"Geh hin, dein Glaube hat dich geheilt!" Christuserkenntnis als Voraussetzung für Nachfolge

Eine exegetische Untersuchung der Perikope von der Heilung des blinden Bartimäus in Mk 10,46–52


Hausarbeit, 2018

35 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Text
2.1 Verssegmentierung am griechischen Text
2.2 Wissenschaftliche Übersetzung von Mk 10,46–52
2.3 Textkritik

3. Synchrone Analyse
3.1 Kontextanalyse
3.2 Sprachlich-syntaktische Analyse
3.3 Semantische Analyse
3.4 Narrative Analyse
3.5 Pragmatische Analyse

4. Diachrone Analyse
4.1 Literarkritik
4.2 Formanalyse
4.3 Überlieferungsgeschichte
4.4 Redaktionskritik
4.5 Traditionsgeschichte (Analyse des Motivs der Nachfolge)

5. Interpretation
5.1 Interpretation der vormarkinischen Überlieferung
5.2 Interpretation des markinischen Textes

6. Synoptischer Vergleich mit den Parallelstellen

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis
8.1 Quellen
8.2 Hilfsmittel
8.3 Kommentare
8.4 Weitere Sekundärliteratur
8.4.1 Wissenschaftliche Monographien
8.4.2 Beiträge in Sammelbänden/-reihen
8.4.3 Beiträge in Fachzeitschriften
8.4.4 Artikel in Fachlexika

9. Anhang I

9.1 Synopse mit den Parallelstellen Mt 20,29–34 und Lk 18,35–43

9.2 Zu 3.4 Narrative Analyse: Narr. Gliederung von Mk 10,46–52

9.3 Zu 3.4 Narrative Analyse: Aktantenmodell von Mk 10,46–52

1. Einleitung

υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ, ἐλέησόν με! Wirkmächtig sind die Worte des blinden Bartimäus in V. 47e, die sogar so wichtig sind, dass sie in leicht abgewandelter Form in V. 48c noch einmal wiederholt werden, wo es nämlich heißt υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με. Ein blinder Mann namens Bartimäus wird von Jesus aufgrund seines unerschütterlichen Glaubens an seine Messianität geheilt und begibt sich in die Nachfolge Jesu, die als Weg in die Passion nach Jerusalem führt. Bekannte Größen der neutestamentlichen Wissenschaft, wie z. B. H.-J. Eckstein in seinem Aufsatz „Glaube und Sehen - Markus 10,46–52 als Schlüsseltext des Markusevangeliums“[1] oder auch R. Bultmann, haben sich bereits mit der Perikope von der Heilung des blinden Bartimäus beschäftigt und sind dabei zu differierenden Auffassungen gekommen. In Anlehnung an die wissenschaftlichen Erkenntnisse von H.-J. Eckstein soll in der nachfolgenden Exegese aufgezeigt werden, weshalb Christuserkenntnis und Nachfolge im Markusevangelium untrennbar zusammengehören und Christuserkenntnis immer eine Voraussetzung für Nachfolge darstellt.[2] Es soll herausgestellt werden, weshalb es sich bei Mk 10,46–52 nicht um eine Berufungsgeschichte handelt[3], sondern diese vielmehr als eine Nachfolgegeschichte charakterisiert werden muss[4], in der vor allem das Motiv der Nachfolge eine exponierte Stellung einnimmt und das eigentliche Heilungswunder dahinter zurücktritt. Doch lässt sich eigentlich von einem klassischen Heilungswunder sprechen oder handelt es sich nicht vielmehr um eine antike herrscherliche Audienzszene mit hellenistischen und alttestamentlichen Implikationen, durch die der Evangelist die Messianität Jesu und seine eschatologische Vollmacht unterstreichen will?[5] Unter anderem auf diese Fragen will die nachfolgende exegetische Untersuchung von Mk 10,46–52 Antworten finden.

2. Text

2.1 Verssegmentierung am griechischen Text

Einleitung bzw. Exposition: [6]

Ortsangabe: 46a Καὶ ἔρχονται εἰς Ἰεριχώ.

Benennung der Personen: 46b Καὶ ἐκπορευομένου αὐτοῦ ἀπὸ Ἰεριχὼ

46c καὶ τῶν μαθητῶν αὐτοῦ

46d καὶ ὄχλου ἱκανοῦ ὁ υἱὸς Τιμαίου Βαρτιμαῖος, τυφλὸς προσαίτης,

Situationsbeschreibung: 46e ἐκάθητο παρὰ τὴν ὁδόν.

Hauptteil:

I 1 (Bartimäus) 47a καὶ ἀκούσας

47b ὅτι Ἰησοῦς ὁ Ναζαρηνός ἐστιν

47c ἤρξατο κράζειν καὶ λέγειν·

47d υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ, ἐλέησόν με.

2 (Menge) 48a καὶ ἐπετίμων αὐτῷ πολλοὶ ἵνα σιωπήσῃ·

3 (Bartimäus) 48b ὁ δὲ πολλῷ μᾶλλον ἔκραζεν·

48c υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με.

II 1 (Jesus) 49a καὶ στὰς ὁ Ἰησοῦς εἶπεν·

49b φωνήσατε αὐτόν.

2 (Menge) 49c καὶ φωνοῦσιν τὸν τυφλὸν λέγοντες αὐτῷ·

49d θάρσει, ἔγειρε, φωνεῖ σε.

3 (Bartimäus) 50a ὁ δὲ ἀποβαλὼν τὸ ἱμάτιον αὐτοῦ

50b ἀναπηδήσας ἦλθεν πρὸς τὸν Ἰησοῦν.

III 1 (Jesus) 51a καὶ ἀποκριθεὶς αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς εἶπεν·

51b τί σοι θέλεις ποιήσω;

2 (Bartimäus) 51c ὁ δὲ τυφλὸς εἶπεν αὐτῷ·

51d ραββουνι, ἵνα ἀναβλέψω.

3 (Jesus) 52a καὶ ὁ Ἰησοῦς εἶπεν αὐτῷ·

52b ὕπαγε, ἡ πίστις σου σέσωκέν σε.

Schluss:

52c καὶ εὐθὺς ἀνέβλεψεν

52d καὶ ἠκολούθει αὐτῷ ἐν τῇ ὁδῷ.

2.2 Wissenschaftliche Übersetzung von Mk 10,46–52

46. Und sie kommen nach Jericho. Und als er und seine Jünger und eine ansehnliche Menge aus dem Volk aus Jericho hinausgegangen waren, saß Bartimäus, der Sohn des Timäus, ein blinder Bettler, am Wegesrand.

47. Und als er hörte, dass es Jesus, der Nazarener, ist, begann er zu schreien und zu sagen: Sohn Davids, Jesus, erbarme dich meiner!

48. Und einige wiesen ihn zurecht, dass er schweigen soll; er aber schrie umso heftiger: Sohn Davids, erbarme dich meiner!

49. Und Jesus hielt an und sagte: Ruft ihn herbei! Und sie rufen den Blinden und sagen zu ihm: Sei guten Mutes! Steh auf, er ruft dich!

50. Er aber warf seinen Umhang ab, sprang auf und kam zu Jesus.

51. Und Jesus antwortete ihm und sprach: Was willst du, dass ich [mit] dir tun soll? Der Blinde aber sprach zu ihm: Rabbuni[7], dass ich wieder sehen kann!

52. Und Jesus sprach zu ihm: Geh hinfort, dein Glaube hat dich gerettet[8] ! Und sofort konnte er [wieder] sehen und folgte ihm auf dem Weg nach.

2.3 Textkritik

Auf textkritischer Ebene lassen sich einige interessante Beobachtungen zur Perikope von der Heilung des blinden Bartimäus in Mk 10,46–52 machen.[9] An zwei Stellen soll die Textkritik exemplarisch durchgeführt werden:

In V. 46a lässt sich anhand des NTG28 erkennen, dass die Ortsangabe Καὶ ἔρχονται εἰς Ἰεριχώ vom Codex (=C) Vaticanus (B*) sowie einer Einzelhandschrift der sahidischen Überlieferung nicht bezeugt ist. Bei allen anderen Textzeugen wird die Ortsangabe genannt, darunter zum Beispiel vom C. Sinaiticus (א) oder vom wertvollen Bodmer-Papyrus75 aus dem 3. Jh. n. Chr.. Hier greift die 1. Regel der Textkritik (bestbezeugte Lesart = ursprünglich). Gemäß der 7. Regel ist zwar stets die kürzere Lesart ursprünglicher und der C. Vaticanus gilt „als wertvollster Textzeuge des Neuen Testaments“[10], jedoch sollte im Zweifel den äußeren Kriterien der Vorzug gegeben werden. Daher ist anzunehmen, dass die Doppelung der Ortsangabe in V. 46 wahrscheinlich auf Markus zurückgeht, die Lesart des NTG28 als ursprünglich angesehen werden kann und die Doppelung geglättet wurde.

