Magischer Realismus. Zum Verhältnis von Animismus und lo real maravilloso in "Hombres de maíz" von Asturias


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

31 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Magischer Realismus – eine Begriffsbestimmung
2.1. Ursprung
2.2. Magischer Realismus und Lateinamerika
2.3. Exkurs: Magischer Realismus und Phantastik

3. Magischer Realismus und Animismus
3.1. Metamorphosen
3.2. Natur
3.3. Kollektiver Geist

4. Fazit

5. Bibliographie

1. Einleitung

„Rückgewinnung“ bedeutet, einzufordern, wovon wir getrennt wurden, wenn auch nicht im einfachen Sinne, dass man zurück erhält, was man „verloren“ hat, sondern von jener Trennung zu genesen und das zu „regenerieren, was eben jene Trennung vergiftet hat.“[1]

Im Zeichen der Rückgewinnung steht die Wiederentdeckung eines Begriffes, der seinen Ursprung „in nineteenth century imperialist evolutionary anthropology“[2] hat und als „re-enchantment of the world“[3] neu diskutiert wird. Von dem Anthropologen E.B. Tylor im Kontext der Geschichtsschreibung der Religion als „religious belief, originated in the primordial mistake of attributing life, soul, or spirit to inanimated objects“[4] definiert, folgt mehrere Jahrzehnte später Sigmund Freud der Bezeichnung des Animismus als „Vorbedingung, auf denen sich später die Religionen aufbauen“[5] und als Projektionen von Gefühlregungen oder Vorstellungen auf leblose Gegenstände, die er auch als „Allmacht der Gedanken“[6] bezeichnet. Diese psychologischen Erklärungsmuster werden durch Nurit Bird-Davis, Eduardo Viveiros de Castro und später dann Philippe Descola allerdings als nicht treffend erklärt und durch das Verständnis des Animismus als „ontology that postulates a social character to relations between humans and non-humans“[7] ersetzt. Die vermeintliche Belebung unbelebter Dinge korrespondiert demnach mit einem anderen Verständnis von „personhood“[8] und kann nicht schlicht in psychologischen Mustern und Erklärungen aufgelöst werden: Der Status als Subjekt oder Objekt eines Dinges oder einer Person liegt nicht in ihr selbst, sondern wird durch die Beziehung, die zwei Elemente miteinander eingehen, definiert, so dass Bird-David den Ausspruch cogito, ergo sum von Descartes zu „I relate, therefor I am“[9] umformt.

Der Animismus hat dabei Anteil an einer grundsätzlichen Paradoxie der Ethnologie, die von Eberhard Berg und Martin Fuchs auch als „Wissenschaft des Fremden“[10] definiert wird, – dem sich auch diese Hausarbeit aussetzt: „Differenz in der Sprache der Identität“[11] einzufangen, beschreiben zu wollen. Dieses Unterfangen spiegelt ebenso die Programmatik der Moderne, die durch die Etablierung der Grunddichotomie von modern versus primitiv, das Fremde als das Andere der eigenen Kultur erzeugt und so als Abgrenzungs- und identitätsstiftende Folie des Abendlandes instrumentalisiert: „[...] the native was constructed as a programmed, ´nearly-selved´ other oft he European and not as ist binary opposite.“[12] In diesem Prozess der Setzung eines souveränen, europäischen Selbst generiert die „epistemische Gewalt“[13] nicht nur eben diese Produktion des native als das Andere mit der „asymmetrischen Auslöschung der Spuren dieses Anderen in seiner prekären Subjekt-ivität bzw. Unterworfenheit“[14], sondern bedingt auch die Eigenwahrnehmung des native als das Andere, Fremde. In diesem Kontext wird die Frage gestellt, ob das Subalterne sprechen, sich artikulieren kann und wenn ja, welche Kriterien für eine gelungene Artikulation und Repräsentation geltend gemacht werden können und sollten. Während die Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak das Schweigen des Subalternen postuliert, spricht sich der indische Theoretiker Homi Bhabha für die Möglichkeit und Existenz eines subalternen Subjekts aus, das sich durchaus artikulieren kann, indem es durch die „autocolonization“[15] in der Form der Mimikry das koloniale Skript unterläuft. In diese Praxis reiht sich auch die Literatur ein, wie Helen Tiffin bestätigt: „Post-colonial literatures/ cultures are thus constituted in counter-discursive rather than homologous practices, and they offer `fields´ [...] of counter-doscursive strategies to the dominant discourse.“[16] Die literarische Gattung des Magischen Realismus kann in eben diesen Kontext gestellt werden und erfüllt so die Funktion eines „residuum of resistance toward the imperial center and to its totalizing systems of generic classification.“[17]

