Nibelungische Anthropologie. Ein Vergleich zur Konzeption der Emotionen in Nibelungenlied und Nibelungenklage


Hausarbeit, 2005

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Nibelungenlied
2.1. Ursprung des Nibelungenliedes
2.2. Das Wirken des Nibelungenstoffes
2.3. Die Wiederentdeckung der Nibelungenhandschriften
2.4. Das Nibelungenlied: Hintergründe des Inhalts

3. Die Nibelungenklage
3.1. Inhalt
3.2. Ursprünge der Nibelungenklage
3.3. Die Frage nach Autor und Entstehungszeitpunkt
3.3.1. Selbstreferenz der „Klage“
3.3.2. Entstehungszeitpunkt
3.3.3. Der Kompromiß: Die Theorie der „Passauer Nibelungen-Werkstatt“
3.3.4. Die erzählerische Funktion der „Klage“ in Bezug auf das „Lied“
3.3.5. Zusammenfassung: Die Relation von Nibelungenlied und „Klage“
3.3.6. Mit welcher Intention setzt die „Klage“ das „Lied“ fort?

4. Emotionen: Einsatz und Gebrauch im Nibelungenlied
4.1. Jan-Dirk Müllers These der „Nibelungischen Anthropologie“
4.2. Werner Schröder: „Das Leid in der ‚Klage‘“
4.3. Richard Leichers Analyse der Trauerriten in der Nibelungenklage
4.4. Vergleich der Konzeptionen am Beispiel Etzels:
4.4.1. Werner Schröder:
4.4.2. Jan-Dirk Müller:
4.4.3. Richard Leicher

5. Schlußbetrachtung: Entspricht das Konzept der Emotionen in der „Klage“ der im „Lied“?
5.1. Kontinuität der Handlungsmuster
5.2. Handlungskontinuität
5.3. Trauerarbeit
5.4. „Was bleibt“

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Bei der Erörterung der Fragestellung setze ich beim Leser den Inhalt von Nibelungenlied und Nibelungenklage als bekannt voraus. Details der Erzählung werde ich erläutern, soweit diese zum Verständnis der Argumentation erforderlich sind.

Wer sich mit der Nibelungenklage befasst, kommt nicht umhin, zunächst die Forschung zum Nibelungenlied zu berücksichtigen, da dieses seit der Wiederentdeckung der Nibelungenhandschriften im Jahre 1755 im Mittelpunkt der Forschung steht. Ursprünglich handelte es sich um einen Textkörper, der das Schicksal der Nibelungen behandelte. Erst die Neuzeit brachte die Aufteilung in „Nibelungenlied“ und „-klage“, dazu an späterer Stelle mehr.

Seit der Wiederentdeckung im Jahre 1755 hat das Nibelungenlied eine wechselvolle Interpretationsgeschichte erlebt. Jakob Johann Bodmer, der erste Teile 1757 veröffentlichte, sah eine „Deutsche Ilias“[1] [2] in ihm, den studentischen Burschenschaften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts diente es als Quelle der Inspiration für ihr Anliegen der deutschen Nationenbildung. Der Komponist Richard Wagner nutzte Teile des Liedes für seinen 1876 erstmals in Bayreuth uraufgeführten „ Der Ring des Nibelungen“, auch wenn er sich inhaltlich in erster Linie auf skandinavische Nibelungendichtungen des 13. Jahrhunderts stützte. „Die „Homerisierung“ des ‚Nibelungenliedes‘, seine Auffassung als „Deutsche Ilias“, die Bodmer in den folgenden Jahren in einer langen Reihe von Publikationen entwickelte, prägte die Wahrnehmung und das Verständnis des Textes sowohl in der frühen germanistischen Forschung als auch in der populären Rezeption seit dem frühen 19. Jahrhundert, in der es zum Nationalepos der Deutschen gemacht wurde.“[3]

Bei der Interpretation der Figuren ging man lange Zeit von fest umrissenen ,komponierten, Charakteren aus, ihre im Text genannten Emotionen sollten Handlungsantrieb und Spiegel tiefster persönlicher Regungen sein. Dieser Interpretationsansatz stieß jedoch an seine Grenzen, denn die Figuren des Nibelungenliedes handeln bisweilen inkonsequent oder gar widersprüchlich, was sich mit der benannten Konzeption, die Protagonisten als geschlossen geformte Charaktere zu betrachten, nicht abschließend erklären ließ.

Als Gegenentwurf einer Analyse entwickelte Jan-Dirk Müller die „Nibelungische Anthropologie.“ In seiner These versucht er darzulegen, daß man einen mittelalterlichen Text wie das Nibelungenlied nicht ohne weiteres mit unserem neuzeitlichen Verständnis rezipieren könne. Unser Verständnis für Handlungsmotivationen könne bei der Analyse zu Schlüssen führen, die abseits des Verständnisses des mittelalterlichen Zeitgenossen wie auch der Konzeption des (unbekannten, aber de facto vorhandenen) Verfassers liegen.

