Plautus und Kleists Amphitryon. Zwei Arten der Tragikomödie


Seminararbeit, 2015

12 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Merkmale der Tragikomödie

3. Eine Analyse der kleistschen Schlussszene
3.1 Inhaltsangabe
3.2 Analytische Betrachtung
3.3 Kleists Weltbild

4. Eine Analyse der plautinischen Schlussszene
4.1 Inhaltsangabe
4.2 Analytische Betrachtung
4.3 Plautus Weltbild

5. Vergleich der beiden Schlussszenen

6. Zusammenfassung

7. Literaturverzeichnis
7.1 Primärquellen
7.2 Sekundärquellen
7.3 Internetquellen

1. Einleitung

Die „Amphitryon“- Werke Kleists und Plautus´ werden beide unter dem Genre „Tragikomödie“ verbucht. Obwohl knapp 2000 Jahre zwischen den Entstehungszeiten liegen, werden sie beide zu ein und derselben Gattung gezählt. Nun stellt sich natürlich die Frage: Repräsentieren die beiden Bühnenstücke wirklich die gleiche Art der Tragikomödie, oder stellen sie vielleicht Vertreter verschiedener Auffassungen der Tragikomödie dar?

Im Laufe meiner Hausarbeit werde ich dieser Streitfrage nachgehen. Auf die Definition, was eine Tragikomödie überhaupt ist, folgt eine analytische Betrachtung der beiden Schlussszenen und ihrem Beitrag zur Zuordnung zu diesem Genre. Unter Einbeziehung des kleistschen und plautinischen Weltbilds schließt ein Vergleich der beiden Aufzüge an und abschließend werde ich mithilfe einer Zusammenfassung versuchen das Problem zu klären.

2. Merkmale der Tragikomödie

Zur Lebens- und Schaffenszeit des Plautus (etwa 250 – 180 vor Christus) galt die Tragikomödie als Mischform zwischen der Tragödie und der Komödie. Sie wurde als „Tragödie im Gewand einer Komödie“[1] bezeichnet, als ein „Theaterspiel, in dem sich komische und ernste Szenen oder Handlungsstränge abwechseln“[2] oder als Götterkomödie mit tragischem Effekt.

Bei Plautus ist der Grund, warum sein Stück überhaupt zur Tragikomödie verändert wird („faciam ut commixta sit; <sit> tragico[co]moedia“[3] ), sehr interessant. Denn in der Antike ist es ausschließlich der Gattung der Tragödie möglich hohe Personen auftreten zu lassen. Sobald niedere Personen mitspielen, kann das Stück eigentlich keine Tragödie mehr sein, sondern gehört zu dem Typus der Komödie. Außerdem erscheint es Merkur (Plautus) auch selbst unangemessen, dass ein Stück, in dem Götter und Könige agieren, eine Komödie sein kann („nam me perpetuo facere ut sit comoedia, reges quo veniant et di, non par arbitror“[4] ). Ein zweiter Grund, weshalb das Stück zu einer Tragikomödie wurde, ist, dass Plautus´ Amphitruo zur Mythentravestie gehört. Die Mythentravestie ist eine Parodie auf die Liebschaften von Göttern und Heroen. Und unter dem Gesichtspunkt antiker literarischer Theorie kann die Mythentravestie auch als Tragikomödie gesehen werden. Demnach hat Plautus unter Berücksichtigung der zeitgenössischen literarischen Normen und Regeln eine neue Gattung hervorgebracht, die als Mischform zwischen der Tragödie und der Komödie gesehen werden kann.

Als Kleist seinen Amphitryon schrieb, hatten sich die Merkmale, die zu dem Typus der Tragikomödie zählten, verändert. Die Tragikomödie war nicht mehr nur eine Mischform, vielmehr wurde die Definition um einen neuen Aspekt erweitert: Eine Tragikomödie konnte ebenso gut eine Tragödie mit heiterem Ausgang beziehungsweise ohne den Tod der Protagonisten sein. Alle weiteren Merkmale, wie die Durchbrechung der Ständeklausel, die Auflockerung der Tragik mithilfe komischer Elemente und die Verstärkung der Tragik durch die komischen Elemente, blieben bestehen. Kleists Tragikomödie wurde als „Bravourstück einer zur Komödie umgedrehten Tragödie“1 gelobt. „Nie wurde je zuvor die Tragikomödie so als ein traumwandlerischer Gang zwischen zwei Abgründen realisiert“[5], wie Kleist das in seinem „Amphitryon“ schaffte. Demnach bewerkstelligte Kleist durch seine perfektionierte Schwebe zwischen Tragödie und Komödie[6], dass die Tragikomödie eine bis heute sehr beliebte Gattung ist und die tragikomische Struktur auch in den neusten Werken Bestand hat.