Gilt gemeinhin Gabriel García Márquez als bekanntester Vertreter des Magischen Realismus, so nennt Hans-Otto Dill Miguel Angel Asturias und Alejo Carpentier als die ersten lateinamerikanischen Autoren dieses neuen Genres, welches „das partiell magische Denken und die mythische Weltsicht der Lateinamerikaner, die von rationalistisch-cartesianischer okzidentaler Mentalität differierte, doch Affinität zu surrealistischen Traumgebilden und tiefenpsychologischen Manifestationen kollektiven Unterbewusstseins“[18] zum Ausdruck bringt. Es ist gerade dieses letztgenannte Charakteristikum, das eine Parallele zur psychologischen Wahrnehmung des Animismus zeichnet und es so ermöglicht, der literaturwissenschaftlichen Diskussion des Magischen Realismus durch die Integration des Animismus eine neue Richtung zu geben. Es soll also die Frage verfolgt werden, inwieweit der aus der Ethnologie stammende Begriff des Animismus eine Möglichkeit bietet, Magischen Realismus jenseits des Postulats zweier Welten, den Polen magisch – real, bestimmen zu können. Aus diesem Grund erfolgt zuerst im zweiten Kapitel eine ausführliche theoretische Diskussion des Magischen Realismus, um den Engpass der bis dato geführten Ansätze aufzeigen zu können. Das dritte Kapitel widmet sich in der Folge einer exemplarischen Lektüre eines der bedeutendsten Werke der Gattung des Magischen Realismus – dem 1949 veröffentlichten Roman Hombres de maíz des guatemaltekischen Autors Miguel Angel Asturias, um durch Hinzunahme animistischer Denk- und Wahrnehmungsstrukturen eine andere Interpretation bestimmter Phänomene und Charakteristika vorlegen zu können. Obwohl dem Roman immer wieder der Vorwurf der Zusammenhanglosigkeit, Arbitrarität und Unverständlichkeit gemacht worden ist, kann dessen Inhalt doch als der Konflikt zwischen den Indios, natives unter der Leitung des Kaziken Gaspar Ilóm und den Ladinos unter der Herrschaft von Oberst Godoy beschrieben werden.

2. Magischer Realismus – eine Begriffsbestimmung

2.1. Ursprung

Weist Magischer Realismus auch heute noch “an important presence in contemporary world literature“[19] auf, so liegen seine Wurzeln in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts im Diskurs der Kunstgeschichte: Der deutsche Kunsthistoriker Franz Roh verwendet den Begriff des Magischen Realismus erstmals 1923 in einem Aufsatz über die Werke des Münchner Malers Karl Haider, um die den Expressionismus ablösende Bewegung, die er auch Nachexpressionismus nennt, benennen und definieren zu können. Der in dem Begriff aufgemachte Widerspruch von realistischer Darstellung und dem „Eindruck einer merkwürdigen Fremdheit“[20], der mit dem Verständnis des neunen Künstlers als Zauberer einhergeht, wird später durch Massimo Bontempeli für die Bestimmung des Magischen Realismus als literarische Gattung herangezogen: Der italienische Schriftsteller und Publizist gründet 1926 die Zeitschrift 900 mit dem Ziel, eine theoretische Fundierung einer damals verbreiteten Literaturform zu bewerkstelligen, die er Magischen Realismus nennt. Im Zeichen des durch die Moderne und Aufklärung verlorengegangenen „sens du mystère“[21] macht es sich die neue Literatur zur Aufgabe, die „tieferen Schichten der Wirklichkeit sichtbar zu machen“[22] und so die trostlose Wirklichkeit wieder zu verzaubern. Die hier postulierte Wiederverzauberung der Welt steht allerdings ganz im Zeichen der von Max Weber zum Signum der Moderne erklärten Entzauberung der Welt im Zuge kapitalistischer Strukturen. Die Beziehung zwischen den beiden Elementen Magie und Realität ist somit keine der Gleichwertigkeit, kann als asymmetrisch beschrieben werden: Der Hauptakzent liegt auf dem der Realität und der Begriff magisch nimmt lediglich die Funktion eines Epitheton ein, das zwei Bewegungen bezeichnet: Zum einen impliziert es die Idee einer Chiffrierung der Welt, einer Welt hinter der Welt, und zum anderen das Vermögen, Sinnbeziehungen zwischen Dingen zu stiften, die durch die Kriterien abendländischer Logik und ratio unterbunden werden. Diese subversive Geste gegenüber gängigen Wissensdiskursen ist es, die Renate Lachmann als „Verrat an den sichtbaren Dingen und ihrer Ordnung“[23] beschreibt und die bereits in den frühen Definitionsversuchen des Magischen Realismus eine Parallele zur literarischen Gattung der Phantastik zieht, wie sie in dem Kapitel 2.3. noch genauer erläutert werden werden.

