Türkei - Israel? Faktorenanalyse eines Annäherungsprozesses vor dem Hintergrund der außenpolitischen Neuausrichtung der Türkei in den 1990er Jahren


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

26 Seiten, Note: 2.0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Faktoren der türkischen Außenpolitik
2.1 Geschichte des Osmanischen Reiches und Stellung in der islamischen Welt
2.2 Kurdenfrage
2.3 Schwierige Nachbarn: Syrien, Griechenland, Russland und Iran
2.4 Rolle des Militärs
2.5 Der Westen: die Frage des EU-Beitritts und die Rolle der USA

3. Die Beziehungen zu Israel
3.1 Situation vor 1990
3.2 Militär und Geheimdienst
3.3 Zivilgesellschaftliche Annäherung: Wirtschaft und Kultur

4. Erklärungsansätze für die Annäherung der beiden Staaten

5. Schlussteil

Literatur

1. Einleitung

Die Annäherung zwischen der Türkei und Israel, welche sich im Laufe der 1990er Jahre rasch und stetig entwickelte, war – grob gesagt - eine Reaktion auf den Zusammenbruch des systemischen Konfliktes zwischen Ost und West und geschah hauptsächlich vor dem Hintergrund einer ähnlichen Perzeption der jeweils eigenen geostrategischen Situation. Interessanterweise wurde im Westen und gerade in Europa dieser Zusammenbruch ganz anders gesehen: man war auf dem Weg in eine bessere und sichere Welt. Sicherlich auch im Zusammenhang mit der stetigen Aufmerksamkeit für den Nahostkonflikt, rückten die Sicherheitsbedürfnisse der Türkei, immerhin ein wichtiger und bewährter Partner in der NATO, aus dem Blickfeld von Öffentlichkeit, Wissenschaft und Politik. Und diese Sicherheitsbedürfnisse waren gekennzeichnet durch die Wahrnehmung, dass man von Feinden umgeben ist und dass sich die Situation im Nahen und Mittleren Osten durch die Golfkrise und durch den Zugewinn an autonomen Handeln der Kurden sehr bedrohlich für die Türkei ist.[1]

In dieser Arbeit soll es um die vielschichtigen Bedingungen und Konstanten der türkischen Außenpolitik und ihrer Einbettung in den Mittleren Osten gehen, da nur so deutlich wird, welchen Stellenwert das sogenannte Bündnis zwischen der Türkei und Israel hat. Der Schwerpunkt der Analyse soll dabei in der Hauptsache auf der Türkei liegen, da hier aus einer euro-zentristischen Sichtweise ihre Probleme und ihr Sicherheitsbedürfnis in Relation zu Israel als wesentlich unwichtiger erachtet wurden, da der Konflikt im Nahen Osten ein sehr dominanter Aufmerksamkeitsfilter ist.

Daher wird zunächst ein Blick auf die Konstanten türkischer Außenpolitik geworfen (Abschnitt 2), d.h. welche Rolle spielt der Faktor ´Türkei als Erbin des Osmanischen Reiches´ vor allem in der restlichen arabisch-islamischen Welt; welche Bedeutung hat die Kurdenproblematik und wie schwer wiegt dieser Faktor; welchen Anteil hat das türkische Militär gerade am Zustandekommen der Kooperation mit Israel hat; letztlich welchen Stellenwert die Zusammenarbeit mit Europa und den USA in der türkischen Außenpolitik hat.

In Abschnitt 3 wird dann im einzelnen auf die Dimensionen der Annäherung eingegangen: Militär, Wirtschaft und Kultur. Bei einem oberflächlichen ersten Blick stellt der militärische Aspekt die dominierende Kraft hinter der Annäherung dar; andere Faktoren wie die eigentliche Übereinstimmung der beiden Länder in der Betrachtung der Probleme in der Region, ihrer Stellung und ihrer Aufgabe darin, ihre kulturellen und demokratischen Traditionen treten dabei häufig zurück. Es muss daher die Frage geklärt werden, wie diese Faktoren im Endeffekt gewichtet werden müssen und welche Relevanz sie für die Annäherung haben.

