Die Benachteiligung der Jungen im Schulverlauf


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

25 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Statistische Befunde zur Jungenkrise

3 Ausgewählte Erklärungsansätze
3.1 In Anlehnung an das biologische Geschlecht „sex“
3.2 In Anlehnung an das soziale Geschlecht „gender“
3.2.1 Geschlechtsspezifische Sozialisation
3.2.2 Selbstkonzept
3.2.3 Feminisierung des Lehrpersonals
3.2.4 Peer-Group
3.2.5 Medienkonsum

4 Fazit

1 Einleitung

Noch vor wenigen Jahrzehnten symbolisierte das von Dahrendorf (1965) und Peisert (1967) geschaffene Bild des »katholischen Arbeitermädchens vom Lande« sämtliche benachteiligten Gruppen des deutschen Schulsystems. Inwiefern die soziale Herkunft und Religion schon damals und noch immer einen Einfluss auf den individuellen Bildungserfolg nehmen, soll hier nicht weiter von Belang sein. Relevant für die wissenschaftliche Arbeit zum Thema „Die Benachteiligung der Jungen im Schulverlauf“ ist der Verweis auf die Geschlechterkomponente dieser fiktiven Kunstfigur. Denn entgegen der heutigen Umstände, die auf eine mögliche „Jungenkrise“ im Bildungssystem hindeuten, galten lange Zeit die Mädchen als die primären Bildungsverlierer, da ihnen noch bis in die 1960er Jahre höhere Bildung größtenteils verwehrt blieb (vgl. Brake & Büchner, 2012, S.179; Helbig, 2012, S. 15). Dies mochte daran liegen, dass zur damaligen Zeit das traditionelle Familienmodell großen Zuspruch fand, in dessen Rahmen die Männer die Rolle des Ernährers einnahmen und den Frauen die Rolle als Hausfrau und Mutter zufiel. Dementsprechend sinnvoll schien es im Hinblick auf diese herkömmliche Rollenverteilung, dass insbesondere dem männlichen Geschlecht Zugang zu höherer Bildung ermöglicht werden sollte, während eine weiterführende Bildung für Hausfrauen als unnötig erachtet wurde (vgl. Brake & Büchner, 2012, S.198).

Doch seit Beginn der Bildungsexpansion ab Mitte der 1960er Jahre hat es den Anschein, dass sich ein seit vielen Generationen etabliertes soziales Stratifikationsmuster schrittweise umgekehrt hat: „Die ehemals im Schulsystem benachteiligten Mädchen sind heute erfolgreicher als die Jungen“ (Helbig, 2012, S.15). Im Zuge dieser Entwicklung wandelte sich die allgemeinhin bekannte Kunstfigur des »katholischen Arbeitermädchens vom Lande« hin zum »muslimischen Migrantensohn aus der Großstadt«. Abermals ausschließlich auf die Geschlechterkomponente bezogen, deutet sich hierdurch an, dass sich das deutsche Schulsystem zuungunsten der zuvor privilegierten Jungen verändert hat (vgl. Helbig, 2012, S.15f).

In welchem Ausmaß sich die Geschlechter hinsichtlich ihres Schulerfolges heutzutage unterscheiden, soll im Anschluss an diese Einleitung dargestellt werden.

Im Hauptteil werden verschiedene, ausgewählte Erklärungsansätze für die aufgeführten statistischen Befunde zur Jungenkrise veranschaulicht und anhand von Studien bewiesen, bzw. widerlegt. Zunächst werden sie jedoch in die verschiedenen Disziplinen (Naturwissenschaften, Sozial- und Humanwissenschaften) eingeordnet, welche sich entweder auf das biologische Geschlecht „sex“ oder, aber auf das soziale Geschlecht „gender“ beziehen. Abschließend sollen im Fazit nochmals grob die tatsächlichen Gründe für die Leistungsdifferenzen zwischen Mädchen und Jungen dargestellt und ein möglicher Lösungsvorschlag vorgestellt werden.