In der Geschichte der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Magie durch die Ethnologie dominiert seit James George Frazer eben diese Definition der Magie als „falsche Anwendung der Ideenassoziation.“[24] Unter dem Begriff der Sympathetischen Magie zusammengefasst, versteht er diese als Fernwirkung, die durch einen „unsichtbaren Äther“[25] ermöglicht wird. So würde man Flüche, wie etwa der Fluch, von dem die Mutter der Tecún-Brüder befallen wird oder auch die Tatsache, dass durch die Tötung des Venado de Siete-rozas auch der Heiler stirbt, durch eine falsche Verknüpfung von Phänomenen erklär- und verstehbar machen. Diese Idee der gegenseitigen Beeinflussung oder auch Herstellung von Verbindungslinien zwischen den unterschiedlichsten Phänomenen und Dingen ist allerdings genau das, was von heutigen Ethnologen als Animismus bezeichnet wird: „So, if we were to ask where spirits reside, the answer would not be ²inside people´s heads,² but ²out there in the world,² or rather in the relational contexts of people´s activities.“[26]

Frazer steht in seiner Abwertung der Magie ganz in der Tradition von Tylor, der Magie ebenfalls als „Association of Ideas“[27] definiert und als „delusion“[28] abwertet.

Und auch Levy-Bruhl vertritt die Idee einer evolutionären Leiter, bildet aber trotzdem eine Art Opposition zu Tylor und Frazer. Drei Punkte sind dabei von entscheidender Bedeutung: Zum einen definiert er die von den Primitiven wahrgenommen, unsichtbaren Kräfte in Abgrenzung zu einer vom Denken bestimmten Kategorie der Idee als „catégie affective.“[29] Als Anspielung auf eben diese Signifikanz der Angst kann der Ausspruch „Lo que no es susto en la vida no vale gran pena“[30] gedeutet werden. Zum anderen weist er darauf hin, dass es in der Wahrnehmung der Primitiven durch „den naiven Gebrauch des Kausalitätsprinzips“[31] keinen Zufall gibt. Es ist die Interpretation eben dieses Zufalls, die Lachmann als „ausschlaggebend für den Status der phantastischen Erzählung“[32] ansieht, dessen Bedeutung aber durchaus weitreichender ist, da der französische Soziologe und Philosoph Bruno Latour gerade die Zuschreibung von Bedeutung und Sinn als Repertoire der Moderne bezeichnet, um der „Vermehrung der Quasi-Objekte“[33] Herr werden zu können. Diese bezeichnet er auch als Hybride, „Mischwesen zwischen Natur und Kultur.“[34] Sie können als Symptom für das Scheitern der Moderne gedeutet werden: „Niemand ist je modern gewesen. Die Moderne hat nie begonnen. Es hat nie eine moderne Welt gegeben.“[35] Dieses von Levy-Bruhl als „Gesetz der Partizipation (Anteilnahme)“[36] bezeichnetes Denk- und Interpretationsmuster erlaubt nicht nur eine Verbindung zum Animismus, sondern auch zu Begriffen des Typus mana, den Lévi-Strauss ganz im Sinne einer strukturalen Ethnologie als Überschuss an Sinn oder auch „flottierenden Signifikanten“[37] beschreibt. Das dritte, entscheidende Merkmal, das Levy-Bruhl für das primitive Denken herausstellt ist der fehlende Unterschied zwischen „ce monde-ci et l´autre, entre le réel sensible et l´au–delà.“[38] Er folgt hier ganz dem Paradigma der Moderne, das Latour als die zwei Großen Trennungen beschreibt: Die erste Trennung ist die zwischen Kultur und Natur oder auch Wissenschaft und Gesellschaft und die zweite große Trennung führt eine ontologische Differenz ein zwischen der Moderne und dem, was er die Vormoderne nennt, die sich eben dadurch auszeichnet, dass sie nicht zwischen Natur und Gesellschaft unterscheidet, also der Realitätswahrnehmung der Indios und der sogenannten primitiven Völkern entspricht: „Die innere Einteilung zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Wesen definiert eine zweite, diesmal äußere Einteilung, welche die Moderne von der Vormoderne trennt.“[39] Paradoxerweise werden eben diese in der Vereinnahmung des Begriffs durch lateinamerikanische Autoren und Theoretiker aufrechterhalten.

