Psychomotorik an Grundschulen in von Armut betroffenen Vierteln


Hausarbeit, 2017

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Theoretischer Teil
1. Grundlagen und Ziele der Psychomotorik
2. Bedeutung von Körper- und Bewegungserfahrung für die kindliche Entwicklung
3. Psychosoziale Folgen von Kinderarmut

III. Konzeptioneller Teil
1. Institutionelle Rahmenbedingungen
2. Situationsanalyse
3. Ziele
3.1. Selbstbewusstsein stärken
3.2. Körperwahrnehmung fördern
3.3. Gemeinschaftsgefühl entwickeln
4. Methodenauswahl
5. Aufbau der Einheit
6. Evaluation und Reflexion

Literaturangaben

I. Einleitung

Kinder, die aus von Armut betroffenen Familien stammen, werden innerhalb der Familie weniger gefördert, als Kinder aus finanziell gesicherten Familien. Häufig arbeiten beide Elternteile bzw. die Kinder wachsen nur mit einem Elternteil auf, der alleinverdienend ist und daher über wenig Zeitkapazität verfügt. Zudem sind die Eltern(teile) häufig mit eigenen Problemen, wie Existenzängsten beschäftigt, so dass sie weniger aufnahmefähig für die Belange ihrer Kinder sind. Nicht selten machen Eltern(teile) moderne Anschaffungen (z.B. Tablets oder Smartphones), um ihr schlechtes Gewissen zu mildern und zu vermeiden, dass ihre Kinder in eine Außenseiterposition in der Schule geraten, denn oftmals schämen sich diese ob ihrer Armut und wollen diese verheimlichen. Sie vergleichen sich mit den anderen Kindern und kommen sich nicht selten minderwertig vor.

Die technischen Kleingeräte, die uns das Leben leichter machen sollen, sind bereits in den Kinderzimmern angekommen. Auf Tablet und Smartphone können diese spielerisch lernen oder sich anderweitig unterhalten lassen. Es gibt vielfältige und ganz individuelle Möglichkeiten. Dass ein oder andere Kind vergisst darüber schon einmal die Zeit, vor allem wenn die Eltern(teile) arbeiten und kein Auge auf die Nutzung der Kleingeräte haben. Anstatt draußen auf dem Spielplatz zu toben, sitzen die Kinder vor den Bildschirmen. Daraus resultieren nicht selten Haltungsschäden oder physische Probleme wie Übergewicht oder Koordinationsschwierigkeiten. Was vor 20 Jahren noch selbstverständlich war, wie Balancieren oder Schwimmen können, ist es heutzutage nicht mehr.

Die Armutszahlen in Deutschland sind alarmierend. Vor allem Kinder sind die Leidtragenden – sie verfügen noch nicht über die notwendige Resilienz und Reife um damit umgehen zu können, was zu nachhaltigen psychischen Beeinträchtigungen führen kann. Kann man durch niederschwellige Pflichtangebote in der Schule prophylaktisch gegen physische und psychische Probleme vorgehen? Wie sähe so ein Konzept aus? Dies werde ich anhand meiner Arbeit erläutern.

II. Theoretischer Teil

1. Grundlagen und Ziele der Psychomotorik

Erste Ansätze der Psychomotorik definierte 1955 Ernst J. Kiphard, der gemeinsam mit dem Kinderpsychiater Helmut Hünnekens erkannte, dass sich Emotionen in dem Bewegungsmuster von Kindern und Jugendlichen wiederspiegeln. Kiphard pointiert dabei die spielerische Freiheit der Kinder, die sich frei von Zwängen und Leistungsanforderungen entfalten können, ohne dass das Geschehen von außen gelenkt wird (vgl. Zimmer 2012, 16).

„ Mit dem Ziel, über die Motorik eine leibseelische Harmonisierung und Stabilisierung der Gesamtpersönlichkeit zu bewirken, wurden Übungen zur Sinnesschulung, Körper-, Raumwahrnehmung, Behutsamkeit, Selbstbeherrschung, rhythmisch-musikalischen Schulung und zum Körper-/Bewegungsausdruck spielerisch motivierend in Kleingruppen durchgeführt.“ (Schäfer 1998, 82)

Psychomotorik wird demnach als Ausdruck psychischer und emotionaler Prozesse angesehen, die sich zwar im Innern abspielen, durch Bewegungen jedoch sichtbar werden. Gefühlsprozesse, die sich schlecht verbalisieren lassen, finden in der Psychomotorik dennoch eine Möglichkeit nach außen zu dringen. Also „eine ganzheitlich-humanistische, entwicklungs- und kindgemäße Art der Bewegungserziehung“ (Kiphard 1994, 12).

