Englisch in der Grundschule. Evaluation eines Lehrwerks für den Fremdsprachenunterricht.


Examensarbeit, 2004

210 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Lehrwerke im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen
2.1. Begriffsklärung
2.1.1. LehrwerkeLehr- und Lernmaterialien
2.1.2. Lehrwerkforschung: Analyse, Erprobung, Evaluation, Kritik
2.1.2.1. Lehrwerkanalyse
2.1.2.2. Lehrwerkevaluation
2.1.2.3. Lehrwerkkritik
2.2. Die formale Zusammensetzung gegenwärtig existierender Lehrwerke
2.3. Stellenwert, Bedeutung und Funktion von Lehrwerken im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen
2.3.1. Lehrwerke als Teil eines komplexen Bedingungsgefüges
2.3.2. Lehrwerke im historischen Wandel: „Auslaufmodell oder Innovations-träger?“
2.3.3. Der Stellenwert des Lehrwerks im Fremdsprachenunterricht der Grundschule

3. Die Entwicklung und Erforschung von Lehrwerken im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen
3.1. Notwendigkeit der Erforschung und Evaluation von Lehr-werken
3.2. Schwierigkeiten, Ziele und Perspektiven bei der Erforschung und Beurteilung von Lehrwerken
3.2.1. Zur Situation der Lehrwerkforschung
3.2.2. Kriterienkataloge
3.2.3. Berücksichtigung und Beteiligung der Lehrkräfte
3.2.3.1. Lehreraus-, -fort- und -weiterbildung
3.2.3.2. Involvierung der Lehrenden in die Prozesse der Lehrwerkforschung und -entwicklung
3.2.4. Lehrwerkentwicklung
3.2.4.1. Theorien der Lehrwerkautoren
3.2.4.2. Politik der Verlage
3.2.5. Kooperation der an Lehrwerkentwicklung, -forschung und -benutzung Beteiligten
3.2.6. Komplexität von Sprachlernprozessen
3.2.7. Vielfalt an Forschungstheorien und -methoden

4. Grundschulspezifische Aspekte und Kriterien für qualitativ hochwertige Lehr- und Lernmaterialien
4.1. Theorien und Forschungserkenntnisse darüber, wie Kinder Sprachen lernen, sowie ihre Konsequenzen für die Lehrwerkgestaltung
4.1.1. Piaget und Konstruktivismus: Das Kind als aktiver Konstrukteur seines Wissens
4.1.2. Sprachenlernen: ein allmählicher Prozess, der Zeit erfordert
4.1.3. Die Fähigkeit von Kindern, besonders auf Klang und Prosodie zu achten, und die gleichzeitige Notwendigkeit gezielter Aufmerksam-keitslenkung auf neue Sprachelemente
4.1.4. Die geringere Fähigkeit von Kindern, einzelnen Aufgaben über längere Zeit Aufmerksamkeit zu schenken
4.1.5. Die Notwendigkeit von Lerner- und Lernorientierung von Lehrwerken
4.2. Theorien und Forschungserkenntnisse zur Rolle der Sprache als Kommunikationsmittel und ihre Konsequenzen für die Lehrwerkgestaltung
4.2.1. Sprachenlernen durch Sprachverstehen
4.2.2. Sprachenlernen durch das Erfahren authentischen Sprachgebrauchs
4.2.3. Sprachenlernen durch Interaktion und Kommunikation mit Sprache
4.3. Theorien und Forschungserkenntnisse über die Rolle der Lehrkraft beim Sprachenlernen und ihre Konsequenzen für die Lehrwerkgestaltung
4.3.1. Einstellungen zu und Umgang der Lehrenden mit Lehrwerken
4.3.2. Einfluss der Lehrkraft auf affektive Faktoren lehrwerkgestützter Sprachlernprozesse
4.3.3. Die Lehrkraft als Vermittler (mediator) der Zielsprache
4.3.4. Die Lehrkraft als Inputprovider und Sprachvorbild (model)

5. Die Analyse und Evaluation von Magicland 1
5.1. Hintergrundinformationen zum Untersuchungsverfahren
5.1.1. Methoden, Instrumente und Gegenstand der Untersuchung
5.1.2. Schwierigkeiten und Grenzen der Untersuchung
5.2. Kurs- und Lehrwerksbeschreibung (deskriptive Daten)
5.2.1. Anforderungen und Zielsetzung
5.2.2. Lehrwerksbestandteile
5.2.2.1. Class Book
5.2.2.2. Activity Book
5.2.2.3. Magic Me-Book
5.2.2.4. Audio-CD
5.2.2.5. Lehrerhandreichungen
5.2.2.6. Handpuppe „Dizzy“
5.2.2.7. Flashcards
5.2.2.8. Story Posters
5.2.2.9. „Well done“-Stickers
5.2.3. Kursstruktur
5.2.4. Abriss des Entstehungsprozesses
5.3. Analyse einzelner materialbezogener Kriterien von Magicland 1
5.3.1. Übersicht der Untersuchungskriterien
5.3.2. Qualität der Aufmachung
5.3.3. Qualität der Textauswahl (Themen bzw. Inhalte, Sprache und Vertonung)
5.3.4. Qualität der Aufgaben und Aktivitäten
5.3.4.1. Hörverstehensaufgaben
5.3.4.2. Ausspracheschulung durch Lieder, Reime und „Chants“
5.3.4.3. Spiele
5.3.4.4. Storytelling
5.3.4.5. Theater- und Rollenspiele
5.3.4.6. Bastelarbeiten (Listen and do)
5.3.4.7. Zeichen- und Malaufgaben („Pen-to-paper“-Aktivitäten)
5.3.4.8. Kommunikative Aktivitäten der ganzen Klasse
5.3.4.9. Aufgaben zum interkulturellen Lernen
5.3.5. Qualität der (optionalen) Zusatzmaterialien
5.3.5.1. Flashcards
5.3.5.2. Story Posters
5.3.5.3. Handpuppe Dizzy
5.3.5.4. Well Done-Stickers
5.3.6. Qualität der Lehrerhandreichungen
5.3.6.1. Inhaltsverzeichnis
5.3.6.2. Einführung in das Lehrwerk
5.3.6.3. Aufbau und Struktur
5.3.6.4. Optische Lese- und Arbeitshilfen
5.3.6.5. Sprache und Inhalt der Vorschläge, Anregungen und Hinweise
5.3.6.6. Vorschläge für Optionen, Alternativen und zusätzliche Quellen
5.3.6.7. Abschlussgedanke zum Lehrerhandbuch
5.3.7. Abschlussgedanke zu den Ergebnissen der theoretischen Analyse der Qualität des Gesamtlehrwerks
5.4. Exemplarische Erprobung und Evaluation von Magicland 1 am Beispiel von Unit 4 (Toys)
5.4.1. Deskriptive Daten zu den situativen Gegebenheiten der Erprobung
5.4.2. Evaluierung deskriptiver Beobachtungsdaten zum generellen Verhalten und zur Arbeitsweise der Erprobungslehrerin
5.4.3. Introspektive Daten der einleitenden Befragung der Erprobungs-lehrerin zur Klasse (Fragebogen 8.1.1.)
5.4.4. Introspektive Daten der einleitenden Befragung der Erprobungslehrerin zu ihren bisherigen Erfahrungen mit Englischlehrwerken für die Primarstufe (Fragebogen 8.1.2.)
5.4.5. Introspektive Daten der einleitenden Befragung der Vergleichsgruppen-Lehrerin zur Klasse (Fragebogen 8.2.1.)
5.4.6. Introspektive Daten der einleitenden Befragung der Vergleichs-gruppen-Lehrerin zu ihren bisherigen Erfahrungen mit Englischlehr-werken für die Primarstufe (Fragebogen 8.2.2.)
5.4.7. Auswertung der Beobachtungsdaten (Videoaufzeichnungen) in Relation zu den Daten der introspektiven Unterrichtskommentierungen (Fragebögen 8.1.3.1.-8.1.3.4.) der Eprobungsgruppen-Lehrerin (A) und ihrem anschließenden Vergleich mit den Unterrichtskommentaren der Vergleichsgruppen-Lehrerin (B) (Fragebögen 8.2.3.1.-8.2.3.4.)
5.4.7.1. Die erste Stunde (Lesson 1)
5.4.7.2. Die zweite Stunde (Lesson 2)
5.4.7.3. Die dritte Stunde (Lesson 3)
5.4.7.4. Die vierte Stunde (Lesson 4)
5.4.8. Evaluation der Qualität des Lehrwerks durch die Erprobungsgruppen-Lehrerin (Daten der introspektiven Materialkommentierung, Fragebo-gen 8.1.4.)
5.4.9. Abschlussgedanke zu den Ergebnissen der exemplarischen Erpro-bung von Magicland 1, Unit 4

6. Schlussfolgerung

7. Bibliografie

8. Anhang
8.1. Erprobungsgruppe (A)
8.1.1. Fragebogen zur Klasse (A)
8.1.2. Fragebogen Lehrwerke allgemein (A)
8.1.3. Fragebogen zu den konkreten Stunden von Magicland 1 (A)
8.1.3.1. Fragebogen zur ersten Erprobungsstunde (A)
8.1.3.2. Fragebogen zur zweiten Erprobungsstunde (A)
8.1.3.3. Fragebogen zur dritten Erprobungsstunde (A)
8.1.3.4. Fragebogen zur vierten Erprobungsstunde (A)
8.1.4. Fragebogen Magicland 1 (allgemein und bezogen auf Unit 4) (A)
8.2. Vergleichsgruppe (B)
8.2.1. Fragebogen zur Klasse (B)
8.2.2. Fragebogen Lehrwerke allgemein (B)
8.2.3. Fragebogen zu den konkreten Stunden von Magicland 1 (B)
8.2.3.1. Fragebogen zur ersten Stunde (B)
8.2.3.2. Fragebogen zur zweiten Stunde (B)
8.2.3.3. Fragebogen zur dritten Stunde (B)
8.2.3.4. Fragebogen zur vierten Stunde (B)

1. Einleitung

Mit der Einführung des frühen Fremdsprachenunterrichts ab Klasse 1 als konstitutivem Bestandteil der Grundschulbildung in Baden-Württemberg im Schuljahr 2003/2004 – unter anderem als Folge eines sich allmählich bundes- und europaweit durchsetzenden Trends (vgl. Bleyhl, 2001; Legutke/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 33; Schmid-Schönbein, 1998: 110) – sehen sich Grundschullehrkräfte nicht nur mit einem völlig neuen Unterrichtsfach mit eigener Didaktik und Methodik und sogar einer anderen Sprache, sondern auch mit der Notwendigkeit konfrontiert, geeignete Lehr- und Lernmaterialien zu beschaffen. Dass diese Tatsache die meisten betroffenen Lehrer/innen nicht gerade in Freudentaumel über die neuen Herausforderungen versetzt, liegt mitunter daran, dass, obwohl mittlerweile als Studienfach in das Ausbildungsangebot der Pädagogischen Hochschulen aufgenommen, Englisch von der Mehrheit der gegenwärtig tätigen Lehrkräfte weder als Fremdsprache noch als Unterrichtsfach für die Grundschule studiert wurde. Die obligatorisch zu besuchenden Fort- und Weiterbildungsseminare ebenso wie die zunächst selbst durchgeführte Herstellung und Anhäufung von Material mag eher dazu geführt haben, dass sich die Lehrenden zusätzlich belastet oder gar überfordert fühlten und z.T. immer noch fühlen.

Aufgrund der neuen Anforderungen, sollte man meinen, müssten Lehrende kommerzielle Lehr- und Lernmaterialien als ein umfassendes professionelles Hilfswerkzeug eigentlich begrüßen. Doch obgleich der deutschlandweite Markt schon vor der bildungspolitischen Einführung von Primarstufenenglisch in Baden-Württemberg mit Lehrmitteln regelrecht überflutet worden war (vgl. Piepho, 2001: 14, 15), haben zahlreiche Grundschulen bis heute noch kein reguläres Englischlehrwerk eingeführt.

Dies erstaunt insofern, erhält man doch durch Lehrerbefragungen (vgl. z.B. Gerngorss/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 3), entsprechende Publikationen zum Thema (vgl. z.B. Gehring, 2001a: 24; Bausch, 1999: 17), sowie Erfahrungen aus der eigenen Schulzeit eher den Eindruck, das Lehrwerk sei - selbst in der Grundschule - das wichtigste Werkzeug der Lehrkraft, das „Leitmedium“ schlechthin (Schmid-Schönbein, 1999: 98; Reinfried, 1999: 177; Weskamp, 2003a: 116; Knapp-Potthoff, 1999: 97; Krumm, 1999: 119).

Die Schwierigkeit, Innovationen – darunter auch die Einführung neuer Lehrwerke – im schulischen Bereich erfolgreich durchzusetzen, erklärt Werner Bleyhl damit, dass hierzu nicht nur eine, sondern gleich drei Bedingungen gleichzeitig gegeben sein müssen: „Eine neue Lehr- bzw. Lernkonzeption, [...] neue Materialien und Veränderungen der Vorstellungen vom Lernen im Kopf der Lehrer“ (Bleyhl, 2001:193).

So gesehen kann vermutet werden, dass das Problem bei Grundschullehrenden liegt, die im Umgang mit dem neuen Fach (i.e. der Konzeption) noch eine gewisse Unsicherheit verspüren und sich aus diesem Grund sehr stark auf die (gewöhnlich nur exemplarisch angebotenen) Materialien und Ressourcen aus ihren Fortbildungskursen verlassen statt sich selbst auf die Suche nach einem für ihre Schülerinnen und Schüler geeigneten (neuen) Lehrwerk zu machen. Qualitativ hochwertiges Material würde ihre Arbeit deutlich erleichtern, für eine reflektierte und sichere Beurteilung und Auswahl aus dem kaum überschaubaren Angebot an kommerziellen Lehr- und Lernmaterialien fehlen ihnen jedoch zumeist verlässliche Kriterien.

Um Lehrkräften bei der Auswahl eines Lehrwerks zu helfen und in diesem Zusammenhang die Qualität und Effektivität von kommerziellen Lehr- und Lernmaterialien beurteilen bzw., wenn erforderlich, verbessern zu können, ist eine wissenschaftlich und praktisch fundierte Erforschung (d.h. Analyse, Erprobung, Evaluation und Kritik) Lehr- und Lernmaterialien notwendig (3.1.), die sich sowohl rückkoppelnd auf die Lehrwerkproduktion auswirkt, als auch als Grundlage für die Aufstellung geeigneter, zur Reflexion anregender Kriterien dient. Da aber Lehrwerke wie auch Unterrichts- und Sprachlernpprozesse dem Zusammenwirken vieler verschiedener Faktoren unterliegen (2.3.1.), und somit auch deren Erforschung ein äußerst komplexes Feld darstellt, das mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist (3.2.), ist es notwendig, sich der Ziele, aber auch der Grenzen und Perspektiven dieses Bereichs bewusst zu werden (ebd.).

