Bahnreform: Spartentrennung und Privatisierungsmöglichkeiten?


Seminararbeit, 2005

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Ökonomische Rahmenbedingungen im Bahnsektor
2.1. Die Eisenbahn - ein wirtschaftspolitischer Ausnahmebereich?
2.2. Besonderheiten der Netzindustrie
2.2.1. Natürliches Monopol
2.2.2. Irreversible Kosten
2.3. Disaggregierte Betrachtung des Eisenbahnsektors
2.3.1. Darstellung der Ebenen der Leistungserstellung
2.3.2. Untersuchung der Ebenen auf Wettbewerbsfähigkeit

3. Folgerungen für eine effiziente Bahnpolitik
3.1. Die Bahnreform und ihre Konsequenzen
3.1.1. Stufen der Bahnreform
3.1.2. Die heutige Situation
3.2. Weiterentwicklung und Alternativen
3.2.1. Integrationsgrad der EIU
3.2.2. Eigentumsstruktur von EIU und ETU
3.2.3. Betriebsrahmen und Regulierungsnotwenigkeit

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1994 wurde mit dem ersten Schritt der Bahnreform der Versuch gestartet, die zu diesem Zeitpunkt in wirtschaftlich desolatem Zustand befindliche Deutsche Bundesbahn (DB) sowie die Deutsche Reichsbahn (DR) gemein- sam in Form der Deutschen Bahn AG (DB AG) neu zu organisieren und zu privatisieren. Hauptziel war eine Verbesserung der allgemeinen Leistungs- fähigkeit und damit die Erfüllung ordnungs- verkehrs- umwelt- und finanz- politischer Ziele.1 11 Jahre nach diesem ersten Schritt befindet sich die Bahn nach wie vor zu 100% in staatlichem Besitz, die finanzielle Situation der Bahn AG sowie der Marktanteil der Wettbewerber sind eher unbefriedi- gend.2

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Bahnsektor und der Bahnre- form und untersucht die Privatisierungsmöglichkeiten bzw. die verbleibende Regulierungsnotwendigkeit. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach der Bedeutung der Trennung von Infrastruktur- und Verkehrssparte für eine erfolgreiche Privatisierung.3 Als Bewertungsmaßstab dient das o.g. Haupt- ziel der Bahnreform sowie im Speziellen die unter 2.1. geschilderte markt- wirtschaftliche Maxime.

Kapitel 2 untersucht die ökonomischen Rahmenbedingungen des Bahnsektors und begibt sich dabei auf die Suche nach wirtschaftspolitischen Ausnahmebereichen und Konsequenzen für das Marktgeschehen. Kapitel 3 beschreibt die Maßnahmen der Bahnreform sowie die heutige Situation und formuliert auf Basis der Erkenntnisse aus Kapitel 2 konkrete Folgerungen für die Privatisierung und Deregulierung (im Sinne einer Verringerung von wirtschaftspolitischen Spezialvorschriften für den Bahnsektor). Die Arbeit schließt in Kapitel 4 mit Fazit und Ausblick.

2. Ökonomische Rahmenbedingungen im Bahnsektor

2.1. Die Eisenbahn - ein wirtschaftspolitischer Ausnahmebe- reich?

Im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland vorliegt, erfordert jede staatliche Intervention eine besondere Begründung. Die Wohlfahrtstheorie kennt hierfür drei we- sentliche Ursachen: Nicht existenzfähige Märkte4, Märkte mit zu geringem oder solche mit ruinösem Wettbewerb. Tritt mindestens einer dieser drei Tatbestände auf, so liegt eine Begründung für staatliches Handeln vor.5

Staatliches Handeln spielte im Verkehrssektor und speziell bei der Eisenbahn schon immer eine bedeutende Rolle.6 Argumente, die für eine Regulierung, vor allem im Sinne einer Unterstützung der Bahn, vorgebracht wurden und werden, sind vielfältig und reichen von umweltpolitischen über sozialpolitische bis zu raumstruktur- und regionalpolitischen Begründungen. Es lässt sich jedoch zeigen, dass diese Ziele ohne eine direkte Unterstützung oder zumindest ohne staatliche Bereitstellung der Leistungen gleichwertig oder effizienter gewährleistet werden können.7

