Die Kurzgeschichte im DaF/DaZ-Unterricht. Ilse Aichingers "Das Fenstertheater"


Hausarbeit, 2018

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zur Kurzgeschichte
2.1 „DasFenstertheater“ alsKurzgeschichte
2.2 Symbolik und Erzählstil Aichingers

3. KurzgeschichtenimDaF/DaZ-Unterricht
3.1 Textarbeitund-erschließung
3.2Interkulturelle Aspekte

4. Fazit

5. Anhang

6. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Literatur ist ein wichtiger Bestandteil des Sprachunterrichts. Sie bietet Einblick in die Kultur des Landes und trägt zur Motivation der Lernenden bei, wenn diese sich nicht nur mit nicht­oder semiauthentischen Lehrbuchtexten und Grammatik beschäftigen müssen. Außerdem können an ihr alle wichtigen Kompetenzen wie Lesen, Schreiben, Sprechen und Hören, sowie Landeskunde und Wortschatz geübt und vertieft werden.

In dieser Arbeit soll am Beispiel von Ilse Aichingers „Das Fenstertheater“ näher auf die Verwendung von Kurzgeschichten im DaF/DaZ-Unterricht eingegangen werden. Dazu wird zunächst die Erzählform „Kurzgeschichte“ näher erläutert, indem ihre Merkmale aufgezeigt und am Text verdeutlicht werden. In einem weiteren Schritt wird untersucht, welche Symbolik und narrative Strategien in der Geschichte verwendet werden, die typisch für Texte Aichingers sind.

Danach werden einige Aspekte für die Verwendung von Kurzgeschichten im Unterricht angeführt um zu zeigen, welches Potential die Arbeit mit Literatur bildet. Da durch den kulturellen Hintergrund jedoch auch Verständnisprobleme bei den Lernenden auftreten können, wird noch einmal untersucht, inwiefern kultur- und gesellschaftsspezifische Begriffe in der Kurzgeschichte „Das Fenstertheater“ verwendet werden und wie diese verstanden (bzw. nicht verstanden) werden könnten.

2. Zur Kurzgeschichte

2.1 „Das Fenstertheater“ als Kurzgeschichte

Der Begriff „Kurzgeschichte“ leitet sich von den US-amerikanischen short stories ab. Diese umfassen allgemein Erzählungen, also auch längere Texte als im Deutschen bei Kurzprosa üblich. Nachdem sich short stories im Deutschen vorerst nur auf die „Werke der US- amerikanischen Schriftstellergeneration um 1850“[1] bezog, wurde der Begriff ab 1945 auch für deutsche Literatur verwendet. Erst Ende 1950 wurde die Kurzgeschichte als „eigenständige literarische Erzählform“[2] (ebd., 16) eingeführt.

Ilse Aichingers 1949 verfasste Geschichte „Das Fenstertheater“ lässt sich anhand verschiedener Merkmale in die Erzählform „Kurzgeschichte“ einordnen. Erstes auffallendes Merkmal ist die Länge. Kurzgeschichten sind relativ kurz - relativ bezieht sich hier auf die Textlänge von beispielsweise Romanen, dennoch ist die Kürze nicht festgelegt. Als nächstes Merkmal fällt dem Leser der unvermittelte Einstieg in das Geschehen ins Auge: „Die Frau lehnte am Fenster und sah hinüber.“ Es gibt keine Einleitung oder wenigstens eine genauere Beschreibung der Figuren. Anfänge von Kurzgeschichten lassen sich in zwei Kategorien teilen: betont/vorbereitend und unbetont. Ein betonter Anfang enthält das Ereignis, von dem die Geschichte handelt bzw. die Ankündigung dessen; ein unbetonter Anfang enthält demzufolge weniger wichtige Informationen und die Leitmotive werden erst nach und nach mit dem Verlauf der Geschichte eingeführt. „Das Fenstertheater“ beginnt mit einem betonten Anfang. Die Situation der Frau wird erläutert, was wichtig ist um zu verstehen, warum das Ereignis so aufregend für sie ist - mit „Es hatte ihr noch niemand den Gefallen getan, vor ihrem Haus niedergefahren zu werden“ wird das Ereignis mehr oder weniger eingeleitet. Außerdem werden hier Leitmotive Licht („Da es noch ganz hell war, blieb dieses Licht für sich“) und Nähe/Ferne („Außerdem wohnte sie im vorletzten Stock, die Straße lag zu tief unten. [...] Alles lag zu tief unten.“) eingeführt.

