Totalsynthese und Strukturaufklärung von Noricumazol A, B und Derivaten

Total Synthesis and Structure Elucidation of Noricumazole A, B and Derivatives


Doktorarbeit / Dissertation, 2013

333 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Abkürzungen und Vorbemerkungen
1.1 Abkürzungen
1.2 Vorbemerkungen

2 Einleitung
2.1 Infektionskrankheiten
2.1.1 Viren
2.1.2 Hepatitis-C-Virus
2.1.3 Virostatika
2.2 Noricumazole
2.2.1 Isolierung und Konstitutionsbestimmung
2.2.2 Biologische Aktivität
2.2.3 Postulierte Biosynthese

3 Problemstellung und Zielsetzung
3.1 Konfigurationsbestimmung und Totalsynthese von Noricumazol A (11)
3.2 Synthese von Noricumazol A-Derivaten
3.3 Konfigurationsbestimmung und Totalsynthese von Noricumazol B (12)

4 Beschreibung und Diskussion der Ergebnisse
4.1 Konfigurationsbestimmung und Totalsynthese von Noricumazol A (11)
4.1.1 Vorarbeiten zur Konfigurationsbestimmung
4.1.2 Retrosynthese
4.1.3 Synthese des Ostfragments 30
4.1.4 Synthese des Westfragments 31
4.1.5 Abschluss der Totalsynthese
4.1.6 Konfigurationsbestimmung
4.2 Synthese von Noricumazol A-Derivaten
4.2.1 Stereochemische Variation an C11
4.2.2 Stereochemische Variation an C9
4.2.3 Variationen der aliphatischen Seitenkette an C4
4.2.4 Variation der Oxazol-Einheit
4.2.5 Variationen im Bereich C11 bis C13
4.2.6 Konfigurationsbestimmung
4.3 Konfigurationsbestimmung und Totalsynthese von Noricumazol B (12)
4.3.1 Retrosynthese
4.3.2 Synthese des Ostfragments 171
4.3.3 Abschluss der Totalsynthese
4.3.4 Konfigurationsbestimmung
4.4 Biologische Aktivitäten

5 Zusammenfassung und Ausblick
5.1 Zusammenfassung
5.2 Ausblick

6 Experimenteller Teil
6.1 Allgemeine Hinweise
6.2 Darstellung der Reagenzien und Ausgangsverbindungen
6.3 Darstellung der Verbindungen
6.3.1 Vorstudien zur Westfragmentsynthese
6.3.2 Noricumazol A (11) und 11-epi-Noricumazol A (11b)
6.3.3 9-epi-Noricumazol A (110a) und 9,11-bis-epi-Noricumazol A (110b)
6.3.4 25-nor-Noricumazol A (111a) und 11-epi-25-nor-Noricumazol A (111b)
6.3.5 Hydroxyisochromanon (112a) und 11-epi-Hydroxyisochromanon (112b)
6.3.6 Methoxyisochromanon (113a) und 11-epi-Methoxyisochromanon (113b)
6.3.7 11-Desoxy-Noricumazol A (136)
6.3.8 12,13-Dihydro-Noricumazol A (138)
6.3.9 Thia-Noricumazol A (130a) und 11-epi-Thia-Noricumazol A (130b)
6.3.10 Noricumazol B (12)

7 Literaturangaben

8 Anhang..
8.1 NMR-Spektren
8.2 CD-Spektren

Abkürzungen und Vorbemerkungen 1

Die vorliegende Arbeit wurde in der Zeit von Januar 2009 bis Dezember 2011 unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. Andreas Kirschning am Institut für Organische Chemie der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover angefertigt.

Hierdurch erkläre ich, dass die vorliegende Dissertation selbstständig verfasst und alle benutzten Hilfsmittel sowie eventuell zur Hilfeleistung herangezogene Institutionen vollständig angegeben wurden.

Die Dissertation wurde nicht schon als Diplom- oder ähnliche Prüfungsarbeit verwendet.

Hannover, den 18.12.2011

Referent: Prof. Dr. Andreas Kirschning Korreferent: Prof. Dr. Markus Kalesse Tag der Promotion: 29.02.2012

„Wer kein Ziel vor Augen hat, kann auch keinen Weg hinter sich bringen.“

(Ernst Ferstl, *1955)

Zusammenfassung

Jenny Barbier

Totalsynthese und Strukturaufklärung von Noricumazol A, B und Derivaten

Schlagworte: Totalsynthese, Strukturaufklärung, Noricumazol, ortho-Lithiierung, Zink- vermittelte Addition, Ionenkanal-Inhibierung, Hepatitis-C-Virus

Die vom Myxobakterium Sorangium cellulosum So ce399 im Sekundärmetabolismus produzierten Noricumazole A und B weisen bemerkenswerte biologische Aktivitäten auf. Noricumazol A konnte als starker Ionenkanal-Inhibitor des spannungssensitiven Natriumkanals Nav1.7 identifiziert werden und besitzt zudem die Fähigkeit zur Stabilisierung und Inhibierung des oligomeren Kaliumkanals (KcsA). Desweiteren zeichnet sich Noricumazol A durch seine antivirale Aktivität gegenüber dem Hepatitis-C-Virus (HCV) aus. In der vorliegenden Dissertation konnte, aufbauend auf bisherigen Studien, die Strukturaufklärung von Noricumazol A durch eine erfolgreiche Fragment- und Totalsynthese abgeschlossen werden. Das zur Synthese des Westfragments erforderliche hochfunktionalisierte aromatische System wurde durch drei aufeinanderfolgende organometallische Reaktionen aufgebaut. Als Schlüsselschritt wurde dazu eine ortho- Lithiierung mit anschließender nukleophiler Öffnung eines Epoxids realisiert. Das nach Laktonisierung erhaltene Fragment konnte nach Abgleich der Konfiguration mit Erfolg in einer Zink-vermittelten Addition mit dem zweiten Hauptfragment gekuppelt und zum Naturstoff umgesetzt werden.

Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Totalsynthese von Noricumazol A- Derivaten, um Studien zu Struktur-Aktivitäts-Beziehungen einzuleiten. Dazu wurden unter Berücksichtigung erhaltener Nebenprodukte bemerkenswerte 20 Derivate durch diverse Leitstruktur-Variationen erzeugt. Die Substitution des Oxazols durch eine Thiazol-Einheit, sowie die Acylierung der freien Hydroxygruppen an C3 und C11 lieferten Derivate mit einer optimierten, beeindruckenden antiviralen Aktivität im nanomolaren Bereich.

Im dritten Abschnitt wird die Totalsynthese von Noricumazol B beschrieben. Da weder die Konfiguration der Verbindung, noch die Identität der Furanose-Einheit bekannt waren, erfolgte die Synthese analog der von Noricumazol A. Neben Schutzgruppen-Manipulationen konnte als Schlüsselschritt eine Glykosydierung mittels der HELFERICH-Variante der KOENIGS-KNORR-Reaktion angewandt und nach Abschluss der Totalsynthese die Identität der Glykosyl-Einheit erfolgreich als α-D-Arabinosid identifiziert werden.

Abstract

Jenny Barbier

Total Synthesis and Structure Elucidation of Noricumazole A, B and Derivatives

Keywords: total synthesis, structure elucidation, noricumazole, ortho-lithiiation, zinc- mediated addition, ion channel inhibition, hepatitis C virus

The noricumazoles A and B, secondary metabolites produced by the myxobacterium Sorangium cellulosum So ce399, show remarkable biological activities. Noricumazole A was elucidated as a strong inhibitor of the voltage gated sodium channel Nav1.7 and is able to stabilize and inhibit the oligomeric character of the potassium channel (KcsA). Furthermore, noricumazole A was evaluated as an inhibitor of the hepatitis C virus (HCV). This thesis covers the successful completion of the structure elucidation of noricumazole A by fragment syntheses as well as by total synthesis. The highly functionalized aromatic system was constructed via three organometallic reactions. As a key step the synthesis included the generation of an aryl lithium intermediate by ortho-lithiiation followed by nucleophilic epoxide opening. After lactonization and comparison of the configuration the total synthesis was achieved by a zinc-mediated addition of both fragments followed by global deprotection. The second part describes the total synthesis of a library of noricumazole A to carry out a first study on the structure-activity relationship. Including all side products 20 derivatives were newly synthesized by variation of the lead structure. Substitution of the oxazole-moiety by a thiazole-unit as well as acylation of hydroxyl groups at C3 and C11, respectively, led to compounds with an even higher antiviral activity within the nanomolar scale compared to the lead structure.