In V. 47b ist auffällig, dass die Herkunftsbezeichnung Jesu, Ναζαρηνός, bei den einzelnen Textzeugen variiert: Die vom NTG28 favorisierte Lesart Ναζαρηνός wird z. T. vom C. Vaticanus (B), dem C. Regius (L), dem C. Washingtonianus (W), dem C. Sangallensis (Δ), dem C. Koridethi (Θ), dem C. Athos Laurensis (Ψ), der Minuskelfamilie f 1, der Minuskel 892, der Vulgata, einem Teil der altlat. Zeugen (lat) und von Origenes (Or) getragen. Die alternative Lesart Ναζωραιος wird vom C. Sinaiticus (א), dem C. Alexandrinus (A), dem C. Ephraemi Syri rescriptus (C), dem C. Cyprius (K), dem C. Tischendorfianus IV (G), den Minuskeln der Ferrar-Gruppe (f 13), anderen Minuskelhandschriften[11] und dem Mehrheitstext bezeugt. Ναζωρηνος wird vom C. Bezae Catabrigiensis (D), den Minuskeln 28,1* und qc gestützt. Bei dieser Lesart greifen die 1. und 3. Regel, da der D-Text von geringerer Qualität ist.[12] Diese Aussage wird von Aland/Aland bestätigt, die den Wert des D-Textes in die Kategorie IV (wenig wertvoll) einordnen.[13] Somit bleiben die beiden Lesarten Ναζαρηνός und Ναζωραιος: Zwar hat Ναζωραιος mit dem C. Sinaiticus (א) und der Ferrar-Gruppe (f 13) wertvolle Zeugen vorzuweisen, jedoch stellt der C. Vaticanus (B) „die mit Abstand bedeutendste Majuskel dar“[14], der Ναζαρηνός mit kleinen Abweichungen bezeugt. Hierbei muss der Paralleleinfluss bei Ναζωραιος (s. Lk 18,37) berücksichtigt werden. Nach der 1., 3. und 4. Regel ist die Lesart des NTG28 somit als ursprünglich anzusehen.

Die alternativen Lesarten lassen sich aus Ναζαρηνός heraus erklären: Bei Ναζωρηνος kann es sich vielleicht um einen Abschreibfehler gehandelt haben, dass das α durch ein ω ersetzt wurde und bei Ναζωραιος wäre durchaus denkbar, dass Lk 18,37 hierfür die Vorlage gewesen ist. Somit ließe sich auch die 9. Regel als erfüllt ansehen.

3. Synchrone Analyse

3.1 Kontextanalyse

Innerhalb des Markusevangeliums kommt der Perikope von der Heilung des blinden Bartimäus in Mk 10,46–52 eine ganz besondere Funktion zu. Auf der einen Seite ist sie nämlich die letzte Wundergeschichte[15], die man bei Markus finden kann und auf der anderen Seite markiert sie den „Übergang zum Ziel des Weges Jesu, der aus der Gegend von Cäsarea Philippi nach Jerusalem führt[e].“[16] H-J. Eckstein konstatiert so z. B. treffend:

Die Erzählung von der Heilung des Bartimäus in Mk 10,46–52 ist in vielfacher Hinsicht außergewöhnlich. Schon durch ihre exponierte Stellung erweckt sie besondere Aufmerksamkeit. Während die übrigen Heilungsgeschichten fast alle im ersten Hauptteil des Evangeliums (1,14–8,26) zu finden sind, folgt diese letzte Heilungserzählung auf den großen Abschnitt der Jüngerbelehrung (8,27–10,45) und dient somit als Übergang zum dritten Hauptteil, dem Bericht von dem Wirken und der Passion Jesu in Jerusalem (11,1–16,8).[17]

Tatsächlich berichtet der Evangelist von den meisten Heilungsberichten im Markusevangelium schon im ersten Hauptteil seines Evangeliums. Von 1,14–8,26, also in weniger als zehn Versen, finden sich ganze zehn Wundererzählungen[18] und liegen dort in einer stark konzentrierten Form in Hinsicht auf das Verhältnis von übriger Erzählung und Wundererzählung vor. Innerhalb des zweiten Hauptteils, der sogenannten Jüngerbelehrung von 8,27–10,45, nimmt die Jüngerthematik eine zentrale Stellung ein und so ist es nicht verwunderlich, dass mit der Heilung eines epileptischen Knaben in 9,14–29 gerade eine Heilungserzählung dort platziert wurde, die diese Thematik explizit aufgreift.[19] Die Heilung des blinden Bartimäus bildet demzufolge kontextual analytisch betrachtet die entscheidende Schnittstelle zwischen dem zweiten und dem dritten Hauptteil, indem sie durch die Fokussierung auf die Motive Glaube, Weg und Nachfolge (s. 4.5 Traditionsgeschichte) eine passende Überleitung zur Passionserzählung Jesu in Jerusalem (11,1–16,8) schafft. Ein weiteres Indiz für dieses Übergangsmoment ist die Platzierung einer weiteren Blindenheilung am Übergang von Block I zu II in Mk 8. Der Evangelist scheint mit den beiden Blindenheilungserzählungen bewusst eine Rahmung seines Evangeliums vorgenommen zu haben.

3.2 Sprachlich-syntaktische Analyse

Auf sprachlich-syntaktischer Ebene fällt gleich zu Beginn der Perikope in V. 46a auf, dass dieser mit einem einleitenden kαὶ beginnt, welches „an das vorangegangene Gespräch Jesu mit seinen Schülern vom Herrschen und Dienen an[schließt]“[20]. Beim Blick in die Konkordanz wird ersichtlich, dass Markus wohl eine Vorliebe für das einleitende kαὶ haben muss und „(d)ieser schlichte additive Anschluss“[21] als ein Charakteristikum der markinischen Erzählweise aufgefasst werden kann. Charakteristisch für den markinischen Erzählstil sind zudem einige Alliterationen, wie z. B. ἔρχονται εἰς (V. 46a), κράζειν καὶ (V. 47c) oder ἀποκριθεὶς αὐτῷ in V. 51a. Auffällig ist auch, dass V. 46 erst mit einer finiten Verbform im Präsens beginnt, nämlich ἔρχονται[22] sie kommen, und letztlich gegen Ende des Verses mit ἐκάθητο[23] er saß ein Wechsel in das Präteritum stattfindet. Dies lässt darauf schließen, dass Markus ganz bewusst mit der Verwendung des Praesens historicum die Leserschaft mitten in das Geschehen hinein holen möchte, damit sich diese als ein Teil der unbestimmten, aber ὄχλου ἱκανοῦ versteht. Erst in V. 49c findet dann mit dem Ausspruch der Menge, einem Pleonasmus von φωνοῦσιν rufen und λέγοντες sagen[24], ein erneuter Tempuswechsel in das Präsens statt. Das gerade die ὄχλου ἱκανοῦ nun wieder in das Präsens fällt und sich der Evangelist einer pleonastischen Wendung bedient, kann vielleicht als ein Indiz dafür gedeutet werden, dass er uns die Gegenwärtigkeit des Geschehens bewusst und uns als Leserschaft wieder mitten in die Situation hinein holen möchte. Zudem findet hiermit eine bewusste Rahmung der Szene statt, die für zusätzliche Spannung sorgt.[25] Als Mittel der Spannungssteigerung lassen sich auch die Anschlüsse in V. 49–52 verstehen, die stets asyndetischen Charakter haben. Auf syntaktischer Ebene findet man so z.B. bei den Participia coniuncta ἀποβαλὼν (V. 50a) und ἀναπηδήσας (V. 50b) Parataxe in asyndetischer Form vorliegen, die wahrscheinlich die Eile und den Eifer von Bartimäus Handlung betonen sollen. Dieser Eindruck wird durch die Verwendung des Partizips ἀναπηδήσας (wohlgemerkt ein Aorist mit punktuell-ingressivem Aspekt!)[26] noch einmal intensiviert, da dieses vom α-Contracta-Verb ἀναπηδa,ω abstammt, welches mit der Bedeutung aufspringen im Aorist klar zu den Verben der Bewegung im Griechischen gezählt werden kann. Der Affekt der Handlung wird wiederum durch zwei asyndetische Parataxe in V. 49 unterstrichen, die zueinander in einem Verhältnis der Kausalität stehen. Sie schließen sich an zwei unverbunden gereihte Imperative (θάρσει, ἔγειρε, φωνεῖ σε) in V. 49d sowie „die umgangssprachlich asyndetischen Verbindungen von θέλεις mit deliberativem Konjunktiv in V. 51a [hier: 51b] und von ὕπαγε mit einem Aussagesatz in V. 52a [hier: 52b]“[27] an. Die häufige Verwendung von Asyndeta mag vielleicht auf den ersten Blick die Kohäsion des Textes beeinträchtigen, jedoch tut sie der Kohärenz des Textes keinen Abbruch, da dieser durchgehend verständlich ist. Kohäsion wird aber durch die Wiederholung des Flehrufes des blinden Bettlers in V. 47d (hier noch mit Ἰησοῦ als Ergänzung) und 48c υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με erzeugt. Möglicherweise deutet der relative Mangel an Kohäsion bereits auf eine redaktionsgeschichtliche Bearbeitung des Textes hin.[28] Dem soll aber in der Literarkritik (4.1) näher nachgegangen werden. Syntaktisch fällt auf, dass die Reaktionen des Blinden (V. 48b, 50a, 51c) stets mit einem kopulativen δὲ hervorgehoben, wohingegen „die Aussagen über Jesus und die Menge durch die üblichen Parataxe mit kαὶ angefügt werden.“[29]

