Satire vor Gericht


Studienarbeit, 2005

21 Seiten, Note: 1,7

Lothar Kachida (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Was ist Satire?

2. Satirische Presselandschaft und rechtliche Konsequenzen

3. Juristische Auseinandersetzungen mit Satire – exemplarische Fälle
3.1 Verunglimpfung des Staates nach §90a StGB
3.2 Ehrverletzung nach §§185ff. StGB
3.3 Religionsbeschimpfung nach §166 StGB
3.4 Anzeigenparodien

4. Fazit

Verwendete Literatur

Witz und Satire haben eins gemeinsam:
Ebenso wie ein guter Witz nur funktioniert, wenn es mindestens einen gibt, der nicht darüber lachen kann, so geht auch die Satire immer zu Lasten eines Dritten.

Prof. Dr. Dieter Meurer
Strafrichter am Landesgericht Frankfurt a.M.

Einleitung

Die vorliegende Arbeit gibt einen schematischen Überblick zum Themenkomplex „Satire und Justiz“, um aufzuzeigen, dass zwar Privatpersonen, Firmen und Institutionen sich von Kunst angegriffen fühlen und rechtliche Schritte einleiten, es jedoch keine Zensur im eigentlichen Wortsinn gibt. Zu Anfang wird historisch- etymologisch und rechtlich geklärt, was unter dem Begriff Satire in seiner Eigentlichkeit zu fassen ist. Danach wird die satirische Zeitschriftenlandschaft in Deutschland nach 1945 beschrieben, und es werden schon hier rechtliche Aspekte zur Charakterisierung der jeweiligen Publikationen bemüht. Darauf folgend stehen vier Prozesse im Mittelpunkt, die exemplarisch für die Vielzahl der Zusammenstöße von Kunst und Recht stehen und jeweils einen anderen Teilaspekt abdecken. Weder Vor- noch Nachzensur lässt sich hier – und in der Satiregeschichte nach 1945 allgemein – entdecken, auch wenn dies dem Selbstverständnis mancher Künstler, geradezu staatsfeindlich zu sein, widerspricht. Wer juristische Verfolgung benötigt, um auf seine Kunst aufmerksam zu machen, hat nicht viel vorzuweisen. Dies trifft insbesondere Moralsatiriker, eine Gattung, die unten kurz vorgestellt wird, und Kabarettisten. So heißt es beispielsweise in der kommunistischen Wochenzeitung Unsere Zeit zum 70. Geburtstag des Kabarettisten und Satirikers Dietrich Kittner: „Die Zensur, die angeblich wider die Verfassung ist, funktioniert perfekt.“[1] Die Begründung ist, dass der öffentlich- rechtliche Rundfunk kein Interesse an einer Ausstrahlung seines Programms hatte.

1. Was ist Satire?

Gegenstand und Geschichte

Der Schriftsteller Eckard Henscheid schrieb über Satire als etwas schwer Fassbares, das dennoch zwingend gegen Literaturgattungen wie Polemik oder Invektive abgegrenzt werden muss. Für ihn bedeutet Satire „bald dieses, bald jenes; meist alles, nur nichts Gutes“[2]. Hier wird stilistisch elegant angedeutet, was wissenschaftlich verifizierbar und auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft intendiert, aber problematisch ist: dass der Begriff Satire wie der kategoriell übergeordnete der Kunst in der Alltags- und außerhalb literaturwissenschaftlicher Fachsprache nahezu inflationär genutzt und dabei häufig nicht der Kern der eigentlichen Bedeutung getroffen wird. Zum grundlegenden Umreißen eines Begriffes ist es sinnvoll, zu Anfang von einer Definition aus einem Standard- Lexikon auszugehen. Dort heißt es über Satire u.a.:

„(...) Literaturgattung, die durch Spott, Ironie, Übertreibung bestimmte Personen, Anschauungen, Ereignisse oder Zustände kritisieren oder lächerlich machen will.“[3]

Die etymologische Herleitung aus dem lateinischen „Satura“, also der gemischt gefüllten Fruchtschale, deutet ebenfalls auf die Vielseitigkeit der Genres und der Formen hin, mit denen Satire betrieben werden kann, jedoch nicht auf den Aspekt der Kritik. Es sind satirische Rezensionen, Romane und Comics möglich; Satiren können für alle Medien produziert werden, wobei ein Schwerpunkt auf Printmedien und – etwas geringer – Rundfunk liegt. Satire im Internet entwickelt sich nur langsam, dabei auch häufig organisatorisch angelehnt an Websites von Printmedien.

