Die Motivation im Kontext der Jugendkulturarbeit


Studienarbeit, 2014

31 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Jugend
2.1 Jugend im Spiegel der Wissenschaften
2.2 Jugend als gesellschaftliches Muster
2.3 Bedarfe der Jugend: 16. Shell-Jugendstudie

3. Die offene Kinder- und Jugendarbeit sowie Jugendkulturarbeit
3.1 Jugendkulturarbeit als Teil der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
3.2 Jugendkulturarbeit im Kontext des SGB VIII
3.3 Bildung und Jugendkulturarbeit

4. Motivation und flow-Erleben
4.1 Motivation
4.2 Die intrinsische Motivation: Das flow-Erlebnis
4.2.1 Die autotelische Funktion
4.2.2 Die Struktur von flow-Aktivitaten: Objektive und subjektive Bedingungen
4.2.3 Komponenten des flow-Erlebens

5. Intrinsische Motivation und Selbstverwiklichung in der Jugendkulturarbeit
5.1 Die Motivations- und Selbstbildungsprozesse
5.2 Die Strukturbedingung der Freiwilligkeit
5.3 Strukturierung der Angebote in der Jugendkulturarbeit

6. Fazit

7. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Es wird in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit davon ausgegangen, dass dortige Angebote von Kindern und Jugendlichen freiwillig besucht werden (vgl. Hafeneger 2009, S. 9) ohne zu fragen: Was konnten die motivationalen Grundlagen sein, welche Bedurfnisse konnten dahinter stehen, dass Jugendliche diese Angebote besuchen?

In dieser Jahresarbeit versuche ich, anhand zwei ausgewahlter Theorien aus der Psychologischen Motivationsforschung, die Motivation von Jugendlichen zu beschreiben. Dabei beziehe ich mich insbesondere auf die Jugendkulturarbeit, die ich im Rahmen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit behandel. Meine Fragestellung lautet:

Wie lasst sich, anhand der Theorie des flow-Erlebens (von Mihaly Csikszentmihalyi 1987) und der Theorie der Selbstverwirklichung (von Abraham H. Maslow 1973, 2010), die Motivation von Kindern und Jugendlichen bei der Teilnahme an Angeboten der Jugendkulturarbeit erklaren und welche Folgen beziehungsweise Implikationen lassen sich daraus fur die Offene Kinder- und Jugendarbeit, insbesondere fur die Jugendkulturarbeit, ableiten?

Um das Anliegen, die spezifischen Aufgaben und Handlungsfelder, fur die sich die Offene Kinder- und Jugendarbeit berufen fuhlt, zu verstehen, behandelt Kapitel 2 zunachst das Thema Jugend (ich habe, statt auf Kinder und Jugend einzugehen, mich auf Jugend beschrankt). Zum einen beschreibt es, wie das Thema im Spiegel der Wissenschaften erscheint (Kapitel 2.1), wie man es als ein gesellschaftliches Muster und Diskursfeld deuten und daraus erhellen kann, wie Gesellschaft Jugend konstituiert, kontrolliert und auf sie Macht ausubt (Kapitel 2.2). Diese Sichtweise auf Jugend, als ein gesellschaftliches Deutungsmuster, ist in den weiteren Kapiteln dieser Jahresarbeit im Hintergrund, wenn von „der Jugend“ gesprochen wird, prasent. Kapitel 2.3 stellt ein Bezug zur 16. Shell- Jugendstudie her, von der sich Bedarfe der Jugend ableiten lassen (Kapitel 2.3).

