Machtstrukturen im Kontext rechtlicher Betreuung


Ausarbeitung, 2017

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1 Einleitung
1.1 Theoretische Herleitung des Erkenntnisinteresses
1.2 Methodologische Verortung und Vorgehen

2 Beschreibung des Forschungsfeldes

3 Theoretische Begründung des Samplings

4 Theoretische Erarbeitung und Begründung der Erhebungsmethode „Gruppendiskussion“
4.1 Entstehung der Gruppendiskussion
4.2 Kollektive Orientierungsmuster
4.3 Methodologische Begründung der Gruppendiskussion
4.4 Grenzen der Erhebungsmethode „Gruppendiskussion“

5 Theoretische Erarbeitung und Begründung der Auswertungsmethode “Grounded Theory”

6 Quellenverzeichnis

Einleitung

Soziale Arbeit ist ohne eine differenzierte Auseinandersetzung mit Macht inzwischen nicht mehr denkbar (vgl. Staub-Bernasconi 2007, S. 395f.; vgl. Kessl 2006, S. 72; vgl. Kraus/Krieger 2016, S. 10). In unserem Arbeitsalltag haben wir festgestellt, dass Macht in der Sozialen Arbeit unser tägliches Handeln beeinflusst, gestaltet und (re)produziert. So bewegen wir uns im Umgang mit unseren KlientInnen, Vorgesetzten oder AuftragsgeberInnen, als SozialarbeiterInnen in einem ständigen Drahtseilakt zwischen Hilfe und Kontrolle. Zudem spiegelt sich die Arbeit im Spannungsverhältnis von Einzel- zu Gemeinwohl in der aktuellen internationalen Definition der Sozialen Arbeit wider, wenn dort der Schwerpunkt gesetzt wird, die „gesellschaftliche[n] Veränderungen, soziale[n] Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen“ voranzutreiben ( zit. n. dbsh 2016).

Im Rahmen unserer Forschung werden wir uns näher mit dem Thema „Macht“ im Handlungsfeld der rechtlichen Betreuung beschäftigen. Hierfür soll das Wissen und die Erfahrungen auf den Ebenen der KlientInnen, MitarbeiterInnen und Führungskräfte gesammelt werden. Dies soll in Form von je einer Gruppendiskussion in den drei verschiedenen Ebenen geschehen. Die Ergebnisse werden mit dem Kodierverfahren der Grounded Theory ausgewertet und interpretiert.

Einleitend wird unser Erkenntnisinteresse vor dem Hintergrund der Machttheorien von Silvia Staub-Bernasconi, Max Weber und Michel Foucault theoretisch hergeleitet. Im Anschluss daran folgt die methodologische Verortung unseres Vorhabens am Paradigma der Grounded Theory, ohne diese jedoch als allumfassende Forschungshaltung zu verwenden.

1.1 Theoretische Herleitung des Erkenntnisinteresses

Im wissenschaftlichen Diskurs hat die Auseinandersetzung mit der Frage nach Machtverhältnissen innerhalb der Sozialen Arbeit lange Zeit wenig Beachtung gefunden. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt in dem antiautoritären Ursprung der Disziplin; Macht wurde hier oftmals gleichgesetzt mit Repression (vgl. Kraus/Krieger 2016, S. 10). Durch neuere Ansätze - wie etwa dem Erstarken des Empowerment als der Selbstbemächtigung - hat auch innerhalb der scientific community ein Prozess der Umwertung des Machtbegriffs begonnen. Den Anlass dieser neuen kritischen Auseinandersetzung mit dem Machtbegriff liefert die Neoliberalisierung des Sozialstaates, etwa in Form der Neuen Steuerung seit den 1990er Jahren (vgl. Kessl 2006, S. 70). Nicht nur die AdressatInnen, sondern auch die SozialarbeiterInnen sind somit den aktuellen Machtverhältnissen unterworfen. Andererseits sind sie AkteurInnen, die aktiv an der Reproduktion genau dieser Machtverhältnisse beteiligt sind. Aktuelle Entwicklungen wie z.B. die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich sowie die Einsparungen und Umstrukturierungen im sozialen Bereich bewirken eine Ressourcenknappheit sowohl bei den KlientInnen als auch bei den Trägern der Sozialen Arbeit. Gesellschaftliche Verantwortung wird im Neoliberalismus zurückgewiesen und als Problem der Einzelnen umdefiniert. Diese Entwicklung macht sich zum Beispiel auch in den (prekären) Arbeitsbedingungen der unterschiedlichen Felder in der Sozialen Arbeit bemerkbar. Dementsprechend ist es umso wichtiger, dass handlungstheoretisches Wissen für die Soziale Arbeit erarbeitet wird, um Machtverhältnisse kritisch zu reflektieren und, wie schon in der Definition zur Sozialen Arbeit deutlich wurde, sich für solidarische Verhältnisse und die Autonomie des Individuums einzusetzen.

Max Weber war der erste Theoretiker, der den Machtbegriff nachhaltig prägte und viele sozialwissenschaftliche Theorien haben seitdem auf ihn Bezug genommen (vgl. Pankofer/Sagebiel 2015, S. 27). Weber versteht Macht als „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ (Weber 1984, S. 89 zit. n. Pankofer/Sagebiel 2015, S. 27). In diesem prominenten Zitat sind vier bedeutsame Merkmale enthalten. Macht ist demnach (a) eine Handlungsoption, (b) eine Interaktion, (c) auf Basis von Freiwilligkeit des Machthabenden einerseits und (d) möglichem Widerstand des Machtunterlegenen andererseits. Hiervon unterscheidet Weber den Herrschaftsbegriff, welcher strukturell und personenunabhängig funktioniert (vgl. Weber 1921, S. 38 zit. n. Pankofer/Sagebiel 2015, S. 28). Diese Unterscheidung rezipieren diverse sozialwissenschaftliche Theorien als ersten Ausgangspunkt, um von dort aus eigene Machttheorien zu formulieren.

In der aktuellen Theorieproduktion zur Macht in der Sozialen Arbeit werden unterschiedliche Ebenen von Macht bestimmt. Das bedeutet allerdings nicht, dass diese Ebenen in der Praxis nicht vermischt werden. Es dient eher dazu, in der Theoriebildung einen Schwerpunkt zu setzen, um diese für einen praxisbezogenen Ansatz fruchtbar machen zu können. Hier setzt unser Forschungsinteresse an: Von den Praxiserfahrungen der AkteurInnen der Sozialen Arbeit ausgehend, hier exemplarisch anhand des Arbeitsfeldes der gesetzlichen Betreuung, wollen wir das spezifische Charakteristikum der Macht in der Sozialen Arbeit herausarbeiten: Wie entstehen Machtverhältnisse in der Sozialen Arbeit? Wie sind sie zu werten? Wie unterscheidet Macht sich auf den unterschiedlichen Ebenen? Gibt es einen gemeinsamen Nenner? Wie wird Macht „gemacht“?

Im wissenschaftlichen Diskurs der Theorien über Macht in der Sozialen Arbeit gibt es unterschiedliche Ansätze wie Macht definiert wird, wie sie entsteht und welche Funktion sie innehat. Eine weitere Unterscheidung der Macht nimmt Sylvia Staub-Bernasconi in ihrer Handlungstheorie vor. Bezugnehmend auf Popitz und Ahrend differenziert sie zwischen der „Behinderungs- und Begrenzungsmacht“ (Staub-Bernasconi 2007, S. 378). Behinderungs- und Begrenzungsmacht beschreibt sie als „Sets von Regeln“, die einerseits „menschenbehindernde, illegitime“ und andererseits „menschengerechte“ und „legitim begrenzende“ Strukturen verfestigen (Staub-Bernasconi 2007, S. 381). Laut dieser Definition wird deutlich, dass Staub-Bernasconi Macht genauso als einen Prozess beschreibt, der aktiv in Interaktionen gemacht wird. Ob in unserem Forschungsprojekt diese Differenzierung der Macht von Bedeutung ist, wird sich herausstellen.