Während die Physiotherapie die Wiederherstellung bzw. Verbesserung der Bewegungsfähigkeit des Körpers anstrebt, setzt sich die Psychomotorik zum Ziel durch Körperwahrnehmung, Erleben und Verständnis Grundbausteine der Ich-Kompetenz zu setzen. Erweitert wird dies durch die Fähigkeit, die Umwelt wahrzunehmen und auf sie zu reagieren (= Sach-Kompetenz) und ferner durch die Erfahrung, dass sich alle Lernprozesse zwischen dem Spannungsfeld eigener und fremder Bedürfnisse bewegen (= Sozial-Kompetenz). Nach Fischer ist „die Körperlichkeit des Kindes das Zentrum seiner Persönlichkeit, der Dreh- und Angelpunkt seiner Existenz […] Die Orientierung am eigenen Körper ist die Basis jeder Orientierung im Raum.“ (2009, 23)

Das kindliche Spiel stellt in der Psychomotorik eine wichtige Rolle dar; das Kind gelangt anhand der Auseinandersetzung mit verschiedenen Objekten an Informationen über gewisse Eigenschaften und Grundsätze seiner Umwelt. Somit gelingt ihm eine Erweiterung seiner Sach- und Handlungskompetenz (vgl. ebd., 24). Neben dem Vergnügen stellt das Spiel für Kinder auch eine Möglichkeit der Selbstentwicklung dar; der Reifung emotionalen Ausdruckes und Interaktion mit Gleichaltrigen. Der Schnittpunkt von Seele und Körper, der ein besonderes Augenmerk auf Förderung richtet.

Die Psychomotorik beschäftigt sich weiterhin mit der Bedeutung des Bewegungsverhaltens von Kindern. Demnach stellt die Bewegungsgeschichte einen Teil der Lebensgeschichte des Kindes dar, das Kind drückt seine Emotionen und Erfahrungen in seiner Bewegung aus (vgl. Zimmer 2012, 46). Seewald sieht in den vom Kind dargestellten Szenen und Rollen die Verarbeitung von Erlebnissen (vgl. Seewald 2007, 20). Das Kind kann demnach im Spiel nicht gemachte Erfahrungen nachholen. Ferner kann es Ängste, Wünsche und Hoffnungen darstellen, oder auch durch Medien vermittelte Informationen und Bilder abhängig vom Entwicklungsstandes des Kindes, neu interpretiert, um diese Informationen aus zweiter Hand als eigene Erfahrung zu generieren (vgl. ebd., 47ff.).

Kindlichen Handlungen werden individuelle Bedeutungen zugeschrieben; sie haben einen Sinn, sogar störendes Verhalten. Ein Kind, welches mit seinem Verhalten z.B. den Unterrichtsablauf stört, kann seiner Umwelt signalisieren, dass es Probleme hat. Bei der Aufarbeitung kann das Wissen um diesen Zusammenhang von sehr großem Nutzen sein (vgl. Zimmer 2012, 47).

2. Bedeutung von Körper- und Bewegungserfahrung für die kindliche Entwicklung

Die Körper- und Bewegungserfahrung für Kinder ist von großer Bedeutung, da sie unter anderem die Entwicklung des Selbstkonzeptes fördert. Darunter versteht man welches Bild man von sich selbst hat, für wen man sich selbst hält, das Wissen darüber, ob man groß ist und gut zeichnen kann und wie zufrieden man mit diesen Eigenschaften ist (vgl. Fischer 2009, 88). Für Renate Zimmer sind „Körpererfahrungen Selbsterfahrungen […] der Körper ist das Bindeglied zwischen dem Selbst und der Umwelt […]“ (2014, 32). Bereits in jungen Jahren erlernen Kleinkinder ihren eigenen Körper von der Umwelt abzugrenzen und ihn als eigen anzusehen. Das Wissen um das Selbst bildet die Grundlage für das Bewusstsein (vgl. ebd., 33).

Auch die soziale Kompetenz kann durch Körper- und Bewegungserfahrung gefördert werden. Neben dem Alltagsleben in der Familie, lernen Kinder mit Gleichaltrigen im Kindergarten das soziale Miteinander. Sie machen Erfahrung mit Freundschaft, Konkurrenz, Durchsetzungsvermögen, Empathie. Bewegungsspiele eigenen sich besonders gut um Rollen zu tauschen, Spielregeln anzunehmen und einzuhalten oder Konflikte zu regeln. Hierbei gilt es auch mit den Mitspielenden einen Konsens zu finden, Wünsche anderer zu berücksichtigen und die eigenen gegebenenfalls zurückzustecken. Wertvolle Sozialkompetenzen, die für ein harmonisches Miteinander und Freundschaften unabdingbar sind. Spezielle pädagogische Bewegungsspiele können diese Fähigkeiten gezielt erproben (vgl. ebd., 41).