Kapitel 3 befasst sich zum einen mit der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, ihre Aufgabenfelder, Geschichte und padagogischen Arbeitsprinzipien; und zum anderen mit der Jugendkulturarbeit, insbesondere ihre Ausrichtung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, die als ein Akteur unter vielen angesehen wird, die diese leistet. Die spezielle Rolle der Jugendkulturarbeit in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit wird dabei gesondert (Kapitel 3.1) dargestellt. Darauffolgend (Kapitel 3.2) werden die rechtlichen Rahmenbedingungen der Jugendkulturarbeit beleuchtet, um im nachsten Abschnitt (Kapitel 3.3) ein eigenes Bildungsverstandnis der Offenen Kinder- und Jugendarbeit zu skizzieren, das sich mit den

Leitprinzipien der Jugendkulturarbeit vereinbaren lasst. Ich halte mich im Kapitel 3.3 vor allem an das Bildungsverstandnis von Stephan Sting/Benedikt Sturzenhecker (2013).

Kapitel 4 stellt zunachst das Anliegen und die Grundannahmen der Psychologischen Motivationsforschung dar (Kapitel 4.1), um darauffolgend (Kapitel 4.2) den speziellen Bereich der intrinsischen Motivation zu behandeln, speziell das flow-Erleben wie es von Csikszentmihalyi (1987) und seinem Forschungsteam untersucht und formuliert wurde.

Kapitel 5 ubertragt die Erkenntnisse aus dem vorhergehenden Kapiteln auf die Jugendkulturarbeit (wie sie vorher im Kapitel 3 beschrieben und erlautert wurde) und versucht eine Verbindung zur Selbstverwirklichungstheorie Maslows (1973, 2010) und dem Bildungsverstandnis von Sting/Sturzenhecker (2013) herzustellen, um die Motivations- und Selbstbildungsprozesse von Jugendlichen in Angeboten der Jugendkulturarbeit zu beschreiben (Kapitel 5.1). Kapitel 5.2 wendet sich zuruck zur ausgehenden Fragestellung, indem auf die Strukturbedingung der Freiwilligkeit eingegangen und beschrieben wird, wie und warum Jugendliche Angebote der Jugendkulturarbeit besuchen. Kapitel 5.3 geht schlieBlich darauf ein, wie Erkenntnisse der vorher beschriebenen Theorien fur die Strukturierung von Angeboten der Jugendkulturabreit angewendet werden konnen.

Kapitel 6 setzt sich in einigen Punkten kritisch mit der verarbeiteten Literatur auseinander und rundet die Jahresarbeit ab.

2. Jugend

2.1 Jugend im Spiegel der Wissenschaften

Wenn man Jugend aus den Perspektiven der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen (beispielsweise Psychologie, Soziologie, Kulturwissenschaften, Erziehungs- und Bildungswissenschaften und Biologie) betrachtet, zeichnet sich ein hochst heterogenes Bild von Jugend ab (vgl. Munchmeier 2011, S. 15). Hinzu kommt, dass Jugendforschung „[...] institutionell nicht eindeutig verortet [ist], sondern von verschiedenen Auftraggebern initiiert [wird]“ (ebd.), dies zeigt sich daran, dass ganz unterschiedliche Institutionen wie beispielsweise Universitaten, Umfrageinstitute, auBeruniversitare Einrichtungen, Verbande und Wirtschaftsunternehmen (zum Beispiel die Shell-Jugendstudien) Auftraggeber oder selbst durchfuhrender Akteur bei der Erforschung des Themas Jugend sind (vgl. ebd.). Jene Institutionen beschreiben und erklaren, je nach disziplinarer Ausrichtung, das Thema Jugend theoretisch hochst unterschiedlich und leiten davon praktische Konsequenzen ab. Abhangig davon werden ganz unterschiedliche Forschungsfragen entwickelt. Beispielsweise stehen fur die psychologische Adoleszenzforschung die Entwicklungsaufgaben des Jugendalters im Vordergrund (vgl. ebd.). Entwicklung selbst wird wiederum ganz unterschiedlich begriffen, je nachdem, an welchem Paradigma sich orientiert wird. Krettenauer (2014) unterscheidet drei: das organismische, transaktionistische und mechanistische Paradigma (S. 11 f.). Letzteres wird davon bestimmt, ob man einen endogenistischen (Entwicklung wird gleichgesetzt mit Entfaltung von Anlagen; auBere Faktoren dienen lediglich als Ausloser) oder exogenistischen (Entwicklung wird von behavioralen Theorien mit Lernen gleichgesetzt; Lernen geschieht wiederrum rein umweltabhangig) Ansatz vertritt (vgl. ebd.: S. 3 ff.). Beide Ansatze schlieBen sich kategorisch aus, doch ist man inzwischen in der Entwicklungspsychologie dazu ubergegangen Entwicklung als ein komplexes Zusammenwirken von Anlage, Umwelt und aktivem Individuum zu betrachten, also ein umfassenderes Paradigma zu formulieren, was uber die bisherigen drei hinausweist (vgl. ebd.: S. 6 ff., 9 f.). In der Psychologie wird also der Begriff Entwicklung sehr heterogen bestimmt.

