Eschatologie im Epheserbrief


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

31 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Vorbemerkungen
1.1. Der Verfasser
1.2. Die Empfänger
1.3. Die Situation
1.4. Das Verhältnis zur Gnosis

3. Analyse der bedeutendsten Textstellen
Eph 1,7-14
Eph 2,1-7
Eph 1,21b; 4,30; 6,13

4. Schluss

Bibliographie

1. Einleitung

Mit dem Begriff Eschatologie werden diejenigen Glaubensvorstellungen bezeichnet, die sich auf die „ἔσχατα“, d.h. die „letzten Dinge“, beziehen.1 Es stehen sich dabei Fragen nach der Endlichkeit und der Unendlichkeit gegenüber: Was wird vergehen? Was hat auf Ewigkeit bestand? Und was ändert sich, wenn die „letzten Dinge“ kommen?

Eschatologische Vorstellungen besitzen dabei häufig eine zeitliche Dimension, beziehen sich also auf das in Zukunft kommende. Obwohl sie sich auf das Zukünftige beziehen, sind sie allerdings vor allem für die Gegenwart eines Menschen von Bedeutung, da sie sowohl auf einer persönlichen (Individualeschatologie) als auch auf einer die ganze Menschheit (Universaleschatologie) betreffenden Ebene die gegenwärtige Art zu leben und zu denken prägen.2 Hierin besteht neben der reinen Suche nach dem theologischen Profil des Verfassers auch die Hauptmotivation einer Untersuchung der Eschatologie des Epheserbriefes: Gelingt es einem, die eschatologischen Vorstellungen des Verfassers umfassend zu verstehen, erscheinen unter Umständen auch andere theologische Vorstellungen, die im Brief zu finden sind (Ekklesiologie, Christologie, etc.), in einem neuen Licht und können somit auf einer tieferen Ebene verstanden werden.

Eine Untersuchung der Eschatologie des Epheserbriefes ist allerdings kein leichtes Unterfangen. Es herrschen unter den Theologen unterschiedlichste Interpretationen bezüglich des Zeitverständnisses des Verfassers und das Spektrum der möglichen eschatologischen Modelle reicht weit: Die einen Auslegungen sehen im Brief eine rein präsentisch zu verstehende Eschatologie, die jegliche Andeutung einer futurischen Komponente relativierbar machen (so z.B. Lindemann). Andere Exegeten sehen den Brief im Spannungsfeld zwischen einer präsentischen und einer futurischen Eschatologie (so z.B. Lona). Und wieder andere versuchen, den Brief stark von seiner Situation her zu verstehen, wodurch eschatologische Aussagen im Kontext ihrer Zeit erklärbar werden (so z.B. Schwindt).

Die vorliegende Arbeit nimmt sich zum Ziel, diejenigen Stellen des Epheserbriefes, die für seine Eschatologie von Bedeutung sind, genauer zu untersuchen und somit

zu einem umfassenden Verständnis der eschatologischen Vorstellungen des Verfassers zu gelangen. Dazu sollen zunächst einige Vorbemerkungen wichtige Grundvoraussetzungen der späteren Exegese liefern, wobei bereits hier deutlich wird, wie das breite Spektrum an eschatologischen Modellen auch durch die unterschiedlichen Voraussetzungen in den Denkweisen der Exegeten zu erklären ist. Auf die Vorbemerkungen folgt eine dreigliedrige Analyse der Textstellen, die Stück für Stück Erkenntnisse über die Eschatologie des Epheserbriefes liefert. Abschließend wird das eschatologische Profil des Verfassers durch die resultierende Darstellung der Analysen als Ergebnis präsentiert.