Eine Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands setzt dabei zunächst die in Kapitel 2.1. vorgenommene Klärung einiger relevanter Begriffe voraus, der sich eine kurze Beschreibung der formalen Zusammensetzung moderner Lehrwerke für den Fremdsprachenunterricht anschließt (2.2.). Kapitel 2.3. dient der Verortung von Lehr- und Lernmaterialien im gegenwärtigen Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen, insbesondere im Hinblick auf deren Stellenwert und Funktion im Primarstufen-Englischunterricht (2.3.3.). Erst dann kann die Ermittlung und Diskussion einzelner Kriterien für qualitativ hochwertige Grundschullehrwerke stattfinden (Kapitel 4.), welche Theorie und Forschung zu den Sprachlernprozessen bei Kindern berücksichtigt (4.1.) und auf wissenschaftliche Annahmen und Erkenntnisse zur Rolle der Sprache als Kommunikationsmittel (4.2.) sowie zur Bedeutung der Lehrkraft für das Fremdsprachenlernen (4.3.) eingeht.

Im darauffolgenden Kapitel (5.) liegt das Hauptaugenmerk auf der Untersuchung des Grundschullehrwerks Magicland 1 in Form einer theoretischen Analyse (5.3.) und als Evaluation auf der Grundlage einer exemplarischen Erprobung des Lehrwerks in der Unterrichtspraxis (5.4.). Dabei ist es das Anliegen dieser Arbeit, neben der Aufdeckung einzelner herausragender (positiver und negativer) Merkmale das Gesamtlehrwerk in Bezug auf sein Potential und seine Effektivität als Hilfsmittel für das Englischlehren und -lernen in der Grundschule zu beurteilen.

Da sich das Thema als komplexer erwies und umfangreicher ausfiel als zuvor angenommen, sind zur besseren Übersichtlichkeit vermehrt Verweise auf Kapitel innerhalb der Arbeit zu finden. Außerdem hätten viele interessante Aspekte einer genaueren Beleuchtung und Beschäftigung gelohnt, was allerdings den Rahmen der Arbeit gesprengt hätte und zeitlich ohnehin nicht möglich gewesen wäre. Viele der, besonders in Kapitel 3. und 4., zitierten Autoren beziehen sich auf den Fremdsprachenunterricht in der Sekundarstufe, da es bisher leider kaum Veröffentlichungen zum Thema in Bezug auf den Grundschulbereich gibt. Nichtsdestoweniger beinhalten sie für den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule relevante und übertragbare Informationen.

2. Lehrwerke im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen

Um im „Minenfeld“ der „sehr vielfältigen und oft widersprüchlichen Normen“ (Quetz, 1999b: 26), Bedingungen und Faktoren, welche auf die Entwicklung, Erforschung und den Einsatz von Lehr- und Lernmaterialien einwirken, einen gewissen Überblick zu bewahren, sei hier das Augenmerk zunächst auf die Publikation Tomlinsons, Materials Development in Language Teaching (1998), gerichtet. Trotz der Komplexität des Themas schafft es der Herausgeber, Beiträge verschiedener Autoren in drei umfassenden Hauptteilen zur Vorbereitung, zu den Voraussetzungen und zum Prozess der Lehrwerkentwicklung sowie zur Analyse, Erprobung und Evaluation von Lehr- und Lernmaterialien im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen übersichtlich zu vereinen und eine gewisse Systematik zu etablieren, was allerdings, wie er selbst betont (ebd.: 1), nicht ausschließt, dass einige der Positionen im Buch bezüglich strittiger Punkte „inevitably contradictory“ sind. Zwar beziehen sich auch diese Beiträge auf Lehrwerke und Unterrichtsprozesse in der Sekundarstufe, doch implizieren sie, gerade im Bereich der Forschungsmöglichkeiten und -methoden, eine Vielzahl an wertvollen, für die Grundschule relevanten Informationen.

Tomlinsons Anliegen ist es, dem Leser bei seiner Meinungsbildung auf diesem komplexen Gebiet zu helfen, weshalb er die Beiträge jedes Hauptteils in einem jeweils anschließenden Kommentar zusammenfassend und vergleichend reflektiert. Zudem liefert er ein äußerst umfassendes und informatives Einleitungskapitel, an dessen Beginn er fünf an alle an der Entwicklung von Materialien beteiligten Personen gerichtete Forderungen stellt (ebd.) und selbst näher erläutert. Neben den Postulaten nach der Durchführung systematischer Evaluationen, der Berücksichtigung von Erkenntnissen der Spracherwerbsforschung, der Berücksichtigung der Ansichten von Lehrenden und Lernenden sowie der Zusammenarbeit aller am Entwicklungs- und Lehr- bzw. Lernprozess Beteiligten, plädiert Tomlinson gleich an erster Stelle für die Klärung der in der Diskussion zur Materialentwicklung weitläufig verwendeten Begriffe und Konzepte. Er selbst bietet diesbezüglich einen Glossar an Begriffsdefinitionen (ebd.: xi) sowie einige detailliertere Erläuterungen (ebd.: 1-4) an. An dieser Stelle sollen zunächst Materialien und deren Evaluation im Mittelpunkt des Interesses stehen.

2.1. Begriffsklärung

2.1.1. Lehrwerke – Lehr- und Lernmaterialien

Im Gegensatz zu Tomlinsons sehr weitgefassten Definition von „language-learning materials“ im Sinne von „anything which is used by teachers or learners to facilitate the learning of a language“, die somit auch authentisches Material (z.B. eine Zeitung oder ein Bilderbuch), Anweisungen der Lehrkraft u.v.a.m. umfasst (Tomlinson, 1998: 2), beschränkt sich die Verwendung der Termini Lehr- und Lernmaterialien bzw. Lehrwerke in der vorliegenden Arbeit auf kommerzielles, von Verlagen herausgegebenes Material.

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der eine Doppelrolle indizierende Begriff Lehr- und Lernmaterialien, ursprünglich gewählt, um die fortschrittliche Auffassung von einem nicht ausschließlich auf Instruktion basierenden, die Bedürfnisse der Lerner berücksichtigenden Fremdsprachenunterricht widerzuspiegeln (vgl. z.B. Meißner, 1999: 146 ff.), inzwischen ebenfalls umstritten ist und verschieden gehandhabt wird. So wird bereits die „Auflösung der Doppelfunktion“ gefordert (Leupold, 1999: 139), um den Blick vollständig auf den Lerner und seinen individuellen Lernprozess zu lenken. Andere Stimmen verweisen wiederum auf „die Schwierigkeit, aber auch die sachliche Fragwürdigkeit einer begrifflichen Trennung“ (Christ, 1999: 42), so wie sie beispielsweise Edmondson (1999: 53 ff.) vornimmt, oder verwenden nur einen Teil des Ausdrucks - entweder Lehrmaterialien (z.B. Königs, 1999: 105 ff.) oder Lernmaterialien (z.B. Knapp-Potthoff, 1999: 97 ff.), implizieren damit aber Funktionen von Lehrwerken für beides, Fremdsprachenlehren und -lernen, Lehrende und Lernende. Auf die kontroverse Bedeutung des Ausdrucks soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden.

2.1.2. Lehrwerkforschung: Analyse, Erprobung, Evaluation, Kritik

Im komplexen Feld der Erforschung von Lehrwerken herrschen neben der „Vielzahl und Vielfalt von Erkenntnisinteressen“ sowie dem riesigen Ausmaß „der beteiligten Faktoren, Hintergründe, zu berücksichtigender Teilaspekte“ (Barkowski, 1999: 9) auch begriffliche Unklarheiten, unter anderem aufgrund von „forschungsmethodischen Interdependenzen, die in den Aufgaben Analyse, Kritik, Erprobung und Evaluation stecken“ (ebd., Hervorhebungen im Original).

Während Tomlinson (1998) alle Aspekte unter dem Ausdruck „Materials evaluation“ zusammenfasst und definiert als „attempts to measure the value of materials“ (ebd.: 3) im Sinne einer „systematic appraisal of the value of materials in relation to their objectives and to the objectives of the learners using them“ (ebd.: xi), welche als “pre-use”-, “whilst-use”- oder “post-use”-Evaluation stattfinden kann, oder die einzelnen Begrifflichkeiten Analyse, Erprobung, Evaluation und Kritik von zahlreichen Autoren synonyme Verwendung erfahren, werden diese andernorts nicht selten differenziert eingesetzt (z.B. Neuner, 1999: 161-162; Bleyhl, 1999: 28, Krumm, 1999). Allerdings sind die Begriffsunterscheidungen wenig einheitlich[1]. Obgleich eine eindeutige Abgrenzung gewissen tatsächlichen Bedeutungsüberschneidungen[2] zufolge nicht möglich zu sein scheint, sind dennoch unterschiedliche inhaltliche Nuancen erkennbar, die in der vorliegenden Arbeit wie folgt Anwendung finden:

2.1.2.1. Lehrwerkanalyse

Analyse wird als die systematische theoretische Untersuchung von Lehrwerken unter Berücksichtigung all ihrer Komponenten und der sie beeinflussenden Faktoren verstanden, wobei erwähnt werden muss, dass die der etymologischen Bedeutung [3] des Wortes entspringende ursprüngliche wissenschaftliche Funktion von Analyse, nämlich die Auflösung eines Sachverhalts in seine Einzelteile und deren separate Untersuchung, in der Lehrwerkforschung als hermeneutische Analyse durchgeführt wird.

Die hermeneutische Lehrwerkanalyse versucht, die einzelnen Aspekte und Dimensionen in ihrer Wechselwirkung bzw. ihren Zusammenhängen zu sehen und „vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse zum Sprachenlernen und damit begründete methodisch-didaktische Konzepte [...] zu verbinden“ (Krumm, 1999: 124, vgl. Neuner, 1999):

Nicht einzelne Faktoren oder Wirkungselemente werden herausgegriffen, vielmehr wird der Versuch einer systematischen Analyse aller wichtigen Dimensionen und Aspekte eines Lehrwerks auf Grund veröffentlichter Kriterien gemacht, um den Vorgang so transparent zu halten und der Fachdiskussion zu öffnen. [...] Gegenüber der Behauptung, dass nur Erfahrung und empirische Erprobung eine angemessene Beurteilung der Qualität von Lehrwerken erlaube, steht hinter Lehrwerkanalysen die Überlegung, daß Erfahrung auch blind machen kann für neue Ansätze und Möglichkeiten, daß das, was ‚funktioniert’, nicht immer auch das didaktisch Wünschenswerte und Zielführende ist. (Krumm, 1999: 124)

Diese Definition entspricht Tomlinsons (1998: xi) „pre-use“-Evaluation, „focused on predictions of potential value”, und geht ferner konform mit Gnutzmanns (1999: 73) Auffassung der hermeneutischen Analyse, mit deren Hilfe “begründete Hypothesen über mögliche Wirkungen von Lehr- und Lernmaterialien [...] entwickelt und im Anschluß empirisch überprüft werden.“

2.1.2.2. Lehrwerkevaluation

Evaluation umfasst die empirische Untersuchung, Interpretation und Bewertung der Wirkung und Wirksamkeit von Lehrwerken auf fremdsprachenunterrichtliche Lehr- und Lernprozesse. Somit ist die (praxis- und prozessorientierte) Erprobung des Materials ein Teil der Evaluation, welche häufig auch als Wirkungsforschung oder Begleitforschung bezeichnet wird (vgl. Neuner, 1999: 163; Weskamp, 2003b: 132; Bleyhl, 1999: 28, Krumm, 1999: 122 f.; Legutke, 1999: 133) bzw. in Tomlinsons (1998: xi) Sinne als „whilst-use“- und „post-use“-Evaluation.

2.1.2.3. Lehrwerkkritik

Der Begriff Kritik beinhaltet ebenfalls die wertende Komponente, setzt jedoch von seiner reinen Bedeutung her – Beurteilung, Bewertung, Begutachtung, abwägende Prüfung nach präzisen (wissenschaftlichen) Maßstäben[4] - nicht grundsätzlich den Praxisbezug voraus. Im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen allerdings, stellt Legutke (1999: 136) fest, können „Lehrwerkkritik und Lehrwerkforschung auf die Dauer nur dann zu praxisrelevanten Aussagen und zu besserer Konstruktion von Lehrmaterial führen [...], wenn sie wirklich unterrichtsbezogen sind“, sprich mit empirischen Untersuchungen einhergehen.

2.2. Die formale Zusammensetzung gegenwärtig existierender Lehrwerke

Das moderne Lehrwerk für den Fremdsprachenunterricht ist – im Gegensatz zu dem einst mageren und wenig lernerorientierten Bestand aus Schüler-‚Lehrbuch’ (ein Paradoxon an sich), Lehrerhandbuch und allenfalls noch einer Hörkassette – als Set bzw. „Ensemble“ bestimmt (Leupold, 1999:138), bestehend aus einer Reihe von weiteren Komponenten, wie einem workbook bzw. activity book für die Schüler/innen, einer CD als moderner Variante der Kassette und insbesondere im Bereich des Primar- und Anfangsunterrichts aus Bildkarten (flash cards, story cards), Bildpostern und einer Handpuppe. Ferner werden auch Videokassetten und andere Zusatzkomponenten wie beispielsweise Folien, Kopiervorlagen oder Portfolios angeboten (vgl. Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 2; Gnutzmann, 1999: 68; Schmid-Schönbein, 1999: 98). Die neuen Medien halten in Form von Multimedia-Paketen bzw. sogenannten Medienverbünden (mit CD-ROMs, DVDs und Anregungen zur Arbeit mit dem Internet) Einzug in die Lehrmittelherstellung (vgl. Legutke/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 7; Legutke, 1999:129 ff.; Krumm, 1999: 121 f.).

2.3. Stellenwert, Bedeutung und Funktion von Lehrwerken im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen

2.3.1. Lehrwerke als Teil eines komplexen Bedingungsgefüges

Das Lehrwerk ist Teil des äußerst komplexen, dynamischen, multidimensionalen Bedingungsgefüges von Sprachlehr- und -lernprozessen, stellt aber gleichzeitig selbst ein vielschichtiges, „multifaktorielles Gebilde“ dar (Christ, 1999: 41; vgl. Barkowski, 1999: 9). Bei der Bemühung, Lehr- und Lernmaterialien im Gesamtkontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen einzuordnen und sie auf diverse (formale, inhaltliche, sprachliche, methodische, didaktische) Aspekte hin – und zwar innerhalb der drei Perspektiven „Produktion, [...] Rezeption und Nutzung“ sowie „Wirkung“ (ebd.: 42) – zu untersuchen, kommt man nicht umhin, sie in der Komplexion der verschiedenen Faktoren und Interessen, die auf sie einwirken, zu sehen und zu erforschen (Christ, 1999: 46; Reinfried, 1999: 177 f.; Edmondson, 1999: 53 f.; Bell/ Gower, 1998), da „die Veränderung eines Faktors nicht ohne Auswirkungen auf andere Faktoren bleibt“ (Leupold, 1999: 140).

Die Festlegung und Beschreibung der Determinanten, die Struktur, Funktion und Wirkungsweise von Lehrwerken bestimmen, ist jedoch ebenfalls nicht ganz einfach und findet in der Literatur unterschiedliche Ausführung. Neuner beispielsweise betrachtet in seinem ersten der Lehrwerkanalyse gewidmeten Werk (1979: 23) personelle, institutionelle, didaktisch-methodische und verlegerische Bedingungen als für die Lehrwerkentstehung ausschlaggebend, 1982 bezieht er sich auf Faktoren der Lehrwerkauswahl und differenziert sie in Lerner, Lernziele- und -inhalte und Schulform (vgl. Reinfried, 1999: 178).