Adoleszenz meint in der Psychologie, dass „[...] Besonderheiten der psychischen Gestalt und des psychischen Erlebens im Rahmen eines Entwicklungsmodells zu beachten sind“ (Fend 2005, S. 22 f.).

Ahnlich komplex verhalt es sich in der Soziologie, in der das Interesse der Erforschung von Generationenverhaltnissen (vgl. Munchmeier 2011, S. 15), der Zuschreibungen, Etikettierungen, der gegenwartigen und geschichtlichen Diskurse gilt. Die kulturtheoretischen Ansatze interessieren sich fur jugendliche Teil- und Subkulturen, die Erziehungs- und Bildungswissenschaften fokussieren sich auf „Bildungs- und (Selbst-)Lernprozesse“ im Jugendalter (vgl. ebd.). Die Naturwissenschaften, wie die Biologie, erforschen die biologischen Veranderungen (Pubertatsforschung) einer festgelegten Altersspanne.

Die verschiedenen Disziplinen beschreiben, erklaren und konstituieren Jugend auf ihre je eigene Weise und implizieren somit ganz unterschiedliche Bilder uber Jugend, mit je eigenen Problematisierungen, Etikettierungen, Projektionen, Zuschreibungen und Annahmen. Des Weiteren unterliegt der Begriff in den Disziplinen und im Alltagswissen unterschiedlichen geschichtlichen Wandlungen, Entwicklungen und Veranderungen (vgl. ebd.). Nicht zuletzt wird das Thema von der Politik in Beschlag genommen, wobei die Forschung und die Politik sich wechselseitig Perspektiven vorgeben. Jugendforschung ist damit ein wissenschaftliches und zugleich politisches Diskursfeld der Verstandigung uber Jugend (vgl. ebd.: S. 16).

2.2 Jugend als gesellschaftliches Muster

Der Beginn der Jugendphase wird, wenn man sich an den biologischen Veranderungen im Alter zwischen 9 und 13 Jahren orientiert, mit dem Einsetzen der Pubertat festgelegt (vgl. Schroder 2013, S. 111). Unter der Pubertat werden die biologischen Veranderungen bei der Entwicklung der primaren und sekundaren Geschlechtsmerkmale verstanden (vgl. ebd.: S. 112). Die Adoleszenz betont dagegen den kulturellen Einfluss, in dem sie den Zeitraum beschreibt, in dem junge Menschen brauchen, mit den durch den pubertaren Umbruch ausgelosten Situationen psychisch sich zu arrangieren (vgl. ebd.: S. 112). Der Verlauf der Adoleszenz wird durch die kulturellen Angebote, die eine Gesellschaft zur Verarbeitung der pubertaren Umbruche bereithalt, gepragt (vgl. ebd.) Im Folgenden soll es aber darum gehen, Pubertat als auch Adoleszenz, als Aspekte eines insgesamt heterogenen Diskursfeldes innerhalb der Gesellschaft zu begreifen.