In the third part the total synthesis of noricumazol B is described. Because of the unknown configuration as well as the nature of the glycan moiety the synthesis was based on the total synthesis of noricumazole A. Orthogonal protection of the hydroxyl groups at C18 and C20, respectively, followed by glycosylation by using a modification of the KOENIGS-KNORR method under HELFERICH-type conditions yielded noricumazole B after global deprotection and established the glycan moiety to be the α-D-arabinoside.

1 Abkürzungen und Vorbemerkungen

1.1 Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.2 Vorbemerkungen

Die Nummerierung der Moleküle in der Synthese von Noricumazol A, Noricumazol B und Derivaten folgt nicht den IUPAC-Regeln, sondern orientiert sich an der Nummerierung von Noricumazol A.

Die Darstellung der Stereochemie in der folgenden Arbeit erfolgt folgendermaßen:

Zur Darstellung der relativen Stereochemie werden Balken verwendet, während für die absolute Stereochemie Keile verwendet werden.

2 Einleitung

2.1 Infektionskrankheiten

Durch Infektionen hervorgerufene Krankheiten stellen in der heutigen Zeit, trotz fortschrittlicher und moderner medizinischer Forschung, ein äußerst ernst zu nehmendes Thema dar. In einer Auflistung der zehn häufigsten Todesursachen weltweit nehmen sie den Hauptteil mit einem Anteil von insgesamt 31% ein.[[1]] Verursacht werden Infektionskrankheiten durch Anwesenheit pathogener mikrobieller Erreger. Eine Unterteilung dieser erfolgt in Bakterien, Viren, Pilzen, Protozoen, sowie multizelluläre Organismen und aberrante Proteine, die sogenannten Prionen.

2.1.1 Viren

Viren können als Organismen am Rande des Lebens definiert werden.[[2]] Sie bestehen entweder aus DNA oder RNA, welche durch eine aus Proteinen gebildete Hülle (Kapsid) geschützt ist.[[3]] Da sie des Weiteren keine zelluläre Struktur und damit eigenen Metabolismus besitzen, sind für sie Wirtszellen zur eigenen Vermehrung essentiell. Als Wirte kommen für sie Tiere, Pflanzen, Menschen und sogar Bakterien in Frage. Ein Viruspartikel besitzt eine Größe von 20-300 nm und gehört damit zu den kleinsten infektiösen Organismen.

Viren nehmen unter den pathogenen mikrobiellen Erregern eine besondere Stellung ein, da sie zu dem am weitesten verbreiteten und reichhaltigsten Medium unseres Ökosystems zählen. Es wird davon ausgegangen, dass sie das größte Reservoir genetischer Diversität unseres gesamten Planeten repräsentieren.[[4]] Viren, die eine negative Wirkung auf den Organismus besitzen, können verheerende Effekte auslösen. Dies zeigt die Betrachtung der aufgetretenen Pandemien in den letzten hundert Jahren. So forderte beispielsweise die von 1918 bis 1920 andauernde „Spanische Grippe“, ausgelöst von einem Influenza Virus A (Subtyp A/H1N1), 50 bis 100 Mio. Todesopfer weltweit.[[5]] Die in jüngster Zeit durch ein Influenza Virus A verursachte sogenannte „Schweinegrippe“ forderte trotz frühzeitiger Entdeckung und entsprechender medizinischer Maßnahmen 18.000 Menschenleben.[[6]] Das im Jahr 1983 erstmals identifizierte Humane Immundefizienz-Virus (HIV) zeigt ein weiteres Beispiel für ein aktuell relevantes Virus auf.[[7]] Obwohl die Übertragungswege aufgeklärt sind und eine Prävention möglich ist, ließ sich die Verbreitung dieses Virus bisher nicht unter vollständige Kontrolle bringen, so dass bis zum Jahr 2009 über 25 Mio. Todesopfer und aktuell insgesamt 40 Mio. infizierte Menschen gezählt wurden.[[8]]

2.1.2 Hepatitis-C-Virus

Das Hepatitis-C-Virus (HCV) ist ein etwa 42 nm messendes, umhülltes einzelsträngiges RNA-Virus mit positiver Polarität, das der Gattung der Hepaciviren der Flaviviridae-Familie angehört (Abbildung 1).[[9]] Es handelt sich um ein humanes Virus, welches erstmals 1989 durch gentechnische Methoden identifiziert werden konnte.[[10]] Das Hepatitis-Virus gilt als primärer Verursacher einer Leberentzündung und als häufigster Grund einer Lebertransplantation. Die Übertragung des Virus erfolgt nach bisherigen Erkenntnissen ausschließlich parenteral über das Blut. Als Auslöser der viralen Hepatitis wurden bisher neben dem Hepatitis-C das Hepatitis-A, -B, -D und -E-Virus identifiziert. Das HCV spielt hierbei eine gesonderte Rolle, da die verursachten akuten Leberentzündungen in bis zu 70% der Fälle in einem chronischen Verlauf und damit drastischen Leberschädigungen resultieren.[[11]] Als Ursache dafür ist der überwiegend asymptomatische Verlauf der Infektionen anzusehen. Die Konsequenz einer chronischen Hepatitis stellt häufig eine sich innerhalb von 20 bis 30 Jahren entwickelnde Leberfibrose, Leberzirrhose und das Leberzellkarzinom dar. Zusammen mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV), dem Epstein-Barr- Virus (EBV) und dem Humanen Herpesvirus 8 (HHV-8) ist das HCV weltweit für 10 bis 15% aller Krebserkrankungen verantwortlich.[[12]]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Schematische Darstellung eines Hepatitis-C-Virions. Im Zentrum befindet sich die RNA (violett), welche von einem Kapsid (grün) umhüllt wird. Die äußere Hülle (violett) bildet eine Lipidschicht, welche mit Glykoproteinen (rot) bestückt ist.[[13]]

Weltweit gelten etwa 3% der Bevölkerung und damit etwa 210 Mio. Menschen als chronisch hepatid. In Deutschland existieren etwa 500.000 Hepatitis-C-Virusträger. Hieraus ergibt sich ein gravierendes medizinisches und gesundheitspolitisches Problem. Eine Therapie der Infektion ist nur eingeschränkt möglich und stark abhängig vom auftretenden Genotyp des Virus. Ein Ausheilen der Infektion kann nur bei etwa 30% der Erkrankten beobachtet werden. Eine Schutzimpfung gegen HCV-Infektionen ist bisher nicht verfügbar und aufgrund der ausgeprägten genetischen Variabilität des Virus in weiter Ferne.

Der postulierte Lebenszyklus eines Hepatitis-C-Virions ist in Abbildung 2 dargestellt.[[14]] Die Replikation der Viren geschieht hauptsächlich in den Hepatozyten der Leber, welche 70 bis 80% des Lebervolumens einnehmen. Der Viruseintritt erfolgt durch die direkte Wechselwirkung der Hüllproteine des Virions mit den Co-Rezeptoren der Wirtszellmembran. Der Eintritt des Virions wird durch die Rezeptor-vermittelte Endozytose ermöglicht. Befindet sich das Virion innerhalb der Zelle wird es von seiner Hülle befreit (uncoating), wodurch eine Freisetzung der viralen RNA stattfindet. Nach Translation dieser repliziert sich das Virus schließlich, fügt die neugenerierten Virus-Partikel zusammen (Assemblierung) und reift zu einem neuen Virion heran (Maturation). Eine Freisetzung der erzeugten Virionen erfolgt durch Zelllyse, welche gleichzeitig den Zelltod und damit das Absterben der Hepatozyten einleitet. Die Mutationsrate des sich selbst reproduzierenden HCV generiert überdurchschnittlich viele Varianten des Virus in nur einem Wirt, weshalb hier nicht von einem konventionellen Virus gesprochen werden kann. BARTENSCHLAGER und LOHMANN weisen das HCV deshalb den Quasi-Spezies zu.[[15]] Dies kann als Ursache der bisher eingegrenzten Therapiemöglichkeiten dieser viralen Infektion angesehen werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Postulierter Lebenszyklus eines HCV in einer Leberzelle. (Originalbild wurde verändert)[[16]]

2.1.3 Virostatika

Eine antivirale Therapie in der Frühphase einer akuten HCV-Infektion erfolgt mittels Einsatz von PEGyliertem Interferon-α (1) oder Ribavirin (2), wodurch ein chronischer Verlauf verhindert werden kann (Abbildung 3). Bei Interferonen handelt es sich um Proteine, welche die Fähigkeit besitzen, das menschliche Immunsystem zu aktivieren und die virale Replikation zu inhibieren. Da die akute Infektion aufgrund fehlender Symptomatik größtenteils unentdeckt bleibt, bedarf es Therapiemöglichkeiten zur Behandlung der chronischen Hepatitis C. Diese wird heutzutage durch eine Kombination beider Virostatika 1 und 2 eingeleitet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Wirkstoffe zur Therapie einer HCV-Infektion. Interferon-α (1),[[17]] Ribavirin (2), Beceprevir (3) und Telaprevir (4).