Andere Versuche, Lehr- und Lernmaterialien im fremdsprachenunterrichtlichen Kontext zu verorten, verwenden einer besseren Überschaubarkeit wegen häufig das Bild einer Dreieckskonstellation, wobei einmal Lehrwerke (als Lehr-/Lerninhalte) gleichrangig neben Lehrerinnen/Lehrern und Schülerinnen/Schülern selbst eine der ‚Ecken’ bilden (vgl. Christ, 1999: 41), und ein andermal das Lehrwerk, im Mittelpunkt des Dreiecks stehend, mit jedem der drei Faktoren ‚Lehrplan – Lehrsituation – Lernende’ verbunden ist (Neuner, 1999: 161). Leupold (1999: 142) sieht Lehrwerke bzw. diejenigen, die sich mit deren Erforschung befassen, eher im pejorativen Sinne gefangen in einem „“Bermuda-Dreieck“ unterschiedlicher Interessen“ von Verlagen („unternehmerische Interessen“), Kultusbehörden („bildungspolitische[ ] Ziele“) und Lehrkräften („fachliche und persönliche Interessen“).

Die Dreiecksdarstellung scheint jedoch der Realität der komplizierten, vielfältigen Wechselwirkungen verschiedener Faktoren und Interessen nicht gerecht zu werden. Nach mehreren Jahren intensiver Beschäftigung ist Neuner (1999: 162 f.) im Rahmen einer Unterscheidung in synchronische und diachronische Analyse zu einer äußerst detaillierten Darstellung zusammenhängender Determinanten gelangt, entweder in Form eines vielverzweigten „Bezugsgeflecht[s]“ oder „in einem hierarchischen Zuordnungsverhältnis“. Zu ersterem zählt er legitimative (Gesellschaft, Politik, Kultur), reflexive (allgemeine pädagogisch-didaktische Konzepte), institutionelle (Lehrpläne, Bildungspolitik, Schulpolitik), materielle (Lehrwerkherstellung und -vermarktung), konstruktive (Sprachenlerntheorien, Entwicklungspsychologie) und analytische (Linguistik, Literatur, Landeskunde) Bedingungen (vgl. auch Piepho bei Gnutzmann, 1999: 68), letzteres differenziert er in eine übergreifende gesellschaftliche, eine allgemeinpädagogische, eine fachliche und eine unterrichtliche Ebene.

Zu einer ähnlichen Erkenntnis kommt Christ (1999: 42f.) und betont die Unmöglichkeit, Lehr- und Lernmaterialien ausschließlich im unterrichtlichen Geschehen anzusiedeln, da sie sowohl im außer unterrichtlichen Kontext entstehen als auch über den Unterricht hinaus wirksam werden.

Ein genaueres Eingehen auf die konkreten Auswirkungen der unterschiedlichen Faktoren auf Lehrwerke und fremdsprachliche Lehr- und Lernprozesse würde an dieser Stelle zu weit führen. Doch soll nachfolgend die Relevanz kommerzieller Unterrichtsmaterialien im fremdsprachenunterrichtlichen Kontext etwas detaillierter unter einem weiteren Gesichtspunkt beleuchtet werden, nämlich der historischen Veränderung, der die vielfältigen determinierenden Teilaspekte ständig unterliegen.

2.3.2. Lehrwerke im historischen Wandel: „Auslaufmodell oder Innovations-träger?“

Fragt man nach der Funktion und Bedeutung von gegenwärtigen Lehrwerken für fremdsprachliche Lehr- und Lernkontexte, impliziert das im Grunde die Annahme über das Vorhandensein einer solchen (oder mehrerer) Funktion(en). Doch stößt man bei der Suche nach einer Antwort noch heute auf die bereits in den siebziger Jahren entflammte Diskussion über den allzu dominanten Stellenwert von Lehrwerken im Unterricht (Wendt, 2000: 10; vgl. Tönshoff, 1999: 226; Reinfried, 1999: 176; Krumm, 1999: 119; Bredella, 1999: 35).

Als eine Möglichkeit, eine Antwort „auf die [...] Infragestellung des Lehrwerks in unseren Tagen“ zu erhalten, schlägt Wendt (2000: 9) vor, den „Blick zurück auf die Geschichte der Lehrwerke in vergangenen Zeiten“ zu richten. Dieser macht die historischen Veränderungen formaler, sprachlicher, inhaltlicher und methodischer Konzeptionen und die damit verbundene Notwendigkeit einer „Neubestimmung der [Form, Inhalte und] Funktionen des Lehrbuchs“ (ebd.; vgl. Legutke, 1999: 129; Leupold, 1999: 141) deutlich. Unter Bezugnahme auf das fünfteilige Phasenmodell von Götze stellt Gnutzmann (1999: 69) fest:

Die historische Untersuchung verschiedener Generationen von Lehrwerken ist geeignet, die unterschiedliche Gewichtung der verschiedenen Lehrwerkfaktoren in verschiedenen zeitlichen Phasen wie auch ihre spezifischen Weiterentwicklungen zu demonstrieren [...] [und] ein für die Fremdsprachendidaktik konstitutives Strukturmerkmal [zu] illustrieren: Die dem ständigen Wandel unterworfene Wechselbeziehung von fachwissenschaftlichen Ansätzen (vor allem linguistischen und in jüngerer Zeit landeskundlich-kulturwissenschaftlichen) und didaktischen Konzepten (insbesondere definiert durch allgemein-erzieherische Lernziele, sprachenpolitische Rahmenbedingungen und Theorien des Fremdsprachenlernens) spiegelt sich exemplarisch in den verschiedenen Lehrwerkgenerationen wider.

Krumm dagegen bezeichnet Götzes klare Abgrenzung in fünf Lehrwerkgenerationen als „problematisch“, da in der historischen Methodenentwicklung eine zunehmende „Auflösung starrer Methodenkonzeptionen“ zu verzeichnen ist (Krumm, 1999: 120). Dass Kieweg (1999: 35 f.) in diesem Zusammenhang nur vier Generationen von Lehrwerken unterscheidet, bestätigt diese Auffassung. Trotz der Inkongruenzen in der historischen Typologisierung und Chronologisierung ist eine Abhängigkeit der Funktionen von fremdsprachlichen Unterrichtsmaterialien von den jeweils vorherrschenden fremdsprachendidaktischen Positionen – oder Methodentrends – deutlich erkennbar (vgl. Timm, 1999:218).

Aktuelle Stimmen, die „dem Lehrwerk eine uneingeschränkte Absage erteilen“ (Wendt, 2000: 10; vgl. Tönshoff, 1999: 226) und „das baldige Ende des Schulbuchs als Leitmedium“ (Reinfried, 1999: 176) ankündigen, stützen ihre Argumentation in erster Linie auf den durch die elektronischen Medien im Laufe des 20. Jahrhunderts auch in der Fremdsprachendidaktik aufgekommenen Trend zur „Multimedialität“ (ebd.) und die damit verbundene Forderung nach zunehmender Lernerzentrierung und Lernerautonomie, welche durch vorgegebene Lehr- bzw. Lernmaterialien verhindert werde (Krumm, 1999: 119; Bredella, 1999: 35).

Jedoch sind die „Scheinalternativen [...] Lehrbuch vs. Lehrwerk, Lehrwerk vs. Multimedia, Lehrwerk vs. Lernautonomie“, die häufig die Überlegungen über die Abschaffung von Lehrwerken im Zeitalter der neuen Technologien kennzeichnen, aufgrund der Komplexität von Sprachlehr- und -lernprozessen derart vereinfacht „unzulässig“ (Krumm, 1999: 119):

[...] da Lehrwerke mit allen entscheidenden Faktoren des Unterrichtsprozesses vernetzt sind [...], hängt ihre Funktion von ihrer Einbindung in dieses komplexe Funktionsgefüge ab, in dem Lehrwerke durchaus unterschiedliche Ausprägungen und Funktionszuweisungen haben können (die multimediale Zugänge und modulare, autonomiefördernde Unterrichtskonzepte keineswegs ausschließen). (ebd.)

Im Hinblick auf den gegenwärtigen Stellenwert von Lehrwerken im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen lässt sich trotz des Vormarsches der neuen Medien und des „Modebegriff[s] ‚autonomes Lernen’“ (Edmondson, 1999: 53) Folgendes feststellen:

Die Prognose, die neuen Technologien würden das Lehrwerk alsbald vollständig verdrängen bzw. ersetzen, hat sich nicht erfüllt (Reinfried, 1999: 177), erwies sich statt dessen als „Irrglaube“ (Lademann, 1993: 148). Lademann warnt sogar (ebd.: 144):

Die Verwendung von Medien im Fremdsprachenunterricht darf sich nicht verselbständigen. Fremdsprachendidaktiker, die letzteres beabsichtigen, laufen Gefahr, sich unerreichbar von der Schulpraxis zu entfernen.

Statt dessen unterstützt er das mittlerweile vielfach formulierte Desiderat nach einem integrativen Medieneinsatz, der „den Fremdsprachenunterricht nicht revolutionieren“, sondern „ihn auf der Grundlage bewahrenswerter Traditionen bereichern, vielseitiger und damit effektiver werden lassen“ soll, indem das Lehrwerk integrierender Bestandteil eines vielfältigen Medienverbundes bzw. selbst ein Ensemble aus verschiedenen komplementären Medien wird (ebd.: 149; vgl. Nieweler, 2000: 18; Krumm, 1999). Gleichzeitig verliert es dadurch seine Vorherrschaft im Unterricht, „seine die Methodenkonzeptionen der Lehrenden konstituierende Position“ (Lademann, 1993: 148). Ferner ist der Einsatz der neuen Medien im Fremdsprachenunterricht trotz aller Vorteile auch mit einigen Problemen verbunden (vgl. Legutke/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 9). Insbesondere in der Grundschule ist das Fremdsprachenlernen allein mithilfe elektronischer Medien nicht vorstellbar.

Edmondsons Vorschlag (1999: 56 ff.), Lehr- bzw. Lernmaterialien generell nur noch im Internet zur Verfügung zu stellen, erscheint – obgleich von ihm selbst als „nicht realitätsfremd“ bezeichnet - ebenso unrealistisch. Er sieht darin vor allem einen Lösungsansatz für das Problem der „Spannung zwischen zwei Konzepten von ‚Angemessenheit’“, einem globalen und einem lokalen (ebd.: 54), bzw. für den (nicht unberechtigten) Einwand, universalistische, zentralisierte, von Experten hergestellte, ‚lehrerunabhängige’ Unterrichtsmaterialien auf der einen Seite könnten niemals für jede spezifische Adressatengruppe und Lernsituation geeignet sein (und Verlage könnten somit auch keinen ausreichenden Kreis von Abnehmern finden). Auf der anderen Seite können zwar regionale, ortsgebundene, von Lehrkräften für eine bestimmte Lernergruppe entworfene Materialien („Lehrer abhängigkeit“ ebd.: 55) die Bedürfnisse und Interessen der Schüler/innen besser berücksichtigen, doch verfügt nicht jede Lehrkraft über die für die eigene Erstellung von Material benötigte „Motivation, Fachkompetenz und Zeit“ sowie Sprachkompetenz und Kreativität (ebd.: 54 f.; vgl. Neuner, 1999: 161; Tönshoff, 1999: 228; Bell/ Gower, 1998: 117f.).

Neben der Möglichkeit, lernerspezifische und für autonomes Lernen geeignete Materialien zu erstellen, sieht Edmondson den Vorteil einer „umfassende[n] Sammlung von unendlich vielen virtuellen Lehrwerken“ und somit einer „Internationalisierung bzw. Globalisierung didaktischer Ideen“ (Edmondson, 1999: 57) in der Gelegenheit zu „nationale[n] und internationale[n] Vergleichen“. Zugegeben, ein solches Konzept beinhaltet auf den ersten Blick zahlreiche Potentiale, so auch die Möglichkeiten eines permanenten Zugangs und einer ständigen Aktualisierung. Doch treten bei näherer Betrachtung deutliche Probleme zutage, wie zum Beispiel bei der Umsetzung dieses Vorhabens, seiner Koordination, Finanzierung, der Frage nach dem Copyright, ebenso beim Updaten und Zugang für Lehrende und Lerner. Weitere Fragen drängen sich auf: Müssten Lehrkräfte alles ausdrucken? Müsste jede Lehrkraft über Interneterfahrung, einen heimischen Internetanschluss und Drucker verfügen? Würde das Zusammensuchen und Zusammenstellen von Material aus einer endlosen Internetsammlung die Lehrenden nicht überfordern? Gerade für Lehrende des Grundschulenglisch (und des Anfangsunterrichts Englisch), in dem visuelle Materialien eine Hauptfunktion übernehmen, würde das Drucken, Kolorieren, auf festes Papier Aufkleben und Laminieren von Bildkarten genau das bedeuten (nämlich einen enormen Zeit- und Arbeitsaufwand), was sie durch die Verwendung von Lehrwerken zu vermeiden suchen. Einige Lehr- und Lernmaterialien lassen sich auch überhaupt nicht online stellen, wie z.B. Audio- und Videomaterial oder Handpuppen. Gegen zusätzliche Materialangebote für Fremdsprachenlehrende im Netz (wie z.B. die amerikanische Website www.sitesforteachers.com mit einer Übersicht an zahlreichen weiteren Seiten für Lehrer/innen) ist prinzipiell nichts einzuwenden, solange sie Lehrwerke er gänzen, nicht er setzen sollen.

Zweifelsohne spielen die neuen Medien einen große Rolle in der Diskussion über die Bedeutung, Einsetzbarkeit und Angemessenheit heutiger Lehr- und Lernmaterialien in fremdsprachlichen Lehr-Lern-Kontexten (Tschirner, 1999; Legutke/ Schocker-v. Ditfurth, 2003; Krumm, 1999; Nieweler, 2000: 18; Cameron, 2001: 244 u.a.), weshalb Gnutzmann (1999: 74) zu Recht fordert, die Lehrwerkforschung müsse „sowohl das Lehrwerk wie auch die neuen Medien bedenken.“ Doch beeinflussen noch einige weitere veränderte Lehr- und Lernbedingungen und aufgrund neuer sprachlerntheoretischer Erkenntnisse ausgelöste Innovationen des modernen (Grundschul-)Fremdsprachenunterrichts in besonderem Maße die Funktionen von Lehrwerken, die bei deren Erforschung und Evaluation bedacht werden müssen: der kommunikativ-funktionale Ansatz, die thematische und dynamische (statt linear-grammatische) Progression, der konstruktivistische Lernbegriff, Lernerorientierung, Inhaltsorientierung, Prozessorientierung, Aufgaben- und Handlungsorientierung, Ganzheitlichkeit (Lernen mit allen Sinnen), Vermittlung von Kommunikations- und Sprachlernstrategien und Lernorientierung (das Auslösen von Lernprozessen) (vgl. Timm, 1999: 218; Leupold, 1999; Meißner, 1999; Klippel, 2000; Schmid-Schönbein, 2001; Cameron, 2001; u.a.).

