Der Einfluss des Betrachtens und des Vorlesens von Bilderbüchern auf den Spracherwerb bei Kindern


Bachelorarbeit, 2016

95 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Aktueller Forschungsstand

3. Exkurs Definition Kind

4. Begriffserklärung Bilderbuch
4.1 Literacy
4.2 Bilderbucharten
4.2.1 Elementarbilderbücher
4.2.2 Fühlbücher
4.2.3 Themenorientierte Bilderbücher
4.3 Bilderbuchgestaltung
4.4 Einfluss der Bilder
4.5 Einfluss der Texte

5. Methodik des Bilderbuchbetrachtens
5.1 Auswahl der Bilderbücher
5.2 Rahmenbedingungen
5.3 Erzählen und Vorlesen

6. Bilderbuchbetrachtung
6.1 Verarbeitungsprozesse aus Sicht der Hirnforschung
6.2 Betrachten und Erzählen
6.3 Rollen des Betrachtens auf die Entwicklung des Kindes

7. Vorlesen eines Bilderbuches
7.1 Funktionen des Vorlesens
7.1.1 Kulturelle Funktion
7.1.2 Literarisch-ästhetische Funktion
7.1.3 Kognitive Funktion
7.1.4 Emotionale Funktion
7.1.5 Kommunikative Funktion
7.1.6 Reflexive Funktion
7.2 Bedingungen für gelingendes Vorlesen
7.2.1 Paraverbale Ausdrucksmittel
7.2.2 Non- und extraverbale Ausdrucksmittel
7.2.3 Äußere Rahmenbedingungen
7.3 Wirkungen des Vorlesens
7.4 Vorlesen als Basis einer tragfähigen Beziehung
7.5 Vorlesen als besondere Dialogform

8. Spracherwerb des Kindes
8.1 Bedingungen um Sprache aufzunehmen
8.2 Von der vorsprachlichen Kommunikation zum Sprachgebrauch
8.3 Zusammenhänge von Sprachgebrauch und kognitiver Entwicklung

9. Studien
9.1 Vorlesestudie 2015
9.2 Studie „Leseförderung durch Vorlesen“

10. Forschung
10.1 Methode
10.2 Vorgehensweise
10.3 Ergebnisse
10.3.1 Ergebnisse von den Interviews der Mütter
10.3.2 Ergebnisse von den Interviews der Erzieherinnen

11. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Jedes Kind kennt es und wird damit groß. Die Rede ist von Bilderbüchern. Sie haben einen Großteil unserer Kindheit geprägt und uns viele Dinge gelehrt, die durch Illustrationen und kurze Texte verständlicher gemacht wurden. Das Medium Bilderbuch ist ein ständiger Wegbegleiter, da es in der Kindergartenzeit, sowie in der Schulzeit immer wieder neu als Lernmittel fungiert. Die Vielfalt der Bilderbucharten und die darin beschriebenen Geschichten sind auf die kindliche Lebenswelt zugeschnitten und verstärken somit die Identitätsbildung. Da in Bilderbüchern Alltagssituationen beschrieben und illustriert werden, dienen sie primär als „Vorbild“, da sie Kindern vermitteln, wie gewisse Alltagsituationen bewältigt werden können. Den Bilderbüchern werden eine wichtige Lernmöglichkeit zugeschrieben, da sie Kindern von klein auf an mit wichtigen Dingen des Lebens vertraut machen und den Spracherwerb anregen wollen. Da der Spracherwerb zu der wichtigsten Entwicklungsaufgabe der Kinder gehört, besteht für Bilderbücher die Chance diesem beizutragen aber auch die Herausforderung, Kinder zu motivieren Bilderbücher zu lesen und Lesefreude zu wecken.

Dem Vorlesen und dem Betrachten von Bilderbüchern wird enormes Potenzial zugewiesen, da es Einfluss auf den kindlichen Spracherwerb nehmen kann. Wie sich dies auswirkt und wie genau Kinder Sprache aufnehmen, wird in dieser Arbeit genauer betrachtet. Gestützt werden die Erkenntnisse mit aktuellen Studien und Aussagen von Befürwortern. Da es dennoch einige Forschungslücken bezüglich der Verknüpfung von Bilderbüchern und dem kindlichen Spracherwerb gibt, ist es in dieser Arbeit enorm wichtig, diese mit neuen Ergebnissen zu füllen.

Die zentrale Frage, mit der sich die vorliegende Bachelorarbeit beschäftigt lautet daher, wie das Betrachten und das Vorlesen eines Bilderbuches den Spracherwerb bei Kindern beeinflusst. Um dies zu klären, ist die Arbeit wie folgt aufgebaut:

Im ersten Teil dieser Arbeit erfolgt ein theoretischer Überblick, der das Medium Bilderbuch mit seiner Vielfalt und Eigenarten genauer beschreibt. Anschließend werden auf die Texte und Bilder in Bilderbüchern Bezug genommen und aufgewiesen, welche Funktion diese haben und wie sich diese auf die kindliche Entwicklung ausprägen. Des Weiteren wird die Methodik der Bilderbuchbetrachtung beschrieben und Rahmenbedingungen beschrieben, die für das Erzählen und Vorlesen von Bilderbüchern wichtig sind.

Im zweiten Teil der Arbeit wird zwischen Bilderbuchbetrachtung und dem Vorlesen unterschieden und die Vorteile sowie Wirkungen dieser herausgearbeitet. Welche Rolle die Beziehung zwischen Eltern und Kind oder auch Erzieher und Kind spielt, wird näher beschrieben.

Im Anschluss wird der Spracherwerb des Kindes beschrieben, sowie die Bedingungen, die ein Kind benötigt, um Sprache aufzunehmen. Wie sich die Sprache eines Kindes entwickelt und ab wann ein Kind erste Sprechversuche startet, sowie die Bedeutung des Bilderbuches hierfür, wird im Zusammenhang von Sprachgebrauch und kognitiver Entwicklung gedeutet. Anschließende Studien sollen diese Ergebnisse belegen und aufzeigen, wie wichtig Bilderbücher für die Entwicklung der Kinder sind.

Im letzten Teil der Arbeit werden die vorherigen Ergebnisse und Studien durch eine neue Erhebung entweder gestützt oder widerlegt. Die qualitative Erhebung und die daraus resultierenden Ergebnisse werden in Kontext mit dem Spracherwerb und der Identitätsbildung des Kindes gesetzt. Da der Umfang dieser Arbeit begrenzt ist, wird auf die Betrachtung geschlechtsspezifischer Unterschiede verzichtet, sowie auf mehrsprachige Kinder und Kinder mit Migrationshintergrund. Der Fokus dieser Arbeit liegt daher einzig und allein auf den Ergebnissen aller Kinder – mit und ohne Migrationshintergrund-, die eine Bilderbuchsituation erlebt haben. Mit einbezogen wurden deren Eltern und Erzieher und Erzieherinnen, die sie dabei unterstützt haben.

2. Aktueller Forschungsstand

Zwar gibt es eine große Anzahl an Studien, die sich mit dem Spracherwerb von Kindern beschäftigen oder sogar Förderprogramme, die Anregungen zur Sprach- und Erzählförderung in Kitas beitragen sollen. Dennoch gibt es keine spezifische Studie, die sich mit dem Einfluss des Betrachtens und/oder des Lesens von Bilderbüchern auf den kindlichen Spracherwerb fokussiert und sich damit auseinandergesetzt hat. Viele Forschungen gibt es bezüglich des Bilderbuches, da sie einen Großteil der Lernprozesse in der Schule ausmachen.

Der Buchautor Reinbert Tabbert verweist deshalb auf einen besonderen spielerischen Reiz bei Bilderbüchern und zeigt, dass die Mehrperspektivität und das Symbolverständnis nützlich sind für den eigenen Sinnbildungsprozess, der wiederum wichtig ist für den Spracherwerb bei Kindern. Zudem zeigt er auf, dass sich die Haltung, sowie die Vorgehensweise des Vorlesenden in einer dialogisch gestalteten Vorlesesituation positiv auswirken, da aufkommende Widersprüche zwischen Text und Bild durch gezieltes Fragen das Kind zum Nachdenken und Formulieren anregt. Es entwickelt weitere Deutungsmöglichkeiten des Bildes, sowie des Textes und erweitert somit das Sprach-und Textverständnis.[1] „Mit dem Datenmaterial lässt sich exemplarisch dokumentieren, dass literarästhetisch anspruchsvolle zeitgenössische Bilderbücher gerade Grundschulkindern beträchtliches Erfahrungs- und Entwicklungspotenzial bieten, welches sich nicht zuletzt aus einer aufmerksamen Bildwahrnehmung speist.“[2] Um diese Reize und auch Kompetenzen in einem Kind zu mobilisieren, müssen Bilderbücher spezielle Kriterien erfüllen. „Einfachheit“, „Verständlichkeit“ und „Kindgemäßheit“ sollten gegeben sein, damit das Bilderbuch auch noch als Medium der Sprach- und später Leseförderung verstanden werden kann. Um weitere empirische Daten zu erheben, fehlen Informationen zu Rezeptionsmöglichkeiten von Kindern im Umgang mit Bilderbüchern im Allgemeinen. Deshalb ist es schwer zu sagen, inwiefern Bilderbücher dazu beitragen, dass Kinder fremde Gedanken- und Kulturengüter übernehmen, verarbeiten und daraus lernen.

Eine namenlose Erhebung, die sich damit beschäftigt hat, Kindern erst vorzulesen, um sie anschließend alleine mit dem Bilderbuch beschäftigen zu lassen, hat den Versuchsleiter in eine moderierende Rolle versetzt, damit das Kind nicht ganz auf sich allein gestellt ist. Bei dieser Erhebung wurden folgende Ergebnisse festgestellt: Die Kinder begegneten der Situationen mit großer Neugier, neigten zu einer persönlichen Verstrickung von der Geschichte im Bilderbuch und ihren Erfahrungen, setzten sich intensiv und produktiv mit den Bildern und den Texten auseinander und handelten aus eigenen Antrieb. Größtenteils übernahmen sie die aktive Rolle und der Versuchsleiter entfernte sich nach und nach aus der Rolle des Moderators.[3]

Ähnlich ist die PERLE- Studie, die sich mit der Persönlichkeits- und Lernentwicklung von Grundschulkindern beschäftigt. Bei dieser Studie ist die Vorgabe an die Kinder, dass sie die Seite und die Überschrift verstehen und die Sprache so vereinfachen können, dass sie diese frei erzählen können. Auch hier ist das Kind wieder aktiver Gestalter und die Bezugsperson, in diesem Fall der Lehrer, der Moderator, der sich weitestgehend entfernen sollte, sofern das Kind die Vorgaben alleine erfüllen kann. Die Darbietung sollte weniger kompliziert und schlicht sein, da man die in dem Bilderbuch auftauchenden Potenziale wie Ästhetik und Poetik nutzen sollte, da sie eine Chance für den Lernprozess freisetzen. Weiterhin zeigt sich die Wichtigkeit des Bildes, da in den meisten Vorlesesituationen Bilder nur flüchtig und als nebensächliche Geste gezeigt werden, ohne dass die Kinder diese vollständig wahrnehmen können. Die nachfolgenden Gespräche und Diskussionen führen meist nicht zum gewünschten Erfolg, da Kinder viele Informationen aus den Bilder schöpfen können und sie diese nutzen, um den Text zu vervollständigen, da Bilder oftmals textergänzend sind.[4]

Die Autorinnen und Forscherinnen Susan Neuman und Donna Celano haben 2012 in ihrem Buch „Giving our children a fighting chance“ über die Schwierigkeiten und Voraussetzungen des Spracherwerbs geschrieben. In ihrer 2006 durchgeführten Erhebung haben sie herausgefunden, dass einige Kinder mit einem fast uneinholbaren Wissensvorsprung ausgestattet sind, weil in der Herkunftsfamilie 40-mal mehr vorgelesen wurde, als in anderen Familien. Leider gibt es keine genaueren Einsichten in diese Erhebungen, weshalb man keine Rückschlüsse auf dieses Ergebnis ziehen kann.[5]

„Internationale Forschungsergebnisse sprechen eine klare Sprache wenn es um die Bedeutung von Bilderbüchern für die Entwicklung von Kindern geht.“[6] In vielen Ländern lassen sich durchweg positive Auswirkungen von Bilderbüchern auf den Spracherwerb, sowie auf andere kindliche Kompetenzen verzeichnen. Eine australische Forschungsgruppe stellte fest, dass „Kinder, die mit Bilderbüchern aufwachsen, Vorteile im Bereich der linguistischen Kompetenzen haben.“[7] Das bedeutet, dass das Sprachwissen nicht dem Sprachkönnen gleicht, Kinder aber Muster erkennen, Aussagen grammatikalisch richtig einordnen können und sich zu artikulieren versuchen. Kinder lernen mit den Bilderbüchern Sprache aufzunehmen und erworbene sprachliche Äußerungen zu verstehen, aber sie können sie noch nicht verwenden.