Des Weiteren finden in den letzten zehn Jahren die Analysen Michel Foucaults vermehrt Eingang in den Diskurs um Macht (und Herrschaft) in der Sozialen Arbeit (vgl. Kessl 2007, S. 211; vgl. Pankofer/Sagebiel 2015, S. 86f.). Foucaults Konzept der sogenannten „Gouvernementalität” eröffnet für die Soziale Arbeit neue Perspektiven auf komplexe Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Foucault betont, dass sich das Regieren in der gegenwärtigen Gesellschaft gewandelt hat und alle möglichen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens (einschließlich des individuellen Denkens und Handelns) einschließt. Gerade diese Analyse könnte für unsere Forschungsfrage spannend sein. In der Sozialen Arbeit soll darauf hingearbeitet werden, dass die professionelle Hilfe die Handlungsmöglichkeiten der AdressatInnen erweitert und keine Handlungen aufzwingt. Die Grenze, inwiefern in dieser Beziehung das Verhalten der AdressatIn selbst- oder fremdgesteuert wird, verwischt dabei. In der Sozialen Arbeit findet Regieren demnach indirekt statt und die AdressatInnen empfinden die erarbeiteten Handlungsoptionen als Möglichkeit sich autonom zu entscheiden (vgl. Anhorn 2016, S. 308f.). Ob Foucaults Machtanalysen für unsere Untersuchung relevant sind, wird sich aus unseren Erhebungsdaten herausstellen.

1.2 Methodologische Verortung und Vorgehen

Bei der Eingrenzung der Fragestellung und der theoretischen Herleitung wird deutlich, dass es kaum spezifische Theorien hinsichtlich des Erkenntnisinteresses gibt. Zum Thema „Macht im Handlungsfeld der rechtlichen Betreuung“ kann das Wissen aller Beteiligten mit Hilfe der einer Grounded Theory (im Folgenden GT) erforscht werden. Die GT bietet die Möglichkeit, einen Bereich zu untersuchen, ohne dass zu Beginn der Forschung eine Theorie über diesen besteht. Vielmehr wird induktiv aus den erhobenen Daten eine gegenstandsverankerte (grounded) Theorie entwickelt (vgl. Strauss/Corbin 1996, S. 7f.). Das Erkenntnisinteresse ist im Sinne einer GT zunächst weit gefasst, da sie nur das Phänomen festlegen soll, das untersucht wird (vgl. Strauss/Corbin 1996, S.23). Die GT ist ein qualitatives Forschungsprogramm, welches den Anspruch erhebt, die in der 1960er Jahren immer größer werdende Kluft zwischen „Grand Theories“ und quantitativer Forschung zu überwinden und sich wissenschaftlich wieder der Realität zuzuwenden (vgl. Lamnek 2005b, S. 101). Entwickelt wurde dieser Ansatz maßgeblich von Barney Glaser und Anselm Strauss mit der Veröffentlichung ihres Werkes „The Discovery of Grounded Theory“ im Jahre 1967. Ihr wissenschaftlicher Hintergrund speist sich unter anderem aus dem Symbolischen Interaktionismus nach George Herbert Mead. Blumer erläutert diesen so, dass Menschen Dingen gegenüber auf der Grundlage der Bedeutung, die sie für sie haben, handeln würden. Erst durch die soziale Interaktion entstehe somit die Bedeutung der Dinge. (vgl. Blumer 1973, S. 83) Auch der Amerikanische Pragmatismus nahm Einfluss auf die GT. Seine bedeutendsten Vertreter waren George Herbert Mead, John Dewey und Charles Sanders Pierce. Ihr Ausgangspunkt für die Bildung einer Theorie war der handelnde Mensch. Sie wollten nicht nur Hypothesen überprüfen, sondern neues theoretisches Wissen ausgehend vom Menschen generieren. (Vgl. Alheit 1999, S. 2) Bei der GT handelt es sich somit nicht nur um ein Forschungsprogramm oder eine Methodologie, sondern vor allem auch um einen Forschungsstil.

Ein entscheidendes Element der Grounded Theory ist das theoretische Sampling. Wir haben jedoch bereits in Kapitel 3 ein Sampling vorstrukturiert. Die Grounded Theory wird hier also nicht mehr im herkömmlichen Sinne angewendet, sondern in erster Linie als Auswertungsmethode genutzt werden. Die Methode der Datenauswertung mit Hilfe des Kodierens ist das Kernelement der GT und wird in Kapitel 5 näher erläutert. Durch die Anwendung eines vorstrukturierten Samples und die Entscheidung für eine Gruppendiskussion als Erhebungsmethode, ist der Prozess schon sehr klar strukturiert, was nicht im eigentlichen Sinne der GT entspricht. Ihre Elemente sind jedoch hilfreich, um eine komplexe soziale Wirklichkeit abzubilden. Durch sie ergibt sich während des Forschungsprozesses jederzeit die Möglichkeit, erneut Daten zu erheben und zu reflektieren, auch über die Gruppendiskussion hinaus.

In der GT wird der theoretischen Sensibilität eine große Bedeutung zugeschrieben. Diese bezeichnet die Fähigkeit des Forschers, während des Forschungsprozesses ein Bewusstsein für die Bedeutung in den Daten zu entwickeln (vgl. Strauss 1996, S. 25). Die Entwickler der GT sind sich jedoch uneinig, was den Umgang mit theoretischem Vorwissen bezüglich des Forschungsgegenstandes betrifft. Strübing stellt hierzu fest, dass Strauss - im Gegensatz zu Glasers Argumentation - eine Dialektik zwischen Theorie und Empirie entwickelt. Somit würde theoretisches Vorwissen schlüssig ins Verfahren integriert, wohingegen Glaser theoretische Codes durch die Hintertür an die Daten herantrage (vgl. Strübing 2011, S. 274). Für uns ergibt sich ohnehin nur die Möglichkeit der Orientierung an Strauss, da wir als Modulvorgabe eine theoretische Herleitung erstellen müssen.

Es gibt zwei Komponenten die das Forschungsdesign und die Auswahl des Vorgehens wesentlich beeinflussen: die GT und die Semesterplanung. Durch die vorstrukturierte Planung der Module im Masterstudiengang ergeben sich bestimmte feste Strukturen, die eine Arbeit mit der GT im eigentlichen Sinne in Bezug auf unser Erkenntnisinteresse erschweren. Eine völlig offene Haltung dem Prozess gegenüber ist aufgrund der Vorgaben nicht möglich, so dass wir beispielsweise unser Sample vorstrukturieren. Somit erfolgt auch kein klassisches theoretisches Sampling, da wir mit der Erhebung der Daten zeitlich gebunden sind und eine genaue Planung zur Durchführung erforderlich ist. Dennoch können wir ggf. Daten nacherheben und diese jederzeit mit einfließen lassen. Die Erhebung erfolgt durch die Methode der Gruppendiskussion, die in Kapitel 4 näher dargestellt wird. Zunächst ist jedoch eine genauere Betrachtung des Forschungsfeldes notwendig, die im folgenden Kapitel vorgenommen wird.

2 Beschreibung des Forschungsfeldes

Die Soziale Arbeit bietet ein diverses und vielschichtiges Aufgabenfeld. Um möglichst Vergleichbarkeit hinsichtlich Arbeitsgrundlage, Auftrag und Tätigkeit zu generieren, ist eine Fokussierung auf ein bestimmtes Arbeitsfeld hierbei sinnvoll.