Bei der Analyse der vorkommenden Wortarten in Mk 10,46–52 lässt sich feststellen, dass das Verhältnis der vorkommenden Verbal- und Nominalformen generell sehr ausgewogen ist, die Verben aber inklusive der Partizipien leicht überwiegen. Zwar bedient sich Markus zahlreicher Erläuterungen und Erklärungen in der Form von Zusätzen wie z. B. Ἰησοῦς ὁ Ναζαρηνός in V. 47b, aber das Hauptaugenmerk des Evangelisten liegt vielmehr auf den gereihten Imperativen θάρσει, ἔγειρε, φωνεῖ σε in V. 49d oder semantisch wichtigen Verben, wie z. B. ἠκολούθει in V. 52d. Die Äußerungen des blinden Bettlers stehen klar im Mittelpunkt der Erzählung, was man alleine schon an der Wiederholung des Flehrufes aus V. 47d in 48c erkennen kann. Ein weiteres Argument für diese These ist der Umstand, dass innerhalb der gesamten Erzählung nur Bartimäus mit einem Adjektiv näher beschrieben wird. Er wird als τυφλὸς blind (V. 46d) charakterisiert. Dies geht jedoch so weit, dass er in V. 51c sogar als ὁ δὲ τυφλὸς der Blinde aber bezeichnet wird. Bartimäus steht für Markus nämlich nicht nur für irgendeinen Blinden, an dem Jesus ein Heilungswunder vollzieht, sondern er steht für diesen einen bestimmten Blinden, der Jesus aufgrund seines großen Glaubens auf dem Weg in die Passion folgt und in seine Nachfolge tritt, ja sogar zu einem seiner Jünger wird. Dies ist gerade mit Blick auf Mk 4 erstaunlich, wo Jesus die Bitte des Geraseners, ihm nachzufolgen, wissentlich ablehnt.

3.3 Semantische Analyse

Auf textsemantischer Ebene ist vor allem die häufige Verwendung von Verben aus dem Wortfeld des Sagens und Sprechens auffallend: Numerisch betrachtet kommen λέγειν (ganze 6x!)[30], φωνεῖν (allein 3x in V. 49!), κράζειν (V. 47c u. 48b), ἀποκρινεσθαι (V. 51a), σιωπην (V. 48a) sowie als Verb aus dem Wortfeld des Hörens ἀκούειν in V. 47a vor. Darüber hinaus lässt sich ein weiteres Wortfeld von Verben der Bewegung ausmachen: Zu nennen wären hier ἔρχομαι (V. 46a u. 50b), ἐκπορευομαι (V. 46b), ἀναπηδά,ω (V. 50b) und das wahrscheinlich wichtigste Verb der gesamten Perikope, ἀκολούθειν in V. 52d mit der Bedeutung nachfolgen, das auf das Motiv der Nachfolge verweist, die im Mittelpunkt der gesamten Erzählung steht und sie als Nachfolgegeschichte charakterisiert.[31] Als Oppositionen finden sich im Text Verben, wie z. B. ἐκάθητο sitzen (V. 46e) als Opposition zu ἔρχονται kommen (V. 46a) aus dem Wortfeld der Bewegung oder als Opposition zum Verb κράζειν schreien (V. 47c) aus dem Wortfeld des Sagens/Sprechens σιωπήσῃ schweigen (V. 48d).

Auf sprachlicher Ebene fällt zudem die dialogische Struktur der Erzählung auf, die „eindeutig erkennen [lässt], daß es bei dieser Erzählung zentral um das Geschehen auf der Sprachebene geht.“[32] Auffällig ist zudem die häufige Verwendung von Hoheitstiteln in der vorliegenden Perikope: So redet der blinde Bartimäus Jesus in V. 47d an und wiederholt seine Anrede in V. 48c mit υἱὲ Δαυὶδ Sohn Davids. Die Verwendung dieses Hoheitstitels ist für Markus absolut untypisch und findet sich sonst nur noch in Mk 12,35–37, wo es um die Königsmessianologie geht, die bei David ihren Ursprung genommen hat. Die hoheitliche Anrede mit υἱὲ Δαυὶδ hat man nach W. Grundmann „durchgängig als Messiasanrede im Sinne des königlich-nationalen Messias verstanden“[33], jedoch verweist er auch auf gegenteilige Stimmen, wie z. B. die von E. Lohmeyer, der keinen Zusammenhang mit der davidischen Königsmessianologie sieht.[34]

So mag es wie eine Spannung im Text erscheinen, wenn in V. 51d Jesus von Bartimäus als ραββουνι bezeichnet wird und damit eine weitere Bezeichnung für Jesus neben υἱὲ Δαυὶδ Verwendung findet.[35] Die Bezeichnung Jesu als ραββουνι findet sich in den synoptischen Evangelien einzig an dieser Stelle (vgl. im gesamten NT sonst nur noch in Joh 20,16!). Markus verwendet sonst, wie die anderen Synoptiker, ραββι mein Herr als jesuanische Anrede (vgl. Mk 9,5; 11,21; 14,45). P. Dschulnigg meint hierzu in Anlehnung an Schweizer: „Die Anrede mit ,mein Herr´ wirkt so noch intensiver und dürfte als gesteigerter Ausdruck des Vertrauens des Hilfesuchenden zu werten sein.“[36]

3.4 Narrative Analyse

In Anlehnung an die sprachlich-narratologische Analyse der Perikope von der Heilung des blinden Bartimäus bei Jericho in Mk 10,46–52 von D. Dormeyer lässt sich diese in etwa sieben Sequenzen, auch Erzählereignisse, unterteilen.[37] Diese Erzählsequenzen finden eine Rahmung in der generellen Struktur der Perikope, die sich grob in eine kurze Einleitung bzw. Exposition in V. 46, einen auf kompositorischer Ebene kunstvoll und ausgewogen gestalteten Hauptteil von V. 47 bis 52b und einen wiederum kurzen Schluss von V. 52c bis 52d gliedern lässt.[38] Der erste Vers der Erzählung, V. 46, lässt sich als erste erzählerische Sequenz auffassen, welche zugleich einen einleitenden Charakter hat. Das Aufeinandertreffen von Jesus und dem blinden Bettler namens Bartimäus steht kurz bevor, und durch die für Markus typische Nennung der Jünger und der großen Volksmenge, die ihn begleiten, wird zusätzliche Spannung aufgebaut, die letztlich im darauffolgenden Gespräch Jesu mit Bartimäus in Sequenz 2 (V. 47) mündet.

Diese beginnt damit, dass Bartimäus bemerkt, wie Ἰησοῦς ὁ Ναζαρηνός an ihm vorbeigeht, von dessen Wundertaten er wahrscheinlich schon viel gehört hat. Die biographische Ergänzung ὁ Ναζαρηνός ist dabei von entscheidender Bedeutung für Bartimäus, damit er sicher sein kann, dass es auch der richtige Jesus ist. Bewusst hat Markus diese Zusatzinformation eingefügt, um noch einmal hervorzuheben, dass nur der Jesus aus Nazareth Gottes Sohn und deshalb dazu in der Lage ist, Wunder und Heilungen zu vollbringen. Bartimäus beginnt sofort zu schreien und erhofft sich mit seinem Flehruf υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ, ἐλέησόν με (V. 47d) Heilung vom Sohn Davids. H.-J. Eckstein sieht deshalb in Mk 10,46–52 eine antike herrscherliche Audienzszene vorliegen, „wie sie nicht nur in hellenistischen, sondern auch in alttestamentlichen Texten beschrieben wird.“[39] Doch Jesus reagiert nicht sofort auf den Flehruf und es bedarf erst dessen Wiederholung in V. 48c, damit Jesus sich ihm zuwendet. D. Dormeyer hierzu: „Der Vertrauensglaube des Bettlers wird auf die Probe gestellt. Er muss jetzt wie bei einer Audienz beharrlich weiter betteln, um vom hoheitsvollen Davidssohn erhört zu werden (Mk 11,20–25).“[40] Mit der Aufforderung einiger aus der ὄχλου ἱκανοῦ, die als Aktant in V. 49c/d eine wichtige Rolle einnimmt, indem sie ihm Mut zuspricht und ihn auffordert aufzustehen und zu Jesus zu gehen, dass er schweigen solle, beginnt die 3. Erzählsequenz in V. 48. Wahrscheinlich wird er von einigen als zu unwürdig betrachtet, um Kontakt mit Jesus haben zu dürfen. Dies war zuvor schon mit den Kindern in Mk 10,13–16 der Fall gewesen. Allein der Reiche in Mk 10,17–31 wurde zu Jesus vorgelassen. Trotzdem bleibt Bartimäus beharrlich und wiederholt seinen Flehruf aus V. 47d. In Sequenz 4 (V. 49) wird schließlich der Mittelpunkt der Erzählung erreicht. Endlich findet eine Reaktion von Seiten Jesu statt und er bleibt stehen. In V. 50 (Sequenz 5) kommt es dann zur Reaktion Bartimäus auf die Aufforderung der Menge, indem er sofort seinen Mantel abwirft, aufspringt und auf Jesus zukommt. Dieses Handeln bleibt nicht ohne Belohnung, wenn ihn Jesus in Sequenz 6 (V. 51 bis 52b) von seiner Blindheit heilt. Hierbei fehlt jedoch die Heilungsgeste, doch Jesus sagt zu ihm, dass sein Glaube ihn geheilt hat. Zum Schluss (Sequenz 7, V. 52c/d) der Perikope erfolgt die markinische Konstatierung, dass der Blinde sofort wieder sehen kann und in die jesuanische Nachfolge eintritt. Es fehlt jedoch die Reaktion des Volkes.