Der unvermittelte Einstieg ist ein wichtiges Element eines textübergreifenden Merkmals, dem ausschnitthaften Erzählen. Dazu zählen weiter ein offenes Ende und Auslassungen in der Geschichte, durch die der Leser aktiviert wird. Dazu schreibt Hemingway:

„Wenn ein Prosaschriftsteller genug über das weiß, worüber er schreibt, kann er Dinge auslassen, die er weiß, und der Leser wird, wenn der Schriftsteller aufrichtig genug schreibt, ein so starkes Gefühl dieser Dinge haben, als ob der Schriftsteller sie erwähnt hätte. Die Würde der Bewegung eines Eisbergs ist darauf zurückzuführen, daß nur ein Achtel von ihm über Wasser ist.“[3]

Kurz gesagt wird also eine Kurzgeschichte erst durch das Auslassen von Informationen interessant. Das Auslassen von Informationen nutzt auch Aichinger in ihrer Kurzgeschichte, so erfährt man beispielsweise nicht, warum die Frau nichts von dem Einzug „in die Wohnung oberhalb“ weiß, wenn sie doch, wie in der Einführung geschildert „den starren Blick neugieriger Leute [hat], die unersättlich sind“ und somit eigentlich den Einzug hätte bemerken müssen.

Neben dem offenen Schluss gibt es auch die geschlossene Form mit Pointe/plot twist oder Epiphanie. Ersteres bedingt eine Handlungskurve, die entweder zu einer Lösung führt (Sinnpointe) oder in einem unerwarteten Ende mündet (Strukturpointe). Der von James Joyce eingeführte Begriff der Epiphanie besagt, dass eine Figur am Ende der Geschichte eine Erkenntnis gewinnt, „durch die [sie] größere Zusammenhänge überblickt, eine Bedeutung oder einen Sinn erfasst“[4]. „Das Fenstertheater“ lässt sich eindeutig der Epiphanie zuordnen, da die Frau am Ende einen größeren Zusammenhang erfasst, indem sie sieht, dass über ihr neue Mieter eingezogen sind und der alte Mann sie nicht, wie zuerst angenommen, belästigt, sondern nur das kleine Kind unterhält.

Ein weiteres Merkmal ist die Reduktion. Kurzgeschichten zeichnen sich durch eine verdichtete Handlung aus, die mit nur wenigen Figuren in einem kurzen Zeitrahmen begrenzt auf einen (oder nur sehr wenige) Ort spielt. Beim „Fenstertheater“ lässt sich dieses Merkmal problemlos erkennen. Handelnde Figuren sind hier nur die Frau, der alte Mann und das Kind, die Handlung findet an einem einzigen Abend statt und ist begrenzt auf die Häuser, in denen die Figuren leben. Zudem sind diese Figuren alltäglich und haben alltägliche Probleme, sodass der Leser sich leicht mit ihnen identifizieren kann. Wahrscheinlich gibt es in jeder Nachbarschaft eine ältere Frau, die den ganzen Tag am Fenster sitzt, die Umgebung beobachtet und über das Geschehen im Haus genauestens Bescheid weiß.

2.2 Symbolik und Erzählstil Aichingers

Ilse Aichinger ist eine Autorin der Trümmer- bzw. Nachkriegsliteratur. Diese Epoche zeichnet sich durch eine realistische, sachliche Darstellungsweise aus und legt den Fokus auf alltägliche Sprache und Situationen, in denen „eine epische Weltdeutung vermieden wird“[5]. Neben den für die Literaturepoche typischen Merkmalen finden sich in der Kurzgeschichte jedoch auch Bilder und narrative Strategien, welche charakteristisch für Aichinger sind.

Zu Beginn der Geschichte ist es „noch ganz hell“, jedoch neigt sich der Tag wahrscheinlich schon der Dämmerung zu, da die Werkstatt unter der Wohnung der Frau „um diese Zeit schon geschlossen war“ und es später dunkel ist. Der Tag bzw. das Licht stehen bei Aichinger für dem Leben sinngebende Erleuchtung und Klarheit. Jedoch ist das Licht immer abhängig von der Dunkelheit[6], welche „eine Zeit verzweifelter Sehnsucht“[7] symbolisiert. Die mit Licht und Dunkelheit verknüpften Assoziationen lassen sich leicht auf die Charaktere der Frau und des alten Mannes übertragen.

