Kinder psychisch kranker Eltern. Inwieweit wird die Entwicklung beeinflusst?

Handlungs- und Präventionsmöglichkeiten seitens der Sozialen Arbeit


Hausarbeit, 2018

39 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter
2.1 Kindliche Entwicklung
2.2 Bindungstheorie

3. Ausgewählte psychische Erkrankungen der Eltern
3.1 Schizophrenie (F20, ICD-10)
3.2 Zwangsstörungen (F42, ICD-10)

4. Risiken für Kinder psychisch kranker Eltern
4.1 Kinder schizophrener Mütter
4.2 Kinder von Eltern mit einer Zwangsstörung

5. Auswirkungen psychischer Erkrankungen auf Erziehung und Entwicklung des Kindes

6. Mögliche Handlungs- und Präventionsmöglichkeiten seitens der Sozialen Arbeit

7. Fazit

Literatur

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Beispielhafte Entwicklungsaufgaben

Tabelle 1: Entwicklungsstufen des Kindes- und Jugendalters..

1. Einleitung

Spricht man von Angehörigen psychisch erkrankter Menschen, dann denken die meisten erst an deren Eltern, Partner oder Geschwister. Jedoch sind unter den Betroffenen oftmals auch Menschen mit eigenen Kindern (vgl. Lenz: 2012: 10). Studien zufolge entwickelt sich bei jeder Zweiten bis Dritten der in Deutschland lebenden Personen im Laufe ihres Lebens eine psychische Erkrankung. Die Anzahl dieser ist laut dem von der Barmer GEK vorgestellten Krankenhausreport (2011) und weiteren Aussagen der Krankenkassen in den letzten 20 Jahren um mehr als 130 % angestiegen (vgl. Schneider et al. 2017: 4; Griepenstroh/Heitermann/Hermeling 2012: 25). Dem gegenüber stehen Ergebnisse epidemiologischer Studien, welche jedoch gegen einen deutlichen Anstieg psychischer Erkrankungen sprechen. Zu erklären ist dies möglicherweise durch ein Abnehmen der Stigmatisierungen und somit einer in der Gesellschaft wachsenden Akzeptanz gegenüber etwaigen Erkrankungen. Ferner die damit in Verbindung stehende Bereitschaft, sich psychotherapeutisch behandeln zu lassen und die sich in den letzten Jahren verbesserten und effizienteren einsetzbaren medizinischen Möglichkeiten bei der Diagnose psychischer Erkrankungen (vgl. Griepenstroh/Heitermann/Hermeling 2012: 25).

Frauen sind mit rund 40 % häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen als die Männer (ungefähr 25 %) (vgl. Lenz: 2014: 61). Wie hoch dabei der Anteil psychisch erkrankter Eltern tatsächlich ist, lässt sich nur schwer abschätzen, da sich über die Prävalenz dieser, hinsichtlich vieler und unterschiedlichster untersuchter Populationen, keine eindeutigen und ausschlaggebenden Angaben machen ließen. Der Anteil psychisch erkrankter Eltern noch nicht volljähriger Kinder bei stationär aufgenommenen Patienten lag nach Studien erfassten Angaben zufolge, schätzungsweise zwischen 20 und 40 % (vgl. Plass/Wiegand-Grefe 2012: 18; Wiegand-Grefe/Licata 2016: 75). Auch die von Grube und Dorn durchgeführte Studie, auf die Miriam Schmuhl in ihrer Abhandlung hinwies, kam auf ähnliche Ergebnisse (vgl. Schmuhl 2016: 35).

