Die Schichtung des deutschen Wortschatzes nach sprachhistorischen Gesichtspunkten


Ausarbeitung, 2005

21 Seiten

Angelika Felser (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Entlehnungen in der deutschen Sprache
2.1 Die erste lateinische Welle
2.2 Die zweite lateinische Welle
2.3 Die erste französische Welle
2.4 Die dritte lateinische Welle
2.5 Die zweite französische Welle
2.6 Internationalismen aus lateinischen und griechischen Wortstämmen
2.7 Entlehnungen aus der angloamerikanischen Sprache

3 Transferenz und Integration von Lehnwörtern ins deutsche Sprachsystem

Literaturhinweise

1 Einleitung

Sprachkontakte haben seit ca. 50 v. Chr. zum Teil weniger deutliche als auch deutliche Spuren in allen Sprachen hinterlassen. Entlehnungen in der Sprache verweisen stets auf historische Geschehen, Kriege, Moderichtungen, Ideologien sowie technische und wissenschaftliche Entwicklungen.

Eine Entlehnung (auch Interferenz, Transferenz, eng. loan borrowing) ist der Vorgang und das Ergebnis der Übernahme eines sprachlichen Ausdrucks aus einer Fremdsprache in die Muttersprache. Menschen entlehnen Wörter zumeist dann, wenn es in der eigenen Sprache keine Bezeichnung für eine neu entstandene Sache oder einen neuen Sachverhalt gibt.

Versuche zur Klassifizierung nach dem Grad der Integration bzw. Assimilation des entlehnten Wortes in die jeweilige heimische Sprache (Fremdwort – Lehnwort) oder unter semantischen und konstitutionellen Aspekten (Lehnprägung) haben zu einer verzweigten und nicht immer ganz transparenter Terminologie geführt. Dies liegt auch an den vielfältigen Überlagerungen unterschiedlicher Gesichtspunkte bei der Bildung von Entlehnungen.

„Transferenz“ (lat. trans-ferre „übertragen“) eines Fremdwortes ist die Übernahme von Elementen, Merkmalen und Regeln einer Sprache A in eine Sprache B. Hierdurch wird die Empfängersprache interferiert. Es kommt -so Uriel Weinreich- zu einer „Normverletzung“ („deviation of the norms“).

„Integration“ ist die inhalts- und ausdrucksseitige Anpassung bzw. der Ersatz von Transferenzen entsprechend den Mustern der Empfängersprache. Durch Integration versuchen Sprecher einer Sprache Interferenzen (Überschreiten von Sprachnormen, “Störungen“) zu beheben.

Fremde Wörter sind häufig zunächst Fremdwörter (FW), später Lehnwörter (LW).

Ein Fremdwort ist im Gegensatz zum Lehnwort nicht bzw. noch nicht nach Flexion, Lautung oder Schreibung ins jeweilige Sprachsystem integriert (z.B. Courage, Flirt, Palais, Sputnik). Lehnwörter dagegen sind Entlehnungen einer Sprache A aus einer Sprache B, die der Sprecher in Flexion, Lautung oder Schreibung vollständig an die Sprache A angeglichen hat (z. B. Memoiren (frz. mémoires), schreiben (lat. scribere), Streik (engl. strike), Wein (lat. vinum).

Die Übergänge von Fremdwort zu Lehnwort sind z. T. fließend. Zu den Abgrenzungskriterien zählt z.B., ob ein Wort mit gebräuchlichen Affixen oder Wortstämmen morphologisch verknüpft wurde (z.B. komisch, temperamentvoll) oder wie ein Wort orthographisch realisiert wird (Spaghetti). Zu den Abgrenzungskriterien zählt auch, ob ein Wort als fremd oder nicht als fremd empfunden wird. Dabei spielt die Epoche der Entlehnung keine große Rolle. Das Wort „Bibliothek“ (Entlehnung aus dem 15. Jh.) wird als fremder empfunden als die Wörter „Film“ oder „Sport“, Entlehnungen aus dem 19. Jh.

Werner Betz gliedert das Lehngut unter den Oberbegriff der „Lehnprägung“. Dieser umfasst alle Einflüsse, die sich nicht auf das Wortmaterial an sich, sondern auf die Wortbildung und Wortbedeutung erstrecken. Zur Lehnprägung zählen Lehnsyntax, Lehnbedeutung, Lehnbildung und Lehnwendung.

„Lehnsyntax“ bezeichnet die Übernahme der ehemals fremden Syntax einer Sprache ins eigene Sprachsystem (z.B. die Übernahme des lateinischen Ablativus absolutus ins deutsche Sprachsystem).

Bei der Lehnbedeutung wird nicht das Wort bzw. der jeweilige Ausdruck, sondern nur dessen Bedeutung auf das heimische Wort bzw. den heimischen Ausdruck übertragen:

z.B. engl. to cut (a person) (cut = schneiden) > eine Person nicht beachten, frz. croiser les plans de qn (croiser = kreuzen) > die Pläne von jemandem kreuzen[1], engl. to realize (einsehen) > realisieren, verwirklichen.

Eine Lehnbildung ist eine Neubildung nach fremdem Vorbild anhand einheimischer Elemente. Dabei werden wörtliche Glied-für-Glied Übersetzungen (Lehnübersetzungen) von teilweiser Lehnübertragung unterschieden.

Lehnübersetzungen sind z.B. Großvater (< frz. le grand-père), Halbwelt (<frz. le demi-monde), Tagesordnung (< frz. l’ordre du jour) und Taschengeld (< engl. pocket-money). Ansätze von Lehnübertragungen finden sich z.B. in: Gnädiges Fräulein (< frz. Mademoiselle), gnädige Frau (< frz. Madame), Halbinsel (< frz. la presqu’île), Vaterland (< lat. patria) und Wolkenkratzer (< engl. sky-scraper).

Lehnübersetzungen und Lehnübertragungen sind formal abhängige Lehnformungen.

Formal unabhängige Lehnformungen sind Lehnschöpfungen. Sie sollten zum Zeitpunkt ihrer Entlehnung zunächst als Ersatz für das jeweilige Fremdwort dienen (s. „Sprachgesellschaften“).