Der veränderte Lernkontext wird ferner gekennzeichnet durch neue und heterogene Bildungsvoraussetzungen wie z.B. die Mehrsprachigkeit vieler Schüler/innen (vgl. Gogolin, 1999, Leupold, 1999: 141; Meißner, 1999: 149, 152, 154 f.; Schmid-Schönbein, 1998: 112; Quetz, 1999b: 25; Röttger, 2000; Alix, 2003). Zudem nähert sich die zu erlernende Fremdsprache Englisch immer stärker dem Status einer Umgebungssprache an, da Kinder und Jugendliche ihr heutzutage (mehr als anderen Sprachen) in vielen Bereichen ihres Lebens außerhalb der Schule begegnen, insbesondere in Form von englischen Lexemen und Anglizismen, durch Fernsehen, Musik, Sport, Internet, Reklame, bestimmte Produkte, amerikanische Fast-Food-Restaurants, aber auch durch die Umgangssprache und das heute viel einfachere Reisen in andere Länder u. a. m. (Meißner, 1999: 147; Schmid-Schönbein, 1998: 110, 115; Cameron, 2001: 11; Klippel, 2000: 39; Schmid-Schönbein, 2001: 28 f.).

Zwar weist Bleyhl (2001: 195, Hervorhebungen im Original) auf den Widerspruch zwischen der pädagogischen Bestimmung der Grundschule als „zweites Zuhause“ und der (angeblich) geringen Vertrautheit der Kinder mit der Zielsprache, die „gerade nicht das Medium des Zuhause“ sei, hin, jedoch kann dieser Einwand dadurch entkräftet werden, dass Kinder den Mathematikunterricht oder andere Fächer auch nicht unbedingt als eine behagliche, heimische Umgebung empfinden, und dass die Fremdsprache ihnen durch die zuvor aufgeführte alltägliche Begegnung mit ihr sicherlich weniger fremd vorkommt, als die allermeisten übrigen Sprachen dieser Welt. Auch Schmid-Schönbeins Anmerkung (2001: 28, Hervorhebungen im Original) über den Klärungsbedarf, „ob Kinder dieses Alters die englischsprachigen Ausdrücke überhaupt als fremdsprachlich erkennen und auffassen oder ob sie nicht die Bezeichnung für skateboard, solange ihnen das Schriftbild nicht vertraut ist, als ein quasi „deutsches“ Wort in ihre Sprache integriert haben“, bestätigt lediglich die Annahme über die kindliche Familiarität mit dem Englischen.

Modifizierte Lernbedingungen führten ferner zu vielfältigen, auf dem freien Markt für den Privatkauf und -gebrauch als Konsumware angebotenen Lehr- bzw. Lernmaterialien (Knapp-Potthoff, 1999; Leupold, 1999: 138) sowie zu einer veränderten Auffassung von den ‚Konsumenten’ bzw. Adressaten: Neben der Funktion von Lehrwerken für Lerner (und ihre Eltern) und Lehrer gewinnt zunehmend ihre Bedeutung für Lehramtsstudierende sowie für die Forschung an Aufmerksamkeit (Knapp-Potthoff, 1999; Königs, 1999: 107).

Entgegen aller Kritik an der Qualität gegenwärtig existierender Lehrwerke (vgl. Quetz, 1999a: 169; Quetz, 1999b; Krumm, 1999; Edelenbos/ Kubanek-German, 2001: 25; Bredella, 1999; Bleyhl, 2000: 31 f.; u.a.), den als einschränkend betrachteten Faktoren und den Potentialen der neuen Technologien verdienen es kommerzielle Lehr- und Lernmaterialien nicht, als „notwendiges bzw. überflüssiges Übel“ abqualifiziert zu werden (Bredella, 1999: 40). Zwar ist Kiewegs Position, das Lehrwerk sei „das wichtigste Lehr- und Lernmittel in der Schule“, da es „fast täglich zum Einsatz kommt“ (Kieweg, 1999: 34f.), fraglich, doch ist ein völliger Verzicht auf Lehrwerke „aufgrund bildungspolitischer Vorgaben im institutionellen Fremdsprachenunterricht wie auch aus pragmatisch-historischen Gründen“ kaum zu erwarten (Gnutzmann, 1999: 72; vgl. Bredella, 1999; Nieweler, 2000; Königs, 1999: 110). Nennenswert ist hier Quetz’ Aussage (1999b: 27), man könne die verschiedenen Determinanten und Interessen, die auf Lehrwerke einwirken, zum einen „als eingrenzende Faktoren ansehen, die die freie Entfaltung kreativer Kräfte [nämlich die der Lehrwerkautoren, vgl. Prowse, 1998: 135 ff.] behindern“, zum andern aber auch als eine „gewisse Qualitätssicherung“, die dabei hilft, „das Lehren und Lernen zu optimieren.“ Im Hinblick auf den veränderten Lernkontext schlägt Meißner (1999: 147 f.; vgl. Leupold, 1999: 139) daher vor, nicht „Lehrwerke abzuschaffen, sondern sie der neuen Lernumgebung anzupassen.“

Verschiedene Publikationen, beispielsweise im Band der Arbeitspapiere der 19. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts[5], aber auch Beiträge von Bell/ Gower (1998), Quetz (1999b), Wendt (2000), Weskamp (2003b) und Wilhelm (2000) haben versucht, die Funktionen von Lehr- und Lernmaterialien im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen für die unterschiedlichen Adressatengruppen zu beschreiben. Knapp-Potthoff (1999) liefert eine sehr detaillierte und brauchbare Auflistung von Funktionen für Lernende, Lehrkräfte, Lehramtsstudierende, für die Sprachlehr- und -lernforschung und bildungspolitische Zusammenhänge. Nachfolgendes Kapitel konzentriert sich primär auf die Untersuchung der Bedeutung von Lehrwerken für Lehrer/innen und Lerner im frühen Fremdsprachenunterricht.

2.3.3. Der Stellenwert des Lehrwerks im Fremdsprachenunterricht der Grundschule

Auch „in den ersten Jahren des Sprachunterrichts“ scheint das Lehrwerk als „ein konstitutives Element im Fremdsprachenunterricht“ (Leupold, 1999: 139) entscheidend zur Auslösung, Unterstützung und Erleichterung der Lehr- und Lernprozesse beizutragen und für gewöhnlich stärker die Unterrichtsplanung zu beeinflussen als die Lehrpläne selbst[6] (Reinfried, 1999: 178). Im pejorativen Sinne deuten darauf weitläufig bekannte Beinamen wie „Leitmedium“ (s.u.), heimlicher Lehrplan (Christ, 1999: 43) oder „hidden curriculum“, die ‚Bibel’ oder die ‚Zehn Gebote’ der Lehrkraft (Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 2). Aber auch seltener auftretende Bezeichnungen wie „macho syllabus“ (Weskamp, 2003b: 116), „de facto-Lehrplan“ (Tönshoff, 1999: 227), unheimlicher Lehrplan (Wilhelm, 2000: 120) oder „Rettungsanker“ (Gehring, 2001a: 24) indizieren die Gefahren gewisser Lehrereinstellungen gegenüber der Funktion von Lehrwerken beim Fremdsprachenlernen.

Daher melden sich trotz aller Fortschritte im Bereich der Lehrmaterialentwicklung immer wieder Stimmen zu Wort, die vom Einsatz kommerzieller Unterrichtslehrwerke in der Grundschule abraten. Bedarf Freudensteins (1999: 64) Position, dem Lehrbuch im Frühbeginn „grundsätzlich keine Rolle“ beizumessen, aufgrund ihrer Radikalität und fehlender Erklärung keiner Gegenargumentation, so können Bedenken, die Unterrichtsplanung ohne einen „konsistenten, wissenschaftsbasierten methodischen Ansatz für den frühbeginnenden Englischunterricht [...] von den Inhalten eines bestimmten Lehrbuchs abhängig zu machen“ (Gehring, 2001a: 24), welche gleichzeitig von der Forderung nach bundesweit definierten, verbindlichen Standards begleitet werden (Piepho, 2000: 11; Piepho, 2001: 14), mit dem Argument ausgeräumt werden, dass einheitliche didaktisch-methodische Grundprinzipien für den Fremdsprachenfrühbeginn mittlerweile dank des Europäischen Referenzrahmens in die Kerncurricula der Bundesländer, die Englisch in der Primarstufe anbieten, aufgenommen worden sind.

Da aber die relativ offen und allgemein gehaltenen Bildungsstandards und Curricula für den Englischunterricht in der Grundschule (z.B. für Baden-Württemberg, 2004) „keine klaren, praktisch handhabbaren Kriterien für eine solide Unterrichtsplanung“ oder genaueren Hinweise „für die Entwicklung schuleigener Lehrpläne oder gar klassenspezifischer Arbeitspläne“ (Bebermeier, 2004: 33) bieten können, stellt Gehring (2001a:24) – trotz einiger Gegenstimmen, die das „Schattendasein“ des Lehrwerks „in der akademischen Diskussion“ aufrechtzuerhalten versuchen – richtigerweise fest: „[...] seinen Siegeszug in die Grundschulen hat es [das Lehrwerk] längst angetreten.“ Schließlich handelt es sich bei aktuellen Lehr- und Lernmaterialien nicht mehr um das traditionelle, auf Instruktion und linear-grammatische Abfolge ausgelegte Lehrbuch, sondern um multimediale Materialensembles (vgl. 2.2.), „[that] are based on the assumption that competence in the foreign language is not achieved by instructing the children about the new language, but by doing tasks and activities in it” (Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 2, Hervorhebungen im Original).

Somit übernehmen Lehrwerke im frühen Fremdsprachenunterricht bedeutende Funktionen für Lehrer/innen wie auch für Schüler/innen: Sie gewährleisten die Einhaltung von staatlichen und curricularen Vorgaben (Krumm, 1999: 119) und setzen diese in konkrete vorstrukturierte, aufeinander abgestimmte Lernziele, Inhalte, Texte, Aktivitäten, Aufgaben, Übungen und methodische Hinweise um (Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 2; Piepho, 2000: 11; Bausch, 1999: 17), wodurch ihnen eine wichtige Steuerungsfunktion zugeschrieben werden kann, die von Leupold auch als „Leit- und Orientierungsfunktion“ (vgl. Königs, 1999: 108), von Gogolin (1999: 81) als „Wegweiserfunktion“ (vgl. Weskamp, 2003b: 129) und von Bausch (1999: 17) als „Funktion eines Lehr- und Lernschrittmachers“ bezeichnet wird.

[...] sie [Lehrwerke] steuern und beeinflussen im übergeordneten Sinne den gesamten Unterrichtsprozess. Dies betrifft gleichermaßen die Inhaltsebene, die unterrichtsmethodischen Prinzipien, die Progressionsstrukturen sowie die Qualitätsstandards insgesamt. (ebd.)

Laut Vollmuth (2004: 30) „sind auf der Primarstufe die Lehrerhandreichungen am wichtigsten, da sie detaillierte Vorschläge zur methodisch-didaktischen Unterrichtsgestaltung machen und sowohl was die Auswahl von Wortschatz als auch von Strukturen betrifft vorentscheidend sind.“ Sie leisten beträchtliche Hilfsdienste durch ihre Information über die „tricks of trade“ (Schmid-Schönbein, 2001: 98, Hervorhebungen im Original), denn „viele Lehrkräfte [wagen] ihre ersten Schritte auf dem Boden des frühen Fremdsprachenunterrichts und empfinden dabei ein geeignetes Lehrwerk, das Hilfe und Tipps gibt, als nützlich“ (Drese, 2003:23).

Es steht außer Frage, dass auch der Englischunterricht in der Primarstufe ein Leitmedium braucht. Lehrkräfte wären sonst schnell überfordert, [müssten sie selbst immer für geeignete Materialien und Inhalte sowie für Kohäsion und Systematik sorgen][7]. Ein Lehrwerk nimmt den Lehrkräften diese Entscheidungen ab und liefert gleichzeitig alle Texte, Materialien und Medien, die ein grundschulgemäßes Unterrichten der Fremdsprache ermöglichen. (Schocker-v. Ditfurth, 2003: 26)

Die Notwendigkeit, Lernern ein Gefühl von Struktur und Zusammenhang zu vermitteln, resultiert aus der Natur des Sprachenlernens, wo Lernfortschritt bzw. Lernerfolge immer vorausgegangene Lernerfolge voraussetzen (vgl. Schmid-Schönbein, 2001: 140). Bei der Reihenfolge der Unterrichtsschritte handelt es sich aber, nicht um die (als längst überholt geltende) linear-grammatische, sondern um eine thematische Progression (vgl. Schocker-v. Ditfurth, 2003: 26; Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 18; Vollmuth, 2004: 30), die sowohl der Dynamik und Spiralität von Sprachlern- und -erwerbsprozessen gerecht wird als auch Lernprogression im Sinne einer Lern -Orientierung (Timm, 1999: 218, s.o.) bzw. „learning- centred perspective“ (Cameron, 2001: 1) ermöglicht.

„Wichtig scheint an dieser Stelle, dass wir uns von unserer selbst erlebten Sekundarstufen-Vorstellung von Lehrwerken lösen: Es geht nicht darum, eine grammatische Progression zu verfolgen und zu diesem Zweck alle Units ohne Auslassungen und in genau dieser Reihenfolge durchzuarbeiten. Viele Materialien verstehen sich eher als Sammlung von einzelnen, flexiblen Bausteinen, die man unabhängig voneinander einsetzen kann und unterliegen – wenn überhaupt – eher einer kommunikativ-thematischen Progression.“ (Vollmuth, 2004: 30)

Vollmuths Metapher, nach der das Lehrwerk einem Baukasten gleicht, aus dem sich Lehrende je nach Bedarf bedienen bzw. einzelne Bausteine (Ideen, Inhalte, Unterrichtsschritte etc.) daraus entnehmen und diese im Hinblick auf die Eignung für ihre Lerner und Lernsituation kombinieren können (vgl. Gerngross/ Schocker-v.Ditfurth, 2003: 2), korrespondiert mit Schmid-Schönbeins (1999: 98) und Weskamps (2003b: 120) Bild einer „Fundgrube“ und indiziert einen weiteren Aspekt: Trotz einer gewissen Struktur und Systematik müssen moderne Lehrwerke ‚offen’ sein, nämlich im Sinne der Gewährung von Spielräumen für Lehrende und Lerner für die Gestaltung jeder konkreten Unterrichtssituation (Tönshoff, 1999: 227-228). Nur dann, stellt Weskamp (2003b: 119) fest, können sie „flexible Mediationswerkzeuge[8] sein“, weist jedoch gleichzeitig auf die Schwierigkeit hin, diesen Funktionsaspekt, den er auch „Generierungsfähigkeit eines Lehrwerks“ nennt, „und seine Funktion als Strukturierungshilfe miteinander zu vereinbaren“ (ebd.: 121, Hervorhebungen im Original):

Lehrwerke stellen [...] immer einen Kompromiss zwischen Generierungsfähigkeit und Strukturiertheit dar. Im Hinblick auf einen entwicklungsorientierten Fremdsprachen-unterricht ist es jedoch wichtig, dass Lehrwerke überhaupt generierungsfähig sind und sich modular, eben als „Lernressource“ nutzen lassen. Hierzu gehört, dass

- sich einzelne units unabhängig voneinander bearbeiten lassen und mit beliebigen anderen units verknüpfbar sind,

- units durch andere Materialien (Internet, Bibliothek, Satellitenfernsehen) ergänzbar sind,

- eine Auswahl von Aufgaben zur Verfügung steht, die Lerngruppen einen unterschiedlichen Umgang mit dem Material gestattet.