Hochgerechnet auf die Allgemeinbevölkerung der BRD bedeutet das, dass circa bei drei Millionen der noch nicht volljährigen Kinder und Jugendlichen mindestens einer der Elternteile psychisch erkrankt ist. Asmus Finzen, ein renommierter Sozialpsychiater, beschrieb die Kinder psychisch kranker Eltern als die »vergessene Risikogruppe« (Wiegand-Grefe/Halverscheid/Plass 2011: 16). Für diese besteht gegenüber Kindern aus Familien mit psychisch gesunden [1] Elternteilen ein circa drei bis viermal höheres Risiko, selbst einmal im Laufe ihres Lebens psychisch zu erkranken. Albert Lenz verwies in seiner Abhandlung über Kinder psychisch kranker Eltern (2014) auf die Studie Rutters und Quintons, die darauf hinwies, »dass etwa ein Drittel der Söhne und ein Viertel der Töchter psychisch kranker Eltern selbst klinisch relevante psychische Auffälligkeiten aufwiesen.« (Lenz 2014: 17). Schulze et al. verweisen hingegen auf das im Jahre 2010 durch die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) veröffentlichte Diskussionspapier, aus dem ebenfalls hervorgeht, dass schätzungsweise 2,5 Millionen der in Deutschland lebenden Kinder bei mindestens einem psychisch erkrankten Elternteil aufwachsen. Weiter erleben rund »175.000 Kinder« (Schulze et al. 2014: 5), dass sich einer dieser in eine psychische Behandlung begibt oder noch befindet. Viele Studien ergaben zudem, dass rund die Hälfte der Kinder und Jugendlichen, die sich selbst aufgrund einer psychischen Erkrankung in Behandlung befinden, aus Familien stammen, in denen bereits eine psychische Erkrankung diagnostiziert wurde (vgl. ebd.; Plass/Wiegand-Grefe 2012: 20; Lenz 2014: 18; Mattejat 2008: 68; Wulf 2011: 6). Etwa die Hälfte der sich in der Adoleszenz und aufgrund einer Abhängigkeitserkrankung in Behandlung befindenden Jugendlichen stammen aus Familien, in denen zumindest einer beider Eltern einen starken und regelmäßigen Alkoholkonsum aufweist und folglich unter einer Alkoholabhängigkeit leidet (vgl. Schulze et al. 2014: 5 ). »Dies gewinnt vor dem Hintergrund, dass immerhin 10–15% der Kinder bis 18 Jahre von einer elterlichen Alkoholerkrankung betroffen sind und 0,1–0,5% drogenabhängige Eltern haben, an Gewicht.« (ebd.).

Aber auch wenn Kinder aus psychisch vorbelasteten Familien nicht selbst erkranken, haben diese jedoch mit einer Kette an Belastungen und Beeinträchtigungen zu kämpfen. Sie sind durch die geringe emotionale Verfügbarkeit und Belastbarkeit der Eltern, hervorgerufen durch die psychische Erkrankung, meist schon sehr früh dazu gezwungen, viel Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Im Gegensatz zu anderen Kindern, deren Eltern nicht psychisch erkrankt sind, müssen sie versuchen, mit Schwierigkeiten in der Schule alleine umzugehen, diese zu lösen sowie mit Unsicherheit und Einsamkeit selber zurechtzukommen. In solch einer Situation kann es sich als ausgesprochen schwierig gestalten, eine »eigene Identität zu finden und zu entwickeln.« (Lenz 2014: 83). Aufgrund dieser Aussage, beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der Frage, ob und inwieweit sich eine elterliche psychische Erkrankung auf die Entwicklung des Kindes auswirkt. Wie schon oben erwähnt, werden die Kinder psychisch erkrankter Eltern oft vergessen. Man bezieht sie in die Situation der Eltern nicht mit ein, sondern lässt diese außen vor. Doch genau das ist die falsche Entscheidung. Kinder verstehen weitaus mehr, als man vielleicht anzunehmen vermag.