Ich bevorzuge im Folgenden zur Charakterisierung des Verhältnisses zwischen Israel und der Türkei den Begriff der Annäherung – in Anlehnung an die häufig englischsprachige Literatur, die von „rapprochement“ spricht -, da die Begriffe „Bündnis“ und „Kooperation“ entweder zu weit gefasst oder zu schwammig sind. Die Annäherung umfasst, wie die Arbeit zeigen wird, eben nicht nur militärische Abkommen, sondern auch kulturelle und wirtschaftliche Prozesse. Allerdings muss offen bleiben, ob die Ergebnisse der Analyse es rechtfertigen (v.a. im Kapitel 4), u.U. doch wieder einen Rückgriff auf den klassischen Bündnisbegriff vorzunehmen, um die geostrategische Bedeutung in seiner Gänze zu ermessen. Dahinter steckt nicht nur die Frage nach der Wertigkeit der einzelnen Entwicklungen auf militärischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet, sondern auch die Frage nach Strukturiertheit und Verfasstheit der internationalen Staatenwelt.

Die Literatur zu diesem Thema ist reichhaltig und v.a. englischsprachig; das soll implizieren, dass in Deutschland die Bereiche „Türkei“ und „Israel“ zwar behandelt werden, der Focus bei der Türkei aber über Jahre von der Annäherung an die EU – und den davon abhängigen Themen Demokratisierung, Folter, Kurden und Wirtschaft - dominiert wird, bei Israel hingegen der Nahost-Konflikt und die Auseinandersetzung mit den Palästinensern im Vordergrund steht. Die Aussage, dass an Deutschland die israelisch-türkische Annäherung schlichtweg vorbeigegangen ist, mag zwar zugespitzt formuliert sein, ist aber m.E. im Kern zutreffend.

2. Faktoren der türkischen Außenpolitik

Im Folgenden sollen die wichtigen Determinanten türkischer Außenpolitik analysiert und dargestellt werden. Dabei spielt die Stellung der Türkei als kulturelle und rechtliche Nachfolgerin des Osmanischen Reiches eine wichtige Rolle (Kap. 2.1), da sie von den anderen islamischen Ländern immer unter diesem Gesichtspunkt perzipiert wird. Je nach Sachverhalt kann immer wieder argumentativ auf das Osmanische Reich verwiesen werden, um die Türkei zu maßregeln. Auf die Eliten in der Türkei ist dies nicht ohne Auswirkung geblieben.

Einen weiteren eigenständigen Faktor, der auch nicht ohne Effekte auf die Außenpolitik ist, ist die Kurdenfrage (Kap. 2.2). Sie determiniert nicht nur innenpolitische Diskurse und beeinflusst erheblich die Identitätsfrage der Türkei, sondern hat aufgrund der räumlichen Siedlungsgebiete der Kurden im Südosten der Türkei, in Syrien, Irak und Iran auch Auswirkungen auf die arabisch-persischen Nachbarn.

Die ´Feinde´ bzw. Konkurrenten der Türkei werden in Kapitel 2.3 behandelt: Syrien und Griechenland bzw. Russland und Iran. Sie binden einen großen Teil der Aufmerksamkeit türkischer Außenpolitik. In Kapitel 2.4 wird kurz die Bedeutung der USA und der EU für die Türkei skizziert.

Abschließend wird in Kapitel 2.5 kurz auf die Bedeutung des Militärs in der türkischen Innen- und Außenpolitik eingegangen.

2.1. Geschichte des Osmanischen Reiches und Stellung in der islamischen Welt

Die Negativabgrenzung zur Sowjetunion und die Einbindung in die NATO und damit in die westliche Hemisphäre ist eine der Grundkonstanten der türkischen Außenpolitik seit dem 2. Weltkrieg. Gegenüber den arabischen Staaten hat die Türkei schon früh versucht, Richtlinien zu formulieren, auf welcher Grundlage die Beziehungen zu definieren und zu führen sind.[2] Es wurde der Versuch unternommen, als Mitglied des westlichen Sicherheitssystems ein Bindeglied zwischen dem Balkan und den Nahen Osten zu sein.