Eine dauerhafte Unterdrückung der Virus-Replikation lässt sich allerdings, stark abhängig vom Genotyp des Virus, nur etwa in der Hälfte der Fälle und in einem frühen Stadium der Hepatitis erreichen. Aufgrund der engen Verknüpfung von Zellstoffwechsel und Virusvermehrung sind die Möglichkeiten der Bekämpfung der HCV-Infektion ohne die Schädigung der körpereigenen Zellen begrenzt, so dass signifikante Nebenwirkungen zu tolerieren und die Bildung von Resistenzen zu akzeptieren sind. Ein wesentlicher Faktor ist zudem, dass Virostatika ausschließlich die Vermehrung der Viren unterbinden, nicht aber ihre Eliminierung herbeiführen. Zurzeit befinden sich HCV-Protease-Inhibitoren in der Entwicklung, welche mit 1 und 2 kombiniert eingesetzt werden. In klinischen Studien hat sich Boceprevir 3[[18]] und Telaprevir 4[[19]] im Einsatz gegen das HCV mit dem Genotyp 1 behauptet. Zur Inhibierung des Virus bindet Boceprevir 3 dazu an die aktive Seite des Nichtstrukturproteins 3 (NS3) und Telaprevir 4 an die bifunktionelle NS3-4A Protease des HCV. Beide Substanzen wurden im Mai dieses Jahres in den Vereinigten Staaten zugelassen. Da allerdings mindestens sechs weitere Genotypen des Virus verbreitet sind, handelt es sich nicht um einen universellen Wirkstoff. Zudem repliziert sich das Virus in dermaßen hoher Geschwindigkeit und bildet diverse genetische Variationen aus, dass es als „schwer fassbarer Gegner“ gilt. Nur der gleichzeitige Einsatz diverser antiviraler Wirkstoffe, welche auf unterschiedliche Komponenten des Virus abzielen, könnte die Aussicht eines Therapieerfolgs durch Unterdrückung einer Mutation des Virus erhöhen.[[20]]

2.2 Noricumazole

Naturstoffe spielen als Leitstrukturen in der Arzneimittelentwicklung eine entscheidende Rolle. Zunächst lieferte dazu bis Anfang des 20. Jahrhunderts die unbelebte Natur zahlreiche Quellen dieser Verbindungen,[[21]] bis auch Mikroorganismen in den Fokus der Forschung rückten. Das Potential mikrobieller Sekundärmetabolite ist unter Berücksichtigung der bereits entwickelten Therapeutika enorm.[[22]] Sekundärmetabolite sind zur Reproduktion, Entwicklung oder für das Wachstum der Mikroorganismen nicht essentiell, sondern dienen der Verteidigung gegen fremde Organismen oder werden aufgrund symbiontischer oder parasitischer Wechselbeziehung zur Umgebung produziert.[[23]] Insbesondere die Behandlung bakterieller Infektionskrankheiten durch Antibiotika oder Zytostatika, oder die Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen des humanen Organismus zeigt deutlich die Relevanz Naturstoff-basierter Arzneimittel auf. Die Wirkungsverbesserung der isolierten Metabolite, sowie metabolische Eigenschaften, lassen sich durch Derivatisierungen der Naturstoffe erzielen. Die auf natürlichen Leitstrukturen basierenden Substanzen lassen sich durch Änderungen spezifischer Strukturmerkmale auf die speziellen Bedürfnisse des jeweiligen Targets anpassen.[[24]]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Naturstoffe als wichtige Leitstrukturen für Wirkstoffe: Naturstoff Epothilon B (5), Argyrin A (6) und Carolacton (7).

Myxobakterien zählen zu den Quellen zahlreicher antifungisch und antibakteriell wirkender Sekundärmetabolite. Sie haben bereits zur Entwicklung zahlreicher hochpotenter und damit pharmakologisch interessanter Wirkstoffe beigetragen.[[25]] Eine kleine Auswahl zeigt Abbildung 4. Das zytostatisch wirkende Epothilon (5) weist durch Stabilisierung des Tubulin-Gerüsts eukaryotischer Zellen eine vergleichbare Antitumor-Wirkung wie TAXOL® auf.[[26]] Bei Argyrin A (6) handelt es sich um einen Proteasom-Inhibitor, welcher auf das Tumorsuppressor-Protein p27 in humanen Karzinom-Zellen wirkt.[[27]] Carolacton (7) besitzt neben antibiotischer Aktivität die Fähigkeit zur Inhibierung der Biofilm-Bildung durch ein Karies- und Endocarditis-assoziiertes Bakterium.[[28]] Die von Myxobakterien produzierten Metabolite weisen ein breites therapeutisches Anwendungsspektrum auf.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Kolonien (links) und Fruchtkörper (mitte, rechts) von Sorangium cellulosum.[[29]]

Bei Myxobakterien handelt es sich um Stäbchen-förmige, Gram-negative und strikt aerobe Bodenbakterien, welche vorzugsweise an Orten organischer Materie auftreten (Abbildung 5).[[30]] Unter den Bakterien nehmen sie eine einzigartige Rolle ein, da sie ein soziales Verhalten in Form von Fortbewegung, durch Gleiten und Schwärmen in Kolonien über Oberflächen zeigen. Unter Mangelbedingungen bilden sie sporenbildende und typischerweise farbige Fruchtkörper aus, die am Ende des Entwicklungsprozesses zur Sicherung des Fortbestands zu Myxosporen reifen.[[31]] Myxobakterien können unabhängig von äußeren Faktoren in Bioreaktoren kultiviert und damit als effiziente Produzenten für die Produktion von Naturstoffen verwendet werden.

2.2.1 Isolierung und Konstitutionsbestimmung

Im Zuge einer Bioaktivitäts-geleiteten Untersuchung konnte am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) im Extrakt von Sorangium cellulosum, So ce701 eine antifungische Aktivität festgestellt werden. Dies führte zu der Isolierung der einzigartigen Icumazole A (8), B1 (9) und B2 (10) (Abbildung 6). Das charakteristische IsochromanonStrukturelement konnte in darauffolgenden Fermentationen des Extrakts von Sorangium cellulosum, So ce399 erneut identifiziert und die Noricumazole A (11), B (12) und C (13) isoliert werden, welche im Rahmen dieser Arbeit behandelt werden.[[32]]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Icumazol A (8), B1 (9), B2 (10) und Noricumazol A (11), B (12) und C (13).

Die zur Strukturaufklärung und biologischen Evaluierung der Noricumazole benötigten Mengen des Naturstoffs wurden durch eine Großfermentation von Sorangium cellulosum, So ce399 am HZI erhalten (Abbildung 7). Die Fermentationsbrühe wurde mit dem Adsorberharz XAD 16 versetzt und zur Abtrennung der Zellen mit Wasser gewaschen. Nach Auftragung der Masse auf eine offene Säule, wurde das Rohextrakt der Metabolite mit Methanol versetzt und über die Säule filtriert. Zur Entfernung stark unpolarer Bestandteile wurde der Rohextrakt zuerst mit Heptan und anschließend mit Methanol extrahiert. Nach Entfernung des Methanols wurde der Rückstand mehrere Male säulenchromatographisch mit einem Dichlormethan/Methanol-Gemisch gereinigt und vier Fraktionen erhalten. Durch eine chromatographische Reinigung der ersten Fraktion mittels RP-HPLC wurde Noricumazol A (11) erhalten. Die dritte Fraktion wurde mittels Si-HPLC gereinigt, so dass zwei mit Noricumazol B (12) und C (13) angereicherte Fraktionen erhalten werden konnten. Diese wurden getrennt voneinander mit der zweiten bzw. vierten Fraktion kombiniert und nach RP- HPLC-Auftrennung die reinen Noricumazole B (12) und C (13) isoliert. Die Ausbeute von Noricumazol A (11) beträgt 7.6 mg/L. Das Verhältnis der isolierten Noricumazole (A : B : C) lag bei 4 : 5 : 1.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Isolierung von Noricumazol A (11), B (12) und C (13) aus einer Fermentation von Sorangium cellulosum, So ce399.