Beispiele hierfür in der deutschen Sprache sind Anschrift für „Adresse“, Umwelt für „Milieu“, Weinbrand für „Cognac“ und Zartgefühl für „Delikatesse“.

Beispiele in der französischen Sprache sind le baladeur (< engl. walkman) und l’ordinateur (< engl. computer).

Eine Lehnwendung ist die Nachbildung einer fremden Redensart, wie z.B. jemandem den Hof machen (< frz. faire la cour de qn).

Wird ein Wort aus einer fremden Sprache entlehnt, wird es selten in allen Bedeutungen der abgebenden Sprache entlehnt, da ein fremdes Wort in der Regel Lücken im jeweiligen Sprachsystem schließt.

Dennoch gibt es Übernahmen, die alle inhaltlichen Merkmale mitbrachten, wie z.B. „Balkon“ (1. Vorbau eines Hauses, 2. höher gelegener Zuschauerraum), „Billard“, „Bluse“, „Chiffon“, „Cousin“, „Cousine“, „Farce“ (1. eine kulinarische Füllung, 2. ein Schwank), „Invalide“, „Journalist“, „Kanapee“ (1. ein Sofa (veraltet), 2. Weißbrotschnittchen), „Montage“ oder „Plüsch“.

Nach der Entlehnung eines Wortes entstehen häufig Dubletten. Die indigene Form und die entlehnte Form stehen sich zunächst gegenüber. In den meisten Fällen verschwindet die indigene Form nach einer gewissen Zeit wieder aus dem jeweiligen Sprachsystem, wie zum Beispiel im deutschen Sprachsystem Base – Cousine, Vetter – Cousin.

In wenigen Fällen verschwindet die entlehnte Form (chagrin – Kummer, fatiguant – ermüdend).

In manchen Fällen bleiben beide Formen nebeneinander bestehen.

Die zwei Formen sind in seltenen Fällen synonym, wie z.B. Balance – Gleichgewicht („Balanceakt“ als ideomatische Wendung), Etage – Stockwerk, Resultat – Ergebnis.

Zumeist erhält die entlehnte Form eine bedeutungsdifferenzierende Eigenschaft.

Diese kann sein:

allgemeiner (Eleganz – Gepflegtheit, Chic; solide – fest, gediegen, stark; vage – unbestimmt, unsicher)

expressiver (sabotieren – hintertreiben, schickanieren – ärgern, Rivale – Mitbewerber)

gehobener (Souflée – Auflauf)

kürzer und sprachökonomischer (Brosche – Anstecknadel, Lupe – Vergrößerungsglas)

pejorativer (Allüren – Benehmen)

oder

spezieller (Apartment – Wohnung, tranchieren – schneiden).

In den meisten Fällen erfährt ein Lehnwort bei der Integration in die jeweilige Sprache einen Bedeutungswandel in Form von Bedeutungsverengungen, Bedeutungserweiterungen oder Bedeutungsverschiebungen.

Integration durch Bedeutungsveränderung (Bedeutungsverengung) ist dadurch zu erklären, dass Sprecher Entlehnungen interessen- und bedürfnisgelenkt tätigen.

Eine Bedeutungsveränderung erfuhr z. B. das mhd. Wort „tumb, tump“ (dumm, unerfahren, töricht). Seine Bedeutung von „stumm“ (engl. dumb)) wurde nicht in die deutsche Sprache übernommen.

Auch das mhd. Wort „reht“ (Recht, Gesetz) erfuhr nach Entlehnung eine Bedeutungsverengung, denn es wurde nicht mit dem Sinn „Gericht“ in die deutsche Sprache übernommen.

Integration durch Bedeutungsverengung erfuhr auch das Wort „schnell“ (mhd. snel) nach Entlehnung. Es wurde lediglich im Sinne von „schnell“ in das deutsche Sprachsystem integriert, nicht in den Bedeutungen „kräftig, tapfer“ der abgebenden Sprache.

Beispiele solcher Entlehnungen aus der französischen Sprache sind z.B.:

„Adresse“ (Anschrift, nicht „Geschicklichkeit“),

„Bouket“ (Blumenstrauß und Duftnote bzw. Weinnote, nicht „Baumgruppe“, „Büschel“, „Bund“),

„Champignon“ (bestimmte Art des Egerlings, der Champignon, nicht „Pilz“ allgemein (kulin., mediz., veget.),

„Chanson“ (eine besondere Art von Lied, nicht „Lied“ allgemein) und

„Serviette“ (Mundtuch, nicht „Aktentasche“).

Bedeutungsverengungen im pejorativen Sinne haben die französischen Lehnwörter „Affaire“, „Maîtresse“, „ordinär“ oder „Visage“ erfahren. Auch die französischen Lehnwörter „Restaurant“ (in der französischen Sprache ein gehobenes Speiselokal, in der deutschen Sprache das allgemeine Wort für ein Restaurant), „Dessert“ (in der französischen Sprache ein exquisiter Nachtisch, in der deutschen Sprache das allgemeine Wort für einen Nachtisch) oder „Kollier“ (in der französischen Sprache ein Halsband allgemein, in der deutschen Sprache der Ausdruck für ein wertvolles Halsband) haben Bedeutungsverschlechterungen erfahren.

In manchen Fällen hat die deutsche Sprache eine ältere Bedeutung des entlehnten französischen Wortes bewahrt, die in der französischen Sprache inzwischen aufgegeben oder weitestgehend zurückgedrängt wurde, wie z.B. „Delikatesse“ (1. besonders Wohlschmeckendes, 2. Zartgefühl, Feingefühl) oder „Kuvert“ (1. Briefumschlag, 2. Gedeck für eine Person).

Integration durch Bedeutungsveränderung (Bedeutungserweiterung) erfuhr das mhd. Wort „milde, milte“ (mild) im Sinne von „freigebig“, eine Eigenschaft, die dem Lehnsherrn zukam.

Bedeutungserweiterung erfuhr auch „Garderobe“ (< frz. la garde-robe), das im Deutschen nicht nur „Ankleidezimmer, Kleiderschrank, Kleiderablage, Kleidung“ bedeutet, sondern auch „Ankleidezimmer eines Schauspielers“ (frz. la loge).