Für unsere Forschung haben wir den Arbeitsbereich der rechtlichen Betreuungen nach dem Betreuungsgesetz (BTG) ausgewählt. Das Thema Macht hat in diesem Arbeitsbereich sozialer Arbeit schon aufgrund der jüngeren Geschichte eine besondere Bedeutung. Vor 1992 galt das Vormundschaftsgesetz in seiner Form und war stark durch die Entmündigung von Betroffenen geprägt. Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur “Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige” am 01.01.1992 wurde versucht, einen Schritt in Richtung der Selbstbestimmung von zu Betreuenden zu machen (Kreis Soest 2008, S. 7). Für unser Erkenntnisinteresse ist dieses Arbeitsfeld besonders gut geeignet. Rechtlichen Betreuung weisen wichtige Elemente der in Kapitel 1 beschrieben Vorüberlegungen zu den verschiedenen Aspekten von Machtbeziehungen auf. Das Thema ist auf den unterschiedlichen Ebenenen (KlientInnnen, MitarbeiterInnen und Leitung) gut erforschbar, da Macht potentiell in allen drei Bereichen von allen drei Personengruppen ausgeübt wird. Dabei ist zunächst die Beziehung zwischen BetreuerIn und Betreuter/m von Interesse: Das Verhältnis von betreuter Person zu Betreuendem basiert auf wechselseitigen Aufträgen und Anforderungen, welche sowohl be- als auch entlastend die Beziehung bestimmen können. Ein besonderes Merkmal hierbei ist die Tatsache, dass das Betreuungsverhältnis stets gerichtlich veranlasst wird, und spiegelt somit den öffentlichen Auftraggeber der Sozialen Arbeit und die darin enthaltene Hierarchie wider. Zudem ist es in Anbetracht des Forschungsinteresses vorteilhaft, einen Arbeitsbereich zu untersuchen, dessen AdressatInnen sich auf volljährige Personen konzentrieren, da Minderjährige schon auf gesetzlicher Grundlage in einem stärkeren Abhängigkeitsverhältnis stehen. Auch die Machtverhältnisse von Mitarbeitendem und Leitung lassen sich im beschriebenen Feld gut erforschen. Durch die ambulante Tätigkeit ist dem Mitarbeitenden mehr Gestaltungsraum der Arbeit geboten. Gleichzeitig gibt es gewisse rechtliche Vorgaben und trägerinterne Standards sind einzuhalten.

Die rechtliche Grundlage für Betreuungen findet sich in den §§1896ff BGB. Die Personengruppe derer, die unter Betreuung stehen, ist eine sehr heterogene. Voraussetzung für eine Betreuung ist einerseits die Volljährigkeit der Person, andererseits eine psychische Krankheit oder eine körperliche, geistige oder seelische Behinderung, welche die Person in einem solchen Maße einschränkt, dass sie oder er nicht mehr in der Lage ist, seine oder ihre Angelegenheiten selbstständig zu regeln (§1986 BGB). In einem solchen Fall “bestellt das Betreuungsgericht […] für ihn einen Betreuer“ (§1986 BGB). Generell gilt, dass eine Betreuerin oder ein Betreuer auf Antrag der zu betreuenden Person bestellt wird (§1896 BGB). Maßgebend für den Wirkungskreis einer Betreuung sind die Bereiche, in denen tatsächlich Unterstützung benötigt wird (§1896 BGB), beispielsweise Finanzen, Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge oder die Vertretung gegenüber Behörden. Wie eine Betreuung abläuft, ist sehr individuell. In den §§ 1896ff BGB wird vor Allem beschrieben und geregelt, welche Voraussetzungen eine Betreuerbestellung hat, wie diese abläuft und welche Handlungen zu genehmigen sind, oder welche nicht. Jedoch konkrete Anweisungen, wie die individuelle Betreuung zu führen ist, sucht man vergebens. In § 1901 BGB sind Umfang der Betreuung und Pflichten des Betreuers aufgeführt. Wie häufig in Gesetzestexten werden hier eine Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen aufgeführt. Maßgebend für die Betreuungsarbeit soll Wille und Wohl der zu betreuenden Person sein. Weitere Grundsätze der Betreuung unterscheiden sich je nach zuständigem Amtsgericht und den dazugehörigen Richtern und Rechtspflegern teils drastisch.

Für den Beruf als gesetzliche Betreuung gibt es keinen vorgeschriebenen Berufsabschluss, Voraussetzung ist lediglich, dass die Person „[…] geeignet ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen […]“ (§1897 BGB). In der großen Zahl der BerufsbetreuerInnen und ehrenamtlichen BetreuerInnen sind sämtliche Berufsabschlüsse und Studienabschlüsse vorhanden, besonders bei den ehrenamtlich tätigen BetreuerInnen ist keine Einheitlichkeit gegeben, bezogen auf die qualifizierenden Abschlüsse. Betreuungsvereine hingegen setzten verstärkt auf SozialarbeiterInnen oder SozialpädagogInnen.

Den größten Teil der Betreuungen mit 49,72% bestreiten Familienangehörige betroffener Personen, den anderen Löwenanteil übernehmen selbstständige BerufsbetreuerInnen mit 37,73%. Die verbliebenen Betreuungen werden zu einem fast gleichen Teil von 6% durch sonstige ehrenamtliche BetreuerInnen und VereinsbetreuerInnen geleistet. Auf die Betreuungsbehörden entfallen lediglich 0,17% (Deinert 2016, S. 218). Auch wenn die Betreuungsvereine mit ca. 6 % einen recht geringen Teil der BetreuerInnen ausmachen, ist es sinnvoll dort TeilnehmerInnen für unsere Forschung zu akquirieren, da die Wahrscheinlichkeit, die größte Zahl von ausgebildeten Fachkräften zu finden, insbesondere von SozialarbeiterInnen, bei Vereinen am höchsten ist. Zudem erschien es uns interessant, auch die Abhängigkeitsverhältnisse der BerufsbetreuerInnen zu ihren Arbeitgebern zu thematisieren, da Macht in diesem Bereich das eigene Handeln stark beeinflussen kann. Deshalb kam nur die Gruppe der VereinsbetreuerInnen in Frage, da diese einer Leitung unterstellt sind.

Für unsere Forschung beschränken wir uns auf das Bundesland Hamburg, in welchem im Jahr 2015 rund 26.000 Personen rechtlich betreut wurden. Mit 14,72 Betreuten je 1.000 Einwohnern liegt Hamburg im Bundesdurchschnitt mit dieser Zahl im unteren Drittel. Jedoch ist zu beachten, dass die Anzahl der Betreuungsverfahren in lediglich 5 Bundesländern im Vergleich zum Jahr 2014 anstiegen, Hamburg ist eines dieser Bundesländer (vgl. Deinert 2016, S. 218). Die Hamburger Betreuungsvereine teilen sich das Stadtgebiet in den Bezirken untereinander auf. Ansprechpartner sind die GeschäftsführerInnen oder FachbereichsleiterInnen der jeweiligen Vereine.

Wie die explizite Zusammenstellung der TeilnehrmerInnen der einzelnen Gruppendiskussionen geschehen soll, wird im folgenden Kapitel zum Sampling erläutert.

3 Theoretische Begründung des Samplings

Im Folgenden wird erörtert, anhand welcher theoretischen Vorüberlegungen das Sampling erstellt werden soll. Wie die Ausführungen in Kapitel 1 bereits aufgezeigt haben, sollen dabei die verschiedenen Ebenen der Macht im Arbeitsfeld der rechtlichen Betreuung in den Blick genommen werden. Dies soll sich im Sampling widerspiegeln. Das Forschungsdesign ist dabei explorativ und hypothesen- beziehungsweise theoriegenerierend angelegt.

