Die Rolle der Natur in Bezug auf die Figuren in Gerhart Hauptmanns Drama „Rose Bernd“


Hausarbeit, 2008

15 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1 Vorwort

2 Hauptteil
2.1 Die Bedeutung der Natur
2.1.1 Die Beschreibung der realen Welt im Naturalismus
2.1.2 Die Aufhebung des Raumes im Drama
2.1.3 Die wechselseitige Beziehung zwischen Mensch und Natur
2.2 Die Hauptpersonen und ihr Verhältnis zur Natur
2.2.1 Rose Bernd als Spiegel der fruchtbaren Natur
2.2.2 Der Jägersmann Christoph Flamm

Literaturverzeichnis

1 Vorwort

„Zweck aller Kunst ist nicht die absolute Nachahmung der Natur […] Zweck der Kunst ist vielmehr der Ausdruck der innersten, zum Typus erhobenen Wesenheit des dargestellten Gegenstandes.“ [1]

In dieser Aussage Gerhart Hauptmanns wird deutlich, dass es die Aufgabe der Kunst beziehungsweise auch der Literatur ist, die charakterlichen Besonderheiten eines Menschen, innerhalb eines gewissen Umfeldes, in einem Bild einzufangen oder in Worte zu fassen. Nicht alleine die Äußerlichkeiten, wie Kleidung, Körper und Form, die mit dem bloßen Auge wahrgenommen werden, sondern auch die inneren Werte eines Menschen, seine Wirkung und der Gemütszustand sollen zum Ausdruck kommen. Der Mensch wird schließlich sehr stark durch die Natur und sein Umfeld, in dem er lebt, aber auch durch Erbfaktoren geprägt.

Es kann aber nur eine Annäherung an die Wirklichkeit dargestellt werden. Inwiefern das Abbild nun mit der Wirklichkeit übereinstimmt, hängt von den Erfahrungen und der individuellen Darstellung des Künstlers oder Dichters selbst ab. Eine absolute Nachahmung der Natur kann aber niemals erreicht werden.

Schon der antike Philosoph Platon erwähnt in seiner „Politeia“, dass die reale Wirklichkeit eine „Mimesis“ ewiger Ideen sei. Alles Existierende nimmt somit an einer bestimmten Idee, beziehungsweise einem Urbild, teil. Er übt starke Kritik an der Kunst und der Dichtung, die seiner Meinung nach wiederum eine Nachahmung oder ein Abbild der Wirklichkeit und des menschlichen Handelns seien. Er unterscheidet künstlerisches von handwerklichem Schaffen, da ein Künstler beispielsweise einen Handwerker oder einen Landarbeiter bei seiner Arbeit darstellen könne – nicht umgekehrt.

Es würde eine Welt des Scheins gezeigt werden, wenn man gerade den Menschen ins Zentrum des Interesses rücke. Die schlechten Seiten des Menschen, wie Unvernunft und Triebhaftigkeit, die der Idee des Guten widersprechen, würden gefördert werden.2

Gerhart Hauptmann hat mit seinem Drama „Rose Bernd“ ein Werk geschaffen, das genau diese Thematik aufgreift und die Figuren, eingeengt und abhängig von ihrem sozialen Milieu, zeigt. Er beschreibt die Personen realitätsnah in einer ländlichen Umgebung und greift die Geschichte vom scheinbar ausweglosen Schicksal eines jungen Bauernmädchens auf.

Das Werk weist insgesamt autobiographische Züge auf, da Hauptmann Eindrücke seiner Jugendjahre mit einbezogen hat. Er arbeitete selber eine Zeit lang im landwirtschaftlichen Bereich auf dem Hof seines Onkels Schubert.3 Zusätzlich inspirierte ihn der Roman „La terre“ des ebenfalls naturalistischen und französischen Autors Émile Zola.4 Die eigentliche Inspiration für dieses Dramas ist aber der im April 1903 stattfindende Prozess gegen das Bauernmädchen Hedwig Otte gewesen, die des Kindesmordes angeklagt war. Hauptmann stimmte als Geschworener für Freispruch und schrieb in einem Brief an seine Frau: „Vom 15. ab fungierte ich als Geschworener und hernach denke ich, nach kurzer Studienfahrt in die Lederoser Gegend, an ein ländliches Drama zu gehen.“ 5

Das Drama handelt von dem Bauernmädchen Rose Bernd, das ein Kind von dem verheirateten Christoph Flamm erwartet. Sie scheitert jedoch an der Moral der Gesellschaft, die keinerlei Verständnis für die natürlichen Bedürfnisse, Gefühle und dem Wunsch eines jungen Menschen nach Autonomie, aufbringt. Aufgrund ihrer verlorenen Ehre und der Tatsache, ein uneheliches Kind zu haben, sieht sie keinen anderen Ausweg, als ihr eigenes Kind zu töten, um ihm diese Misere zu ersparen.

Im Folgenden soll nun eine Antwort auf die Frage gefunden werden, inwiefern die Natur und das Umfeld Einfluss auf den Menschen nimmt und mit welchen Mitteln der Autor, angesichts der Epoche des Naturalismus, arbeitet.