3. Eine Analyse der kleistschen Schlussszene

3.1 Inhaltsangabe

Die Szene elf im 3. Akt ist die letzte Szene des kleistschen Werks. Jupiter, Alkmene, Merkur, Sosias, Charis, Feldherren und Amphitryon treten auf. In dieser Szene herrscht ein heilloses Durcheinander. Niemand weiß genau, wer der wahre Amphitryon ist. Alkmene ist ebenfalls sehr verwirrt und entscheidet sich schließlich für Jupiter. Amphitryon ist durch diese Entscheidung so aufgebracht, dass er nicht einmal mehr selbst darauf vertraut, dass er Amphitryon ist („Jetzt einen Eid selbst auf den Altar schwör ich […] [d]ass er Amphitryon ihr ist“)[7]. Als er völlig „entamphitryonisiert“ dasteht, gibt sich Jupiter schließlich zu erkennen und löst den Wirrwarr auf. Alkmene fällt auf diesen Schock hin in Ohnmacht und Jupiter verspricht den Ehegatten ihnen als Entschädigung für seine Taten einen Sohn, Herkules, zu schenken, dessen Wirken Jahrhunderte überdauern soll. Zwischen den Eheleuten findet keine Versöhnung mehr statt und die Tragikomödie endet mit Alkmenes ominösen, häufig interpretierten „Ach“[8].

3.2 Analytische Betrachtung

In der Szene 3, 11 wird die anfangs heitere Nacht zur Höllennacht. Es herrscht eine tragische Stimmung, die durch die Feldherren, Amphitryon und Alkmene, deren Rolle sowieso als potenzielle Tragödienfigur angelegt wurde, sehr deutlich zum Ausdruck gebracht wird. Und ohne die derb- drastischen Wortspiele des Sosias bleiben auch die komischen Auflockerungen aus. Für die besondere Tragik sorgt die Figur des Amphitryon, des tragikomischen Getäuschten, der als ein Charakter mit Ehre und Tiefe angelegt ist. Wenn die Welt eines solch edlen Mannes zusammenzubrechen droht, ist das eine richtige Katastrophe. Die Komik der Szene beruht auf der Hervorhebung der Parallelsituation Amphitryons und Sosias´ und auf der Identität Jupiters und Amphitryons, die zu Irrtümern führt, die die Hahnreischaft schüren. Kleist legt viel Wert darauf, dass das Komische auch in Szenen und Situationen bewusst gemacht wird, in denen es nicht offensichtlich ist.

Amphitryon fällt dem Sklaven Sosias in die Arme, womit sehr deutlich gemacht wird, dass die beiden Schicksalsgenossen sind, denen beiden der Verlust ihrer Identität droht. Anschließend wendet sich Amphitryon an Alkmene, beginnt mit ihr einen Dialog und versucht ihr klar zu machen, dass er der wahre Amphitryon ist.[9] Doch selbst diese ausgefeilten Verse, die „ein Wunder kleistscher Sprachkraft“[10] sind, vermögen es nicht, Alkmene zu überzeugen. Anschließend probiert Amphitryon seine Geliebte mit flehentlichen Fragen und mit von persönlicher Aufrichtigkeit erfüllten Erinnerungen für sich zu gewinnen, die seine Verzweiflung und seine Niedergeschlagenheit sehr deutlich zum Ausdruck bringen.[11] Jupiter beschleunigt mit seiner Aufforderung „Gib der Wahrheit deine Stimme, Kind“[12] anknüpfend an den kryptischen Infinitiv zur „Sammlung und Selbstüberwindung“[13] Alkmenes Entscheidungsprozess. Daraufhin besiegt Alkmene ihre Unsicherheit und beschimpft Amphitryon mit den Worten: „Nichtswürd´ger! Schändlicher!“[14]. Indirekt trifft sie damit Jupiter und gleichzeitig entscheidet sie sich damit für den falschen Amphitryon. Diese Entscheidung ist der Gipfelpunkt des tragischen Verkennens und kommt einer „Verfremdung des eigenen Gefühls“[15] gleich. Alkmene weiß nicht mehr, wer wer ist und gerät in eine höchst differenzierte Problematik ihres Gefühls. Trotz dem „heiligen Verhältnis“[16] verkennt sie ihren Partner. Es entsteht ein Widerspruch zwischen der Realität und ihrer Selbstgewissheit beziehungsweise ihrem Gefühl, durch den ihre Welt jederzeit einzustürzen droht.