Die Strukturen der Noricumazole wurden von R. JANSEN am HZI durch eine Kombination verschiedener spektrometrischer und spektroskopischer Methoden aufgeklärt. Die Summenformeln konnten mittels Massenspektrometrie ermittelt werden (EI, [+]-DCI, [−]-DCI). Die Bestimmung der Konstitution der einzelnen Verbindungen erfolgte durch NMR-spektroskopische Untersuchungen (1 H, 13 C, 1 H-1 H-COSY, NOESY, TOCSY, HMQC, HMBC), in denen auch die E-Konfiguration der ungesättigten Einheit zwischen C12 und C13 eindeutig zugewiesen werden konnte. Alle isolierten Noricumazole weisen das gleiche polyketidische Grundgerüst mit sechs Chiralitätszentren auf. Zu den charakteristischen Strukturmerkmalen zählen das 3-Hydroxy-8,9-dihydroisocumarin, welches eine aliphatische Seitenkette mit einem Chiralitätszentrum an C25 besitzt, und die zwischen C13 und C17 vorhandene peptidische Oxazol-Einheit. Im Unterschied zu Noricumazol A (11) sind Noricumazol B (12) und C (13) zusätzlich glykosyliert. Noricumazol B (12) ist mit einer Pentofuranose an C18 und Noricumazol C (13) mit einer Hexose an C11 funktionalisiert. Die Identität der Pentofuranose konnte durch NMR-spektroskopische Untersuchungen zunächst nicht aufgeklärt werden. Im Verlauf dieser Arbeit wurde allerdings anhand von chemischen Verschiebungen und Literaturvergleichen der Kopplungskonstanten im 13 C- und 1 H-NMR, die Anwesenheit einer α-arabino-Furanosyl-Einheit im Noricumazol B (12) postuliert.[[33]] Der Hexose im Noricumazol C (13) wurde mittels spektroskopischer Untersuchungen eine β- gluko-Pyranosid-Konfiguration zugewiesen.[[32]]

2.2.2 Biologische Aktivität

Die Evaluierung der biologischen Aktivitäten der isolierten Noricumazole lieferte eindrucksvolle Resultate. Auf den Ionenkanal-inhibierenden und antiviralen Einluss von Noricumazol A (11) wurde in den nächsten beiden Abschnitten gesondert eingegangen.

2.2.2.1 Einfluss auf Ionenkanäle

Ionenkanäle sind in allen Lebensformen von Viren über Bakterien und Pflanzen bis hin zum Menschen essentiell. Sie sind in wichtige zelluläre Prozesse involviert, wie der Osmoregulation, der Signaltransduktion, sowie zur Erzeugung und Weiterleitung von elektrischen Potentialen an Zellmembranen und sind damit für das Nervensystem höherer Lebewesen grundlegend. Sie stellen komplexe Transmembran-Proteine dar, welche die Leitung von Ionen durch die Zellmembran über den Aufbau ihrer Domänen kontrollieren. Aufgrund ihrer Schlüsselstellung repräsentieren sie wichtige Ansatzpunkte für die pharmakologische Entwicklung von Arzneimitteln.[[34]] Ionenkanal-Modulatoren finden einen breiten Einsatz zur Therapie neurologischer Erkrankungen. Alle existierenden Ionenkanäle werden nach ihrer Ionen-Selektivität, ihrem Schaltmechanismus und ihrer Sequenzähnlichkeit klassifiziert. Die Reizweiterleitung kann spannungs-, liganden-, temperatur-, pH- oder mechanisch induziert erfolgen.

In ersten elektrophysiologischen Tests konnten überdurchschnittliche Ionenkanal- inhibierende Effekte von Noricumazol A (11) am HZI beobachtet werden. Die Inhibierung des spannungssensitiven Natriumkanals NaV1.7 erfolgte durch den Einsatz von Noricumazol A mit einer 2.3 bis 2.5 mal höheren Aktivität im Gegensatz zum Referenzstandard Phenytoin. Bei Phenytoin handelt es sich um einen Wirkstoff, welcher zur Dauerbehandlung Epilepsie- Erkrankter als Antikonvulsium und in der Therapie von Herzrhythmusstörungen als Antiarrhythmikum eingesetzt wird. Der Aufbau und die Funktionsweise des Natrium- Ionenkanals wurde bereits ausführlich in vorherigen Arbeiten diskutiert.[[50]]

In weiterführenden biologischen Studien wurde der Einfluss von Noricumazol A (11) auf den Kaliumkanal untersucht. Kaliumionen-durchlässige Ionenkanäle stellen eine Superfamilie dar, in der das Porensignaturmotiv auch in anderen Kaliumkanalvertretern vorkommt. So existieren Kaliumkanäle die vier, sechs oder mehr transmembranäre Domänen aufweisen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8: Kristallstruktur des KcsA mit paralleler (links) und Seitenansicht (rechts).[[35]] Der KcsA besteht aus vier α-helicalen Untereinheiten, welche im Innern eine Pore bilden.

Bei den pH- und spannungsabhängigen (KcsA) handelt es sich um ein Transmembranprotein, das eine Wanderung von Kaliumionen durch die Zellwand ermöglicht. Der Hauptteil des Kanals besteht aus vier identischen Untereinheiten, die ein Kanaltetramer formen, welche die Funktionen des Kanals steuern (Abbildung 8). Sie werden durch nicht- kovalente Wechselwirkungen und über Lipidbindungen zusammengehalten und bilden im Inneren eine kreisförmige Pore aus. Unter anderem werden dabei Kronenether-ähnliche Strukturen gebildet. Die Pore ist aufgrund der exakten Passform nur für Kalium, nicht aber Natrium selektiv. Diese Form entsteht dadurch, dass das Porenmotiv mit der Sequenzabfolge ein Surrogat für Wasser bildet, welches exakt für Kalium, nicht aber für Natrium geeignet ist, weshalb Natrium-Ionen den Kanal verstopfen würden. Um eine Ionen-Selektivität und gleichzeitig eine Stabilisierung des Ions innerhalb der Membran zu erzielen, wird die Hydrathülle des Ions abgestreift, wenn es den Selektivitätsfilter erreicht. Eine Stabilisierung wird durch mehrere Faktoren begünstigt. Zum einen durch ausreichende Mengen an Wasser im Kanal selbst und durch elektrostatische Einflüsse unter Verwendung helicaler Dipole, die durch die Signatursequenzen beigesteuert werden. Zusätzlich befinden sich in der Pore individuelle, polare Sauerstoff-Käfige, welche die Struktur der Hydrathülle nachahmen. So wird jedes Kaliumion von zwei Gruppen von vier Sauerstoffatomen umgeben, die damit das Grundgerüst der Selektivitätsfilter-Schleifen darstellen.[[36]] Obwohl Natrium-Ionen eine geringere Größe als Kaliumionen aufweisen (Na= 1,86 Å; K= 2,31 Å), ist ihre Hydrathülle aufgrund der hohen Ladungsdichte größer, wodurch sie die Pore nicht durchwandern können und im Selektivitätsfilter abgefangen werden.

Jede Untereinheit des KcsA-Kanals besteht aus zwei transmembranären α-helikalen Domänen. Stehen diese Domänen verschränkt gegeneinander, wie in Abbildung 8 zu sehen, ist der Kanal geschlossen. Die Öffnung des Kanals wird durch ein Abknicken bzw. eine Faltung der externen, zweiten transmembranären Domäne erreicht, sodass der Innenraum des Kanals im unteren Bereich für Wasser zugänglich wird. Dieser ist schließlich in der Lage Kalium zu hydratisieren. Eine Aktivierung des Kanals kann grundsätzlich durch Veränderung der Spannung, Temperatur, Kaliumionen-Konzentration oder niedrige pH-Werte erreicht werden.

Auf Basis vorheriger Ergebnisse wurden Studien zur Ionenkanal-inhibierenden Aktivität von Noricumazol A (11) von ZEILINGER durchgeführt.[[32]] Hier zeigte sich, dass Noricumazol A die Fähigkeit der Stabilisierung der tetrameren Architektur des KcsA besitzt. Es handelt sich um eine Temperatur-abhängige Eigenschaft, die in dieser Form erstmals für einen Naturstoff beobachtet werden konnte (Abbildung 9, links). Bisher konnte ausschließlich eine Mischung aus Trifluorethanol und Trifluoressigsäure diesen Effekt auslösen.[[37],38 ]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 9: a) Thermostabilität des KcsA (SDS-PAGE, Coomassie). Durch Zugabe von Noricumazol A (11) erfolgt die Bildung von KcsA-Tetrameren (T) und -Oligomeren (Pfeil) bei Temperaturen von 50-80 °C, die bis zu einer Temperatur von 90 °C stabil sind und bei höheren Temperaturen in die Monomere (M) dissoziieren. b) Aufzeichnung der KcsA-Aktivität (in pA) unter Zugabe und ohne Einsatz von Noricumazol A. Der KcsA wurde zuvor in eine künstliche, biologische Membran eingebracht und die Öffnungszustände (o1-4) im Folgenden detektiert.[[32]] Die Messungen wurden von C. ZEILINGER durchgeführt.