Betrachtet man Jugend, sozusagen aus einer Metaperspektive, als ein heterogenes Diskursfeld, kann man die Strukturen und Deutungsmuster herausstellen, mit der Gesellschaft, mit ihren unterschiedlichen Akteuren zu denen beispielsweise die Wissenschaften gehoren, Jugend betrachten und als ein „Strukturmuster“ erschaffen (vgl. ebd.: S. 17). Jugend ist aus dieser Perspektive heraus „[...] eine „gesellschaftlich entwickelte und ausgestaltete Lebensform, die den Zweck hat, bestimmte gesellschaftliche Erfordernisse und Funktionen zu gewahrleisten“ und der bestimmte Entwicklungsaufgaben zugesprochen werden (ebd.).

Diese Deutungsmuster und Strukturen unterliegen Entwicklungen und Veranderungen. Dass Jugend als eine eigene biographische Phase anerkannt wurde, hat mit gesellschaftlichen und historischen Veranderungen zu tun (vgl. Sandner 2006, S. 253). In den Gesellschaften des europaischen Mittelalters erwarben Kinder im Rahmen einer festen Standegesellschaft durch das Leben in der Familie die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten eines spateren Erwachsenenlebens (vgl. ebd.). Altershomogene Lebensraume wie die Schule gab es nicht. Die Familie war der vorrangige Sozialisationsort, in ihr wurden Arbeit, Leben und Wissen integriert, wobei der Beruf des Vaters an den Sohn weitergegeben wurde.

Erst im 18. Jahrhundert setzte sich langsam die Jugend, gefasst als eine neue und eigene Lebensspanne im Lebenszyklus, durch (vgl. ebd.). Diese Entwicklung wird mit mehreren Umstanden in Verbindung gebracht: Zum einen wurden die europaischen Gesellschaften komplexer, Teilsysteme differenzierten sich aus, wie beispielsweise Wirtschaft (Entstehung von Manufakturen), Politik, Wissenschaft und Verwaltung, in denen je eigene spezielle Kenntnisse benotigt wurden (vgl. ebd.: S. 253 f.). Zum anderen verlor die Familie, als universelle Lebens-, Arbeits- und Erziehungsinstanz, an Bedeutung (vgl. ebd.: S. 254). Im Burgertum ersteht die Familie als eine neue Form der Lebensgemeinschaft, die sich erzieherisch und emotional auf die Kindererziehung konzentrierte. Die allgemeine Schulpflicht setzte sich durch und damit wurden altershomogene Gruppen gebildet, mit einem je eigenen kulturellen und sozialen Raum (vgl. ebd.). Diese langsam einsetzende „Autonomie des Jugendlebens“ (ebd.) mit einer Distanz zum Arbeitsleben der Erwachsenen blieb allerdings nur der kleinen Schicht des Burgertums vorbehalten, und dann auch nur gesondert fur mannliche Jugendliche, als ein Schonraum und Vorbereitungszeit fur die Erwachsenenwelt (vgl. ebd.). Fur die Jugendlichen auf dem Land und fur die Heranwachsenden des entstehenden Industrieproletariats im 19. Jahrhundert blieben diese Erfahrungsraume versperrt (vgl. ebd.). Neben den gesellschaftlichen Wandlungen wurde das Bild des Jugendlichen auch durch padagogische, philosophische und literarische Quellen konturiert. Die Kunstfigur des „Emil“, entwickelt in seinem gleichnamigen Erziehungsroman von Jean-Jacques Rousseau (1712-1778), ist hierfur beispielhaft (vgl. ebd.: S. 255). Im „Emil“ wird ein Bild von Jugend gezeichnet, dass mit folgenden Begriffen in Verbindung steht: Naturlichkeit, Ursprunglichkeit, Kreativitat und Phantasie. Rousseau zeichnete mit diesem Bild ein Gegenentwurf zur zunehmenden Verstadterung, Technisierung und Industrialisierung der franzosischen Gesellschaft (vgl. ebd.). Das von Rousseau gezeichnete Bild von Jugend enthalt viele positive Konnotationen und diente damals wie heute als Gegenentwurf bestehender gesellschaftlicher Verhaltnisse.