Um einer Antwort der oben genannten Frage näher zu kommen, muss zunächst einmal geklärt werden, was überhaupt unter einer „(gesunden) kindlichen Entwicklung“ zu verstehen ist. Dies wird versucht, im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit zu verdeutlichen. Untermauert wird dieser Versuch durch die von Bowlby entwickelte Bindungstheorie (2.2), welche die Wichtigkeit einer guten und stabilen Eltern-Kind-Beziehung sowie der ausreichenden Vermittlung von emotionaler Wärme und Fürsorge betont.

Zu Beginn des dritten Kapitels wird zunächst erklärt, was unter einer psychischen Krankheit zu verstehen ist. Anschließend folgt in den Kapiteln 3.1 und 3.2 eine ausführliche Definition zweier und bei Eltern möglich auftretenden psychischen Erkrankungen. Im Fokus des vierten Kapitels liegen die Risiken einer elterlichen psychischen Erkrankung gegenüber den Kindern. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass es hier vielmehr um die kindlichen und teils auch elterlichen Erfahrungen, Empfindungen und Erlebnisse im Hinblick der psychischen Erkrankung geht. Es wird sich auch hier speziell auf die in Kapitel 3.1 und 3.2 beschriebenen Erkrankungen bezogen. Darauf aufbauend und unter Berücksichtigung der Bindungstheorie befasst sich das 5. Kapitel intensiv mit den Auswirkungen einer elterlichen Erkrankung auf die Erziehung und Entwicklung eines Kindes. Im Fokus des 6. Kapitels stehen mögliche Handlungs- und Präventionsmöglichkeiten seitens der Sozialen Arbeit. Ein abschließendes Fazit schließt die vorliegende Arbeit ab.

Die Frage nach den Auswirkungen einer elterlichen psychischen Erkrankung auf die kindliche Entwicklung sowie mögliche präventive Ansätze seitens der Sozialen Arbeit ist deshalb von großer Bedeutung für mich, da ich durch mein studienbegleitendes Praktikum sowie meinem derzeitig stattfindenden Projekt in einer sozialpädagogischen Familienhilfe nur wenig positive Erfahrungen und Eindrücke im Umgang mit betroffenen Kindern gewinnen konnte. Des Weiteren interessiere ich mich schon seit mehreren Jahren für den enorm vielschichtigen Bereich der Psychologie. Durch die zahlreich von mir absolvierten Praktika in den Bereichen der Sozialen Arbeit habe ich gemerkt, dass mir das Zusammenarbeiten mit Kindern und Jugendlichen am meisten Freude bereitet. Jedoch habe ich mich, wie bereit schon kurz erwähnt, vor dem Hintergrund meiner gesammelten Eindrücke und Erfahrungen für dieses Thema entschieden. Im Anhang befindet sich ein Erfahrungsbericht, in dem ich einige Eindrücke und Empfindungen aufzeigen werde. In diesem Punkt grenzt sich meine Arbeit möglicherweise auch von anderen ab. Ebenfalls wurde darauf geachtet, möglichst aktuelle Literatur zu verwenden, was jedoch leider nicht immer möglich war.

2. Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter

2.1 Kindliche Entwicklung

»Die Entwicklung des Menschen vom Neugeborenen bis zum Erwachsenen ist ein immerwährender Prozess, in dem biologische, psychosoziale und situative Faktoren wechselseitig wirksam werden.« (Sendera/Sendera 2011: 5) Dieser unterliegt einer das gesamte Leben über bestehenden Plastizität. In der Entwicklung erwirbt der Mensch eine Vielzahl unterschiedlichster Kompetenzen und Eindrücke und lernt, mit seiner Um- und personalen Mitwelt zu kommunizieren und sich mit dieser aktiv auseinanderzusetzen. In den unterschiedlichen Stadien, die die Heranwachsenden durchlaufen, entwickeln sie sich physisch, psychisch und sozial immer weiter. Ferner unterliegt die Entwicklung eines Menschen multifaktoriellen Umwelteinflüssen, beispielsweise bestehend aus kulturellen oder ethischen Faktoren. Des Weiteren müssen gewisse Entwicklungsaufgaben gemeistert werden. Es handelt sich dabei um von der Gesellschaft vorgegebene Erwartungen, die innerhalb eines bestimmten Lebensabschnittes erfüllt werden sollten. Diese sind miteinander verknüpft und bauen jeweils aufeinander auf (siehe Abbildung 1: Beispielhafte Entwicklungsaufgaben) (vgl. ebd.; Cierpka/Seiffge-Krenke 2012: 2). Die Entwicklung kann unterschiedlich beschrieben werden, so sprach Freud beispielsweise von psychosexuellen Phasen, Erikson von Entwicklungsrisiken- und aufgaben und Piaget von Stadien der Denkentwicklung (vgl. Pauen/Frey/Ganser 2012: 22).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Entwicklungsstufen des Kindes- und Jugendalters (Höwler 2016: 30)