In nativer Umgebung dissoziiert der tetramere KcsA bei einer Temperatur von 82 °C zu 50% in seine Monomere.[[39]] Durch Zugabe von Noricumazol A (11) wird diese Denaturierung bis zu einer Temperatur von 90 °C gehindert, wobei sogar die Bildung von Oligomeren beobachet werden kann. Zur Anwendbarkeit dieser Beobachtungen auf biologische Funktionen wurde ein Assay entwickelt, bei dem ein Kalium-sensitiver Farbstoff in Liposomen eingeschlossen wurde. Nach Rekonstitution des KcsA-Kanals in eine künstliche Membran, konnte eine vollständige Inhibierung des Ionentransports durch den KcsA mittels Noricumazol A (11) nachgewiesen werden (Abbildung 9, rechts). Die inhibitorische Konzentration [IC50] beträgt 4 µm und benötigt niedrigere Konzentrationen als die etablierten KcsA-Inhibitoren Tetrabutylammonium, Tetraethylammonium oder Ba2 +.[[40]] Da die bisherigen entwickelten Ionenkanal-Modulatoren deutliche Nebenwirkungen hervorrufen, ist die Suche nach neuen, verträglicheren Substanzen von enormer Bedeutung. Um Noricumazol A (11) als potentiellen Inhibitor einzusetzen ist zunächst zu klären, für welche Targets es relevant ist und welche Therapien ersetzt werden können. Informationen über die Bindungsseite von Noricumazol A (11) zum KcsA konnten bisher nicht erhalten werden, es wird allerdings eine Bindung an der hydrophoben Interaktionsseite der Kanäle postuliert.[[41]]

2.2.2.2 Antivirale Wirkung

Im Rahmen eines umfassenden Screenings von Naturstoffen, welche aus Myxobakterien isoliert wurden,[[42]] konnte Noricumazol A (11) auch eine Hepatitis-C- spezifische antivirale Wirkung zugewiesen werden.[[43]] Noricumazol A greift gezielt in den Lebenszyklus des Virus ein, übt aber eine nur moderate Zytotoxizität gegenüber der Wirtszelle aus ([IC50] = 8.6 nM, [CC50] = 12.8 nM). Die Inhibierung erfolgt entweder bei Zelleintritt, Virus-Assemblierung oder bei Freisetzung des Virus. Um zu identifizieren in welchen Schritt des Replikations-Zyklus Noricumazol A eingreift (siehe Kapitel 2.1.2), wurde von PIETSCHMANN et al. ein neuartiges zell-basiertes Verfahren entwickelt, welches erstmals eine umfassende Beschreibung des gesamten Replikations-Zyklus des Virus erlaubt.[[43]] Gleichzeitig ist eine Differenzierung zwischen antiviraler Aktivität und Zytotoxizität gegenüber der Wirtszelle und eine Aussage über inhibitorische Effekte auf die RNA- Translation oder Replikation möglich. Die Studien basieren auf humanen Leberkarzinomzellen.[[44]] So wurde Noricumazol A als Substanz identifiziert, welche die Replikation des Hepatitis-C-Virus über 90% inhibiert. Noricumazol A stellt damit eine potentielle Leitstruktur zur Entwicklung neuartiger HCV-Inhibitoren dar. Ein Zusammenhang zwischen Ionenkanal-inhibierenden und antiviralen Effekten von Noricumazol A würde außerdem interessante neue Ansatzpunkte zur Therapie von HCV-Infektionen liefern.

2.2.3 Postulierte Biosynthese

Aus Myxobakterien isolierte Naturstoffe weisen häufig ungewöhnliche Biosynthesemechanismen auf.[[45]] Die Biosynthese der Noricumazole im Bakterienstamm Sorangium cellulosum, So ce399 wurde bisher nicht aufgeklärt. Aktuelle Studien zur Identifizierung des Gen-Clusters und der Lokalisierung des relevanten biosynthetischen Proteins werden durch R. MÜLLER mittels Sequenz-Analyse durchgeführt.[[46]] Aufgrund der polyketidischen Basisstruktur kann postuliert werden, dass die Biosynthese von Noricumazol A (11) auf einer hybriden, nicht-ribosomalen Polyketidsynthase (NR-PKS) des Typs 1 basiert.[[47]] Stimmt diese Hypothese, beinhaltet die Biosynthese ungewöhnliche Merkmale. Die Herkunft der aliphatischen Seitenkette am Aromaten an C4, die ein Chiralitätszentrum trägt, kann durch klassische Ansätze nicht erklärt werden. Hier könnte als Verlängerungsbaustein der Thio-Ester 15 dienen (Abbildung 10).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 10: Postulierte biosynthetische Bausteine von Noricumazol A (11) und Biosynthese-Zwischenstufe 14. Hypothetische Verlängerungseinheit 15 zur Einführung der aliphatischen Seitenkette an C4.

In Abbildung 10 wurden die postulierten biosynthetischen Bausteine von Noricumazol A (11) dargestellt. Es wird davon ausgegangen, dass Noricumazol A an C21 beginnend aufgebaut wird. Als Initiationsbaustein der PKS dient Acetyl-CoenzymA (-CoA), welches als aktivierter Thioester prozessiert wird. Als Verlängerungsbausteine werden zwei Malonyl- Einheiten übertragen, wodurch das Kohlenstoff-Gerüst von C16 bis C21 aufgebaut wird. Die Methylgruppen C22 und C23 können durch das biochemische, elektrophile

Methylierungsreagenz S-Adenosyl-methionin (SAM) eingeführt werden. Da post-PKS- Modifizierungen im myxobakteriellen Sekundärmetabolismus allerdings sehr selten vorkommen,[[45]] wird die Methylgruppe C23 vermutlich alternativ direkt aus Methylmalonyl- CoA als erste Verlängerungseinheit generiert. An der Bildung des Oxazol-Rings ist überlicherweise die klassische Aminosäure Serin beteiligt. Nach Amidbildung wird der Ringschluss zum Oxazolin durch eine enzymatische Untereinheit (beispielsweise Cyclase) eingeleitet, welche gleichzeitig die Eliminierung von Wasser und damit die Bildung des Oxazols katalysiert. Der Aufbau von Noricumazol A (11) verläuft nun über vier weitere Malonyl-CoA-Verlängerungen, welche damit zur Synthese des Grundgerüsts von C5 bis C21 beitragen. An diesem Punkt wird der Einbau der aliphatischen Seitenkette durch Übertragung des Verlängerungsbausteins 15 erwartet. Die Herkunft der Verlängerungseinheit 14 ist nicht auf Basis bisheriger Erkenntnisse erklärbar. Es könnte sich um ein Triketid handeln, welches aus Acetyl-CoA, Methylmalonyl-CoA und Malonyl-CoA aufgebaut wird. Die Einführung der Carboxylgruppe an C4 könnte analog zur Biosynthese von Malonyl-CoA aus Acetyl-CoA postuliert werden. Zum Nachweis dieser Hypothese sollten klassische Verfütterungsstudien mit möglichen Vorstufen des Noricumazols durchgeführt werden. Dazu sollte die Verlängerungs-Einheit 14 in einfach oder mehrfach 13 C-markierter Form verwendet werden, um nach Verfütterung des Bausteins über 13 C-NMR-Spektroskopie Aussagen über die Biosynthese treffen zu können.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Schema 1: Post-ketidische Umwandlung von Cruentaren A zu Cruentaren B[[48]] und postulierte Makrolaktone 18 und 19 von Noricumazol A (11).