Es sollen zunächst drei Gruppendiskussionen durchgeführt werden. Jede dieser Gruppen repräsentiert eine Ebene im Rahmen der Sozialen Arbeit: Es soll eine Gruppe von KlientInnen der Sozialen Arbeit in der durchzuführenden Untersuchung exemplarisch aus dem Feld der gesetzlich Betreuten befragt werden. Ferner soll eine Gruppe aus MitarbeiterInnen dieses Tätigkeitsfeldes gesampelt sowie schließlich die Leitungsebene von Trägern, die gesetzliche Betreuung anbieten, als dritte Diskussionsgruppe zusammengestellt werden. Anhand dieser Gruppen soll erforscht werden, wo beziehungsweise zwischen welchen AkteurInnen sich Machtverhältnisse manifestieren wie sie durch die Beteiligten erfahren und bewertet werden, um so gegebenenfalls ein allgemeines Charakteristikum der Machtverhältnisse abzuleiten. Hinsichtlich der Gruppenzusammensetzungen gilt es dabei zunächst die Kriterien der Hetero- und Homogenität des Samplings festzulegen. Während Lamnek (2005a, S. 106) Heterogenität, z.B. basierend auf soziodemographischen Kriterien, als zentralen Aspekt der Gruppenzusammensetzung benennt, zielt die vorliegende Arbeit, basierend auf den Empfehlungen von Kühn/Koschel (2011, S. 80), auf „das richtige Spannungsverhältnis zwischen Homogenität und Heterogenität“ ab. Heterogenität sollte hinsichtlich der folgenden Kriterien gegeben sein, um wie Kühn/Koschel (ebd.) schreiben, „ein möglichst weites Spektrum an lebensgeschichtlichen Hintergründen der Befragten einzubeziehen, damit Rückschlüsse auf eine breite Zielgruppe ermöglicht werden“ (ebd., S. 81). Auf allen drei Ebenen soll die Gruppenzusammensetzung hinsichtlich Alter und Geschlecht möglichst heterogen sein. Zudem soll auf Ebene der KlientInnen die Dauer der Betreuung, auf MitarbeiterInnen- sowie auf Leitungsebene die Tätigkeit im Feld, eine Varianz aufweisen. Homogenität besteht innerhalb der Gruppen durch das Clustern der Befragten auf Basis ihrer Stellung innerhalb des Feldes. So soll etwa gewährleistet werden, dass die TeilnehmerInnen jeder Diskussionsrunde hinsichtlich ihres sprachlichen und inhaltlichen Wissensstandes weitgehend homogen sind.

Mit Kühn/Koschel (ebd., S. 86) übereinstimmend soll der Empfehlung des Arbeitskreises für qualitative Forschung (AKQua) des Berufsverbands Deutscher Markt- und Sozialforscher (BVM) mit einer jeweiligen Gruppengröße von acht Teilnehmenden gefolgt werden, um ausreichende Gesprächsatmosphäre bei der Möglichkeit adäquater Beteiligung aller Befragten zu gewährleisten.

Da es bei dem vorliegenden Erkenntnisinteresse um persönliche Erfahrungen von Macht geht, setzen sich die Gruppen idealerweise aus Ad-hoc-Gruppen zusammen. Ad-hoc-Gruppen unterscheiden sich von Realgruppen darin, dass sich die Teilnehmenden im Vorfeld nicht bekannt sind und somit keine früheren Gruppendynamiken die Gruppendiskussion beeinflussen (ebd., S. 76), in Realgruppen dagegen kann das Bedürfnis, die Diskussion strategisch zu nutzen, den Diskussionsverlauf negativ beeinflussen. Ein weiterer maßgeblicher Vorteil hier Ad-hoc-Gruppen zu befragen besteht darin, dass es durch das erste Zustandekommen des Austauschs vermieden werden kann, dass für die Fragestellung interessante Aspekte nicht erwähnt werden, weil sie unter den Gruppenbeteiligten als „common sense“ gelten (Lamnek 2005a, S. 107ff.).

Eine erste Fallauswahl erfolgt also auf der Grundlage des in Kapitel 2 dargestellten Feldes. Die Träger werden auf der Grundlage ihrer Tätigkeit im Feld der rechtlichen Betreuung ausgewählt. Zu einigen von diesen bestand bereits im Vorfeld der hier geplanten Studie Kontakte aufgrund früherer Zusammenarbeit im praktischen, beruflichen Kontext. Gegebenenfalls sollen dann mithilfe des Snowball-Samplings über die angesprochenen Träger potentielle DiskussionsteilnehmerInnen für jede der drei Ebenen rekrutiert werden. Während dieses Vorgehen auf der einen Seite einen einfachen Zugang zum Feld ermöglicht, bringt es auf der anderen Seite das Problem mit sich, innerhalb bestimmter Netzwerke mit charakteristischen Eigenschaften zu verbleiben, welche sich ggf. gegenseitig beeinflussen (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014, S. 184). Die Tatsache, dass an verschiedene Träger herangetreten wird, ebenso die Beachtung der oben genannten Kriterien hinsichtlich Heterogenität und Homogenität, sollten diesen Nachteil jedoch ausgleichen, mindestens jedoch reduzieren. Die Fallauswahl ist schließlich dahingehend repräsentativ, als dass sie eine theoretisch begründete Auswahl aller möglichen zu untersuchenden Fälle darstellt (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014, S. 177).

4 Theoretische Erarbeitung und Begründung der Erhebungsmethode „Gruppendiskussion“

Da wir mit unserer Forschung so offen wie möglich rekonstruieren wollen, wie Strukturen von Macht in der Sozialen Arbeit am Beispiel der rechtlichen Betreuung entstehen, erscheint die Gruppendiskussion als Erhebungsmethode gut geeignet. Andere Methoden, wie etwa das Narrative Interview, legen ihren Schwerpunkt auf biografische, individuelle Erkenntnisse. Dies ist jedoch hier nicht das Forschungsinteresse. Vielmehr steht die Erfassung einer kollektiven Tendenz der Sicht auf Machtstrukturen in der jeweiligen Hierarchiegruppe im Vordergrund. Die Methode des Leitfaden gestützten Einzelinterviews wäre durchaus in Frage gekommen (und war erste Wahl), wurde aber schnell zugunsten der Gruppendiskussion verworfen.

Das Gruppendiskussionsverfahren ist mittlerweile als Standardverfahren und ernsthafte Alternative zu den in der qualitativen Sozialforschung dominanten Einzelinterviews anerkannt (vgl. Bohnsack et al. 2010, S. 7). Die Bedeutung der Methode wuchs seit den 1950er Jahren, doch bis in die 1990er Jahre fehlte es an methodologischer und methodischer Absicherung (vgl. Lamnek 1998, S. 5, zit. n. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014, S. 88). Mittlerweile ist die Auseinandersetzung mit der Gruppendiskussion in Form diverser Aufsätze und Monografien dokumentiert (vgl. ebd.). Die besondere Stärke der Methode liegt in der Möglichkeit, kollektive Orientierungen zu rekonstruieren, nicht nur individuelle Meinungen zu erheben. Als Methode zur Erhebung kollektiver normativer Orientierungen eignet sich die Gruppendiskussion hervorragend für das Erkenntnisinteresse, Machtstrukturen in der Sozialen Arbeit am Beispiel der rechtlichen Betreuung zu erforschen. Die Methode ermöglicht es, implizites Wissen und schwer zugängliche Einstellungen wie etwa moralische Orientierungen beobachtbar zu machen (vgl. Bohnsack et al. 2010, S. 13).

Bevor dies methodologisch begründet wird, folgt zunächst ein kurzer Einblick, wie die Gruppendiskussion als Erhebungsmethode in Deutschland entstanden ist. Schließen wird das Kapitel mit einer Diskussion der Grenzen dieser Methode.

