Bürgerversicherung und Kopfpauschale - Eine ökonomische Beurteilung zweier Reformvorschläge für die Krankenversicherung

Stand 2004


Seminararbeit, 2004

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Status Quo oder zur Notwendigkeit einer Finanzierungsreform der GKV

3. Reformvorschlag Bürgerversicherung
3.1. Versichertenkreis
3.2. Beitragsbemessungsgrundlage und Beitragserhebung
3.3. Quantifizierung der Effekte und abschließende Beurteilung

4. Gesundheitsprämien mit steuerfinanziertem Einkommensausgleich
4.1. Das Modell – Ziele und Effekte
4.2. Kritik am Modell

5. Schlussbetrachtung und Ausblick

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Nach der Reform ist vor der Reform.“

(politische Weisheit)

In Zusammenhang mit der unerfreulichen finanziellen Lage der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dürfte jeder von uns schon einmal seine Erfahrungen gemacht haben. Umso größer ist das Interesse, wenn Lösungen hierzu von Seite der Wissenschaft und Politik gemacht werden. In der Öffentlichkeit ist bereits die Diskussion darüber entfacht, wie die Finanzierungsgrundlagen in der Krankenversicherung neu gestaltet werden sollen. Besondere Aufmerksamkeit in diesem Zusammenhang genießen zwei Modelle, die im Auftrag der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt von der Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme[1] in einem Schlussbericht 2003 theoretisch begründet und quantifiziert wurden.

Das sind das Konzept der Bürgerversicherung und das Konzept der Gesundheitsprämien mit steuerfinanziertem Ausgleich. Sie werden in der vorliegenden Arbeit vorgestellt und unter gesamtwirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Aspekten untersucht und bewertet.

Im nächsten Abschnitt wird zunächst auf die Notwendigkeit einer Finanzierungsreform der GKV näher eingegangen. Dabei werden nicht nur die Ursachen für die derzeitige Lage der Krankenversicherung aufgezeigt, sondern auch ihre wichtigsten Schwachstellen, die durch die zwei Konzepte behoben werden sollen. Darauf basierend werden in den Abschnitten 3. und 4. die Modelle zunächst detailliert beschrieben. Durch eine ökonomische Analyse ihrer Auswirkungen werden sie in den beiden Abschnitten auf ihre Tauglichkeit zur Behebung der angesprochenen Problembereiche hin überprüft. In der Schlussbetrachtung werden die Ergebnisse der Analyse zusammengefasst.

2. Der Status Quo oder zur Notwendigkeit einer Finanzierungsreform der GKV

In den letzten zwanzig Jahren ist der durchschnittliche Beitragssatz der GKV von 11,4% im Jahr 1980 (früheres Bundesgebiet) auf 14,4% im Jahr 2003 (Gesamtdeutschland) gestiegen.[2] Dieser Anstieg um gute 25% ist – obwohl in Bezug auf die Dämpfung der Lohnkosten wirtschaftlich höchst unerwünscht – noch vergleichsweise moderat im Vergleich zu seiner Entwicklung in den ersten 30 Jahren der Bundesrepublik. Von 1950 bis 1980 ist der durchschnittliche Beitragssatz nämlich sogar von 6% auf 11,4% gestiegen und dadurch um fast 150%.[3],[4] Wissenschaft und Politik beschäftigen sich und die Öffentlichkeit seit langem mit der Debatte über die Hauptgründe dieses enormen Anstiegs, und es lässt sich feststellen, dass im Laufe der Zeit sowohl ein Ausgabe- als auch ein Einnahmeproblem dafür verantwortlich sind.