Auch das Wort „Prise“ erfuhr eine Bedeutungserweiterung:

Während es in der französischen Sprache ausschließlich „ein im Krieg erbeutetes Schiff“ und eine „kleine Menge Tabak“ bedeutet, wird es in der deutschen Sprache auch für „eine kleine Menge einer pudrigen Substanz“ allgemein verwendet (frz. une pincée).

Bedeutungsverschiebungen sind Prozesse, bei denen der Inhalt des empfängersprachlichen Wortes nicht mehr dem Inhalt des Lehnwortes entspricht, wie z.B. „Baiser“ (Schaumgebäck aus Eischnee und Zucker ↔ frz. „Kuss“) oder „Bouchée“ (Appetithäppchen ↔ frz. „Mundvoll“).

Auch die deutsche Sprache hat sich aufgrund fremdsprachlichen Einflusses gewandelt, denn einige einheimische Wörter haben einen Bedeutungswandel erfahren. Auch hier spricht man von Bedeutungsverengung und Bedeutungserweiterung.

Bedeutungsverengung erfuhr das deutsche Wort „Mut“, das heute Synonym für Tapferkeit ist. In älterer Zeit beschrieb das Wort die wechselnden Gemütszustände eines Menschen. Diese Bedeutung findet sich heute nur noch in der Redewendung „guten Mutes sein“.

Bedeutungserweiterung hat das Wort „Sache“ erfahren. Es stand früher für „Streit, Rechtssache“. Heute beschreibt es generell eine Sache. Den früheren, engeren Sinn findet man heute noch im juristischen Ausdruck „in Sachen X gegen Y“.

Eine Bedeutungsverschiebung hat das Wort „Frauenzimmer“ erfahren. Ursprünglich beschrieb es den Aufenthaltsraum einer Frau, dann hat das Wort „Frauenzimmer“ eine Bedeutungsverschlechterung erfahren. Heute steht es pejorativ für eine Frau.

Auch das Wort „Spießbürger“ hat eine Bedeutungsverschlechterung erfahren. Bezeichnete es früher einen bewaffneten Stadtbürger, so wird es heute benutzt, um einen engstirnigen, kleinlich denkenden Menschen zu charakterisieren.

Eine Bedeutungsverbesserung hat das Wort „Minister“ erhalten. Bezeichnete das lateinische Wort minus den „geringeren Diener“, wird es heute verwendet, um einen Diener des Staates, den obersten Verwaltungsbeamten des Staates zu bezeichnen.

Ein Grund für den Bedeutungswandel sind Veränderungen in gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen. So bezeichnete das Wort „Fräulein“ bis zum 18./19. Jh. unverheiratete adelige Damen, später auch bürgerliche Mädchen. Heute bezeichnet das Wort allgemein unverheiratete Frauen. Das Wort „Fräulein“ wird heute als veraltet empfunden.

Ein weiterer Grund des Bedeutungswandels ist die Tendenz von Sprechern, sich in Bildern und Vergleichen auszudrücken. Ein „affiges Benehmen“ bezeichnet ein gekünsteltes und nachäffendes Benehmen, eine „Schweinerei“ etwas Schmutziges und Unordentliches. Vgl. auch die Redensarten „auf falscher Fährte sein“ (Jägersprache), „die erste Geige spielen“ (Musik), „etwas in Kauf nehmen“ (Kaufmannsprache).

Euphemismen werden verwendet, um eine unangenehme Tatsache zu beschönigen und zu verhüllen, evtl. um die jeweilige Kommunikationspartnerin oder den jeweiligen Kommunikationspartner zu schonen. Ein „freigestellter Arbeitnehmer“ wird daher in manchen Fällen anstelle von „Arbeitsloser“ verwendet, „entschläft“ anstelle von „sterben“, „sitzen“ anstelle von „im Gefängnis sein“, „in anderen Umständen sein“ anstelle von „schwanger sein“, „unpässlich sein“ anstelle von „krank sein“ und „vollschlank sein“ anstelle von „dick sein“.

Die Wortwahl der jeweiligen Sprecherin bzw. des jeweiligen Sprechers kann bei der jeweiligen Kommunikationspartnerin bzw. dem jeweiligen Kommunikationspartner gedanklich soziale Assoziationen hervorrufen (Bürokraft versus Laufbursche; Raumpflegerin versus Putzfrau; Farbiger versus Afrikaner, Afroamerikaner, „Neger“).

Ein weiterer Grund für Bedeutungswandel ist der Bedarf von Sprechern nach stärkeren Ausdrücken. „Sehr gut“, „gut“, „schlecht“ werden z.B. durch Hyperbeln intensiviert („phantastisch“, „total“, „absolut“, „fürchterlich“, „schrecklich“).

In der deutschen Sprache finden sich daher auch Ausdrücke wie „eine Heidenangst haben“ und „einen Mordshungerhaben“. In manchen Fällen, in denen Übertreibung nicht für geeignet erachtet wird, verwenden Sprecher das Stilmittel der Untertreibung (Litotes). Beispiele hierfür sind „nicht schlecht“ oder „ziemlich überraschend“.

Die deutschen Sprecher haben im Rahmen unterschiedlicher historischer „Wellen“[2] Lehnwörter aus anderen Sprachen in ihr Sprachsystem integriert.

2 Entlehnungen in der deutschen Sprache

2.1 Die erste lateinische Welle

Während der so genannten ersten lateinischen Welle (die Römerzeit 50 v. – 500 n. Chr.) übte die lateinische Sprache aufgrund ihrer überlegenden Sachkultur Einfluss auf die germanische Sprache aus. Ca. 500 lateinische Wörter wurden ins Germanische entlehnt. Diese haben die sogenannte 2. Lautverschiebung und die Diphthongierung[3] mitgemacht, weshalb sie heute kaum noch als Entlehnungen aus der lateinischen Sprache erkannt werden. Beispiele sind lateinisch planta > Pflanze, lateinisch piper > Pfeffer oder lateinisch murus > Mauer.

