Die Europäische Privatgesellschaft und die Vereinheitlichung des europäischen Gesellschaftsrechts


Seminararbeit, 2015

31 Seiten, Note: 11


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung

B. Grundlegendes zur Vereinheitlichung

C. Chronologie der SPE

D. Aufbau des SPE-Statuts

E. Kompetenzgrundlage

F. Regelungsanliegen
I. Gesellschaftsrechtliche Ziele der EU
II. Die Lissabon-Strategie
III. Die Situation der KMU
IV. Wirtschaftliche Erwartungen an die SPE

G. Die Hauptstreitpunkte
I. Die Arbeitnehmermitbestimmung
1. Änderungsvorschlag des EP
2. Änderungsvorschlag der schwedischen Ratspräsidentschaft
3. Änderungsvorschlag der ungarischen Ratspräsidentschaft
4. Fazit zur Mitbestimmung
II. Mindeststammkapital
III. Sitz der SPE

H. Europäische Einpersonengesellschaft (SUP)
I. Schlusswort

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aufsätze

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A. Einleitung

„Die SPE vor dem Gipfelsturm“1. Noch vor vier Jahren wagte kaum jemand am Erfolg der sog. Societas Europaea Privata (SPE) Erfolg zu zweifeln. „Die Europa-GmbH ante portas“2 hieß es noch damals. Heute ist von ihr kaum noch eine Spur zu geblieben. Nach scheinbar aussichtslosen Diskussionen legte man das Projekt der Europäischen Privatgesellschaft vorerst auf Eis. Die SPE ist gescheitert. Vorerst.

Aber wie konnte das passieren? Wurde sie doch beinahe als Heilsbringer der kleinen und mittleren Unternehmen dargestellt. Wie konnte ein Projekt so kläglich scheitern, obwohl es doch von allen Diskussionsteilnehmern als besonders nützlich und notwendig erachtet wurde? An welchen Punkten der Diskussion scheiterte die Einigung?

Diesen und weiteren Fragen wendet sich die vorliegende Seminararbeit zu. Die Europäische Privatgesellschaft soll im Kontext der Vereinheitlichung europäischen Gesellschaftsrechts dargestellt und analysiert werden. Sie hat nicht den Anspruch die SPE in all ihren Details zu besprechen, sondern sie soll vielmehr einen Überblick verschaffen und sich den Gründen ihres Scheiterns zuwenden.

Dass die SPE aber nicht vollständig ruht und ein entsprechendes Regelungsanliegen immer noch besteht, sieht man daran, dass das Projekt der Societas Unius Personae (SUP) nach nicht allzu langer Zeit aufgenommen wurde. Mit ihr werden dieselben Ziele verfolgt, wenn auch nur in abgespeckter Form. Auch die SUP soll zum Schluss kurz dargestellt werden, auch wieder im Kontext europäischen Gesellschaftsrechts und im Vergleich mit der Europäischen Privatgesellschaft.

Parallel werden auch immer wieder Bezüge zur Societas Europaea (SE) und anderen supranationalen Gesellschaftsformen hergestellt werden. Das hängt damit zusammen, dass ähnliche Diskussionen auch bei ihrer Errichtung geführt wurden. Beispielsweise liegt es nahe, dass in Fragen der Mitbestimmung die gleichen Argumente angeführt werden, da immer noch dieselben Mitgliedstaaten beteiligt sind.

Es sei auch vorweggenommen, dass der Eindruck entsteht als würde sich eine ähnlich lange Diskussion wie bei der Societas Europaea (SE) anbahnen, welche knapp 30 Jahre gedauert hat. Dieser Eindruck trügt jedoch. Ist der Stein einmal ins Rollen gekommen, ist die Hälfte der Arbeit bereits erledigt. Da man mit der SE schon ein Beispiel der Vereinheitlichung hat, ist nicht zu erwarten, dass diese auch 30 Jahre dauern wird. Zumal man letztendlich sagen kann, dass die SE ihren Platz in der Rechtsordnung gefunden. Allianz, Porsche, Bertelsmann und Axel Springer sind nur einige der bekannten Beispiele von Aktiengesellschaften aus Deutschland, die zur SE als Gesellschaftsform gewechselt sin. Es bestand die Hoffnung, dass man dies auch bald von der SPE behaupten kann. Ob diese Hoffnung vieler Gesellschafter und Gesellschaftsrechtler jemals erfüllt wird, bleibt abzuwarten.