Nach erfolgter Einführung der Seitenkette wird durch den Einbau einer weiteren Malonyl-Einheit der postulierte Noricumazol A-Vorläufer 14 erhalten. Die Bildung des Hydroxyisochromanons wird nach Abspaltung des Polyketids von der PKS durch post-PKS- Modifizierungen des Vorläufers 14 erwartet. Die Aromatisierung der C2 bis C7-Einheit sollte mir einer intramolekularen Laktonisierung zum δ-Lakton und damit zum Noricumazol A (11) einhergehen. Hier kann die Bildung eines 15- (19) oder 17-gliedrigen Laktons (18), welches sich unter den Aufarbeitungsbedingungen der Fermentation, zur Aufhebung der Ringspannung in das stabilere δ-Lakton 11 umwandelt, nicht ausgeschlossen werden (Schema 1). Dieses Phänomen konnte im Fall der Cruentarene A (16) und B (17) beobachtet werden, deren Strukturmerkmal das ebenso im Noricumazol A (11) enthaltene 3-Hydroxy-8,9- dihydroisocumarin aufweist.

3 Problemstellung und Zielsetzung

3.1 Konfigurationsbestimmung und Totalsynthese von

Noricumazol A (11)

Biologische Untersuchungen haben gezeigt, dass sich Noricumazol A (11) zum einen durch die Inhibierung des spannungsabhängigen Natrium-Kanals NaV1.7[[32]] und zum anderen durch eine Inhibierung der Hepatitis C-Virus-Replikation in Zellkulturen auszeichnet.[[43]] Aufgrund dieser herausragenden Eigenschaften stellt das erste Ziel dieser Arbeit die zur Totalsynthese essentielle, vollständige Aufklärung der absoluten Stereochemie von Noricumazol A (11) dar (Abbildung 11). Die von BENSON[[49]] und WEGNER[[50]] vorgestellten Studien zur Strukturaufklärung beschreiben die relative Stereochemie des Kohlenstoffatoms C9 zu C11, sowieso der Stereotriade C18, C19 und C20. Die absolute Stereochemie der Stereotriade wurde durch Derivatisierung und Fragmentierung des authentischen Naturstoffs aufgeklärt.

Auf diesen Studien basierend, soll ein synthetischer Zugang zum Naturstoff entwickelt werden, um die noch unvollständige Konfiguration von Noricumazol A (11) durch NMR- und CD-spektroskopische Untersuchungen zu ermitteln. Um einen einfachen Zugang zu Derivaten des Noricumazol A (11) zu erleichtern, soll eine konvergente und modular aufgebaute Synthese erarbeitet werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 11: Struktur von Noricumazol A (11) mit Darstellung der zu Beginn der Arbeit aufgeklärten Konfiguration.[[49]]

3.2 Synthese von Noricumazol A-Derivaten

Aufgrund der bemerkenswerten biologischen Aktivitäten von Noricumazol A (11) sollen durch einfache Modifizierung der ursprünglichen Syntheseroute Derivate dargestellt werden. Hierzu ist zunächst eine Vereinfachung der Struktur vorgesehen, um Einflüsse, beispielsweise der aliphatischen Seitenkette am Aromaten, auf die inhibitorischen Effekte zu studieren. Weitere Derivatisierungen sollen eine Substitution der Oxazol-Einheit durch ein Thiazol, die Reduktion der ungesättigten Einheit an C12 und C13, die Oxidation der Hydroxygruppe an C11, sowie selektive Schützungen der freien Hydroxyl-Gruppen beinhalten. Die synthetisierten Derivate sollen ersten Studien zu Struktur-Aktivitäts- Beziehungen unterzogen werden.

3.3 Konfigurationsbestimmung und Totalsynthese von

Noricumazol B (12)

Noricumazol B (12) ist ein weiteres Mitglied der Noricumazol-Familie. Hierbei handelt es sich um ein glykosyliertes Derivat. Anlehnend an die Strategie zur Totalsynthese von Noricumazol A (11) soll Noricumazol B (12) dargestellt werden (Abbildung 12). Die relative und absolute Stereochemie ist zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Es wird davon ausgegangen, dass die Konfiguration von Noricumazol A vorliegt. Unklar ist, um welche Furanose-Form es sich im Fall der glykosylierten Hydroxyfunktion an C18 handelt. Literaturvergleiche der erhaltenen NMR-Daten deuten auf das Vorhandensein einer α- arabino-Furanose hin; liefern allerdings keine Aussage über die vorliegende Konfiguration dessen.[[32]]

Es ist daher ein endgültiger Beweis dieser Annahme durch Totalsynthese oder Fragmentierungsexperimente des authentischen Naturstoffs mit anschließendem Literaturvergleich zu erbringen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 12: Struktur von Noricumazol B (12).

4 Beschreibung und Diskussion der Ergebnisse

4.1 Konfigurationsbestimmung und Totalsynthese von Noricumazol A (11)

4.1.1 Vorarbeiten zur Konfigurationsbestimmung

Die in Abbildung 11 dem Noricumazol A (11) zugewiesene Konformation konnte im Rahmen der Vorarbeiten von BENSON[[49]] ermittelt werden. Als Hilfsmittel diente eine Kombination aus chemischer Derivatisierung, Fragmentierungsexperimenten und Fragmentsynthese. Die verwendeten Methoden werden im Folgenden erläutert.

Schema 2: NMR-Analyse der Acetonide von 1,3-Diolen. Angegeben sind die 13 C-NMR-Verschiebungen in ppm.

Zur Aufklärung der relativen Konfiguration von 1,3-Diolen wurde die Methode nach RYCHNOVSKY und EVANS angewandt (Schema 2).[[51],52 ] Durch Auswertung der 13 C-NMR- Daten der Acetonide einer Reihe von 1,3-Diolen leiteten diese ein Modell für die Struktur von 1,3-Dioleinheiten ab. Das Acetonid eines 1,3-syn-Diols liegt in einer stabilen Sesselkonformation 20 vor, in welcher die geminalen Methyl-Gruppen eine axiale und äquatoriale Stellung einnehmen. Daraus resultieren die angegebenen charakteristischen Verschiebungen der 13 C-NMR-Signale. Bei 1,3-anti-Diolen ist die Sesselkonformation aufgrund 1,3-diaxialer-Wechselwirkungen der Methylgruppen und den Resten R1 und R2 des Diols nicht mehr begünstigt. Dadurch resultiert eine „twist-boat“-Konformation 21, bei der die Methylgruppen des Acetonids eine ähnliche Umgebung und damit vergleichbare Verschiebungen im 13 C-NMR-Spektrum. Auch das quaternäre Kohlenstoffatom besitzt in beiden Konformationen in vielen Fällen eine charakteristische Verschiebung. Zur Bestimmung der relativen Konfiguration der stereogenen Zentren an C18, C19 und C20 wurde eine Probe des authentischen Noricumazol A (11) in das Acetonid 22 überführt (Schema 3). Durch Anwendung der RYCHNOVSKY-Methode[[51]] konnte durch 13 C-NMR-Experimente und einer Analyse der relevanten 1 H,1 H-Kopplungskonstanten die relative Stereochemie des 1,3-Diols als anti,anti aufgeklärt werden. Um eine Aussage über die relative Konfiguration der stereogenen Zentren an C9 und C11 zu treffen, wurde Noricumazol A (11) durch Derivatisierung in einer Reihe von Standardoperationen in das Tris-Acetonid 23 überführt (Schema 3). Die Ermittlung der anti-Orientierung der Sauerstoff-Funktionalitäten an C9 und C11 erfolgte auch hier über die Anwendung der RYCHNOVSKY-Methode.

Schema 3: Darstellung der Acetonide 22 und 23 mit Angabe der relevanten 13 C-NMR-Daten zur Aufklärung der relativen Stereochemie an C9 und C11, sowie C18-C20 nach BENSON. Reaktionsbedingungen: a) 11, 2,2- Dimethoxypropan, pTsOH, RT, 15 min, 67%; b) 11, LiBH4, THF, 0 °C, 10 min; c) 2,2-Dimethoxypropan, pTsOH, RT, 10 h, 18% (über zwei Stufen).

Die Aufklärung der absoluten Stereochemie der drei stereogenen Zentren an C18-C20 wurde durch Fragmentierungsexperimente erreicht (Schema 4). Eine oxidative Spaltung des authentischen Noricumazol A (11) lieferte die Fragmente 24* und 25*, welche anschließend mit den zugehörigen synthetisierten Fragmenten verglichen wurden.

Schema 4: Fragmentierung von Noricumazol A (11) zur Aufklärung der absoluten Stereochemie durch Fragmentsynthese nach BENSON. Reaktionsbedingungen: a) 11, NMO, K2OsO4 . 2 H2O, t-BuOH, H2O, 0 °C zu RT, 4 h, 45%; d) i. NaIO4, THF, 1.5 h; ii. NaBH4, CH2Cl2/MeOH (3:1), RT, 1 h, 32% 24*, 98% 25*.