Berry Brazelton und Stanley Greenspan, beide Kinderärzte und emeritierte Professoren an der Harvard und George University haben im Jahre 2007 unter Einbeziehung der damaligen aktuellen Forschungsergebnisse der Entwicklungspsychologie, die für eine gesunde und seelische Entwicklung grundlegendsten Bedürfnisse zusammengestellt. Zu diesen Bedürfnissen zählen ausreichend Schlaf, Erholung und Versorgung (z. B. in Form von Nahrung, Kleidung oder Hygiene). Für die Entwicklung eines selbstständigen Individuums ist emotionale Wärme von großer Bedeutung. Dies ist vor allem dann gegeben, wenn das Kind über eine sichere und starke Beziehung zu einer (oder mehreren) seiner Bezugsperson(en) verfügt. Je jünger das Kind ist, desto wichtiger ist es, dass das Kind weiß, dass es sich auf diese verlassen kann. Aus dem Gefühl heraus, geliebt zu werden, entwickeln die Kinder Mut, ihre Umgebung zu erkunden (Explorationsbedürfnis). Die Chance, sich etwas Neuem und Fremden zu stellen, kann jedoch nur genutzt werden, wenn eine sichere Bindung zwischen dem Kind und der Bezugsperson besteht. Eine sichere Bindung wird auch als „Sichere Basis“ bezeichnet, zu der das Kind bei Gefahren oder Ängsten zurückkehren kann. Des Weiteren plädieren Brazelton und Greenspan dafür, dass neue und fremde Erfahrungen dem jeweiligen Alter angepasst sein sollten. Andernfalls kann dies zu Frustrationen, Überforderungen oder Enttäuschungen führen. Ferner sollten Eltern die Talente ihrer Kinder anerkennen, ggf. fördern und vor allem respektieren. Kinder benötigen eine feste Tagesstruktur, klare Regeln und Grenzen sowie soziale Beziehungen zu Gleichaltrigen (Peers), damit sie sich weiterentwickeln können und, in Hinblick auf die Peer-Group, die Ablösung von den Eltern leichter fällt (vgl. Kingma 2007: o. S.; Pauen/Frey/Ganser 2012: 22ff.).

Im folgenden Kapitel wird nun die Bindungstheorie nach Bowlby sowie die Bindungsmuster nach Ainsworth erläutert. Eine gute und sichere Bindung zwischen einem Kind uns seinen Eltern ist für die kindliche Entwicklung von enorm großer Bedeutung. Grundlegende Merkmale einer solchen Bindung sind vor allem Liebe, Zuwendung und Unterstützung.