Neben den genannten politischen Bestrebungen werden jedoch auch öko- nomische Gründe für die Regulierung angeführt: Dem System Eisenbahn ist die Bindung an ein Schienennetz immanent. Somit handelt es sich bei der Bahn, ebenso wie beispielsweise bei Elektrizitätsversorgung oder Tele- kommunikation, um eine Netzindustrie, deren Kostenstruktur von unter- schiedlichen Netzeffekten beeinflusst wird. Diese Effekte, so die klassische Ansicht, führen zu einer Monopolsituation und damit zu partiellem Markt- versagen auf Grund mangelnden Wettbewerbs. Die daraus resultierenden

Wohlfahrtseinbußen machen staatliche Regulierungseingriffe notwendig.8 Im Folgenden soll näher untersucht werden, inwiefern im gesamten Bahnsektor oder in Teilbereichen tatsächlich Marktversagen vorliegt und ob bzw. welche Art staatlichen Engagements des Sektors zu einem volkswirtschaftlich besseren Ergebnis führt.

2.2. Besonderheiten der Netzindustrie

2.2.1. Natürliches Monopol

Von einem natürlichen Monopol spricht man, wenn „(...) die gesamte am Markt nachgefragte Gütermenge am kostengünstigsten von einem einzigen Anbieter hergestellt werden kann. Die Kosten der gesamten Produktion durch einen Anbieter sind also geringer als die, die sich bei einer Aufteilung auf mehrere Anbieter ergeben würden.“9 Auf Grund der subadditiv verlau- fenden Kostenfunktion (Abb. 1) kann ein Monopolist den Markt zu den volkswirtschaftlich geringsten Kosten bedienen, Wettbewerb wäre ineffi- zient.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Natürliches Monopol durch subadditive Kostenfunktion.

Eigene Darstellung

Eine solche Kostenfunktion entsteht (im Ein-Produkt-Fall10 ) durch Größen- vorteile in der (Dienstleistung-)Produktion. In Bezug auf den Eisenbahnsek- tor sind vor allem economies of scale (sinkende langfristige Durchschnitts- kosten bei steigender Unternehmensgröße), economies of density (sinkende kurzfristige Durchschnittskosten bei steigender Auslastung einer gegebenen Infrastruktur) und economies of scope (Verbundvorteile durch gemeinsame Produktion von z.B. Güter- und Personentransport) von Bedeutung.11 Eco- nomies of scale sowie economies of density führen zu einem natürlichen Monopol; liegen zudem economies of scope vor, so erstreckt sich das natür- liche Monopol auch auf die unter Verbundvorteilen produzierten anderen Güter.12

2.2.2. Irreversible Kosten

Liegt eine subadditiv verlaufende Kostenfunktion vor, führt das daraus fol- gende natürliche Monopol jedoch nicht zwangsweise zu negativen Wohl- fahrtseffekten und Regulierungsbedarf. Nach der Theorie der contestable markets 13 , die den Regulierungsbedarf von natürlichen Monopolen unter- sucht, liegt Marktmacht des natürlichen Monopols nur dann vor, wenn die bereits erwähnten Bündelungsvorteile auf irreversible Kosten stoßen (Tab.

1).14 Letztere sind für das eingesessene Monopol - anders als für potenzielle Wettbewerber - nicht mehr entscheidungsrelevant. Trotz ineffizienter Produktion entfällt so möglicherweise die disziplinierende Wirkung potenzieller Wettbewerber, da für diese Hit-and-run -Aktionen nicht möglich sind.15 Man spricht dann von monopolistic bottlenecks oder Engpassressourcen; (nur) diese müssen einer Regulierung unterzogen werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1: Lokalisierung monopolistischer Bottleneck-Einrichtungen

Quelle: Knieps ( 2003), S. 15

Im Folgenden ist zu prüfen, ob im Eisenbahnsektor ein natürliches Monopol in Verbindung mit irreversiblen Kosten vorliegt. Wenn dies der Fall ist, bedeutet das aber noch nicht automatisch, dass der gesamte Sektor staatlich reguliert werden muss. Um eine ausreichend genaue Antwort zu erhalten, lohnt sich eine disaggregierte Betrachtung des Sektors.16

2.3. Disaggregierte Betrachtung des Eisenbahnsektors

2.3.1. Darstellung der Ebenen der Leistungserstellung

Das Eisenbahnsystem kann in disaggregierter Betrachtungsweise in drei Netzebenen (im Sinne unterschiedlicher Stufen der Leistungserstellung) unterschieden werden:17