4.1 Entstehung der Gruppendiskussion

Ursprünglich stammt die Gruppendiskussion als Erhebungsmethode aus dem angloamerikanischen Raum und sollte die mit viel Zeitaufwand verbundenen Einzelinterviews ökonomischer gestalten, dabei aber weiter die individuellen Meinungen und Einstellungen einzelner TeilnehmerInnen herausarbeiten (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014, S. 89). In Deutschland geht sie auf Pollock (1955) und Mangold (1960) zurück und wurde von Nießen (1977) und Bohnsack (1989) weiterentwickelt. Pollock begann die Methode der Gruppendiskussion zu erarbeiten, da es in der Umfrageforschung Kritik an Einzelinterviews gab, die Erhebung der Einzelmeinung aber dennoch von zentraler Bedeutung war (vgl. Vogl 2014, S. 582). Im Folgenden werden die vier unterschiedlichen Ausrichtungen kurz ausgeführt:

Pollock (1955) arbeitete mit Gruppendiskussionen, um individuelle nicht-öffentliche Meinungen zu erfassen. Dabei steht die Sicht des Individuums im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. Die Gruppe ist lediglich Mittel zum Zweck, um an die nicht-öffentlichen Einstellungen der Einzelpersonen zu gelangen. Erst durch den Kommunikationsprozess innerhalb der Gruppe würden die oftmals vagen Meinungen der Teilnehmer deutlich (vgl. Lamnek 2005a, S. 55f.).

Bei Mangold (1960) rückt die Sicht der Gruppe in den Mittelpunkt. Sein Hauptinteresse galt der Erforschung informeller Gruppenmeinungen. Der noch von Pollock angestrebte „Erkenntniswert von Gruppendiskussionen zur Ermittlung individueller Meinungen und Einstellungen […] wird von Mangold fast kategorisch bestritten“ (Lamnek 2005a, S. 56). Statt individuelle Meinungen zu Tage zu fördern, komme es laut Mangold bei einer Gruppendiskussion durch die gegenseitige Beeinflussung der Teilnehmenden zu einer kollektiven Meinung. Die informelle Gruppenmeinung ist der durch diese wechselseitige Beeinflussung während der Diskussion entstehende Konsens der Gruppe (ebd., S. 57). Eine Einzelmeinung ist hierbei vor allem als Teil der Gruppenmeinung interessant. Das Neue seines Ansatzes liegt darin, dass er von einem Verhaltensmodell ausgeht, „bei dem der situationsbedingten Gruppenkontrolle eine konstitutive Bedeutung für das individuelle Verhalten und für individuelle Meinungen und Einstellungen beigemessen wird“ (Lamnek 1995b, S. 143, zit. n. Lamnek 2005a, S. 57). Eine kollektive Meinung ist eben nicht die Summe von Individualmeinungen, die entweder einzeln oder zeitsparend innerhalb einer Gruppe erhoben werden können.

Wie entscheidend die jeweilige Gruppensituation für die Entstehung einer kollektiven Meinung ist, wird durch Nießen (1977) in den Fokus gerückt. Sein Interesse gilt der situationsabhängigen Gruppenmeinung. Diese wird in jeder einzelnen Handlungssituation neu verhandelt. Zentraler Forschungsgegenstand in einer Gruppendiskussion sind für Nießen „die Sinnzusammenhänge und Bedeutungszuschreibungen der Diskussionsteilnehmer“ (Lamnek 2005a, S. 58). Zugrunde gelegt wird die Auffassung, dass sich „gesellschaftliche Realität nicht durch den Einsatz von Einzelinterviews erfassen lässt, sondern allein in sozialen Gruppensituationen“ (ebd.). Nießen plädiert für die Arbeit mit Realgruppen, um die Alltagsnähe der Gesprächssituation noch zu verstärken und damit leichter die Ergebnisse in die Praxis transferieren zu können. Argumente gegen den Einsatz von Realgruppen können in Kapitel 3 Sampling nachgelesen werden.

Bohnsack (1989) entwickelt den Ansatz von Mangold weiter und stellt die Interpretation kollektiver Orientierungsmuster ins Zentrum der Analyse.

4.2 Kollektive Orientierungsmuster

An der Interpretation kollektiver Orientierungsmuster wird sich unsere Forschungsgruppe orientieren. Bohnsacks Ansatz folgend gehen wir davon aus, dass Gruppendiskussionen im Gegensatz zu anderen Erhebungsmethoden nicht zunächst individuelle Haltungen erfassen, um daraus nachträglich auf kollektive Sachverhalte schließen zu wollen. Gruppendiskussionen ermöglichen vielmehr einen unmittelbaren „empirisch überprüfbaren Zugang zu kollektiven Orientierungen, die auch jenseits der Gruppendiskussion […] wirken“ (Lamnek 2005a, S. 59). Dies ist möglich, da die Gruppenmeinungen „in der Diskussionssituation nicht erst produziert, sondern lediglich aktualisiert [werden]“ (ebd.). Mangold und Bohnsack gehen davon aus, dass sich diese Meinungen bereits im Alltag der Mitglieder gleicher sozialer Milieus ausgebildet haben, ohne dass diese Menschen sich persönlich kennen müssen (ebd.). Sie teilen einen gemeinsamen Erfahrungshintergrund, der sich dann in der Diskussion „durch die wechselseitige Steigerung und Ergänzung der Teilnehmer“ zur „ empirischen Evidenz des Kollektiven “ manifestiert (ebd.).

Bohnsack hat ein eigenes Auswertungssystem entwickelt (vgl. Bohnsack/Przyborski 2010, S. 233-248 oder Schäffer 2010, S. 285-299). Dieses werden wir nicht nutzen und stattdessen mit der Grounded Theory arbeiten (vgl. Kapitel 5).

4.3 Methodologische Begründung der Gruppendiskussion

Wie bereits erwähnt hat die Gruppendiskussion im Vergleich zu anderen Verfahren der Meinungserhebung bis heute eine untergeordnete Bedeutung. Es gibt kaum Verschriftlichungen zu methodologischen Überlegungen und Entwicklungen (vgl. Lamnek 2005b, S. 410f.). Man unterscheidet im Allgemeinen zwischen vermittelnden und ermittelnden Gruppendiskussionen. Bei der ermittelnden Gruppendiskussion stehen „die Angaben, die die Gruppenteilnehmer im Verlaufe einer Sitzung machen, bzw. die Gruppenprozesse, die zur Äußerung einer bestimmten Meinung oder Einstellung führen, […] im Mittelpunkt des Interesses der Forscher“ (Lamnek 2005b, S. 412f.). Wir werden uns mit der ermittelnden Gruppendiskussion beschäftigen.

Gruppendiskussionen sollen Kommunikationsprozesse in die Wege leiten, die möglichst Alltagsgesprächen ähneln und somit einen realistischen Austausch von Argumenten und Meinungen darstellen. Dadurch gleichen sie eher realen Gesprächssituationen als narrative Einzelinterviews und bieten die Chance, dass sich zum Beispiel eine gefestigte Meinung im Verlauf der Diskussion verändern kann (vgl. Vogl 2014, S. 581). Wie oben bereits durch die unterschiedlichen Ausrichtungen erörtert, dienen Gruppendiskussionen nach Bohnsack dazu, validierte Einzelmeinungen oder aber Gruppenmeinungen zu erheben. Lamnek bezeichnet Gruppendiskussionen als „Gespräche einer Gruppe von Untersuchungspersonen zu einem bestimmten Thema unter Laborbedingungen“ (ebd. 2005b, S. 413). Die Selbstläufigkeit ist nach Bohnsack dabei das oberste Ziel. TeilnehmerInnen einer Gruppendiskussion soll der Rahmen gegeben werden, dass sie so miteinander sprechen, wie sie das „milieutypisch“ auch im Alltagskontext täten. Wenn ein gemeinsamer Erlebnishintergrund vorhanden ist, führt dies zu einer wechselseitigen Steigerung des Diskurses und die Beiträge der einzelnen TeilnehmerInnen „leben voneinander“ (vgl. Lamnek 2005b, S. 431f). Das oberste Ziel der Selbstläufigkeit beinhaltet auch, dass während der Gruppendiskussion eine entspannte Atmosphäre entsteht, um spontane Äußerungen und erhöhte Mitarbeit herbeizuführen (vgl. Lamnek 2005b, S. 472). Im Vergleich zu beispielsweise zu Einzelinterviews nutzt die Gruppendiskussion den Rahmen einer alltäglichen Gesprächssituation. Das führt dazu, dass die TeilnehmerInnen zu KommunikationspartnerInnen und somit zu Subjekten der Unterhaltung werden und nicht mehr ausschließlich Objekte einer Ermittlung sind. Es handelt sich also nicht um eine kollektive Befragung (vgl. Lamnek 2005b, S. 420-422).

