Ein Überblick über Aspekte des literaturwissenschaftlichen Aktionsbegriffs


Hausarbeit, 2011

12 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Literaturwissenschaftliche Aktionstheorien im Überblick
2.1 Die dreigliedrige Aktionstheorie von Jan Christoph Meister
2.2 Aktion als Figurenhandlung nach James R. Meehan und Nicholas Rescher
2.3 Der isolierte Aktionsbegriff nach David Herman

3 Fazit

4 Literaturverzeichnis:

1 Einleitung

Für die Entwicklung zahlreicher, moderner Story Generators sind theoretische Ansätze zur Frage, aus welchen Bestandteilen sich ein literarisches Werk überhaupt zusammensetzt, von fundamentaler Bedeutung. Die zwei am meist berücksichtigten Ansätze der „Story Grammars“ und der „Ereignis & Aktionstheorie“ sind dabei bis heute wegweisend für die Entwicklung aktueller Erzählmaschinen. Dies ist z. B. bei der Erzählmaschine „MEXICA“ des mexikanischen Wissenschaftlers Rafael Pérez y Pérez von 2004 und beim Geschichtengenerator „TALE-SPIN“ von James R. Meehan aus dem Jahre 1970 der Fall.

Vertreter der Aktionstheorie haben in zahlreichen Publikationen gezeigt, dass man die Gesamthandlung in literarischen Werken als einzelne Handlungselemente und somit als kleinstmögliche konstitutive Bausteine einer Geschichte verstehen kann.[1] Trotzdem ist die Aktionstheorie in sich so weit ausdifferenziert, dass man nur schwer von einem bestimmten Konzept von „Aktion“ sprechen kann. Der Versuch, die zahlreichen Theorien zum Aktionsbegriff zu durchdringen gestaltet sich daher sehr schwierig. In dieser Arbeit soll jedoch trotzdem ein Versuch unternommen werden, die verschiedenen Formen von Aktionen in einem literarischen Werk näher zu erläutern, und darzustellen, welche unterschiedlichen Positionen in der heutigen Forschung vertreten werden, an welchen Stellen sie übereinstimmen und welchen Wert sie im Gesamtkonzept der Aktionstheorie besitzen.

Diese Arbeit wird sich zunächst in einem ersten Abschnitt mit den aktionstheoretischen Ansätzen des Hamburger Literatur- und Medienwissenschaftlers Jan Christoph Meister auseinandersetzen. In einem zweiten Schritt werden die zuvor dargestellten Ansätze mit den Aktionstheorien James R. Meehans und Nicholas Reschers verglichen. In einem dritten Teil wird zudem das Aktionskonzept David Hermans zu den vorherigen Überlegungen in Beziehung gesetzt. Als Fazit werden alle Erkenntnisse zum Aktionsbegriff nocheinmal zusammengefasst.

2 Literaturwissenschaftliche Aktionstheorien im Überblick

2.1 Die dreigliedrige Aktionstheorie von Jan Christoph Meister

Bei der Vielzahl an Aktionstheorien, die die Forschung zum Thema Story Generators in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat, ist es kaum verwunderlich, dass das grundsätzliche Verständnis des Begriffs „Aktion“ im literarischen Sinne weitestgehend sehr ungenau bleibt. Diese Schwierigkeit ist auch den Verfassern der zahlreichen Theorien zu diesem Thema bewusst. So warnt auch Meister „we must always be careful not to confuse the logic of description with the logic of the thing described.“[2]

Die Aktionstheorie, die Jan Christoph Meister in seinem Textauszug „Towards a Concept of Aesthetic Action“ aus seinem Werk „Computing Action“ entwirft, setzt sich ebenfalls mit den Grundfragen der literarischen Bedeutung des Terminus Aktion auseinander. Zunächst stellt er hierbei fest, dass zahlreichen Aktionstheorien, die im Laufe der Zeit veröffentlicht wurden, ein normatives Konzept des Begriffs Aktion zu Grunde lege, da von den Handlungen der Figuren durch Interpretation direkte Verknüpfungen zur Wirklichkeit hergestellt würden.[3] Aktionen von Figuren in den Erzählwelten wurden somit bisher per definitionem mit Handlungen von realen Personen in der realen Welt gleichgesetzt.[4] Folgt man dem Konzept, dass Meister nun anstelle des oben Dargestellten entwirft, so ließe sich der Begriff „Aktion“ in der Literaturwissenschaft in dreifacher Hinsicht als sogenannte „three key meanings“[5] definieren, nämlich einerseits als Handlungen der Figuren in den Erzählwelten, andererseits als Ereignisse, die in der Erzählwelt losgelöst von Personen stattfänden, und letztlich als übergeordnete „Discursive Meta-Activity“[6].