B. Grundlegendes zur Vereinheitlichung

Um die Europäische Privatgesellschaft in den Prozess der Vereinheitlichung europäischen Gesellschaftsrechts einzuordnen, sei zunächst etwas Grundlegendes zu jenem Kontext gesagt. Die Grundlage für den europäischen Binnenmarkt, dem größten Binnenmarkt der Welt, bilden die im AEUV normierten sogenannten Grundfreiheiten. Diese vier Grundfreiheiten der Europäischen Union legen dar, dass in der Union primär wirtschaftliche Ziele verfolgt werden. Die Warenverkehrsfreiheit, die Deinstleistungsfreiheit, der freie Kapital- und Zahlungsverkehr sowie die Personenfreizügigkeit sollen alle gewährleisten, dass Unternehmen ihre Tätigkeit unionsweit so aufnehmen können wie im Mitgliedstaat ihrer Gründung oder Verwaltung. Die Personenfreizügigkeit dient jenem Zweck mit der Niederlassungsfreiheit, welche als Teil der Personenfreizügigkeit gilt.

Auf dem Wege der Vereinheitlichung sind bereits einige nicht unerhebliche Schritte gemacht worden. Als erste supranationale Gesellschaft wurde die Verordnung über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) im Jahre 1985 verabschiedet, eine Personenhandelsgesellschaft, auf die gem. § 1 EWIV-AusfG auch das HGB teilweise anwendbar ist, die aber außerhalb von Belgien nur marginale Bedeutung hat (in Zahlen:

Belgien 431, BRD 280, Frankreich 277, Großbritannien 201)3. Mit der Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea - SE) wurde 2001 die zweite supranationale Rechtsform geschaffen. Dem liegt die Idee einer „Europäischen Aktiengesellschaft“ zugrunde, welche schon 1959 entstanden ist, aber im Laufe der Jahre regelmäßig an Unstimmigkeiten bezüglich der Arbeitnehmermitbestimmung scheiterte4. Nach Art. 9 I lit. c) SE-VO soll bei Regelungslücken weiterhin das nationale Recht über Aktiengesellschaften gelten, sowie auch bei der Aufstellung des Jahresabschlusses, bei Auflösung der SE, bei Zahlungsunfähigkeit etc., gem. Art. 61 ff. SE-VO. Auch die dritte supranationale Gesellschaftsform, die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea - SCE) ist lange Zeit nicht verabschiedet worden, weil sich nicht über die Arbeitnehmermitbestimmung geeinigt werden konnte5. Die SCE ist eine Gesellschaft, die bezweckt den Bedarf ihrer Mitglieder zu decken oder deren wirtschaftliche und soziale Tätigkeiten zu fördern, Art. 1 II, V SCE- VO.

Mit dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft war man 2008 der Realisierung einer vierten europäischen Gesellschaftsform sehr nahe gekommen. Allerdings hat zuletzt der Europäische Rat 2011 den Kompromissvorschlag der ungarischen Ratspräsidentschaft aufgrund der Vetos Deutschlands und Schwedens abgelehnt6. Seitdem wurden keine nennenswerten Schritte mehr unternommen. Auch bei der SPE stritten sich die Gemüter in den Punkten Mitbestimmung und Mindestkapital ohne sich einigen zu können, sodass es auch hier wieder aus denselben Gründen scheiterte wie die SE zu Beginn, aber das soll auf den nachfolgenden Seiten näher behandelt werden.

