Lernen an Stationen als Unterrichtsform des Offenen Unterrichts und Chance zur Weiterentwicklung der Schule


Hausarbeit, 2004

24 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.0 Einführung

2.0 Offener Unterricht – ein Definitionsversuch

3.0 Begründung des Offenen Unterrichts
3.1 Die qualifikationstheoretische Begründung
3.2 Die lern- und entwicklungspsychologische Begründung
3.3 Die veränderte Kindheit
3.3.1 Veränderungen der familiären Situation
3.3.2 Konsequenzen für die Schule

4.0 Das Lernen an Stationen
4.1 Die Ursprünge des Stationenlernens
4.2 Grundideen des Stationenlernens
4.3 Idealtypischer Ablauf des Stationenlernens
4.4 Organisatorische Voraussetzungen des Stationenlernens
4.4.1 Klassenraumgestaltung
4.4.2 Ordnungskriterien
4.5 Anforderungen an das Arbeitsmaterial
4.6 Die Rolle des Lehrenden bei der Stationsarbeit

5.0 Fazit

6.0 Literaturverzeichnis

1.0 Einführung

Die Ergebnisse der aktuellen Bildungsstudien TIMSS und PISA haben aufgezeigt, dass das Bildungssystem in Deutschland im internationalen Vergleich allenfalls durchschnittlich, teilweise sogar im unteren Drittel abschneidet. Seither wird nach Erklärungen für das mäßige Abschneiden gesucht und es werden Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung ergriffen, die nicht immer unstrittig sind. Als Beispiele können das achtjährige Gymnasium oder die geplante Einführung der Bildungsstandards genannt werden. In jedem Fall wichtig für die Verbesserung des Schulsystems ist die Verbesserung der Lehrerausbildung. Ein Schlagwort dafür liefern Bauer/Kopka/Brindt bereits 1996 - also vor der Veröffentlichung der Leistungsstudien in ihrem Werk - „Pädagogische Professionalität und Lehrerarbeit. Eine qualitativ empirische Studie über professionelles Handeln und Bewusstsein“. Im Zentrum der Weiterentwicklung des Schulsystems sehen sie die Pädagogische Professionalität der Lehrkräfte als Voraussetzung der nötigen (Weiter-)Entwicklung des gesamten Schulsystems. Ein wichtiger Bestandteil der Pädagogischen Professionalität liefert das Handlungsrepertoire eines Lehrers, das ihm hilft die täglichen Aufgaben zu bewältigen. Diese bestehen in erster Linie aus:

Unterrichten: Tätigkeit welche die meiste Arbeitszeit bindet

Erziehen: Vermittlung notwendiger sozialer Kompetenzen

Beraten: beratende Funktion für SchülerInnen und Eltern

Betreuen: Betreuung der Entwicklung während der Schulzeit

In dieser Arbeit möchte ich den Schwerpunkt auf das Unterrichten legen, da hierin die Hauptaufgabe der Lehrer liegt. Um Schule weiterentwickeln zu können, ist es nötig vor allem den Unterricht weiterzuentwickeln, denn die Qualität eines Bildungssystems hängt weniger mit der Quantität als mit der Qualität der Stundenanzahl bzw. der Gesamtunterrichtszeit zusammen. Eine in den zurückliegenden Jahrzehnten entwickelte und intensiv diskutierte Veränderung des Unterrichts kann durch den so genannten „Offenen Unterricht“ erfolgen, der sich selbst wiederum durch unterschiedliche Arbeitsformen charakterisiert. In den folgenden Kapiteln möchte ich zunächst vorstellen, wodurch sich Offener Unterricht charakterisiert, in welchem Begründungszusammenhang Offener Unterricht steht und letztendlich mit dem Lernen an Stationen eine Unterrichtsform vorstellen, die zu den beliebtesten und bekanntesten Formen des Offenen Unterrichts zählt. Abschließend versuche ich festzustellen, welche Veränderungen sich durch diese Art des Unterrichtens ergeben, und wo sich Ansätze für eine Verbesserung des Unterrichts aufzeigen.

2.0 Offener Unterricht – ein Definitionsversuch

Die Frage danach, was Offener Unterricht ist, erscheint auf den ersten Blick trivial, denn bereits seit den 70er Jahren wird die Idee der Öffnung der Schule und des Unterrichts diskutiert, und man könnte vor diesem Hintergrund vermuten, dass sich längst eine einheitliche Theorie gebildet hat.

