Eine Untersuchung zu Schnitzlers 'Leutnant Gustl' aus psychoanalytischer Sicht


Hausarbeit, 2002

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Freud und Schnitzler – Doppelgänger oder Kontrahenten?

2. Charakteristik Gustl´s
2.1 Die Rolle der Familie
2.2 Die Rolle des Militärs
2.3 Die Rolle des Duellwesens
2.4 Gustls Begehren

3. Innerer Monolog – Sprache des Unbewussten?

4. Gustl als Hysteriker

Nachwort

Literaturverzeichnis

Einleitung

„Die alte Psychologie hat die Resultate der Gefühle, wie sie sich am Ende im Bewusstsein ausdrücken, aus dem Gedächtnis gezeichnet; die neue zeichnet die Vorbereitungen der Gefühle, bevor sie sich noch ins Bewusstsein hinein entschieden haben.“[1]

Dies schrieb Bahr 1891 und schuf damit die theoretische Basis für das Schaffen von Arthur Schnitzler, der neun Jahre später seinen „Leutnant Gustl“ veröffentlichen sollte. Schnitzler absolvierte ein Medizinstudium, welches er mit der Promotion abschloss und wandte sich der Literatur zu. Auf beiden Gebieten faszinierte ihn die Auseinandersetzung mit dem Inneren der Menschen, den seelischen Befindlichkeiten. Kurz vor dem Schreiben der Skizzen zu seiner meisterlichen Erzählung befasste er sich intensiv mit der „Traumdeutung“ Freuds.

„Die „Ich – Form“ reicht also nicht mehr aus, weil sie das Nervöse gerade weglässt, und die fachmännische „Ich – Form“ kann höchstens eine Not – Unterkunft gewähren, bis dem Bedürfnisse eine verlässlichere Heimstätte gesichert ist. Diese gilt es. Diese Methode, das Unbewusste auf den Nerven, in den Sinnen, vor dem Verstande, zu objektivieren, verlangt das ganze Geschrei nach der neuen Psychologie.“[2] Es kam Schnitzler darauf an, von seinem „Leutnant Gustl“ ein Bewusstseinsprotokoll anzufertigen. Er legte durch Erweiterung und Ausbau der Versuche Dujardins und Garsins eine Erzählform vor, die als „literarisches Psychogramm"[3] bezeichnet werden kann: den Inneren Monolog.

Es fasziniert mich, Einblick in ein literarisches Werk zu bekommen, in dem neben der meisterlichen Erzählkunst Aspekte aus der Anfangsphase der Psychoanalyse um 1900 zu finden sind. Das Werk ist weder nur ein literarisches, noch ein vollkommen wissenschaftliches. Beides ergänzt sich zu einer bemerkenswerten literarischen Arbeit mit wissenschaftlichen Elementen.

Ziel dieser Arbeit soll es deshalb sein, das Werk aus beiden Blickwinkeln zu betrachten. Im ersten Teil wird das Verhältnis von Schnitzler und Freud untersucht, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufdecken zu können. Die darauf folgende Charakteristik der Hauptfigur des Werkes stellt im Überblick den heutigen Forschungsstand zum „Leutnant Gustl“ dar und geht auf die sozialen Systeme, die Familie und die Armee ein, mit denen Gustl fest verbunden ist. Daraufhin wird kurz der innere Monolog näher beleuchtet.

Als besonders interessant erscheint die Frage, in wie weit Gustl als Hysteriker gesehen werden kann. Es werden neue Thesen entwickelt und auf ihre Brauchbarkeit untersucht.

Ein Nachwort fasst die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit zusammen und gibt einen Ausblick.

1. Freud und Schnitzler – Doppelgänger oder Kontrahenten?

Die Gemeinsamkeiten von Freud und Schnitzler begrenzen sich nicht allein darauf, dass sie beide ungefähr zur gleichen Zeit gelebt haben, dass sie beide Juden waren und dazu Bürger und stolze Individualisten. Der Psychologe Freud, der in seinem Schaffen, welches eher therapeutisch angelegt war, aber durchaus auch dichterische Elemente erkennen ließ, hielt viel von dem Dichter Schnitzler, der seinerseits auch ein Medizinstudium abschloss. So schrieb er Schnitzler zu seinem 60. Geburtstag: ‚Ich meine, ich habe Sie gemieden aus einer Art von Doppelgängerscheu.[...] ich habe immer wieder, wenn ich mich in ihre schönen Schöpfungen vertiefe, hinter deren poetischem Schein die nämlichen Voraussetzungen, Interessen und Ergebnisse zu finden geglaubt, die mir als die eigenen bekannt waren. [...] das alles berührte mich mit einer unheimlichen Vertrautheit...Ja, ich glaube, im Grunde Ihres Wesens sind Sie ein psychologischer Tiefenforscher, so ehrlich unparteiisch und unerschrocken wie nur je einer war‘[4].