Nachdem Jupiter sein wahres Ich offenbart hat, fällt Alkmene in Ohnmacht. Die Ohnmacht ist das „Bühnenzeichen der Entmachtung“[17] und stellt das Gegenteil zu Jupiters lauter Selbstoffenbarung dar. Sehr deutlich werden in diesem Teil das Motiv der strafenden Götter, sowie deren Willkür. Jupiter lässt Amphitryon leiden. Er raubt ihm sein Gefolge, seine Frau und seine Identität. Jupiter wirkt insgesamt sehr vermenschlicht, als sogenannter „Schein- Mensch“[18]. Er empfindet Liebe und Verzweiflung und will eigentlich nicht mit den Menschen spielen. Dennoch tut er dies und hat schließlich „Alkmenes Seelenruhe auf dem Gewissen“[19] und versucht Amphitryon zu verletzen. Als Amphitryon seine „Entamphitryonisierung“ endlich akzeptiert hätte, demonstriert Jupiter erneut seine Omnipotenz und beendet das Doppelgängerspiel, das er begonnen hat, weil er sich über seine göttliche Allmacht hinaus nach der Begegnung mit Menschen sehnte.[20] Dadurch verspielt er seine anfängliche Sympathie, die rasch in Antipathie umschlägt, da er durchweg egoistisch handelt. Und Ehebruch bleibt Ehebruch - auch bei Göttern.2 Doch auch Alkmene hat ihren Teil dazu beigetragen, dass Jupiter dieses Zwillingsspiel spielen konnte. Alkmene sehnte sich über ihren Amphitryon hinaus nach dem Gott in ihm und so begegneten sich Jupiter und Alkmene, die beiden Figuren, die philosophische Einsicht verkörpern, auf verborgenen Wegen. Am Ende erreicht Amphitryon durch das Gefühl, dass sein Bewusstsein in der Welt keinen Platz mehr haben könnte und er von der Kette des Seins ausgeschlossen werden könnte[21], göttliche Größe. Alkmene braucht nun keinen Gott mehr. Jupiter zeigt auch Einsicht und ermöglicht den Ehegatten die Erfüllung ihres größten Wunsches - einen Sohn. Alkmene und Amphitryon sind sich ebenbürtig und haben durch den heroischen Herkules beide teil an etwas Göttlichem.3 Alle Figuren bringen ihre Gefühle sehr deutlich zum Ausdruck und wirken dadurch gewichtig.

Am Ende herrscht aber dennoch keine „Friede- Freude- Eierkuchen“- Situation, denn Amphitryon übt zwar nur dezent Kritik an Jupiter, hat sich aber noch nicht endgültig mit Alkmene versöhnt, da sich diese im Zustand der Bewusstlosigkeit befindet und das Stück mit dem Wörtchen „Ach“[22] schließt. Das „Ach“ 5, ist unendlich auslegbar, ohne greifbare Aussage und verschließt dem Leser den Zugang zu Alkmenes Seele. Alkmenes Inneres ist unberechenbar und für den Rezipienten nicht zugänglich gemacht. Außerdem rundet dieses „Ach“5 den vorhergehenden kurzen und simplen Dialog der Eheleute „Amphitryon“[23] und „Alkmene“[24] ab und zieht ein Schweigen nach sich. Es drückt Beseligung und Erschütterung, Glück und Verzweiflung aus und hat dennoch keine eindeutige Bedeutung.[25] Die gesamte Szene 3, 11 wird als tragische Wirklichkeit der Entzweiung gesehen und mit der Beendigung dieses Tages wird gleichzeitig der Ausnahmezustand im Leben des Amphitryon und seiner Familie beendet.