Der Beitragssatz-Anstieg kann für die ersten 30 Jahre der Bundesrepublik zum großen Teil damit erklärt werden, dass die Ausgaben der GKV überproportional zur wirtschaftlichen Entwicklung gestiegen sind. So lag der Anteil der Leistungsausgaben der GKV am Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu Beginn der 50er Jahre bei rund 2%. Er hat sich zum Ende der 70er Jahre auf 5,6% und damit um weit mehr als 150% erhöht. Die ab 1970 von der Politik verstärkt eingesetzten Kostendämpfungsmaßnahmen – die sich im Wesentlichen auf Einschränkungen des GKV-Leistungskatalogs und die Einführung bzw. Erhöhung von Selbstbeteiligungen konzentrierten – waren insofern erfolgreich, als es dadurch gelang, das Wachstum der GKV-Ausgaben weitgehend auf das Niveau der Entwicklung des BIP zu begrenzen. Für die letzten 20 Jahre stieg demnach der Anteil der GKV-Leistungsausgaben am BIP von 5,6% auf „nur“ 6,3% an, was eine Steigerung von lediglich 12,5% bedeutet. Dieser Anstieg der Beitragssätze ist in erster Linie aber die Folge einer zunehmend ausgeprägten Wachstumsschwäche der beitragspflichtigen Einnahmen der GKV, die in ihrer Entwicklung deutlich hinter dem BIP zurückbleiben. Der Sachverständigenrat für die Konzentrierte Aktion im Gesundheitswesen (SVRKAiG) formuliert das Problem in seinem Gutachten 2003 eindeutig: „Die Finanzierungsbasis der GKV, die im Wesentlichen aus Arbeitseinkommen und Rentenzahlungen besteht, leidet seit Beginn der achtziger Jahre an einer Wachstumsschwäche.”[5]

Die Gründe bzw. Ursachen für den weiteren Anstieg der Beitragssätze in den letzten 20 Jahren können im Allgemeinen in drei Bereichen festgestellt werden:

- Zum einen entpuppt sich die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) als das zentrale finanzielle Problem der GKV[6]. Der Anteil, den die Ausgaben für die Rentner im Rahmen der GKV am BIP beanspruchten, lag 1950 noch bei rund 0,27% (bei ca. 2% gesamt, vgl. S. 1). Bis jetzt hat er sich auf 2,8% erhöht und damit mehr als verzehnfacht.[7] Die Einnahmen für die Rentner sind dagegen auf dem fast gleichen Niveau geblieben. Ihr Anteil an den gesamten Beitragseinnahmen liegt heute in Gesamtdeutschland nur unwesentlich über dem Stand in den 50er Jahren. Die logische Konsequenz daraus ist die Verschlechterung der Deckungsquote[8]: Waren in den 60er Jahren noch über 90% der Ausgaben für Rentner durch entsprechende Einnahmen gedeckt, hat sich die Deckungsquote auf knapp über 75% in den 70er Jahren reduziert, sank dann auf unter 50% in den 80er Jahren und liegt heute nur leicht über 40%.[9] Die fortschreitende Alterungstendenz der deutschen Bevölkerung[10] macht die Schließung der Finanzierungslücke in der KVdR zur zentralen Herausforderung bei der Lösung der Finanzprobleme der GKV. Obwohl zum Solidaritätsprinzip neben dem Einkommensausgleich auch der Ausgleich zwischen „Alt“ und „Jung“ gehört, stellt sich allerdings auch die legitime Frage, ob das heutige Ausmaß dieses Ausgleichs mit dem Grundsatz der Solidarität noch vereinbar ist.

- Eine weitere Ursache für die finanziellen Probleme der GKV besteht in der kontinuierlichen Erosion der Beitragsannahmen. Die hier gängigen Thesen von einer sinkenden Lohnquote oder einer hohen Anzahl der beitragsfrei mitversicherten Familienmitglieder erweisen sich als statistisch nicht belegbar. Zum einen ist die Lohnquote – also der Anteil der Einkünfte aus unselbständiger Arbeit am BIP – von durchschnittlich 59,37% in den 50er Jahren auf durchschnittlich 72,64% in den 90er Jahren kontinuierlich gestiegen.[11] Zum anderen ist der Anteil der kostenlos versicherten Familienmitglieder an der Gesamtzahl der Versicherten allein von 1985 bis 1990 von 53,5% auf 45,9% gesunken.[12] Bei sonst bleibenden Leistungsausgaben macht sich diese Tendenz vielmehr in Form einer Stärkung der Einnahmebasis der GKV als in einer Ausgabenreduzierung bemerkbar.

Die Wachstumsschwäche der beitragspflichtigen Einnahmen ist vielmehr von der Politik durch die sog. „Verschiebebahnhöfe“ selbst mitverursacht. Die Entlastungen der öffentlichen Haushalte mit gleichzeitigen Belastungen des Krankenversicherungssystems haben viele Formen[13] und nur eine Folge – weitere Schwächung der Finanzkraft der GKV.

