letztendlich die intransitiven Verben ohne Objekt mit Ausnahme derjenigen, die im Perfekt das Hilfsverb sein benutzen. Am häufigsten trifft man Passivformbelege von transitiven Verben (97%), während die anderen zwei Typen nur mit 2% bzw. 1% vertreten sind (Duden 61998:173ff.).

1.2.1. Das unpersönliche Passiv

In Fällen von intransitiven Verben, mit oder ohne Objektforderung, wird ein Passiv gebildet, bei dem aber das Subjekt fehlt. Das geschieht, weil die Subjektstelle der Aktivstruktur von dem unpersönlichen man besetzt ist oder überhaupt nicht. Dieses Passiv wird unpersönliches Passiv genannt (ebd.:172f.).

[...]


[1] Persönliche Feststellung der Autorin.

[2] (vgl. Bußmann 32002:528).Auch Verbalabstraktum, Verbalsubstantiv. Bezeichnung für (meist von Verben) abgeleitete Substantive, die sich auf Handlungen und Vorgänge beziehen.

[3] Die Informationen über die Bildung von Vorgangspassiv und Zustandspassiv sind im Prinzip aus der Duden - Grammatik, 61998, Bd. 4 entnommen worden.

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Welche Konstruktionen sind zum deutschen Passiv zu rechnen?
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Institut für Linguistik)
Note
2
Autor
Jahr
2005
Seiten
32
Katalognummer
V44633
ISBN (eBook)
9783638421973
Dateigröße
602 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Hausarbeit unter Prüfungsbedingungen korrigiert, im Rahmen der Magister-Abschlussprüfungen. Es handelt sich dabei um eine umfassende Darstellung des Passivs im Deutschen sowie um eine ausfürliche Behandlung des Rezipientenpassivs nach Haider, Wagener und Reis.
Schlagworte
Welche, Konstruktionen, Passiv
Arbeit zitieren
Eleni Rigaki (Autor:in), 2005, Welche Konstruktionen sind zum deutschen Passiv zu rechnen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44633

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