Des Weiteren gibt es viele Initiativen, die Kinder und auch Erwachsene dazu motivieren sollen, sich mit Bilderbüchern auseinanderzusetzen. „Stiftung Lesen“, „Deutschland liest vor“ oder auch der „Bundesweite Vorlesetag“ sprechen dem Bilderbuch ein enormes Lern- und Förderpotenzial zu. Zwar wurden diesbezüglich keine Erhebungen oder Studien durchgeführt, aber durch diese Initiativen haben sich quantitive sowie qualitative Ergebnisse herauskristallisiert. Allgemein lässt sich daher sagen, dass der Einfluss des Bilderbuches sich auf die sozialen, kulturellen und auch sprachlichen Kompetenzen des Kindes auswirkt und Vorlesen der sozialen Integration und der späteren Neugier am Lesen lernen beiträgt. Welche Kompetenzen im konkreten angesprochen und erweitert werden können, zeigt sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit.

3. Exkurs Definition Kind

Da in dieser Arbeit oftmals das Kind im Kontext mit der Forschungsfrage, wie ein Kind Sprache erwirbt, steht, sollte der Begriff klar definiert sein. Laut den offiziellen Gesetzen der UN- Kinderrechtskonvention wird ein Kind als solches angesehen und bezeichnet, wenn es das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Juristisch ist diese Definition anders verfasst. Demnach wird ein Kind als solches definiert, so lange es dass 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.[8] Es zeigt sich also, dass die Definitionen variieren können, aber diese Arbeit mit der juristische Definition arbeitet. Wenn vom Spracherwerb bei Kindern gesprochen wird, kann dies bis zum 14. Lebensjahr geltend sein, obwohl die Forschung bewiesen hat, dass ein Spracherwerb bis zum 10. Lebensjahr ausgereift ist.

4. Begriffserklärung Bilderbuch

In der Kinder-und Jugendliteratur hat das Bilderbuch eine lange Tradition. Obwohl heutzutage audiovisuelle Medien das Bilderbuch in vielen Familien ersetzen, zeugt es trotzdem von enormem Potenzial, die durch andere Medien nicht abgelöst werden können.[9] Obwohl das Spannungsverhältnis, welches auf den Wandel des Medienkonsums und der heutigen Gesellschaft zurückzuführen ist, stetig wächst, verliert das Bilderbuch nicht an seiner Aussagekraft.[10] Denn „Bilderbücher sind vielmehr als visuell gestützte Erzählungen oder textuell kommentierte Bildserien. Bilderbücher sind kulturelle Transformatoren von symbolischen und imaginären Welten.“[11]

Allgemein gesprochen, wird das Bilderbuch beschrieben als ein Medium vielen Bildern und wenig Text, sodass es für die Kleinsten verständlich ist. Es gibt aber verschiedene Arten von Bilderbüchern, die unterschiedliche Adressatenkreise ansprechen sollen. Das Bilderbuch verknüpft Bild und Text in einer Art und Weise, dass es Spielraum lässt, von der eigentlichen Geschichte abzuweichen oder die Bilder neu zu interpretieren. Seit dem Jahre 1990 wird das Bilderbuch auch mit der Vermittlung pädagogisch relevanter Inhalte verknüpft und setzt den Schwerpunkt diesbezüglich. Es vermittelt nun erste literarische Erfahrungen, die eine Brücke zur Literatur in der Schule bilden soll. So können Bilderbücher dazu beitragen, dass das Interesse an Literatur geweckt wird und Kinder in dem zweiten Bildungsbereich, der Grundschule, keine Schwierigkeiten haben Bücher zu verstehen und ihr Potenzial erkennen.[12] Oft wird in Bezug auf Bilderbücher von „Literacy“ gesprochen, weshalb im Folgenden erklärt werden soll, weshalb diese beiden Begriffe in Verbindung stehen und was „Literacy“ bedeutet.

4.1 Literacy

„Literacy“ umschreibt als Oberbegriff eine Vielzahl an Kompetenzen: Die Freude am Lesen, die Auseinandersetzung mit Texten und Geschichten, den Umgang mit Büchern, sprachliche und narrative Fähigkeiten, Deutung von Symbolen und Bildern sowie den Umgang mit neuen Medien wie Notebooks, Tablets, Internet und dem Fernsehen.[13] Bilderbücher tragen also zum Verständnis von Literacy bei, weshalb auch hier wieder die Bedeutung der Bilderbücher hervorgehoben wird. „Die sensiblen Phasen für den Erwerb von Literacy bezogenen Kompetenzen liegen im Altersbereich von null bis sechs Jahren.“[14] Genau in dieser Altersspanne erfahren Kinder ihre ersten Bilderbuchsituationen. Aus diesem Grund sind die Gestaltung einer solchen Situation und die daraus resultierenden Ergebnisse wichtig für die Entwicklung des Kindes und seines schulischen Erfolges.

Um Literacy zu ermöglichen sollten Kindern viele Vorerfahrungen mit Büchern sammeln, und dies gelingt nur, wenn die Eltern sich für eine „Literacy-Erziehung“ entscheiden. Eine amerikanische Erhebung hat gezeigt, dass einige Kinder einen fast uneinholbaren Wissensvorsprung besitzen und dies auf das Vorlesen in der Familie zurückzuführen ist. Bilderbücher sind essenziell für Literacy. Aus diesem Grund besteht eine enge Verbindung zwischen Bilderbüchern und Literacy, die eine spezielle Wechselwirkung haben.[15]

4.2 Bilderbucharten

Es gibt eine große Vielfalt an Bilderbüchern und jede Altersspanne hat ein spezielles Bilderbuch, welches sich an die kognitiven Gegebenheiten des Kindes anpasst. So entwickeln sich die Bilderbücher und die Bedürfnisse der Kinder im Verlauf des Alters. Grundsätzlich unterscheidet man aber zwischen Elementar-, Fühl- und themenorientierte Bilderbücher. Diese Obergruppen lassen sich dann wiederrum in verschiedene Bilderbucharten unterteilen wie Aufklappbücher, Geräuschbücher, Märchenbücher, Puzzle-Bücher, Sachbücher oder Wimmelbücher.[16] Bilderbücher sind sehr vielfältig und individuell, weshalb Bilderbücher als Begleiter der Kindheit gelten und die kindliche Lebenswelt beeinflussen.

4.2.1 Elementarbilderbücher

Unter diesem Begriff sind Bücher gefasst, die grundlegende Dinge beschreiben und in einer leichten und verständlichen Darstellung Kinder alltägliche Gegenstände veranschaulichen. Diese Bilderbücher sind für die Kleinsten im Alter von null bis drei Jahren konzipiert und sollen Kinder langsam an Bücher heranasten. Diese Bücher sind meistens aus fester Pappe, damit sie robust und stabil, damit Kinder mit ihnen spielen können oder auf ihnen beißen, da Kinder in dieser Altersspanne viel erkunden wollen. Kinder sammeln ihre ersten Erfahrungen und können die abgebildeten Gegenstände wie zum Beispiel ein Kuscheltier schnell identifizieren, da diese Abbildungen ihnen vertraut sind und sie damit schon Erfahrungen gemacht haben. Zu den Elementarbüchern gehören größtenteils Aufklapp-, Geräusch- und Wimmelbücher, da diese nicht zu komplex sind und die Kinder mit kurzen Texten oder Reimen zum nachsprechen anregen.[17]

4.2.2 Fühlbücher

Wie der Name schon sagt, können die Kinder etwas erfühlen. Oftmals sind in diesen Bücher Tiere illustriert, die mit bunten Stoffen verziert sind, damit die Kinder diese erfühlen können. Fühlbücher eignen sich für Kinder im Alter von null bis drei Jahren, da in dieser Altersspanne die Kinder viel greifen und tasten wollen. Durch das Tasten und Fühlen erfahren Kinder eine neue Art von Bilderbüchern und haben viel Spaß dabei, was im Umkehrschluss dazu führt, dass sie schnell lernen. Bei dieser Bilderbuchsituation erlernen Kinder einzelne Laute oder Wörter. Kinder lernen ihre Welt spielerisch zu entdecken und mit allen Sinnen zu erfahren. Die Eltern können hier die Tiergeräusche imitieren und werden schnell bemerken, dass das Kind diese Laute schnell mit den richtigen Tieren verknüpft, aufgrund dessen dass sie durch das Ertasten und Fühlen eine Verknüpfung zwischen Bild und Wort aufbauen konnten.

4.2.3 Themenorientierte Bilderbücher

Zu diesen Arten gehören Märchenbücher oder Sachbücher, die eine spezielle Situation thematisieren. Diese Bücher eignen sich für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren und darüber hinaus, da diese Bücher eine gute Aufmerksamkeitsgabe erfordern und Kinder sich für eine gewisse Zeitspanne konzentrieren müssen, wenn ihnen vorgelesen oder erzählt wird. Oftmals werden diese Bilderbücher gewählt, um Kinder neue Situationen wie zum Beispiel der Zahnarztbesuch zu erklären und ihnen eine gewisse Angst zu nehmen, sofern diese vorhanden ist. Oftmals werden auch Themen wie die Trennung der Eltern in einem Buch dargestellt, da sie oftmals im kindlichen Alltag vorkommen. Sie sollen den Kindern Trost und Verständnis vermitteln, aber auch mögliche Umgangsformen, um diese schwierigen Situationen zu bewältigen. Die in den Bilderbüchern thematisierten Situationen sind oftmals alltäglich, weshalb sich die Kinder mit den dargestellten Figuren schnell identifizieren und Gefühle besser nachempfinden können. Zu den Sachbüchern gehören aber auch Kinderlexika und Bücher in denen der eigene Körper auf leichte und verständliche Weise erläutert wird.