Weitere Wörter, die zur Zeit der ersten lateinischen Welle ins Germanische gelangten sind z. B.:

Frucht (fructus) im Gartenbau,

Kampf (campus „Feld“) in der Militärorganisation,

Pfeil (pilum) im Kriegswesen,

Kerker (carcer) in der Verwaltung,

Küche (cocina) im Bereich neuer Kochmethoden und Lebensmittel,

Straße (via strata) im Bereich Handel und Verkehr,

Ziegel (tegula) im Bereich des Steinbaus.

2.2 Die zweite lateinische Welle

Die zweite lateinische Welle ab 500 n. Chr. setzte mit der Christianisierung und Missionarisierung ein. Ca. 500 - 800 Wörter aus dem Bereich Kirche und Klosterkultur wurden entlehnt. Diese haben die 2. Lautverschiebung nicht mitgemacht.

Beispiele sind Kloster (clostrum), Papst (papa), predigen (praedicare), schreiben (scribere) und Tafel (tabula).

Germanische Wörter erfuhren aufgrund des lateinischen Einflusses Umdeutungen, wie z. B. das Wort „Buße“ (Lehnbedeutung) < germanisch „Nutzen, Vorteil“, welches die Bedeutung „Genugtuung vor Gott“ (poenitentia) erhielt.

Das Wort „Hölle“ wurde ursprünglich im Germanischen für „Totenreich“ verwendet. Das Wort „Gott“ wurde bis dahin oft im Plural verwandt und besaß grammatikalisch sächliches Geschlecht.

2.3 Die erste französische Welle

Während der höfischen Zeit (1150-1250) wurden während der so genanten ersten französischen Welle ca. 700 französische Wörter entlehnt, wobei das 13. Jh. die wichtigste Rolle spielte. Die Gesellschaft wurde unter anderem nach französischem Vorbild vielschichtiger. Nicht nur Fürsten und Grafen erhielten Adelsrechte (wie im Frühmittelalter), sondern auch Ministerialen. Ursprünglich unfreie Hofdiener, die zum Verwaltungs- und Kriegdienst herangezogen wurden, bekamen Rechte und Lehen (Steuern und Zölle). Sie bereicherten sich zudem durch Raub in Kreuzzügen. Diese neue soziale Schicht, der Ritterstand, wurde nun auch Träger einer neuen Kultur, die in Frankreich entstand. Die Kultur mit starkem Klassenbewusstsein und ethischen Regeln versammelte sich an Höfen und hatte nur Pflichten gegen sich selbst. Der Ritterstand entwickelte eine überlandschaftliche Literatursprache (klassisches Mittelhochdeutsch) und orientierte sich nach französischem Vorbild. So entstand die Nachdichtung französischer Epen (Chrétien de Troyes). Weitere Werke waren z. B. „Tristan und Isolde“ (Gottfried von Straßburg), „Der arme Heinrich“ (Hartmann von Aue), „Parzival“ (Wolfram von Eschenbach) oder Minnelieder und „Mädchenlieder“ (Walther von der Vogelweide).

Durch Übersetzungen französischer Werke und aufgrund der Übernahme der französisch-provenzalischen Lebensform gelangten viele französische Wörter ins Mittelhochdeutsche. Viele Wörter wurden aus dem ritterlichen Leben entlehnt und bezeichneten Kleidung, kostbare Handelswaren, Kampfspiele und Unterhaltung.

Beispiele sind:

Abenteuer (avent(i)ure; Bedeutungsverschiebung „gefährliche Begegnungen der Ritter“, „ritterliches Waffenspiel“),

fein (fin; Diphthongierung),

Lanze (lance),

Preis (pris; Diphthonierung),

Tanz (danse; d > t, 2. Lautverschiebung),

Turnier (tournei).

Einige französische Wörter wurden mittels Lehnübersetzung in die deutsche Sprache integriert, wie z.B. höfisch, hübsch (< courtois) oder Ritter (< chevalier).

Graphematische Integration erfuhren z.B. Wörter wie mhd. Schevalier (< chevalier) oder mhd. Prinze (< prince).

Aus der Ritterzeit stammen noch heute gebräuchliche Redensarten, wie z.B. „etwas aus dem Stegreif tun“ (eigentlich „Steigbügel“, etwas rasch, ohne Vorbereitung und ohne vom Pferd abzusetzen tun), „eine Lanze für jemanden brechen“ (für jemanden eintreten) oder „jemandem einen Korb geben“ (jemanden abweisen; der unwillkommene Liebhaber bekam z.B. einen Korb mit schadhaftem Boden).

Mit Untergang des Rittertums endet die erste französische Welle von Entlehnungen. Viele der französischen Wörter verschwanden wieder aus der deutschen Sprache, wie z.B. „Knappe“ ( < garzûn, garçon) oder „Ritterspiel Schar gegen Schar“ ( < bûhurt, frz. bonhourt).

Geblieben sind zudem die Suffixe – ie und –ieren, die zusammen mit Lehnwörtern wie „courtoisie“, „melodie“, „parlieren“ und „tournieren“ in die deutsche Sprache gelangten.

Sie wurden in der deutschen Wortbildung produktiv: buchstabieren, hausieren, Fischerei, Zauberei (Fnhd. > ei).

Auch die neue Anredeform „Ihr“ (französisch „vous“ (2. Ps. Pl.)) wurde neben „du“ in die deutsche Sprache integriert, um soziale Unterschiede kenntlich zu machen. Das deutsche Anredepronomen „Sie“ ersetzte „Ihr“ erst im 17. Jh.

2.4 Die dritte lateinische Welle

Mit dem Zeitalter des Humanismus setzte eine dritte lateinische Entlehnungswelle ein. Sie begann etwa Ende des 15. Jh. und dauerte bis Ende der absolutistischen Zeit.

Für das 16. Jh. finden sich 936 Erstbelege im Deutschen Fremdwörterbuch (Rachel K. A. Caughey); um 1640 wurden die meisten Wörter aus der lateinischen Sprache entlehnt, und die Welle lateinischer Entlehnungen in die deutsche Sprache erreichte im 18. Jh. ihren Höhepunkt.