Solch eine Auffassung geht von der Fähigkeit und Bereitschaft der Lehrkraft zu einer flexiblen, reflektierten Handhabung von Lehrwerken aus. Auf den tatsächlichen Umgang mit diesen Werken in der Unterrichtspraxis wird in Kapitel 4.3.1. eingegangen.

Zuletzt sei auf eine für fremdsprachliche Grundschulmaterialien spezifische Bedeutung verwiesen, die häufig vernachlässigt wird: Lehrwerke fungieren auch als Vermittler zwischen der Primar- und der Sekundarstufe. Entgegen Freudensteins (1999: 65) unverständlicher Überzeugung, die „früh beginnende Fremdsprache sollte auf der Sekundarstufe I nicht weitergeführt werden“, steht die Notwendigkeit einer erfolgreichen Fortführung der in der Grundschule erworbenen fremdsprachlichen Fähigkeiten in den weiterführenden Schulen außer Frage (Bliesener, 2000; Schmid-Schönbein, 1998: 110 ff.; Schmid-Schönbein, 2001: 154 ff.; Weskamp, 2003b: 42-45; Piepho, 2001: 16), weshalb sich „Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufe I [...] mit dem Methodenrepertoire der fremdsprachlichen Grundschularbeit [...] vertraut machen sollten“ (Schmid-Schönbein, 1998: 111). Dabei können Grundschullehrwerke sehr behilflich sein, ebenso wie bei der Gewährleistung gewisser sprachlicher Kenntnisse und Fertigkeiten, um dem „oft gehörte[n] Vorwurf der Sekundarschule, der Fremdsprachenunterricht der Grundschule sei eher durch Beliebigkeit bestimmt als durch Verlässlichkeit in den Ergebnissen, mit denen man rechnen und auf die man sich einstellen könne“, entgegenzuwirken (ebd.: 112 f.; vgl. Bliesener, 2000: 18).

3. Die Entwicklung und Erforschung von Lehrwerken im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen

3.1. Notwendigkeit der Erforschung und Evaluation von Lehr-werken

Die prominente Rolle, die kommerzielle Materialien auch weiterhin im Fremdsprachenunterricht spielen, macht es notwendig, sie im Hinblick auf ihre Qualität und Effektivität zu untersuchen, zu evaluieren und, wenn nötig, entsprechend zu modifizieren bzw. zu adaptieren (Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 2). Da sich die Wahl eines Lehrwerks „ganz entscheidend auf die Qualität des Unterrichts, auf den Umfang der häuslichen Vorbereitungsaufgaben der Lehrkräfte und auf die allgemeine Motivationslage der Lernenden direkt auswirkt“ (Kieweg, 1999: 35), muss diese Auswahl sorgfältig, überlegt und kritisch erfolgen. Für ihre Entscheidungsfindung benötigen Lehrkräfte, die auf dem für sie meist neuen Gebiet immer noch relativ unsicher sind, einen Überblick über die aktuell erhältlichen Lehrwerke sowie geeignete Beurteilungskriterien (Krumm, 1999: 125).

Darüber hinaus wird die Qualität kommerzieller Unterrichtsmaterialien durch den dynamischen und häufig undurchsichtigen Prozess ihrer Konstruktion und Produktion bestimmt (siehe 3.2.4.) und kann ebenfalls nur durch eine ständige systematische Evaluation, Überprüfung und Überarbeitung gewährleistet werden (vgl. Tomlinson, 1999: 4 f., 146; Krumm, 1999: 125). Last but not least unterliegen Forschungs-erkenntnisse, Methodentrends und Lernbedingungen permanenten Veränderungen, was zu dem Schluss führt: Auch „Materials should keep changing“ (Tomlinson, 1998: 146; vgl. Kieweg, 1999: 64).

Die Forschungsanstrengungen zielen also auf eine ständige Sicherung und „fortschreitende Verbesserung der Qualität von Lehr- und Lernmaterialien im Dienste der Erleichterung, Humanisierung und Effektivierung von Lehr- und Lernprozessen“ ab, wobei unter ‚Humanisierung’ „Aspekte wie Lebensqualität, Spaß am Lernen, Qualität der Begegnung von Lernenden sowie Lernenden und Lehrenden“ zu verstehen sind (Barkowski, 1999: 11).

3.2. Schwierigkeiten, Ziele und Perspektiven bei der Erforschung und Beurteilung von Lehrwerken

3.2.1. Zur Situation der Lehrwerkforschung

PROBLEMATIK I:

Auf dem Gebiet der Erforschung fremdsprachlicher Lehr- und Lernmaterialien, so wird vielfach kritisiert, habe sich generell seit den siebziger Jahren, der Zeit der ersten bedeutenden Veröffentlichungen dieses Forschungsfelds im Bereich der Fremdsprachendidaktik (z.B. Heuer/ Müller, 1973; Neuner, 1979; Knapp-Potthoff, 1979), bis weit in die neunziger Jahre hinein nur wenig getan (Freudenstein, 1999: 63 f.; Gnutzmann, 1999: 71; Kieweg, 1999: 34 f.; Königs, 1999: 105 ff.; Leupold, 1999: 138; Neuner, 1999: 161). Insbesondere bemängelt wird die wenig systematische sowie dürftige empirische und praxisbezogene Forschung, d.h. die zu einseitige Konzentration auf eine theoretische Analyse von Lehrwerken bei mangelnder Berücksichtigung der am Unterrichtsprozess Beteiligten (Lehrkräfte, Schüler/innen) wie auch weitgehend fehlender Untersuchung der konkreten Wirkung von Lehrwerken auf fremdsprachliche Lehr- und Lernprozesse (vgl. Barkowski, 1999: 13; Bausch, 1999: 17 f.; Krumm, 1999: 122; Legutke, 1999: 133 f.; Henrici, 1999: 85 f.; Masuhara, 1998). Demnach besteht ein erhebliches Defizit zwischen Theorie und Praxis.

PERSPEKTIVEN:

Aufgrund der skizzierten dürftigen Erforschung von Lehrwerken verwundern die zahlreichen Forderungen in dieser Hinsicht nicht. Verlangt wird eine sowohl wissenschaftliche bzw. theoretische als auch eine praktische bzw. fachliche Fundierung der Lehrwerk-Evaluation (vgl. Neuner, 1999: 164; Quetz, 1999a: 171; Bausch, 1999: 18 f.; Gnutzmann, 1999: 73; Krumm, 1999: 126) sowie eine stärker prozess- statt wie bisher überwiegend produktbezogene Lehrwerkforschung (Leupold, 1999; Meißner, 1999; Legutke, 1999; Knapp-Potthoff, 1999), d.h. eine empirische Forschung, die nicht ausschließlich das Lehrwerk analysiert, sondern dessen Wirkung und Wirksamkeit auf fremdsprachliche Lehr- und Lernprozesse untersucht (Tönshoff, 1999: 229-230).

PROBLEMATIK II:

Obwohl vielfach geäußert wird, trotz aller Kritik nehme die Tendenz, Lehrwerke zu einem zentralen Gegenstand der Sprachlernforschung und der Fremdsprachendidaktik zu machen, zu (Gnutzmann, 1999: 71; Freudenstein, 1999: 63-64; Bausch, 1999: 18; Krumm, 1999: 122; Legutke, 1999: 133 f.; Neuner, 1999:161; Ellis, 1998: 217), so gilt das höchstens für den Sekundarbereich. Was dagegen die Grundschule anbelangt, trifft man kaum auf „Artikel, die sich kritisch mit der Qualität von Unterrichtsmaterialien des Frühbeginns auseinander setzen“ (Gehring, 2001a: 24).

PERSPEKTIVEN:

In Bezug auf Lehrwerke im Bereich des frühen Fremdsprachenunterrichts besteht in jeder Hinsicht (Analyse, Erprobung etc.) dringender Forschungsbedarf.

3.2.2. Kriterienkataloge

PROBLEMATIK:

Existierende Kriterienkataloge, so Bausch, beschränken sich „in der Regel auf die rezeptive, vom fremdsprachenunterrichtlichen Kontext abgehobene Perspektivierung“ (ebd.; vgl. Königs, 1999: 108 f.; Kieweg, 1999: 33 f.). Umgekehrt wiederum fehlt Kriterienkatalogen, „die sich [lediglich] aus der Praxis entwickelt und unterrichtlich bewährt haben„ (Kieweg, 1999: 35), die folglich auf rein subjektive Überzeugungen und Theorien der Fremdsprachenlehrer/innen bzw. auf „intuitiv-empirische Ansätze“ (Bausch, 1999: 17) zurückgehen, die wissenschaftliche Untermauerung (vgl. Littlejohn, 1998: 191; Wendt, 2000: 9; Ellis, 1998: 221). Gnutzmann (1999: 72) kritisiert an solchen „vor allem von Fremdsprachendidaktikern und angewandten Linguisten entwickelten Kataloge[n], daß sie mit Blick auf die “herrschenden“ fachdidaktischen Konzeptionen ihrer Zeit Kriterien definieren [...] [und] daß durch sie Daten erhoben werden, von denen überhaupt nicht klar ist, wie sie bei einer Evaluation zu gewichten sind.“ Aus diesem Grund, erläutert Quetz (1999b: 5 f.), sind die meisten „Kriterienraster“ bei zunächst scheinbarer Offenheit und Deskriptivität „normativ, sobald man sie zur Bewertung von Lehrwerken heranzieht.“

Von der Schwierigkeit einer sowohl wissenschaftlichen als auch praxisbezogenen Fundierung von Evaluierungskriterien schließt Kieweg (1999) auf die prinzipielle Unmöglichkeit, differenzierte und gleichzeitig allgemein verbindliche, von subjektiven Überzeugungen abgekoppelte Kriterienkataloge anzulegen (vgl. Littlejohn, 1998: 195; Ellis, 1998: 221; Gnutzmann, 1999: 73; Edelenbos/ Kubanek-German, 2001). Knapp-Potthoff (1999: 101 f.) beanstandet an Kriterienkatalogen die Vermengung deskriptiver und bewertender Aussagen zu Materialien und kommt schließlich zu der Ansicht, wirklich „brauchbare Evaluationskriterien könn[t]en [...] nur für gewisse Aspekte von Lernmaterial formuliert werden, und dies oft auch nur in Form von Negativkriterien.“

Um die Qualität von Unterrichtsmaterialien speziell für den Grundschulenglischunterricht untersuchen und bestimmen zu können, bedarf es einer Klärung des viele Bedeutungen und Konnotationen umfassenden Begriffs für diesen Kontext. Da jedoch Forschungsarbeiten zu Fremdsprachenmaterialien im Primarbereich weitgehend fehlen, es auch generell kaum umfassende Untersuchungen zu fremdsprachlichen Lernprozessen in der Grundschule gibt (Cameron, 2001: 242 f.), stößt man bei einer Bemühung, objektive Qualitätskriterien für den frühen Fremdsprachenunterricht zu definieren, recht schnell auf Grenzen, denn jeder „hat seine eigenen Vorstellungen“ von Qualität (Edelenbos/ Kubanek-German, 2001: 24; vgl. Piepho, 2001).

Edelenbos & Kubanek-German (2001: 24) nennen wichtige Leitfragen dieser Problematik: „[...] ist Qualität nur dann vorhanden, wenn die genannten Umstände alle im Kombi-Pack zu beobachten sind? [...] Wer bestimmt darüber, was Qualität sein soll? Und: Kann man sie objektivieren?“ (ebd.). Sie kritisieren methodische Ratschläge in Handreichungen und Fortbildungen, die bei ihrer Befolgung einen erfolgreichen Unterricht versprechen und somit eine für Sprachlernprozesse unzulässige „Wenn-Dann-Relation“ herstellen (ebd.: 25).

PERSPEKTIVEN:

Bei allen Problemen, die mit Kriterienkatalogen verbunden sind, benötigen Lehrkräfte dennoch Entscheidungshilfen in Form von wissenschaftlich abgesicherten Evaluationskriterien (Kieweg, 1999; Krumm, 1999; Littlejohn, 1998; Neuner, 1999).

Die immer stärker zu berücksichtigenden Forschungsergebnisse der Bezugswissenschaften der Fachdidaktik und die veränderten pragmatischen Bedürfnisse der Lernenden [...] erschweren einerseits die Aufstellung eines verbindlichen Katalogs erheblich, sind aber andererseits die einzige Möglichkeit, aus der unverbindlichen fachdidaktischen Spekulation herauszukommen. Gleichzeitig macht die multifaktorielle Abhängigkeit der Fachdidaktik von den Bezugswissenschaften eine beständige Modifikation der Evaluierungskriterien notwendig. Kriterienkataloge haben also nicht das ewige Leben[,] keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sind auch keineswegs für alle Schülerbücher verbindlich. (Kieweg, 1999:37, 64)

Mit der Intention, Grundschullehrkräften bei der Aufstellung angemessener Kriterien zu helfen, haben Gerngross & Schocker-v. Ditfurth (2003) erstmals für den Primarbereich ein Modul zur Evaluation von Fremdsprachenlehrwerken entwickelt. Auch Weskamp (2003b: 118 f.) liefert für die Beurteilung von Lehrwerken einen Fragenkatalog, der aber relativ unstrukturiert und unübersichtlich ist. Eine erste Übersicht über die neuesten auf dem Markt erhältlichen Angebote an Lehrwerken für den Grundschulenglischunterricht biete, so Schmid-Schönbein (1998: 112), Hamm, jedoch mag diese von 1996 stammende Zusammenstellung inzwischen einer Aktualisierung bedürfen.

Dabei soll hier die Anmerkung erlaubt sein, dass Schmid-Schönbein (1999: 98) trotz ihrer herausragenden Arbeit nicht ausreichend objektive Hilfe für die Lehrwerkauswahl liefert. Sie gibt zwar den knappen Hinweis, es bleibe die Entscheidung der Lehrkraft, zwischen „der Fülle der Anregungen auszuwählen“, warnt jedoch nicht explizit vor einem zu einseitigen bzw. strikten Gebrauch kommerziellen Unterrichtsmaterials (vgl. ebd.: 99).

Sie ermuntert auch nicht direkt zur kritischen Reflexion und Evaluation des Materials, vermittelt vielmehr den etwas naiven, allzu optimistischen Eindruck, alle Lehrwerke für Englisch für die Grundschule seien bis ins Detail von höchster Qualität und eine gezielte, überlegte Auswahl von Anregungen wäre allenfalls nötig, um den Bedürfnissen der jeweiligen Lerngruppe gerecht zu werden (was auch stimmt), nicht aber um der eigentlichen Qualität der vielen Aktivitäten, Geschichten, Lieder u.a.m. willen. Die Autorin versichert den Lehrenden sogar, sie könnten „darauf vertrauen, dass die gebündelte Unterrichtserfahrung, die in das Lehrerhandbuch eingegangen ist, für Sie [die Lehrkraft] Anregungen, Leitfaden und Unterstützung sein wird und einen sinnvollen Aufbau und Ausbau der Lernfortschritte sichert“ (ebd.: 99).