4.3 Bilderbuchgestaltung

Die Gestaltung eines Bilderbuches ist so konzipiert, dass es Kinder benutzen können, die noch nicht lesen und schreiben können. Der Text ist kurz und einprägsam und die Bilder sind realistisch und mit hellen Farben versehen, sodass das Interesse der Kinder geweckt ist. Der beschränkte Bild- und Textumfang setzt den Fokus auf die wesentliche Inhalte und ist altersangepasst und identitätszentriert, wodurch das Kind sich schneller mit dem Buch identifizieren kann.[18] Die Gestaltung des Bilderbuches zeigt sich in ihrer Erfahrungsbezogenheit, Offenheit, Vielgestaltigkeit und Subjektivierung.[19] Schwierige Inhalte können mit einfachen Texten und aussagekräftigen Bilder vereinfacht werden und sind daher anschaulicher. Der Wechsel von verschiedenen Sichtweisen aus der fiktiven Person in dem Bilderbuch ermöglicht auch dem Kind unterschiedliche Sichtweisen auf eigene Geschehnisse und gemachte Erfahrungen. In den Bilderbücher können die Geschichten aus verschiedenen Sichtweisen erzählt werden, die sich in drei Formen unterteilen lassen: eine Übersicht über die Situation, eine Mitsicht auf eine Situation und eine Außensicht, die wenig Spielraum lässt um Emotionen aufzubauen.[20]

4.4 Einfluss der Bilder

Die Betrachtung und die Auseinandersetzung mit den Bildern zeugen für das Kind von enormer Wichtigkeit, da sie Einfluss auf das Bildverständnis nehmen und eine „zentrale Bereicherung zur Bild-und Textleseförderung im vorschulischen und schulischen Kontext“[21] darstellen. Das berühmte Zitat von Fred R. Barnard: „Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte“ verweist auf die Vielfalt und die Potenziale von Bildern. Zwar wird behauptet, dass das Bild an sich nicht ausreicht um den Kontext zu verstehen, da Kinder die Bedeutung der Bilder aus dem Vorgelesenen erschließen. Deshalb besteht die Annahme, dass Kinder nicht aus den Bildern lernen, sondern aus dem Text.[22] Diese Annahme wurde aber widerlegt, indem man Kinder mit textlosen Bildnarrationen gefördert hat. Bei der Betrachtung von Bildern wurde eine „Ausweitung des kindlichen Erwartungs- und Deutungshorizontes“[23], sowie ein besseres Textverständnis und Vorstellungsvermögen festgestellt.

Textlose Bilderbücher legen zudem den Fokus auf das Bild, wodurch die Bilder an Aussagekraft gewinnen. Jedes Kind lernt die Bilder zu verstehen und dann zu interpretieren. Textlose Narration hat zudem auch den Vorteil, dass das Kind die Lücken zwischen den Bildern nur durch die Betrachtung der vorherigen Bilder erschließen kann. Die Fantasie wird verstärkt angeregt, da Körperhaltung und die Anordnung der Figuren allein nicht ausreichen, um Bilder zu verstehen und ihren Kontext zu erschließen.[24]

Allgemein ist die Betrachtung der Bilder motivierend und fordernd zugleich, wodurch das Kind lernt Bilder in einem Zusammenhang zu sehen, der meistens sinngebend für die Erzählfreudigkeit der Kinder im Anschlussgespräch ist. Bilder können Assoziationen mit vorherigen Erfahrungen wecken und Kinder ermutigen Neues auszuprobieren, sowie eigenen Erfahrungen und Handeln zu reflektieren.[25] „Kinder machen jedoch keine isolierten Wahrnehmungen. Sie erfahren die Welt in Bildern und Szenen ihrer Alltageserfahrung. Sie speichern solche Szenen in ihrem Gedächtnis und erkennen solche Situationen wieder, sobald sie in ähnlicher Weise wieder auftauchen. Mit diesen Erinnerungen verknüpft sich auch eine Bedeutung, die Szenen sind emotional „markiert“.“[26] Neben diesen Aspekten gehören die Erklärung und Vermittlung von Geschlechterrollen, Lebensweisheiten, Moral und Werte. Zwar ist die Vermittlung von Geschlechterrollen eher kritisch zu betrachten, da dies zu einer festgefahrenen Meinung führen kann. Aufgrund dessen sollten solch komplexe Bilder und Themen nur bei einer gewissen kognitiven Fähigkeit behandelt werden.

Des Weiteren haben Bilder eine Intentionalität, die dazu führt, dass Emotionen erkannt und verstanden werden. Wenn Kinder dieses Verständnis erlangen, können sie dies auch auf ihre Umgebung ausweiten und somit möglich aufkommende Problemsituation meiden, wenn sie die Emotionen der anderen Kinder erkennen. Das erweiterte Empathieverhalten sensibilisiert die Kinder für Streitigkeiten.[27] Ein Beispiel hierfür ist ein Streit um eine Puppe zwischen zwei Kindern. Wenn das Kind mit Emotionen vertraut ist und sieht wie das eine Kind traurig und wütend ist, umgeht es diesen Streit, indem es die Puppe dem anderen Kind überlässt. Die Wahrnehmung ist sehr prägend und führt zu einer meist gelingenden Konfliktlösung. Nicht nur das Verstehen von Emotionen, sondern auch der Umgang mit seinen eigenen Gefühlen ist wichtig. Durch Bilder können eigene verborgene Gefühle geweckt und artikuliert werden. Zudem fungieren Bilder als eine Art „Vorbild“, in dem Bilder Situationen aufzeigen und schildern. So werden dem Kind spezielle Umgangsformen vermittelt, um schwierige Situationen lösen zu können. Zum einen erfahren sie eine motorische Weiterentwicklung, welches die Fähigkeit der Reflexion und des Experimentieren umschließt, zum anderen ist die Qualität der Bilder dafür entscheidend. Es zeigt sich, dass sowohl die sozialen, als auch die kognitiven Kompetenzen des Kindes sich durch das reine Betrachten der Bilder weiterentwickeln.[28]

4.5 Einfluss der Texte

In den meisten Bilderbüchern wird der Text stark reduziert, damit die Kinder sich besser auf die Bilder fokussieren und diese genau betrachten und interpretieren. Deshalb ist in den meisten Bilderbüchern der Text zweitrangig, obwohl auch der Text einen immensen Einfluss verspricht. Der Text in den Bilderbüchern ist oftmals an das kindliche Sprachniveau angepasst und umgeht somit komplexe Satzstellungen und Wörter. Das Kind erlernt daher literarästhetische Fähigkeiten, sofern es sich auf den Text fokussiert. Textstrukturen werden sichtbar und das Kind entwickelt erste Ansätze um Texte zu verstehen und sie richtig zu interpretieren. Es erlangt Kenntnisse über literarische Formen wie der von Gedichten und macht erste poetische Erfahrungen mit Lautmalerei, Reimen oder Wiederholungen. Der Text wird genutzt um die Verstehensprozesse des Kindes anzuregen und Text und Bild im Zusammenspiel zu verstehen.

Des Weiteren macht es Erfahrungen mit den Emotionen des fiktiven Charakters und wird Teil der Geschichte, indem es lernt Perspektiven zu übernehmen und auf seine eigene Umwelt zu übertragen. Auch das Fremdverstehen und das Verständnis für Mehrperspektivität und Perspektivenwechsel werden durch den Text herausgefordert. Grundsätzlich soll der Text zum Staunen, sowie zum Nachfragen anregen, damit das Kind den Text in eigenen Worten wiedergeben kann.[29] Hierbei spielt natürlich die Art und Weise wie der Text vorgetragen oder erzählt wird eine prägnante Rolle, da das Kind nur in all den oben genannten Kompetenzen gefördert werden kann, wenn der Erzähler oder die Erzählerin den Text kindgerecht vorträgt. Förderlich sind hierfür eine klare Aussprache, Anpassung an das kindliche Sprachniveau und Vermeidung von komplexen Fremdwörtern. Natürlich können all diese Dinge auch bei Missachtung zu einer Verknüpfung negativen Erfahrungen führen. Wenn ein Buch zu komplex oder zu „angsteinflößend“ vom Kind wahrgenommen wird, dann verbindet es Bücher immer mit einem unguten Gefühl, dass sich schnell mit negativen Erfahrungen knüpft. Deshalb ist darauf zu achten, dass die Bilderbücher und die darin gedruckten Texte immer auf das Kind angepasst sind und sie förderlich wirken.

5. Methodik des Bilderbuchbetrachtens

„Bilderbücher nehmen im Leben von Kindern eine wichtige Rolle ein. Die Grundlage für eine positive Entwicklung von Kindern wird in den ersten Lebensjahren gelegt. Neben der Familie, die dabei die wichtigste Rolle einnimmt, erhalten aber auch Betreuungssetting wie Kindertagesstätten eine zentrale Bedeutung. Ob und inwieweit ein Kind seine Potenziale entfalten kann, hängt stark von der Anregungsqualität in der Familie und in der Kindertageseinrichtung ab, die ein Kind besucht.“[30] Da Bilderbücher leider oft von Eltern „wahllos“ eingesetzt werden, weil sie sich keine pädagogischen Gedanken machen, ist die Nutzung von Bilderbüchern in Kindertagesstätten effektiver. Wichtig ist bei einer Bilderbuchsituation diese in einem gut überlegten Setting durchzuführen, damit das Kind lernt vom Alltag abzuschalten und sich auf eine neue Situation einzulassen. So können alle Sinne erweitert werden und mehr Inhalte verarbeitet werden.

5.1 Auswahl der Bilderbücher

Anders als die Eltern, treffen Erzieher und Erzieherinnen eine pädagogisch begründete Auswahl des Buches, da sie dieses zur Entwicklungsförderung nutzen wollen. Bilderbuchbetrachtung kann auf unterschiedliche Art und Weise gestaltet sein. Zum einen kann das Bilderbuch als Ganzes genutzt werden oder einzelne Seiten, die einen methodischen Schwerpunkt aufweisen. Bilderbücher können zum dialogischen Vorlesen benutzt werden oder zum reinen Betrachten. Bilderbücher werden aber auch oft in einer Leseecke im Kindergarten für jedes Kind frei zur Verfügung gestellt. Die Kinder können daher ohne Begleitung das Buch betrachten oder „lesen“, je nachdem wie die kognitiven Fähigkeiten des Kindes ausgeprägt sind. Diese Form führt zu einem selbstständigen Handeln und Umgang der Kinder mit Literatur. Da die Bilderbuchsituation schon an sich einen enormen pädagogischen Wert hat, sollte man aufpassen, dass man diese Situation nicht mit anderen pädagogischen Maßnahmen überfrachtet.[31]

Desweitern machen Kinder positive Erfahrungen bei der Auswahl des Buches, wenn sie in die Bibliothek oder in einen Buchladen mitgenommen werden und sich ein Buch aussuchen dürfen. Zwar entsprechen die von den Kindern ausgesuchten Bücher oftmals nicht den Vorstellungen der Eltern oder der Erzieher, da sie nicht „pädagogisch wertvoll“ erscheinen, aber die Kinder erfahren eine wertvolle Erfahrung: Sie haben Mitspracherecht und fühlen sich in ihren Bedürfnissen wahrgenommen und erfüllt.[32]

Bei der Auswahl des Buches ist das Alters des Kindes, sowie seine kognitiven Fähigkeiten und Erfahrungen entscheidend. Bei Säuglingen und Kleinkindern empfiehlt es sich daher, ein Bilderbuch aus fester Pappe zu nehmen, damit das Kind Gelegenheit hat, damit zu spielen oder es auch mal in den Mund zu nehmen. Hier kommt es noch nicht zu einer Kommunikation zwischen Erwachsenem und Kind, sondern es geht um das reine Anregen und Entdecken.