2.2 Bindungstheorie

»Kinder haben, insbesondere in den ersten Lebensjahren, ein elementares Grundbedürfnis nach Nähe und Geborgenheit. Sie bauen von Geburt an emotionale Bindungen zu den Erwachsenen ihrer engsten Umgebung auf. Die psychische Entwicklung von jungen Kindern hängt in hohem Maße davon ab, ob sie sich auf die Unterstützung ihrer vertrauten Bezugspersonen, meistens auf die Unterstützung der Eltern, verlassen können.« (Cierpca 2012: 58)

John Bowlby, englischer Kinderpsychiater und Psychoanalytiker und neben Mary Ainsworth der Begründer der Bindungstheorie, plädierte dafür, dass es für die seelische Entwicklung von Säuglingen und Kindern von großer Bedeutung sei, über eine stabile und beständige Bindung mit der Mutter[2] zu verfügen. »Bindung im Sinne der Bindungstheorie ist die besondere, enge, relativ dauerhafte und starke emotionale Beziehung zwischen einen Kind und seiner Bezugsperson bzw. seinen Bezugspersonen, die es betreuen.« (Altenthan et. al 2013: 50) Grundlegendes Merkmal dieser Beziehung ist eine von der Bezugsperson her ausgehende »positive emotionale Grundhaltung« (ebd.), gegenüber dem Kind. Diese ist beispielsweise gekennzeichnet durch emotionale Zuwendung, Liebe, Aufmerksamkeit, Körperkontakt, Sicherheit oder Geborgenheit. Solch ein Idealzustand ist leider jedoch nicht immer gegeben. Ein unzureichend intensiver Kontakt zwischen der Mutter und seinem Kind (Deprivation) kann zu unterschiedlich stark ausgeprägten Einschränkungen oder Schädigungen der kindlichen Entwicklung führen. Bowlby nannte diesbezüglich spätere, bei dem Kind auftretende Schwierigkeiten, tiefe und andauernde Gefühle zuzulassen und aufzubauen. Des Weiteren geht eine Entbehrung der Mutterliebe mit erheblichen Folgen für die seelische Gesundheit sowie der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes einher (vgl. Langer 2007: 33f.; Sandera/Sandera 2011: 26; Gossmann 2003: 23ff.).

Des Weiteren unterscheidet Bowlby zwischen Bindung und Bindungsverhalten. Letzteres ist bereits wenige Tage nach Geburt eines Säuglings erkennbar und beinhaltet jene Verhaltensweisen, welche Aufmerksamkeit und Fürsorge der Bezugsperson auf das Kind lenken. Wie oben bereits erwähnt, verspüren Kinder bereits in ihren ersten Lebenstagen über ein ausgeprägtes Grundbedürfnis nach Nähe und Geborgenheit. Dieses Grundbedürfnis kann von jenen nahestehenden Personen befriedigt werden, welche nach der Theorie Bowlbys, als Bezugspersonen bezeichnet werden. In den meisten aller Fälle ist dies die Mutter eines Kindes. »Bowlbys Ansatz geht jedoch nicht vom triebgesteuerten, bedürftigen und abhängigen, sondern vom kompetenzmotivierten Kleinkind aus.« (Sendera/Sendera 2011: 27) Damit ist gemeint, dass Kinder, sollten sie sich der Verfügbarkeit ihrer Mutter in schwierigen Situationen sicher sein, seltener Angst und somit die Beziehung der Mutter als einen »sicheren Hafen« (ebd.) empfinden. Dieses Gefühl der Sicherheit ermöglicht es dem Kind, sein Explorationsbedürfnis voll ausleben zu können. Die Bindung zwischen einem Kind und seiner Bezugsperson manifestiert sich zunehmend, wenn es von dieser als eigenständiges Individuum wahr- und ernstgenommen wird und eigene Bedürfnisse erkannt und befriedigt werden. Sowohl die kognitive als auch soziale Entwicklung eines Kindes wird durch eine gut funktionierende Interaktion mit der Mutter gefördert (vgl. ebd.; Gloger-Tippelt/König 2016: 22).