2. Vorbemerkungen

Es sollen im Folgenden einige Vorbemerkungen zur Situation und dem Verständnis des Epheserbriefes die Basis dieser Arbeit bilden. Zunächst empfiehlt sich ein Blick auf die Frage nach dem Verfasser des Briefes. Diese hilft bei der Beantwortung der Frage, inwiefern die Eschatologie des Epheserbriefes mit den eschatologischen Vorstellungen von Paulus zusammenhängt: Muss man sie als Weiterentwicklung der paulinischen Theologie von Paulus selbst oder von einer anderen Person verstehen? Die Frage nach dem Empfänger des Briefes ist daraufhin von Bedeutung, um die Gemeinde, an die sich der Brief richtet, genauer in den Blick zu bekommen. Eng damit verbunden ist die Frage nach der Situation der Gemeinde. Die beiden Fragen tragen dazu bei, bestimmte situationsbedingte Nuancen des Briefes3 erkennen und berücksichtigen zu können.

Zuletzt spielt beim Epheserbrief in besonderer Weise die Frage nach dem Verhältnis zur Gnosis eine bedeutende Rolle. An ihr entscheidet sich nämlich, ob die eschatologischen Vorstellungen im Lichte von gnostischem Gedankengut gelesen werden sollten beziehungsweise dürfen.

1.1. Der Verfasser

Bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts begann die theologische Diskussion um die Frage nach dem Verfasser des Epheserbriefes, der sich im Brief als Paulus ausgibt.4 Der Engländer Edward Evanson hegte 1792 erste Zweifel daran, dass Paulus wirklich der Verfasser ist. Über das 19. und 20. Jahrhundert hinweg lieferten vielschichtige Analysen immer neue Erkenntnisse über den Brief und die Praxis der Pseudepigraphie wurde weiter erforscht. Heute besteht ein weitreichender Konsens in der Annahme, dass der Brief tatsächlich nicht von Paulus selbst verfasst wurde5, sondern vermutlich von einem der Paulusschüler.6

Auch dieser Arbeit liegt die Annahme der Pseudepigraphie des Briefes zugrunde.

Dies ist von großer Bedeutung, da sie dessen Eschatologie unter anderem Blickwinkel betrachten kann, als wenn es sich bei Eph um einen echten Paulusbrief handeln würde. So erklärt sich, dass im Epheserbrief die „hohe Stabilität“7 der eschatologischen Vorstellungen von Paulus gebrochen wird und es Platz für neue Vorstellungen und Theorien gibt, in denen sich der Verfasser des Briefes entfalten kann. Diese „Neuinterpretation der paulinischen Theologie“8 findet sich in der Eschatologie der Briefes.

1.2. Die Empfänger

Da die ältesten Zeugen des Briefes und einige Kirchenväter wie Origenes und Basilius die Ortsangabe en VEfeşw| nicht bezeugen, kann nach den Regeln der äußeren Textkritik davon ausgegangen werden, dass diese nicht ursprünglich ist.9 Es gibt eine ganze Reihe von Theorien darüber10, wie die Stadt mit dem Brief in Verbindung gebracht werden kann. Am wahrscheinlichsten ist nach derzeitigem Forschungsstand aber, dass sich der Brief an mehrere Gemeinden in der Provinz Asia richtet11, von denen Ephesus eventuell die wichtigste war.12

1.3. Die Situation

Im Gegenteil zum einigen paulinischen Briefen (z.B. 1 Kor) erfährt man aus dem Epheserbrief selbst relativ wenig über die damalige Situation der Gemeinde. Das führte lange Zeit dazu, dass dem Brief eine „Geschichtslosigkeit bzw. Geschichtsarmut“13 vorgeworfen wurde. Eine Änderung vollzog sich erst mit den Gemeinde“ gegen eine Urheberschaft seitens Paulus. S. Rantzow, Sophie: Christus Victor Temporis. Zeitkonzeptionen im Epheserbrief, Neukirchen-Vluyn 2008, S.12f.

Studien von Eberhard Faust, der sich ausführlich mit der religions- und sozialgeschichtlichen Situation des Epheserbriefes auseinandersetzte.14

Faust stellte fest, dass die Situation der Briefempfänger durch damals vorhandene Spannungen zwischen Juden- und Heidenchristen gekennzeichnet ist15, die der Verfasser mit seinem zwischen 80 und 90 n.Chr. verfassten Brief16 zu überwinden versucht. Die Spannungen sind Resultat eines „innerkirchlichen Achtungsverlust[es] der kerygmatisch maßgeblichen Judenchristen“17, welche in der Gefahr standen, einer „politischen Theologie“18, welche sie zu diskriminieren drohte19, zum Opfer zu fallen. Der Autor des Briefes versucht, diese Spannung zu überwinden, Einheit zu schaffen und somit die Diskriminierung der Judenchristen abzuwenden.