Im 19. und fruhen 20. Jahrhundert verzerrte sich jenes Bild von Jugend und wurde zusehends problematisiert. Unser heutiges Verstandnis von ihr, als biographische Phase zwischen Kindheit und Erwachsenensein, mit jugendspezifischen Ordnungen und Entwicklungsaufgaben, stammt aus dieser Zeit (vgl. Munchmeier 2011, S. 17). Enttraditionalisierte Lebensverhaltnisse, Industrialisierung, kein Bildungsmoratorium, sondern der fruhstmogliche Eintritt in die Erwerbstatigkeit, die Harte existenzieller Sicherung sind jene Aspekte, die genannt werden, die zur Entstehung des Typus des „sittlich verwahrlosten Jugendlichen" als padagogisches Problem im 19. und fruhen 20. Jahrhundert fuhrte (vgl. ebd.: S. 256). Das Bild von Jugend erhielt so seine negativen Konnotationen und seitdem zeichnet sich ein ambivalentes Bild von Jugend ab, sie gilt als „potentielles Moment der Phantasie, des Aufbruchs und der Neuerung sowie der potentiellen Gefahrdung gesellschaftlicher Ordnung und Stabilitat“ (ebd.: S. 256).

Ende des 20. Jahrhunderts erstarkte Jugendlich-Sein zu einer universalen Habitusform, zu einem Lebensideal und Lebensgefuhl. Jugend dient als gesamtgesellschaftliche Identifikationsfolie und kann sich gegen den demographischen Wandel behaupten (vgl. Sandner 2006, S. 257).

2.3 Bedarfe der Jugend: 16. Shell-Jugendstudie

Abhangig von diesen gesellschaftlichen Mustern ist es Jugendlichen nicht freigestellt, wie sie ihr Leben gestalten wollen (vgl. Munchmeier 2011, S. 19). Sie mussen mit den entsprechenden Bedingungen und vorgefertigten Lebensmustern umgehen, durch welche die Lebensphase Jugend gesellschaftlich organisiert und strukturiert wird, so kann man nach Munchmeier (2011) sagen, dass „[...] Jugend den Jugendlichen vorgegeben [wird]“ (ebd.). Daraus ergeben sich vielfaltige Konflikte beziehungsweise Spannungen und daraus lassen sich Bedarfe der Kinder und Jugendlichen ablesen und beobachten.

Heute, durch die Verlangerung der Schulzeit, ist die Phase „Jugend“ vor allem durch die Rolle des Schuler-Seins gepragt, danach erfolgt meist eine weitere Ausbildungs- und Qualifizierungsphase, die durch die Rolle des „Studenten“ und „Azubi“ bestimmt wird. Auch ist Jugend im hohen MaBe durch die Institutionen gepragt. Okonomisch ist man noch lange nicht unabhangig. Man gilt als erwachsen, erwachsenes Verhalten wird erwartet, aber man verfugt noch nicht uber die entsprechenden okonomischen, institutionellen und statusbezogenen Mittel (vgl. ebd.: S. 21 f.). Die Jugendlichen verbleiben also langer im Bildungswesen, „[...] bis zum Erreichen der Volljahrigkeit, bis zum Beginn des dritten Lebensabschnitts heiftt Jungsein fur die ubergrofte Mehrheit ,SchulerIn sein‘“ (ebd.).

Wie genau sehen die Bedarfe der Kinder und Jugendlichen aus, und wie genau wird auf diese Bedarfe in den Bildungseinrichtungen eingegangen?