Bei Fühlbüchern beginnen erste Benennungsaktionen, da oftmals auf der einen Seite ein Bild abgedruckt ist, welches den Erwachsenen dazu bewegt, dies zu kommentieren. Bei Fühlbüchern erleben Kinder eher den Zusammenhang von Eigenschaften und deren Bezeichnung. Dies entwickelt sich indem die Bezugsperson fragt, wie sich das Fell anfühlt, welches ertastet wurde. Aus diesen Fragestellen entwickeln sich dann die ersten Dialoge. Bücher, bei denen man etwas auseinander ziehen oder aufklappen muss eignen sich auch hervorragend, da dies die Motivation der Kinder steigert, sich mit den Geschichten auseinanderzusetzen.[33] „Kinder haben am meisten Spaß, wenn sie die Spannung der Geschichte hautnah miterleben, das heißt Seite für Seite aktiv entdecken können. Optimal ist es, wenn sie dabei auch das Tempo selbst bestimmen können, indem sie selbst die Seiten blättern. So bleibt ihnen ausreichend Zeit zur Erkundung der vielen Möglichkeiten, zur Verarbeitung der Bilder und sprachlichen Informationen.“[34]

Ab dem 3. Lebensjahr dürfen die Bücher dann anspruchsvoller werden und Werte und Erfahrungen vermitteln. Hierfür eignen sich Szenenbilderbücher, da sie eine gute Übersicht von Alltagssituationen bieten. Für Kinder zwischen vier und sieben Jahren eignen sich Bilderbuchgeschichten, die verhältnismäßig viel Text haben, denn so lernen die Kinder ihren Wortschatz zu erweitern. Allgemein kann man aber drei Kriterien festlegen, die ein gutes Kinderbuch ausmachen: altersgerechtes Material und Format, ansprechende Illustrationen und kindgerechte Handlungen und Themen.[35]

5.2 Rahmenbedingungen

Damit das Kind aus einer Bilderbuchbetrachtungssituation profitieren kann, müssen einige Bedingungen geschaffen sein. Das Kind muss in einem festen Rahmen eingebunden sein, damit es nicht abgelenkt wird oder aus der Situation herausgerissen wird. Die Situation sollte Nähe, Zuwendung und Sicherheit bieten und dem Kind die Gewissheit geben, dass Vertrauen besteht, egal in welcher Hinsicht. Zu berücksichtigen ist, dass das Kind die Bilder gut sehen kann, das Licht in keiner Weise blendet und das Kind Körperkontakt suchen kann, sofern es das möchte. Der Körperkontakt bietet dem Kind eine Art Sicherheit, besonders bei Geschichten und Bildern, die es als bedrohlich oder angsteinflößend empfindet. Sollte das Betrachten eines Bilderbuches mit mehreren Kindern gestaltet sein, so ist darauf zu achten, dass alle einen geeigneten Sitzplatz haben. Allerdings kann die Situation in einer großen Gruppe dazu führen, dass nicht jedes Kind genügend Zeit hat, um die Bilder zu betrachten. Eine intime und entspannte Situation kann so meistens nicht entstehen. Um den Einfluss des Bilderbuches sich zu Nutzen zu machen, sollte die Situation individuell und intensiv gestaltet werden, denn nur so können spätere Erfolge erzielt werden.[36]

5.3 Erzählen und Vorlesen

Die Begriffe Erzählen und Vorlesen sind grundsätzlich voneinander zu unterscheiden. Während der Erzähler frei spricht und Blickkontakt zum Kind halten kann, ist der Vorleser hingegen an den Text und das Buch gebunden. Der konstante Blickkontakt zwischen dem Erzähler und dem Kind ermöglicht ein schnelles und unmittelbares Reagieren auf gewisse Situationen, wie das Wiederholen oder Erläutern bei Missverständnissen. Daher hat das Erzählen gegenüber dem Vorlesen einen signifikanten Vorteil. Das Kind kann sich beim Erzählen schneller mit in das Gespräch involvieren und kann sich vom passiven Zuhörer zum aktiven Erzähler wandeln. Dennoch wird beim Erzählen und beim Vorlesen die Konzentrationsfähigkeit geschult und die Phantasie angeregt. Das Vorgelesene oder Erzählte bietet den Kindern spezielle Vorlagen für die eigene Wiedergabe von Eindrücken oder Gedanken, die durch Wiederholungen in das Gedächtnis der Kinder gespeichert werden können. Weiterhin können beim Hören von Geschichten einige Handlungsmuster der fiktiven Charaktere im Buch mit dem eigenen Leben und Handlungsstrukturen verglichen werden.

Da die Kinder im Kindergarten mit Erfahrungen und Aussagen anderer Kinder konfrontiert werden, erleben Kinder auch außerfamiliäre Handlungsmuster, die durch Geschichten verständlicher gemacht werden können. Allgemein werden bei den verschiedenen Arten der Bilderbuchsituation viele soziale Kompetenzen erworben, die sich in Einfühlungsvermögen, Kommunikationsfähigkeit, Konfliktmanagement, Kritikfähigkeit und/ oder Teamfähigkeit äußern können. Die Kinder erlernen gewisse Dinge zu verstehen, zu hinterfragen und zu erklären. Dabei werden die gewonnen Informationen aufbereitet und verarbeitet, damit sie langfristig genutzt werden können. Das aktive Zuhören ist die Grundlage des Konfliktmanagements, da Kinder in einem Konflikt dem Gesprächspartner zuhören müssen und lernen einen Konflikt sachlich zu regeln und Respekt und Toleranz dafür nötig sind.

Der frühe Beginn einer gestalteten Bilderbuchsituation kann wegbereitend sein, da grundlegende kulturelle und soziale Kompetenzen vermittelt werden. Nicht zuletzt fördert dies das eigene Erzählen und steigert die Sprachkompetenz des Kindes. Dennoch sollte beim Erzählen und Vorlesen darauf geachtet werden, dass komplizierte Wörter vermieden werden und diese durch Verständliche ersetzt werden. Wenn der Wortschatz und die Erzählstruktur auf das Kind abgestimmt sind und diese während des Vorlesens und Erzählens beibehalten werden, dann sollten keine Schwierigkeiten auftreten.[37] So werden neben den oben beschriebenen sozialen Kompetenzen auch entwicklungsspezifische Kompetenzen gefördert. Zu diesen gehören die Fähigkeit der inneren Bilderzeugung die durch das Erzählen entstehen, das symbolische Denken, das Lernen von Sprache und das Einprägen von komplexen und neuen Satzmustern.[38]

6. Bilderbuchbetrachtung

Nicht nur das Vorlesen der Texte aus den Bilderbüchern hat einen enormen Einfluss auf die Kinder, sondern auch die Gestaltung und die Verknüpfung von Bild und Text. Beim Betrachten allerdings, hat das Kind kein sprachliches Vorbild, welches Hilfestellung geben kann, die Bilder im Zusammenhang mit dem Text zu verstehen. Daher ist es für das Kind wichtig, die Formen und Symbole auf den Bildern erkennen und verstehen zu können, um somit auf einen möglichen Kontext zu schließen. Dies wird dem Kind ermöglicht, indem es seine Erfahrungen mit den Geschehnissen auf den Bildern verknüpft. Somit wird die Wahrnehmung gestärkt und das Kind kann eine emotionale Bindung dazu aufbauen. Wenn das Motiv in dem Bilderbuch dem Kind allerdings unbekannt ist, weil es möglicherweise unrealistisch dargestellt ist, kann sich das Kind nicht mit dem Motiv identifizieren und baut somit auch keine Bindung auf.[39] Hier kann es zu möglichen Fehlinterpretationen des Symbols kommen, deshalb sollte bei der Betrachtung vorzugsweise ein Erwachsener oder eine Vertrauensperson dabei sein, um dem Kind als Stütze zu fungieren. Neben dem Motiv sind aber die Komplexität eines Bildes wichtig, sowie ihre Dichte.[40] Beim bloßen Betrachten muss das Kind die Zusammenhänge erkennen und interpretieren. Kinder, mit wenig ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten werden daher Schwierigkeiten haben, Bilder in eine richtige Reihenfolge zu bringen und ihren Sinn zu verstehen. Das bloße Betrachten eines Bilderbuches ist daher für Kinder mit guten kognitiven Fähigkeiten wie Symbolverstehen und Interpretationsmöglichkeit geeignet, da es sonst zur Überforderung führen kann. Wie genau nun die Bilder von Kindern aufgenommen und verarbeitet werden, versucht die Hirnforschung herauszufinden.

6.1 Verarbeitungsprozesse aus Sicht der Hirnforschung

„Bilderbücher leben, wie der Name sagt, ganz wesentlich von Bildern. Doch diese Bilder müssen aufgenommen, also rezipiert werden, um ihre Wirkung entfalten zu können.“[41] Die visuelle Wahrnehmung, also das Betrachten eines Bildes, beginnt zwar im Auge, wird aber erst im Gehirn verarbeitet. Das Bild, welches wir betrachten, wird zwar als Ganzes zu Beginn wahrgenommen und über die Netzhaut transportiert, aber auf dem Weg zum Gehirn auf sein Wichtigstes reduziert, um somit besser verarbeitet zu werden. Unser Gehirn verarbeitet nun die Information parallel und gleichzeitig in verschiedenen Cortexarealen, die Signale von Vorwissen liefern können. Das Bild wird abgeglichen mit Vorinformationen, Symbolen oder Vorerfahrungen, die im Gehirn abgespeichert sind. Nun beginnt der Prozess der Verarbeitung und Zuordnung, da die Cortexareale verschiedene Gefühle, Sinne, Erwartungen, Informationen und Reize differenziert voneinander speichern.[42]

6.2 Betrachten und Erzählen

Wie sich zeigt ist das reine Betrachten eines Bildes sehr komplex für Kinder, daher ist es wichtig, wenn sich die Eltern oder andere Vertrauensperson mit den Kindern und einem Bilderbuch zusammen auseinandersetzen. So kann das Kind die Verknüpfung zwischen Wörtern und Bildern leichter auffassen und Zusammenhänge besser interpretieren und richtig verarbeiten. Da das Kind als aktiver „Konstrukteur“ seines selbst verstanden wird, sollte man das Kind so gut es geht alleine betrachten und erzählen lassen.

Durch das Erzählen soll lediglich die Phantasie und die Lust zum Sprechen geweckt werden. Im Gegensatz zum Vorlesen hat dies den Vorteil, dass der Text individuell ist und variieren kann. Das Kind kann mitgestalten und der Inhalt der Geschichte kann jederzeit vom Kind erweitert werden. Die Bilder können besser und leichter mit einbezogen werden und das Kind hat die Möglichkeit, die eigentliche Geschichte zu verändern und die Bilder anders zu interpretieren. Ein weiterer Vorteil beim freien Erzählen ist, dass angsteinflößende Texte eines Bilderbuches vermieden werden können und eine neue Geschichte mit den Bildern entstehen kann. Beim Erzählen ist es wichtig, dass der Erzähler oder die Erzählerin die Geschichte und die Bilder gut miteinander verknüpft und das Kind aktiv mitreden lässt. Auf Vorschläge oder Wünsche sollte eingegangen werden und man sollte das Kind zum Sprechen motivieren, indem man fragt, was auf dem Bild zu sehen ist. So hat das Kind die Möglichkeit bei unbekannten Symbolen nachzufragen und neue Wörter zu lernen.