Andere Beispiele von Schritten hin zur Vereinheitlichung sind die zahlreichen Richtlinien, die erlassen wurden, um europäisches Gesellschaftsrecht zu harmonisieren. Die Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 Übernahmeangebote betreffend (sog. Übernahmerichtlinie) sei hier nur beispielshalber repräsentativ für die anderen genannt.

C. Chronologie der SPE

Fortfolgend wird die chronologische Entwicklung der SPE zum besserem Verständnis der darauf folgenden Analysen und Meinungen dargestellt werden.

Die Überlegung ein europäisches Pendant zur GmbH zu schaffen geht zurück auf die 1970er Jahre. Bereits zu dieser Zeit hatte man das Anliegen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die Möglichkeit zu gewähren EG-weit tätig zu werden7. Die ersten Vorentwürfe entstanden aber erst in den späten 1990er Jahren8, als 1997 der Europäischen Kommission der erste Privatentwurf unter Mitwirkung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vorgelegt wurde. Dieser Entwurf hatte aber keine Aussicht auf Erfolg, da weder die Kommission noch das Europäische Parlament (EP) die Initiative ergriffen9. Nachdem 2006 der praktische Nutzen einer SPE in einer dreijährigen Machbarkeitsstudie festgestellt wurde10 und später der Rechtsausschuss des EP angehört wurde, verabschiedete das EP 2007 eine „Entschließung mit Empfehlung an die Kommission zur Vorlage eines Vorschlags über das Statut der SPE“11. In einer Befragung des Europäischen Unternehmens-Testpanels Ende 2007 stimmten 74% für den Nutzen der SPE.

Bevor letztendlich ein Statut zur SPE vorgeschlagen wurde, veranstaltete die Kommission eine Konferenz zur SPE, in der die Teilnehmer aus 24 Mitgliedstaaten über die wirtschaftlichen Vorteile einer SPE für KMU zu berieten12. Am 26. Juni 2008 übermittelte die Kommission dann im Rahmen des sog. „Small Business Act“13 ihren Vorschlag zum SPE-Statut an den Rat der EU sowie dem EP14. Darin wurde das optimistische Ziel angepeilt, dass die SPE bis zum Jahre 2010 verabschiedet werden kann. Der Vorschlag wurde anschließend im Rat der EU sowie im EP erörtert, weiterhin wurden etliche Stellungnahmen bezogen u.a. vom Bundesrat, Bundestag, vom Centrum für Europäische Politik, dem Deutschen Anwaltverein u.v.m.

Im März 2009 billigt das EP den Vorschlag in geänderter Fassung, die Kommission stimmt den Änderungen jedoch nur teilweise zu15, sodass die schwedische Ratspräsidentschaft einen Entwurf mit weiteren Änderungen hinsichtlich des Sitzes, der Arbeitnehmerbeteiligung und des Mindestkapitals vorlegte16. Im Dezember selben Jahres beschließt der Europäische Wettbewerbsfähigkeitsrat die weitere Bearbeitung des Statuts, da sich insbesondere über den Sitz und die Arbeitnehmerbeteiligung nicht geeinigt werden konnte17. Die ungarische Ratspräsidentschaft unterbreitete dem Rat einen weiteren Kompromissvorschlag18, teilweise abweichend vom schwedischen Vorschlag und teilweise mit identischen Änderungsvorschlägen, welche aber zehn Tage später am 30. Mai 2011 an den deutschen und schwedischen Vetos scheiterte19.

Am 2. Oktober 2013 zog die Europäische Kommission schlussendlich ihren Vorschlag zum SPE-Statut wieder zurück20, somit wurde einer umfangreichen wissenschaftlichen Debatte, die auf den nachfolgenden Seiten näher erläutert wird, ein vorläufiges Ende gesetzt. Stattdessen wandte man sich einer alternativen, aber dennoch ähnlichen Gesellschaftsform zu, der Societas Unis Personae (SUP). Auch diese soll zum Ende hin wenn auch nur in Grundzügen erläutert werden.