Dass die Frage dennoch nicht trivial ist, zeigt sich, wenn man sich den Verlauf der Auseinandersetzung ansieht. Zunächst wurden in den 70er Jahren offene und geschlossene Curricula in dichotomischer Weise gegenübergestellt und verglichen, dann nahm die Anzahl der Veröffentlichungen in der zweiten Hälfte der 80er Jahre merklich ab und seit den 90er Jahren beschäftigt sich die Literatur verstärkt mit Möglichkeiten der praktischen Umsetzung und dem Selbstverständnis von Grundschule, während die theoretischen Hintergründe nicht mehr so stark wie in der Anfangszeit diskutiert werden (vgl. Knauf 2001, S.102ff).

In grundschuldidaktischen Seminaren wird die Unterrichtskonzeption „Offener Unterricht“ häufig als Optimalform von zeitgemäßem Unterricht dargestellt, welche die Wissenschaftsorientierung der 70er Jahre und die Theorien des Gesamtunterrichts aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgelöst haben.

Trotz dieser deutlichen Positionierung für Offenen Unterricht bleibt jedoch sowohl in der Theorie als auch in der Schulpraxis oft unklar, was genau unter dem Konzept zu verstehen ist. Das Problem eines fehlenden gemeinsamen Ansatzes wird besonders anschaulich, wenn man verschiedene aktuelle Definitionen von Offenem Unterricht betrachtet.

Kasper (zitiert nach Peschel 1989, S.5) ist der Ansicht, dass der Versuch, „Offenen Unterricht definieren zu wollen…ein Widerspruch in sich [ist]“ und ergänzt, dass es sich eher um „eine „Bewegung“, als [um] ein klar definiertes didaktisches Konzept“ handelt.

Auch Haarmann (ebd.) gibt zu: „Für die Öffnung des Unterrichts haben wir kein Konzept, kein Modell, keine Gebrauchsanweisung, keine Parameter.“

Eiko Jürgens (1994, S.26) bringt mit seiner Aussage, „Den offenen Unterricht gibt es nicht! Man kann Offenen Unterricht als einen Ober- oder Sammelbegriff oder...als eine Bewegung bezeichnen.“ die Schwierigkeit einer einheitlichen Definition auf den Punkt.

Nicht geteilt werden diese fast verzweifelt anmutenden Ansichten vom dtv. Wörterbuch für Pädagogik (4. Aufl. 2000, S.410), das dem Leser eine konkrete Definition anbietet:

Offener Unterricht ist ein „Konzept einer Unterrichtskultur, das auf den Vorbildern der Reformpädagogik (Jena-Plan von P. Petersen, Montessori-Pädagogik, Freinet-Pädagogik), den Anregungen der praktischen Philosophie der angelsächsischen open education und den Erfahrungen der englischen Primary Schools aufbaut. Das Konzept will den so genannten lernzielorientierten und lehrerzentrierten Unterricht öffnen, um Schülern durch selbstständiges und kooperatives, problemorientiertes und handlungsbezogenes, mitbestimmendes und mitverantwortetes Lernen Gelegenheit zu geben, Fähigkeiten für das Leben in einer von Wissenschaft und Demokratie geleiteten offenen Gesellschaft zu erwerben. Die Öffnung bezieht sich auf die Methode des Unterrichts, auf die Themen und Inhalte sowie auf die Öffnung der Schule gegenüber der außerschulischen Lebenswelt...“

Auch der Hamburger Professor für Erziehungswissenschaft, Wulf Wallrabenstein, schätzt die Situation optimistisch ein, indem er davon ausgeht, dass sich „…vor dem Hintergrund einer fast zwanzigjährigen Auseinandersetzung um „Offene Curricula“, „Offenen Unterricht“, „Offene Schule“ in der Bundesrepublik eine weitreichende Übereinstimmung im Bereich der Definitionen ab[zeichnet]“ (Wallrabenstein 1991, S.54). Auch er bietet eine konkrete Definition an, in der er Offenen Unterricht als „Sammelbegriff für unterschiedliche Reformansätze in vielfältigen Formen inhaltlicher, methodischer und organisatorischer Öffnung mit dem Ziel eines veränderten Umgangs mit dem Kind auf der Grundlage eines veränderten Lernbegriffs“ (ebd.) betrachtet.