2 Hauptteil

2.1 Die Bedeutung der Natur

2.1.1 Die Beschreibung der realen Welt im Naturalismus

Im Naturalismus rückt die Darstellung der Handlung in den Hintergrund und die exakte, objektive Betrachtung der Natur wird zum Ideal. Die Natur als etwas mit allen Sinnen Beobacht- und Wahrnehmbares soll empirisch untersucht und in den Werken so genau wie möglich wiedergegeben und fixiert werden. Der Künstler oder Dichter dieser Zeit wurde als Naturwissenschaftler angesehen.

Auch in „Rose Bernd“ beschreibt Hauptmann die Natur im Nebentext so, dass man den Eindruck bekommt, er hätte die Personen heimlich bei ihrem Treiben beobachtet.

Arno Holz formulierte in Bezug auf das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit folgendes Gesetz: „Kunst = Natur – X (wobei unter X gestalterische Unzulänglichkeiten verstanden werden sollten).“ [2] Die durch die Variable gekennzeichnete Differenz musste so gering wie möglich ausfallen, denn es sollten schließlich plastische Naturbilder entstehen, die den Betrachter oder Leser in eine bekannte Atmosphäre einbetten.

Der Mensch wird als Individuum in einer besonderen Situation dargestellt. Nichts Allgemeines, das jeden Menschen betreffen könnte, sondern die charakterliche Besonderheit soll herausgearbeitet werden. Somit wird ein realistisches Abbild der Figur geschaffen, die meistens in kleinen Verhältnissen lebt und von dem Milieu, beziehungsweise von Erbfaktoren geprägt ist.

Das menschliche Denken ist an das gegenwärtige Leben gebunden und es gibt kaum Monologe und Reflexionen über das eigene Handeln. An die Zukunft und die Auswirkungen eigenen Handelns wird wenig gedacht. Der Grund für Konflikte wird auf äußere Faktoren geschoben und man sucht nicht bei sich selber danach.

Die Menschen leben im Kampf um ihr eigenes Schicksal und um den Determinismus aufgrund ihrer sozialen Lage. Es findet schon fast eine passive Fügung an die Situation statt, und die Personen scheinen von einer unsichtbaren und unbewussten Macht angetrieben zu werden. Das Triebhafte und die Gefühle spielen eine große Rolle.

Rose Bernd sieht keine Hoffnung mehr für ihr Kind, kann nicht mehr autonom und vernünftig handeln und gerät in einen pessimistischen und unmoralischen Teufelskreis. Diese nüchterne, keineswegs beschönigende Betrachtung des menschlichen Seins und die Entwicklung der Sorgen aus alltäglichen Problemen heraus sind ein typisches Spiegelbild dieser Zeit. Nicht umsonst wird der Naturalismus auch oft als „Produkt der Dekadenz“, die man als Wurzel für das spätere absurde Theater ansehen kann[3], bezeichnet.

Die Handlung im Drama „Rose Bernd“ setzt „medias in res“ ein und der Leser fühlt sich durch den Nebentext und die breit angelegten Bühnenanweisungen spontan mit einer angenehmen Umgebung mitten in der Natur konfrontiert. Die Beschreibung derselben gleicht fast schon einem Gemälde vor dem inneren Auge und man könnte sich einbilden, dass die warmen Sonnenstrahlen einem selber ins Gesicht scheinen. Diese anfängliche idyllische Situation, in der die Hauptfiguren vorgestellt werden, beziehungsweise sich selber vorstellen, erweckt noch nicht den Anschein, zur Katastrophe zu führen. Der Konflikt soll noch nicht offensichtlich aufgezeigt werden.

Wie sich später herausstellt, erwartet Rose von Christoph Flamm ein Kind. In dieser Szene ist jedoch noch keine Spur einer dramatischen Wendung erkennbar – vielmehr eine ausgelassene und freudige Stimmung. Die Angst Roses vor den Kirchenleuten könnte aber ein leiser Vorbote für die Entwicklung des Geschehens sein.

Hauptmann beschreibt das körperliche Aussehen und den Gemütszustand von Rose und Christoph Flamm ziemlich detailgetreu und gibt dem Leser einen ersten Eindruck in Form von „steckbriefhaften Menschencharakteristiken“.[4]

Dieses Drama thematisiert die bürgerliche Moral- beziehungsweise Werteordnung und den unpolitischen Familienkonflikt. Der Schauplatz ist in diesem Fall eine ländliche Gegend, was zusätzlich noch durch den Dialekt unterstrichen wird.

Innerhalb der Familie gab es zur Jahrhundertwende und schon davor eine strenge Ordnung. Die „patriarchale Vaterfigur“ [5] kümmerte sich um die moralische Erziehung der Kinder, der regelmäßige Kirchgang und die Frömmigkeit spielten eine große Rolle. Auch Rose steht im Konflikt zwischen der Pflicht gegenüber ihrem Vater, der Kirchenvorstand ist, und ihrer Liebe zu Christoph Flamm. Ihr Vater hat eine Heirat mit August Keil, einem vernünftigen und anständigen Mann, für sie vorgesehen.