6.3 Rollen des Betrachtens auf die Entwicklung des Kindes

Damit das Kind sich durch das reine Betrachten von Bilderbüchern weiterentwickeln kann, bedarf es spezielle kognitive und sozial-emotionale Voraussetzungen. Die Wahrnehmung und auch die Deutung der Symbole in den Bildern sind wichtig, um zu verstehen, was diese Bilder bedeuten und welche Interpretation dahinter stecken kann. Zudem sollten Kinder die Formen und Symbole voneinander unterscheiden können, um somit klare Strukturen zu schaffen. Hat ein Kind es geschafft, ein Bild oder ein Motiv zu erkennen und seine Struktur wahrzunehmen, versucht es bei einer gemeinsamen Bilderbuchbetrachtung auf die Bilder zu zeigen, um zu erfahren, wie dieses Motiv oder der Gegenstand benannt wird. So erlernen sie die ersten Benennungsaktivitäten zu starten und eine Verbindung zu dem Erwachsenen oder der Vertrauensperson aufzubauen, da sie merken, dass eine Interaktion zur Entwicklung als Hilfe dient. Weiterhin erlernen Kinder aus den Bildern wichtige Informationen zu ziehen, die sie nutzen, um ihren Wortschatz zu erweitern und erste Interpretationsversuche zu beginnen. Schon mit circa zwei bis drei Jahren verstehen Kinder die Bedeutung und den Nutzen eines Bilderbuches. Sie erkennen schnell, wann ein Bild unrealistisch ist und lernen so, dass ein gezeigtes Bild nicht immer akzeptiert werden muss, so lange es keinen Sinn aufweist. Das Symbolverständnis ist so weit entwickelt, dass Kinder wissen, dass ein Bild sowohl ein Objekt an sich ist, als dass es auch für etwas steht. Auch haben sie nun eine Auffassungsgabe von Bildern, Buchstaben und Zahlen und können diese voneinander differenzieren und zu Kategorien zuordnen. Somit erlernen sie das Buchstaben- und Zahlenverständnis, welches der Schriftsprachenentwicklung beiträgt. Neben diesen ersten Entwicklungsständen, beginnen sie zugleich ein Verständnis von Emotionen in Bildern aufzubauen. Sie erkennen die Bedeutung der Mimik, Gestik und der räumlichen Komposition und interpretieren diese, um Emotionen zu deuten.

Auch die Bedeutung der Farben können Kinder verstehen, denn sie empfinden dunkle Farben als beklemmend und helle Farben deuten sie als lebendig. In der Entwicklungspsychologie werden also der Betrachten von Bilderbüchern drei wichtige Faktoren zugeschrieben, die erfüllt sein müssen, damit das Kind sich positiv und erfolgreich entwickelt: Erstens, das Kind mit seinen kognitiven und affektiven Voraussetzungen; zweitens, das spezifische Bilderbuch und drittens die Eltern, die mit dem Kind das Buch betrachten und vorlesen. Diese Faktoren können separat, aber auch im Zusammenspiel Einfluss auf die Entwicklung des Kindes nehmen.[43]

7. Vorlesen eines Bilderbuches

„Das Lesen von Bilderbüchern ist mehr als nur das bloße Betrachten von Bildern. Wenn ein Kind- egal welchen Alters- mit einer Bezugsperson Bilder anschaut, so lernt es häufig neue Begriffe kennen, und es ergeben sich dabei Möglichkeiten zur Diskussion, die wiederum wichtig für die kognitive und emotionale Entwicklung sind.“[44] Der Zusammenhang zwischen Bilderbuchlesen und der Sprachentwicklung des Kindes ist ein konsistenter Befund, der auf Basis der Häufigkeit des Vorlesens und der Beginn des Vorlesens beruht. Die größte Rolle beim Vorlesen spielen die Eltern, denn sie sind diejenigen, die das Bilderbuch vorlesen, kommentieren oder erzählen. Wenn sie den Kindern die Möglichkeit geben, Gegenstände zu benennen, erwerben die Kinder zugleich neue Wörter und/oder Grammatik, sofern in ganzen Sätzen und Zusammenhängen gesprochen wird. Besonders zu der Zeit, in der Kindern anfangen zu sprechen, vom 8.-30. Monat, sollten Eltern ihren Kindern vorlesen, da in dieser Zeit der Wortschatz stetig zunimmt und die Kinder große Wissbegierde haben.

7.1 Funktionen des Vorlesens

7.1.1 Kulturelle Funktion

Neben den Funktionen des Spracherwerbs und der allgemeinen kognitiven und emotionalen Entwicklung soll das Vorlesen eine soziale und kulturelle Funktion erfüllen. Damit dem Kind der Eintritt in die soziale Gemeinschaft erleichtert wird, muss es mit den allgemeinen kulturellen und sozialen Begebenheiten vertraut sein. Das Kind soll durch das Vorlesen lernen, zu sprechen und später zu schreiben. Da das Lesen die Schlüsselrolle für die gesellschaftliche Schlüsselkompetenz ist, kann Vorlesen eines Bilderbuches als „Sprungfeder“ dienen. Weiterhin wird das Kind befähigt, sich auszudrücken und mit anderen auf angemessener Weise zu kommunizieren. Allgemein sollen alle kulturellen und literarischen Traditionen an das Kind durch das Vorlesen weitergegeben werden.[45]

7.1.2 Literarisch-ästhetische Funktion

Weiterhin hat das Vorlesen eine literarisch-ästhetische Funktion, denn die Eltern sind Lesevorbilder für die Kinder und sollen die Kinder mit Literatur vertraut machen. Das Interesse und die Neugier für Literatur soll geweckt werden, um Kindern positive Erfahrungen mit Bilderbüchern zu bieten. Dies können die Eltern erzielen, wenn sie das Vorlesen so interessant wie möglich gestalten und die Kinder bei der Auswahl der Bilderbücher miteinbeziehen. Oftmals wird hier der Grundbaustein gelegt, um das Interesse an Büchern für das spätere Leben aufrechtzuerhalten. Auch ist die Ästhetik wichtig, da sie durch Vorlesesituationen gestärkt wird. Die Kinder lernen die Dinge wahrzunehmen und sie zu bewerten in ihrer Schönheit, Natur und Kunst. Das bedeutet, dass ein Kind Kriterien abhängig macht, weshalb ein Buch geschmackvoll und ansprechend ist oder warum auch nicht.[46]

7.1.3 Kognitive Funktion

Beim Vorlesen haben die Kinder die Möglichkeit, aufmerksam zuzuhören und sich zu entspannen. So entfällt das eigene Dekodieren des Textes, weshalb die Kinder mehr Verarbeitungskapazität für das Verstehen haben. Somit ist es leichter, die Informationen zu filtern und anschließend zu verarbeiten, um sie langfristig zu speichern und jederzeit wieder abrufbar zu machen. Die Gedächtnisfunktion wird ausgeweitet und Beziehungen zwischen Merkmalen werden geknüpft. Darüber hinaus werden das Zuhören und die Konzentration geschult und grundlegende Fertigkeiten des Alltags werden vermittelt. Das Kind entwickelt ein Gefühl dafür, wie der Alltag gestaltet sein kann und wie mögliche Probleme gelöst werden können.

Ab vier Jahren entwickelt sich die sprachlich-kognitive Voraussetzung für das Verständnis der „Bewusstseinsebene“ von Geschichten, wodurch die Kinder Gefühle, Wünsche und Handlungsabsichten des fiktiven Protagonisten nachempfinden und verstehen können.[47] Die Wahrnehmung seines Selbst und seiner Umgebung wird gestärkt und sensibilisiert. Die Kinder haben ein besseres Feingefühl dafür, wie sich andere Kinder fühlen, wenn beispielsweise Streitigkeiten im Kindergarten entstehen. Sie können sich in die Lage anderer versetzen und Perspektiven anderer entwickeln. Die ersten Lösungsansätze für kleine Streitigkeiten finden hier statt. Die im Bilderbuch transportieren Emotionen bilden hierfür die Basis, da in gewissen Bilderbüchern das Mitgefühl erklärt und vermittelt wird. Des Weiteren wird das Textverständnis geschult und die Fähigkeit sich auf den Text zu konzentrieren.[48]

7.1.4 Emotionale Funktion

Wenn den Kindern vorgelesen wird, so befinden sie sich in einer Entspannungsphase, in der sie sich voll und ganz auf das Buch und seine Geschichte konzentrieren können. Die Kinder sind zwar konzentriert, aber können trotzdem entspannt zuhören, ohne dass von ihnen etwas erwartet wird. Sie kommen in den Genuss, dass Bücher zur Entspannung verhelfen und die Begeisterung für diese wächst. Die Kinder sind neugierig und positiv gestimmt, wenn ihnen von ihren Eltern vorgelesen wird. Eine gute und angenehme Leseatmosphäre unterstützt das positive Klima zwischen dem Vorlesendem und dem Zuhörendem und bildet somit eine emotionale Bindung, die durch Lesesituationen gefestigt werden. Aber nicht nur eine emotionale Bindung zwischen dem Kind und seinem Elternteil kann somit entstehen, sondern auch eine emotionale Bindung zwischen dem Kind und dem Buch. Viele Kinder haben ein Lieblingsbuch, da sie sich mit dem Buch identifizieren können oder mit der Person in der Geschichte. Kinder lernen oftmals Emotionen zu unterscheiden wie Trauer, Wut, Freude, Angst, Liebe und Freude.[49]

7.1.5 Kommunikative Funktion

Der allgemeine Zweck beim Vorlesen ist es, die Kinder zum Sprechen und Erzählen anzuregen. Daher sollte man dem Kind die Möglichkeit eröffnen, Fragen zum Text zu stellen, auch wenn diese das Vorlesen unterbrechen. Das Kind soll aktiv an der Kommunikation teilnehmen und sich frei entfalten können. Der Vorlesende kann das Kind durch gezieltes Erfragen zum Sprechen ermutigen und oftmals entsteht aus diesem anfänglichen Erfragen eine neue Geschichte oder eine lange Kommunikation zwischen Vorlesendem und Zuhörer. Die Kinder werden immer mutiger zu sprechen und scheuen sich nicht, die neuen Wörter zu erfragen um dann anschließend zu gebrauchen. Die Kinder zeigen einen gewissen Stolz, wenn sie neue Wörter erlernt haben und wollen diesen dann auch zeigen. Daher ist es wichtig, dass man mit den Kindern nach dem Vorlesen noch einmal über die Geschichte und die Wörter, die darin vorgekommen sind, zu sprechen.

Auch in der Schule wird dies fortgeführt, indem nach einem vorgelesenen Text die Kinder eine „Anschlussdiskussion“ starten sollen, in der sie sich austauschen sollen und ihre Meinung äußern sollen. Auch hier können offene Fragen beantwortet werden oder Missverständnisse geklärt werden.[50]

7.1.6 Reflexive Funktion

Da in der Literatur bei den dargestellten Figuren und Handlungen auch immer ein Ausdruck von Lebensentwürfen steckt, werden diese indirekt zur Debatte gestellt. Die Kinder sollen Gefühle nachempfinden, über ihre gemachten Erfahrungen nachdenken oder über ihre Denk-und Vorstellungsweise. Es geht um die Auseinandersetzung mit seines Selbst und der Natur, so wie John Locke es seit dem 17. Jahrhundert verstanden hatte. Durch das Vorlesen entwickelt das Kind genaue Vorstellungen, die durch das Vorlesen gefestigt werden und das Kind zum Denken, Zweifeln oder Begründen anregt. All dies ist verbunden mit den Gefühlen der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit, die die Basis für die Moral bilden. Das Kind denkt nicht nur über seine Taten nach, sondern auch über die, der anderen.