- Der dritte Ursachenbereich kann nicht nur als Folge der existierenden Systemmängel in der GKV abgeleitet, sondern auch als in hohem Maße mitverantwortlich für die Misslage der GKV-Ausgaben bezeichnet werden. Gemeint sind hier die effizienzmindernden Organisationsstrukturen, die auf die Besonderheiten des Gesundheitsmarktes zurückzuführen sind. Die unterschiedliche Verteilung von Wissen über Befindlichkeit (Patient) und Behandlungsmöglichkeiten (Arzt), verbunden mit den oft gegenläufigen individuellen Interessen dieser Parteien, schafft hier Fehlanreize für Steuerung der Nachfrage, Mengenausweitung oder Betrug bei der Ärzteschaft oder für ein kostenintensives Gesundheitsverhalten bei den Patienten.[14]

Über der Finanzierungsproblematik hinaus weist die heutige GKV erhebliche Umverteilungsmängel bei der Umsetzung des Solidaritätsprinzips auf.[15] Es werden folgende Missstände im sozialen Ausgleich der GKV festgestellt:[16]

- Beitragspflichtig sind im Wesentlichen nur Einkommen aus abhängiger Erwerbstätigkeit und Erwerbsersatzeinkommen, während insbesondere Einkünfte aus Vermögen bzw. Vermietung und Verpachtung unberücksichtigt bleiben.
- Die Beitragspflicht endet an der naturgemäß stets willkürlich festgelegten Beitragsbemessungsgrenze, die eine regressive Wirkung auslöst: Einkommen oberhalb dieser Grenze bleiben unberücksichtigt, so dass Besserverdienende einen geringeren Anteil ihres Einkommens beisteuern.
- Die beitragsfreie Familienmitversicherung kann zu einer Benachteiligung von Zweiverdienerehepaaren gegenüber Einverdiener-Paaren mit gleichem Gesamteinkommen führen.
- Die Existenz der Versicherungspflichtgrenze erlaubt es besserverdienenden Arbeitnehmern, nach individuellem Nutzenkalkül zu entscheiden, ob sie in der GKV bleiben oder nicht: sie haben die Möglichkeit, sich durch einen Wechsel zur privaten Krankenversicherung (PKV) jeglicher Beteiligung an der solidarischen Finanzierung zu entziehen.
- Für Beamte und Selbständige besteht grundsätzlich keine verpflichtende Beteiligung an der solidarischen Finanzierung der Gesundheitsversorgung. Beamten ist die Zugehörigkeit zu einer gesetzlichen Krankenkasse aufgrund des steuerfinanzierten Beihilfesystems faktisch sogar vollständig verwehrt.[17]

Vor diesem Hintergrund wurde am 12.11.2002 von der Bundesministerin Ulla Schmidt die 26-köpfige KfNFSS (die Kommission) eingerichtet mit dem Auftrag, „…Vorschläge zu entwickeln, wie die Sozialversicherung unter Berücksichtigung von Generationen- und Geschlech tergerechtigkeit langfristig finanziert und somit zukunftsfest gemacht werden kann.“[18] Am 28. August 2003 übergab die Kommission ihren Schlussbericht und stellte ihn der Öffentlichkeit vor. In Abschnitt 4. des Berichtes erarbeitet die Kommission in Bezug auf die GKV die zwei Konzepte, die in den nächsten zwei Abschnitten vorgestellt und analysiert werden.

[...]


[1] Im Folgenden „die Kommission“ bzw. „die Rürüp-Kommission“ genannt.

[2] Vgl. o.V.: Die Rechengrößen in der Sozialversicherung, Internet: http://www.pm-makler.de/other/
sozialversicherung.pdf, S. 1.

[3] Berié, H. und Fink, U. (2002/2003): Grundlohnentwicklung und Ausgaben der GKV, WISO-Institut, Berlin, Internet: http://www.wiso-gruppe.de/download/wiso_grundlohnentwicklung_und_ausgaben_der_gkv.pdf, S. 3.

