Die Ambiguität des rousseauschen Gemeinwillens


Hausarbeit, 2018

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. ) Einleitung
1.1. Vorstellung der Ausgangsfrage
1.2. Relevanz der Fragestellung

II. ) Hauptteil
2. Das Konzept des Gemeinwillens
2.1. Definition: „Gemeinwille“
2.2. Definition: „Gemeinwohl“
2.3.Signifikanz des Gemeinwillens
2.4.Zwei Deutungsmoglichkeiten der volonte generale und deren historische Konsequenzen:
2.4.1 die subversiv-demokratische Deutung
2.4.2 die totalitare Deutung

3. Demokratie
3.1. Definition: „Demokratie
3.2. Zwei Demokratietheorien:
3.2.1 „Identitatstheorie“
3.2.2 „Konkurrenztheorie“

III. ) Schluss

Fazit/ Beantwortung der Ausgangsfrage

Literaturverzeichnis

Diese Arbeit geht folgender Frage nach:

Wird Rousseaus Werk „Vom Gesellschaftsvertrag“, trotz der ihm zugrunde liegenden Konzeption eines Gemeinwillens-welcher sowohl totalitare, als auch anti-totalitare Elemente enthalt- uberhaupt seinem demokratischen Anspruch gerecht?

Die volonte generale als zentrales Moment des Contract Social enthalt sowohl demokratische Elemente, wie beispielsweise die Idee der Volkssouveranitat, als auch totalitare Elemente, wie der Zwang zur Befolgung eines homogenen Volkswillens-hinter dem sich die Vorstellung eines vorgegebenen Gemeinwohls verbirgt.

Durch diese Ambiguitat des rousseauschen Gemeinwillens ergibt sich die Gefahr einer selektiven Rezeption des „Gesellschaftsvertrags.“

Diese Gefahr werde ich an zwei exemplarischen Konsequenzen, welche beide durch Rousseaus Konzept eines Gemeinwillens inspiriert wurden, veranschaulichen. Zunachst werde ich dabei auf die erste Phase der Franzosischen Revolution eingehen, danach auf die zweite Phase. Mit der vorliegenden Fragestellung soll kritisch uberpruft werden, ob und inwiefern die totalitaren Elemente des Gemeinwillens tatsachlich im Widerspruch zum demokratischen Anspruch des Gesellschaftsvertrages stehen. Bei der Beantwortung werde ich zwischen dem damaligen rousseauschen und dem heutigen Demokratieverstandnis differenzieren. Ziel ist es, zu einer sachlichen, beide Sichtweisen gleichermafien abwagenden Antwort zu gelangen. Hierbei wird bewusst der historische Kontext des Gesellschaftsvertrages berucksichtigt, auch um zu verdeutlichen, wie weit sich der Demokratieanspruch gewandelt hat.

2.Das Konzept des Gemeinwillens

Zur Erleichterung des Verstandnisses werden zuerst die zentralen Begriffe „Gemeinwille“ und „Gemeinwohl“ definiert. Im zweiten Schritt wird die Signifikanz des Gemeinwillens erlautert.

2.1. Definition: „Gemeinwille“

Im Gesellschaftsvertrag werden verschiedene Willensarten aufgefuhrt. Unterschieden wird zwischen den sogenannten Sonderwillen, dem Gesamtwillen und schliefilich dem Gemeinwillen. Ersterer ist ein rein am Eigeninteresse orientierter Wille der Individuen. Er zielt nur auf den eigenen Vorteil des Individuums ab.1 Der Gesamtwille bildet die Summe dieser Sonderwillen. Er zielt ebenfalls blofi auf das Privatinteresse ab. Der Gemeinwille dagegen ist allen Individuen gemein. Dafur muss er nicht unbedingt einstimmig sein. Es ist nicht die Anzahl der Stimmen, sondern vielmehr das alle einigende Gemeininteresse, das den Willen allgemein macht (Rousseau 2011:36). Im Gegensatz zum Sonder- und Gesamtwillen zielt der Gemeinwille auf das „offentliche Wohl“ ab (Rousseau 2011:31).

2.2. : Definition „Gemeinwohl“

Das Gemeinwohl oder auch offentliche Wohl „bezeichnet das Wohl (das gemeine Beste, den gemeinen Nutzen, die gemeine Wohlfahrt, [...] ) eines Gemeinwesens.[...] Gemeinwohl wird verstanden als Gegenbegriff zu blofien Einzel- oder Gruppeninteressen innerhalb einer Gemeinschaft [...].1 In vielen [Werken] [der] politischen Philosophie hat das Gemeinwohl eine grofie Bedeutung. [So steht beispielsweise] in der neuzeitlich politischen Philosophie[..] das Gemeinwohl des Staates [als hochster Staatszweck] im Vordergrund.“2