Somit geben Bilderbücher oder allgemein das Vorlesen von Büchern die ersten Anreize zur Reflexion. Die Lebenssituationen und –Umstände können nachempfunden und bewertet werden. Durch eine Vielfalt von literarischen Begegnungen, erleben sie Lebensentwürfe die Potenzial zur eigenen Lebensgestaltung geben und erweitern ihre eigenen Vorstellungen. In Anschlusskommunikationen erfahren die Kinder den Einstieg zum Reflektieren und Bewerten, da sie zum Nachdenken und Nachempfinden angeregt werden. Später in der Schule wird der Vorgang der Reflexion noch ausgeprägter, da Kinder oftmals in literarischen Gesprächen und Aufgaben zur Reflexion angeregt werden.[51]

7.2 Bedingungen für gelingendes Vorlesen

Vom gelungenen Vorlesen kann erst dann gesprochen werden, wenn festgelegte Ziele dadurch erfüllt worden sind. Primäres Ziel ist es, eine gute und lernfähige Kommunikation zwischen der sprechenden Person und dem Vorleser aufzubauen. Wichtig ist es, den Zuhörer vom Vorlesen zu fesseln, damit man später eine gute Anschlussdiskussion führen kann, weil konzentriert zugehört wurde. Um dies zu erreichen sollte der Vorleser also gewisse Sprachmerkmale aufweisen, die sich in para- und extraverbale Ausdrucksmittel untergliedern. Die Sprachwissenschaftlerin Kati Hannken-Illjes hat dazu folgendes gesagt: „Das Besondere am Vorgelesen-Bekommen (im Gegensatz zum Hören eines Hörbuchs) ist, dass durch die Anwesenheit der vorlesenden Person nicht nur die Worte, sondern vor allem auch die sie vermittelnde Stimme, ihre Körperhaltung und –Spannung, ihre Mimik und Gestik wahrnehmbar und zusätzlich sinnvermittelnd sind.“[52]

7.2.1 Paraverbale Ausdrucksmittel

Zu den paraverbalen Ausdrucksmitteln gehören die Tonhöhe, die Sprechmelodie, die Lautstärke, die Artikulationsdeutlichkeit, das Tempo und der Einsatz von Pausen. Beim Vorlesen sollte darauf geachtet werden, dass man in einer ruhigen aber verständlichen Lautstärke spricht, die Wörter immer klar und deutlich ausgesprochen werden und das Tempo des Vorlesens nicht zu schnell und nicht zu langsam ist, sondern an das Kind angepasst ist. Ähnlich ist das beim Einteilen der Pausen. Beim Vorlesen sollten die Pausen vom Kind gewählt sein. Der Vorlesende hat währenddessen aber darauf zu achten, dass es beim Vorlesen das Kind nicht überfordert. In den Pausen kann über schwierige Wörter oder Verständnisschwierigkeiten gesprochen werden. Oft signalisiert das Kind, wann es überfordert ist. Daher sollte man auf die Körpersprache und Mimik des Kindes jederzeit achten. Die Pausen sollten allerdings nicht zu lang sein, sondern lediglich eingesetzt werden, um Fragen zu klären oder eine „Verschnaufpause“ für den Vorlesenden zu schaffen, obwohl dies bei einer langsamen Vorleseart vermieden werden kann. Umso melodischer das Vorgelesene ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind in dem Vorgelesenen versinkt und aufmerksam zuhört. Wichtig ist hier auch, dass ein monotones Vorlesen dies nicht fördern kann, da Kinder eine gewisse Spannung brauchen. Durch das Verändern der Stimmte in Dialogen kann die Lust am Zuhören gesteigert werden.[53]

7.2.2 Non- und extraverbale Ausdrucksmittel

Neben den Paraverbalen Ausdrucksmittel gibt es noch die non-oder auch extraverbalen Ausdrucksmittel, die Körerhaltung, -Bewegung, -Spannung, Mimik und Gestik beinhalten. Der Blickkontakt ist natürlich auch bedeutend, sowie die Proxemik, also das Verhalten im Raum. Beim Vorlesen ist es wichtig, dass der Vorlesende eine offene Körperhaltung zum Zuhörenden aufbaut, da dieser sich sonst nicht akzeptiert fühlt und somit keine Kommunikation stattfinden kann. Die Körperhaltung gibt dem Zuhörer ein Signal von Selbstsicherheit und Interesse. Sind die Beine beispielsweise übereinander geschlagen, so strahlt es Unsicherheit und Nervosität aus. Dies würde sich auf das Kind auswirken, da Kinder sehr sensibel sind für eine solche Ausdrucksweise. Die Körperhaltung transportiert daher immer ein Gefühl, welches prägnant für das Kind ist, welches vorgelesen bekommt. Neben der Körperhaltung spielen die Körperbewegung und die Körperspannung eine wichtige Rolle, da auch hier dem Kind signalisiert wird, in welcher Verfassung der Vorlesende ist und wie er sich dabei fühlt.[54] Die physiologische Verfassung sollte daher im Voraus bedacht sein, um dem Kind keine falschen Eindrücke und Gefühle zu vermitteln. Negative Haltung und innere Angespanntheit sind übertragbar, weshalb eine Vorlesesituation nicht den gewünschten Erfolg versprechen könnte. Darüber hinaus ist der Blickkontakt wichtig. Dieser sollte aufrechterhalten bleiben während des gesamten Vorlesens, da er Emotionen, Stimmungen oder Absicht des Vorlesenden transportieren kann. Bei Kindern mit geringer Wahrnehmung können Blicke aber auch oft fehlinterpretiert werden, weshalb es wichtig ist, Blicke mit Mimik und Gestik zu unterstützen. Denn mit Mimik und Gestik können Emotionen des Vorlesenden auf das Kind übertragen werden, aber auch die Geschichte kann dadurch verständlicher gemacht werden. Ist ein Kind unsicher, wie die handelnde Person im Buch sich fühlt, sucht es oft den Blickkontakt zum Vorlesenden und sichert sich darüber ab. Das Kind sucht also Bestätigung, die der Vorlesende mit Mimik und Gestik unterstützen kann.

In jeder Kommunikations-und Vorlesesituation fungieren para- und extraverbale Ausdrucksmittel wie Stimme, Sprechen, Körperlichkeit und Intention. Diese Kombination ermöglicht eine angemessene Vorlesesituation, die auf Basis von verbalen Ausdrucksmitteln wie Vokabular und Grammatik gestützt ist. Deshalb sollten vor der Vorlesesituation sich diese Ausdrucksmittel nochmal verdeutlicht werden.[55]

7.2.3 Äußere Rahmenbedingungen

Neben der hörbaren sprecherisch-stimmlichen Ausdrucksebene und der sichtbaren körperlichen Ausdrucksebene, gibt es äußere Rahmenbedingungen, die zur Vorlesesituation dazugehören. Die Auswahl des Raumes, die Bestuhlung, das Manuskript, die Akustik und die Lichtverhältnisse spielen eine wichtige Rolle. In einer Vorlesesituation sollte man dem Kind die Möglichkeit bieten, zur Ruhe zu kommen und aus dem Alltagsgeschehen entfliehen zu können. Daher empfiehlt es sich, einen ruhigen Raum zu suchen, der wenig Anreize gibt. In dem Kindergarten können dies die Ruheräume sein, die die Kinder nutzen, um aus dem lauten und unruhigen Kindergartenalltag zu entfliehen. Ist die Vorlesesituation zwischen einem Elternteil und einem Kind, sollte man daher versuchen den neutralsten Raum im Haus zu wählen, damit das Kind nicht von anderen Einflüssen Konzentrationsschwierigkeiten aufweist. Umso ruhiger und neutraler der Raum, desto höher ist die Aufmerksamkeitsgabe und Konzentrationsfähigkeit. Die Belichtung in dem Raum sollte hell genug sein, damit der Vorlesende keine Probleme damit hat, den Text aus dem Bilderbuch zu erkennen. Aber es sollte nicht zu grell sein, denn ein gedämpftes Licht führt eher dazu, dass das Kind zur Ruhe kommt und sich wohl und sicher fühlt. Für den Vorleser hat gedämmtes Licht allerdings den Nachteil, dass er sich stark konzentrieren muss und eine schlechte Raumausleuchtung belastend für die Augen ist. Daher wird eine Kombination aus direktem und indirektem Licht empfohlen.[56]

Um eine angenehme Atmosphäre für beide Gesprächsteilnehmer zu entwickeln, sollte die Bestuhlung zweitrangig sein, denn wenn man mit dem Kind an einem Tisch sitzt und dem Kind vorliest, wirkt das für das Kind so, als würde man es fordern wollen und etwas von ihm erwarten. Die Atmosphäre gleicht einer Schulsituation, in der ein Lehrer sich neben das Kind setzt und mit ihm Fehler bespricht. Daher sollte man das Kind den Raum geben, den es braucht.

Kinder vermitteln dem Vorlesenden ein Gefühl von Einverständnis und zeigen, ob sie sich wohlfühlen oder nicht. Deshalb sollte bei der Manuskriptgestaltung der Vorlesende das Buch oder den Text in guten Abschnitten einteilen. Vorab ist es wichtig zu wissen, wie der psychische Zustand des Kindes ist, um das Kind nicht mit dem Vorlesen unter- oder überfordern. Die Raumakustik kann auch dazu führen, dass ein Kind sich überfordert fühlt. Dies kann geschehen, wenn der Raum die Verständlichkeit der gesprochenen Sprache stark beeinflusst und somit das Gesprochene nicht klar und deutlich an den Zuhörer ankommt. Das Kind muss sich deshalb stark auf das Gesprochene konzentrieren und verringert somit seine Aufnahmefähigkeit für neue Informationen. Wichtig ist es deshalb, das Kind zu fragen, ob das Gesprochene hörbar ist.[57]

7.3 Wirkungen des Vorlesens

Das Vorlesen, aber auch das Erzählen von Geschichten hat die primäre Funktion, die Kinder zum Nachdenken anzuregen. Dies wird vom dem Vorleser oder der Vorleserin beabsichtigt, indem er oder sie darauf achtet, dass der Text eine bestimmte Intention erfüllt. Auch hier zeigt sich wieder, wie wichtig die Auswahl des Buches ist. Neben dieser Absicht, soll durch das Vorlesen des Textverständnis gefördert werden, aber auch die Fähigkeit das Wissen um die Textsorte zu erkennen, was vor allem bei kleinen Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren sehr schwierig ist. Sie können aber den Unterschied zwischen einem Sachbuch und einem Märchen erkennen und somit ausdrücken, ob ihre kognitiven Fähigkeiten so weit entwickelt sind, dass sie ein Sachbuch verstehen könnten.