Die Frau lebt isoliert und distanziert im vorletzten Stock eines Hochhauses hinter einem „finstere[n] Fenster“; sie sehnt sich nach dem Leben, welches „zu tief unten“ liegt und „nur mehr leicht herauf [rauscht]“. Trotz ihrer Umstände unternimmt sie keine Bemühungen (zumindest erfährt der Leser davon nichts), diese Situation zu ändern. Den Gegensatz dazu bildet der alte Mann, welcher in seiner Wohnung Licht an hat, obwohl noch Tag ist. Er kümmert sich nicht um soziale Konventionen und darum, dass das Licht oder sein Verhalten von seinen Nachbarn als unpassend empfunden werden könnte:

„Unfreiheit ergibt sich nicht aus dem Mangel an Mobilität, sondern aus der Anerkennung allgemeiner Vorschriften und Interpretationen der Realität, die zu unreflektierten Reaktionen auf die Umwelt führen.“[8]

Dadurch, dass er sich also von Vorschriften löst, ist der alte Mann frei, während die Frau in ihren alten Strukturen gefangen ist, die es ihr nicht erlauben, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Somit fühlt sie sich von dem alten Mann belästigt bzw. angegriffen, da dieser sich gegen die Normen auflehnt, wie sich ein erwachsener Mann zu verhalten hat - der alte Mann ist Mitglied von Aichingers

„Elite von Einzelpersonen, die ihre Sonderstellung durch besondere Sensitivität, Erfahrung und Leiden erlangt haben [...] [und] einen passiven und, wenn nicht zu vermeiden, aktiven Widerstand gegen physische und intellektuelle Zwänge [ausüben].“[9]

Während die Frau die Polizei verständigt und bis diese eintrifft, ist es „inzwischen finster geworden“. Die Abenddämmerung steht bei Aichinger für Momente der Veränderung, die ihre Charaktere entweder ablehnen oder eingehen. Indem die Frau sich ebenfalls in das gegenüberliegende Haus begibt, geht sie die Veränderung ein und erhält somit die Gelegenheit, ihren begrenzten Blickpunkt (symbolisiert durch das Fenster) zu ändern und somit das Verhalten des alten Mannes zu verstehen. Diese Erzähltechnik, in der durch die Veränderung nach und nach die Wahrheit enthüllt wird[10], wurde von Aichinger erstmals im „Fenstertheater“ angewandt.

3. Kurzgeschichten im DaF/DaZ-Unterricht

3.1 Textarbeitund -erschließung

Motivation ist der wichtigste Faktor für einen erfolgreichen Lernprozess. Literatur - soweit sie hinsichtlich Textualität, Interkulturalität und Angemessenheit für Alter und Sprachniveau der Lernenden passend ausgewählt wurde - eignet sich, um diese Motivation zu gewährleisten. Sie kann als Fenster zum Leben in einer anderen Kultur dienen, „denn jede Sprache transportiert die Kultur, in der und aus der heraus sie entstanden ist“[11], da sie im Gegensatz zu Lehrbuchtexten authentisch ist und Kreativität fördert und fordert.

Nach Tütken lassen sich vier Gründe für den Einsatz von Literatur[12] im DaF- (und DaZ) Unterricht anführen:

1) Literatur bietet kulturabhängige Wirklichkeitsmodelle an, was zu „kritischer Selbst- und Fremdwahrnehmung beitragen [kann]“[13]
2) durch literarische Gestaltung werden Eindrücke vermittelt, was ebenfalls den Horizont der Lernenden erweitert
3) Literatur vermittelt immer auch Landeskunde, da der Fokus oft auf soziokulturellen Aspekten liegt

[...]


[1] Meyer 2014,15

[2] ebd., 16

[3] Meyer 2014,19

[4] ebd., 23

[5] ebd., 104

[6] Vgl Lautenschlager (1976, 53):„Daytime and light thus symbolize periods of illumination and enlightment which give life meaning and purpose, andjust as these periods oflucidity grow out of questioning, doubt, and despair, so too they must recede into darkness and uncertainty if new meaning and purpose is to emerge.“

[7] ebd., 52

[8] Lorenz 1981, 16

[9] Lorenz 1981, 18

[10] Vgl. Lautenschlager 1976, 133

[11] Tütken 2006, 53

[12] ebd.

[13] ebd.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Die Kurzgeschichte im DaF/DaZ-Unterricht. Ilse Aichingers "Das Fenstertheater"
Hochschule
Universität Trier
Note
2,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
14
Katalognummer
V437489
ISBN (eBook)
9783668782280
ISBN (Buch)
9783668782297
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ilse Aichinger, Aichinger, Fenstertheater, daf, daz, kurzgeschichte
Arbeit zitieren
Katja Büttner (Autor:in), 2018, Die Kurzgeschichte im DaF/DaZ-Unterricht. Ilse Aichingers "Das Fenstertheater", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/437489

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