2.2. Magischer Realismus und Lateinamerika

Der bis dato innerhalb Europas verwendete Begriff des Magischen Realismus erreicht bereits 1927 durch eine Übersetzung von Franz Rohs Nachexpressionsmusstudie in der von Ortega y Gasset herausgegebenen Revista de Occidente Lateinamerika. Bezeichnet er dort zuerst hauptsächlich Werke europäischer Schriftsteller wie Franz Kafka, so wird er erstmals von dem venezolanischen Schriftsteller Arturi Uslar Pietri 1948 auf die Schriftsteller Lateinamerikas und ihr ästhetisches Programm übertragen. Ein Jahr später nimmt der kubanische Schriftsteller Alejo Carpentier in dem Vorwort zu El reino de este mundo eine erste Definition und Okkupation des Begriffs für Lateinamerika in Anspruch. Im Gegensatz zu früheren Definitionsversuchen findet nun eine „territorialisation of the imaginary“[40] statt, die Magischen Realismus als eine Strategie in dem Diskurs um die Bildung kultureller Identität versteht. Er grenzt sich dezidiert von europäischen Bewegungen wie dem Surrealismus ab, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, dem Irrationalen und Magischen mehr Raum zu geben, indem er ihnen „pobreza imaginativa“[41] vorwirft und den Magischen Realismus als eine für Lateinamerika typische Haltung charakterisiert:

A cada paso hallaba lo real maravilloso. Pero pensaba, además, que esa presencia y vigencia de lo real maravillosos no era privilegio único de Haití, sino patrimonio de la América entera, [...].[42]

Hier findet eine Umwertung und Erweiterung des Geltungsbereichs des Magischen Realismus statt: Bezeichnet er ursprünglich ein literarisches Phänomen, wird er so zur ontologischen Kategorie mit Wert und Gültigkeit außerhalb des Diskurses der Literaturproduktion und -rezeption. Dieses Verständnis des Magischen Realismus wird von anderen lateinamerikanischen Autoren und Theoretikern geteilt, unter ihnen Luis Leal: „Magical realism is, more than anything else, an attitude towards reality, that can be expressed in popular or culture forms, [...].“[43] Der Literatur wird hier auf der einen Seite die Aufgabe und Funktion der Repräsentation und Mimesis zugesprochen, aber auf der anderen Seite auch als resistentes Medium gegenüber politischen und sozialen Machtstrategien verstanden. Dieser Anspruch der Utilität verdankt sich laut Vargas Llosa der priviligierten Stellung des Buches in Lateinamerika:

[...] la literatura es, entre las creaciones humanas, la que ha mostrado más resistencia a doblegarse ante el poder, la que ha sorteado mejor sus embestias. Ésa es otra razón por la que, en América Latina, la literatura estuvo asociada, por tanto tiempo, a esos anhelos: que la verdad sea dicha y la injusticia suprimida.[44]

Magischer Realismus wird hier in den Dienst der Unabhängigkeit und des Widerstandes eines Kontinentes gegenüber seinem Eroberer gebracht. Dieses neue Definitionskriterium steht in engem Zusammenhang mit dem von Carpentier begangenen „symbolic parricide.“[45] Doch sollte man Chanady zustimmen, wenn sie behauptet, dass sowohl die Verneinung allen Einflusses Europas, als auch die komplette Abhängigkeit von europäischer Kultur abzulehnen sind, und das Verhältnis beider durch verschiedene Faktoren bestimmt wurde und wird.