Lehrende sollten aber weder auf Lehrwerke noch auf Kriterienraster blind vertrauen, sondern diesbezüglich ein eigenes Reflexionsvermögen herausbilden und bewahren (vgl. 4.3.1.). Doch auch die „Qualitätskriterien müssen so flexibel sein, dass sie Raum für das Unerwartete lassen“ (Edelenbos & Kubanek-German 2001: 25).

3.2.3. Berücksichtigung und Beteiligung der Lehrkräfte

3.2.3.1. Lehreraus-, -fort- und -weiterbildung

PROBLEMATIK:

Als einer von vielen Faktoren haben Lehrende durch die Auswahl und den Einsatz von Lehrwerken Einfluss auf deren Wirkung und somit auf fremdsprachliche Lehr- und Lernprozesse (siehe 4.3.). Es genügt allerdings nicht, Lehrerinnen und Lehrern eine Liste an noch so sorgfältig ausgewählten Kriterien für die Bewertung eines Lehrwerks an die Hand zu geben, wenn diese von ihnen im Sinne einer allgemein- und immergültigen Schablone, unreflektiert und ohne eine gewisse Basis an Kenntnissen über die Wirkung von Lehr- und Lernmaterialien auf Sprachlernprozesse auf jede beliebige Lehr- bzw. Lernsituation und Lernergruppe angewendet wird und ihnen somit „die Verantwortung für die Entscheidungen [...] zumindest in grundsätzlicher Hinsicht [...] abzunehmen“ scheint (Bausch, 1999: 17).

PERSPEKTIVEN:

Die Auffassung von der idealen Lehrerrolle geht von einer selbstbewussten, selbstständigen, selbstverantwortlichen Lehrkraft aus (vgl. Legutke/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 24), die unter anderem fähig ist zu einer eigenständigen und kompetenten Anwendung von Qualitätskriterien sowie einem angemessenen Umgang mit Lehr- und Lernmaterialien. Die Herausbildung dieser Fähigkeit setzt allerdings eine entsprechend qualitätsvolle Lehreraus- -fort- und -weiterbildung voraus (Masuhara, 1998: 251; Krumm, 1999: 126; Piepho, 2000: 11; Piepho, 2001: 14 ff.), die auch, aber nicht ausschließlich theoretisches Wissen transferiert, sondern, was noch entscheidender ist, Lehrkräfte dazu befähigt, dieses Wissen handelnd auf Unterrichtskontexte zu übertragen. Voraussetzung hierzu ist, dass sie im Sinne einer Integration von „Wissenschaft und Schulpraxis“ (Legutke/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 18) zwischen beiden Bereichen vermittelt, um als solche Lehrende dabei zu unterstützen, „interpretatives Sinnverstehen“ und „situatives Urteilsvermögen“ zu entwickeln (ebd.: 17, Hervorhebung im Original; vgl. Schocker-v. Ditfurth, 2003).

Es bedarf deshalb keiner weiteren Begründung, daß in einer wissenschaftlichen, Theorie und Praxis verbindenden Lehrerausbildung [...] Lehr- und Lernmaterialien in verschiedenen Phasen des Studiums obligatorischer Gegenstand der universitären und schulpraktischen Ausbildung sein müssen. (Gnutzmann, 1999: 67; vgl. Knapp-Potthoff, 1999: 100; Krumm, 1999: 126; Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 23; Andreas, 1998: 25 f.)

3.2.3.2. Involvierung der Lehrenden in die Prozesse der Lehrwerkforschung und -entwicklung

PROBLEMATIK I:

Obwohl sie keine professionellen Forscher sind, können Lehrer/innen mit vielen wertvollen Erfahrungen zu einer erkenntnisreicheren Beurteilung, aber auch zur Entwicklung von Lehrwerken beitragen, vor allem in Bezug auf deren Wirkungsweise und Wirksamkeit im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen[9], was aber bisher wenig Berücksichtigung fand.

Teachers spend far more time observing and influencing the language learning process than do researchers or materials developers. Yet little research has been done into what teachers believe is valuable for language learning and little account is taken what teachers really want. […] But it is the teachers who could tell us most. (Tomlinson, 1998: 22, 262)

Perspektiven:

Aus diesem Grund ist mittlerweile in zahlreichen fremdsprachendidaktischen Publikationen das Plädoyer für eine (stärkere) Berücksichtigung und Einbeziehung der Lehrenden – und auch Lehramtsstudierenden (Knapp-Potthoff, 1999: 100; Gnutzmann, 1999; Legutke/ Schocker-v. Ditfurth, 2003) – in die Prozesse der Lehrwerk-Entwicklung, -Forschung, -Erprobung und -Evaluation zu finden (Königs, 1999: 110; Krumm, 1999: 126; Leupold, 1999; Neuner, 1999; Legutke/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 16ff.; Masuhara, 1998; Jolly/ Bolitho, 1998: 110 ff.; Tomlinson, 1998; Gogolin, 1999: 82), obgleich – oder vielleicht gerade weil – der derzeitige Trend eher auf eine immer stärkere Trennung der Rollen als Hersteller (Autoren, Verlage) oder Verbraucher (Schulen, Lehrer/innen, Lerner, Eltern) hindeutet (Masuhara, 1998: 246 f.).

PROBLEMATIK II:

Jede Medaille hat jedoch zwei Seiten: Nicht alle Lehrkräfte können oder wollen – aus nicht ganz unverständlichen Gründen – zusätzliche Arbeits- und Zeitinvestitionen erbringen (vgl. Tomlinson, 1998: 261; Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 27). Immerhin, so Quetz (1999a:169), ist das schließlich der Sinn einer „arbeitsteiligen Gesellschaft“, dass sich Lehrer/innen „durchaus auch Spezialisten für Lehrmaterialherstellung anvertrauen dürfen.“ Dennoch warnt Masuhara (1998: 248) davor, sich blind darauf zu verlassen, die Bedürfnisse, Lernziele etc. seien von den Lehrmaterialherstellern bereits sorgfältig ermittelt worden.

The writers and publishers of a textbook may or may not have gone through the stages of needs analysis, specification of the goals and objectives, designing the syllabus, and choosing the methodology but the teachers and administrators are even less able to oversee these processes than before […]. (ebd.)

Durch solch ein ‚falsches’ Vertrauen würden wichtige Schritte der Unterrichtsentwicklung aus den Händen der Lehrenden und Schulen in die Hände der Lehrwerkproduzenten gegeben, die nun einen größeren Einfluss auf die Unterrichtsgestaltungsprozesse hätten als die Lehrkräfte (ebd:248f.).

PERSPEKTIVEN:

Im Sinne eines Lösungsvorschlags fordert Masuhara (ebd.: 251; vgl. Tomlinson, 1998: 341) Maßnahmen, die er unter „Empowerment of teachers“ (ebd.: 250) zusammenfasst, unter anderem eine stärkere Berücksichtigung der „needs and wants“ der Lehrkäfte bei der Materialentwicklung sowie eine höhere Wertschätzung „of the teachers’ non-teaching expertise and workload“, ähnlich wie Donovan (1998: 166), der mit „teacher care and involvement“ den persönlichen (formellen wie auch informellen) Kontakt mit Lehrkräften meint. Man müsse Lehrende hinsichtlich ihrer Erprobungs- und Forschungstätigkeiten ernst nehmen, unterstützen und ihnen ein Gefühl der Wichtigkeit und Wertschätzung geben.

In fact, a teacher may be expected to function as a course designer, needs analyst, methodologist and materials writer. Often these non-teaching activities seem to be considered as part of teachers’ duties without them being properly appreciated or acknowledged. More systematic materials selection, for example, could really be achieved if teachers were given the time, a place and encouragement. […] And this requires more creative thinking and new approaches; in order for the teachers to be willing to be involved, then the procedures in themselves should be intrinsically rewarding for them. (Masuhara, 1998: 252, 254)

Zu letzterem Desiderat führt Masuhara mehrere Möglichkeiten an, um die intrinsische Motivation der Lehrenden zur Beteiligung an Prozessen der Lehrwerkerforschung und -entwicklung zu wecken, wie beispielsweise deren Einladung zu Evaluationstreffen als „half a day lunch and coffee meeting with all expenses paid plus some payment on top if possible“ (ebd.: 254). Allerdings stellt sich hier die Frage nach der Umsetzung und Finanzierung.

Donovan (1998: 167 f.) sieht die Vorzüge von Erprobungen für Schulen, Lehrer/innen und Schüler/innen folgendermaßen:

It does seem as though the main motivational factors may be affective ones such as the chance to use something new which might be stimulating to the class and the teacher, the opportunity for contact with people outside the day to day world of the classroom such as publishers and authors, the sense of being valued for one’s work and opinions by outsiders, as well as the more altruistic aim for making a contribution to the success of future generations of materials.

Allerdings mutet Donovans Auffassung in mancher Hinsicht ziemlich realitätsfremd an, z.B. dass rein altruistische Motive und nicht finanzielle Vorteile (ebd.: 167) Entscheidungskriterium für die Teilnahme an Erprobungen seien. Neben entgeltlicher Belohnung kann die kostenlose Bereitstellung von Material durch die Verlage für viele Lehrer/innen und Schulen, aber auch für Schüler/innen und Eltern sicherlich ebenfalls einen Anreiz darstellen. Doch könnte eine affektive Motivation beispielsweise durch eine namentliche Danksagung an die Lehrenden und Institutionen in der endgültigen Fassung eines Lehrwerks generiert werden, denn „this can give strong professional satisfaction, particularly in the case of a publication which becomes established and successful“ (ebd.: 168). Und schließlich könnten Lehrkräfte, die bereits an der Entwicklung und Erprobung von Unterrichtsmaterial mitgearbeitet haben, weitere Lehrkräfte einweisen und fortbilden.

3.2.4. Lehrwerkentwicklung

3.2.4.1. Theorien der Lehrwerkautoren

PROBLEMATIK:

Eine Schwierigkeit bei der Entwicklung von Lehrwerken ist, dass sich die Mehrheit der Autoren offenbar auf ihre Intuition verlässt und eher eigenen Vorstellungen und Absichten folgt als klar definierten Zielen, Prinzipien und Verfahren. Zwar gehen solche Annahmen häufig auf richtige Eindrücke und bewährte Erfahrungen darüber zurück, was sprachlernprozessfördernde Materialien ausmacht (Tomlinson, 1998: 4 f.; Prowse, 1998: 136 f.; Gengross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 7), doch reicht dies für eine Qualitätsgarantie nicht aus.

PERSPEKTIVEN:

Lehrwerkautoren sollten ihre Schreibprozesse transparenter machen und systematisch fachdidaktische und fachwissenschaftliche Prinzipien sowie sprachlerntheoretische Erkenntnisse berücksichtigen. Die Lehrwerkforschung sollte diese Prozesse begleiten und dokumentieren (Legutke, 1999: 133; Neuner, 1999: 164).

3.2.4.2. Politik der Verlage

PROBLEMATIK:

Lehrwerke, deren Produktion und deren Vermarktung haben sich mittlerweile zu einem kommerziellen Phänomen mit Anbietern und Verbrauchern entwickelt, das weniger von didaktischen Überlegungen als vielmehr von Angebot und Nachfrage, vor allem von den wirtschaftlichen Interessen der Verlage bestimmt wird (Leupold, 1999: 138; Masuhara, 1998: 246 f.; Gnutzmann, 1999: 70 f.; Meißner, 1999: 153; Quetz, 199b: 7). Die „Befruchtung der Produktion“ von kommerziellem Material durch aus empirischer Wirkungsforschung gewonnene Erkenntnisse ist äußerst defizitär, so dass „die meisten Lehrmaterialproduktionen [...] [höchstens] fremdsprachendidaktische Forschungstrends widerspiegeln“ (Königs, 1999: 106, vgl. 109), oder nicht einmal das:

Verlage betreiben […] eine vorsichtige Politik zwischen den am Markt etablierten Normen und gut dosierten Innovationen […]. Letztere sind der Versuch, durch begrenzte Variation der von der Kundschaft akzeptierten Normen neue Kaufanreize zu schaffen. Lehrwerke folgen somit nicht unbedingt den aktuellsten Normen der Fachdidaktik […]. Manchmal wissen die Verlage zwar, dass ihr Produkt nicht den Einsichten der Forschung entspricht – und produzieren es trotzdem. (Quetz, 1999b:8)

Zu einer Änderung dieser Sachlage trägt die Tatsache, „dass diejenigen Englischlehrwerke die größten Verkaufserfolge haben, die von Auflage zu Auflage am vorsichtigsten mit Neuerungen umgehen“ (ebd.: 11), nicht gerade bei. Verlage üben einen (oft zu) großen Einfluss auf die Lehrwerk- und Unterrichtsgestaltung aus (Meißner, 1999: 153; Masuhara, 1998: 248 f.). Die beträchtliche Verantwortung, die ihnen dadurch zukommt, verlangt, die Prozesse der konkreten Lehrwerkentwicklung für andere Beteiligte transparent zu machen. Dies ist allerdings nur sehr begrenzt durchführbar, da „sich die Verlage nicht gern ‚in die Karten schauen’ lassen“ (Neuner, 1999: 164). Es gibt so gut wie keine Publikation von Lehrwerkautoren und -herausgebern, die den Prozess der Lehrwerkentstehung dokumentieren würden oder die wenigen existierenden „reports [...] remain ‚for-your-eyes only’ for the insiders“ (Masuhara, 1998: 253).

PERSPEKTIVEN:

Bezugnehmend auf die mangelnde Berücksichtigung von Erkenntnissen aus Fachwissenschaft, -didaktik und Sprachlernforschung bei der Herstellung von Unterrichtsmaterialien fordert Meißner (1999: 153 f.) von Seiten der Didaktik „eine Art Verbraucheraufklärung“ im Sinne „einer wissenschaftlich fundierten Sprachlernberatung“, welche auch die Zulassungsgremien für Lehrwerke erreichen müsse. Das bedeutet: „Die Ergebnisse der relevanten Forschungen müssen diesen Gremien frühzeitig zur Kenntnis gebracht werden.“

Um der zweifelhaften Politik der Verleger hinsichtlich ihrer Orientierung an primär merkantilen Interessen entgegenzuwirken, ist Quetz (1999a; 1999b) der Überzeugung, „Lehrwerkverlage müßten gezwungen sein, eine [...] Pilotversion zu dokumentieren, um die Wirkung ihres Produkts in der Praxis nachzuweisen – ähnlich der Erprobung eines Arzneimittels“ (1999a: 171 f.). Außerdem verlangt er von Verlagen, „eine Art umfassenden „Feldversuchs“ nach der Einführung eines Lehrwerks“ durchzuführen (ebd.: 172). Zwar räumt er – ähnlich wie Donovan (1998: 187) – ein, dass „dieser Prozeß teuer“ sei (ebd.) und „Verlage [...] ein nicht unbeträchtliches wirtschaftliches Risiko“ trügen (1999b: 8), doch „the future of piloting is not in doubt“ (Donovan 1998: 187):

The size of publishers’ investment in main courses and major support material is such that it is well worthwhile to keep the material up to date and responsive to user feedback by producing new editions of successful publications. A successful first edition actually represents a very wide-scale pilot, from which extensive feedback can be collected in order to prepare the new edition.