3.5 Pragmatische Analyse

Der Protagonist in Mk 10,46–52, ein blinder Bettler namens Bartimäus, steht paradigmatisch für eine Person, die dazu bereit ist, aus ihrem Glauben heraus in großer Aufopferungsbereitschaft alles aufzugeben, um in die Nachfolge Jesu einzutreten. Bartimäus ist es, der Jesus mit den Hoheitstiteln υἱὲ Δαυίδ (V. 47d/48c) und ραββουνι (V. 51d) anredet und sich damit zu ihm als den Messias bekennt. Markus möchte dem*r Leser*in mit ihm eine Identifikationsfigur bieten, die zugleich als Vorbild dient, es ihm gleich zu tun und sich in die jesuanische Nachfolge zu begeben. Klares markinisches Interesse ist also die Gewinnung von Jüngerinnen und Jüngern. Aus dem Fehlen der Heilungsgeste[41] oder eines Heilungswortes[42] in V. 52, die stattdessen durch den bloßen Imperativ ὕπαγε (V. 52b) in der Form einer Aufforderung zur Nachfolge ersetzt werden sowie aus dem Umstand, dass die Erzählung nur wenige typische Elemente einer urchristlichen Wundergeschichte aufweist[43], lässt sich schließen, dass das vorrangige Interesse des Evangelisten nicht in der Demonstration der Wirkmächtigkeit Jesu als Messias bestand, sondern diese vielmehr durch die Person des blinden Bettlers und seinen vorbildlichen Glauben schon vorausgesetzt wird. Andernfalls würde er sich kaum mit Flehrufen und der Bitte um Heilung an ihn wenden. Markus möchte die Aufmerksamkeit der Leserin/des Lesers klar auf Bartimäus lenken. Die Menge wird hingegen zu Beginn der Erzählung als antagonistische Kraft dargestellt, die darum bestrebt ist, den Blinden an der Kontaktaufnahme mit Jesus zu hindern. Doch sie können ihn nicht zum Schweigen bringen und er bleibt beharrlich in seinem Vertrauen auf die Messianität Jesu, was mit der Wiederholung des Flehrufes in V. 48c nochmals unterstrichen wird. Doch auf die Aufforderung Jesu in V. 49b, ihn herbeizurufen, reagiert die Menge gleichsam mit Umkehr und Buße, indem sie nun Bartimäus rufen, ihm Mut zusprechen und ihn sogar dazu auffordern, aufzustehen und zu ihm zu gehen (vgl. V. 49c/d). Markus illustriert hiermit, dass es für die Zuwendung zum Guten nie zu spät ist. Die Erzählung hat sowohl informativen als auch expressiven Charakter, denn Markus möchte einerseits mithilfe der Person des blinden Bettlers darüber informieren, wie wahrhaftige Jesusnachfolge auszusehen hat, und andererseits zugleich in expressiver Absicht Nachfolgerinnen und Nachfolger wie Bartimäus gewinnen. Doch mit der Schilderung des beispielhaften Verhaltens der Menge erhält der Text zugleich beratenden Charakter, der die Rezipienten zum richtigen Verhalten anleiten möchte. Es wird dem*r Leser*in überlassen, ob er bzw. sie sich lieber mit Bartimäus oder einer Person aus der Menge identifizieren möchte. Wie schon in der sprachlichen Analyse gezeigt wurde, wird dies z. B. durch den Tempuswechsel und der Verwendung des Praesens historicum in V. 46a und 49c begünstigt.[44]

Mit der Reaktion Jesu auf das aus seiner Sicht verwerfliche Verhalten der Menge in V. 49b erhält der Text aber zugleich eine dikanische Funktion, indem die Absicht der Menge, Bartimäus zum Schweigen zu bringen, als nicht im Sinne Jesu dargestellt wird. Mit der Verwendung der beiden Begriffe mit Bezug zum Aramäischen, Βαρτιμαῖος (V. 46d) und der Bezeichnung Jesu als υἱὲ Δαυὶδ in V. 47d und 48c, hat Markus klar judenchristliche, vielleicht auch palästinische Adressaten im Blick. Die Übersetzung des Patronyms ὁ υἱὸς Τιμαίου in V. 46d dürfte nämlich erst nachträglich beim Übergang der Erzählung in den griechischen Sprachraum hinzugekommen sein, als das Verständnis des Aramäischen seitens der Leserschaft nicht mehr vorausgesetzt werden konnte.[45]

4. Diachrone Analyse

4.1 Literarkritik

Auf literarkritischer Ebene kann man die Perikope von der Heilung des blinden Bartimäus in Mk 10,46–52 ihrer Gestalt nach wohl zur vormarkinischen Passionsgeschichte zählen. Argumente hierfür sind zum Beispiel die klare Lokalisierung in der Nähe von Jericho sowie die thematische Verwandtschaft mit der Erzählung vom Einzug Jesu in Jerusalem (Mk 11,1–11).[46] Sie bildet die letzte Wundererzählung im Markusevangelium und nimmt deshalb eine exponierte Stellung ein.[47] Sie steht nach einem in sich geschlossenen Kompositionsabschnitt von 8,27–10,45 und befindet sich vor dem Einzug Jesu in Jerusalem ab 11,1. Aufgrund der großen thematischen Nähe zu dieser Erzählung vertreten bzw. vertraten manche Exegeten die Auffassung, dass Markus beide Perikopen in verbundener Form vorgefunden und diese dann an dieser wichtigen Schnittstelle des Evangeliums kurz vor der Passionserzählung eingeordnet hat.[48] Für eine vormarkinische Verbundenheit beider Erzählungen können folgende Entsprechungen sprechen: 1. Die Ortsangabe Καὶ ἔρχονται εἰς Ἰεριχώ in V. 46a kann als Indiz dafür gelten, dass Jesus wahrscheinlich auf einem alten Pilgerweg von Jericho aus über Bethanien nach Jerusalem gereist ist. In Mk 11,1 wird nämlich explizit genannt, dass sie sich von Betphage und Bethanien aus in Richtung Ölberg nähern und Jesus von dort aus zwei seiner Jünger entsendet: Καὶ ὅτε ἐγγίζουσιν εἰς Ἱεροσόλυμα εἰς Βηθφαγὴ καὶ Βηθανίαν πρὸς τὸ ὄρος τῶν ἐλαιῶν, ἀποστέλλει δύο τῶν μαθητῶν αὐτοῦ.[49] 2. Die beiden Jünger aus Mk 11,1–2 finden aller Wahrscheinlichkeit nach schon in 10,46c zusammen mit den anderen Jüngern und einer ansehnlichen Menge als Reisebegleitung Jesu Erwähnung. 3. Der Flehruf des blinden Bartimäus in 47d und 48c kann schon als Vorgriff des Hosianna-Rufes in Mk 11,9–10 angesehen werden, da dort der Davidssohntitel mit der βασιλεία τοῦ πατρὸς ἡμῶν Δαυίδ noch einmal nachklingt. 4. In Mk 11,8 ist davon die Rede, dass viele ihre Kleider auf dem Weg ausbreiten, um dem Sohn Davids die ihm gebührende Ehre zu erweisen; hier klingt V. 50a nach, in dem Bartimäus seinen Mantel abwirft, bevor er aufsteht und zu Jesus geht. Es ist aber nicht mehr von einem ἱμάτιον, sondern von vielen ἱμάτια die Rede. Auch die πολλοὶ aus V. 48a werden noch immer die Gleichen sein, nur jetzt wollen sie Bartimäus nicht mehr zum Schweigen bringen und breiten stattdessen ihre Kleider auf dem Weg aus. 5. Das Verb ἠκολούθει aus V. 52d klingt in Mk 11,9 noch einmal nach, wenn dort von den οἱ ἀκολουθοῦντες gesprochen wird.[50] Da die genannten Argumente aber allesamt eher hypothetischen als faktitiven Charakter haben und es genauso gute Argumente gegen eine gemeinsame vormarkinische Überlieferung gibt[51], kann diese aus Plausibilitätsgründen nicht allgemein angenommen werden. Vielmehr muss erst einmal das Verhältnis von Tradition und Redaktion in Mk 10,46–52 geklärt werden.