Die synthetische Darstellung des Abbaufragments 25* erfolgte ausgehend von Propionaldehyd 26 (Schema 5). Die Einführung der chiralen Information der Stereotriade erfolgte durch eine Abfolge anti-selektiver Aldolreaktionen. Es handelte sich hierbei um eine Aldolreaktion nach MASAMUNE[[53]] zum Aufbau des Zentrums an C19 und C20, sowie um eine Aldolreaktion nach NAGAO,[[54]] welche das Stereozentrum an C18 erzeugt. Die so erhaltene Säure 27 wurde schließlich, entsprechend der biomimetischen Reaktionssequenz, einer Peptidkupplung mit L-Serinmethylester unterzogen. Der Aufbau des Oxazolsystems 28 erfolgte durch Zyklisierung, mit nachfolgender Aromatisierung und Reduktion, des vorher durch Peptidkupplung erhaltenen Amids. Eine Reduktion des Esters und Desilylierung lieferte abschließend das mit dem authentischen Abbauprodukt 25* vergleichbare Fragment 25.

Schema 5: Synthese des Alkohols 25 zur Aufklärung der absoluten Stereochemie der Stereotriade nach BENSON[[49]] und WEGNER.[[50]] Reaktionsbedingungen: a) (1R,2S)-2-(N-Benzyl-N-mesitylensulfonyl)amino-1- phenyl-1-propylpropionat, (cHex)2BOTf, Et3N, Propionaldehyd (26), CH2Cl2, -78 °C, 88%, dr > 20:1; b) 2,6- Lutidin, TBSOTf, CH2Cl2, -78 °C, 99%; c) DIBAl-H, CH2Cl2, -78 °C, 89%; d) DMPI, CH2Cl2, RT; e) (R)-1-(4- isopropyl-2-thioxo-thiazolidin-3-yl)ethanon, TiCl4, DIPEA, CH2Cl2, -40 °C zu -78 °C; f) 2,6-Lutidin, TBSOTf, CH2Cl2, -78 °C, 75%, dr > 10:1; g) LiOH (1M), H2O2 (30%), THF/H2O 4:1, 0 °C zu RT, 82%; h) L-Serin- methylester, HOBt, TBTU, DIPEA, CH2Cl2, RT, 90%; i) DAST, CH2Cl2, -78 °C, 75%; j) DBU, BrCCl3, CH2Cl2, 0 °C zu RT, 92%; k) DIBAl-H, CH2Cl2, -78 °C zu 0 °C, quant; l) BF3.OEt2, MeCN, 0 °C, 72%.

Ein Vergleich der Drehwerte des Abbaufragments 25* und des synthetisch dargestellten Fragments 25, sowie ein NMR- und CD-spektroskopischer Abgleich bestätigte die angegebene absolute Konfiguration der Stereotriade.

Eine Aussage zur absoluten Konfiguration der stereogenen Zentren an C9 und C11 konnte im Rahmen der Arbeiten von BENSON[[49]] und WEGNER[[50]] nicht getroffen werden. Hier lieferte die Standardmethode zur Strukturaufklärung kein eindeutiges Ergebnis. Eingesetzt wurde die MOSHER-Ester-Methode unter Einführung eines chiralen Alkohols an C11 durch Umsetzung des Acetonids 22 mit beiden Enantiomeren des α-Methoxy-α- trifluorphenylessigsäurechlorids nach MOSHER und DALE.[[55]] Unter den angewandten Bedingungen wurde unter den Veresterungsbedingungen ausschließlich die Epimerisierung an C11 beobachtet, wodurch keine Aussage über die vorliegende Konfiguration getroffen werden konnte.

Die Aufklärung der Konfiguration des stereogenen Zentrums der aliphatischen Seitenkette des Aromaten an C25 konnte ebenso nicht verwirklicht werden. Hier sollten Abbauexperimente mit anschließendem gaschromatographischen Vergleich der Retentionszeiten der jeweiligen Enantiomere des kommerziell erhältlichen Fragments und des Abbaufragments 29* eine Zuordnung der Konfiguration ermöglichen (Schema 6). Die oxidative Spaltung von Noricumazol A (11) schlug allerdings fehl, so dass dieser Ansatz nicht weiter verfolgt wurde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Schema 6: Methode zur Aufklärung der Stereochemie an C25 durch oxidative Spaltung von Noricumazol A (11) nach BENSON.

4.1.2 Retrosynthese

Zur Komplettierung der Strukturaufklärung wurde ein totalsynthetischer Zugang zu Noricumazol A (11) entwickelt. Zum einen ist die Entwicklung einer Synthesestrategie notwendig, die einen Zugang zu sämtlichen Stereoisomeren bezüglich der stereogenen Zentren an C9, C11 und C25 ermöglicht, damit diese anschließend mit dem Abbaufragment verglichen werden können. Zum anderen sollte die Synthese, unter Berücksichtigung der inhibitorischen und antiviralen Eigenschaften von Noricumazol A, konvergent und modular aufgebaut sein, um einen späteren Zugang zu Derivaten zu erleichtern.

4.1.2.1 Retrosynthetische Hauptschnitte

Noricumazol A (11) wurde retrosynthetisch in die zwei Hauptfragmente 30 und 31 geteilt (Schema 7). Zur Kupplung beider Fragmente sollte eine Übergangsmetall-vermittelte Addition des Ostfragments 30 an Aldehyd 31 realisiert werden. Als asymmetrische Kupplungsvarianten sollten Chrom(II)-vermittelte Reaktionen, wie die NOZAKI-HIYAMA- KISHI-Kupplung[[56]] in Frage kommen. Auch denkbar wäre die Verwendung Zink-vermittelter Kupplungen unter Einsatz chiraler Liganden.[[57]]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Schema 7: Retrosynthetischer Hauptschnitt im Noricumazol A (11).

4.1.2.2 Retrosynthese des Ostfragments 30 und Vorarbeiten

Die von BENSON[[49]] entwickelte Synthese des Ostfragments 30 erfolgte linear zur Synthese des Abbauprodukts 25*, welches zur Identifizierung der absoluten Stereochemie an C18-C20 Verwendung fand. Die in Abschnitt 4.1.1 beschriebene Synthese wurde ausgehend von Ester 28 weiterentwickelt (Schema 8). Die Darstellung des Vinyliodids sollte nach erfolgter Reduktion des Esters 28, aus dem um ein Kohlenstoffatom verkürzten Aldehyd, durch eine TAKAI-Olefinierung[[58]] erfolgen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Schema 8: Retrosynthese des Ostfragments nach BENSON.[[49]]

Dieser Syntheseansatz konnte erfolgreich umgesetzt werden, so dass Vinyliodid 30 in einer zweistufigen Synthesesequenz aus Ester 28 erhalten wurde (Schema 9). Ein Nachteil dieser Synthese stellten allerdings die, selbst nach Optimierung,[[50]] erhaltenen niedrigen Ausbeuten des Iodids 30 dar, so dass im Rahmen der vorliegenden Arbeit ein besserer Syntheseansatz entwickelt werden musste.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Schema 9: Synthese des Ostfragments 30 nach BENSON und WEGNER. Reaktionsbedingungen: a) DIBAl-H, CH2Cl2, -78 °C, 91%; b) CrCl2, Iodoform, THF, 0 °C, 46%.

Ein anderer Zugang zum Ostfragment 30 ist in Schema 10 aufgeführt. Hierbei sollte im Rahmen der vorliegenden Arbeit das Vinyliodid über Alkin 32 in einer syn- Hydrozirkonierung nach SCHWARTZ[[59]] erhalten werden. Das Alkin sollte aus Aldehyd 33 durch eine SEYFERTH-GILBERT Homologisierung[[60]] zugänglich sein. Vorteil dieser Strategie ist die Wahrung der Option zur Metall-vermittelten Kupplung des Alkins 32 mit dem Westfragment 31.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Schema 10: Retrosynthese der Ostfragmente 30 und 32.

4.1.2.3 Retrosynthese des Westfragments 24 und Vorarbeiten

Im Folgenden werden die von BENSON[[49]] und WEGNER[[50]] durchgeführten Vorarbeiten zur Westfragmentsynthese kurz vorgestellt.