D. Aufbau des SPE-Statuts

Das ursprüngliche SPE-Statut, das die Kommission 2008 vorgeschlagen hat, beinhaltet 48 Artikel unterteilt in zehn Kapitel und weiteren zwei Anhängen. Nachfolgend werden die Regelungen der einzelnen Kapitel kurz zusammengefasst und zur besseren Verdeutlichung an einigen nennenswerten Stellen mit anderen Gesellschaftsformen verglichen. Im ersten Kapitel sind unter „Allgemeine Bestimmungen“ die Artikel 1 bis 4 enthalten und regeln den Gegenstand der Verordnung, die Voraussetzungen für die Gründung einer SPE, die anwendbaren Bestimmungen sowie einige Begriffsbestimmungen. Herauszustellen ist dabei, dass das Kapital in Anteile zerlegt ist und die Anteilseigner nur bis zur Höhe ihrer Einlage haften, ähnlich einer GmbH. Die Anteile werden nicht öffentlich gehandelt, was ebenfalls einer GmbH gleich kommt und die SPE von einer Aktiengesellschaft bzw. SE abgrenzt, da der Zugang zum Kapitalmarkt somit verhindert wird.

Das zweite Kapitel „Gründung“ befasst sich in den Artikeln 5 bis 13 mit den Gründungsmöglichkeiten, dem Namen der SPE, dem Sitz, der Satzung, der Eintragungsmodalitäten, den Publikationspflichten, der Handelndenhaftung und den Regelungen über Zweigniederlassungen. Ein erheblicher Unterschied zur SE besteht an dieser Stelle in der Hinsicht, dass die SPE ex nihilo, durch Umwandlung, Verschmelzung oder Spaltung entstehen kann, Art. 5 Abs. 1 SPE-Statut. Die SE hingegen kann nicht ex- nihilo gegründet werden, sondern entsteht laut Art. 2 SE-VO durch Verschmelzung zweier AGs, durch Gründung einer Holding-SE oder Tochter-SE seitens einer AG und/oder GmbH oder durch Umwandlung einer bereits bestehenden AG.

Im dritten Kapitel „Anteile“ von Art. 14 bis 18 werden die Regelungen zu den Gesellschaftsanteilen, das Verzeichnis der Anteilseigner, die Übertragung von Anteilen sowie der Ausschluss und das Ausscheiden von Gesellschaftern behandelt. Zu beachten ist, dass nach Art. 14 IV Anteile mit gleichen Rechten und Pflichten eine Kategorie bilden, was gleichwohl bedeutet, dass es auch solche mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten geben kann.

Kapitel 4 mit dem Titel „Kapital“ regelt in den Artikeln 19 bis 25 das Mindestkapital von 1€, Ausschüttungen, Rückforderungen von Ausschüttungen, eigene Anteile und die Kapitalherabsetzung. Diese entsprechen bis auf das Mindestkapital weitestgehend den jeweiligen Normen der GmbH.

Kapitel 5 widmet sich in den Artikeln 26 bis 33 der „Organisation der SPE“. Darunter sind die allgemeinen Bestimmungen, Beschlüsse der Anteilseigner, einschließlich der zahlreichen Mehrheitsbeschlüsse, Informationsrechte, die Mitglieder der Unternehmensleitung, allgemeine Pflichten von Mitgliedern, Vertretung der SPE sowie ein Verweis auf Richtlinien der EU gefasst.

Kapitel 6 befasst sich mit der „Arbeitnehmermitbestimmung“, umfasst aber nur Art. 34, welcher im Grunde nur auf dasjenige nationale Recht verweist, in dem die SPE ihren Sitz hat.