Der Gemeinwille nimmt einen hohen Stellenwert innerhalb des Gesellschaftsvertrags ein. Dies wird bereits daran ersichtlich, dass ausschliefilich er allein die Staatskrafte gemafi dem Gemeinwohl-als hochstem Staatszweck- leiten kann (Rousseau 2011:28). Daruber hinaus wird seine Unabdingbarkeit dadurch verstarkt, dass Rousseau in einem Zusammenschluss,welcher nur auf dem Gesellschaftsvertrag basieren kann, die einzige Moglichkeit fur den Erhalt des Menschengeschlechts sieht (Rousseau 2011:16-17). Der allgemeine Wille wiederum stellt die oberste Leitnorm, die essenzielle Grundlage dieses Vertrages dar. Die volonte generale ist die Begrundungsinstanz der Polis, da erst mit der Unterordnung jedes Gesellschaftsmitglieds unter „die oberste Richtschnur des Gemeinwillens“ eine „sittliche Gesamtkorperschaft“ etabliert wird (Rousseau 2011:18). Dadurch ist der Ubergang vom Natur- in den Staatszustand abgeschlossen. Eben dieser Ubergang ist nicht nur uberlebensnotwendig fur den Menschen, sondem er geht zudem mit einer moralischen Lauterung einher. Das ursprunglich stumpfsinnige und beschrankte Lebewesen hat sich nun in ein intelligentes Wesen: in einen Menschen, verwandelt. Jener Progress wird auch daran ersichtlich, dass „zum Erwerb des burgerlichen Standes noch die sittliche Freiheit [hinzukommt], die allein den Menschen zum wirklichen Herrn seiner selbst macht [...].“ (Rousseau 2011:23). Die Burger werden erst durch den Gemeinwillen frei (Rousseau 2011:119). Um den Missbrauch dieser neuerworbenen Freiheit und burgerlichen Rechte zu verhindern, was ansonsten zum Untergang des Staates fuhren wurde, ist die Befolgung des Gemeinwillens fur jedes Gesellschaftsmitglied verbindlich. Somit wird durch den Zwang zur Befolgung des allgemeinen Willens der potenziellen Gefahr eines Staatunterganges praventiv vorgebeugt.

2.4. Zwei Deutungsmoglichkeiten der volonte generale und deren historische Konsequenzen

Es folgt nun eine Demonstration der dem Gemeinwillen inharenten Ambiguitat mittels ausgewahlter Textstellen aus dem „Gesellschaftsvertrag.“ Die Folgen der beiden Deutungsmoglichkeiten werden an dem ubergeordneten Rahmen der Franzosischen Revolution erlautert. Die subversiv-demokratische Deutungsmoglichkeit sowie deren positive Konsequenzen lassen sich anhand der ersten Phase der Franzosischen Revolution (1789-1791) darlegen. Die totalitare Deutungsmoglichkeit und ihre negativen Konsequenzen konnen dagegen an der zweiten Phase (1792-94) exemplifiziert werden.

2.4.1 Die subversiv-demokratische Deutung und ihre positiven Konsequenzen

Die erste, sogenannte „burgerliche“ Phase der Franzosischen Revolution stand unter dem Zeichen des Kampfes fur die Abschaffung des feudal-absolutistischen Standestaates, dem Gewinn der burgerlichen (Freiheits-)rechte und der Etablierung einer konstitutionellen Monarchie. Meine Leitfrage im Hinblick auf diese Phase lautet wie folgt: Stellt die rousseausche Konzeption des Gemeinwillens- genauer: ihre erste Deutungsmoglichkeit- eine der Ursachen dar, welche zur Entstehung der revolutionaren Ausgangssituation des Jahres 1789 beitrugen? Bei der Beantwortung werde ich mich auf den Einfluss des im Januar 1789 veroffentlichten Pamphlets, „Was ist der Dritte Stand?“ von Emmanuel Joseph Sieyes konzentrieren. In dieser Schrift macht sich Sieyes die rousseausche Idee des Gemeinwillens zu eigen, um die uberragende Rolle des Dritten Standes zu propagieren. Ich werde zeigen, dass Sieyes ‘ subversive Deutung der volonte generale einen entscheidenden Beitrag zur Erhebung des Dritten Standes und somit generell zum Ausbruch der Franzosischen Revolution geleistet hat.

Um die Tragweite von Siyes Schrift nachvollziehen zu konnen, ist eine kurze Skizzierung der vorrevolutionaren Gesellschaftsordnung Frankreichs sowie von Abstimmungsmodus und Stimmverteilung in den „Generalstanden“ (=Standeversammlung) hilfreich. Im vorrevolutionaren Frankreich war die Gesellschaft in drei Stande unterteilt. Die ersten beiden, privilegierten Stande wurden von Geistlichkeit und Adel gebildet. Der dritte Stand umfasste alle Bauern und Burger. Ihm gehorte 1789 die groBe Mehrheit der Bevolkerung (98 Prozent) an. Trotz seiner deutlichen Mehrheitsposition musste sich der Dritte Stand der Vorherrschaft von Klerus und Adel beugen. So wurde der Dritte Stand in den Generalstanden systematisch benachteiligt. Die „Generalstande“ waren eine Versammlung von Vertretern der drei Stande. In einer solchen Versammlung verfugte jeder Stand uber die gleiche Anzahl von Abgeordneten. Das Votum jedes Standes musste einheitlich, d.h. pro Stand, abgegeben werden. Dies lief auf eine klare Benachteiligung des Dritten Standes hinaus, denn er vertrat zwar 98 Prozent der Bevolkerung, besaB aber nur ein Drittel der Stimmen.