Bei der Vorbereitung des Vorlesens sollte der Vorlesende dem Kind näher bringen, was er mit dem Text rüber bringen möchte, damit er das Kind informiert, überzeugt und über die ganze Zeit anleitet. Eine weitere Absicht ist den Sinn zu verstehen, welches ein Buch zu vermitteln versucht. Anfängliche Missverständnisse sollten durch das Vorlesen vermieden werden, damit ein Kind die richtigen Intentionen abspeichern und verarbeiten kann. Während des Vorlesens soll das Kind auf die Mimik und Gestik seines Gegenübers verstehen und darauf reagieren können. So lernt es die ersten Absichten von Mimik und Gestik umzusetzen und zu verarbeiten, um sie im späteren Lebenslauf zu nutzen. Da in einer Vorlesesituation Emotionen stützend sind, um das Kind auf der einen Seite emotional zu fesseln und auf der anderen Seite, um zu dem Kind eine Bindung und tragfähigen Beziehung aufzubauen. Die Involvierung von Emotionen biete enormes Potenzial das Kind individuell und seinen Bedürfnissen entsprechend zu fördern.

Durch die Darstellung eines bestimmten Sachverhaltes im Buch kann das Kind in seiner Handlung und auch Meinung beeinflusst werden. So gibt es viele problemzentrierte Bücher, die versuchen die Kinder zu stärken um mit den Problemen umzugehen. Bei sprachauffälligen Kindern oder sprachbehinderten Kindern gibt es eine Vielzahl an Büchern, die mit diesen Problemen umgeht und den Kinder zeigen möchte, dass sie nicht allein mit den Problemen sind und es für alles eine Lösung gibt. Die Stärkung der Persönlichkeit und das Verständnis und der Umgang mit solchen Konfliktlagen soll verbessert werden. Aber auch das Selbstvertrauen und die Akzeptanz soll gestärkt werden, damit die Kinder keine Ängste entwickeln oder sich bestehende Ängste vergrößern. Neben diesen Präventionsabsichten sollen natürlich auch allgemeine Fähigkeiten sich durch das Vorlesen herauskristallisieren. Hierzu zählt die Stärkung der Wahrnehmung, Anreiz zur Reflektion und Überzeugung, sowie Verständnis wecken. Desweitern soll das Kind angeregt werden, sich Gedanken über den Inhalt zu machen und dies auf seine eigenen Erfahrungen zu projizieren. Wenn das Interesse des Kindes geweckt wurde, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass es sich mit dem Text identifizieren kann und sich mit dem Text auseinander setzt. Das Vorlesen kann allerdings auch dazu dienen, ein neues Thema einzuführen und dem Kind dieses langsam näher zu bringen und verständlich zu machen. So wie es in der Schule genutzt wird, um Kinder langsam an lesen und schreiben zu gewöhnen, so können manche Bilderbücher dazu dienen, Trennungssituation der Eltern verständlicher zu machen, da diese schwer sind Kinder verständlich zu machen, da Kinder oftmals kein Verständnis dafür haben, wieso sich ihre Eltern trennen.

Bilderbücher können nicht nur die Fantasie anregen, sondern haben auch eine beruhigende Wirkung auf die Kleinen, die durch andere Situationen nicht transportiert werden können. Indem sie das erleben und verstehen miteinander verknüpfen, bekommen sie ein Gefühl für Gehör und Gespür für die Feinheiten aus dem Buch. Sie lernen Neu erlerntes richtig umzusetzen und bemerken die Wirkung auf sich selbst. Bei Bewältigungsproblemen können Bilderbücher auch eine Art „Vorbildfunktion“ aufweisen, da der fiktive Charakter aus dem Bilderbuch zeigt, wie man Probleme lösen kann. Der Gebrauch von Bilderbüchern hat also enorme Wirkung auf die kognitiven Fähigkeiten des Kindes, sowie auf seine Entwicklung und seine Persönlichkeit.[58]

7.4 Vorlesen als Basis einer tragfähigen Beziehung

Wie wichtig das Vorlesen für die Beziehung zwischen dem Kind und seiner Bezugsperson, sei es ein Elternteil, der Kindergärtnerin oder einer anderen vertrauten Person ist, zeigt sich immer wieder aufs Neue. In Bezug auf das Eltern-Kind-Verhältnis zeigt sich, dass Vorlesesituation förderlich sind, da die Eltern beim gemeinsamen Bilderbuchbetrachten einfach „länger, komplexer und ausführlicher reden als in anderen Situationen, wie z.B. beim Spiel, und dass sie häufiger auf die Äußerungen des Kindes eingehen.“[59] Mit der kompletten Aufmerksamkeit, welches sich an das Kind richtet, gelingt es den Eltern eine Verbindung zum Kind aufzubauen und diese Verbindung zu festigen. In Spielsituationen versuchen die Eltern zwar auch den Kindern neue Vokabeln beizubringen und die Kinder zu fordern, aber die Beziehung verfestigt sich nicht so enorm. Beim Vorlesen versucht man den Alltag auszublenden und zur Ruhe zu kommen und genau diese Ruhe braucht das Kind, um die Nähe zu den Eltern aufzubauen. Des Weiteren festigen gemeinsame Ziele die Beziehung und auch durch die Unterstützung der Eltern kann das Kind zur Eigenständigkeit erzogen werden. Vertrauen spielt hierbei eine wichtige Rolle, da Vertrauen die Basis für eine tragfähige Beziehung ist. Bei der Vorlesesituation muss das Kind das Gefühl haben, dass es seinen Eltern vertrauen kann und Fehler nicht sanktioniert, sondern toleriert werden. Im Vordergrund sollten allerdings immer Respekt, Zuwendung, Freiheit, Unterstützung und Liebe stehen, da diese den Kern der Entwicklung des Kindes und der Entwicklung der Beziehung beitragen.[60]

7.5 Vorlesen als besondere Dialogform

Im Gegensatz zum klassischen Vorlesen ist das dialogische (Vor-)Lesen eine aktive Form des Dialogs für Kind und Erwachsenem. Während beim klassischen Vorlesen die Kinder eher passiv zuhören und Dialoge zwischen dem Erwachsenen und dem Kind eher selten stattfinden, sind beim dialogischen Lesen der Vorleser und der Zuhörer aktive Gestalter. Das dialogische Vorlesen ermöglicht eine ständige Interaktion, da durch Fragenstellungen spezielle Impulse gesetzt werden, die das Kind zum Antworten und Erzählen anregen. Anders als beim klassischen Vorlesen ist es hier gewünscht, dass das Kind Einwände und Beiträge zum Text gibt, da dies signalisiert, dass Interesse besteht, an dem was vorgelesen oder vorgetragen wird. Die Beiträge der Kinder werden aufgegriffen und können integriert und erweitert werden, welches dem Kind das Gefühl gibt, wichtiges beigetragen zu haben. Das Kind kann zum Erzähler der Geschichte werden und den eigentlichen Erzähler als Unterstützung nehmen, der hilft die Aussagen richtig zu treffen und das Kind ermutigt, eigene Wörter zu benutzen und neue Geschichten zu entwickeln.

Beim dialogischen Lesen befinden sich alle Beteiligten in einer ständigen Interaktion, wobei der Erwachsene sich eher passiv verhalten sollte, damit kindliche Äußerungen in den Vordergrund rücken können. Durch das Loben des Kindes und das Hervorheben seines Könnens, fühlt es sich geschätzt und motiviert. Das Kind verliert die Hemmungen und hat weniger Angst sich auszudrücken und kann somit erste Sprecherfahrungen verzeichnen. Wenn ein Alltagsbezug mit in den Kontext gebracht wird, dann baut man eine weitere „Stütze“ für das Kind auf und gibt ihm Halt. Darüber hinaus kann die kindliche Sprachaktivität durch den Erwachsenen angeregt werden, indem er die W-Fragen mit in die Interaktion einbezieht. Damit lernt das Kind sich mit dem Kontext auseinanderzusetzen und den Inhalt genau zu erfassen. Mit den W-Fragen ist das Kind gezwungen, die gestellten Fragen des Erwachsenen nicht nur mit „ja“ und „nein“ zu beantworten, sondern in ganzen Sätzen zu antworten. Ziel des dialogischen Lernens ist es, die Sprech- und Sprachfähigkeit zu steigern und stetig zu verbessern, wobei der gemeinsame Spaß nicht verloren gehen sollte. Mit dieser Form des Vorlesens können neue und positive Erfahrungen gemacht werden, die dem Kind das Gefühl vermitteln, sich nicht davor zu scheuen. Bei dieser Art der Interaktion merkt das Kind, dass es wertgeschätzt wird, da es von dem Vorleser das Gefühl vermittelt bekommt, dass man sich gerne Zeit nimmt, um das Kind bei seiner Sprachentwicklung zu unterstützen.[61]

8. Spracherwerb des Kindes

„Mit der Sprachfähigkeit entwickelt sich nicht nur die Eigentümlichkeit der Stimme und der Sprechweise; sie definiert auch das Kind als ein Wesen, auf das die Umwelt mit veränderter Ausdrucksweise und Aufmerksamkeit reagiert. Andererseits erwartet diese Umwelt nunmehr von ihm, ohne besondere Erklärungen und Gesten verstanden zu werden.“[62] Im Folgenden soll deshalb erläutert werden, welche Bedingungen in der frühkindlichen Phase erfüllt sein müssen, damit das Kind sich richtig ausdrücken kann, um von seiner Umwelt verstanden zu werden und wie diese Bedingungen auf die Entwicklung eines Kindes zurückführen lassen.

8.1 Bedingungen um Sprache aufzunehmen

Wenn vom Spracherwerb gesprochen wird, dann kann man dies auf drei verschiedene Arten verstehen. Erstens die Fähigkeit des Kindes sich sprachlich so zu äußeren, dass es mit den Regeln der Grammatik übereinstimmt, zweitens die Fähigkeit, auf etwas zu verweisen, etwas zu meinen. Und drittens die Funktion durch Sprache etwas zu erreichen.[63] Welche kognitiven Fähigkeiten ein Kind dafür bedarf, zeigt sich schon in den ersten Lebensjahren. Das Kind ist aktiv Gestalter seiner Umwelt und wandelt seine Erfahrungen in Mittel-Zweck-Strukturen um sich so zu verständigen. Darüber hinaus ist das Kind an Koordinationsaufgaben des Handelns gerichtet, was bedeutet, dass Mittel und Zweck kombiniert werden müssen, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Hier versucht das Kind sich auf das Gesicht, die Gesten, die Stimme oder die Handlungen seiner Bezugsperson zu richten, damit es diese realisieren und sich aneignen kann. Das Kind kopiert somit die Handlungsmuster der Bezugsperson oder einer vertrauten Person, um seine Ziele zu erreichen. Wie Forschungen gezeigt haben, kann ein Säugling bereits in den ersten Lebenswochen die Mimik und Gestik nachahmen, da es das Verhalten reflektiert hat. Die zwischenmenschliche Reaktion seitens des Erwachsenen ist der wirksamste Verstärker, sowie die Interaktion. Nach Jean Piaget ist das kindliche Verhalten nicht auf den Bezug zum Erwachsenen zurückzuführen, sondern auf zufälliges Probieren und des Wachstums. Dies mag zum Teil richtig sein, da das Kind der Sprache mit einer Bereitschaft und Ordnung begegnet und gewisse Strukturen und Erfahrungen mit Neuem kombiniert und variiert. Das Kind versucht systematisch Bewältigungsstrategien zu (er-)finden. Der Erwerb von vorsprachlicher und sprachlicher Kommunikation findet hauptsächlich im strukturierten Rahmen statt, der immer von einem Erwachsenen gestaltet ist. Hier werden sprachliche Elemente und soziale Interaktion miteinander kombiniert, aber auch Gespräche interpretiert, um auf bestimmte Absichten zu zielen. Die Kombination von sprachlichen und nichtsprachlichen Situationen führt bei dem Kind zu einer Kommunikationsfähigkeit, die auch durch Regeln und Wirkungszusammenhängen entwickelt werden kann. Die Wahrnehmung des Kindes spielt aber auch eine wichtige Rolle, da es Unterschiede erkennen kann und diese auf andere Bereiche übertragen kann. Vier grundlegende kognitive Anlagen lassen sich wie folgt herauskristallisieren: Mittel-Zweck-Bereitschaft, Übertragbarkeit, Systematik und Abstraktheit.[64]