- Ebene der Transportdienstleistung: Angebot von Eisenbahntrans- portdienstleistungen durch ein Eisenbahntransportunternehmen (E- TU)
- Ebene der Verkehrsleitsysteme: Betrieb der Zugüberwachungssys- teme, Kapazitätenzuteilung, Fahrplan18
- Fahrweg-Ebene: Aufbau und Betrieb von Schieneninfrastruktur durch ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU)

Gemäß den Überlegungen aus 2.2. müssen die einzelnen Stufen auf das Vorliegen von Größen- und Verbundvorteilen sowie die Problematik der irreversiblen Kosten untersucht werden. Liegen beide Eigenschaften vor, so handelt es sich um ein nicht-angreifbares Monopol, das reguliert werden muss. Ist nur eine oder keine Bedingung erfüllt, so liegt Wettbewerbspotential (ggf. mit Einschränkungen) vor.

2.3.2. Untersuchung der Ebenen auf Wettbewerbsfähigkeit

Hinsichtlich der Transportdienstleistungsebene argumentieren viele Auto- ren auf Grund von Plausibilitätsüberlegungen für eine Tendenz zum natürli- chen Monopol, die v.a. auf economies of density und economies of scale basiert.19 Allerdings ist eine theoretische oder empirische Fundierung schwierig, zumal die Effekte nur unter bestimmten Rahmenbedingungen sowie in bestimmten Kapazitätsgrenzen auftreten.20 Sie lassen sich darüber hinaus durch Spezialisierungsvorteile seitens kleinerer Wettbewerber kom- pensieren. Da zudem irreversible Kosten in relevanter Höhe a.G. der Mobi- lität und Widerveräußerbarkeit der Schienenfahrzeuge nicht vorliegen, kann auf dieser Ebene auf die Macht des aktiven oder potentiellen Wettbewerbs gesetzt werden - Regulierung ist somit grundsätzlich nicht nötig.

Bei der Schieneninfrastruktur soll zunächst nicht ein komplexes Netz, sondern eine einzelne Verbindung zwischen zwei Punkten betrachtet wer- den. Hier entsteht eine subadditive Kostenstruktur (und damit ein natürli- ches Monopol) v.a. durch eine bessere Auslastung (economies of density bzw.

[...]


1 Vgl. Munzert (2001), S. 31 ff. Als konkreter Anlass für die Bahnreform ist zudem die Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Rates 91/440/EWG zu sehen.

2 Siehe 3.1.2.

3 Abgrenzung der Sparten unter 2.3.1. Unter Privatisierung wird dabei die Verringerung der politischen Einflussnahme auf Unternehmen verstanden (vgl. Ewers (1994), S. 181).

4 Gründe für Marktversagen können mangelnde Informationen, Öffentliche Güter oder Externe Effekte sein (vgl. Petersen ((1999), S.79 ff.). Detaillierte Darstellung der Rahmenbedingungen eines optimalen Marktes z.B. bei Sohmen (1992), S. 69ff.

5 Dabei ist aber zu bedenken, dass nicht nur Märkte, sondern auch der Staat versagen kann. Dieses von der Modernen Politischen Ökonomie beschrieben Phänomen nennt Regierungs- und Politikversagen, Bürokratieversagen, aber auch Moralversagen. Die daraus möglicher- weise folgenden Ineffizienzen sind daher stets bei der Forderung nach einem Staatseingriff zu bedenken und gegen eventuelle Marktineffizienzen abzuwägen. Detailliert z.B. bei Pe- tersen, Müller (1999), S. 178ff.

6 Eine gute Übersicht über (teilweise historische) verkehrsbezogene Regulierungstatbestände liefert die Deregulierungskommission (1991), S. 35ff.

7 Vgl. Schmitz, 1997, S.18ff.

8 „Das Monopol liegt in der Natur der Eisenbahn, tritt daher in allen Fällen gleich ein und muss eben reguliert werden“ (Sax, E., (1879), in: Knieps, 2001, S. 22).

9 Bögelein (1990), S.183.

10 Hedderich (1996) weist darauf hin, dass es sich bei Eisenbahnen um Mehrproduktunternehmen handelt (S.31). Zur Erläuterung der grundsätzlichen Problematik soll hier aber vom einheitlichen Produkt „Verkehrsleistung“ ausgegangen werden.

11 Vgl. Ewers (1994), S. 185 f. Ausführungen zu den einzelnen Netzeffekten z.B. bei Köster (1999) S.9 ff.; Knieps (2001) S.24 ff.