Während für Wallrabenstein das Hauptziel des Unterrichts der veränderte Umgang mit dem Kind ist, und der veränderte Lernbegriff eine Grundlage darstellt, wird dieses Hauptziel im Pädagogik Wörterbuch gar nicht erst aufgegriffen. Hier wird vor allem dem veränderten Lernen, das in seinen Varianten sehr differenziert geschildert wird, große Bedeutung beigemessen, da hierdurch das übergeordnete Ziel „Erwerb von Kompetenzen für das Leben in der demokratischen Gesellschaft“ gefördert wird.

Es zeigt sich, dass es in der aktuellen Forschungslage deutliche Differenzen in Bezug auf die Vorstellungen einer Definition von Offenem Unterricht gibt, deren Spannweite von Konzeptlosigkeit (Haarmann) oder der Ansicht der Undefinierbarkeit (Jürgens) bis hin zu sehr genauen, wenn auch nicht völlig übereinstimmenden Vorstellungen (Wallrabenstein, dtv Wörterbuch) reicht.

Gemeinsam ist allen Definitionen bzw. Definitionsversuchen die Erkenntnis, dass es sich bei Offenem Unterricht insgesamt ein Phänomen oder eine Bewegung bzw. eine auf (meistens reform-)pädagogischen Überzeugungen beruhende Grundidee handelt.

Wie der vorhergehende Abschnitt zeigte, ist es nicht möglich mit einer allgemein anerkannten Definition in einigen Sätzen auszudrücken, was Offener Unterricht ist. Dies ist zum einen auf die Komplexität der Thematik mit ihren unterschiedlichen Auslegungsweisen und zum anderen auf die damit in Zusammenhang stehende, bisher wenig fundierte Theoriebildung zurückzuführen. Für die Schulpraxis äußert sich diese Situation oftmals nachteilig, weil „Missverständnissen und Beliebigkeit Vorschub geleistet wird“ (Bohl 2003, S.13), und sich in der konkreten Situation in der Schule in Ermangelung allgemeingültiger Kriterien Offener Unterricht in vielen Varianten, unterschiedlicher Intensität und Ernsthaftigkeit sowie mit vielen differierenden Vorstellungen manifestiert.

3.0 Begründung des Offenen Unterrichts

Genau wie alle anderen Unterrichtsformen und Unterrichtskonzeptionen ist auch der Offene Unterricht in einen Begründungszusammenhang eingebettet. Die Umsetzung von Offenem Unterricht ist kein Selbstzweck, sondern lässt sich durch mehrere Begründungen rechtfertigen. Diese Begründungen möchte ich in dem folgenden Kapitel vorstellen. Sie liefern sozusagen die Legitimation für den Offenen Unterricht, da durch sie erst deutlich wird, welche Beweggründe für die Umsetzung dieses Unterrichts sprechen. Der erste Grund, auf den ich eingehen werde, ist die qualifikationstheoretische Begründung, der zweite die lern- und entwicklungstheoretische Begründung, der dritte Grund ist die veränderte Kindheit.

3.1 Die qualifikationstheoretische Begründung

Die Grundschule hat nach dem Rahmenplan einen umfassenden Bildungs- und Erziehungsauftrag. Im aktuell gültigen Hessischen Rahmenplan Grundschule, heißt es im Einführungskapitel im Bereich „1. Aufgabe der Grundschule“ unter Anderem:

„Die Grundschule prägt als erste Schulstufe das Kind in einem Alter höchster Lernfähigkeit für seinen weiteren Bildungs- und Lebensweg. Sie gründet sich auf die demokratische Staatsverfassung und ist deren Grundrechten und gemeinschaftsbezogenen Erziehungszielen uneingeschränkt verpflichtet… Die auf Mündigkeit, Lebenstüchtigkeit und Demokratiefähigkeit zielenden Erziehungs- und Bildungsaufgaben gelten grundsätzlich. Sie müssen die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Lebensverhältnisse der Kinder berücksichtigen… Insgesamt gilt es auch unter sich verändernden Lebensbedingungen das Selbst- und Umweltvertrauen der Kinder zu erhalten, ihre Lebens- und Lernfreude, ihre Leistungs- und Anstrengungsbereitschaft zu unterstützen, ihren Willen zu staatsbürgerlicher und sozialer Verantwortung zu stärken, sowie sie zu befähigen, sich selbst lohnende Lebensziele zu setzen, sie zu verantworten und zu verwirklichen.“

(http://grundschule.bildung.hessen.de/Rahmenplan/Einfuehrung/Einf1, 18.05.04)

Bereits in diesem kleinen Auszug zeigt sich, dass die Schüler sehr viele allgemein- und persönlichkeitsbildende und von Fachkenntnissen noch völlig unabhängige Qualifikationen in der Grundschule erwerben sollen. Sie sollen mündig, lebenstüchtig und demokratiefähig werden, Selbstvertrauen erlangen, bereit sein, Verantwortung zu übernehmen für soziale, staatsbürgerliche und eigene Ziele. Und diese Liste der zu „erwerbenden“ Qualifikationen ist mit den oben genannten längst nicht vollständig.