Der Epheserbrief spricht zwar direkt in eine historische Problemsituation hinein20, jedoch sind die vorkommenden Inhalte nur wenig von der Situation geprägt. Es ist zwar durchaus wahrscheinlich, dass die auf Gemeinschaft und Einheit stiftenden Themen sehr bewusst gewählt wurden, aber inhaltlich zeigen diese Themen keine Prägung durch die äußeren Umstände. Es lässt sich somit feststellen, dass der Autor ein „gültiges Zeugnis [...][für] Leser aller Zeiten“21 geschaffen hat.

1.4. Das Verhältnis zur Gnosis

Bei der Gnosis handelt es sich um eine in der Spätantike aufkommende Erlösungslehre, welche sowohl im paganen als auch im christlichen Bereich Fuß fasste. Gnostische Denkrichtungen umfassen zum Beispiel ein alternatives Zeitverständnis zu dem der späten Antike sowie der Vorstellung eines bereits vorchristlich auftretenden „erlösten Erlösers“. Es ist dabei nicht möglich, von „der Gnosis an sich“ zu sprechen, da es verschiedene Stoßrichtungen gab und sich die gnostischen Vorstellungen über die Zeit stark erweiterten und veränderten.22

Mit dem Verhältnis des Epheserbriefes zur Gnosis stößt man auf ein viel diskutiertes Grundproblem: Lässt man den Gnostizismus bei der Analyse des Briefes völlig außer Acht, entgehen einem vielleicht wichtige Schritte zu einem umfassenden Verständnis des Briefes. Ordnet man den Epheserbrief in seiner Ganzheit der Gnosis zu, ist man unweigerlich versucht, gnostisches Gedankengut auf dessen Theologie zu übertragen, womit diese unter einem völlig neuen, eventuell aber zu weit gehenden, Blickwinkel erscheint.

Ein Extrembeispiel dafür liefert Andreas Lindemann: In seinem 1975 erschienenen Werk Die Aufhebung der Zeit23 bettet er den Epheserbrief in gnostisches Denken ein, was ihn zu außergewöhnlichen Ergebnissen führt: So verliert der Epheserbrief bei Lindemann „jede Bezugnahme auf die Geschichtlichkeit des Heilsgeschehens“24, darüber hinaus ist „die Zeitvorstellung durch eine Raumvorstellung abgelöst“25, was dann letztendlich dazu führt, dass „Zeit [...] nicht mehr [ist]“26. Lindemanns Ansatz wurde häufig kritisiert und durch Horacio Lona bereits 1984 stark entkräftet27. Das Beispiel Lindemann zeigt jedoch, wie das Verhältnis zur Gnosis den Blick auf den Epheserbrief beeinflusst. Es ist darum wichtig, sich mit der Frage nach dem (nicht) vorhandenen Gnostizismus im Epheserbrief auseinanderzusetzen.

Problematisch ist, dass die Frage nach dem Verhältnis von Epheserbrief und Gnosis

- wie im gesamten Neuen Testament - „außerordentlich schwierig“28 ist und die Exegeten weit von einer einheitlichen Meinung entfernt sind. So stehen auf der Seite Lindemanns mit ihm noch zahlreiche weitere Exegeten wie Baur, Bultmann, Käsemann, Fischer, Pokorný u.a., die von einem starken Einfluss gnostischen Denkens auf den Epheserbrief ausgehen.29 Auf der Seite derjenigen, die die gnostischen Einflüsse auf den Epheserbrief eher ablehnen beziehungsweise nur von gnosis-ähnlichen Mustern reden, stehen neben Lona noch Holtzmann, Hilgenfeld, Pfleiderer, Weizsäcker, Mußner, Hegermann, Colpe, Gnilka, Luz, Ernst, Schnackenburg u.a.30