Gemäß dem Konzept der Feinfühligkeit nach Mary Ainsworth ist es von großer Bedeutung, die Indikatoren des Kindes richtig wahrzunehmen, zu deuten und schnell und angemessen auf diese zu reagieren. Kinder, die über eine stabile und sichere Bindung mit ihrer Bezugsperson verfügen, suchen diese auf, wenn sie das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit oder Nähe verspüren, können diese jedoch schnell wieder verlassen, sollte dies gestillt worden sein. Sie können sich auf die Verfügbarkeit jener zu jeder Zeit verlassen. Ebenso sind feinfühlige Bindungspersonen dazu in der Lage, Signale ihrer Kinder richtig zu deuten und angemessen zu reagieren (beispielsweise durch Mimik oder Stimme). Unsichere Bindungspersonen hingegen bemächtigen sich anderer Dinge zur Ablenkung des Kindes (exemplarisch durch die Vergabe von Süßigkeiten, Spielzeug oder das Einschalten des Fernsehers). Die Bindungstheorie unterscheidet zudem vier verschiedene Bindungstypen, bevor diese jedoch genauer erläutert werden, muss zunächst noch erwähnt werden, dass ein Kind dazu in der Lage ist, zu mehreren Personen[3] ein Bindungsverhalten aufzubauen, sofern diese an der Versorgung des Kindes maßgeblich beteiligt sind. Diese fallen jedoch alle unterschiedlich stark aus und bedingen einander keinesfalls gegenseitig. Diesbezüglich hat die Mutter-Kind-Bindung beispielsweise keinerlei Auswirkungen auf die Vater-Kind-Bindung (vgl. ebd.: 28ff.).

Sichere Bindung

Hier erweist sich die Bezugsperson als eine sichere Basis. Das kindliche Explorationsbedürfnis kann vollständig ausgelebt werden. Das Kind ist sich der emotionalen Verfügbarkeit der Bezugsperson bewusst. Bei Trennung treten Verunsicherung auf, es besteht die Möglichkeit, dass das Kind weint. Versuche des Tröstens durch eine fremde Personen missglücken oder gelingen nur teilweise. Bei einer Rückkehr der Bezugsperson begegnen sie dieser mit großer Freude (vgl. Lohaus/Vierhaus 2015: 111; Sendera/Sendera 2011: 31; Gossmann/Gossmann 2003: 25).

Unsichere Bindung

Im Gegensatz zu sicher gebundenen Kindern verfügen Kinder oder Säuglinge dieses Bindungstypen über eine weniger stabile und positiv geprägte Beziehung zu ihrer primären Bezugsperson. Ferner lässt sich zwischen dem unsicher-ambivalenten, unsicher-vermeidenden und desorganisierten Bindungen differenzieren (vgl. Siegler/Eisenberg/DeLoache/Saffran 2016: 402).

Unsicher-vermeidende Bindung

»Ein Typ unsicherer Bindung, bei dem Säuglinge oder Kleinkinder gleichgültig gegenüber ihrer Bezugsperson erscheinen und diese gegebenenfalls sogar meiden.« (ebd.). Das Explorationsbedürfnis ist stark ausgeprägt, jedoch besteht kaum Bindungsverhalten, daran erkennbar, dass bei einer Trennungssituation kaum Reaktionen erkennbar sind. Es liegt die Vermutung nahe, dass die (primäre) Bindungsperson dem Kind in schutzbedürftigen Situationen Nähe und Zuwendung verweigert, es gar zurückweist oder versucht durch andere Reize abzulenken. Kinder dieses Bindungstypen können von einer außenstehenden Person, also einer Person, mit der sie in keiner spezifischen Beziehung stehen, gleichermaßen beruhigt werden wie von ihren (primären) Bezugspersonen (vgl. ebd.; Sendera/Sendera 2011: 32; Siegler/Eisenberg/DeLoache/Saffran 2016: 402 ).