Personelle, zeitliche und finanzielle Kosten werden zwar durch die Gruppendiskussion gespart, da es weniger Aufwand bedeutet, eine Gruppendiskussion mit beispielsweise acht TeilnehmerInnen zu führen, als acht Einzelinterviews. Allerdings gestaltet sich die anschließende Auswertung wesentlich aufwendiger als die von Einzelinterviews (vgl. Lamnek 2005b, S. 422).

Eine Gruppe kann als „Mikrokosmos der Gesellschaft“ gesehen werden (Kühn/Koschel 2011, S. 9), da sie Personen unterschiedlichen Alters, Geschlechts, ggf. ungleicher Bildung und Herkunft zusammenbringt, die sich über ein bestimmtes gemeinsames Interesse austauschen. An diesem „Austausch von Argumenten, Gefühlsäußerungen, Meinungen [lasse sich] Gesellschaft beobachten“ (Kühn/Koschel 2011, S. 9). Die kollektiven Erfahrungen, die man rekonstruieren möchte, „sind in gemeinsam geteilten impliziten Wissensbeständen verankert“ (Bohnsack et al. 2010, S. 13). Das Erkenntnisinteresse richtet sich demnach weniger auf Einzelmeinungen, sondern auf die die jeweilige Gruppe verbindende Haltung zu Macht und Ohnmacht in ihrem Erleben Sozialer Arbeit. Der Vorteil im Gegensatz zum standardisierten Interview ist die Themenvielfalt, die in der Gruppendiskussion auftreten kann. Es können sich Themen entwickeln, an die die Forschungsgruppe vorher gar nicht gedacht haben mag (vgl. Lamnek 2005b, S. 472).

Der Ablauf einer Gruppendiskussion ist in fünf Phasen unterteilt. Die erste Phase ist die Auswahl der TeilnehmerInnen (siehe hierzu auch Kapitel 3 Sampling). Die zweite Phase ist die der Präsentation des Grundreizes, also die Vorgabe eines allgemeinen Themas, zu dem diskutiert werden soll, gefolgt von der dritten Phase, der eigentlichen Diskussion. Die Aufzeichnung der Diskussion und die Auswertung des Materials bilden die letzten beiden Phasen. Bei der Auswertung des Materials wird sich die Forschungsgruppe nicht nach den ausgearbeiteten Richtlinien nach Bohnsack richten, sondern nach der Grounded Theory, wie im folgenden Kapitel gezeigt werden wird.

Die Auswahl der Gruppe, auf welche im Kapitel 3 Sampling bereits eingegangen wurde, ist von enormer Bedeutung. Keine Realgruppen zu wählen scheint aus Gründen gruppendynamischer Prozesse, welche bei Realgruppen bereits stattgefunden haben, vorteilhaft zu sein. Dies unterstützt das Forschungsinteresse, ein kollektives Orientierungsmuster (siehe auch Kapitel 4.2) anhand einer Gruppe herauszuarbeiten, deren TeilnehmerInnen zwar durch eine gemeinsame soziale Lage, aber nicht durch persönliche Bekanntschaft miteinander verbunden sind (vgl. Lamnek 2005b, S. 428). Widersprüchliche Meinungen können so erfasst werden, diese sind auch eher die Regel, als die Ausnahme.

Man geht davon aus, dass Sinn- und Bedeutungszuschreibungen, Lebensorientierungen usw. primär sozial konstituierten, gemeinsamen Erfahrungsräumen entstammen und sich im Miteinander von Menschen mit gleichen oder ähnlichen Erfahrungen zeigen. Durch die gleiche „soziale Lage“ der TeilnehmerInnen auf den einzelnen Ebenen erhalten wir somit einen empirischen Zugriff auf das Kollektiv. Gegenseitige Ergänzungen, Bestätigungen, Berichtigungen untereinander und Äußerungen, die aufeinander aufbauen, führen zu einem kollektiven Prozess der Meinungsäußerung. Dies ist möglich, wenn, wie Lamnek sagt, die Meinungen in der Gruppendiskussion nicht erst produziert, sondern lediglich aktualisiert werden.

„Die wissenssoziologisch fundierte Strukturthese [...] besagt, dass die in konkreten Gesprächsgruppen zum Ausdruck kommenden Orientierungen, Meinungen und Einstellungen Epiphänomene einer übergeordneten Struktur sind, die sich innerhalb der Gruppendiskussion reproduziert“ (Bohnsack/ Schäffer zit. n. Lamnek 2005b, S. 430). In einer Gruppendiskussion können valide Ergebnisse entstehen, die auch für Großgruppen beziehungsweise soziale Milieus gelten. Die Reproduzierbarkeit ist gleichzeitig Voraussetzung für die intersubjektive Überprüfbarkeit des Verfahrens und seiner Ergebnisse und somit auch für dessen Zuverlässigkeit (vgl. Lamnek 2005b, S. 430f.).

Bohnsack hat Regeln aufgestellt, nach denen ein kollektives Orientierungsmuster zu ermitteln ist:

- „Die gesamte Gruppe muss Adressatin der Forschungsinterventionen sein.
- Nur Themen sind vorzuschlagen, inhaltliche Stellungnahmen (Propositionen) dürfen nicht vorgegeben werden.
- Die Fragestellungen sind demonstrativ vage zu halten.
- In die Verteilung der Redebeiträge, d.h. die selbstläufige Diskursorganisation, darf nicht (!) eingegriffen werden.
- Die Interventionen sollen so gehalten sein, dass sie detaillierte Darstellungen, Beschreibungen und Erzählungen generieren.
- Immanente Nachfragen, die an bereits Thematisiertes anknüpfen, haben Vorrang vor exmanenten, die neue Themen initiieren sollen.
- Exmanente Nachfragen sind nach Möglichkeit erst nach Ablauf der Diskussion zu stellen.
- Erst am Ende der Diskussion kann eine direkte Phase mit der Vorgabe von Propositionen und konkreten Fragestellungen stehen, um Widersprüchlichkeiten und Auffälligkeiten aufzugreifen“

(zit. n. Lamnek 2005b, S. 447f.).

4.4 Grenzen der Erhebungsmethode „Gruppendiskussion“

Die Gruppendiskussion als Erhebungsmethode weist auch Nachteile auf und hat Grenzen. Sie steht und fällt mit der Auswahl der TeilnehmerInnen und der Diskussionsleitung. Die Präsentation des Grundreizes, also des Themas, ist verantwortlich für das Gelingen einer Gruppendiskussion. Ebenso bedeutend ist die Auswahl und Aktivität der TeilnehmerInnen (vgl. Lamnek 2005b, S. 415). Es wurde bereits geschildert, dass sich eine gefestigte Meinung im Verlauf der Gruppendiskussion verändern kann und darin eine klare Chance gesehen wird. Lamnek widerlegt dieses Argument, da es klar gegen die Objektivität verstößt (vgl. Lamnek 2005b, S. 473). Ein weiterer Nachteil kann es sein, dass während der Gruppendiskussion vom Thema abgewichen wird. Die Themenvielfalt bringt zwar positive Aspekte mit sich, kann aber auch zu Abschweifungen führen, die ein Eingreifen der Diskussionsleitung erfordern, was eigentlich vermieden werden soll. Jeglicher Eingriff stellt eine Beeinflussung dar und widerspricht der Selbstläufigkeit.