Unmöglich zu leugnen ist die Tatsache, das im Epheserbrief Begriffe und Denkmuster vorkommen, die denen der Gnosis gleichen beziehungsweise ihnen

ähnlich sind. Diese „offensichtlichen Analogien“31 lassen es aber noch nicht zu, den Brief einfach der Gnosis beziehungsweise dem Gnostizismus zuzuordnen. Vielmehr stellt sich die Frage: „ Stammen sie [die Ausdrücke und Begriffe] aus Gnosis oder Gnostizismus oder wurden sie nur gnostisch im Zusammenhang eines gnostischen Systems?“32 So lassen sich zwar einige scheinbar gnostische Denkmuster zeitlich so weit zurückverfolgen, dass ein vorchristlicher Gnostizismus bewiesen scheint, doch die Möglichkeit, dass der Gnostizismus vielmehr einfach nur von Denkmustern des alttestamentlichen, beziehungsweise des hellenistischen Judentums beeinflusst war, bleibt auch dann bestehen.33

So steckt man bei einer Verhältnisbestimmung von Gnosis und Epheserbrief in einem Dilemma, in dem beide Extrempositionen (der Epheserbrief hat überhaupt keine Verbindung zur Gnosis und der Epheserbrief ist ein durch und durch gnostisches Schreiben) nicht an und für sich bestehen können - zu ähnlich sind manche Gedanken der Gnosis und zu wenig gnostisch sind andere. Eine ehrliche Umgangsweise mit dem Brief lässt darum nur eine Zwischenposition zu: Der Epheserbrief besitzt zwar gnostische „Richtungen und Tendenzen“, aber ein „entwickelter Gnostizismus im engeren Sinne“34 ist trotzdem nicht zu finden.

3. Analyse der bedeutendsten Textstellen

Im Folgenden sollen diejenigen Textstellen des Epheserbriefs analysiert werden, die für ein umfassendes Verständnis der Eschatologie des Briefes von Relevanz sind. Dazu wird zunächst jeweils eine eigene Übersetzung vorangestellt, auf die sich die darauf folgende Analyse stützen wird.

Die erste Textstelle, Eph 1,7-14, ist Teil der „ Großen Eingangseulogie “ 35, welche direkt auf das brieftypische Präskript (1,1-2) folgt. Im Abschnitt dankt der Verfasser Gott für seinen Segen, bevor er ab Vers 7 die Bedeutung dessen im Leben der Gläubigen beschreibt. Ab Vers 9 entfaltet er das µυστήριον, welches offenbart worden ist, woraufhin er den Gläubigen die Vorherbestimmung (Vers 11) und die Versiegelung mit dem heiligen Geist (Vers 13) zuspricht. Für ein tieferes Verständnis der Eschatologie des Briefes spielen besonders die Verse 7, 9f, 12, sowie 13f. eine wichtige Rolle. Auf die Eingangseulogie folgt ein üblicher Teil der „ Danksagung und Fürbitte “ (1,15-23), der im Normalfall in den neutestamentlichen, beziehungsweise paulinischen Briefen allerdings direkt auf das Präskript folgt.36

Der anschließende Abschnitt (Eph 2,1-10) eröffnet den Briefcorpus und handelt vom „ Christwerden und der neuen Existenz “ . Die Verse 1-7 lassen auf die eschatologischen Vorstellungen des Verfassers schließen und werden darum Teil der genaueren Analyse sein. Von besonderer Bedeutung ist das Verständnis der komplizierten Wendung ἐνδείξηται ἐν τοῖς αἰῶσιν τοῖς ἐπερχοµένοις in Vers 7, da eine Interpretation hier von vielen Faktoren, unter anderem der Deutung des komplexen Motivs der αἰῶνες, abhängt.

Im Lichte der Analysen der ersten beiden Textstellen sollen abschließend die Einzelverse 1,21b, 4,13 und 6,13 untersucht werden. In diesen drei Textstellen ist man beim ersten Lesen am ehesten versucht, auf einen eschatologischen Ausblick und sogar auf einen konkreten Zeitpunkt einer eintretenden Apokalypsis („Tag der Erlösung“, „böser Tag“) zu schließen. Die genaue Untersuchung wird jedoch zeigen, dass ein vorschnelles Urteil hier zu Trugschlüssen führen kann. Darum ist eine tiefergehende Analyse wichtig, um die eschatologischen Vorstellungen des Verfassers genau zu verstehen.