Dabei spielte die Idee, sich von den Erinnerungen an das Osmanische Reich zu lösen, einen wichtige Rolle: trotz der NATO-Mitgliedschaft der Türkei seit 1952 verfolgte sie eine strikte Politik der Nichteinmischung, da jegliche Form von Einmischung von den arabischen Staaten heftig angegriffen und kritisiert wurde, und dies immer unter dem Verweis auf das Osmanische Reich erfolgte. Abweichungen von dieser Linie führten dementsprechend zu feindseligen Haltungen der Nachbarländer.[3] Aus dem Prinzip der Nichteinmischung folgte auch das Prinzip der Gleichbehandlung aller Staaten, was sich damit auch positiv für Israel auswirkte, da die Türkei es bereits 1949 anerkannte. Neben der Anerkennung Israels und dem Abweichen vom arabischen Konsens war auch immer der türkische Säkularismus ein Problem für die arabischen Staaten, da die Türkei damit aus deren Sicht als unislamisch galt.

Erst in den 1970er Jahren fand eine Hinwendung zu und Aufmerksamkeit für die Probleme der arabischen Länder statt.[4] Auch unter der Militärherrschaft ab 1980 wurde zumindest im rhetorischen Bereich durch Verwendung von „Freunde“, „arabische Brüder“ oder der Entwicklung einer „islamisch-türkischen Synthese“ versucht, die Bindung zu den arabischen Staaten zu verstärken.[5] Allerdings blieb dies immer ohne substantielle Folgen, da man sich weiterhin strikt aus den vielfältigen Problemlagen des Nahen und Mittleren Ostens heraushielt. Problematisch ist aber die diametrale Einschätzung, dass die Beziehungen zu den arabischen Ländern besser waren, je schlechter die Beziehungen zu Westeuropa war, da diese Sichtweise doch sehr dichotom und verkürzend ist.[6] Es bleibt aber die Feststellung, dass die Türkei nie ein natürliches Mitglied der arabischen Welt sein konnte und sein wird.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion änderte sich die Selbstwahrnehmung der Türkei und seine Rolle im Mittleren Osten: aufgrund der perzipierten Bedrohungslage und der wohlmöglichen geringeren Bedeutung der NATO wurden die eigenen Interessen neu definiert, man sah sich aufgrund der veränderten Verhältnisse – auch gerade im Kaukasus – als global player.[7] Die politische Elite um den damaligen Außenminister Cem formulierte die Position, dass die Türkei im Herzen Eurasiens und ein wichtiges Bindeglied zwischen Kaukasus, Zentralasien und dem Westen sei und Druck und Macht zur Befriedung dieses Gebietes ausüben müsse. Damit würde sie für Frieden und Stabilität in der Region sorgen und somit ihre Rolle als global player untermauern.[8]

2.2. Kurdenfrage

Auch die Frage nach dem Status und dem Umgang mit den Kurden rekurriert auf die Außenpolitik der Türkei. Zwischen 1984 und 1999 herrschte im Südosten die bislang verheerendste Auseinandersetzung zwischen türkischen Militärs und den Kurden. Bei genauerer Betrachtung ist das Kurdenproblem allerdings eher ein sozioökonomisches, denn ein ethnisches Problem, welches allerdings meist im Westen unterbewertet wird bzw. gerade in Europa in Deutschland, Schweden und Italien z.T. starke Sympathien für die Kurden vorherrschen.[9] Daher muss das Problem in zwei Teilbereiche differenziert werden: erstens gibt es ein kulturelles und ökonomisches Problem bei der Integration der Kurden, welches seine Wurzeln in den Prinzipien des türkischen Staates hat[10] und heute mit den Demokratiedefiziten der Türkei einhergeht; zweitens existierte ein Problem mit dem Terrorismus der PKK.[11] Letzteres hatte dann auch die entsprechenden Auswirkung auf die Außenpolitik der Türkei, da einerseits die PKK ihre Rückzugsgebiete vorzugsweise in Syrien suchte und andererseits die Türkei den Nationalismus der Kurden und eine möglicherweise folgende Staatsbildung auf dem Gebiet Syriens, der Türkei, Iraks und Irans antizipierte.