Gleich zu Beginn der Perikope fallen einige Spannungen in V. 46 auf. Wenn in V. 46a berichtet wird, dass „sie“ nach Jericho kommen, das Personalpronomen aber erst in V. 46b–d mit Jesus, den Jüngern und einer großen Volksmenge aufgelöst wird. Dies passt jedoch nicht zum singularischen Gen. abs. ἐκπορευομένου αὐτοῦ in V. 46b und steht zu diesem in Spannung. Einige Exegeten fassen deshalb καὶ τῶν μαθητῶν αὐτοῦ καὶ ὄχλου ἱκανοῦ als redaktionelle Ergänzung auf.[52] Auch die doppelte Nennung der Ortsangabe Ἰεριχὼ (V. 46a/b) mutet als eine Spannung an und aufgrund des unüblichen Präsens in V. 46a mag dieser wohl eher als redaktionell gelten.[53] Die Nennung des Blinden in V. 46d wird somit wohl vormarkinisch mit einem kopulativen καὶ an V. 46a angefügt gewesen sein.[54] Als redaktionell lässt sich aber auch der letzte Vers der Perikope, V. 52d, καὶ ἠκολούθει αὐτῷ ἐν τῇ ὁδῷ auffassen. Das Motiv des Weges findet sich nämlich bereits in Mk 8,27; 9,33; 10,32 und 10,17. Auch das Verb ἠκολούθει ist Ausdruck des markinischen Interesses daran, den blinden Bettler namens Bartimäus paradigmatisch als jemanden darzustellen, der Jesus auf dem Weg nach Jerusalem in die Passion nachfolgt und sich ihm als Jünger anschließt. Vormarkinisch mag am Ende der Perikope vielleicht ein für urchristliche Wundergeschichten typischer Chorschluß mit Admiration oder Akklamation als Reaktion der Menge auf den Vollzug des Wunders gestanden haben. Damit könnte auch erklärt werden, weshalb dieser lediglich kurz mit καὶ εὐθὺς ἀνέβλεψεν (V. 52c) kommentiert und die öffentliche Demonstration durch die Bemerkung der Nachfolge ersetzt wird.[55] Neben dem Motiv der Nachfolge nimmt das Glaubensmotiv für Markus eine zentrale Stellung ein, weshalb es auch als Spannung anmutet, wenn in V. 52b davon die Rede ist, dass allein sein Glaube ihn gerettet hat. Die V. 49–51 lassen dabei noch die Struktur einer urchristlichen Wundererzählung erkennen, in der der Wundertäter und seine Wundermacht im Vordergrund stehen. Vormarkinisch gab es wahrscheinlich ein formgerechtes Heilungswort Jesu, das aber letztlich durch ἡ πίστις σου σέσωκέν σε in V. 52b im markinischen Interesse redaktionell ersetzt wurde. Das ὕπαγε ist als Rudiment erhalten geblieben und wahrscheinlich als vormarkinisch anzusehen.[56] Es lag im klaren Interesse des Evangelisten, das Glaubensmotiv in die Erzählung einzufügen, um mit Bartimäus eine Identifikationsfigur für einen beispielhaften Jünger Jesu zu liefern, nachdem die üblichen Jünger zuvor im Jüngerunverständnis (vgl. 8,31f; 9,18f; 9,30f; 10,32f) negativ dargestellt wurden. Der ausgesprochen starke Glaube des blinden Bettlers findet auch Ausdruck darin, dass der Flehruf aus V. 47d in 48c noch einmal wiederholt wird. Dies alleine lässt sich noch nicht als Spannung ansehen, aber es erscheint ungewöhnlich, dass eine Reaktion Jesu erst spät in V. 49a erfolgt. Stattdessen treten jedoch die πολλοὶ in V. 48a in Erscheinung, die Bartimäus zum Schweigen und damit an der Kontaktaufnahme mit Jesus hindern wollen. Hier einen Zusammenhang mit dem Messiasgeheimnis sehen zu wollen ist müßig, da dessen Wahrung sonst immer von Jesus selbst ausgeht. Es ist im klaren markinischen Interesse, dass der blinde Bettler nochmals schreit, dieses Mal aber πολλῷ μᾶλλον (V. 48b). Diese Notiz ist wichtig, da sie die Beharrlichkeit des Bettlers und die Größe seines Glaubens in den Vordergrund rückt.[57] Auch die Verwendung unterschiedlicher Anreden Jesu durch Bartimäus mutet als eine Spannung an. Zu nennen wären hier das doppelte Vorkommen des υἱὲ Δαυὶδ in V. 47d und 48c sowie das hier in der synopt. Tradition singuläre ραββουνι in V. 51d.[58] Da es sich bei ραββουνι um eine aramäische Anrede handelt, lässt sich diese gut mit der Lokalisierung der Wundererzählung in Jericho verbinden und deshalb als ursprünglich ansehen. Schwieriger verhält es sich da schon mit der Anrede Jesu als υἱὲ Δαυὶδ.[59] Am plausibelsten halte ich jedoch in Anlehnung an L. Schenke die Einfügung des Titels durch den Evangelisten. Ein Zusammenhang mit den anderen redaktionellen Ergänzungen besteht hier demzufolge. Die ursprüngliche Anrede Jesu wird wahrscheinlich Ἰησοῦ Ναζαρενέ gelautet haben und mit ἐλέησόν με verbunden gewesen sein. Als zur ältesten Überlieferungsschicht zugehörig ließen sich demnach die V. 46 (ohne b), 47 (ohne υἱὲ Δαυὶδ) sowie die V. 49–51 ausmachen. Bei V. 52 hingegen lässt sich „nur hypothetisch aus dem Vergleich mit anderen Wundererzählungen“[60] eine ursprüngliche Fassung rekonstruieren. In Anschluss an L. Schenke wird sie „das Heilungswort Jesu, den Eintritt der Heilung und wohl auch eine Reaktion des Geheilten und/oder der Zeugen berichtet haben.“[61] und lässt sich deshalb auch als in sich geschlossene Einzelüberlieferung charakterisieren. Markus hat jene lediglich an dieser wichtigen Schnittstelle des Evangeliums zum Passionsbericht eingefügt, da die Ortsangabe Jericho dazu Gelegenheit bot. Zudem wollte er mit den diversen redaktionellen Einschüben Bartimäus in ein bestimmtes Licht rücken und die für ihn wichtigen Motive des Glaubens und der Nachfolge in die Erzählung einbringen.[62]

4.2 Formanalyse

Im Rahmen der Literarkritik in 4.1 wurde versucht, die nachträglichen redaktionellen Ergänzungen des Evangelisten aus dem Text herauszuschälen, um dadurch die ursprünglich vormarkinische Überlieferung rekonstruieren zu können. Als vormarkinisch wurden die V. 46 (ohne b), 47 (ohne υἱὲ Δαυὶδ) sowie die V. 49–51 erachtet. In V. 52 lässt sich die vormarkinische Fassung nur noch hypothetisch herausarbeiten. Formgeschichtlich betrachtet lässt sich gerade in den V. 49–51 noch die Struktur einer antiken Heilungserzählung erkennen, an deren Ende ein Heilungswort Jesu und ein für Wundergeschichten typischer Chorschluß mit Admiration oder Akklamation als Reaktion auf den Vollzug des Wunders gestanden haben wird.[63] In der exegetischen Wissenschaft gibt es einige Stimmen, die Parallelen zu „den Berufungsgeschichten in Mk 1,16–20 par. und 2,14 bzw. 2,13–17 par. – oder auf die parallele Verbindung von Berufung und Wunder in Lk 5,1–11“[64] gesehen haben. Diese Beobachtung liegt nahe, da auch in Mk 10,46–52 das Motiv der Nachfolge von zentraler Bedeutung und Bartimäus letztendlich auch nach dem Vollzug des Wunders Jesu auf dem Weg in die Passion nachfolgt. Des Weiteren wird Bartimäus als späterer Jünger namentlich genannt und zudem Ort und Situation geschildert, in der es zur Begegnung mit Jesus kommt. H.-J. Eckstein merkt hier jedoch treffend an, dass „der Hinweis auf die Initiative des Berufenden und vor allem die ausdrückliche Aufforderung zur Nachfolge [fehlen] (…) [und] man in diesem Fall also nicht von einer ,Berufungsgeschichte´, wohl aber von einer , Nachfolgegeschichte´ sprechen [kann], in der über den Beginn der Nachfolge einer bekannten Persönlichkeit berichtet wird.“[65]. Auch der doppelte Flehruf des blinden Bettlers in V. 47d und 48c erscheint atypisch für die Gattung einer urchristlichen Wundererzählung[66] und es erscheint ungewöhnlich, dass Jesus nicht selbst darauf reagiert, sondern zur ὄχλου ἱκανοῦ spricht und in V. 49b erst einmal den Befehl gibt: φωνήσατε αὐτόν. Dieser wird auch prompt befolgt und sie ermutigen Bartimäus sogar noch in V. 49d zu Jesus zu kommen. Es folgen die Erkundigung Jesu nach dem Begehren des Bittstellers sowie nach der Anhörung der Bitte dessen Entlassung „mit einem positiven ´Bescheid´“[67] Es war eine glänzende formgeschichtliche Beobachtung von Seiten H.-J. Ecksteins, der hierin in Anlehnung an K. Berger eine „ausgeprägte Darstellung einer antiken herrscherlichen Audienz [gesehen hat], wie sie nicht nur in hellenistischen, sondern auch in alttestamentlichen Texten beschrieben wird.“[68] Zu dieser Beobachtung passt auch die Frage Jesu τί σοι θέλεις ποιήσω in V. 51b, der sich hier wie ein König nach dem Begehren seines Untertans, des Bittstellers erkundigt. Zum Abschluss erfolgen ein positiver Bescheid und ein Entlasswort[69], womit die Audienz dann offiziell beendet wird. K. Berger hat dieses Zusammenspiel von Bitte und Bescheid innerhalb einer Szene, die deshalb auch wie eine antike herrscherliche Audienzszene anmutet, als sog. Deesis/Petitio[70] klassifiziert. Zu dieser Beobachtung passt auch, dass die Motive der Nebenpersonen scheinbar keine Relevanz haben. Es zählt vor allem die Begegnung zwischen Jesus und Bartimäus und ob dieser alle Widerstände auf dem Weg dahin wird überwinden können. Die eigentliche Heilungserzählung tritt dahinter zurück und findet nur kurze Erwähnung in V. 52c. Mk 10,46–52 ist also nicht als herkömmliche Wundererzählung zu charakterisieren, sondern als eine Glaubenserzählung, die zur Nachfolge aufruft und nach dem Vorbild einer antiken herrscherlichen Audienzszene gestaltet ist.