Unsicher-ambivalente Bindung

Bei Kindern dieses Bindungstypen zeigt sich ein starkes Bindungsverhalten gegenüber der Bezugsperson. Das Explorationsbedürfnis hingegen ist minder oder kaum vorhanden (vgl. Sendera/Sendera 2011: 32). Kehrt die Bezugsperson nach einer Trennung zurück, begegnen Kinder einer unsicher-ambivalenten Bindung dieser mit aggressivem Verhalten. Ferner lassen sie sich nur schwer beruhigen oder trösten, die Rückkehr der Bezugsperson bringt keine Sicherheit. Hier liegt die Vermutung nahe, diese stünde nur dann zur Verfügung, sofern dies mit deren eigenen Bedürfnissen kompatibel ist. (vgl. Lohaus/Vierhaus 2015: 111). »Bezugspersonen sind entweder überfürsorglich bis kontrollierend oder emotional unerreichbar. Das Verhalten der Bezugsperson lässt sich nicht vorhersagen, ist unsicher und ambivalent.« (Sendera/Sendera 2011: 32). Das Kind sieht in seinen Bezugspersonen, im Gegensatz zu sicher gebundenen Kindern, keine sichere und verlässliche Basis.

Unsicher-desorientierte Bindung

Bei Kindern dieses Bindungsmusters zeigt sich ein oftmals bizarres oder widersprüchliches Verhalten gegenüber der Bindungsperson. Sendera und Sendera schließen auf die Möglichkeit einer »hochgradigen Verstörung« (ebd.: 32). Oben genannte Verhaltensmuster treten plötzlich, kurz hintereinander oder gleichzeitig auf (beispielsweise: Erstarren von Mimik oder Bewegungsabläufen etc.). Es wird vermutet, dass das Kind Angst im Beisein seiner Bezugsperson empfindet. In diesem Zusammenhang wird von einem Dilemma gesprochen, das vom Kind bewältigt werden muss. Es fürchtet sich vor jenen Bezugspersonen, an die es gebunden ist (vgl. ebd.: 33).

Um ihr Neugierverhalten ausleben zu können sind Säuglinge und Kinder auf eine feste Bindung zwischen einer Bezugsperson angewiesen. Ist diese unzureichend oder gar nicht vorhanden, haben Kinder Schwierigkeiten, Selbstsicherheit zu entwickeln. Dies ist wiederum eine wichtige Voraussetzung für eine gesunde Kindliche Entwicklung (vgl. Altenthan et. al 2013: 4).

[...]


[1] Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit im Jahre 1948 folgendermaßen: »Gesundheit ist ein Zustand völligen psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens und nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen.« (BMGF 2016: o. S.). Nach Antonovsky, ein amerikanisch-israelischer Medizinsoziologe, ist Gesundheit kein idealer Zustand, der frei von physischen, seelischen und sozialen Beeinträchtigungen sei, sondern vielmehr eine »sich bewährende Lebensqualität inmitten alltäglicher Belastungen, Risiken und Herausforderungen.« (Hook 2006: 45)

[2] Die Person, dessen Bindung zum Kind am stärksten oder sichersten ist, wird als primäre Bezugsperson bezeichnet. In der Regel obliegt diese Funktion der Mutter, da diese dem Kind auch am Meisten Zeit, Liebe und Zuwendung widmet (vgl. Lohaus/Vierhaus 2015: 105).

[3] Dies können unter anderem Geschwister oder nahestehende Verwandte sein.

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Kinder psychisch kranker Eltern. Inwieweit wird die Entwicklung beeinflusst?
Untertitel
Handlungs- und Präventionsmöglichkeiten seitens der Sozialen Arbeit
Hochschule
Hochschule Emden/Leer
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
39
Katalognummer
V442633
ISBN (eBook)
9783668819009
ISBN (Buch)
9783668819016
Sprache
Deutsch
Schlagworte
kinder, eltern, inwieweit, entwicklung, handlungs-, präventionsmöglichkeiten, sozialen, arbeit
Arbeit zitieren
Alina Kruse (Autor:in), 2018, Kinder psychisch kranker Eltern. Inwieweit wird die Entwicklung beeinflusst?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/442633

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