12 Vgl. Ewers (1994), S. 186. Andere Autoren (z.B. Hedderich (1996), S.33 ff. oder Laaser (1991), S.59 ff.) folgen dieser Ansicht nicht und sehen in sinkenden kurzfristigen Durchschnittskosten keinen Grund für ein natürliches Monopol. Da, wie sich zeigen wird, diese Fragestellung für die hier vorgenommene rudimentäre Untersuchung des Sachverhalts keine Rolle spielt, wird nicht weiter darauf eingegangen.

13 Vgl. Knieps (2003), S. 11. Es spielen auch weitere Rahmenbedingungen eine Rolle, ausführlich z.B. bei Baumol u.a. (1988), Hinweise auf die Bewertung der Realitätsnähe der Annahmen z.B. bei Knieps (1999), S.11.

14 Bei der Abwesenheit von irreversiblen Kosten ist der Marktaustritt ohne größeren finan- ziellen und zeitlichen Aufwand möglich. Aber auch (finanzielle) Markteintrittsschranken, also hohe Anfangsinvestitionen, sind für potenzielle Marktneulinge von Bedeutung.

15 Vgl. Knieps (2001), S.28-35.

16 Ergänzend sei auch auf die Essential-Facility-Doktrin hingewiesen. Sie regelt präzise die Frage, wann (vertikal integrierte) Unternehmen reguliert werden dürfen. Voraussetzungen sind z.B. Nichtduplizierbarkeit, technische Machbarkeit der Bereitstellung für Dritte und Wesentlichkeit (detailliert z.B. bei Rottenbiller (2002)). Wenngleich die Bedeutung der Eisenbahn innerhalb des heute breit gefächerten Verkehrsmixes zumindest in bestimmten Regionen diskutabel ist (ggf. Substitution durch intermodalen Wettbewerb), soll die We- sentlichkeit und somit die „Regulierungswürdigkeit“ der Schiene im Folgenden unterstellt werden.

17 Detaillierte Darstellung der Aufgaben der einzelnen Stufen im Wertschöpfungsprozess bei Berndt (2003), S.46f. Schmitz ((1997), S.21) weist darauf hin, dass die Zuordnung zu einer Ebene nicht gleichbedeutend mit der Aufgabenerfüllung durch jeweils nur einer Ge- sellschaft ist - hier sind betriebswirtschaftliche Kriterien (z.B. Make-or-Buy) ausschlagge- bend.

18 Die Unterteilung der Infrastrukturebene in Verkehrsleitsysteme und Fahrweg wurde erstmals von Knieps (1996, S. 14 ff.) vorgenommen und nicht von allen Autoren geteilt. Sie steht nicht im Zentrum der Desintegrations-Diskussion, ermöglicht aber eine noch genauere Beschränkung der Regulierung auf wirklich notwenige Bereiche. Nachfolgende Betrachtungen konzentrieren sich jedoch auf eine Trennung von Netz und Transportbetrieb. Detaillierte Überlegungen hinsichtlich der optimalen Zuordnung bzw. organisatorischen Ausgestaltung der Verkehrsleitsystemebene z.B. bei Knieps (1996), S. 43 ff.

19 Vgl. Berndt (2003), S. 50 f., Ewers (1994), S. 188, Schmitz (1997), S. 25 f.

20 Vgl. Berndt (2003), S. 50 f.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Bahnreform: Spartentrennung und Privatisierungsmöglichkeiten?
Hochschule
Universität Potsdam  (Lehrstuhl für Volkswirtschaft, insb. Wirtschaftspolitik)
Veranstaltung
Dialogseminar
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V43901
ISBN (eBook)
9783638415934
Dateigröße
652 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beschäftigt sich zunächst mit den ökonomischen Rahmenbedingungen des Bahnsektors (disaggregierte Betrachtung, natürliches Monopol), stellt dann die realisierten und geplanten Stufen der Bahnreform da und beschäftigt sich abschließend mit einer optimalen institutionellen Lösung hinsichtlich Privatisierung und Liberalisierung.
Schlagworte
Bahnreform, Spartentrennung, Privatisierungsmöglichkeiten, Dialogseminar
Arbeit zitieren
Jörg Thurm (Autor:in), 2005, Bahnreform: Spartentrennung und Privatisierungsmöglichkeiten?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43901

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