Dem Begriff Satire inhärent ist immer etwas nicht nur Kritisches, sondern auch Offensives, Aggressives; Satire ist eine Kunstform der Verurteilung und der Anprangerung. Schon Herder schrieb Anfang des 19. Jahrhunderts: „Kritik und Satyre begegneten einander; diese grüßete jene und nannte sie Schwester“[4], was er im Folgenden mit der Moralität von Satire begründete. Von Moralsatire, die auf Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse zielt, ist die Individualsatire abzuheben, die zwar auch kritisch und polemisch ist, aber unpolitisch und aus rein persönlichen Gründen entsteht, also nicht auf gesellschaftliche Wirkung zielt[5]. Vom Aspekt der stilistischen Destruktivität aus lässt sich verstehen, wieso Satire meist in politisch progressiven Publikationen veröffentlicht wird[6] und auch historisch mit klassisch und vermeintlich linken Positionen verknüpft ist, da diese in besonderem Maße auf die Veränderung des Status Quo zielen. Satire war zudem historisch eine vielbenutzte Methode der Auseinandersetzung mit Formen des Traditionalismus, wie die Beispiele Voltaire, der in „Candid“ über Leibniz’ Theodizee (traditionelle spekulative Philosophie) spottet, Karl Kraus’ Angriffe auf das Pressewesen (traditionelle Kunst- und Wirtschaftsstrukturen), Tucholskys Auseinandersetzung mit dem Militär (bzw. seinem traditionellen Wertesystem) etc. deutlich aufzeigen. Satire von Konservativen oder gar von der extremen Rechten findet sich nur selten. Bei dieser politischen Einordnung kann zwar zumeist ein klassisches Rechts- Links- Schema bemüht werden, muss aber nicht zwingend passend sein. Denn auch realsozialistische Staaten wurden durch wirtschaftsliberale Kritik in satirischer Form unterhöhlt.

Recht

Die jüngste juristische Bestimmung des Begriffs Satire stammt aus der Weimarer Republik. Im 62. Bd. des Reichsgerichts heißt es:

„Es ist der Satire wesenseigen, daß sie, mehr oder weniger stark, übertreibt, d.h. dem Gedanken, den sie ausdrücken will, einen scheinbaren Inhalt gibt, der über den wirklichen hinausgeht, jedoch in einer Weise, daß der des Wesens der Satire kundige Leser oder Beschauer den geäußerten Inhalt auf den ihm entweder bekannten oder erkennbar tatsächlich gemeinten Inhalt zurückzuführen vermag, also erkennt, daß tatsächlich nicht mehr als dieser geringere Inhalt gemeint ist.“[7]

Dass Satire und rechtlich gleichbehandelt auch Karikaturen von der deutschen Justiz nach 1945 noch nicht definiert wurden, und auch der Kunstbegriff, aus dem nach Art. 5 Abs.3 GG ein gegenüber der Meinungsfreiheit erweiterter Schutzbereich entsteht, je nach Richter anders ausgelegt wird, führte zu der kontroversen Diskussion unter Schriftstellern und Juristen, ob dies die literarische Arbeit erleichtern würde, oder ob es sich nachteilig auf die Gestaltung von Literatur auswirke, wenn Juristen ihre Genres abstecken[8]. Rechtssicherheit muss gegen literaturwissenschaftliche Selbstbestimmung abgewogen werden. Die Gründe für die inhaltliche Offenheit des Kunstbegriffs sind historisch ableitbar und verweisen auf Erfahrungen der NS- Zeit:

„Eine staatliche Definition der Kunst kommt einer Ausgrenzung von ‚Nichtkunst’ aus dem Kunstbereich gleich. Derartige Aussagen erinnern immer an den Begriff der ‚entarteten Kunst’, wie er in der nationalsozialistischen Diktatur verwendet wurde.“[9]

Rechtsphilosophisch betrachtet ist die mangelnde inhaltliche Begrenzung des Satire- und Kunstbegriffs ein Paradoxon, ein logischer Zirkelfehler, denn wenn etwas durch einen normativen Text geschützt sein soll, dann resultiert daraus ein Definitionszwang. Geschützt werden kann immerhin nur Bekanntes.[10]

In der Definition des Reichsgerichts klingt zumindest an, was Satire auch heute zu unterlassen hat. Das Tatsächliche kann zwar überzogen sein, was eine fundamentlose Schmähkritik aber grundsätzlich ausschließt. Wo genau beginnt aber Schmähkritik? Grundsätzlich ist dies nach dem RA Palm unter Rückgriff auf das OLG Hamburg (1990) dann der Fall, wenn durch die Meinungsäußerung (auch in Form von Schimpfwörtern) „eine rechtfertigende Nähe zur Darstellung eines verurteilenswerten Verhaltens nicht mehr gewahrt ist“[11].