Griechisches Wortgut wird in dieser Zeit durch das Lateinische vermittelt und gelangt auf diesem Weg in die deutsche Sprache. Fachsprachen, die mit der Entwicklung der Wissenschaften und dem Aufkommen neuer Begriffe entstanden, nehmen viele lateinische Fremdwörter auf, zunächst als Fremdwörter, später als Lehnwörter.

Mit der Übernahme des römischen Rechts 1495 mit der Reichskammergerichtsordnung gelangen z.B. folgende lateinische Wörter in die deutsche Sprache:

Advocat (<advocatus; „Rechtsbeistand, der Herbeigerufene“),

Dekret (< decretum; „Entscheidung, Bescheid“),

„zitieren“ (< citare; „jemanden als Zeugen anrufen“).

Im Bereich der Druckersprache wird z.B. durch Rückübersetzung das Wort „Facsimile“ eingeführt (fac simile! , Mache ähnlich!).

Philologen übernehmen die Wörter „Etymologie“ (< etymologia < griech. Etymología, Untersuchung des wahren Sinns des Wortes), „Konjugation“ (< conjugatio, Verbindung, Beugung) und „Prolog“ (< prologus, Vorrede, Vorwort).

In den Bereichen Schule und Universität werden Wörter wie

Aula (< griech. aulé; Bedeutungsverengung: Hof im Haus, Innenhof, Festsaal),

Examen (< Examen, Untersuchung, Prüfung),

Fakultas (< facultas, Fähigkeit, Möglichkeit, Vermögen) in die deutsche Sprache eingeführt.

Durch Lehnübersetzung gelangen Namen, wie z.B. Agricola für Bauer, Piscator für Fischer oder Mercator für Kaufmann in die deutsche Sprache. Das deutsche Wort Meerbusen ist eine Lehnübersetzung des lateinischen sinus maritimus.

Dass die lateinische Sprache einen sehr großen Einfluss auf die deutsche Sprache ausübte zeigt sich nicht nur in den Entlehnungen.

Ihr großer Einfluss zeigt sich im Satzbau der deutschen Sprache (Lehnsyntax), wie z.B.

- im Gebrauch des steigernden Genitivs (das Buch der Bücher),
- im Gebrauch des ACI (Akkusativ mit Infinitiv; wir geloben, Gott zu ehren),
- im Gebruach des ablativus absolutus (nach genommenem Abschied),
- im Gebrauch des participium conjunctum (p.c.) (in der Wiege liegend),
- in der Stellung des Verbs am Satzende eines Nebensatzes (, dass er das hat tun können).

Im Bereich der Wortbildung wurden lateinische Lehnwörter zum Teil zusammen mit ihren lateinischen morphologischen Regeln in die deutsche Sprache transferiert (Komma (Sg.), Kommata (Pl.), Christi Geburt (statt *Geburt Christi).

Lateinische Suffixe wurden zunächst transferiert, später integriert (-atio > -atz; -entia/-antia > -enz/anz; -tio > -tion; -tas > -tät). Die mhd. Suffixe –heit und –keit wurden parallel zu –tas gebildet.

Die lateinische Endung –us ging verloren (advocatus > advocat).

Bis in absolutistische Zeit spricht und schreibt der gebildete Mensch lateinisch oder deutsch gemischt mit lateinischen Lexemen. Die zum Teil echte Zweisprachigkeit diente als soziales Distanzierungsmittel gegenüber den einfachen Leuten und der Volkssprache, um die Ständeordnung aufrecht zu erhalten.

Bis weit ins 17. Jh. hinein hat die lateinische Sprache in Druckprodukten ihre Vorherrschaft. Erst 1680 beginnt die deutsche Sprache in Druckprodukten langsam zu überwiegen.

1687 hält Christian Thomasius die erste Vorlesung an der Universität in deutscher Sprache. Dennoch hält man in der Jurisprudenz bis weit ins 18. Jh. hinein an der lateinischen Sprache als Wissenschaftssprache fest.

2.5 Die zweite französische Welle

Neben Entlehnungen aus der französischen und der lateinischen Sprache hat die deutsche Sprache seit dem 16. Jh. aus vielen weiteren Sprachen Wortschatz entlehnt.

So stammen die Wörter „Allegro“, „Bass“, „Fagott“, Konto“, „Skonto“ und „Violine“ aus der italienischen Sprache.

Die Wörter „Infanterie“ und „Major“ stammen aus der spanischen Sprache.

Die Wörter „Apfelsine“, „Düne“ und „Niete“ wurden aus der niederländischen Sprache entlehnt.

Eine zweite Welle französischer Entlehnungen setzte schon vor dem Dreißigjährigen Krieg ein (Peter von Polenz). Mit dem Dreißigjährigen Krieg werden zunächst militärische Termini in den deutschen Wortschatz aufgenommen, wie z.B. „Barrikade“, „massakrieren“ oder „rekrutieren“, dann aber immer mehr Termini des Alamode-Wesens der höfischen und hofnahen Gesellschaftsschichten (sich amüsieren, Ballet, Biskuit, Farce, parfümieren, Puder, etc.). Besonders unter und nach Ludwig XIV (etwa 1650-1770) gilt Frankreich in Europa politisch und kulturell als führende Nation. Adel und höheres Bürgertum orientieren sich in allen Fragen der Bildung und des Geschmacks nach der Mode (→ à la mode) von Paris und dem französischen Königshof. Mittels der französischen Sprache versuchte man, das gegenüber der französischen Kultur, Wirtschaft, Literatur und Sprache (National-Literatursprache) empfundene Defizit zu stillen. Die Entlehnungen aus der französischen Sprache in die deutsche Sprache waren bedürfnis- und interessengelenkt.

Es galt als vornehm, französisch zu sprechen und es neben dem Deutschen und Lateinischen als weitere Sprache mehr oder weniger im Sinne einer zwei- oder sogar Dreisprachigkeit zu beherrschen. Die Prestigesprache ermöglichte es den führenden Schichten, sich nach unten, vom „Pöbel“, abzugrenzen.