Als grundlegenden Baustein seines Aktionsbegriffs greift Meister ebenfalls auf das allgemeine Verständnis dieses Begriffs zurück. Folglich sei Aktion in erster Linie als „narrated action“[7] zu verstehen. Damit seien diejenigen Handlungen gemeint, welche von den verschiedenen Figuren innerhalb der Erzählwelt durchgeführt würden. Für Literaturwissenschaftler wie auch Laien sei der Begriff Aktion daher primär mit der Definition verbunden „[to] explain the doings and behaviour of a […] fictional character as an instance of activity.“[8]

Im weiteren Sinne umfasst sein Aktionskonzept aber noch mehr als die bloße Handlung von Figuren in der Erzählwelt. Der Aktionsbegriff beinhalte nach Meister neben Figurenhandlungen nämlich auch von Personen losgelöste Handlungen, die abseits der Figuren stattfänden und somit eher mit dem Wort Ereignis assoziiert werden würden.[9] Hierunter seien vor allem diejenigen Aktionen zu verstehen, die nicht durch die Figuren innerhalb der Erzählwelt kontrolliert würden. Diese Handlungen seien laut Meister „beyond the individual`s control“[10] und somit nur schwer mit dem ersten Verständnis des Begriffs Aktion fassbar. Die „external factors“[11] wären neben den tatsächlichen Figurenhandlungen in der Erzählwelt daher das zweite Medium, in dem sich Handlung vollziehe. Somit folgt der Hamburger Wissenschaftler denjenigen Auffassungen, welche Aktionen und Ereignisse als identisch betrachteten.[12] Es muss bei dieser Betrachtung jedoch darauf geachtet werden, dass lediglich in der englischsprachigen Forschung der Begriff „action“ sprachsemantisch sowohl für Figurenhandlung als auch für figurenunabhängige Ereignisse verwendet werden kann. Mit dem deutschen Begriff „Handlung“ sind diese äußeren Einflüsse in einer Geschichte nur deutlich schwerer zu beschreiben. In der Realität würden, so Meister, äußere Einwirkungen auf das menschliche Leben, wie beispielsweise ein Vulkanausbruch oder ein Hurrikan, kaum als „Handlungen“ im eigentlichen Wortsinn verstanden werden

können. Daher bezeichnet Meister diese zweite Eigenschaft seines Aktionsbegriffes auch als eine Art „aesthetic metaevent in the real world.“[13] So schreibt der Wissenschaftler:

Seen from the perspective of the fictional agents, events negate the intentions of their agents,

who are demoted to the role of mere patients.[14]

Die Unterordnung dieser äußeren Faktoren unter den Begriff „Aktion“ ist jedoch umstritten, da er, wie zuvor bereits erwähnt, sprachsemantisch ungenau bleibt. Mag es möglich sein die Begriffe „Aktion“ und „Ereignis“ im englischen Sprachraum teilweise synonym zu verwenden, so ist dies im Deutschen wohl kaum denkbar. In unserem Sprachraum würden beide Begriffe wohl eher strikt voneinander getrennt genutzt werden. An dieser Stelle kann also als erste Zwischenerkenntnis festgehalten werden, dass der Aktionsbegriff sehr sprachspezifisch verwendet werden muss, da er im Englischen ein sehr viel größeres semantisch Feld umfasst, als dies im Deutschen der Fall ist.