Eph 1,7-14

7 In ihm (Christus) haben wir die Erlösung durch sein Blut,

die Vergebung der Sünden gemäß dem Reichtum seiner Gnade,

8 die er an uns überreichlich gewährt hat in aller Weisheit und Einsicht;

9 machte er uns das Geheimnis seines Willens bekannt gemäß seines Wohlgefallens, den er in ihm festgesetzt hatte,

10 zur Durchführung der Heilsordnung37 der Fülle der Zeiten, das All38 in Christus zusammenzufassen, was in den Himmeln und auf der Erde ist - in ihm.

11 In ihm wurden auch wir vom Los getroffen, vorherbestimmt gemäß dem Vorsatz dessen, der alles wirkt auf Grund seines Willens39,

12 damit wir zum Lob seiner Herrlichkeit diejenigen seien, die schon vorher in Christus Hoffnung haben.40

13 In ihm wurdet auch ihr, nachdem ihr das Wort der Wahrheit, das Evangelium eurer Rettung, gehört hattet und nachdem41 ihr zum Glauben gekommen wart, mit dem heiligen Geist42 der Verheißung versiegelt,

14 der die Anzahlung auf unser Erbe ist zur Erlösung, der Inbesitznahme,43 zum Lob seiner Herrlichkeit.

Nachdem der Verfasser Gott zu Beginn der Eingangseulogie für dessen Segen (εὐλογήσας), Erwählung (ἐξελέξατο), das Privileg der Sohnschaft (υἱοθεσίαν) und die Begnadigung (ἐχαρίτωσεν) dankt, geht er ab Vers 7 zunächst auf die Folgen der Gnade im Leben der Gläubigen ein44: In Christus und durch sein Blut (διὰ τοῦ αἵµατος) ist das kollektive „wir“ aus Verfasser und adressierter Gemeinde im Besitz der Erlösung (ἀπολύτρωσις). Die ἀπολύτρωσις wird im Eph durch das eingeschobenen Relativsatzfragment „τὴν ἄφεσιν τῶν παραπτωµάτων“ präzisiert - es handelt sich hier zweifellos um die Vergebung der Sünden. Bei der Formulierung des Verses handelt es sich um eine Anlehnung an Kol 1,14, in welchem bis zum Verweis auf das Blut Christi, der sich wiederum auch in Kol 1,20 findet,45 der gleiche Wortlaut vorliegt.46 Durch die Nennung des Blutes47 und den damit verbundenen

Verweis auf das Kreuz, lenkt der Verfasser den Fokus bewusst auf das einmalig

historische Ereignis, das im Tod Christi geschehen ist. Die Erlösung ist geschichtlich erfolgt, sie bleibt aber in der Gegenwart der Gläubigen real und in deren Besitz, was das präsentische ἔχοµεν deutlich zum Ausdruck bringt.48 Die Sündenerlösung ist im Eph demnach keine eschatologische Hoffnung, sondern eine bereits gegenwärtige Realität, die „gewährt“ (Vers 8) wird.49

Im Vers 9 spricht der Verfasser zum ersten mal das µυστήριον an, welches an späteren Stellen (3,3.4.9; 5,32; 6,19) wieder aufgegriffen wird. Das „Geheimnis seines Willens“ besteht in der Zusammenführung „des Alls“ beziehungsweise „von allem“50 (τὰ πάντα, Vers 9)51 in Christus. Auch wenn der Begriff µυστήριον oftmals das „Nicht-Erkennbare, das Rätselhafte“52 bezeichnet, welches von Gott verborgen ist,53 so wird an dieser Stelle doch klar, dass der Fokus des Verfassers hier vielmehr auf dem „jetzt Erkennbare[n]“54 liegt, denn Christus hat das Geheimnis bereits bekanntgemacht (Part. Aor. γνωρίσας).