Noch 1750 berichtet François Marie Arouet Voltaire über den Hof des Preußenkönigs Friedrich II.: „Je me trouve ici en France. On ne parle que notre langue, l’allemand est pour les soldats et pour les chevaux, il n’est nécessaire que pour la route.“ Wer der französischen Sprache nicht mächtig war, versuchte, möglichst viele der von manchen kritisierten „Flickwörter“ in ihren oder seinen deutschen Wortschatz einzubauen. Man machte „Komplimente“, trieb „Plaisir“, „Koketterie“, übte „Konversation“, „amüsierte“ sich.

Es finden sich in der heutigen deutschen Sprache noch besonders viele französische Lehnwörter in den folgenden Bereichen:

Diplomatie (Finesse, Minister)

Gesellschaftsleben (Anredeformen (Lehnübertragungen Mademoiselle (> gnädiges Fräulein) und Madame (> gnädige Frau)), Ballet, Billard, Maskerade, Promenade, (Sprache) charmant, kokett, (Verwandtschaftswörter) (Mama, Papa, Cousin, Cousine))

Küche (Bouillon, à la carte, delikat, Omelett, Ragout, Serviette, Tasse)

Militärwesen (Eskorte, Etappe)

Mode (frisieren, Kostüm, Mode, Parfüm, Perücke, Weste)

Musik und Tanz (Menuett, Pas)

Wohnkultur (Apartment, Balkon, Gardine, Salon, Sofa).

Französische Protestanten, Hugenotten, die aufgrund des 1685 von Ludwig XIV aufgehobenen Edikts von Nantes aus Frankreich fliehen mussten, flohen zu Tausenden ins Ausland, u. a. nach Deutschland. Um 1700 war in Berlin-Brandenburg jede fünfte in Berlin wohnende Bürgerin eine Französin und jeder fünfte in Berlin wohnende Bürger ein Franzose. Sie beeinflussten die Mundarten, außerdem vielfach - als Fachleute auf diesen Gebieten- den Fachwortschatz von Handwerk, Gewerbe und Wissenschaften.[4]

Das Fachvokabular der Küche wurde wiederum maßgeblich beeinflusst: Die französischen Protestanten legten Treibhäuser an, bauten u. a. Blumen- und Rosenkohl, Bohnen, grüne Erbsen, Rosenkohl, Spargel und Weizen an, kultivierten die Kartoffel zur Massennahrung.[5]

Die Auswirkungen der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege waren auch auf deutscher Seite beträchtlich. Das erstarkende Bürgertum strebte nach französischer Bildung, um sich mit dem Adel gleichzustellen.

In dieser Zeit wurden französische Lehnwörter aus folgenden Bereichen in die deutsche Sprache integriert (Caughey):

Handel und Wirtschaft (Akquisition, Coupon)

Literatur (Broschüre, Essay)

Militär (Kadett, Manöver)

Staat und Politik (Attentat, Bourgeois, Reaktionär, Revolution, Sozialist)

Wissenschaften (Manipulation, relativ).

Die Orientierung an Frankreichs Sprache und Kultur nahm erst mit der Gründung des deutschen Reichs 1871 ab. England gewann in politischer und ökonomischer Sicht an Bedeutung. Die französische Sprache ist die Sprache der Diplomatie geblieben.

Die von manchen kritisierte „Sprachmengerei“ aufgrund von Entlehnungen aus fremden Sprachen und der Vermischung mit der deutschen Sprache führte im 17. Jh. in Deutschland zur Gründung von so genannten „Sprachgesellschaften“. Die erste Sprachgesellschaft stellte die „Fruchtbringende Gesellschaft“ (FG) dar, die 1617 in Weimar gegründet wurde.[6]

2.6 Internationalismen aus lateinischen und griechischen Wortstämmen

Obwohl die lateinische Sprache nicht mehr gemeinsame Gelehrtensprache war, behielt sie als Sprache der Wissenschaft und Technik ein internationales Element bei. Im 19. und 20. Jh. wurde das erforderliche Vokabular vorwiegend aus lateinischen und griechischen Wortstämmen gebildet. Diese Kunstwörter fanden internationale Verbreitung und gelangten häufig durch die französische oder englische Sprache in die deutsche Sprache.

Beispiele für solche Kunstwörter sind

„Automobil“ (< griech. autos (selbst) und lat. mobilis (beweglich),

„Biologie“ (aus griech. bios (Leben) und logos (Wort, Wissenschaft)),

„elektrisch“ (zu griech. élektron (Bernstein)),

„Morphem“ (griech. morphe (Gestalt)) und

„optimal“ (< lat. optimus (der Beste, das Beste)).

2.7 Entlehnungen aus der angloamerikanischen Sprache

Durch Übersetzungen englischer Literatur gelangten schon im 18. Jh. angloamerikanische Lehnwörter wie „Blankvers“ oder „Humor“[7] in die deutsche Sprache. Im Bereich der Politik wurden die Wörter „Opposition“ und „Parlament“ übernommen; im Bereich der Wirtschaft die Wörter „Budget“ und „Banknote“.

Im 19. Jh. lösten angloamerikanische Entlehnungen in der deutschen Sprache den Einfluss von französischen Entlehnungen in der deutschen Sprache in den Bereichen Gesellschaft, Mode, Politik, Wissenschaft ab. Angloamerikanische Lehnwörter wie z. B. Klub, Smoking, Roastbeef, Partner, Streik oder Lokomotive gelangten in die deutsche Sprache. Die angloamerikanische Sprache gilt als Fachsprache des Sports (Fußball (Lehnübersetzung, < „foot“ und „ball“), Hockey, Match, Trainer, Sport, Strafstoß (Lehnübersetzung, < „penalty-kick“).

Die politische Vormachtstellung der USA nach dem 2. Weltkrieg, die Globalisierung und der Englischunterricht an Schulen zählen zu den wichtigsten Faktoren, warum seit 1945 überwiegend Lehnwörter aus dem amerikanischen Englisch in die deutsche Sprache übernommen wurden (vgl. auch die Entwicklung in Frankreich, das von manchen kritisierte „Franglais“).