Im dritten Teil seiner Aktionstheorie definiert Meister einen letzten Bestandteil des Aktionsbegriffs, die Autorenhandlung oder auch „action of narration“.[15] Diese umfasst den Schreibprozess des Autoren. Sie orientiert sich folglich an der realen Tätigkeit des Autoren und löst sich somit von der Erzählwelt ab, während sich „Action I and Action II (…) with the object domain of fictional reference“[16] auseinandersetzten. Diese „Discursive Meta-Activity“[17] löst sich gänzlich vom Gegenstand selbst und beschreibt einen noch weiter gefassten Begriff von Aktion, der im Schreibprozess nicht nur unmittelbar in der Erzählwelt, sondern auch außerhalb des eigentlichen Geschehens, nämlich bei der Verschriftung, wirksam wird:

Narratology and the study of rhetoric have reformulated the definition of action to make it a concept that is no longer restricted to denoting abstract (or fictional) objects but can also describe the process by which literature itself comes into being. The act of narration itself is now seen as (…) ,action of narration’ (`Erzählhandlung`; my translation).[18]

Insgesamt lässt sich Meisters Aktionstheorie als sehr vielseitiger Beitrag zur literaturwissenschaftlichen Debatte über die genaue Definition des Aktionsbegriffs verstehen, dessen Bestandteile sowohl in der Erzählwelt selbst, als auch im Schreibprozess des Autors verhaftet sind. „Action of a fictional narrative“[19] sei folglich ein sehr großer Bereich, der nicht nur auf der Ebene der Erzählung selbst betrachtet werden sollte.

2.2 Aktion als Figurenhandlung nach James R. Meehan und Nicholas Rescher

Vergleicht man das umfassende Aktionskonzept Jan Christoph Meisters mit den Vorstellungen James R. Meehans so findet sich bei Letzterem, dem Entwickler der Erzählmaschine „TALE-SPIN“, nur ein sehr eingeschränkter Aktionsbegriff. Dieser umfasst zu großen Teilen nur den ersten Teil von Meisters Aktionstheorie, nachdem der Begriff Aktion dem allgemeinen Verständnis nach mit Personen- bzw. Figurenhandlungen assoziiert wird. Der zweite Aspekt seines Aktionsbegriffs, der besagt das Handlungen auch als Ereignisse außerhalb der Figuren betrachtet werden können, kommt in den Thesen Meehans über „TALE-SPIN“ nicht vor. Die Autorenhandlung fällt bei dem Erfinder des Story Generators schließlich in Teilen mit der Aktion als Figurenhandlung zusammen, da er keine „differentiation between goals of characters and the author“[20] unternimmt.

[...]


[1] Vgl. hierzu die zahlreichen Ansätze in: Herman, David: Story logic. Problems and possibilities of narrative. Lincoln, Nebraska: University of Nebraska Press 2002, S. 27- 84.

[2] Meister, Jan Christoph: Computing Action. A Narratological Approach. Berlin, New York: De Gruyter 2003, Reihe Narratologia, Bd. 2, S. 41.

[3] Vgl. Meister, Jan Christoph: Computing Action, S. 40.

[4] Vgl. Meister, Jan Christoph: Computing Action, S. 40.

[5] Meister, Jan Christoph: Computing Action, S. 42.

[6] Vgl. Meister, Jan Christoph: Computing Action, S. 45-47.

[7] Meister, Jan Christoph: Computing Action, S. 42.

[8] Meister, Jan Christoph: Computing Action, S. 43.

[9] Vgl. Meister, Jan Christoph: Computing Action, S. 42.

[10] Meister, Jan Christoph: Computing Action, S. 45.

[11] Meister, Jan Christoph: Computing Action, S. 45.

[12] Vgl. Herman, David: Story logic, S. 28.

[13] Meister, Jan Christoph: Computing Action, S. 45.

[14] Meister, Jan Christoph: Computing Action, S. 45.

[15] Meister, Jan Christoph: Computing Action, S. 46.

[16] Meister, Jan Christoph: Computing Action, S. 45.

[17] Meister, Jan Christoph: Computing Action, S. 45.

[18] Meister, Jan Christoph: Computing Action, S. 46.

[19] Meister, Jan Christoph: Computing Action, S. 47.

[20] Pérez y Pérez, Rafael; Sharples, Mike: Three Computer-Based Models of Storytelling. BRUTUS, MINSTREL and MEXICA, in: Knowledge Based Systems Journal 2004, 17 (1), S. 15.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Ein Überblick über Aspekte des literaturwissenschaftlichen Aktionsbegriffs
Hochschule
Universität Hamburg  (Fakultät für Geisteswissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
12
Katalognummer
V444127
ISBN (eBook)
9783668812475
ISBN (Buch)
9783668812482
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Story Generators, Aktionstheorie, TALE-SPIN
Arbeit zitieren
Bernd Appel (Autor:in), 2011, Ein Überblick über Aspekte des literaturwissenschaftlichen Aktionsbegriffs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/444127

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