Die vielzitierte 16. Shell-Jugendstudie macht darauf aufmerksam, dass Bildung als Schlussel in der Biographie Jugendlicher gilt (vgl. Hurrelmann/Albert u.a. 2010, S. 16 f.). Nachwievor unverandert wird Deutschland bescheinigt, dass der Schulerfolg von der jeweiligen sozialen Herkunft der Jugendlichen abhangt (vgl. ebd.: S. 16). Die Bildungswelten der Jugendlichen driften noch weiter auseinander, Bildung wird dabei eine Schlusselrolle im Leben zugewiesen, dass sie als entscheidend fur den Lebensverlauf angesehen wird (vgl. ebd.: S. 17). Jene Jugendliche, die nicht am Bildungsaufstieg teilhaben, zeigen eine groBere Lebensunzufriedenheit. Die Kluft zwischen den von der Studien definierten Schichten (Oberschicht, obere Mittelschicht, Mittelschicht, untere Mittelschicht, Unterschicht), hat sich noch weiter vertieft (vgl. ebd.: S. 16 f.). Fast alle Jugendliche haben inzwischen einen Zugang zum Internet, eine digitale Spaltung beim Zugang zum Internet, hinsichtlich der sozialen Herkunft, - wird zumindest behauptet - lasst sich nicht mehr feststellen (vgl. ebd.: S. 19). Jedoch, indem wie das Internet von den Jugendlichen genutzt wird, werden groBe Unterschiede, je nach Schichtzuschreibung, festgestellt (vgl. ebd.). Das politische Interesse ist, im Vergleich zum Jahr 2006, angestiegen; den gesellschaftlichen Institutionen - wie zum Beispiel der Bundesregierung, Kirche, groBen Unternehmen oder Parteien - wird hingegen wenig Vertrauen geschenkt (vgl. ebd.: S. 20 f.). Diese „Politikverdrossenheit“ lasst sich aber nicht auf politisches Desinteresse oder Ablehnung der Demokratie zuruckfuhren, sondern hat mit dem Vertrauensverlust gegenuber den groBen Parteien und ihren Reprasentanten, den Banken und GroBunternehmen zu tun (vgl. ebd.: S. 21). Die Bereitschaft sich an politischen Aktivitaten zu beteiligen und sich sozial zu engagieren wird wiederum mit der sozialen Schichtzugehorigkeit in Verbindung gebracht (vgl. ebd.: S. 22). Es wird zwar ein waches Bewusstsein gegenuber gesellschaftlichen Missstanden den Jugendlichen bescheinigt und auch die Bereitschaft sich gegen diese zu Wehr zu setzen, dies ist aber haufig mit Ohnmachtsgefuhlen verbunden (vgl. ebd.: S. 29). Wie sich Jugendliche verhalten, wenn sie in groBere Probleme und Schwierigkeiten geraten, unterschied die Studie verschiedene Verhaltensweisen: beispielsweise das Suchen von Unterstutzung durch die Eltern oder Freunde bis hin zum Missbrauch von Alkohol und anderen Drogen (vgl. ebd.: S. 30). Die Studie unterschied vier Optionen im Verhalten wie Jugendliche mit Druck umgehen: Aktivitat und Motivation, Ausbalancieren und Stabilisieren, Verweigerung und Ruckzug, Unbeeindruckte Zuversicht (vgl. ebd.: S. 32 f.).

Die Druck machenden Qualifizierungssysteme sind es vor allem, die die verschiedenen Wege in Schule, Studium und Beruf strukturieren und denen die Jugendlichen ausgesetzt sind (vgl. ebd.). Die Auseinandersetzung mit den Anforderungen im Bildungs- und Ausbildungsbereich steht dabei im Mittelpunkt (vgl. ebd.). Jugendliche aus stabilen Elternhausern wird dabei mehr Zuversicht bescheinigt mit diesem Druck umzugehen, ebenso spielen die Schichtzugehorigkeit und der Bildungsstatus eine wesentliche Rolle (vgl. ebd.). Hohere Bildungsabschlusse zu erlangen verschafft ihnen, laut der Studie, bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, „[...] und ihre Bildungsumgebung verspricht ein hoheres Maft an Freiheit, um sich spater selbst zu verwirklichen (ebd.: S. 33). Je nach sozialer Ausgangssituation sind die Jugendlichen unterschiedlich von Druck betroffen, so stehen ihnen auch unterschiedliche Strategien zu Bewaltigung zur Verfugung (vgl. ebd.: S. 34). Jugendliche aus weniger gut abgesicherten sozialen Verhaltnissen, in dem sie Ausgleich und Stabilitat finden, drohen eher aus den Qualifizierungssystemen herauszufallen (vgl. ebd.: S. 34).