Zweifel an der Durchführbarkeit und am Erfolg solcher ‚Zwangserprobungen’ in Quetz’ Sinne (vgl. Königs, 1999: 109) sind jedoch durchaus angebracht. Auf der Suche nach Lösungsperspektiven zeigt Tomlinson hingegen mehr Verständnis für die Verleger und fordert, deren Innovationsbereitschaft zu fördern, ohne sie einem finanziellen Risiko auszusetzen:

In the current economic climate […] we cannot expect publishers to be experimental and innovative. They need to produce what they can expect to sell whilst […] striving as much as they can to ensure that their materials are of value to their users. But is this enough? If the publishers are not going to experiment, who is? And if we do not experiment, how do we make progress? The answer has got to lie in more pooling of expertise and resources so that we can help publishers to find out which innovations might be well-received and ultimately profitable. And we have got to help publishers to conduct more radical experimentation without the risk of financial disaster. (Tomlinson, 1998: 343)

Die Problematik scheint immer wieder auf die Frage nach der Finanzierung hinauszulaufen. Allerdings wäre abzuwägen, wie viel Nachsicht für die Verlage angebracht ist. In Bezug auf Erfahrungsaustausch und -kumulation ist das pooling of resources nicht nur möglich, sondern auch dringend notwendig (siehe 3.2.5.), jedoch ist die Durchsetzung (bzw. freiwillige Bereitstellung) eines „funding […] provided by a consortium of universities and publishers“ (Tomlinson, 1998: 341; Hervorhebung K.K.) (zumindest in Deutschland, wo auch Hochschulen über beträchtliche Finanzprobleme klagen) nur schwer vorstellbar.

3.2.5. Kooperation der an Lehrwerkentwicklung, -forschung und -benutzung Beteiligten

PROBLEMATIK:

Die folgende Problematik hängt eng mit der vorhergehenden zusammen. Die starke Rollenaufteilung zwischen den producers und den users von Lehr- und Lernmaterialien (vgl. 3.2.3.2.) wird zunehmend zu einem Problem (Tomlinson, 1998: 23; Masuhara, 1998), das sich in einer Inkongruenz zwischen den Überzeugungen der Hersteller und den Bedürfnissen der Benutzer äußert und von Tomlinson wie folgt erlebt wird:

[…] the impression I am given is that most teachers are dissatisfied with the materials available to them. Yet publishers and ministries tell me that their impression is that the teachers are basically satisfied with these same materials. (Tomlinson, 1998: 261)

Die Ursache scheint in einer mangelnden Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den beiden Seiten zu liegen. Oft werden über Inhalte, Methodik und Design von Lehr- und Lernmaterial Entscheidungen getroffen, die auf reinen Vermutungen über die Bedürfnisse und Wünsche von Lehrkräften und Lernern beruhen, sowie auf subjektiven Eindrücken darüber, was im Unterricht ‚funktioniert’. Häufig beruhen diese Annahmen aber auf falschen Informationen oder sind nicht repräsentativ (ebd.). Auf der anderen Seite fehlen umfassende systematische Rückmeldungen der Lehrkräfte an die Hersteller. Doch auch innerhalb des Bereichs der Lehrwerkentwicklung werden Missstände beklagt (beispielsweise die unzureichende Involvierung der Autoren in den Prozess des Designs und der Illustration) (Prowse 1998: 140-141). Misskommunikation und eine dürftige Zusammenarbeit gefährden aber die Qualität der Materialien und somit des gesamten Unterrichts und verhindern darüber hinaus (die Aussicht auf) Verbesserung und Progress.

PERSPEKTIVEN:

Die Gewährleistung und Steigerung der Effektivität von Lehrwerken erfordert eine enge Zusammenarbeit aller an fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozessen (i.e. Lehrwerkentwicklung, -forschung, -einsatz, aber auch Lehreraus- und -weiterbildung) beteiligten Personen und Institutionen (Tomlinson, 1998; Masuhara, 1998; Legutke/ Schocker-v. Ditfurth, 2003; Prowse, 1998; Neuner, 1999; Krumm, 1999; Legutke, 1999; Bell/ Gower, 1998; Kieweg, 1999).

WE NEED TO FIND WAYS OF BRINGING TOGETHER RESEARCHERS, TEACHERS, WRITERS AND PUBLISHERS SO AS TO POOL RESOURCES AND TO TAKE ADVANTAGE OF DIFFERENT AREAS OF EXPERTISE IN ORDER TO PRODUCE MATERIALS OF GREATER VALUE TO LEARNERS OF LANGUAGES. (Tomlinson, 1998: 343; Hervorhebungen im Original)

More publications from the materials producers’ side […] would be a great step forward in promoting open and effective communication between the producers and users. (Masuhara, 1998: 253)

Doch auch von Seiten der Fremdsprachenlehrer/innen ist „more feedback (and […] more systematic feedback)” (Tomlinson, 1998: 261) an die Verlage längst überfällig. Die Mitarbeit von Universitäten würde weitere Vorteile bringen und zu einem „Erfahrungsaustausch durch Netzwerkbildung zwischen Forschung und Praxis“ beitragen (Legutke/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 25; vgl. Tomlinson, 1998). Nicht ganz eindeutig zu klären ist die Frage, ob solch eine Zusammenarbeit eine angenehme, produktive „collaboration“ (Tomlinson, 1998: 147; vgl. Schmid-Schönbein, 1999: 96) darstellt oder eher auf einem immerwährenden, einzelne Interessen einschränkenden „compromise“ beruht (Tomlinson, 1998: 147; vgl. Bell/ Gower, 1998). Die Antwort liegt wohl am ehesten dazwischen,

[…] in the overt establishment of agreed and justifiable principles followed by procedural compromises which cater for differing preferences, providing they are driven by one or more of the established principles. In other words, an approach to materials writing in which the on-going evaluation of the materials being developed is constantly informed by a checklist of agreed principles. This […] can work on any materials project providing one of the agreed principles is that different learners learn different things and in different ways. (Tomlinson, 1998: 148)

Aus obigen Erläuterungen ergibt sich, dass Kooperation nicht nur hinsichtlich der Lehrwerkgestaltung und -evaluation angebracht ist, sondern auch in Bezug auf die Publikation der Ergebnisse von Materialuntersuchungen „in einer ständig aktualisierten Lehrmaterialkritik“ in Form von „regelmäßige[n] Rezensionen“ (Quetz, 1999a: 171), welche in Deutschland selten sind und eher eine Art Werbung für die Verlage darstellen. Der Grund dafür ist, dass die Fachzeitschriften, in denen sie veröffentlicht werden, „alle von den Einkünften der Verlage aus Lehrwerkverkäufen alimentiert werden“ oder sogar „im gleichen Verlag“ erschienen sind wie das bewertete Lehrwerk selbst (ebd.).

3.2.6. Komplexität von Sprachlernprozessen

PROBLEMATIK:

Die Wirkung und Wirksamkeit von Lehr- und Lernmaterialien zu erforschen bedeutet zum einen zu untersuchen, welchen Einfluss sie auf Lehrprozesse der Unterrichtenden haben, zum anderen aber auch, wie sie die Fremdsprachenlernprozesse unterstützen, d.h. was sie in den Köpfen der Lerner tatsächlich bewirken und wie sie das tun. Dass Lehrwerke und fremdsprachliche Lehr- und Lernprozesse Teil eines komplexen Bedingungsgefüges sind und von vielen verschiedenen, miteinander vernetzten Faktoren abhängen (vgl. 2.3.1.), erschwert die Forschungsbemühungen (Stellen, Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 8).

Die besondere Problematik bei der empirischen Lehrwerkevaluation besteht allerdings darin, dass innerliche Prozesse der Lernenden nicht (direkt) von außen beobachtbar sind (Timm, 1999: 219; Donovan, 1998: 169; Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 8). „Die Erforschung der Effizienz von Lehr- und Lernmaterialien kann [...] nicht direkt untersucht werden, sondern stets nur vermittelt darüber, was der Schüler daraus macht“ (Scherfer, 1999: 202), i.e. über seine Verhaltensweise (vgl. Bleyhl, 1999: 24).

Zudem lässt sich zwischen der Gestaltung von Material, dem Lernprozess und Lernerfolg kein unmittelbarer „Ursache-Wirkungs-Zusammenhang“ herstellen (Königs, 1999: 109). Das Gelehrte wird nicht sofort und automatisch in ein mit ihm identisches Gelerntes umgesetzt (vgl. Gnutzmann, 1999: 73), d.h. Sprachlernprozesse können nicht mit einer „simple linear relationship between exposure to language and learning“ (Cameron, 2001: 200) erklärt werden. Mit anderen Worten, die bloße Bereitstellung eines bestimmten Inputs bedeutet nicht, dass dieser Input genau in der Form und dem Umfang oder überhaupt gelernt wird.

Sprachenlernen ist vielmehr ein dynamischer, mehrdimensionaler, nichtlinearer, „bio-psycho-sozialer“ Prozess (Bleyhl, 1999: 25; vgl. Bleyhl, 2000). Er vollzieht sich, indem Lerner fremdsprachliche Äußerungen „entsprechend ihrer individuellen Lerndispositionen (intellektuelle und affektive Faktoren) und Lernmodi sowie ihrer sozio-kulturell geprägten Wissensstrukturen: ihres Vorwissens und ihrer vorangegangenen Lebens- und Lernerfahrungen („Weltwissen“)“ (Timm, 1999: 219 f., Hervorhebungen im Original) aufnehmen, verstehen, mental verarbeiten. Lerner verhalten sich demnach nicht wie „Input-Output-Systeme“, sondern sie sind „nichttriviale Systeme“, die „von außen im einzelnen nicht analysierbar“ sind (Bleyhl, 1999: 24 f.). In diesem Zusammenhang sieht Bleyhl (1999: 23) bei der Erforschung von Fremdsprachenlehren und -lernen die potentielle Gefahr einer „Verfälschung“ der Prozesse und Ergebnisse, „wenn versucht wird, die Komplexität der Verläufe auf eine lineare, eindimensionale Sicht zu reduzieren.“

Schließlich verweist er noch auf ein weiteres, wenn nicht das „Urproblem gerade der Sprachlernforschung“ (ebd.: 30): die extreme, lediglich auf den Moment beschränkte Kurzlebigkeit von Kommunikations- und Bewusstseinsereignissen, die ihre komplette Erfassung im Grunde unmöglich macht.

Die Augenblicksereignisse der Kommunikation und auch des Bewußtseins sind Ereignisse, die im Entstehen sofort wieder verschwinden, die immer im Fluß, die nie stabil sind. Sie haben primär immer nur momentane Aktualität. [...] Dabei schneidet sich das Bewußtsein in der Regel nur einen kleinen Sektor des Ereignisses heraus, der dann das ganze momentane Bewußtsein ausfüllt, aber eben nur Partielles erfaßt. Das heißt, daß das Bewußtsein eines Probanden (a) allenfalls partielle Information liefern kann und (b) vor Verzerrungen nicht gefeit ist. (ebd.: 30 f.)

PERSPEKTIVEN:

Daraus ergibt sich, dass Forscher allenfalls in der Lage sind, in Form einer hermeneutischen Analyse ihre Beobachtungen und gesammelten Daten zu interpretieren und daraus eigene Schlussfolgerungen zu ziehen, welche jedoch unterschiedlich ausfallen können und nie eine Gewissheit darstellen (Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 8; Gnutzmann, 1999: 73; Bleyhl, 1999: 23).

Die den Sprachlehr- und -lernforscher interessierenden Prozesse sind nur dann adäquat zu erklären, wenn man sie als zirkuläre Rückkopplungsprozesse versteht, die sich innerhalb von Interaktionsgeschehen wie denen des Unterrichts (sozialpsychologische Ebene) und zugleich innerhalb eines Gehirns (individualpsychologische Ebene) vollziehen. [...] [Sie] sind analytisch unberechenbar und daher unvorhersagbar. (Bleyhl, 1999: 23 f.)

Insbesondere bleibt die Schwierigkeit, langfristige Lernerfolge zu messen bzw. festzustellen (höchstens annähernd möglich durch Vergleiche verschiedener Lerner und Klassen) (Tomlinson, 1998: 263f.).

3.2.7. Vielfalt an Forschungstheorien und -methoden

PROBLEMATIK:

Ebenso komplex wie Sprachlehr- und -lernprozesse ist das weite Gebiet der Sprachlern- und Lehrwerkforschung (vgl. Barkowski, 1999), das geprägt ist von einer unüberschaubaren Masse von Ansätzen und Methoden, und es fällt schwer, unter den zahlreichen Begriffen[10] wie synchronische und diachronische Analyse (Reinfried, 1999: 180; Neuner, 1999: 162), Mikro- und Makroanalyse (Ellis, 1998: 217 ff.; Reinfried, 1999: 180), Longitudinal- und Querschnittsstudie (Scherfer, 1999: 203 f.), partikular, systematisch, ideographisch (Reinfried, 1999), ethnographisch (Knapp-Potthoff, 1999: 101; Weskamp, 2003b: 65), produkt- oder prozessbezogen (ebd.; Reinfried, 1999; Legutke, 1999), Lehrer- oder Lernerperspektive (Reinfried, 1999: 181) u.v.a.m. einen Überblick zu bekommen und zu entscheiden, welche Konzepte relevant und effektiv sind. Knapp-Potthoff (1999: 103; vgl. Littlejohn, 1998: 195) reflektiert die Problematik folgendermaßen:

Komplexe Untersuchungsdesigns [...] fokussieren zunächst einmal auf Einzelaspekte von Lernmaterial im Rahmen eines bestimmten Typs von Lernsituation. Erstrebenswert wäre es natürlich, darüber hinaus das Zusammenwirken verschiedener Einzelaspekte im Rahmen komplexer Lehr-/Lernarrangements zu untersuchen. Soll dies mit gleicher Detailliertheit erfolgen, besteht jedoch die Gefahr, dass die Komplexität von Untersuchungsdesigns nicht mehr handhabbar ist.

PERSPEKTIVEN:

Trotz des Risikos von „Überforderung und Kontrollverlust“ (Barkowski, 1999: 10) muss eine „Kapitulation vor den Anforderungen an den wissenschaftlich befriedigenden Umgang mit dem Forschungsgegenstand Lehr- und Lernmaterialien“ (ebd.) verhindert werden.