Weiter kann es bei Gruppendiskussionen TeilnehmerInnen geben, die nichts oder lediglich sehr kurze Beiträge nach Aufforderung äußern, die sogenannten Schweiger. Dieses Phänomen kann unterschiedliche Ursachen haben. Es könnte sein, dass die Schweiger eine Meinung haben, die zu äußern sie sich nicht trauen, da sie befürchten, diskreditiert zu werden. Eine andere Ursache wäre, dass sie die Diskussion nicht unnötig bremsen wollen, da ihre Meinung durch die Äußerungen anderer TeilnehmerInnen bereits abgedeckt bzw. wiedergegeben wurde. Darüber hinaus wäre eine dritte Variante, das Schweigen einzelner TeilnehmerInnen mit sozialen Strukturen zu erklären: Man kann sich gegenseitig nicht wirklich anregen, miteinander zu diskutieren, man sieht keinen Grund, sich zu beteiligen, weil die Argumente der anderen Teilnehmenden für einen selbst bedeutungslos sind oder der eigenen Meinung widersprechen oder man fühlt sich gar von den anderen übergangen und verfällt deswegen in ein Schweigen. Der Umgang mit den Schweigern stellt für die Diskussionsleitung eine große Herausforderung dar, weil diese nicht weiß, aus welchen Gründen das Nichts-Sagen geschieht. Hier wird großes Einfühlungsvermögen und Menschenkenntnis von der Diskussionsleitung benötigt (vgl. Lamnek 2005b, S. 444f). Auch Vogl merkt an, dass die Gruppendynamik in einer Gruppendiskussion nicht unterschätzt werden sollte, sie fördere viel Positives, könne aber auch negative Erscheinungen bedingen. So kann z.B. eine während der Diskussion entstandene positive Atmosphäre dazu führen, dass „private“ Meinungsäußerungen nicht mehr „öffentlich“ getätigt werden, um einer möglichen sozialen Unerwünschtheit vorzubeugen (Vogl 2014, S. 582). Die Grenze der Gruppendiskussion als Erhebungsmethode liegt in der fehlenden Standardisierung, wodurch eine Vergleichbarkeit von Ergebnissen nicht gegeben ist (vgl. Lamnek 2005b, S. 473f.).

Der Forschungsgruppe ist bewusst, dass noch keiner der sieben Mitglieder zuvor eine Gruppendiskussion moderiert und geleitet hat. Dies stellt uns vor enorme Herausforderungen. Einige von uns besitzen die Fachkompetenz, sich zum Thema innerhalb des Gebietes der rechtlichen Betreuung nach den §§ 1896ff BGB äußern zu können, falls dazu innerhalb der Gruppendiskussion Fragen seitens der TeilnehmerInnen auftreten sollten, andere von uns nicht. Dies kann ein Vorteil sein, aber auch ein Nachteil, da es dazu führen könnte, dass der Diskussionsverlauf unbewusst beeinflusst wird. Laut Lamnek sollte der/die ModeratorIn einer „Gruppendiskussion methodisch qualifiziert sein […] und Erfahrungen im lenkenden Umgang mit Menschen in Gruppensituationen haben“ (Lamnek 2005b, S. 439). Der Umgang mit Schweigern, Vielrednern oder Diskussionspausen muss von uns nicht aufwendig erlernt werden, da sich die Moderation bei derartigen Ereignissen nicht einmischen wird. Nur so ist die Selbstläufigkeit gegeben und die Ermittlung kollektiver Orientierungsmuster in Anlehnung an Bohnsack möglich.

5 Theoretische Erarbeitung und Begründung der Auswertungsmethode “Grounded Theory”

Die Grounded Theory ist eine Art der Datenanalyse der qualitativen Forschung und wurde in den 1960er Jahren von Anselm Strauss und Barney Glaser entwickelt.

Die Grounded Theory ist nicht nur wie in Kapitel 2 beschrieben eine Forschungsmethodologie, sie enthält auch eine eigene Methode der Datenauswertung. Diese Methode wird genutzt, wenn es zu einem Thema noch keine ausreichenden Forschungsergebnisse gibt, wie es bei uns der Fall ist (vgl. Strübing 2008, S. 178 ff.). Ihr Schwerpunkt liegt in der Generierung einer Theorie, was durch die systematische und intensive Analyse und Interpretation des empirischen Datenmaterials geschieht (vgl. Strauss 1991, S. 50f.). Zum Thema Macht in den unterschiedlichen Ebenen einer sozialen Organisation gibt es kaum theoretische Erkenntnisse. Aus diesem Grund ist die Arbeit mit der GT als Auswertungsmethode sinnvoll. Durch die Datenerhebung in den Gruppendiskussionen und die Auswertung der Ergebnisse wird vermutlich für jede Ebene eine eigene Definition des Machtbegriffs entstehen.

Das spezielle Verfahren der GT als Auswertungsmethode wird so angewandt, dass man Satz für Satz und Abschnitt für Abschnitt aufeinander folgend interpretiert. Die erhaltenen Interpretationen werden konstant verglichen und umfassend kodiert, damit das menschliche Verhalten, welches im Austausch mit der Umwelt steht und somit kontinuierliche Veränderungen hervorbringt, mit einbezogen werden kann (vgl. Strauss 1991, S. 50f.). So kann man aus der ersten Gruppendiskussion eventuell Schlüsse ziehen, inwiefern die jeweiligen Fragestellungen der Forschungsgruppe gegenüber einer nächsten Gruppendiskussion verändert werden müssten, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Die Strukturierung der Interpretation soll eine konstruierte Theorie darstellen, die durch eine „Vielfalt von [geordneten] Gedanken“ der Forschenden unterstützt wird (vgl. ebd. S. 51).

Der Prozess der GT ist in verschiedene Elemente und Phasen unterteilt, hierin besteht auch der Hauptunterschied zu anderen Analyseverfahren: Zunächst wird das Datenmaterial in einer Eröffnungsphase offen interpretiert. Es werden unterschiedliche Kategorien und Hypothesen aufgestellt, welche im Prozess des offenen, axialen oder selektiven Kodierens entweder verworfen werden oder an Wichtigkeit gewinnen. Im weiteren Verlauf werden die jeweiligen Kodierungsmethoden noch weiter erläutert.

Im ersten Schritt der Auswertung wird die Methode des offenen Kodierens genutzt. Hierbei handelt es sich um eine genaue Betrachtung der gesamten Aufzeichnungen der drei durchgeführten Gruppendiskussionen. Es wird jede einzelne transkribierte Textpassage „line by line“ interpretiert und ausgewertet. Durch diese Interpretationen und die Vergleiche der Textabschnitte entstehen verschiedene Konzepte, die durch transkribierte Sätze ihren Namen erhalten oder durch neu konzipierte Überschriften auf Grund von Gemeinsamkeiten, Charakteristika oder Unterschieden benannt werden. Gesteuert wird das Kodieren empirischer Daten durch das Konzept-Indikator-Modell. Verschiedene Textpassagen werden thematisch unterschiedenen, aber zugleich durch Gemeinsamkeiten verbundenen Konzepten, sogenannten Codes, zugeordnet. Verhaltensweisen oder Ereignisse, auch Dimensionen und Eigenschaften genannt, dienen zur Stütze der entstandenen Konzepte (vgl. ebd., S. 54f.).