Einer dieser Faktoren ist, Wendy B. Faris zustimmend, „European realism“[46], da sich die Mehrheit aller Autoren, die dem Magischen Realismus zugeordnet werden, es sich zur Aufgabe machen, der Realität Lateinamerikas in der Literatur Ausdruck zu verleihen. So ist auch Asturias daran gelegen, „the quintessence of Guatemalan life“[47] und das „ser americano“[48], zu finden und es in seinen Romanen sprechen zu lassen. Auf die von Karsten Düsdieker hingewiesene Aporie des Magischen Realismus von Zweifel an der Darstellbarkeit der Realität und der gleichzeitigen Verbreitung „subversiver Mikroerzählungen“[49], die eine inoffizielle Gegenrealität vermitteln, wird in Anbetracht der in der Einleitung erwähnten möglichen Strategien des Sublaternen als die von Homi Bhabha geforderte Verwirrung des kolonialen Skripts erkennbar und so verständlich: „[...] - all these testify to the fact that post-colonialsm is a continuing process of resistance and reconstruction.“[50]

Diskutiert und ausgelotet werden in diesem Zusammenhang immer wieder die Kriterien für die Repräsentation der lateinamerikanischen Realität und Identität, sowie die Position, die über diese bestimmen kann. Um die Frage dieser Entscheidungsmacht kreisen viele Diskussion der sechziger Jahre, in denen der Lateinamerikanische Roman einen „Boom“[51] erlebt. Eine dieser Polemiken spielte sich zwischen dem argentinischen Schriftsteller Julio Cortázar, der eigentlich einen offenen Brief an den kubanischen Poeten Roberto Fernández Retamar in der Revista Casa de las Américas vom 10. Mai 1967 veröffentlicht, und dem peruanischen Schriftsteller José María Arguedas ab, der sich in diesem Brief ebenfalls angesprochen gefühlt hat. Darin äußert Cortázar sich über „die Situation des zeitgenössischen lateinamerikanischen Intellektuellen“[52], zu denen er sich eigentlich nicht rechnet, sowie das „Paradox, das Lateinamerikanische aus der Ferne“[53], nämlich seinem Exil in Paris seit 1951, wiederentdecken zu können.[54] Allerdings konnotiert er gerade diese Osmose mit dem Begriff der Wahrheit und bewertet Bewegungen wie den Tellurismus als zu eng und provinziell, um Lateinamerika wirklich in Gänze erfassen zu können. Interessant erscheint die Tatsache, das Zusammenkommen mehrerer unterschiedlicher Tendenzen in den 50/60er Jahren, die sich sicherlich gegenseitig bedingt und beeinflusst haben: die Neuverteilung kolonialer Macht, die Aufgabe der „Übersetzung zwischen Kulturen“[55], der Boom des lateinamerikanischen Romans und die „Krise des Realismus“[56], spezielle des ethnographischen, in dessen Zug eben dieser sowie die dafür gültigen Kriterien ausgelotet werden.

[...]


[1] http://tonargumente.org/talk/reclaiming-animism/ (Letzter Zugriff: 30.05.2012, 14:24).

[2] Haber, Alejandro F.: Animism, Relatedness, Life: Post-Western Perspectives. In: Cambridge Archaeological Journal 19:3 (2009). S. 418.

[3] Garuba, Harry: Explorations in Animist Materialism: Notes on Reading/Writing African Literature, Culture, and Society. In: Public Culture 15(2) (2003). S. 265.

[4] Harvey, Graham: Animism – A Contenporary Perspective. In: The Encyclopedia of Religion and Nature. Hrsg. v. Bron R. Taylor. Hambledon Pr 2008. S. 78.

[5] Freud, Sigmund: Totem und Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2007. S. 127.

[6] Ebd. S. 136.