Eine Lösung scheint nur im Rahmen einer klaren Definition von Forschungszielen in Sicht, und die können gelegentlich durchaus einmal bescheiden sein, ebenso wie Erwartungen an Effekte der Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Praxis. So können punktuelle Verbesserungen von Lernmaterial immerhin schon dann gelingen, wenn eine neue Variante erstellt wird, die ein oder zwei als problematisch erkannte Faktoren verändert. (Knapp-Potthoff, 1999: 103)

Hilfreich erscheint auch Littlejohns (1998: 195) Vorschlag über ein systematisches Vorgehen „through different ‚levels’ of analysis, making more and more inferences [...] [and] move from a consideration of the more easily identifiable aspects to the more abstract and complex.“ Dabei ist, wie eingangs erwähnt, eine Klärung der verwendeten Begriffe und Konzepte unabdingbar. Was die Auswahl geeigneter Forschungsmethoden betrifft, plädiert Tönshoff (1999: 230; vgl. Weskamp, 2003b: 68) für eine „Daten- und Methodentriangulierung“, analog zu Henrici (1999: 86), der sich für ein „Mehrmethoden-Design“ einsetzt, d.h. für eine Kombination einzelner (quantitativer sowie qualitativer, auf Fremdbeobachtung basierender wie auch introspektiver[11] ) Verfahren „zur Stärkung von Reliabilität und (interner) Validität.“

4. Grundschulspezifische Aspekte und Kriterien für qualitativ hochwertige Lehr- und Lernmaterialien

Zuvor wurde eingehend die Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit, Kataloge verbindlicher, objektiver, allgemeingültiger und dennoch differenzierter Kriterien aufzustellen, aber auch ihre prinzipielle Erfordernis erläutert (3.2.2.). Wichtig ist es, sie möglichst spezifisch auf die betreffende(n) Ziellernergruppe(n) abzustimmen (vgl. Krumm, 1999: 125). Die Qualitätskriterien und -standards für fremdsprachliche Grundschulmaterialien orientieren sich an grundschulgemäßen Prinzipien des frühen Fremdsprachenunterrichts, denen wiederum sprachlerntheoretische Erkenntnisse zugrunde liegen.

Gerngross & Schocker-v. Ditfurth (2003) haben bezugnehmend auf Camerons (2001) Publikation aus der für den Spracherwerb bzw. das Sprachenlernen bei Kindern relevanten Theorie und Forschung (v.a. Kognitions- und Entwicklungspsychologie und Sprachlern- und -erwerbsforschung) Maßstäbe für qualitativ hochwertige Grundschullehrwerke abgeleitet, die den folgenden Ausführungen als Grundlage dienen.

4.1. Theorien und Forschungserkenntnisse darüber, wie Kinder Sprachen lernen, sowie ihre Konsequenzen für die Lehrwerkgestaltung

4.1.1. Piaget und Konstruktivismus: Das Kind als aktiver Konstrukteur seines Wissens

Moderne fremdsprachenunterrichtliche Grundprinzipien gehen unter anderem auf konstruktivistische Theorien und die Erkenntnis des bekannten schweizerischen Entwicklungspsychologen Jean Piaget (1896-1980) über die geistige Entwicklung des Kindes zurück. Demnach konstruieren sich Kinder ihr (auch sprachliches) Wissen aktiv durch die tätige Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt (Cameron, 2001: 2 ff.; Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 8; Timm, 1999: 219 f.; Schmid-Schönbein, 2001: 33 ff.; Weskamp, 2003b: 11ff.; Bleyhl, 1999: 24). Die ständige Bemühung um Sinn und Bedeutungserschließung stellt sie immer wieder vor neue Probleme und Herausforderungen, die sie durch die handelnde Beschäftigung mit Dingen und Erscheinungen der sie umgebenden Welt zu lösen versuchen: „It is through taking action to solve problems that learning occurs“ (Cameron, 2001: 2). Dabei setzen sie ihre Beobachtungen, Vorstellungen und Hypothesen immer wieder mit ihrem bereits vorhandenen Wissen in Beziehung, überprüfen ihre Stimmigkeit, um sie gegebenenfalls zu verwerfen oder zu revidieren und zu verinnerlichen, i.e. in ihre Handlungsschemata einzugliedern (Bleyhl, 2000: 29 f.; Hofmann, 2001: 18).

Obwohl weltweit die Möglichkeit in Betracht gezogen wird, „that the brain activity patterns of early bilinguals [...] differ from those of learners who begin learning a language after about 7 or 8 years of age“ und dass vielmehr „different parts of the brain are used for language recall and activation“, weshalb früher Fremdsprachenunterricht „an essentially different mental activity from early simultaneous bilingualism and from L1 acquisition“ ist (Cameron, 2001: 14), scheint man in Deutschland in Anlehnung an Chomsky davon auszugehen, „that children at primary level are still at an age in which they memorise a foreign language in the same cranial area as their mother tongue“ (Wessel, 2000: 13), dass also der Erwerb der Fremdsprache nach ähnlichen oder sogar gleichen Prinzipien abläuft wie der natürliche Erwerb der Muttersprache (Bleyhl, 1999: 25; Ortner, 1998)[12]. Daher wird hierzulande eine Orientierung des Fremdsprachenunterrichts der Grundschule an dem „highly effective way of language acquisition in the realm of the mother tongue“ (Wessel, 2000: 13) als besonders effektive methodisch-didaktische Grundkonzeption des Frühbeginns angesehen (vgl. z.B. Bildungsplan Baden-Württemberg, 2004: 72; Bleyhl, 2001: 200).

We should transfer as many elements as possible of the process of natural language acquisition into the teaching context in primary schools. The closer the children are in time to their own language acquisition experience the easier they will find the learning of second language and the more natural it will seem to them as long as it is done in a similar way to the acquisition of their mother tongue. (Wessel, 2000: 13)

Der Vorteil des Fremdsprachenfrühbeginns, i.e. die Nähe zum (noch nicht einmal vollständig abgeschlossenen) Mutterspracherwerb, besteht insbesondere darin, dass Kindern offenbar noch die bewährten Fertigkeiten und Strategien des Erstspracherwerbs zur Verfügung stehen (Hoffmann, 2001: 18; Cameron, 2001: 15). Lehr- und Lernmaterialien sollten demzufolge Kindern Möglichkeiten bieten, diese Strategien erneut erfolgreich einsetzen zu können, um den neuen sprachlichen Code wie einst den muttersprachlichen zu ‚knacken’ (vgl. Bleyhl, 2000: 30), und zwar in Form von „tasks and activities that the learners find stimulating“ (Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 8, Hervorhebungen im Original), die sie motivieren und helfen, „Lerner zum entdeckenden Umgang mit der betreffenden Fremdsprache herauszufordern“ (Bleyhl, 1999: 28; vgl. Tomlinson, 1998: 3 f., 11; Leupold, 1999: 141 f.).

Gemeint sind damit auf handlungs- und erlebnisorientiertes, multisensorisches, beide Gehirnhälften stimulierendes Lernen abzielende Problemlöseaufgaben (task-based learning), die die Kinder aktiv involvieren, d.h. ihren persönlichen Einsatz und ihr Engagement erfordern (z.B. Hörverstehensaufgaben, Total-Physical-Response-Aktivitäten (TPR), Spiele, Bastelaktivitäten, Rollenspiele und Dialoge). Um die Aufmerksamkeit und Neugierde der jungen Lerner zu wecken und ihre emotionale, kreative, intellektuelle wie auch tatsächliche (agierende) Beteiligung zu generieren, sollten Lehrwerkaufgaben den Bedürfnissen und Interessen der Kinder entsprechen, auf ihre unmittelbare Lebens- bzw. Erfahrungswelt bezogen sein und Identifikationsmöglichkeiten bieten (Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 8 ff.; Tomlinson, 1998: 20 f., Gehring, 2001b; vgl. auch 4.1.5.).

Da die konstruktivistische Auffassung vom Lernen als individuelle Internalisierungen von Handlungen impliziert, dass „Verarbeitungsprozesse während des Lernens [...] wichtiger [sind] als Lernergebnisse“ (Weskamp, 2003b: 15), sollten in Lehrwerken Aufgaben und Aktivitäten vorgeschlagen werden, die in Bezug auf ihre Endergebnisse und -produkte offen sind und individuelle Antworten bzw. Ausführungen (z.B. über my favourite toy) ermöglichen (Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 10 f.). Gleichzeitig hängt damit die Sehweise von Fehlern eben nicht als ‚Fehler’ und Versagen sondern als „Folge des Testens von Hypothesen“ (Weskamp, 2003b: 15; vgl. Gehring, 2001b: 22 f.), also als „intelligente Fehler“ (Schmid-Schönbein, 2001: 36) zusammen, auf die Lehrerhandreichungen hinweisen sollten.

4.1.2. Sprachenlernen: ein allmählicher Prozess, der Zeit erfordert

Sprachlerntheoretischen Erkenntnissen zufolge erfordert der nichtlineare, dynamische Prozess des Sprachenlernens ebenso wie des natürlichen Spracherwerbs seine Zeit, d.h. „the positive effects of instruction are usually delayed“ (Tomlinson, 1998: 15; vgl. Bleyhl, 1999: 25). Daher fordert Bleyhl (2001: 204) zurecht die „Absage an das Input-Output-Schema, an die Gleichung „Rezeption = Produktion“, aber auch an die Vorstellung eines Unterrichts gemäß einer [...] grammatischen Progression“ und erachtet als logische „methodische Konsequenz [...] die Anerkennung der Notwendigkeit, dass alles Neue erst erfahren und verglichen werden muss, dass der Lerner sich erst seine Hypothesen über das Verhalten des Neuen machen und damit experimentieren muss“ (ebd.: 203). Seine Auffassung deckt sich mit der Tomlinsons, 1998: 16):

[...] instructed as well as informal acquisition [...] results from the gradual and dynamic process of internal generalisation rather than from instant adjustments to the learner’s internal grammar. It follows that learners cannot be expected to learn a new feature and be able to use it in the same lesson. They might be able to rehearse the feature, to retrieve it from short-term memory or to produce it when prompted by the teacher or the materials. But this does not mean that learning has taken place.

Um Sprachwissen zunächst ‚reifen’ zu lassen, muss Lernern eine sogenannte Inkubationszeit oder silent period, eine Art innere Verweildauer gewährt werden, in der sie vornehmlich Sprache durch Zuhören auf sich wirken lassen und weniger produzieren (Meißner, 1999: 151; Bleyhl, 2000: 27; Klippel, 2000: 23; Weskamp, 2003b: 28; Ergänzung zum Lehrplan BW, 2001: 20), was allerdings nicht bedeutet, dass sie nicht anderweitig reagieren können. Im Gegenteil, für den Spracherwerb reicht es nicht aus, Lerner einem Input lediglich auszusetzen. Sie müssen mit Sprache agieren, vor allem aber der Lehrkraft ein Feedback darüber geben, ob sie das Sprachangebot verstanden haben, weshalb ihnen Lehrwerke Möglichkeiten zum nonverbalen Reagieren bieten sollten (z.B. TPR-Aktivitäten, Hörverstehensübungen mit Arbeitsblättern zum Ankreuzen, Ausmalen, Zuordnen etc.) (Tomlinson, 1998: 13; Gehring, 2001a; Gehring, 2001b).

Hinzu kommt, dass Kinder generell wesentlich mehr Zeit für die Verarbeitung der Zielsprache benötigen als ältere Lerner (Klippel, 2000: 17; Bleyhl, 2001: 194; Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 12; Gehring, 2001a: 25; Gehring, 2001b: 21; Drese, 2003: 24).

The acquisition of word meanings takes much longer than the acquisition of the spoken form of the words, and children use words in their speech long before they have a full understanding of them […].[…] Learning a word takes a long time and many exposures to the word used in different situations. (Cameron, 2001: 73, 78)

Aus diesem Grund sollte eine Anforderung an Lehrwerke für den Primarenglischunterricht sein, eine Vielzahl von Gelegenheiten zur Begegnung und Übung neuer Spracherscheinungen in verschiedenen Situationen und Zusammenhängen (Gerngross/ Schocker-v. Ditfurth, 2003: 13; Gehring, 2001a und 2001b) zu bieten, um so „Lernern Raum und Zeit zu geben, in sich das fremdsprachliche System aufzubauen“ (Bleyhl, 2000: 30).

Dabei kommt es besonders auf regelmäßige Wiederholung und ständiges, spiralförmiges Wiederauftauchenlassen des Sprachmaterials in variationsreichen Kontexten an (Tomlinson, 1999: 16; Piepho, 2001: 16; Drese, 2003: 24), und nicht auf allzu „kleinschrittig[e]“, „wie Grießbrei löffelweise“ präsentierte „Einzelwörtchen“ und „Imitationshäppchen“ (Bleyhl, 2001: 200, 203). Und auch Cameron (2001: 84) betont:

Vocabulary needs to be met and recycled at intervals, in different activities, with new knowledge and new connections developed each time the same words are met again. I am emphasising the need for words to recur, not just in a unit, but across units or chapters, and across levels and years. [...] Recycling makes recall more probable.

Piepho (2000: 9) schließlich betont die Tatsache, dass zwar Kinder in einer Klasse „prinzipiell unterschiedlich auf die Lernangebote reagieren. Aber gerade die Unterschiedlichkeit der Kompetenzen und Zugänge und deren Addition in einem reichhaltigen Übungs- und Handlungsgeschehen macht den gemeinsamen Wachstumsprozess aus.“

[...]


[1] Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, wird hier auf eine genauere Untersuchung der unterschiedlichen begrifflichen Verwendungen verzichtet.

[2] Vgl. einschlägige Nachschlagewerke.

[3] griechisch-mittellateinisch

[4] daher auch der gleiche Wortstamm wie Kriterium (= Prüfstein, Merkmal, Kennzeichen); vgl. einschlägige Fremdwörterbücher

[5] Unter dem Titel Die Erforschung von Lehr- und Lernmaterialien im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen, Hrsg.: Bausch et al., 1999

[6] Lehrkräfte verwenden zur Unterrichtsvorbereitung selten den Bildungsplan.

[7] Ergänzt K.K.

[8] Weskamp bezieht sich an der Stelle auf Mediation im Sinne von Vygotsky (vgl. ebd.: 101; 4.3.3.) und auf die unterschiedlichen Möglichkeiten solcher Hilfestellungen für Lerner beim Sprachelernen.

[9] Im Grundschulbereich müsste allerdings Lehrkräften zunächst überhaupt einmal die Möglichkeit gegeben werden, solche Erfahrungen auf dem für sie noch ein Novum darstellenden Arbeitsgebiet zu sammeln.

[10] Auf die nähere Erläuterung der verschiedenen Konzepte und Methoden kann hier verzichtet werden, da dies über den Rahmen dieser Arbeit hinausgeht.

[11] z.B. Fragebögen für Lehrer/innen und Lerner

[12] Möglicherweise haben beide Richtungen nicht Unrecht. Eine Annäherung an die Wahrheit bedürfte weiterer Erforschung.

Ende der Leseprobe aus 210 Seiten

Details

Titel
Englisch in der Grundschule. Evaluation eines Lehrwerks für den Fremdsprachenunterricht.
Hochschule
Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
210
Katalognummer
V44079
ISBN (eBook)
9783638417365
ISBN (Buch)
9783638707206
Dateigröße
2721 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Evaluation, Lehrwerks, Fremdsprachenunterricht, Englisch, Grundschule
Arbeit zitieren
Katja Krenicky-Albert (Autor:in), 2004, Englisch in der Grundschule. Evaluation eines Lehrwerks für den Fremdsprachenunterricht., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44079

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