Sie entwickelt sich aber von einem lebensfreudigen Menschen zu einem verzweifelten Wesen. In ihrer auswegslosen Situation glaubt sie, dass ihr Umfeld eine Verschwörung gegen sie ausgeübt hätte und distanziert sich immer mehr. Rose merkt, dass die Moralvorstellung der Gesellschaft nicht mit ihrem Handeln in Einklang gebracht werden kann. Das anfängliche Vertrauen zu Frau Flamm muss wohl nicht stark genug gewesen sein und die Bezugsperson auch nicht die richtige, denn sie stellt selber fest: „Ma sellde vielleicht [...] doch ane Mutter han [...].“ [6]

Dennoch bleiben dem objektiven Leser einige Fragen offen: Warum hat sie sich nicht an ihren eigenen Verlobten August Keil gewandt und warum bemerkt keiner ihre Schwangerschaft? In ihrer Verblendung stellt sie nur hoffnungslos fest: „Ma is zu sehr alleene hier uff dr Erde.“ [7]

2.1.2 Die Aufhebung des Raumes im Drama

Außergewöhnlich sind im vorliegenden Drama die Aufhebung der inneren Räumlichkeit und die Verlegung partieller Szenen in die freie Natur. Hauptmann war seiner Zeit etwas voraus, da im herkömmlichen naturalistischen Drama die Szenen meist in einem einzigen Raum gespielt werden, um das Milieu und die Determiniertheit der Menschen zu bestärken.

Die Szenen in der Natur sollen das Dramatische des Geschehens hervorheben und eine Illusion der Wirklichkeit schaffen. Es werden abwechselnd Ausschnitte aus dem realen Leben der Figuren gezeigt, die sich im Innen- oder Außenraum abspielen.

Die Szenen im Raum könnte man als Zufluchtsort vor der Launenhaftigkeit und Wechselhaftigkeit der Natur bezeichnen, da Rose in der bäuerlichen „Wohnstube des Erbscholtiseibesitzers Flamm“ [8] ein vertraulicheres Verhältnis zu Frau Flamm aufbaut und ihr das eigene Schicksal anvertraut.

Die „Jagdkammer“ [9] und die Attribute, wie die „ausgestopfte Rebhuhnfamilie, Hirschgeweihe und Rehgehörne“ [10] oder dekorativen Gegenstände, wie die „Kuckucksuhr“ oder der „Kachelofen“ [11] darin, deuten auf ein eher bäuerliches und naturverbundenes Leben der Menschen hin.

Jeder Raum hat seinen eigenen „Aggregatzustand“ [12], da er in gewisser Weise die Personen, die darin leben, charakterisiert und wie ein „Katalysator“ [13] wirkt.

Die Gegenstände werden von einer gewissen Aura umgeben und es bestehen Kräfte untereinander, aber auch zwischen ihnen und den Personen. Diese sind vergleichbar mit der wechselseitigen Wirkung von Molekülen oder Atomen.

Ein Raum schließt über einen längeren Zeitraum hinweg die Atmosphäre ein und kann sich nicht so schnell verändern, wie die Figuren. Manche Räume strahlen eine gewisse Kälte aus und wirken auf den Eintretenden nicht einladend. Andere haben wiederum eine gemütliche Inneneinrichtung und man möchte sich auf längere Zeit darin aufhalten.

Das Zwischenmenschliche spielt aber die Hauptrolle, schließlich muss man sich mit seinem Gegenüber auch verstehen. Die enge Verbindung zwischen dem Menschen und seinem Umfeld wird an dieser Stelle sehr deutlich. Er wird dementsprechend auch oft als „Produkt seiner Umgebung“ [14] bezeichnet.

[...]


[1] Hilscher 1988, S. 86

[2] Neumann 2001, sinngemäß entnommen

[3] Sternberg o. J., S. 345

[4] Sprengel 1984, S. 130

[5] Sprengel 1984, S. 129

[2] Hilscher 1988, S. 86

[3] Hilscher 1988, S. 73

[4] Hilscher 1988, S. 70

[5] Sprengel 1984, S. 131

[6] Hauptmann 2005, III, V. 33, S. 60

[7] Hauptmann 2005, IV, V. 15f., S. 84

[8] Hauptmann 2005, II, V. 1f., S. 24

[9] Hauptmann 2005, II, V. 5f., S. 24

[10] Hauptmann 2005, II, V. 16ff., S.24

[11] Hauptmann 2005, II, V. 23f., S. 24

[12] Klotz 1999, S. 129

[13] Klotz 1999, S. 127

[14] Zabudowski 1934, S. 4

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Rolle der Natur in Bezug auf die Figuren in Gerhart Hauptmanns Drama „Rose Bernd“
Autor
Jahr
2008
Seiten
15
Katalognummer
V436807
ISBN (eBook)
9783668779419
ISBN (Buch)
9783668779426
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Natur, Naturalismus, Hauptmann, Rose Bernd, Figuren, Kunst
Arbeit zitieren
B.A. Elisabeth Monika Hartmann (Autor:in), 2008, Die Rolle der Natur in Bezug auf die Figuren in Gerhart Hauptmanns Drama „Rose Bernd“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/436807

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