Lernprozesse im Kindesalter beeinflussen die Persönlichkeitsentwicklung. Es gibt zahlreiche Funktionen der Bewegung, die wichtig für die Entwicklung von Kindern ist, um sie geeignet auf das Sozialleben vorzubereiten. In der Bewegung können Kinder produktiv sein, sie können mit dem Körper etwas schaffen (z.B. Bauen von Türmen). Expressiv und impressiv können sie sein, in dem sie ihre Emotionen in Bewegung mitteilen bzw. ausdrücken und Gefühle wiederum durch Bewegung spüren. Durch das Kennenlernen der Umwelt, die Anpassung an ihre Anforderungen und Problemlösung können sich Kinder in der Exploration erproben. In dem sie ihre körperliche Grenze kennenlernen, Anstrengungen ertragen und möglicherweise ihre Leistungsfähigkeiten verbessern, agieren Kinder adaptiv (vgl. Zimmer 2014, 21f).

Bewegung ist also nicht nur als sportliche Ertüchtigung anzusehen, sondern als ganzheitliche Förderung des Kindes als einzelnes und innerhalb der Gruppe. Es lernt sowohl etwas über die eigene Körperwahrnehmung und Selbstkonzept, als auch wertvolle Erkenntnisse im Umgang mit anderen.

3. Psychosoziale Folgen von Kinderarmut

Gemäß dem aktuellen Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, liegt die Armut in Deutschland bei 15,7 Prozent; ein neuer Höchststand (vgl. Ohlmeyer 2017)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Grafik verdeutlicht, dass sich in Deutschland 21% der Kinder in einer dauerhaften oder wiederkehrenden Armutslage befinden. Meist sind dies Kinder von Alleinerziehenden, mit mindestens zwei Geschwistern oder/und geringqualifizierten Eltern (vgl. Menne/Stein 2017).

In Deutschland spricht man im Vergleich zur absoluten Armut, wie sie vor allem in Entwicklungsländern vorkommt, eher von der relativen Armut. Demnach wird das Einkommen mit dem des sozialen Umfelds ins Verhältnis gesetzt.

In Deutschland gilt per […] Definition als arm, wer als Single weniger als 917 Euro netto verdient, bei einer Alleinerziehenden mit einem Kind unter sechs Jahren liegt die Grenze bei 1.192 Euro und bei einer vierköpfigen Familie je nach Alter der Kinder zwischen 1.978 und 2.355 Euro netto. (Diemand/Finkenwirth 2017)

Während der Kindheit werden die Grundbausteine für die emotionale, kognitive, soziale, psychische und physische Entwicklung eines Menschen gelegt (vgl. Andrä 2000, 272). Durch verschiedene Erfahrungen während dieser Zeit, werden die Eckpfeiler für die Persönlichkeit und spätere Norm- u. Wertvorstellungen gesetzt. Defizite können Erkrankungen oder Störungen hervorrufen bzw. eine vollständig gesunde Entwicklung erschweren.

Laut Andrä „[werden] die individuelle Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern in Armutslagen erheblich und die Chancengleichheit für eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung und Sozialisation erkennbar eingeschränkt.“ (Andrä 2000, 272f). Aus der Armut resultieren häufig Probleme innerhalb der Familie wie häufige Auseinandersetzungen, unzureichende gesunde Ernährung oder Aufmerksamkeit, fehlende Tagesstruktur, mangelnde kindgerechte Kleidung oder Umgebung und gesundheitliche Betreuung. Defizite in diesen Bereichen können psychische und physische Konsequenzen für die Kinder haben. Sie können nicht im gleichen Maße wie Kinder gleichen Alters am gesellschaftlichen Leben teilhaben und müssen auf viele Dinge verzichten. Vernachlässigung seitens der Eltern und Scham gegenüber Gleichaltrigen kann zu Isolation oder sozial unerwünschtem Verhalten führen. Ein Kind, was keine Aufmerksamkeit von seinen Eltern erhält, weil diese aufgrund eigener existenzbedrohender Probleme keine Kraft haben, sich den Bedürfnissen ihres Kindes anzunehmen, miemt beispielsweise den Klassenclown, der stört und wenig Respekt vor dem Lehrer hat. Oder es beginnt zu klauen, um im Konsumverhalten Gleichaltriger mithalten zu können.

Das Kind wächst mit den Existenzängsten seiner Eltern auf und könnte diese Unsicherheiten übernehmen. Schulische Leistungen können darunter leiden und dem Kind somit der Weg zu einem guten Schulabschluss verwehrt bleiben.

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Psychomotorik an Grundschulen in von Armut betroffenen Vierteln
Hochschule
Evangelische Hochschule Nürnberg; ehem. Evangelische Fachhochschule Nürnberg
Note
2,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
18
Katalognummer
V436633
ISBN (eBook)
9783668769564
ISBN (Buch)
9783668769571
Dateigröße
581 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
psychomotorik, grundschulen, armut, vierteln
Arbeit zitieren
Barbara Bitzer (Autor:in), 2017, Psychomotorik an Grundschulen in von Armut betroffenen Vierteln, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/436633

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