Zur Staatsgründung 1923 war die Türkei aufgrund der Fluchtbewegung vieler Türkischstämmiger nach den Niederlagen des Osmanischen Reiches ein multiethisches Gebiet, welches sich aus Menschen mit slawischem, griechischem, albanischem, tschetschenischem und abchasischem Hintergrund zusammensetzte.

Atatürk hatte vor diesem Hintergrund das französische Modell des citoyens vor Augen, um einen spezifischen türkischen Nationalismus zu schaffen, welches in der Aussage mündete: „Ne mutlu Türküm diyene“ („Glücklich ist, wer sagt ´Ich bin ein Türke´, und nicht wer Türke ist“).[12] Diese Formel ermöglichte jedem, der auf dem türkischen Staatsgebiet lebte, türkischer Staatsbürger zu sein ohne Rücksicht auf seine ethnische Herkunft.

Dieses Prinzip des Nationalismus kollidierte allerdings mit der kulturellen und sprachlichen Eigenheiten der Kurden und deren tribal organisierte feudale Stammeskultur, so dass das Projekt der spezifischen türkischen Identität zwar von vielen Kurden mit Erfolg adaptiert worden ist, aber eben nicht von allen.[13]

[...]


[1] Siehe Inbar, Efraim 2003: Turkey´s New Strategic Partner: Israel, in: Radu, Michael S. [Hrsg.], Dangerous Neighborhood. Contemporary Issues in Turkey´s Foreign Relations, Philadelphia, S. 165-190, hier S. 166 und vgl. auch Mufti, Madik 1998: Daring and Caution in Turkish Foreign Policy, in The Middle East Journal, Vol. 52, Nr. 1, S. 32-50, hier S. 33.

[2] Siehe Bakis, Mehmet Ata 1993: Türkische Nahostpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg, Frankfurt a.M., hier S. 164.

[3] Verwiesen sei hier auf den Bagdad-Pakt von 19?? und seine Folgen, der im Endeffekt als gescheitert angesehen werden muss, da es die Türkei nicht geschafft hat, andere arabische Länder zu überzeugen beizutreten; Nasser bezeichnete die Türkei dafür als „Agentur des Imperialismus“, vgl. hier M.A. Bakis 1993, S. 63-68.

[4] Siehe ebd., S. 167.

[5] Siehe ebd., S. 169.

[6] Siehe ebd., S. 170.

[7] Siehe E. Inbar 2003, S. 166.

[8] Siehe E. Inbar, S. 166f. Dieser Prozess hin zu einer veränderten Sichtweise kollidierte mit alten Wertvorstellung und begrenzten Ressourcen, vgl. ebd. S. 167.

[9] Siehe Cornell, Svante E. 2000: The Kurdish Question in Turkish Politics, in: Radu, Michael S. [Hrsg.], Dangerous Neighborhood. Contemporary Issues in Turkey´s Foreign Relations, Philadelphia, S. 123-142, hier S. 123f und S. 134.

[10] Zu den Prinzipien der türkischen Staatswerdung unter Atatürk zählt Cornell Republikanismus, Nationalismus, Säkularismus, Populismus, Etatismus und Reformismus, siehe ebd., S. 125.

[11] Siehe ebd., S. 124.

[12] Zitiert und übersetzt nach S.E. Cornell 2000, S. 126.

[13] Zu den Gründen, warum die ´restlichen´ Kurden nicht erfolgreich integriert worden sind bzw. sich nicht assimiliert haben vgl. ebd., S. 127f.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Türkei - Israel? Faktorenanalyse eines Annäherungsprozesses vor dem Hintergrund der außenpolitischen Neuausrichtung der Türkei in den 1990er Jahren
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
2.0
Autor
Jahr
2005
Seiten
26
Katalognummer
V44224
ISBN (eBook)
9783638418706
Dateigröße
514 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Türkei, Israel, Faktorenanalyse, Annäherungsprozesses, Hintergrund, Neuausrichtung, Türkei, Jahren
Arbeit zitieren
Jan Oswald (Autor:in), 2005, Türkei - Israel? Faktorenanalyse eines Annäherungsprozesses vor dem Hintergrund der außenpolitischen Neuausrichtung der Türkei in den 1990er Jahren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44224

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