2 Statistische Befunde zur Jungenkrise

Die aktuelle Datenlage aus dem Schuljahr 2014/15 beschreibt folgendes Bild: Zwar wurden an Grundschulen vergleichsweise ebenso viele Mädchen (48,6%) wie Jungen (51,4%) eingeschult, doch wirft man einen genaueren Blick auf die Auswertungen des Statistischen Bundesamtes zeigt sich, dass unter den vorzeitig eingeschulten Schülerinnen und Schülern hauptsächlich das weibliche Geschlecht stark vertreten ist, wohingegen Jungen öfter verspätet in die Grundschule eintreten (vgl. Tabelle 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Einschulungen im Schuljahr 2014/15 (Statistisches Bundesamt 2016)

Im Übertritt aus dem Primärbereich in die Sekundarstufe 1 zeigt sich eine ähnlich verteile Bildungsbeteiligung der beiden Geschlechter. Seit der Bildungsexpansion verschieben sich die Geschlechterverhältnisse in allgemeinbildenden Schulen sukzessiv zugunsten der Mädchen, die mittlerweile mit einem mehrheitlichen Anteil von 52% an Gymnasien vertreten sind. Ein weiterer Blick auf zusätzlich ausgewählte Schularten der Sekundarstufe 1 soll die These der heutigen Bildungsbenachteiligung des männlichen Geschlechts untermauern: Während die Geschlechterquote in Realschulen in der Regel zwar ausgeglichen ist (Mädchen: 49,1% Jungen: 50,9%), finden sich mit 56,5% mehr Schüler als Schülerinnen an den Hauptschulen. An den Sonderschulen dominieren die Jungen im bundesdeutschen Durchschnitt sogar mit einem Anteil von etwa 64% (vgl. Malecki, 2016; Stürzer, 2003, S.89).

Des Weiteren besuchen Jungen nicht nur seltener weiterführende Schulen die einen höheren Bildungsabschluss versprechen, sie müssen außerdem vergleichsweise häufiger eine Klasse im Verlauf ihrer Schullaufbahn wiederholen (Mädchen: 1,8% Jungen: 2,8%). Dieser Unterschied mag zwar nur geringfügig sein, dennoch weist er auf schwächere Schulleistungen und infolgedessen auf eine mögliche Benachteiligung des männlichen Geschlechts hin (vgl. Malecki, 2016; Stürzer, 2003, S.86f).

Bezüglich ihrer Leistungen in den verschiedenen Schulfächern ist davon auszugehen, dass beide Geschlechter ihre Schulzeit mit vergleichbaren kognitiven Voraussetzungen beginnen. Dies hat zur Folge, dass sich geschlechtsspezifische Erfolge und Vorlieben, insbesondere in den Fächern Mathematik und Deutsch, erst im Schulverlauf entwickeln. Bereits in der Grundschule zeigt sich jedoch über alle Jahrgänge hinweg die durchschnittliche Überlegenheit der Mädchen im Fach Deutsch, „während sich in der Mathematik […] insgesamt keine substanziellen geschlechtsbezogenen Differenzen in den Noten abzeichnen“ (Stürzer, 2003 S.92) (vgl. Stürzer, 2003, S.91f).

Zwar wandelt sich dieses Bild in der Sekundarstufe 1 dahingehend, dass die Mathematikleistungen im bundesweiten Vergleich nun meist zugunsten der Jungen ausfallen, doch zeigt sich dessen ungeachtet weiterhin ein genereller Vorsprung der Mädchen im gesamten Schulverlauf, insbesondere im Hinblick auf die Lesekompetenz. In fast allen Ländern, die im Rahmen der PISA-Studie untersucht werden, zeigen sich diesbezüglich deutliche Differenzen zugunsten der Schülerinnen. Sogar hinsichtlich der mathematischen Kompetenzen fallen die Differenzen nicht durchgängig zum Vorteil der männlichen Schülerschaft aus. „Deutschland gehört zu der knappen Hälfte der Teilnehmerstaaten, in denen in der PISA-Studie eine signifikante Differenz in der mathematischen Grundbildung zugunsten der Jungen festgestellt wurde“ (Stürzer, 2003, S.109) (vgl. Mammes, 2009, S.37).

Trotz der beobachtbaren Leistungsrückstände der Jungen in den letzten Jahrzehnten, wurden bisher kaum Maßnahmen zur Verbesserung der derzeitigen Situation ergriffen. Doch bevor Lösungsansätze für diese Problematik erörtert werden können, gilt es zunächst die Ursachen dieser Bildungsbenachteiligung des männlichen Geschlechts im Schulalltag zu ermitteln.