[7] Castro, Eduardo Viveiros de: Exchanging Perspectives. The Transformation of Objects into Subjects in Amerindian Ontologies. In: Common Knowledge 10:3 (2004). S. 481.

[8] Bird-David: Nurit: „Animism" Revisited. Personhood, Environment, and Relational Epistemology. In: Current Anthropology Volume 40 Supplement (1999). S. 73.

[9] Ebd. S. 78.

[10] Ebd. S. 7.

[11] Fuchs, Martin u. Eberhard Berg: Phänomenologie der Differenz. Reflexionsstufen ethnographischer Repräsentation. In: Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation. Hrsg. v. Eberhard Berg u. Martin Fuchs. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993 (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1051). S. 7.

[12] Parry, Benita: Problems in current theories of colonial discourse. In: The Post-Colonial Studies Reader. Hrsg. v. Bill Ashcroft u. Gareth Griffiths u.a. New York: Routledge 2006. S. 45.

[13] Spivak, Gayatri Chakravorty: Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Berlin: Verlag Turia + Kant 2008 (= Es kommt darauf an Band 6). S. 42.

[14] Ebd. S. 42.

[15] Parry, B.: Problems in current theories of colonial discourse. S. 48.

[16] Tiffin, Helen: Post-colonial literatures and counter-discourse. In: The Post-Colonial Studies Reader. Hrsg. v. Bill Ashcroft u. Gareth Griffiths u.a. New York: Routledge 2006. S. 99.

[17] Slemon, Stephen: Magic Realism as Postcolonial Discourse. In: Magical Realism. Theory, History, Community. Hrsg. v. Lois Parkinson Zamora u. Wendy B. Faris. Durham & London: Duke University Press 1995. S. 408.

[18] Dill, Hans-Otto: Geschichte der lateinamerikanischen Literatur im Überblick. Stuttgart: Reclam 1999. S. 310.

[19] Zamora, Lois Parkinson u. Wendy B. Faris: Introduction: Daiquiri Birds and Flaubertian Parrot(ie)s. In: Magical Realism. Theory, History, Community. Hrsg. v. Lois Parkinson Zamora u. Wendy B. Faris. Durham & London: Duke University Press 1995. S. 4.

[20] Scheffel, Michael: Magischer Realismus. Die Geschichte eines Begriffes und ein Versuch seiner Bestimmung. Tübingen: Stauffenburg Verlag 1990 (= Stauffenburg Colloquium Band 16). S. 10.

[21] Ebd. S. 15.

[22] Ebd. S. 14.

[23] Lachmann, Renate: Erzählte Phantastik. Zur Phantasiegeschichte und Semantik phantastischer Texte. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002 (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1578). S. 39.

[24] Frazer, James George: Der goldenen Zweig. Eine Studie über Magie und Religion. Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1968. S. 17.

[25] Ebd. S. 17.

[26] Willerslev, Rane: Soul Hunters. Hunting, animism, and personhood among the Siberian Yukaghirs. Berkeley: Univ. of California Press 2007. S. 185.

[27] Tylor, Edward Burnett: The Origins of Culture. Gloucester: Peter Smith 1970. S. 116.

[28] Ebd. S. 112.

[29] Levy-Bruhl, Lucien: Le surnaturel et la nature dans la mentalité primitive. Paris: Press Universitaires de France 1963). S. XXXIV.

[30] Asturias, Miguel Ángel: Hombres de maíz. Madrid: Alianza Editorial 2008. S. 85.

[31] Levy-Bruhl, Lucien: Das Denken der Naturvölker. Wien: Wilhelm Braumüller 1921. S. 57.

[32] Lachmann, R.: Erzählte Phantastik. S. 142.

[33] Latour, Bruno: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symetrischen Anthropologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008 (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1861). S. 118.

[34] Ebd. S. 19.

[35] Latour, B.: Wir sind nie modern gewesen. S. 65.

An dieser Stelle könnte man eine Frage stellen, die in dieser Hausarbeit leider nicht beantwortet werden kann, die sich aber sicherlich als fruchtbar erweist: Ob und wie unterlaufen europäische Romane der Moderne und Postmoderne durch die von Latour postulierten vier modernen Repertoires oder auch dem Begriff der Quasi-Objekte und Hybride ihre eigene Modernität.