In Kapitel 7 ist in den Artikeln 35 bis 38 die „Verlegung des eingetragenen Sitzes der SPE“ geregelt. In den allgemeinen

Bestimmungen ist festgelegt, dass der Sitz unionsweit problemlos verlegt werden kann, solange kein Auflösungs-, Insolvenz- oder Liquidationsverfahren gegen die SPE läuft. Ferner sind das Verlegungsverfahren, die Einrichtung einer Behörde zur Überprüfung der

Rechtsgültigkeit der Verlegung und die Vereinbarung über die Mitbestimmung von Arbeitnehmern in den Artikeln 36, 37 und 38 gefasst. Kapitel 8 enthält die Artikel 39 bis 41 zur „Umstrukturierung, Auflösung und Ungültigkeit“. Es wird bestimmt, dass Umwandlungen, Verschmelzungen sowie Spaltungen als auch die Ungültigkeit der SPE dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten unterliegen. Außerdem sind die Auflösungstatbestände der SPE geregelt.

Unter Kapitel 9 „Zusätzliche Bestimmungen und

Übergangsbestimmungen“ ist lediglich Art. 42 mit der Verwendung der

Landeswährung aufgelistet. Mitgliedstaaten, die nicht in der Eurozone sind, können SPEs auffordern ihr Kapital in der nationalen Währung anzugeben. Das 10. Kapitel „Schlussbestimmungen“ besteht aus den Artikeln 43 bis

48 und enthält die wirksame Anwendung, Sanktionen bei Zuwiderhandeln, sowie das Inkrafttreten. Ferner sollen die Mitgliedstaaten der Kommission melden, welche ihrer nationalen Gesellschaftsformen jener der SPE entspricht.

Anhang I beinhaltet einen Katalog, der aufzählt, was in der Satzung unter den Überschriften Gründung, Anteile, Kapital und Organisation der SPE geregelt sein muss.

Anhang II ist ein Meldeformular für die Registrierung der Verlegung des Sitzes einer SPE.

Es fällt auf, dass das SPE-Statut mit gerade einmal 48 Artikeln im Vergleich zum GmbHG recht kurz gefasst ist. Zwar wird hinsichtlich der Arbeitnehmermitbestimmung und der Umwandlung, Verschmelzung und Spaltung auf nationales Recht der Mitgliedstaaten verwiesen, allerdings ist auch zu beachten, dass diese auch nicht im GmbHG sondern im UmwG, AktG, DrittelbG sowie im MitbestG geregelt sind.

E. Kompetenzgrundlage

Laut SPE-Statut wird der Vorschlag auf Art. 308 EG-Vertrag aF gestützt, was in neuer Fassung in Art. 352 AEUV aufgeht. Richtlinien werden zwar auf Art. 50 II lit. g AEUV gestützt, allerdings dient diese Kompetenzgrundlage lediglich zur Harmonisierung, nicht aber zur Vereinheitlichung und kann deswegen nach ganz hM nicht auch als Grundlage für supranationale Gesellschaftsformen herangezogen werden21. Auf Art. 352 AEUV stützten sich bisher die EWIV, die Europäische Genossenschaft (SCE) sowie die SE, bis das BVerfG seine verfassungsrechtlichen Bedenken bezüglich dieser Kompetenzgrundlage im Lissabon-Urteil geäußert hat22. Die Vorschrift sei insbesondere im Hinblick auf „das Verbot zur Übertragung von Blankettermächtigungen oder zur Übertragung der Kompetenz-Kompetenz“ zweifelserregend, weil Vertragsgrundlagen der EU ohne die mitgliedsstaatlichen Exekutiven geändert werden könnten. Dies führte dann u.a. zu der Verabschiedung der Flexibilitätsklausel § 8 IntVG, sodass die Zustimmung der Vertretung der BRD im Rat der EU bei Vorschriften die auf Art. 352 AEUV beruhen eines Gesetzes nach Art. 23 I GG bedürfen, was hingegen der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Eine Meinung hält das Resultat dessen zu Recht für paradox und stellt eine Fehlkonstruktion der Europäischen Verträge fest. Die Angleichung des nationalen Gesellschaftsrecht sei jetzt leichter möglich geworden, als die zusätzlich angebotene europäische Rechtsform, obwohl sie viel weniger in das Recht der Mitgliedstaaten eingreift23. De facto heißt es, dass die Verabschiedung der SPE mehr Hürden aufweist, weil sie auf Art. 352 AEUV gestützt ist, als das Erlassen einer Richtlinie, die auf Art. 50 AEUV gestützt ist. Die Ursache, wieso das SPE-Statut sich im Gestrüpp der europäischen Rechtspolitik verfangen hat, soll nicht zuletzt daran liegen.