Amerikanische Lehnwörter in der heutigen deutschen Sprache sind z. B. „Babysitter“, „Bestseller“, „Business“, „Comics“, „Handout“, „Input“ und „Output“, „Jeans“, „Leasing“, „Quiz“, „Spray“, „Teamwork“.

Wörter wie „Drink“, „Gag“, „Hit“, „Job“ oder „Meeting“ gelten als so genannte „Luxuswörter“, da sie aus Prestigegründen entlehnt wurden. Diese ersetzen zum Teil indigene Wörter zur entsprechenden Bezeichnung des Bezeichneten.

Sehr viele Entlehnungen finden sich heute in den Fachsprachen der Werbung und Massenmedien sowie des Computers (Diskette, Keyboard, Mouse, ink-jet printer, laser printer, etc.).

Verbunden mit deutschen Kompositionsgliedern und Ableitungsmorphemen werden angloamerikanische Entlehnungen z. B. in Wortkomposita wie „Live-Sendung“, „Milch-Shake“ oder „Reiseboom“ verwendet.

Lehnübersetzungen finden sich z.B. in „Einkaufszentrum“ (< shopping-centre), „Podiumsdiskussion“ (< panel discussion) oder „Übersee“ (< oversee). Wörter wie „Dressman“ und „Pullunder“ sind Scheinentlehnungen.

3 Transferenz und Integration von Lehnwörtern ins deutsche Sprachsystem

Lehnwörter aus anderen Sprachen wurden stets in Kasus und Numerus ins deutsche Sprachsystem integriert (KNG-Kongruenz).

So findet sich Kasusintegration bei „des Büros“, „des Engagements“ (Genitivbildung durch Flexion) und Numerusintegration bei „Büros“, „Komplimente“, „Kostüme“ (Pluralbildung durch Flexion nach deutschen Sprachregeln).

Die Zuweisung des Genus des Lehnwortes erfolgt nach morphologischem, quellsprachigem oder semantischem Prinzip:

Dem morphologischen Prinzip nach wurde z.B. das grammatikalische Geschlecht französischer Lehnwörter gemäß ihren Suffixen ins deutsche Sprachsystem transferiert:

Die französischen Endungen –ade, -elle, -esse, -ette, -ion verweisen häufig auf das feminine Geschlecht des jeweiligen Wortes. Entsprechend sind einige französische Wörter mit einer femininen Wortendung auch in der deutschen Sprache grammatikalisch feminin.

Französische Wörter auf –ett sind in der französischen Sprache maskulin. Diese wurden zumeist in das deutsche Sprachsystem integriert und sind in der deutschen Sprache Neutra, wie z.B. das Ballet, das Menuett.

Die Schwierigkeit der Genuszuweisung von französischen Lehnwörtern liegt zum einen darin, dass es in der deutschen Sprache einen bestimmten Artikel für das Maskulinum („der“), das Femininum („die“) und für das Neutrum („das“) gibt, während es in der französischen Sprache „le“ für das Maskulinum, „la“ für das Femininum und „les“ für maskulin und feminin Plural gibt. Das grammatikalische Neutrum gibt es nicht.

Zudem verweisen die bestimmten Artikel in beiden Sprachen nicht auf das biologische Geschlecht -auch nicht auf das eines Menschen oder eines Tieres- , sondern ausschließlich auf das grammatische Geschlecht eines Wortes.

Dem quellsprachigen Prinzip nach werden Lehnwörter aufgrund ihres natürlichen grammatikalischen Genus entsprechend in die deutsche Sprache transferiert, so z.B. „le litre“ (m.) > der Liter (m).

Das semantische Prinzip besagt, dass ein Wort in Analogie zu einem bedeutungsähnlichen Wort in das deutsche Sprachsystem integriert wird. So wurde z.B. „le bouillon“ (m.) in Anlehnung an „die Brühe“ (f.) als „die Bouillon“ in die deutsche Sprache integriert. Das französische Wort „le fricassée“ (m.) wurde in Anlehnung an „das Fleisch“ (n.) als „das Frikassee“ (n.) in die deutsche Sprache aufgenommen. Das französische Wort „le biscuit“ (m.) wurde in die deutsche Sprache sowohl als „der Biskuit“ (m.) als auch „das Biskuit“(n.) integriert.[8]

Literaturhinweise

Bergmann, Rolf, Pauly, Peter, Schlaefer, Michael, Einführung in die deutsche Sprachwissenschaft, Carl Winter Universitätsverlag, Heidelberg 1981.

Betz, Werner, Deutsch und Lateinisch. Die Lehnbildung der althochdeutschen Benediktinerregel, Bonn 1965.

Brunt, Richard James, The influence of the French language on the German Vocabulary (1649-1735), Berlin, New York 1983 (Studia linguistica Germania 18), S. 17.

Caughey, Rachel, K. A., The influence of French on the German Vocabulary 1736-1815. A Critical study of the literature with special reference to the ‘Deutsches Fremdwörterbuch’. M. A. thesis, University of Auckland 1989, N. Z. (Typoskript).

Dornseiff, Franz, Der Deutsche Wortschatz nach Sachgruppen, Berlin, New York 1970, insbesondere: S. 134-137.

Felser, Angelika, Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts. Die Fruchtbringende Gesellschaft, München, Grin Verlag 2017, Essay für eine Examensvorbereitung, Universität Münster 2005.

Felser, Angelika, Untersuchungen zur Präsenz französischer Termini in der heutigen deutschen Sprache der Speisezubereitung, Grin Verlag, Open Publishing, Examensarbeit, Westfälische Wilhelms-Universität Münster 1997.

Jones, William Jervis, A Lexicon of French Borrowings in the German Vocabulary (1575-1648), Berlin, New York 1976.

Kluge, Friedrich, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von Elmar Seebold, 23., erw. Aufl. (Jubiläums-Sonderausg.), Berlin, New York, de Gruyter 1999.

König, Werner, dtv-Atlas Deutsche Sprache. Mit 155 Abbildungsseiten in Farbe. Grafiker Hans-Joachim Paul. 14., durchgesehene und aktualisierte Auflage. München 2004.

Kramer, Hans-Gert, Linde, Günter, Sprachen die Neandertaler Englisch? Eine Reise durch die Welt der Sprachen, Berlin 1993, S. 200.