In der Generalversammlung vom Mai 1789 forderten die Vertreter des Dritten Standes erstmals eine Aufwertung ihres Standes- in Form von modifizierter Stimmverteilung und Abstimmungsweise. Da dieser Forderung nicht nachgegeben wurde, erklarten sich die Reprasentanten in einem revolutionaren Akt zur „Nationalversammlung.“ Als durchaus revolutionar galt dies, weil letztere sich nicht mehr bloB als Vertreter des Dritten Standes, sondern der gesamten franzosischen Nation verstanden. Damit war die Nationalversammlung eines der ersten modernen, da nicht mehr nach Standen gegliederten Parlamente. Ihre maBgebliche demokratische Relevanz bestand darin, dass sie eine Verfassung ausarbeitete und verabschiedete, welche erstmals dem franzosischen Volk die Souveranitat zusprach. Jener fur die demokratische Entwicklung Frankreichs so mafigeblich verantwortliche Akt, der von einem gesteigerten Selbstbewusstsein des Dritten Standes zeugt, ist primar auf Sieyes Schrift zuruckzufuhren. So griff, laut Rainer Keil, Sieyes „mit seiner [...] Streitschrift [...] nicht nur in einem besonders gunstigen Zeitpunkt in das Geschehen der Franzosischen Revolution ein- die l.Auflage erschien im Januar, die 3. ,passend zur Eroffnung der Generalstande im Mai‘1 1789- und erzielte so grofie Wirkung. [Daruber hinaus] ist seine Rolle [darin, mit] jener vergleichbar, die Thomas Paine mit seiner Kampfschrift Common Sense ,als Geburtshelfer‘3 der vorangegangenen Amerikanischen Revolution gespielt hatte“.2 Die revolutionare Wirkung des Pamphlets ist im Kern darauf zuruckzufuhren, dass „[...] Sieyes appropriated the term [,general will‘] to elevate the Third Estate from ,nothing‘ to sovereign“.4

Diese bahnbrechende Adaption des Gemeinwillens setzt zunachst eine der rousseauschen Konzeption immanente Synthese von allgemeinem Willen und Souveranitiat voraus. Tatsachlich wird der Gemeinwille im Contract Social als Inbegriff der Volkssouveranitat (Rousseau 2011:35) dargestellt, wenn es heifit, „Souveranitat [.] ist nichts anderes als die Ausubung des Gemeinwillens, sie besteht im wesentlichen im Gemeinwillen“ (Rousseau 2011:28;106). Emmanuel Sieyes begrundet den Souveranitatsanspruch des Dritten Standes damit, dass ausschliefilich dieser Trager des allgemeinen Willens sei. Dabei stutzt er sich unter anderem auf die rousseausche Determinierung der volonte generale als Willen der Mehrheit (Rousseau 2011:120), indem er es als manifestes Prinzip darstellt, „ dafi der gemeinschaftliche Wille die Meinung der Majoritat ist und nicht der Minoritat“.5 Entsprechend Rousseaus Definition ist demnach -rein aufgrund seiner uberwaltigenden Mehrheit- der Dritte Stand, so lautet Sieyes implizite Konklusion, legitimer Trager des Gemeinwillens.

[...]


1 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag , Buch II, Kap.1, S.28.

2 Wikipedia „Gemeinwohl“, <https://de.m.wikipedia.org/wiki/Gemeinwohl>, (24.7.2018, 13:18 Uhr).

1 EMMANUEL JOSEPH SIEYES. Was ist der Dritte Stand? Herausgegeben von Oliver W. Lembcke und Florian Weber, Schriften zur europaischen Ideengeschichte. Herausgegeben von Harald Bluhm. Band 3. Berlin: Akademie Verlag, 2010, S. 107.

2 Ebd. S. 255.

3 ARSP (Archiv fur Rechts- und Sozialphilosophie), Band 99/1, Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2013, S. 118.

4 Farr, James & David Lay Williams (2015) „The General Will: The Evolution of a Concept", in: Cambridge University Press, 16.

5 PSM-DATA Geschichte „Sieyès: Was ist der Dritte Stand?“, (30.7.2018, 23:00 Uhr).

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Ambiguität des rousseauschen Gemeinwillens
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Theologie, Geschichtswissenschaften, Philosophie)
Veranstaltung
Philophischer Einstieg-Philophisches Schreiben
Note
1,7
Autor
Jahr
2018
Seiten
20
Katalognummer
V437733
ISBN (eBook)
9783668819085
ISBN (Buch)
9783668819092
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rousseau, Vom Gesellschaftsvertag, volonte generale
Arbeit zitieren
Claudia Mollin (Autor:in), 2018, Die Ambiguität des rousseauschen Gemeinwillens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/437733

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