Die Frage lautet nun, ob sich Müllers Konzept, dass er schlüssig zu belegen weiß, auch auf die Nibelungenklage übertragen lässt. „Lied“ und „Klage“ sind, von zwei Ausnahmen abgesehen, den Fassungen n und k, in den komplett erhaltenen Fassungen des Nibelungenepos stets als ein einheitlicher Text überliefert. Wenn die Forschung in Bezug auf Fragen nach dem Autor, Entstehungszeitpunkt und -ort bis heute z.T. verschiedene Auffassungen vertritt, so ist sie doch weitgehend einig, dass beide Texte, Nibelungenlied und –klage, stilistisch und inhaltlich deutlich zu unterscheiden sind.

Auf den folgenden Seiten werde ich mich eingehender mit dem Konzept Jan-Dirk Müllers befassen und die Frage erörtern, ob sich sein Konzept der „Nibelungischen Anthropologie“ auch auf die Konzeption der Klage übertragen lässt. Bei der Beantwortung dürfte entscheidend sein, in welcher Beziehung/Relation „Lied“ und „Klage“ zueinander stehen.

Die Beleuchtung der Entstehungsgeschichte des Nibelungenliedes wie auch der Nibelungenklage soll Anhaltspunkte liefern für die Beantwortung der Frage, ob “Klage“ und „Lied“ möglicherweise vom gleichen Autor angefertigt wurden, oder zumindest dem gleichen Entstehungskontext entspringen.

2. Das Nibelungenlied

Nibelungenlied und Nibelungenklage werden offensichtlich erst seit der Erforschung in der Neuzeit als zwei eigenständige Texte wahrgenommen. Von zwei Ausnahmen abgesehen, den Handschriften n und k, sind „Lied“ und „Klage“ ausschließlich in gemeinsamen Fassungen überliefert, der Textkorpus wurde so gestaltet, daß formal keine Unterschiede zwischen den beiden Einheiten erkennbar sind.[4] Man muß daher davon ausgehen, dass die Zeitgenossen beide als einen zusammenhängenden Text, als „Nibelungenkomplex“, rezipierten.[5]

2.1. Ursprung des Nibelungenliedes

Die uns heute bekannten schriftlichen Fassungen des Nibelungenliedes stammen aus dem 13. bis 16. Jahrhundert, die meisten von ihnen wiederum aus dem 14. Jahrhundert.[6] Verschiedene Anhaltspunkte legen den Schluss nahe, dass die erste Fassung zwischen 1190 und 1205 im süddeutschen Raum, wohl in der Gegend von Passau verfasst worden ist. Insgesamt haben wir heute Kenntnis von 35 Fassungen des Nibelungenliedes, die komplett oder in Fragmenten erhalten sind.[7]

Mit dem Beginn der Neuzeit erlischt das Interesse am Nibelungenlied, „man spricht nicht mehr davon, gelesen wird es nicht mehr, erst recht trägt man es nicht mehr vor.“[8] Eine Druckfassung des Epos wird erst durch J.J. Bodmer im 18. Jahrhundert angestoßen werden.

2.2. Das Wirken des Nibelungenstoffes

Die Motive des Nibelungenliedes setzen sich allerdings in anderen Werken fort. Erwähnt seien hier der Epos „Biterolf und Dietleib“, die ein halbes Jahrhundert später entstandene „Kudrun“, mit Ursprung in einem altem Brautwerbungslied der Wikinger und „eine Art Gegenentwurf zum Nibelungenlied“[9], oder der „Rosengarten“: „Besonders auffällig ist in dieser Erzählung, daß die Personen aus dem burgundischen Sagenkreis mit dem Hof von König Etzel verbunden werden – eine Kombination, die sonst nur das Nibelungenlied kennt. Man muß also annehmen, dass der „Rosengarten“ das Nibelungenlied als Hauptquelle benützt hat, oder er ist gar eine literarische Replik darauf.“[10]

Das „Lied vom Hürnen Seyfried“ entsteht Anfang des 16. Jahrhunderts und greift lediglich die Geschichte Siegfrieds auf, der Nibelungenuntergang ist nicht von Belang. Die Figur des Siegfried hingegen wird bis in die Neuzeit hinein in Erzählungen weitergetragen werden.[11]

2.3. Die Wiederentdeckung der Nibelungenhandschriften

Die neuzeitliche Rezeption des Nibelungenliedes beginnt in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Der Wundarzt und Philologe Jakob Hermann Obereit entdeckt im Jahre 1755 in einer privaten Bibliothek im österreichischen Hohenems, Vorarlberg, eine Handschrift des Nibelungenliedes. Obereit berichtet dem Schweizer Philologen und Schriftsteller Johann Jakob Bodmer von seinem Fund und empfiehlt diesem, die Abschrift der Handschrift zu veranlassen. Bodmer gibt den Fund im Jahre 1756 in der Zürcher Zeitschrift „Freymüthige Nachrichten von neuen Büchern und anderen zur Gelehrtheit gehörigen Sachen“ bekannt, ohne dabei Obereit noch weiter zu erwähnen.