Aus der juristischen Darstellung des Reichsgerichts ergibt sich ein auch heute noch fundamentales Instrumentarium zur Beurteilung von satirischen Texten: die Trennung von Aussagekern und Einkleidung. Da Satire Aussagen in einen historischen und politischen Gesamtkontext stellt und dabei mit Assoziationen zu nicht Geschriebenem spielt, ist es bei der juristischen Urteilssprechung wichtig, sich vom reinen Wortsinn zu entfernen und eine vom Autor angesetzte Reflexionsebene zu bemühen. Schopenhauer schrieb über das Lachen (wobei Satire nicht unbedingt ein Lachen zu Ziel haben muss, dies aber meistens faktisch hat):

„Das Lachen entsteht jedes Mal aus nichts Anderem, als aus der plötzlich wahrgenommenen Inkongruenz zwischen einem Begriff und den realen Objekten, die durch ihn, in irgend einer Beziehung, gedacht worden waren, und es ist selbst eben nur Ausdruck dieser Inkongruenz.“[12]

Diese Inkongruenz, die auf der Reflexionsebene entsteht, wobei für das Objekt auch ein durch Uneigentlichkeit der Sprache sich beleidigt fühlendes Subjekt gesetzt werden kann, verweist auf die subjektive Rezeption der Satire, der ein Richter und zuvor der Kläger sich bewusst sein müssen. Denn nicht nur entsteht Inkongruenz durch vordefinierte Begriffsbestimmungen, die auf Personen oder objektive Gegenstände prallen, sondern auch durch personal differierende Abstraktion des Wortsinns.

Von besonderer Bedeutung in der o.g. Definition des Reichsgerichts ist die Vokabel des „kundige(n) Leser(s)“. Demnach muss fachspezifisch motivierte Satire im Stile uneigentlichen Sprechens nicht ihr Niveau auf das des Laien herunterbrechen und die literarische Qualität darunter leiden lassen. Vielmehr ist es an dem sich angegriffen Fühlenden, die Mühe des Denkens zu vollziehen, in welcher Weise die Kritik gemeint war, und ob dabei letztlich noch der Tatbestand der Beleidigung etc. greifen kann.

Grundsätzlich gilt für alle Presseerzeugnisse der Art. 5 GG, in dem in Abs. 1 festgehalten wird, dass eine Zensur nicht stattfindet und allgemeine Pressefreiheit herrscht. Jeder kann demnach seine Meinung frei äußern. Begrenzt wird dies durch
Abs. 2, in dem es heißt:

[...]


[1] www.dkp-online.de/uz/3721/s0901.htm, 10.07.2005

[2] Henscheid in: Henscheid/ Henschel/ Kronauer (1997), S. 188

[3] Meyers Lexikonredaktion (2003), S. 6481

[4] zit. nach Zehrer (2002), S. 65

[5] vgl. Zehrer (2002), S. 71

[6] Natürlich gibt es Ausnahmen; eine literarisch hochwertige ist die tägliche Kolumne Hans Zipperts („Zippert zappt“) in der konservativen Welt.

[7] zit. nach Rittig in: Folckers/ Solms (1997), S. 66

[8] vgl. Henscheid u.a. in: Folckers/ Solms (1997), S. 116f.

[9] Fechner (2001), S. 43

[10] vgl. Breunung/Nocke in: Dankert/ Zechlin (1988), S. 235f.

[11] www.palm-bonn.de/satire, 10.07.2005

[12] Schopenhauer, Arthur, zit. nach Zehrer (2002), S. 25

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Satire vor Gericht
Hochschule
Universität Paderborn  (Deutsche Fachjournalisten-Schule)
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
21
Katalognummer
V43750
ISBN (eBook)
9783638414814
ISBN (Buch)
9783638796941
Dateigröße
487 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Satire, Gericht
Arbeit zitieren
Lothar Kachida (Autor:in), 2005, Satire vor Gericht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43750

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