8.2 Von der vorsprachlichen Kommunikation zum Sprachgebrauch

Grundlegend für den Sprachgebrauch ist der gemeinsame Dialog zwischen dem Kind und seiner Bezugsperson, wobei das Kind anfangs nur nonverbale Mittel wie Mimik, Gestik und Blickkontakt in die Interaktion einbringen kann. Da das Kind aber eine kommunikative Absicht und ein enormes Mitteilungsbedürfnis hat, versucht es mit allen Mitteln auf sich aufmerksam zu machen. Diese Äußerungen werden von der Bezugsperson interpretiert und in dialogähnliche Strukturen einbezogen. In den ersten Lebensmonaten verfügt das Kind nur über minimale und undifferenzierte Mittel sich mitzuteilen, weshalb die Bezugsperson auf Interpretationshilfe angewiesen ist. Diese äußern sich begleitend bei den Aktivitäten wie beim Baden oder beim Stillen.[65] „Ein Dialog entwickelt sich, indem die Bezugspersonen dem Kind ihre Interpretationen der Äußerungen in Form entsprechender Reaktionen übermitteln. Das Kind kann den Interpretationen zustimmen, sie zurückweisen oder auf Modifikation beharren. Innerhalb dieses Prozesses werden die kindlichen Äußerungen sozialisiert und konventionalisiert; das Kind lernt, verschiedene Äußerungsformen zu differenzieren. Diese Lernerfahrungen führen dazu, daß (!)‚das Kind sich kommunikativ zu verständigen weiß, schon bevor es spricht‘.“[66]

Neben der kommunikativen Absicht ist eine strukturiere Handlungssituation wichtig, da Routine relevant für den Spracherwerb ist. In Spielsituationen werden erste Interaktionsmuster entwickelt, die Wechselseitigkeit, Rollentausch und Rollenübernahme, sowie das Einhalten von Regeln beinhaltet. Der Erwachsene oder die Bezugsperson verfolgt in diesen Spielsituationen ein bestimmtes Ziel und zwar, dass das Kind aus diesen Spielsituationen lernt und sich entwickelt –sprachlich sowie physisch. Diese vom Erwachsenen „ implizite Pädagogik“ bietet folgende Vorteile: neue Elemente können die bekannten Spielsituationen erweitern und aufwerten. Zum anderen versucht die Bezugsperson sich immer weiter zurückzuziehen, um dem Kind die aktive Rolle des Gestalters zu übergeben. Diese Situation bietet dem Kind die Möglichkeit ein besseres Sprachverständnis zu bekommen, welches auf den sprachlichen Austausch zwischen Erwachsenem und Kind zurückzuführen ist.[67]

Auch wenn das Kind noch nicht über eine ausgeprägte Kommunikationskompetenz verfügt, sollte das Zeigen auf einen Gegenstand, unterstützt von Lautäußerungen, einen Dialog herstellen können. Mit Hilfe des Dialoges können Wörter zur Bezeichnungsfunktion erweitert werden, auch wenn das Kind noch nicht in der Lage wäre, Gegenstände zu benennen oder zu beschreiben. „Daraus kann geschlossen werden, daß (!) die ersten kindlichen Benennleistungen weniger auf Imitation der sprachlichen Umgebung basieren, sondern vielmehr den kindlichen Versuch darstellen, auf kommunikativen Absichten der Bezugsperson zu reagieren.“[68] Bislang hat sich gezeigt, dass neben diesen Kriterien der A npassungsprozess seitens des Kindes und des Erwachsenen wichtig ist, damit das Kind an den Spielsituationen teilnehmen kann. Die Bezugsperson passen sich den kindlichen Möglichkeiten an, damit der Entwicklungsstand und der Lernfortschritt sichtbar werden. Das Kind zeigt somit auf, wie weit der Erwachsene sich dem kindlichen Sprachgebrauch anpassen muss, damit es nicht unter- oder überfordert ist. Oftmals entwickeln die Eltern einen Sprachstil, der unter dem Begriff „Baby-talk“ gekennzeichnet ist. Dieser wird zwar oft verwendet, da er Vereinfachungen und Verdeutlichungen kennzeichnet, ist in der Regel aber nicht nötig. Der Erwachsene sollte also sich dem Entwicklungsstand des Kindes anpassen und nicht Rücksicht auf das Alter nehmen. Lediglich der Sprachgebrauch und der Umgang damit ist entscheidend, welchen Sprachstil das Elternteil oder die Bezugsperson verwenden sollte.[69]

[...]


[1] Vgl. Gabriela, Scherer; Volz, Steffen: zeitgenössische Bilderbücher, S.109-113.

[2] Gabriela, Scherer; Volz, Steffen: zeitgenössische Bilderbücher, S.120.

[3] Vgl. Ritter, Alexandra; Ritter, Michael: Schnipselgestrüpp, S.126-133.

[4] Vgl. Ritter, Alexandra; Ritter, Michael: Schnipselgestrüpp, S.137-144.

[5] Vgl. Albers, Timm: Das Bilderbuchbuch, S.19.

[6] Albers, Timm: Das Bilderbuchbuch, S.21.

[7] Ebd.

[8] Vgl. BAG: Definition.

[9] Vgl. Thiele, Jens: Bilderbuchästhetik, S.11.

[10] Vgl. Kruse, Iris: Fragwürdiges Bilderbuch, S.7.

[11] Kruse, Iris: Fragwürdiges Bilderbuch, S.7.

[12] Vgl. Kruse, Iris: Fragwürdiges Bilderbuch, S.10.

[13] Albers, Timm: Bilderbuchbuch, S.17.

[14] Albers, Timm: Bilderbuchbuch, S.19.

[15] Vgl. Ebd.

[16] Vgl. Paradisi-Redaktion: Bilderbucharten [online].

[17] Vgl. Albers, Timm: Bilderbuchbuch, S.25-27.

[18] Vgl. Kruse, Iris: Fragwürdiges Bilderbuch, S.53.

[19] Vgl. Kruse, Iris: Fragwürdiges Bilderbuch, S.17.

[20] Vgl. Kruse, Iris: Fragwürdiges Bilderbuch, S.65-66.

[21] Thedens, Katrin: Sichtbares in Bilderbüchern, S.151.

[22] Vgl. Ebd.

[23] Vgl. Kruse, Iris: Fragwürdiges Bilderbuch, S.17.

[24] Vgl. Dammann-Thedens, Katrin: Sichtbares in Bilderbüchern, S.151-154.

[25] Vgl. Dammann-Thedens, Katrin: Sichtbares in Bilderbüchern, S.167.

[26] Schäfer, Gerd: Aisthetisches Denken, S.32-33.

[27] Vgl. Deppner, Martin Roman, kindlicher Identitätsformung,S.148.

[28] Vgl. Schäfer, Gerd: Aisthetisches Denken, S.31-35.

[29] Vgl. Hurrelmann, Bettina: Bilder. Bücher. - Bilderbücher!, S.6-10.

[30] Albers, Timm: Bilderbuchbuch, S.9.

[31] Vgl. Schlinkert, Heinz: Bilderbuchbetrachtung.

[32] Vgl. Albers, Timm: Bilderbuchbuch, S.25.

[33] Vgl. Albers, Timm: Bilderbuchbuch, S.11-13.

[34] Albers, Timm: Bilderbuchbuch, S.13.

[35] Fischer, Rebecca: gutes Bilderbuch.

[36] Schlinkert, Heinz: Methodik Bilderbuchbetrachtung.

[37] Thüringer Literaturrat: Erzählen und Vorlesen [online].

[38] Vgl. Gründler, Elisabeth C.: Erzählen.

[39] Vgl. Koerber, Susanne: Entwicklungspsychologie, S.40f.

[40] Vgl. Ebd. S.41.

[41] Fahle, Manfred: Hirnforschung, S.48.

[42] Vgl. Fahle, Manfred: Hirnforschung, S.48-69.

[43] Vgl. Koerber, Susanne: Entwicklungspsychologie, S.31-46.

[44] Koerber, Susanne: Entwicklungspsychologie, S.39.

[45] Vgl. Belgrad, Jürgen: Lernraum Vorlesen, S.20.

[46] Vgl. Ebd., S.20-21.

[47] Vgl. Wieler, Petra: Vorlesen in der Familie, S.14.

[48] Vgl. Belgrad, Jürgen: Lernraum Vorlesen, S21.

[49] Vgl. Belgrad, Jürgen: Lernraum Vorlesen, S.21.

[50] Vgl. Ebd., S.21-22.

[51] Vgl. Belgrad, Jürgen: Lernraum Vorlesen, S.22.

[52] Trischler, Franziska: Lernraum Vorleser/in, S.46.

[53] Vgl. Trischler, Franziska: Lernraum Vorleser/in, S.46.

[54] Vgl. Trischler, Franziska: Lernraum Vorleser/in, S.46-47.

[55] Vgl. Ebd., S.46.

[56] Vgl. Trischler, Franziska: Lernraum Vorleser/in, S. 42-62.

[57] Vgl. Ebd., S.42.

[58] Vgl. Trischler, Franziska: Lernraum Vorleser/in, S.49-52.

[59] Koerber, Susanne: Entwicklungspsychologie, S.39.

[60] Vgl. Koerber, Susanne: Entwicklungspsychologie, S.39.

[61] Vgl. Kraus, Karolina: Dialogisches Lesen, S. 109-129

[62] Erikson, E.H. : Identität und Lebenszyklus, S.142-143.

[63] Vgl. Bruner, Jerome: Wie das Kind sprechen lernt, S.13-15.

[64] Vgl. Bruner, Jerome: Wie das Kind sprechen lernt, S.17-24.

[65] Vgl. Kolonko, Beate, Spracherwerb, S.45.

[66] Kolonko, Beate: Spracherwerb, S.46.

[67] Vgl. Ebd., S.46-49.

[68] Kolonko, Beate: Spracherwerb, S.51.

[69] Vgl. Kolonko, Beate: Spracherwerb, S.50-52.

Ende der Leseprobe aus 95 Seiten

Details

Titel
Der Einfluss des Betrachtens und des Vorlesens von Bilderbüchern auf den Spracherwerb bei Kindern
Hochschule
Universität Vechta; früher Hochschule Vechta
Note
2,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
95
Katalognummer
V434670
ISBN (eBook)
9783668765689
ISBN (Buch)
9783668765696
Dateigröße
834 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pädagogik, Spracherwerb, Einfluss von Literatur, Kinderentwicklung, Wortschatz, Einfluss von Bilderbuchbilder, Vorlesen eines Bilderbuches, Vorlesen, Bedingungen um Sprache zu erwerben, Leseförderung durch Vorlesen, Vorlesestudie 2015, Forschung, Forschungsmethoden, Literacy, Wimmelbücher
Arbeit zitieren
Jana Meyer (Autor:in), 2016, Der Einfluss des Betrachtens und des Vorlesens von Bilderbüchern auf den Spracherwerb bei Kindern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/434670

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