Bei der Interpretation der Handschrift ging Bodmer soweit, Parallelen zur griechischen Ilias zu ziehen und sie in damit in den Rang deutscher Nationaldichtung zu rücken. Ferner unterteilte er das Epos in zwei Teile. Den ersten, später als „Nibelungenlied“ bekannt gewordenen, bezeichnete er als „poetisch unergiebig“, den zweiten, seiner Ansicht nach wertvolleren Teil veröffentlichte er 1757 unter dem Titel „Chriemhieldens Rache“.[12] Dieser Text ist uns heute als „Klage“ bekannt. Eine erste Gesamtausgabe des Liedes erschien erst im Jahre 1782 unter dem Titel: „Der Nibelungenliet: Ein Rittergedicht Aus dem XIII. oder XIV. Jahrhundert.“[13]

2.4. Das Nibelungenlied: Hintergründe des Inhalts

Das Nibelungenlied entspringt ursprünglich mündlich überlieferter Dichtung, auch wenn belegende Quellen fehlen. Elemente der Erzählung kann man der Zeit der Völkerwanderung zuordnen, so beispielsweise König „Etzel“, der dem Hunnenkönig Attila entspricht. Die Überprüfung der historisch belegbaren Details ergibt allerdings, dass diese allenfalls assoziativ zusammengefügt wurden, nicht aber eine historisch stichhaltige Handlung ergeben. Das Nibelungenlied war und ist wohl in erster Linie eine umfangreiche Erzählung des Mittelalters mit erinnernder und sicherlich auch unterhaltender Funktion.[14]

Einen klar formulierten Erzählanlaß oder eine zu vermittelnde Moral gibt das Nibelungenlied dem Leser nicht an die Hand.

„Der Autor des Nibelungenliedes ist kein Rebell. Man könnte mit besseren Gründen die Gegenthese vertreten: Die einzige Stelle die etwas wie eine soziale Missbilligung enthält, ist eine Kritik an Hagen, der gegen alle geltenden Regeln einen Gast getötet hat.“[15]

3. Die Nibelungenklage

3.1. Inhalt

Erzählerisch greift die Nibelungenklage das Ende des Nibelungenliedes auf. Das mörderische Inferno an Etzels Hof, mit dem das Nibelungenlied endet, bildet den Handlungs- und Erzählansatz der Nibelungenklage. Die Toten werden ausgiebig betrauert, anschließend bestattet. Ein Bote mit Namen Swemmel wird vom Hofe Etzels, dem Hunnenkönig, in die betroffenen Königreiche entsandt, um die Kunde über das Unglück an die betroffenen Höfe zu übermitteln. Wo man die Botschaft Swemmels vernimmt, ergeht man sich in ausgiebiger Klage über das Unglück.

[...]


[1] Badische Landesbibliothek Karlsruhe: „Uns ist in alten Mären“...“, Das Nibelungenlied und seine Welt, Darmstadt 2003 S. 29

[2] Badische Landesbibliothek: Nibelungenlied (2003), S. 167

[3] Badische Landesbibliothek: Nibelungenlied (2003), S. 29

[4] Schröder, Werner: Das Nibelungenlied und die Klage, Blatt 89, als Beispiel in der Handschrift C

[5] Schirok, Bernd: Der Untergang der Burgunden und seine christliche Deutung, „Nibelungenlied“ und „Nibelungenklage, In: Hinkel, Helmut (Hrsg.): Nibelungenschnipsel, Neues vom alten Epos zwischen Mainz und Worms, Mainz 2004, S. 265

[6] Deck, Monika: Die Nibelungenklage in der Forschung, Bericht und Kritik, Frankfurt/Main 1996, S.70

[7] Glunk, Fritz R.: Das Nibelungenlied, München 2002, S. 53

[8] Glunk, Fritz R.: Nibelungenlied (2002), S. 56

[9] Glunk, Fritz R.: Nibelungenlied (2002), S. 55

[10] Glunk, Fritz R.: Nibelungenlied (2002), S. 56

[11] Glunk, Fritz R.: Nibelungenlied (2002), S. 56

[12] Glunk, Fritz R.: Nibelungenlied (2002), S. 11

[13] Glunk, Fritz R.: Nibelungenlied (2002), S. 11

[14] Ehrismann, Otfrid: Nibelungenlied, Epoche – Werk - Wirkung, München 2002; S. 28

[15] Glunk, Fritz R.: Nibelungenlied (2002), S. 53

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Nibelungische Anthropologie. Ein Vergleich zur Konzeption der Emotionen in Nibelungenlied und Nibelungenklage
Hochschule
Universität zu Köln  (Seminar für deutsche Sprache und Literatur)
Veranstaltung
Einführung in die mittelhochdeutsche Sprache und Literatur
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
20
Katalognummer
V446245
ISBN (eBook)
9783668824928
ISBN (Buch)
9783668824935
Sprache
Deutsch
Schlagworte
nibelungische, anthropologie, vergleich, konzeption, emotionen, nibelungenlied, nibelungenklage
Arbeit zitieren
Nils Oliver Berger (Autor:in), 2005, Nibelungische Anthropologie. Ein Vergleich zur Konzeption der Emotionen in Nibelungenlied und Nibelungenklage, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/446245

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