Ferner ist auch zweifelhaft, ob die EU auf Grundlage des Art. 352 AEUV überhaupt nicht-internationale Gesellschaftsformen regeln darf, denn nach dem Subsidiaritätsprinzip ist die Regelung den Mitgliedstaaten überlassen, wenn es keinen europäischen Bezug gibt24. Auch der Bundesrat hat seine Bedenken bezüglich der Kompetenz der EU geäußert. Er geht sogar noch weiter und sieht in dem Vorschlag einen „mittelbaren Eingriff in nationales Recht aufgrund der zu erwartenden Verdrängung nationaler Gesellschaftsformen“25. Zwar beruhen die SE, EWIV und SCE auch auf Art. 308 EGV aF, allerdings können diese nur gegründet werden, wenn sie einen internationalen Bezug haben, z.B. Art. 4 II EWIV-VO. Die SPE jedoch kann auch lediglich national gegründet werden. Das Argument die Einsatzmöglichkeit der SPE nicht unnötigerweise einengen zu wollen greift nicht, da dieses dann auch bei den anderen Gesellschaften angeführt werden könnte26. Folglich wird vielmals ein obligatorischer internationaler Bezug gefordert, der sowohl von der schwedischen als auch von der ungarischen Ratspräsidentschaft in ihren jeweiligen Vorschlägen umgesetzt wurde27. Dieser fiel jedoch denkbar gering aus, da bereits die Absicht in einem anderen Mitgliedstaat Geschäfte zu betreiben und ein grenzüberschreitender Gesellschaftszweck ausreichen. Den Mitgliedstaaten geht es dabei besonders um den Wettbewerb zwischen der SPE mit ihren mitgliedsstaatlichen Pendants, den sie fürchten, dass er eher von den Pendants verloren wird28. Dieses Argument, dass befürchtet wird die SPE könnte nationale Gesellschaftsformen verdrängen, wird im Folgenden auch im Bezug auf andere Themen öfters aufgeführt. Insbesondere die Staaten Italien und Litauen befürworten die Möglichkeit eine rein nationale SPE zu gründen, demgegenüber stehen Deutschland und Österreich mit ihrer vehementen Ablehnung29. Zurecht wird gegen die befürwortenden Staaten angeführt, wenn das Statut ihnen „so gut gefällt, so steht nichts entgegen, wenn [sie] das Statut ins nationale Recht übernehmen, allerdings ohne den Rechtsformzusatz „SPE“ “30. Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass es bei der SPE um den Binnenmarkt gehen soll. Ein Unternehmer, der zunächst noch nicht das Ziel hat mit seiner SPE die Grenzen seines Mitgliedstaates zu überschreiten, kann auch statt der SPE eine einfache nationale Privatgesellschaft mit beschränkter Haftung gründen. Dies kann ihm auch zugemutet werden, solange dies für ihn kostengünstig und einfach möglich ist 31

Fazit: Bereits die Kompetenzgrundlage birgt einige rechtliche Probleme, die nicht von zu vernachlässigender Art sind. Wenn auch das Paradoxon hinsichtlich der Felxibilitätsklausel nicht allzu bedenklich ist, erzeugt der (fehlende) grenzüberschreitende Bezug aufgrund des Subsidiaritätsprinzip kompetenzrechtliche Bedenken. Sollte tatsächlich einmal das SPE-Statut wirksam zustande kommen, werden sich das BVerfG und auch EuGH mit dieser Frage beschäftigen müssen.