4.3 Überlieferungsgeschichte

Auf überlieferungsgeschichtlicher Ebene gab es in der Vergangenheit sehr differierende Meinungen in der exegetischen Wissenschaft: So hielt zum Beispiel R. Bultmann

aufgrund des überlieferungsgeschichtlichen Kriteriums der ,reinen Form´ (…) Mk 10,46–52 insgesamt für eine ,späte Bildung´ [und sagte]: ,Die Geschichte verrät sich dadurch als sekundär, daß der Blinde mit Namen genannt ist´[71]

M. Dibelius nahm im Gegensatz zu Bultmann sehr wohl eine überlieferungsgeschichtliche Vorstufe der Perikope an und bezeichnete diese als

,Paradigma minder reinen Typs´ [,das] ursprünglich von Jesu Erbarmen mi einem namenlosen Blinden erzählte (…) mit alleinigem Nachdruck auf dem Erbarmen Jesu und dem Glauben des Blinden! Und diesen namenlosen Kranken hätte man dann später mit einem bekannten Blinden aus Jericho identifiziert.´[72]

D. Dormeyer spricht sich „gegen eine solche existentiale Traditionsbildung“ aus und begründet dies mit Q 7,22f, die einen Katalog von Wundertaten Jesu aufweist. Er stimmt mit Dibelius Auffassung aber darin überein, dass die Besonderheit der Bartimäus-Geschichte darin besteht, dass die Wundergeschichte nur fragmentarisch erzählt und mit einem Paradigma von der Bitte um Erbarmen und Nachfolge verbunden ist. Ob es zwei Stufen der Überlieferung gab, und zwar als erste Stufe den biographischen Kurzbericht von der Heilung des Schülers Bartimäus (...) und als zweite Stufe die Verbindung mit dem Paradigma von der Nachfolgebitte und ob die beiden Erzählstränge sich nicht mehr trennen lassen, muss offenbleiben.[73]

Ursprünglich wird die Erzählung ihren „Sitz im Leben“ in einer urchristlichen Gemeinde gehabt haben, die des Aramäischen mächtig war[74], missionarisch tätig gewesen ist und sich in „Auseinandersetzung mit dem Judentum über die heilsgeschichtliche Qualität Jesu“[75] befand. Dass die Erzählung ursprünglich ihre Bestimmung in der Judenmission gehabt haben wird, lässt sich daran festmachen, dass die aramäische Gemeinde ein großes Interesse daran hatte, ihn im Lichte der alttestamentlichen Weissagungen als Messias und υἱὲ Δαυὶδ darzustellen. Das ὁ υἱὸς Τιμαίου als wörtliche Übersetzung des aramäischen Namens Bartimäus in V. 46d, das ἀποβαλὼν in V. 50a sowie die jetzige Kompositionsstruktur legen die Vermutung nahe, dass die Perikope

später auch in Griechisch sprechenden Gemeinden tradiert worden ist. Auch dort wird sie ihre Funktion in der werbenden Missionsverkündigung gehabt, nun aber dazu gedient haben, Jesus als den mit Wundermacht ausgestatteten ´Gottessohn´ darzustellen, wozu sich das Stück als stilechte Wundergeschichte in besonderer Weise eignete.[76]

Wie sich auch durch die vorangegangene literarkritische (4.1) und formgeschichtliche (4.2) Untersuchung von Mk 10,46–52 belegen lässt, wird es sich bei der Erzählung wahrscheinlich ursprünglich um eine klassische Wunder- und Blindenheilungserzählung gehandelt haben, die auch klassische Stilelemente einer urchristlichen Wundererzählung aufwies.

4.4 Redaktionskritik

Auf redaktionskritischer Ebene ist in Rückgriff auf die Ergebnisse der literarkritischen Untersuchung in 4.1 besonders deutlich zu erkennen, dass der Evangelist insbesondere den großen Glauben des blinden Bettlers, der letztendlich in die Nachfolge Jesu mündet und dessen Bekenntnis zu Jesus als dem fleischgewordenen Messias, der in der Tradition der alttestamentlichen Verheißungen steht, hervorheben wollte. Zu Beginn des fünften Hauptteils des Markusevangeliums (8,27–10,52) findet sich das Messiasbekenntnis des Petrus, das am Ende durch das Bekenntnis Bartimäus zur Davidssohnschaft Jesu noch einmal bestärkt wird. Damit zeichnet Markus einen klaren Kontrast zum Jüngerunverständnis und platziert bewusst auch die zweite Blindenheilung des Evangeliums wie zuvor die zweiphasige Heilung eines namenlosen Blinden in 8,22–26 wieder an das Ende, um zu verdeutlichen, „dass den Begleitern Jesu die Augen geöffnet werden müssen, damit sie ihn wirklich erkennen und ihm auf dem Weg in das Leiden nachfolgen können.“[77] Im vierten Hauptteil (4,35–8,26) fragte man sich die ganze Zeit über, wer dieser Jesus denn eigentlich sei. Eine Antwort auf diese Frage wurde letztlich in 8,27–10,52 gegeben, aber zumindest findet man durch die drei vorkommenden Anreden Jesu, nämlich Ναζαρηνός (V. 47b), υἱὲ Δαυὶδ (V. 47d/48c) und ραββουνι (V. 51d), noch einmal eine Anspielung hierauf.[78] Im Rahmen der Literarkritik wurde u.a. herausgestellt, dass es sich bei V. 52d καὶ ἠκολούθει αὐτῷ ἐν τῇ ὁδῷ. wahrscheinlich um eine redaktionelle Einfügung handelt. Dies wurde z. B. mit anderen Belegstellen im Evangelium begründet, in denen die Wendung ἐν τῇ ὁδῷ ebenfalls formelhaft benutzt wird.[79] Aufgrund der inhaltlichen Nähe von ἐν τῇ ὁδῷ auf dem Weg (sein) und ἠκολούθει nachfolgen bot es sich für Markus an, diese in einem Vers redaktionell zu vereinen und damit eine Verknüpfung des Wegmotives und des für die Erzählung doch so wichtigen Motivs der Nachfolge herzustellen. Zugleich weist ἐν τῇ ὁδῷ auf den Weg Jesu in die Passion nach Jerusalem voraus und kann deshalb auch allegorisch in dem Sinne gedeutet werden, dass die Nachfolge auf dem Weg Jesu zwangsläufig in der Passion mündet.[80] Redaktionskritisch interessant ist aber auch der Eingangsvers der Perikope, V. 46: Ursprünglich wird die Heilung auf den Straßen Jerichos (V. 46e: παρὰ τὴν ὁδόν) stattgefunden haben, doch Markus versuchte die Erzählung kompositorisch so zu verändern, dass die Fokussierung auf dem Weg Jesu nach Jerusalem liegt. Deshalb muss die Heilung auch außerhalb der Stadt, ἐκάθητο παρὰ τὴν ὁδόν stattfinden. Der traditionelle V. 46a und die doppelte Ortsüberlieferung schien ihn hingegen nicht gestört zu haben. Weil Markus die gesamte Erzählung außerhalb der Stadt auf dem Wege stattfinden lassen wollte, musste er die wohl ursprünglich auch in V. 46a zu findenden Namensnennungen von Jesus, der Jünger und des Volkes in V. 46b unterbringen und sie dem Gen. abs. ἐκπορευομένου unterordnen. Es lag ihm viel daran, bei den Leser[n]*innen den Eindruck eines gut organisierten Reisezuges nach Jerusalem zu erwecken und konnte dies durch diese Akkumulation der Begleitungen Jesu erreichen. Spannungen hinsichtlich des Numerus hat er dafür wohl in Kauf genommen.[81]

4.5 Traditionsgeschichte (Analyse des Motivs der Nachfolge)

Unter 4.2 Formanalyse wurde die Erzählung vom blinden Bartimäus in Mk 10,46-52 in Anlehnung an H.-J. Eckstein bereits als Nachfolgegeschichte charakterisiert. Somit ist es nicht verwunderlich, dass das Motiv der Nachfolge das mit Abstand wichtigste und auch das die Erzählung dominierende Motiv ist. Neben des insbesondere von L. Schenke und K. Kertelge hervorgehobenen πίστις-Motives oder des Weg-Motives. Doch letztendlich ist das Glaubensmotiv als eine Voraussetzung des Nachfolge-Motivs anzusehen und dies beinhaltet auch das Weg-Motiv, da man Jesu auf seinem Weg nachfolgt. Es ist jedoch erstaunlich, dass im Neuen Testament der Nachfolgegedanke auf Gott völlig fehlt; dieser war dem palästinischen Sprachgebrauch völlig fremd; stattdessen nutzte man Begriffe wie mimei/sqai oder mimhth,s) Als die urchristlichen Gemeinden jedoch in Berührung mit dem Hellenismus kamen, der explizit

die religiös-philosophische Aussage von einer Nachfolge Gottes kannte, was das Verbum ἀκολούθειν und der ganze Gedanke der Nachfolge schon so fest im Sinne des Christusverhältnisses, und zwar der Nachfolge hinter dem geschichtlichen Jesus, geprägt, daß eine andere religiöse Aussage mit Hilfe der Vokabel nicht mehr gebildet werden konnte.[82]