Diese „Gegenwärtigkeit der Offenbarung“55 des Geheimnisses, die den Gläubigen bekanntgemacht gemacht wurde, steht wiederum in einem christologischem Bezug zur Durchführung des Heilsgeschehens, welches „ἐν αὐτῷ“ geschehen ist.56 Doch wie, beziehungsweise wann ist die οἰκονοµία, die Zusammenfassung des Alls, erfolgt? Eines ist sicher: Der Text beantwortet die Frage nicht so „deutlich“,57 wie Schnackenburg behauptet. Das wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass sich die Exegeten in diesem Punkt bei Weitem nicht einig sind.

[...]


1 Vgl. Wißmann, Hans: Art. »Eschatologie I«, in: TRE 10, Berlin/New York, 1985, S.254.

2 Vgl. a.a.O., 255.

3 Ein Extrembeispiel, das zeigt, wie bedeutend diese Betrachtung sein kann, wäre zum Beispiel 1 Kor. Dieser ist ohne Berücksichtigung der historischen Situation nur schwer verständlich, beziehungsweise es besteht die Gefahr von Fehlinterpretationen.

4 Paułoj apoştolos [...] dia.VIhsou/Cristou)

5 Gründe für diese Annahme liefern vor allem Vergleichsstudien des Eph mit denen Briefen, die als „authentisch“ anerkannt werden. Unterschiede finden sich zunächst auf der Ebene sprachlich- stilistischer Besonderheiten (für Paulus unübliche Worte oder Wendungen werden verwendet; Neigung zu langen Satzkonstruktionen, die eher untypisch für den paulinischen Schreibstil sind). Weitere Unterschiede bestehen in der Darstellung der Gemeindestruktur und einigen perspektivischen Veränderungen gegenüber der paulinischen Theologie (z.B. Rechtfertigungsaussagen, Christologie oder Ekklesiologie). Außerdem sprechen die literarische Abhängigkeit zum (deuteropaulinischen) Kolosserbrief und der „Eindruck fehlender Vertrautheit zwischen Verfasser und adressierter

6 Vgl. Schnackenburg, Rudolf: Der Brief an die Epheser, Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament, Zürich u.a. 1982, S.20f. oder Schnelle, Udo: Einleitung in das neue Testament, Göttingen 62007, S.346.

7 Landmesser, Christoph: Die Entwicklung der paulinischen Theologie und die Frage nach der Eschatologie, in: Eckstein, Hans-Joachim u.a. (Hrsg.): Eschatologie - Eschatology, Tübingen 2011, S.194.

8 Gese, Michael: Das Vermächtnis des Apostels. Die Rezeption der paulinischen Theologie im Epheserbrief (WUNT II 99), Tübingen 1997, S.263.

9 Vgl. Schnackenburg, EKK, 37f.

10 Vgl. Best, Ernest: Ephesians, ICC, Edinburgh 1998, S.101.

11 Vgl. Schnackenburg, EKK, 25.

12 Vgl. Schnelle, Einleitung, 347.

13 Rantzow, Victor, 9.

14 Faust, Eberhard: Pax Christi et Pax Caesaris. Religionsgeschichtliche, traditionsgeschichtliche und sozialgeschichtliche Studien zum Epheserbrief, Freiburg Schweiz 1993.

15 Vgl. Faust, Pax, 476f.

16 Schnelle, Einleitung, 346.

17 Faust, Pax, 477.

18 A.a.O., 483.

19 Vgl. ebd.

20 Vgl. Rantzow, Victor, 9f.

21 Gese, Vermächtnis, 263.

22 Vgl. Berger, Klaus: Art. »Gnosis/Gnostizismus I«, in: TRE 13, Berlin/New York, 1985, S.519-535.

23 Lindemann, Andreas: Die Aufhebung der Zeit. Geschichtsverständnis und Eschatologie im Epheserbrief, Gütersloh 1975.

24 A.a.O., 259.

25 A.a.O., 239.

26 A.a.O., 259.

27 Lona, Horacio E.: Die Eschatologie im Kolosser- und Epheserbrief, Würzburg 1984.

28 Wilson, Robert McLachlan: Art. »Gnosis/Gnostizismus II«, in: TRE 13, Berlin/New York, 1985, S.540.

29 Für eine gute Übersicht über die Frage nach dem gnostischen Verständnis des Epheserbriefes s. Schwindt, Rainer: Das Weltbild des Epheserbriefes. Eine religionsgeschichtlich-exegetische Studie (WUNT 148), Tübingen 2002, S.7-46.