Im zweiten Schritt des Kodierens wird das axiale Kodierungsverfahren angewendet. Hierbei erfolgt die gezielte Analyse von verschiedenen Schlüsselkategorien; auch Subkategorien werden untersucht. Dabei kann sowohl schon untersuchtes, als auch neues Datenmaterial einbezogen werden. Die Grundlage für das axiale Kodieren bilden die Eigenschaften und Erkenntnisse aus der Phase des offenen Kodierens. Jedoch werden in diesem Schritt nicht mehr alle Erkenntnisse mit einbezogen. So muss das jeweilige Forschungsteam die Relevanz der jeweiligen Themen feststellen und diese danach ordnen. Daraufhin werden die Kategorien, die für relevant gehalten werden „systematisch vergleichend auf ihre Ursachen, Umstände und Konsequenzen befragt“ (vgl. Strübing 2008, S. 176). Im weiteren Verlauf werden die erhobenen Daten neu angeordnet, um die verschiedenen Kategorien, die gebildet worden sind, weiter zu verfeinern oder zu verändern. Dieses resultiert aus generativen (lat. hervorbringen) Fragen und Vergleichen, welche hergestellt werden. Am Ende dieser Kodierphase stehen ausgearbeitete Kategorien, welche im weiteren Verlauf durch das selektive Kodieren zu der Entwicklung einer oder mehrerer Theorien führen sollte (vgl. Strauss 1991,S. 20ff.).

In der letzten Phase des Kodierens kommt es zum selektiven Kodieren. Hierbei werden zentrale Phänomene aus den schon analysierten Einheiten herausgefiltert. Ein wesentlicher Punkt ist das Auswählen der sogenannten Kernkategorie. Diese sticht hervor, wenn man die unterschiedlichen Kategorien wegstreicht, welche nur Randbereiche des Forschungsinteresses beschreiben. Zu diesem Zeitpunkt wird ein weiteres Mal die herausgearbeitete Theorie in Bezug auf die Subkategorien und Kategorien in Bezug auf ihre Unterschiede, Charakteristika und Ähnlichkeiten dargestellt. Durch diese Herangehensweisen erfolgt eine stetige Überprüfung der bereits analysierten und in Kategorien und Subkategorien zusammengefassten Ergebnisse.

Diese drei Forschungsphasen sind in jedem Abschnitt voneinander abhängig beziehungsweise werden miteinander kombiniert und können dabei auch ausgetauscht werden. So wirken die jeweiligen Schritte aufeinander ein. Wenn zum Beispiel Ergebnisse aus einem Interview oder einem anderen Erhebungsinstrument ausgewertet worden sind und diese wichtige Informationen für weitere Erhebungen enthalten, werden diese mit in die darauffolgenden Phasen eingebracht, um die optimalen Ergebnisse zu erhalten.

Um die jeweiligen Ergebnisse der unterschiedlichen Erhebungen mit einzubeziehen, werden die Ergebnisse der drei Gruppendiskussionen kontinuierlich verglichen. Aus den einzelnen Auswertungen resultierende Fragen und Erkenntnisse werden bei den nächsten Auswertungen und Erhebungen mit berücksichtigt, um die zu entwickelnde Theorie, beziehungsweise die vermutlich drei unterschiedlichen Definitionen von Macht, optimal zu erfassen. Falls zusätzliches Datenmaterial benötigt wird, könnten zu diesem Zeitpunkt weitere Interviews geführt werden, beziehungsweise ein anderes Sampling herangezogen werden, das sich speziell auf die zuvor analysierte Thematik bezieht. Mit diesem Material würde wiederum offen interpretiert und neue Kategorien generiert werden, aber es wird außerdem genutzt, um bereits bestehende Kategorien zu füllen. Eine theoretische Sättigung innerhalb der ersten Befragungsrunde ist idealerweise erstrebenswert, jedoch unwahrscheinlich. Die zeitlichen Vorgaben des Forschungsprojektes lassen dabei wenig Handlungsspielraum für eventuell weitere Befragungen, um durch Verifizierung/Falsifizierung die Ergebnisse der ersten drei Gruppendiskussionen theoretisch zu unterfüttern. Aus pragmatischen Gründen muss daher an dieser Stelle das Risiko eingegangen werden, keine theoretische Sättigung zu erreichen. Die Ergebnisse können in diesem Fall als Anhaltspunkt für vertiefende Forschung des Themas dienen.

Sobald deutlich wird, dass eine oder mehrere Kategorien zu Konzepten heranwachsen, werden in der Phase des Theoretical Samplings Memos geschrieben, welche die Zusammenhänge der Kategorien und deren Eigenschaften darstellen sollen. In diesem Prozess findet die Gestaltung der Theorie statt, welche durch die Ausarbeitung der Memos nach und nach verdichtet wird. Schlussendlich führen dies und die verschiedenen Kodierphasen, aus welchen die Informationen zur Bildung einer Schlüsselkategorie hervorgehen, zu den Grundlagen, welche die späteren Theorien bilden. Diese Grundlagen aus den unterschiedlichen Forschungsergebnissen führen dann zu einem oder mehreren Theoriekonstrukten (vgl. ebd., S. 52ff.).

In unserem Fall sollen hier durch die drei geführten Gruppendiskussionen einige Schlüsselkategorien herausgearbeitet werden, aus denen im besten Fall eine oder mehrere Definitionen oder Theorien über Macht entstehen.

6 Quellenverzeichnis

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- Blumer, Herbert (1973): Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen. Berlin. S. 80 – 146.

- BmfJV (2015): Betreuungsrecht . Berlin: Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, S. 5-22.

- Bohnsack, Ralf/Przyborski, Aglaja (2010): Diskursorganisation, Gesprächsanalyse und die Methode der Gruppendiskussion. In: Ralf Bohnsack/Aglaja Przyborski/Burkhard Schäffer, Das Gruppendiskussionsverfahren in der Forschungspraxis. Opladen. S. 233-248.

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- Kühn, Thomas/Koschel, Kay-Volker (2011): Gruppendiskussionen. Ein Praxis-Handbuch. 1. Auflage, Wiesbaden.

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- Strauss, Anselm. L. (Hrsg.) (1991): Einführung. Teil 1. Voraussetzung. In: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Datenanalyse und Theoriebildung in der empirischen soziologischen Forschung. München. S. 25-50.

- Strauss, Anselm L. (Hrsg.) (1991): Teil 2. Analyse nach der Grounded Theory:Hauptelemente. In: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Datenanalyse und Theoriebildung in der empirischen soziologischen Forschung. München. S. 50-71.

- Strauss, Anselm L./Corbin, Juliet (1996): Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. Weinheim.

- Strübing, Jörg (2004): Grounded Theory - Zur sozialtheoretischen und epistemologischen Fundierung des Verfahrens der empirisch begründeten Theoriebildung. 1. Auflage. Wiesbaden.

- Strübing, Jörg (2008): Grounded Theory - Zur sozialtheoretischen und epistemologischen Fundierung des Verfahrens der empirisch begründeten Theoriebildung. 2. Auflage. Wiesbaden.

- Strübing, Jörg (2011): Grounded Theory - Zur sozialtheoretischen und epistemologischen Fundierung des Verfahrens der empirisch begründeten Theoriebildung. 3. Auflage. Wiesbaden.

- Vogl, Susanne (2014): Gruppendiskussion. In: Nina Baur, Jörg Blasius (Hrsg.) (2014): Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung Wiesbaden. S. 581-586.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Machtstrukturen im Kontext rechtlicher Betreuung
Hochschule
Evangelische Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie - Das Rauhe Haus
Veranstaltung
Forschungswerkstatt FEW1
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
25
Katalognummer
V444433
ISBN (eBook)
9783668813977
ISBN (Buch)
9783668813984
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Forschungsdesign, Macht, Machtstruktur, rechtliche Betreuung, Grounded Theory, Gruppendiskussion, Foucault, Staub-Bernasconi
Arbeit zitieren
Sevda Altintas (Autor:in), 2017, Machtstrukturen im Kontext rechtlicher Betreuung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/444433

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