Auf wortstatistischer Ebene konnte nachgewiesen werden, dass ἀκολούθειν stets in einem religiösen Sinne gebraucht wird und damit die Nachfolge Jesu gemeint ist.[83] Teilweise meint der Begriff ein Nachfolgen im äußeren Sinne, wie zum Beispiel von einer Volksmenge (Mk 3,7 par; Mt 8,10 par), aber auch eines Jüngers (Mt 8,19). Der Jünger gibt dabei zumeist seine eigene Existenz auf, um in die Nachfolge Jesu einzutreten (Mk 10,28; vgl. 1,18; Lk 5,11). „Darin liegt aber schon, daß dieses ἀκολούθειν ein Sich-Anschließen bedeutet, und zwar in einem andere Lebensverbindungen aufhebenden Sinn (Mt 8, 22; Lk 9, 61f).“[84] Doch was ist in V. 52d eigentlich damit gemeint, wenn der Evangelist die Erzählung mit der kurzen Schlussbemerkung καὶ ἠκολούθει αὐτῷ ἐν τῇ ὁδῷ. schließt? Wie genau lässt sich dieses und er folgte ihm auf dem Weg nach traditionsgeschichtlich verstehen? Lange Zeit nahm man in der altkirchlichen Tradition an, es ginge bei dieser Nachfolge vor allem um eine imitatio Christi. Man solle Christus in allem nachahmen, mit dem Ziel, möglichst selbst so zu werden wie er und damit zugleich ein wenig göttlich zu werden.[85] Der Begriff Nachfolge ist aber nicht gleichzusetzen mit dem Begriff Nachahmung und meint vielmehr die Partizipation des*r Nachfolgenden am Leben Jesu. Es handelt sich „ausschließlich um die Lebens- und Leidensgemeinschaft mit dem Messias, die erst an der Gemeinschaft seines Heils entsteht.“[86] Doch es gab wohl auch Jünger, die Jesus nicht auf seinem Weg begleiteten und mit ihm umherzogen und trotzdem zu den μαθητῶν gehörten. Nicht immer gehörten das Motiv der Nachfolge und das Motiv des Weges also unweigerlich zusammen. Umso bemerkenswerter ist es jedoch, dass das Neue Testament mit μαθητής ein Substantiv für die Jüngerschaft kennt, es jedoch kein vergleichbares Substantiv wie ἀκολουθία im modernen Griechisch für ἀκολουθειν gibt. Wenn in V. 52d also davon die Rede ist, dass Bartimäus Jesus auf seinem Weg nachfolgt, dann wird damit bewusst ausgedrückt, dass er zu einem Jünger Jesu wurde, da sich in apostolischer Zeit dieser Ausdruck ausschließlich auf die Jünger Jesu beschränkte.[87]

[...]


[1] H.-J. Eckstein: Glaube und Sehen – Markus 10,46–52 als Schlüsseltext des Markusevangeliums, in: Oeming, Manfred/Theißen, Gerd (Hgg.): Beiträge zum Verstehen der Bibel, Bd. 5, Münster 2003, 81–100.

[2] Vgl. Ebd. 100.

[3] Gegen P. J. Achtemeier: „And He Followed Him“. Miracles and Discipleship in Mark 10:46–52, Semeia 11 (1978), 115.124f.

[4] So z. B. H.-J. Eckstein: Glaube und Sehen, 41 in Anlehnung an D.-A. Koch: Wundererzählungen, 130 und J. Roloff: Kerygma, 126.

[5] Vgl. Ebd. 90f.100.

[6] Gliederung in Anlehnung an H.-J. Eckstein: Glaube und Sehen, 87.

[7] Man könnte ραββουνι auch stilgemäß mit „mein Lehrer“ übersetzen, doch wäre dies in meinen Augen dem Ausdruck nicht angemessen; „mein Lehrer“ wäre vielmehr eine adäquate Wiedergabe von hebr.רַבִּי; am angemessensten wäre sonst noch „mein Meister oder Gebieter“; die Nicht-Übersetzung soll zudem die Singularität des Ausdrucks in der syopt. Tradition betonen (im gesamten NT sonst nur noch in Joh 20,16); Mk verwendet sonst wie die anderen Synoptiker ραββι als Bezeichnung für Jesus (vgl. Mk 9,5; 11,21; 14,45).

[8] Übersetzung v. griech. σέσωκέν, 3 Sg. Ind. Pf. Akt., wörtlich (ZB): gerettet, Elb.: geheilt.

[9] Zur weiterführenden Auseinandersetzung sei an dieser Stelle ausdrücklich auf die ausführlichen textkritischen Beobachtungen zu Mk 10,46–52 von H. Greeven, E. Güting (Hg.): Textkritik des Markusevangeliums, 528–534 verwiesen.

[10] H. Zimmermann: Methodenlehre, 51; so auch K. Aland/B. Aland: Der Text des Neuen Testaments, 167f, wonach der Codex Vaticanus unter die höchste Kategorie fällt.

[11] Siehe dazu ausführlicher die Angaben im textkritischen Apparat des NTG28 auf 148.

[12] Vgl. H. Zimmermann: Methodenlehre, 45.

[13] Vgl. K. Aland/B. Aland: Der Text des Neuen Testaments, 167f.

[14] M. Ebner/B. Heininger: Exegese des Neuen Testaments, 36.

[15] Die Feigenbaumgeschichte in Mk 11 hat zwar auch wunderhafte Züge, lässt sich aber nicht wirklich in die Kategorien einer herkömmlichen Wundererzählung einordnen.

[16] W. Grundmann: Das Evangelium nach Markus, ThHK 2, 296, Berlin 1984, zitiert bei: J. Syrnik/M. Ziegler: Die Heilung eines Blinden bei Jericho, OBK, Stuttgart 2010.

[17] H.-J. Eckstein: Glaube und Sehen, 81.

[18] Zu nennen wären hier die zehn Heilungsberichte Mk 1,23–28.29–31.40–45; 2,1–12; 3,1–6; 5,1–20. 21–43; 7,24–30.31–37; 8,22–26 sowie die Summarien in 1,32–34.39; 3,7–12; 6,53–56 (vgl. Ebd. 81, Fußnote 1).

[19] Siehe hinsichtlich der angesprochenen Jüngerthematik vor allem die V. 14–19 sowie 28f.

[20] D. Dormeyer: Bedingungslose Nachfolge heilt Blindheit (Die Heilung des blinden Bartimäus bei Jericho) in: R. Zimmermann: Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen, Bd. 1: Die Wunder Jesu, Gütersloh 2013, 360.

[21] Ebd. 360.

[22] 3 Pl. Ind. Präs. Med./Pass. von ἔρχομαι (kommen).

[23] 3 Sg. Ind. Prät. Med./Pass. von κάθημαι (sitzen).

[24] Bei verbaler Übersetzung des Partizips λέγοντες.

[25] Vgl. hierzu speziell die Überlegungen von D. Dormeyer: Bedingungslose Nachfolge heilt Blindheit, 360.

[26] Vgl. zu den drei griechischen Verbalaspekten im Aorist und dem generellen Zusammenhang von Tempus und Aspekt: Bornemann/Risch, Griechische Grammatik, § 208, S. 214.

[27] H.-J. Eckstein: Glaube und Sehen, 88, Fußnote 37 [man beachte die Ausführlichkeit und Präzision seiner Ausführungen zur sprachlich-syntaktischen Gestaltung der Perikope!].

[28] So z. B. W. Egger/P. Wick: Methodenlehre, 121f: „Der Mangel an Kohäsion kann insofern auch ein Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des Textes sein. Er kann aber auch die poetische Freiheit des Autors reflektieren: (…)“.

[29] H.-J. Eckstein: Glaube und Sehen, 88 [siehe hierzu vertiefend Fußnote 36 ebd.].

[30] Siehe in V. 47, in V. 49 (2x), in V. 51 (2x) sowie in V. 52.

[31] Siehe hierzu später auch die Ergebnisse in 4.2 Formanalyse und 4.5 Traditionsgeschichte.

[32] Ebd. 88.

[33] W. Grundmann: Das Evangelium nach Markus, 222; vgl. hierzu auch P. Dschulnigg: Das Markusevangelium, 289 oder J. Gnilka: Das Evangelium nach Markus, 110 gegen E. Lohmeyer und F. Hahn: „Der Titel Davidssohn, der messianologisch und nicht genealogisch zu interpretieren ist (…)“; Schenke: Wundererzählungen, 359, meint jedoch, dass es sich dabei um eine Niedrigkeitsbezeichnung handeln würde.