Meyers Grosses Taschenlexikon in 24 Bänden. 5., überarbeitete Auflage. Herausgegeben und bearbeitet von Meyers Lexikonredaktion. B.I.-Taschenbuchverlag. Mannheim [u. a.] 1995.

Polenz, Peter von, Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Bd. II: 17. und 18. Jahrhundert. Berlin 1994.

Telling, Rudolf, Französisch im Deutschen Wortschatz. Lehn- und Fremdwörter aus acht Jahrhunderten, Berlin 1987, S. 14.

Volland, Brigitte, Französische Entlehnungen im Deutschen. Transferenz und Integration auf phonologischer, graphematischer, morphologischer und lexikalisch-semantischer Ebene, Tübingen 1986.

Weinreich, Uriel, Languages in Contact. Findings and Problems, London, Paris 1964.

[1] Vgl. ggf. gâcher la vie de qn (jemandem das Leben zur Hölle machen)

[2] Welle f. ( < 11. Jh.). In den Bedeutungen ʻReisigbündelʼ und ʻWalzeʼ mhd. mndd. welle, wille, mndl. welle zu ahd. wellan ʻwälzenʼ. Außergermanisch entspricht lit. vélti ʻwalken, walzenʼ, akslav. valiti s ę ʻsich wälzenʼ, gr. eiléō ʻich rolle, drehe`, ai. valati ʻdreht, rollt’. In der Bedeutung ‘Wogeʼ zunächst zu lit. vilnìs ʻWelle`, akslav. vlĭna ‘Welle’ , ähnlich ai. ūrmi- m./f. ʻWelle`; weiter zu wallen.

Kluge, Friedrich, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von Elmar Seebold, 23., erw. Aufl. (Jubiläums-Sonderausg.), Berlin, New York, de Gruyter 1999, S. 884, S. 873.

Das Motiv der „Welle“ (auch „Spie(ge)l“, „Augen“, Brille“, „Haarpracht“, etc.) ist ein häufiges Motiv.

[3] Der Laut „p“ wurde als „pf“ oder „ff“ realisiert, der Laut „t“ als „ts“ oder „ss“ und der Laut „k“ als „k“ oder „ch“ (Sache) realisiert.

Zur zweiten oder hochdeutschen Lautverschiebung (LV) und Diphthongierung siehe:

König, Werner: dtv-Atlas Deutsche Sprache. Mit 155 Abbildungsseiten in Farbe. Grafiker Hans-Joachim Paul. 14., durchgesehene und aktualisierte Auflage. München 2004, S. 63ff.

Meyers Grosses Taschenlexikon in 24 Bänden. 5., überarbeitete Auflage. Herausgegeben und bearbeitet von Meyers Lexikonredaktion. B.I.-Taschenbuchverlag. Mannheim [u. a.] 1995, Band 13 „Lautverschiebung“, S. 28.

[4] Telling, Rudolf, Französisch im Deutschen Wortschatz. Lehn- und Fremdwörter aus acht Jahrhunderten, Berlin 1987, S. 14.

[5] „ Den offenbar kärglichen märkischen Küchenzettel haben die Franzosen u. a. durch das Filet, die „bouillon“ und schmackhafte Suppen, das Kotelett und das Omelett, die Pastete, das Dessert und Kompott, Püree und die Karotten bereichert. Das Haschee, gehacktes Fleisch, und Mayonnaise, die man nach Mahon, der Hauptstadt einer Baleareninsel, nannte, brachten die Refugiés mit.

[…] Wir verdanken den Franzosen nicht nur die grünen Erbsen und Bohnen, auch den Blumen- und Rosenkohl, den Salat, den Spinat und Suppenkräuter. Sie bauten Spargel und Champignons an. Sie errichteten Treibhäuser und legten Mistbeete an. Und sie kultivierten die Kartoffel zur Massennahrung und führten den Weizen ein.“

Kramer, Hans-Gert, Linde, Günter, Sprachen die Neandertaler Englisch? Eine Reise durch die Welt der Sprachen, Berlin 1993, S. 200.

Richard James Brunt macht auf das landwirtschaftliche Geschick der französischen Protestanten aufmerksam:

„A considerable proportion of the Huguenots were gardeners who introduced new techniques of cultivation and new sorts of fruit and vegetables, such as peas, asparagus, and artichokes.“

Brunt, Richard James, The influence of the French language on the German Vocabulary (1649-1735), Berlin/New York 1983 (Studia linguistica Germania 18), S. 17.

[6] weiterführende Literatur:

Felser, Angelika, Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts. Die Fruchtbringende Gesellschaft, München, Grin Verlag 2017, Essay für eine Examensvorbereitung im Erweiterungsfach Deutsch, Westfälische Wilhelm-Universität Münster 2005.

[7] Vgl. ggf. auch „Saft“, vgl. ggf. auch www.wikipedia.de („Humoralpathologie“, „Temperamentenlehre“)

[8] Ausführliche strukturalistische Untersuchungen der Integration und Transferenz insbesondere französischer Lehnwörter und -hier- insbesondere der Entlehnungen aus dem Bereich der Speisezubereitung finden sich bei:

Felser, Angelika, Untersuchungen zur Präsenz französischer Termini in der heutigen Sprache der Speisezubereitung. Grin Verlag, Open Publishing, Examensarbeit, Westfälische Wilhelms-Universität Münster 1997.

Volland, Brigitte, Französische Entlehnungen im Deutschen. Transferenz und Integration auf phonologischer, graphematischer, morphologischer und lexikalisch-semantischer Ebene, Tübingen 1986.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Schichtung des deutschen Wortschatzes nach sprachhistorischen Gesichtspunkten
Hochschule
Universität Münster  (Germanistisches Institut)
Autor
Jahr
2005
Seiten
21
Katalognummer
V442566
ISBN (eBook)
9783668830684
ISBN (Buch)
9783668830691
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entlehnungen, Lehnprägung, Transferenz, Integration
Arbeit zitieren
Angelika Felser (Autor:in), 2005, Die Schichtung des deutschen Wortschatzes nach sprachhistorischen Gesichtspunkten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/442566

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