3 Ausgewählte Erklärungsansätze

Verschiedene Disziplinen, wie unter anderem die Medizin, die Neurobiologie, die Psychologie, die Pädagogik, ebenso wie die Soziologie, beschäftigen sich heute mit der Fragestellung, wie sich eine solche Benachteiligung der Jungen im Schulsystem entwickeln konnte. Im Rahmen aktueller Forschungen bezüglich der Geschlechter im schulischen Kontext, versuchen sie die Ursachen der bereits aufgeführten Unterschiede zu erklären. Hierbei ist zwischen den Erklärungsansätzen im Hinblick auf das biologische Geschlecht „sex“ und denen des sozialen Geschlechts „gender“ zu unterscheiden, die von den jeweils unterschiedlichen Fachbereichen aufgestellt und auf ihre Gültigkeit geprüft werden.

3.1 In Anlehnung an das biologische Geschlecht „sex“

Biologische Erklärungen geschlechtstypischer Unterschiede hinsichtlich der kognitiven Fähigkeiten entstehen in der Regel aus den naturwissenschaftlichen Disziplinen heraus. Im Gegensatz zu den Human- und Sozialwissenschaften, führen Mediziner und Neurobiologen die Differenzen zwischen Jungen und Mädchen auf das biologische Geschlecht „sex“ zurück, welches die physischen Erscheinungsformen der beiden Geschlechter in den Mittelpunkt stellt. Dabei muss zur Kenntnis genommen werden, „dass das Geschlecht [aus dieser Sichtweise heraus] nicht erst durch einen Akt sozialer Konstruktion erschaffen wird, sondern [von Geburt] an schon Weichen stellt, die [den Menschen bedingt durch seine anatomischen Attribute] in eine naturgegebene Polarisation gleiten [lässt]“ (BischofKöhler, 2011, S.105) (vgl. Helbig, 2012, S.102; Mammes, 2009, S.38).

Demnach sind die schulischen Leistungsdifferenzen zwischen Schülerinnen und Schülern laut Helbig (2012) auf geschlechtstypische Unterschiede des Gehirns, des Hormonsystems und der Reifungsgeschwindigkeit zurückzuführen, da ebendiese Elemente des menschlichen Körpers sowohl die kognitiven Fähigkeiten, als auch die Intelligenz eines Menschen maßgeblich beeinflussen können (vgl. Helbig, 2012, S.102).

So geht die Forschung von der sogenannten Lateralitätshypothese aus, um die geschlechtstypischen Unterschiede der Hirnstruktur von Mädchen und Jungen zu erklären. Diese besagt, „dass Frauengehirne stärker beide Gehirnhälften zur Aufgabenlösung benutzen (Symmetrie, Bilateralität), wohingegen Männergehirne je nach Aufgabe stärker nur die eine oder andere Seite beanspruchen (Asymmetrie, Lateralität)“ (Helbig, 2012, S.102). Mittels dieser ungleichen Nutzung beider Gehirnhälften will die Wissenschaft die Fähigkeitsunterschiede der beiden Geschlechter begründen. Dabei ist davon auszugehen, dass aus einer stärker einseitigen Gehirnnutzung bessere Fähigkeiten im räumlichen und mathematischen Denken entstehen, während der Gebrauch beider Gehirnhälften dem sprachlichen Verständnis dient (vgl. Helbig, 2012, S.102).

Tatsächlich lieferten einige Studien, wie etwa die von Shaywitz et al. (1995), Ergebnisse, die auf eine beidseitige Sprachverarbeitung beim weiblichen Geschlecht und auf eine eher linksseitige Aktivierung beim männlichen Geschlecht hinweisen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die Benachteiligung der Jungen im Schulverlauf
Note
1,0
Jahr
2017
Seiten
25
Katalognummer
V434085
ISBN (eBook)
9783668756151
ISBN (Buch)
9783668756168
Dateigröße
789 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bildungsverlierer, Benachteiligung, Jungen, Schule, Geschlechtsunterschiede, Selbstkonzept, Bildungsungleichheit, Gender, Soziales Geschlecht
Arbeit zitieren
Anonym, 2017, Die Benachteiligung der Jungen im Schulverlauf, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/434085

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