[34] Dagegen spricht jedoch, dass man den Flehruf schon im Psalter findet (Ps 40,5.11).

[35] Vgl. gegen einen Widerspruch im doppelten Titelgebrauch z. B. H.-J. Eckstein: Glaube und Sehen, 91; für einen Widerspruch vgl. Fußnote 57 ebd..

[36] P. Dschulnigg: Das Markusevangelium, 290.

[37] Vgl. hierzu D. Dormeyer: Bedingungslose Nachfolge heilt Blindheit, 359 sowie die Einteilung der Perikope in erzählerische Sequenzen im Anhang unter 10.2.

[38] In Anlehnung an H.-J. Eckstein: Markus 10,46–52 als Schlüsseltext, 39f.

[39] Ebd. 41.

[40] D. Dormeyer: Bedingungslose Nachfolge heilt Blindheit, 360.

[41] Siehe z. B. Mk 7,33; 8,23.25; Berührungen mit der Hand oder Handergreifungen als Heilungsgestus findet man z. B. in Mk 1,31.41; 5,41; 7,32; 8,22 u. ö. (vgl. H.-J. Eckstein: Markus 10,46–52 als Schlüsseltext, 33).

[42] Siehe z. B. Mk 1,41; 2,11; 3,5; 5,41; 7,34 u. ö. (vgl. ebd.).

[43] So fehlen z. B. auch die „Schilderung des Schicksals des Blinden“ (J. Gnilka: Das Evangelium nach Markus, 109) oder Admiration bzw. Akklamation als Reaktion der Anwesenden auf den Vollzug der Heilung (vgl. H.-J. Eckstein: Markus 10,46–52 als Schlüsseltext, 33 und D. Lührmann: Das Markusevangelium, 182).

[44] Vgl. 3.2 Sprachlich-syntaktische Analyse.

[45] So z. B. H-J. Eckstein: Markus 10,46–52 als Schlüsseltext, 45.

[46] So z. B. P. Dschulnigg: Das Markusevangelium, 287 in Anlehnung an R. Pesch.

[47] Vgl. 3.1 Kontextanalyse.

[48] So z. B. K. Kertelge: Wunder Jesu, 181.

[49] Vgl. für den griechischen Text NTG28 Mk 11,1 auf 148.

[50] Vgl. L. Schenke: Wundererzählungen, 350; Schenke widerlegt diese jedoch zugleich wieder auf 351und konstatiert am Ende: „Wenn man also nicht einen vormarkinischen literarischen Zusammenhang konstruieren will, der noch über 10,46–52 hinausgeht, muß man an allen genannten Stellen den Evangelisten am Werk sehen.“.

[51] Siehe Fußnote 51.

[52] Vgl. Ebd. 353 und die von Schenke angeführten Namen in Fußnote 1036.

[53] Vgl. Ebd. und die von Schenke angeführten Namen in Fußnote 1038; Schenke ist auch selbst dieser Meinung und nimmt an, dass dem Evangelisten alles daran liegt „Jesus ,auf dem Weg´ nach Jerusalem zu zeigen (…) [und] daß die Heilung nun außerhalb der Stadt ´auf dem Weg´ nach Jerusalem geschieht.“ (L. Schenke: Wundererzählungen, 354).

[54] Vgl. Ebd. 355.

[55] Vgl. H.-J. Eckstein: Markus 10,46–52 als Schlüsseltext, 33f.

[56] Vgl. so z. B. L. Schenke: Wundererzählungen, 356f.

[57] Vgl. Ebd. 357f.

[58] Vgl. im gesamten NT sonst nur noch in Joh 20,16 (siehe auch Fußnote 7).

[59] Zur ausführlichen Diskussion vgl. L. Schenke: Wundererzählungen, 358–361.

[60] Ebd. 360.

[61] Ebd. 361.

[62] Vgl. so z.B. auch L. Schenke: Wundererzählungen, 361 in Anlehnung an Schweizer und Reploh; gegen z. B. C. Burger: Jesus als Davidssohn. Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung, FRLANT 68, 1970, 42–46.59–63: 45, der das gesamte Mittelstück V. 47b–49 als redaktionell ansieht und sonst eine Wundererzählung erkennt, „die in sich geschlossen und sinnvoll ist“ [zitiert bei H.-J. Eckstein: Markus 10,46–52 als Schlüsseltext, 35].

[63] Etwas anders z. B. J. Roloff: Kerygma, 121–126, der „eine klar aufgebaute Heilungsgeschichte“ in V. 46b, 47 und 51–52 erkennt. Die V. 48–50 fasst er als vormarkinische Erweiterung auf. [Zitiert bei H.-J. Eckstein: Markus 10,46–52 als Schlüsseltext, 36].

[64] Ebd. 40f; vgl. hier speziell die von H.-J. Eckstein angeführten Namen in den Fußnoten 43–45 auf den Seiten 40 und 41.

[65] Ebd. 41; diese Auffassung vertreten u.a. auch D.-A. Koch: Wundererzählungen, 130 und J. Roloff: Kerygma, 126; gegen z. B. P. J. Achtemeier: Miracles, 115.124f (siehe die Fußnoten 48 und 49 auf S. 41 bei Eckstein) [zitiert bei H.-J. Eckstein: Ebd]..

[66] Siehe auch vertiefend zur Gattung der urchristlichen Wundergeschichten in den synopt. Evangelien: G. Theißen: Urchristliche Wundergeschichten, Gütersloh 1998.

[67] Ebd. 41.

[68] Ebd. 41f; vgl. auch die ausführliche Untermauerung seiner These bis S. 43 und die Verweise auf die formgeschichtlichen Beobachtungen K. Bergers in den Fußnoten 51 und 52.

[69] Vgl. z. B. das Entlasswort Davids in 2. Sam 14,8: „Geh heim, ich will die Sache für dich ordnen!“.

[70] Vgl. K. Berger: Formgeschichte, 313–315 [zitiert bei H.-J. Eckstein: s.o., 42].

[71] R. Bultmann: Geschichte, 228 [zitiert bei ebd. 34].

[72] M. Dibelius: Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 19665, 49 [zitiert bei H.-J. Eckstein: s.o., 34f, siehe die Fußnoten 16 und 17 auf den Seiten 34 und 35].

[73] D. Dormeyer: Bedingungslose Nachfolge heilt Blindheit, 365.

[74] Darauf weisen z. B. die beiden Jesusanreden υἱὲ Δαυίδ (V. 47d/48c) und ραββουνι (V. 51d) sowie der Name des Geheilten selbst. Der Name Βαρτιμαῖος (V. 46d) wurde später von Markus mit ὁ υἱὸς Τιμαίου (ebd.) redaktionell ergänzt, als die Erzählung durch mündliche Tradierung Eingang in griechische, vllt. heidenchristliche Gemeinden gefunden hatte, die des Aramäischen nicht mächtig waren und die Bedeutung des aramäischen Namens (Sohn des Timäus) nicht verstanden (so z. B. L. Schenke: Wundererzählungen, 363).

[75] Ebd. 364.

[76] L. Schenke: Wundererzählungen, 365.

[77] P. Dschulnigg: Das Markusevangelium, 288.

[78] Vgl. D. Lührmann: Das Markusevangelium, 183.

[79] Vgl. z. B. Mk 8,27; 9,33; 10,32 oder auch 10,17.

[80] Vgl. so z. B. L. Schenke: Wundererzählungen, 355.

[81] Vgl. Ebd. 354f.

[82] G. Kittel: [Art.] ἀκολούθέω (ThWNT 1), Stuttgart 1933, 214.

[83] Es findet sich in allen vier Evangelien sowie in der Offenbarung des Johannes.

[84] Ebd. 214.

[85] Zu verweisen wäre hier z. B. auf Aug Sct Virg 27: quid est enim sequi nisi imitari? Oder auch auf Theopylact und Theophanes (siehe genauer unter Fußnote 29, ebd. 214).

[86] Ebd. 214 in Anlehnung an A. Klostermann: Mk (1867) 179: die Nachfolge als Teilhaben „an dem Gute des Christ“, „nicht die Tätigkeit des Gehens als solche, sondern das Mithingelangen an das Ziel, auf welches er zugeht.“ [Zitiert bei ebd. 214, Fußnote 30].

[87] Vgl. Ebd. 215.

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
"Geh hin, dein Glaube hat dich geheilt!" Christuserkenntnis als Voraussetzung für Nachfolge
Untertitel
Eine exegetische Untersuchung der Perikope von der Heilung des blinden Bartimäus in Mk 10,46–52
Hochschule
Universität Münster  (Evangelisch-Theologische Fakultät)
Veranstaltung
PS Einführung in die Exegese des Neuen Testaments (mit Griechisch)
Autor
Jahr
2018
Seiten
35
Katalognummer
V442985
ISBN (eBook)
9783668810884
ISBN (Buch)
9783668810891
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Exegese, Neues Testament, Biblische Theologie, Evangelische Theologie, Biblische Exegese, Proseminararbeit, Grundstudium, Heilungswunder, Blindenheilung, Bartimäus, Markus, Markusevangelium, Evangelien, Nachfolge, Jünger
Arbeit zitieren
Jan Mark Budde (Autor:in), 2018, "Geh hin, dein Glaube hat dich geheilt!" Christuserkenntnis als Voraussetzung für Nachfolge, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/442985

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