Sie könnte beispielsweise ergänzt werden um allgemeine Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen und Strategien, die zum Lösen von Problemen und zum Erwerb neuer Kompetenzen befähigen, Offenheit und Flexibilität, Kreativität, Problemlösefähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Lernkompetenz und Eigeninitiative und viele andere mehr.

Kurz zusammengefasst: Die Schüler sollen Qualifikationen für ihren weiteren Lebensweg erwerben, die sie dazu befähigen sollen, die Herausforderungen des Lebens zu meistern und an der Gesellschaft der kommenden Generationen aktiv teilzunehmen und sie verantwortungsvoll mitzugestalten.

Diese besonders zentralen Qualifikationen werden häufig als „Schlüsselqualifikationen“ bezeichnet. Im Vergleich zu anderen Qualifikationen zeichnen sich die Schlüsselqualifikationen dadurch aus, dass sie

- „nicht dem zunehmend rascheren Veralten des Wissens unterworfen sind,
- nicht mit dem Wandel beruflichen und zivilisationsbedingten Qualifikationsbedarfs ihre Bedeutung verlieren, [sondern]
- vielmehr gerade den Einzelnen befähigen, gesellschaftliche Wandlungsprozesse aktiv und gestaltend zu bewältigen“ (Knauf 2001, S. 108).

Ursprünglich wurde der Begriff Schlüsselqualifikationen erstmals in den 70er Jahren von Mertens im Zusammenhang von Arbeitsmarkt- und Berufsforschung verwendet (vgl. Klafki in Hepp/Schneider [Hrsg.] 1999, S.32). In den pädagogischen Kontext wurde der Ausdruck hauptsächlich durch Wolfgang Klafki gebracht, dessen „Zwölf Thesen zu einem neuen Allgemeinbildungskonzept“ in mehreren Publikationen erschienen. Darin verweist er auf die Notwendigkeit für eine gegenwarts- und zukunftsorientierte Bildung, sich an exemplarischen Beispielen mit den zentralen Problemen der Gegenwart, den so genanten „epochaltypischen Schlüsselproblemen“ (vgl. ebd. S.33ff) unserer Gesellschaft, auseinanderzusetzen. Als solche epochaltypischen Schlüsselprobleme mit „gesamtgesellschaftlicher, meistens übernationaler bzw. weltumspannender Bedeutung“ (ebd.) nennt Klafki unter anderen die „ökologische Frage“, „Wachstum der Weltbevölkerung“, „gesellschaftliche Ungleichheit“, „Krieg und Frieden“, „Problematik des Nationalitätsprinzips“ etc. (ebd.).

Dieses – im Prinzip an den Ideen Wagenscheins orientierte – Konzept der exemplarischen Auseinandersetzung mit einem Thema (in diesem Fall einem Schlüsselproblem) soll jedoch nicht nur zu einem reflektierten Bild über die zentralen Fragen der Weltgesellschaft führen und die Schüler befähigen, zu verallgemeinerbaren Prinzipien, Einsichten und Gesetzmäßigkeiten zu kommen, sondern darüber hinaus auch zur Aneignung von „ Einstellungen und Fähigkeiten dienen, die über den Bereich des jeweiligen Schlüsselproblems hinausreichen.“ (ebd. S.40) Diese Einstellungen und Fähigkeiten bezeichnet Klafki an anderer Stelle als Schlüsselqualifikationen. Insgesamt sind in sein Allgemeinbildungskonzept folgende Schlüsselqualifikationen einzuordnen:

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Lernen an Stationen als Unterrichtsform des Offenen Unterrichts und Chance zur Weiterentwicklung der Schule
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
24
Katalognummer
V44230
ISBN (eBook)
9783638418768
Dateigröße
589 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lernen, Stationen, Unterrichtsform, Offenen, Unterrichts, Chance, Weiterentwicklung, Schule
Arbeit zitieren
Jan Lukas Delp (Autor:in), 2004, Lernen an Stationen als Unterrichtsform des Offenen Unterrichts und Chance zur Weiterentwicklung der Schule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44230

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