[...]


[1] Schmidt, Ernst: Die Tragikomödie Amphitruo des Plautus als Komödie und Tragödie. In: Museum Helveticum. 60 (2003). Seite 97.

[2] Guthke, Karl: Kleists Amphitryon als Tragikomödie. In: Orbis litterarum. International review of literary studies. 13. Seite 143.

[3] Zitiert nach: Sedgwick, Walter: Plautus Amphitruo. Manchester: University Press 1967. Zeile 59.

[4] Plautus Amphitruo. Zeile 60 f.

[5] Stierle, Karlheinz: Amphitryon. Die Komödie des Absoluten. In: Kleists Dramen. Interpretationen. Walter Hinderer (Hrsg.). Stuttgart: Reclam- Verlag 1997. Seite 52.

[6] Vgl. Stierle, Karlheinz: Amphitryon. Die Komödie des Absoluten. In: Kleists Dramen. Interpretationen. Walter Hinderer (Hrsg.). Stuttgart: Reclam- Verlag 1997. Seite 69 f.

[7] Zitiert nach: Kleist, Heinrich von: Amphitryon. Stuttgart: Reclam Verlag 2002. Zeile 2287 ff.

[8]. Kleist Amphitryon. Zeile 2365.

[9] Kleist Amphitryon. Zeile 2204 ff.

[10] Fülleborn, Ulrich: Die frühen Dramen Heinrich von Kleists. München: Fink Verlag 2007. Seite.

[11] Kleist Amphitryon. Zeile 2215 ff.

[12] Kleist Amphitryon. Zeile 2230.

[13] Fülleborn, Ulrich: Die frühen Dramen Heinrich von Kleists. München: Fink Verlag 2007. Seite 127.

[14] Kleist Amphitryon. Zeile 2236.

[15] Stierle, Karlheinz: Amphitryon. Die Komödie des Absoluten. In: Kleists Dramen. Interpretationen. Walter Hinderer (Hrsg.). Stuttgart: Reclam- Verlag 1997. Seite 59.

[16] Kleist Amphitryon. Zeile 459.

[17] Fülleborn, Ulrich: Die frühen Dramen Heinrich von Kleists. München: Fink Verlag 2007. Seite 134.

[18] Nordmeyer, Heinrich Waldemar: Kleists „Amphitryon“. Zur Deutung der Komödie. In: MDU. 39 (1947). Seite 11 f.

[19] Tselepi, Olga: Das Götterbild in den Amphitryon Dramen. In: Literaturwissenschaftliche Mythosforschung. Düsseldorfer Projekte. Peter Tepe (Hrsg.). Essen: Die Blaue Eule Verlag 1996. Seite 33.

[20] Vgl. Stierle, Karlheinz: Amphitryon. Die Komödie des Absoluten. In: Kleists Dramen. Interpretationen. Walter Hinderer (Hrsg.). Stuttgart: Reclam- Verlag 1997. Seite 63.

[21] Kleist Amphitryon. Zeile 2281 ff.

[22] Kleist Amphitryon. Zeile 2365.

[23] Kleist Amphitryon. Zeile2349.

[24] Kleist Amphitryon. Zeile 2364.

[25] Stierle, Karlheinz: Amphitryon. Die Komödie des Absoluten. In: Kleists Dramen. Interpretationen. Walter Hinderer (Hrsg.). Stuttgart: Reclam- Verlag 1997. Seite 69 f.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Plautus und Kleists Amphitryon. Zwei Arten der Tragikomödie
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
12
Katalognummer
V437053
ISBN (eBook)
9783668771680
ISBN (Buch)
9783668771697
Dateigröße
455 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Plautus, Amphitryon, Kleist, Traigikomödie, Vergleich
Arbeit zitieren
Christina Kienlen (Autor:in), 2015, Plautus und Kleists Amphitryon. Zwei Arten der Tragikomödie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/437053

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