F. Regelungsanliegen

Selbstredend soll die SPE nicht einfach nur eine europäische Alternative zu den nationalen Privatgesellschaften mit beschränkter Haftung (vgl. Art. 4 Abs. 2 SPE-Statut) bieten, sondern hat auch tiefgreifendes Anliegen. Dieses soll im Folgenden nun näher erläutert werden.

I. Gesellschaftsrechtliche Ziele der EU

Die Europäische Union hat es sich als politisches Ziel gesetzt eine Wirtschaft- und Währungsunion zu errichten, gem. Art. 3 Abs. 4 EUV. Dazu soll laut Art. 119 AEUV die Wirtschaftspolitik und der Binnenmarkt enger koordiniert werden, ohne dass der Grundsatz einer freien Marktwirtschaft verletzt wird. Zusätzlich dazu wird das Ziel der Wirtschaftsunion auch durch die vier Grundfreiheiten, dem freie Warenverkehr nach Art. 28 ff. AEUV, der Personenfreizügigkeit nach Art. 21 AEUV, der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV und dem freien Kapital- und Zahlungsverkehr nach Art. 63 AEUV, unterstützt. Gesellschaftsrechtlich ist insbesondere die Personenfreizügigkeit mit ihrem Unterfall der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 ff. AEUV hervorzuheben. Sie sorgt dafür, dass juristische Personen unionsweit tätig werden dürfen, gleich in welchem Mitgliedstaat sie ihre Hauptniederlassung haben. Das ist durchaus keine Selbstverständlichkeit, denn laut Sitztheorie des BGH ist eine juristische Person in einem Staat nur rechts- und parteifähig, wenn sie auch ihren effektiven Verwaltungssitz in jenem Staat hat32. De facto heißt das, dass der Sitz einer Gesellschaft die Rechtsordnung bestimmt und auf alle Rechtsbeziehungen Einfluss hat33. Allerdings hat der EuGH auf Anfrage des BGH entschieden, dass die Niederlassungsfreiheit dahingehend auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat verpflichtet ist die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft, die nach mitgliedstaatlichem Recht gegründet wurde und ihren Sitz auch in einem solchen hat, anzuerkennen34. Gesellschaften können sich also innerhalb der Grenzen der EU frei und problemlos „bewegen“, als wären sie in ihrem Herkunftsland. Diese Freiheit haben sie eben jener Niederlassungsfreiheit und den gesellschaftsrechtlichen Zielen der EU zu verdanken.

II. Die Lissabon-Strategie

Im März 2000 vereinbarten die Mitgliedstaaten der EU in Lissabon den europäischen Binnenmarkt bis 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum“ zu gestalten, was später als die Lissabon-Strategie bezeichnet wurde35. Als 2004 in einem Bericht bekannt wurde, dass die Ziele der Lissabon-Strategie zu scheitern drohen36, entschied man sich der Förderung der KMU stärker zuzuwenden. In einer Mitteilung der Kommission wurde eine neue KMU-Politik angekündigt, die den Marktzugang und das Wachstumspotenzial verbessern und bürokratische Hindernisse abbauen soll37. Im Zuge dessen entwickelte man ein Maßnahmenpaket zur Unterstützung der KMU, auch „Small Business Act“ (SBA) genannt38, welches unter dem Motto „Vorfahrt für KMU“ steht. Darin wurde auch u.a. angekündigt einen Vorschlag für eine Verordnung zur Festlegung eines Statuts für eine Europäische Privatgesellschaft zu machen. Daneben wurde auch ein Ausblick auf weitere Richtlinien und Verordnungen gegeben. Demzufolge und wie auch im Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates über die SPE angeführt wurde, ist das Statut der Europäische Privatgesellschaft ein Bestandteil des SBA, welches auch als „prioritäre Initiative“ des Arbeitsprogramms der Kommission für 2008 deklariert wurde 39

III. Die Situation der KMU

Dann stellt sich allerdings die Frage, wieso KMU überhaupt förderungsbedürftig sind und warum gerade KMU im Zuge der Lissabon- Strategie so stark gefördert werden sollen und nicht große Konzerne. Die Begründung des Vorschlags der Kommission zur SPE gibt dazu teilweise Aufschluss.