Die Strategie zur Erschließung des Westfragments enthielt den Aufbau des hochfunktionalisierten aromatischen Systems 33 durch drei aufeinanderfolgende organometallische Reaktionen (Schema 11). Nach der aufgezeigten retrosynthetischen Überlegung, sollte die Laktonbildung aus dem zuvor nach Epoxidöffnung erhaltenen Amid 34 eintreten. Bei dem Epoxid handelt es sich um eine literaturbekannte Verbindung, die sich ausgehend von D- oder L-Asparaginsäure 36 in einer vierstufigen Synthese herstellen lässt.[[61],62 ] Das Amid 34 sollte seinerseits aus der entsprechenden Carbonsäure, dargestellt aus Anisol 37, oder durch Umsetzung mit CO2 generiert werden.[[61],63 ] Die Metall-katalysierte Einführung der alkylischen Seitenkette an C4 stellte den Schlüsselschritt der Synthese dar. Das Alkylhalogenid sollte aus dem jeweiligen Alkohol rac-40 dargestellt werden. Als Ausgangsverbindung ergab sich so Anisol 37.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Schema 11: Retrosynthetische Hauptschnitte des Westfragments 31 nach BENSON.

Die vorgestellte Synthese des Westfragments 31 scheiterte jedoch schon im frühen Stadium an der Einführung der alkylischen Seitenkette zur Synthese des Bausteins 34. Aus diesem Grund wurde eine Alkyl-Aryl-Kreuzkupplung ausgehend von 2-Bromanisol 41 verwirklicht, welches sich anschließend allerdings in nur niedriger Ausbeute durch orthoLithiierung zur Carbonsäure 43 umsetzen ließ (Schema 12).

Schema 12: Synthese des Bausteins 43 durch Kreuzkupplung und anschließende ortho-Lithiierung nach BENSON.[[49]] Reaktionsbedingungen: a) i. Mg, THF, 65 °C; ii. PEPPSI (44), ZnCl2, LiBr, rac-2-Methylbutyl-1- bromid, DMI, RT, 87%; b) TMEDA, n-BuLi, CO2, 0 °C zu RT, Et2O, 16%.

WEGNER führte, anknüpfend an diese Arbeiten, Optimierungsstudien zur Darstellung des Westfragments 31 durch. Es wurde hierzu von enantiomerenreinem Alkylhalogenid (R)- 38 ausgegangen, welches in einer einstufigen Synthese aus kommerziell erhältlichem S-2- Methylbutan-1-ol (S)-40 zugänglich gemacht wurde. Die Synthese der Carbonsäure 43 konnte von WEGNER nicht optimiert oder reproduziert werden, so dass eine andere Strategie gewählt wurde.

Die Säurefunktion sollte schon vor der Einführung der aliphatischen Seitenkette im Molekül vorliegen. Ausgehend von Salicylsäure 45 erfolgte eine Überführung in das bromierte Amid 46 (Schema 13). Das als Nebenprodukt erhaltene Bromid 47 wurde vom Produkt 46 abgetrennt und die Einführung der Alkylseitenkette untersucht. Sämtliche Bemühungen zur Synthese des trisubstituierten Aromaten versagten. Auch der Versuch der Überführung des Bromids 46 in die Grignard-Verbindung 49 schlug fehl, weshalb die Strategie einer anschließenden KUMADA-Reaktion oder Ummetallierung nicht fortgeführt werden konnte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Schema 13: Studien zur Synthese des Westfragments nach BENSON und WEGNER. Reaktionsbedingungen:

a) i. SOCl2, ∆; ii. Et2NH, THF, RT, 94% über 2 Stufen; b) N,N-Dibrombutylamin, n-Butylamin, CCl4, -10 zu 0 °C, 60%, 7:1 (46:47).

Im nächsten Ansatz gelang es ausgehend von 2-Hydroxymethylphenol 50 das wichtige Intermediat 52 darzustellen. Hierzu wurde die Ausgangsverbindung 50 nach zweifacher Schützung in das Bromid 51 überführt (Schema 14). Die bereits von BENSON entwickelte Methode zur Alkyl-Aryl-Kreuzkupplung nach NEGISHI, unter Verwendung des PEPPSI-IPr Präkatalysators 44, konnte erfolgreich angewandt und der substituierte Aromat 52 erhalten werden. Trotz niedriger Ausbeuten von unter 15%, teils zurückzuführen auf die Bildung des Nebenprodukts 53, erfolgte eine direkte Umsetzung zur Carbonsäure 54 und des Amids 55.

Schema 14: Synthese des trisubstituierten Aromaten 55 nach WEGNER. Reaktionsbedingungen: a) TBSCl, Et3N, DMAP, CH2Cl2, 0 °C, 69%; b) NBS, DIPEA, CH2Cl2, -10 °C zu RT, 91%; c) CH3I, K2CO3, Aceton, 40 °C, 86%; d) Mg, PEPPSI-IPr 44, ZnCl2, LiBr, (S)-1-Brom-2-methylbutan, THF, DMI, RT, <15% 52; e) JONESReagenz, Aceton, RT, 25%; f) i. SOCl2, ∆, ii. t-ButylNH2, THF, RT, 99%.

Ausgehend vom trisubstituierten Aromaten wurde im nächsten Schritt die ortho- Lithiierung mit darauffolgender Epoxidöffnung[[61],62 ] getestet (Schema 15). Hier zeigte sich, dass sowohl die Carbonsäure 54 als auch das Amid 55 unter den gewählten Bedingungen nicht zu den tetrasubstituierten Produkten 56 und 57 umgesetzt werden konnte. Da als Grund hierfür die verwendete phenolische Methyl-Schutzgruppe in Frage kommt, sollte der MOM- Ether synthetisiert werden.[[64]]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Schema 15: Studien zur Synthese der tetrasubstituierten Systeme 56 und 57 nach WEGNER.

Die Umsetzung dieser neuen Strategie erfolgte durch WEGNER[[70]] parallel zu den eigenen Studien.

4.1.3 Synthese des Ostfragments 30

Die Erschließung des Ostfragments 30 wurde aufbauend auf der bereits entwickelten Synthesestrategie über den Ester 28[[49]] durchgeführt (Schema 16). Dazu wurde ausgehend von Aldehyd 33 das Vinyliodid 30 durch eine TAKAI-Olefinierungsreaktion generiert.[[58]] Diese bereits von BENSON und WEGNER durchgeführte Umsetzung führte zwar direkt zum Produkt, allerdings gelang nur eine unvollständige Isolierung des Vinyliodids in Anwesenheit von Iodoform. Aufgrund mangelnder Reproduzierbarkeit und unbefriedigender Ausbeute wurde deshalb ein alternativer Zugang gewählt. Dazu wurde zunächst über eine SEYFERTH-GILBERT Homologisierung[[60]] unter Verwendung des OHIRA-BESTMANN-Substrats 58[[65]] das Alkin 32 in sehr guter Ausbeute erzeugt. Das verwendete Reagenz 58 ist nicht kommerziell erhältlich, konnte aber in nur zwei Stufen synthetisiert werden.[[65]]

Nach zuvor durchgeführten Optimierungsstudien[[66]] wurde Vinyliodid 30 durch eine SCHWARTZ Hydrozirkonierung[[59]] und anschließender Iodierung durch N-Iodsuccinimid dargestellt. Die Hydrozirkonierung verlief wie erwartet unter Hydrometallierung der sterisch weniger anspruchsvollen endständigen Seite des Alkins mit syn-Orientierung, so dass sich das E-Vinyliodid 30 bildete. Damit stand Vinyliodid 30, sowie Alkin 32 in sehr guten Ausbeuten ausgehend vom Aldehyd 33 für die Kupplung zur Verfügung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Schema 16: Darstellung des Alkins 32 und Vinyliodids 30 ausgehend von Aldehyd 33; Reaktionsbedingungen:

[...]

Ende der Leseprobe aus 333 Seiten

Details

Titel
Totalsynthese und Strukturaufklärung von Noricumazol A, B und Derivaten
Untertitel
Total Synthesis and Structure Elucidation of Noricumazole A, B and Derivatives
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Organic Chemistry)
Note
1
Autor
Jahr
2013
Seiten
333
Katalognummer
V434945
ISBN (eBook)
9783668762787
ISBN (Buch)
9783668762794
Dateigröße
19057 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
total synthesis, tructure elucidation, noricumazole, ortho-lithiiation, zincmediated addition, ion channel inhibition, hepatitis C virus, Totalsynthese, Strukturaufklärung, Noricumazol, ortho-Lithiierung, Zinkvermittelte Addition, Ionenkanal-Inhibierung
Arbeit zitieren
Jenny Barbier (Autor:in), 2013, Totalsynthese und Strukturaufklärung von Noricumazol A, B und Derivaten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/434945

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