Wie aus der 16. Shell-Jugendstudie ableitbar, haben Jugendliche ganz unterschiedliche Bedarfe, die wiederum ganz verschiedene Lebensraume betreffen. Man darf nicht den Fehler machen, diese ausschlieBlich aus den formal schulischen Anforderungen, denen sie ausgesetzt sind, abzuleiten und Bildungsprozesse auf die Schulbildung zu reduzieren. Jugendlich-Sein bedeutet eben nicht Schuler-Sein.

Was kann nun die Offene Kinder- und Jugendarbeit, speziell die Jugendkulturarbeit, fur einen Beitrag fur die Jugendlichen leisten beziehungsweise wie kann die Jugendkulturarbeit kunstlerische/asthetische Initiativen und Ausdrucksformen der Jugendlichen aufgreifen und selbstgesteuerte Bildungsprozesse anregen und unterstutzen?

3. Die offene Kinder- und Jugendarbeit sowie Jugendkulturarbeit

Offene Kinder- und Jugendarbeit

Die Offene Kinder- und Jugendarbeit hat in Deutschland eine lange Tradition (vgl. Hafeneger 2013, S. 37). Als eigener Bildungsort entstand sie in Einrichtungen der staatlichen und freien verbandlichen Jugendpflege/ -arbeit zu Beginn des fruhen 20. Jahrhunderts (vgl. ebd.). Im Kaiserreich und in der Weimarer Republik wurde sie auch mit den Begriffen „stadtische Jugendheime“, „Jugendclubs“ oder „offene Jugendhauser“ bezeichnet (vgl. ebd.). Von Anfang an gab es eine pluralistische Tragerstruktur, unter anderem waren: Einzelpersonen, freie Vereine, Kirchen und Kommunen an ihr beteiligt (vgl. ebd.). Dabei ging es diesen Einrichtungen mit ihren Treffangeboten zunachst um mannliche Jugendliche aus den unteren sozialen Schichten in den Groftstadten, die als „unangepasst“, „dissozial“, „kriminell“ oder „verwahrlost“ etikettiert wurden (vgl. ebd.).

Jugendliche, die nicht mehr in traditionellen Lebensverhaltnissen aufwuchsen, die keinen Schonraum und kein Bildungsmoratorium in den Industriemetropolen Deutschlands erfuhren, mit fehlenden Bildungschancen, einem fruhen Eintritt in die industrielle Arbeit und keiner Aussicht auf Verbesserung ihrer Lebensbedingungen wurden von der Padagogik unter dem Typus des „sittlich verwahrlosten Jugendlichen“ als padagogisches Problem zusammengefasst (vgl. Sander 2006, S. 256).

Die Schaffung derartiger Bildungsorte ging damals primar von dem Impuls aus, diese Jugendliche zu kontrollieren, sie dem offentlichen Anblick zu entziehen und, in Form einer „Bewahrpadagogik“ (Hafeneger 2013, S. 37), „einer rigiden sittlichen und moralischen“ (Sandner 2006, S. 256) Korrektur zu unterziehen. Gegenuber diesen Vorlaufern liegen die Anfange der Offenen Kinder- und Jugendarbeit wie wir sie heute kennen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, und zwar mit dem Beginn der Grundung der Bundesrepublik Deutschland (westliche Zone) (vgl. Hafeneger 2013, S. 38).

[...]

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Details

Titel
Die Motivation im Kontext der Jugendkulturarbeit
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Erziehungswissenschaften)
Autor
Jahr
2014
Seiten
31
Katalognummer
V442353
ISBN (eBook)
9783668809796
ISBN (Buch)
9783668809802
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Flow, Extrinsisch, Motivation, Csikszentmihalyi, Hurrelmann, Quenzel, Maslow, Jugendkulturarbeit, Shell-Jugendstudie, Intrinsisch
Arbeit zitieren
Lukas Jäger (Autor:in), 2014, Die Motivation im Kontext der Jugendkulturarbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/442353

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