[4] Diese werden berechnet aufgrund einer Verringerung der erwähnten 6% (1950) auf 4,7%, um die massive Entlastung der GKV durch die Einführung der Lohnfortzahlung für kranke Arbeitnehmer 1970 zu berücksichtigen, vgl. Berié & Fink (2002/2003), S. 3f.

[5] Sachverständigenrat für die Konzentrierte Aktion im Gesundheitswesen: Finanzierung, Nutzerorientierung und Qualität (2003), Gutachten, Internet: http://www.svr-gesundheit.de/gutacht/gutalt/gutaltle.htm, S. 17.

[6] Der andere Zweig ist die Allgemeine Krankenversicherung (AKV) ohne Berücksichtigung der Rentner, vgl. Berié & Fink (2002/2003), S. 11f.

[7] Vgl. Berié & Fink (2002/2003), S. 6f.

[8] Die Deckungsquote wird als Quotient von Einnahmen und Ausgaben für die KVdR berechnet, vgl. Berié & Fink (2002/2003), S. 6f.

[9] Vgl. Berié & Fink (2002/2003), S. 6f.

[10] Vgl. o.V. (2004): Raumordnung/Bevölkerung, Aktuelle Ergebnisse, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Internet: http://www.bbr.bund.de/index.html?/raumornung/bevoelkerung/ entwicklung.htm.

[11] Vgl. Berié & Fink (2002/2003), S. 5f.

[12] Vgl. Berié & Fink (2002/2003), S. 4f.

[13] Vgl. o.V.: Wo bleiben meiner Versicherungsbeiträge?, Internet: http://www.bkk-oetker.de/news/news_verschiebebahnhoefe.htm.

[14] Vgl. Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme (2003): Bericht, Internet: http://www.soziale-sicherungssysteme.de/download/PDFs/Bericht.pdf, S. 143f.

[15] Zur gut 120-jährigen Geschichte und Begründung des Solidaritätsprinzips in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung vgl. Herles, D. (2000): Die Gesetzliche Krankenversicherung, Internet: http://www. gesundheits-politik.net/01_gesundheitssystem/krankenversicherung/gkv/KBVfobi02-GKV0006.pdf

[16] Jacobs, K. et al. (2003): Bürgerversicherung versus Kopfpauschale, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, S. 11f.

[17] „Beihilfen“ sind Kostenzusagen des Staates gegenüber seinen Beamten und deren Familien, einen bestimmten Anteil der Kosten im Krankheitsfall zu übernehmen (i.d.R. zwischen 50% und 80%). Die verbleibende Versorgungslücke wird von der PKV durch günstige Ergänzungsversicherungen geschlossen. Alternativ können Beamte in die GKV wechseln, müssten dann aber den vollen Beitragssatz zahlen, vgl. o.V.: Krankenversicherung und Beamte, Internet: http://www.akademischerdienst.de/kvziel4.html.

[18] o.V.: Internet: http://www.soziale-sicherungssysteme.de/auftrag/index.html.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Bürgerversicherung und Kopfpauschale - Eine ökonomische Beurteilung zweier Reformvorschläge für die Krankenversicherung
Untertitel
Stand 2004
Hochschule
Universität Hamburg
Veranstaltung
Seminar zur Versicherungsbetriebslehre / SS 2004
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
18
Katalognummer
V43923
ISBN (eBook)
9783638416085
ISBN (Buch)
9783638843348
Dateigröße
496 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In Zusammenhang mit der unerfreulichen finanziellen Lage der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geniessen zwei Reformforschläge eine besondere Aufmerksamkeit. Das sind das Konzept der Bürgerversicherung und das Konzept der Gesundheitsprämien mit steuerfinanziertem Ausgleich. Sie werden in der vorliegenden Arbeit vorgestellt und unter gesamtwirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Aspekten untersucht und bewertet.
Schlagworte
Bürgerversicherung, Kopfpauschale, Eine, Beurteilung, Reformvorschläge, Krankenversicherung, Seminar, Versicherungsbetriebslehre
Arbeit zitieren
Dipl.-Kfm. / M.E.S. / Internationaler Wirtschaftler (BG) Vesselin Iankov (Autor:in), 2004, Bürgerversicherung und Kopfpauschale - Eine ökonomische Beurteilung zweier Reformvorschläge für die Krankenversicherung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43923

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