30 Vgl. ebd.

31 A.a.O., 477.

32 Wilson, Gnosis, 540.

33 Vgl. dazu Schwindt, Weltbild, 21-31.

34 Wilson, Gnosis, 542.

35 Alle Bezeichnungen nach Schnackenburg, EKK, 35-299.

36 Vgl. Rantzow, Victor, 41.

37 Sinngemäße Übersetzung, orientiert an den Erkenntnissen in Rantzow, Victor, 224. Tendenziell geht die Meinung der Exegeten in die Richtung, dass die wörtliche Übersetzung von oikonomia (=Heilsplan) in diesem Kontext nicht präzise genug ist. Vielmehr wird eine „zielgerichtetere“ Übersetzung benötigt. Vgl. z.B. Lona, Eschatologie, 272.

38 Oder auch „alles“; Vgl. Art. »paj( pasa( pan« in: Bauer, Walter: Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, hrsg. von Kurt Aland u. Barbara Aland, Berlin/New York 61988, Sp.1277f.

39 Übersetzung orientiert an Art. »boulh( hj( h« in: Bauer, Wörterbuch, 290.

40 S.u. im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Stelle.

41 Bewusste Auslassung der Repititio „en w-|kai“.

42 Tw/|pneumati (...) tw/|agiw)

43 Schnackenburg schlägt diese Übersetzung als genitivus explicativus vor (EKK, 43), welcher ich mich anschließe. S. die Anmerkungen zur Stelle.

44 Mit Vers 7 beginnt einer der Nebensätze, die vom Partizip proorişaj (Vers 5) abhängen. Der hier gewählte Startpunkt hat allerdings weniger mit syntaktischen, als vielmehr mit inhaltlichen Gründen zu tun. Vgl. Sellin, Gerhard: Der Brief an die Epheser, Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament, Göttingen 2008, S.80.

45 Vgl. Schwindt, Weltbild, 54.

46 Vgl. z.B. Schnackenburg, EKK, 54f. oder Lindemann, Aufhebung, 197.

47 Schnackenburg führt aus, dass sich „die Erwähnung des Blutes Christi [...] als Topos der urchristlichen Katechese [...] für die sühnende, entsündigende, heiligende Wirkung des Kreuzestodes Jesu“ (EKK, 54) immer wieder im Urchristentum findet.

48 Vgl. Sellin, Epheser, 98.

49 Vgl. dazu Schlier, Heinrich: Der Brief an die Epheser, Düsseldorf 1957, S.58, der feststellt: „Sie [die Erlösung] realisiert sich vorläufig in der gegenwärtigen Gewährung der eschatologischen Sündenvergebung“

50 Das musthŗion wird durch den Infinitivsatz anakefalaiwşasqai ta. paņta en tw/| Cristw| genauer bestimmt. Vgl. Schnackenburg, EKK, 58.

51 Eine umfassende Auseinandersetzung über die Verwendung und Bedeutung von „ta.paņta“ im Kontext dieses Verses s. Lindemann, Aufhebung, 52-54.

52 Lona, Eschatologie, 272.

53 Vgl. Bauer, Wörterbuch, 1073.

54 Lona, Eschatologie, 272.

55 Lindemann, Aufhebung, 93.

56 Vgl. Lona, Eschatologie, 272.

57 Schnackenburg, EKK, 59.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Eschatologie im Epheserbrief
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Theologische Fakultät)
Note
1,5
Autor
Jahr
2013
Seiten
31
Katalognummer
V439399
ISBN (eBook)
9783668791367
ISBN (Buch)
9783668791374
Sprache
Deutsch
Schlagworte
eschatologie, epheserbrief
Arbeit zitieren
Marius Maurer (Autor:in), 2013, Eschatologie im Epheserbrief, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/439399

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