Danach bilden KMU in der Europäischen Union einen Anteil von mehr als 99% aller Unternehmen, aber nur 8 % sind im internationalen Handel tätig und nur 5 % verfügen über eine Tochtergesellschaft im Ausland40. Das ist überraschend, da der EuGH in den o.g. Urteilen festgestellt hat, dass

[...]


1 Hommelhoff, Teichmann, GmbHR 2010, S. 337.

2 Wedemann, EuZW 2010, S. 534.

3 Grundmann, § 31 Rn. 1153.

4 Habersack/Verse, § 13 Rn. 1 f.

5 Habersack/Verse, § 14 Rn. 1.

6 Pressemitteilung des Rats der EU 10547/11.

7 Krejci, S. 3 Rn. 1.

8 Grundmann, § 30 Rn. 1122.

9 Krejci, S. 4 Rn. 4.

10 siehe „Machbarkeitsstudie über ein europäisches Statut für KMU“, Lettre de Contrat N° FIF 20030950.

11 Bericht mit Empfehlungen an die Kommission zum Statut der europäischen Privatgesellschaft (2006/2013(INI)).

12 Pressemitteilung der EU-Kommission IP/08/411.

13 KOM/2008/394.

14 KOM/2008/396.

15 P6_TA(2009)0094 (hinterlegt auf den Internetseiten des EP).

16 Rat der EU: 16115/09 ADD 1 DRS 71 SOC 711,

17 Counicl of the EU Press Release 17076/09.

18 10611/11 DRS 84 SOC 432.

19 Rat der EU Pressemitteilung 10547/11.

20 EU-Kommission Pressemitteilung, IP/13/891.

21 Forsthaus - Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 50 Rn. 11; Müller-Graff/Streinz AEUV Art. 50 Rn. 17.

22 BVerfG NJW 2009, 2267.

23 Teichmann, ZRP 2013, 169.

24 Hommelhoff, Teichmann, DStR 2008, 925.

25 BR-Drs. 497/1/08.

26 Krejci, S. 13 Rn. 47.

27 Rat der EU: DRS 71 SOC 711 und DRS 84 SOC 432.

28 Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2010, 337.

29 Wedemann, EuZW 2010, 534, 537.

30 Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2009, 36.

31 ebenda.

32 BGH BeckRS 2008, 25561.

33 Teichmann, § 7 S. 403.

34 siehe dazu auch die Entscheidungen „Überseering“ BeckRS 2004, 74969, „Centros“ BeckEuRS 1999, 234760, „Inspire-Art“ NZI 2003, 676.

35 Handlexikon der Europäischen Union: Lissabon Strategie, Begriff und Zielsetzung.

36 http://ec.europa.eu/research/evaluations/pdf/archive/fp6-evidence-base/evaluation_studies_and_reports/evaluation_studies_and_reports_2004/the_lisbon_strategy_for_growth_and_employment__report_from_the_high_level_g roup.pdf (letzter Aufruf: 24 Juni 2015 um 12:30 Uhr).

37 KOM(2005) 551.

38 KOM(2008) 394.

39 KOM(2007) 640.

40 KOM(2008) 396.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Die Europäische Privatgesellschaft und die Vereinheitlichung des europäischen Gesellschaftsrechts
Hochschule
Universität Hamburg
Note
11
Autor
Jahr
2015
Seiten
31
Katalognummer
V439473
ISBN (eBook)
9783668791121
ISBN (Buch)
9783668791138
Sprache
Deutsch
Schlagworte
europäische, privatgesellschaft, vereinheitlichung, gesellschaftsrechts
Arbeit zitieren
Enes Özcan (Autor:in), 2015, Die Europäische Privatgesellschaft und die Vereinheitlichung des europäischen Gesellschaftsrechts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/439473

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