[36] Ebd. S. 57.

[37] Levi-Strauss, Claude: Einleitung in das Werk von Marcel Mauss. In: Soziologie und Anthropologie. Band 1: Theorie der Magie/ Soziale Morphologie. Berlin: VS Verlag 2010. S. 39.

[38] Levy-Bruhl, Lucien: La mentalité primitive. Paris: Retz 1976. S. 41.

[39] Latour, B.: Wir sind nie modern gewesen. S. 132.

[40] Chanady, Amaryll: The Territorialisation of the Imaginary in Latin America: Self-Affirmation and Resistance to Metropolitan Paradigms. In: Magical Realism. Theory, History, Community. Hrsg. v. Lois Parkinson Zamora u. Wendy B. Faris. Durham & London: Duke University Press 1995. S. 131.

[41] Carpentier, Alejo: Obras Completas. Volumen 2. Madrid: Siglo veintiuni editores 1983. S. 14.

[42] Ebd. S. 16.

[43] Leal, Luis: Magical Realism in Spanish American Literature. In Magical Realism. Theory, History, Community. Hrsg. v. Lois Parkinson Zamora u. Wendy B. Faris. Durham & London: Duke University Press 1995. S. 121.

[44] Vargas Llosa: Mario: La utopía arcaica. José María Arguedas y las ficciones del indigenismo. Madrid: Santillana Ediciones Generales 2011. S. 34.

[45] Chanady, A.: Territorialization oft he Imaginary. S. 138.

[46] Faris, Wendy B.: Scheherazade´s Children: Magical Realism and Postmodern Fiction. In: Magical Realism. Theory, History, Community. Hrsg. v. Lois Parkinson Zamora u. Wendy B. Faris. Durham & London: Duke University Press 1995. S. 164.

[47] Benedict, Elisabeth Aileen: Surrealism in the novels of Miguel Angel Asturias. Diss. Oklahoma: University Microfilms1973. S. 137.

[48] Ebd. S. 136.

[49] Düsdieker, Karsten: Kulturtransfer. Renarrativierung. InterAmerika. Gabriel García Márquez als Mittler zwischen latein- und nordamerikanischem Roman. Diss. Berlin: Wissenschaftlicher Verlag 1998. S. 65.

[50] Ashcroft, Bill u. Gareth Griffiths u.a.: General Introduction. In: In: The Post-Colonial Studies Reader. Hrsg. v. Bill Ashcroft u. Gareth Griffiths u.a. New York: Routledge 2006. S. 2.

[51] Dill, H.-O.: Geschichte der lateinamerikanischen Literatur im Überblick. S. 321.

[52] Cortázar, Julio: Über die Situation des lateinamerikanischen Intellektuellen. In: Reise um den Tag in 80 Welten. Letzte Runde. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004. S. 312.

[53] Ebd. S. 316.

[54] Das hier aufgemachte Spannungsfeld von Literatur und Politik mit dem Konzept und der Problematik des intellektuellen Schriftstellers und seiner sozialen Verantwortung kann hier leider nur angerissen werden. Für weitere Informationen sei Baumbach, Kora: Standorte empfohlen.

[55] Asad, Talal: Übersetzen zwischen den Kulturen. Ein Konzept der britischen Sozialanthropologie. In: Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation. Hrsg. v. Eberhard Berg u. Martin Fuchs. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993 (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1051). S. 300.

[56] Fabian, Johannes: Präsenz und Repräsentation. Die Anderen und das anthropologische Schreiben. In: Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation. Hrsg. v. Eberhard Berg u. Martin Fuchs. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993 (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1051). S. 346.

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Details

Titel
Magischer Realismus. Zum Verhältnis von Animismus und lo real maravilloso in "Hombres de maíz" von Asturias
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
31
Katalognummer
V436329
ISBN (eBook)
9783668769175
ISBN (Buch)
9783668769182
Dateigröße
619 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
magischer, realismus, verhältnis, animismus, hombres, asturias
Arbeit zitieren
Maria Dschaak (Autor:in), 2012, Magischer Realismus. Zum Verhältnis von Animismus und lo real maravilloso in "Hombres de maíz" von Asturias, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/436329

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