Auch wenn Schnitzler der Meinung war, dass die Psychoanalyse an sich nicht neu sei, wohl aber Freud, verfolgte er die Entwicklungen in der Psychoanalyse intensiv und interessiert. „Das Problem psychischer Belastung, hysterischer und selbstzerstörerischer Phänomene war ein Thema, das den von Hypochondrie und Melancholie selbst immer wieder heimgesuchten jungen Arzt faszinierte...“[5].

Schnitzler kam schon früh in Kontakt mit der Psychoanalyse Freuds. Es dürfte stimmen, dass er der Protokollführer der Sitzung vom 15. Oktober 1886 gewesen ist, in der Freud über Charcots Gedanken „Über männliche Hysterie“ referierte.[6] Über dieses Thema wird in der Arbeit noch eingegangen werden müssen.

Begriffe wie Liebe und Tod, also Eros und Thanatos, bildeten zentrale Themen in dem Schaffen beider Männer: sowohl in dem psychoanalytischen Diskurs Freuds wie in dem dichterischen Schaffen Schnitzlers. Auch die Traumdeutung von Freud inspirierte Schnitzler so sehr, dass er damit begann, seine eigenen Träume zu interpretieren.[7]

Schon hier zeigt sich das erste Auseinanderdriften der Meinungen. Freud verteidigte Thesen über unterbewusste Gedanken, welche nur der Therapeut vorsichtig an die Oberfläche bringen kann, Schnitzler vertrat die These: ‚Was das Ich nicht finden kann, ist unwiderruflich verloren.‘[8] Er traute es keinem noch so guten Psychoanalytiker zu, Dinge zu Tage zu fördern, die er nicht selbst von den dunklen Mächten holen konnte. Den vorbewussten Bereich, wie ihn Freud nannte, nannte er Mittelbewusstsein. Reik, einem Anhänger und Schüler Freuds, Sekretär der Wiener Psychologischen Gesellschaft‚ schrieb Schnitzler: ‚nach dem Dunkel der Seele gehen mehr Wege...als die Psychoanalytiker sich träumen und traumdeuten lassen.[...] Und gar oft führt ein Pfad noch mitten durch die erhellte Innenwelt, wo sie (die Psychoanalytiker) – und Sie allzu früh ins Schattenreich abbiegen zu müssen glauben.‘[9]

Das Mittelbewusstsein stellt für ihn sehr wohl einen Bereich dar, dessen Inhalte durch einen voluntaristischen Akt vom Ich selbst wieder an die Oberfläche gebracht werden können. Deshalb erliegen viele seiner dichterischen Figuren dem Selbstbetrug, da sie sich einreden, sich an diese Dinge im Mittelbewusstsein nicht mehr erinnern zu können. Für Freud scheint dem gegenüber festzustehen, dass das Verdrängte tatsächlich allein nicht mehr aktualisiert werden könne, da der Widerstand des Ichs bei der Selbstanalyse zu groß sei.[10] Beide bestätigen aber grundsätzlich die These der Verdrängung.

Reik, der 1913 eine Monographie über Schnitzler schrieb, liest Schnitzlers Werke so, als ob Schnitzler sich alle Verbrechen, die die Figuren begehen, selbst gewünscht hätte. Für ihn sitzt der Autor auf der Anklagebank; er liefert durch das Werk hindurch Geständnisse und der Psychoanalytiker, hier also Reik, ertappt ihn quasi „in flagranti“. Kein Wunder, dass sich Schnitzler dagegen verwahrte, dass seine Schöpfungen als psychoanalytisches Lehrbuch aufgefasst und missdeutet wurden.

Für Freud und Schnitzler stellte aber die Suche nach verloren gegangenen Erinnerungen keine aufregende Jagd dar, sondern mühsame Arbeit. Das Gefundene bezeichnen sie als kostbar und schön, es sind nicht nur Peinlichkeiten, die aufgedeckt werden. Erinnerungen dienen ihrer Meinung nach als Energiereservoir der Kreativität, als Therapeutikum neurotischer Störungen und somit als Grundlage künstlerischer Produktion.[11] Beide verglichen interessanterweise ihre Arbeit oft mit der Metapher der Archäologie. Es dient als Gleichnis für die Aufdeckung des Unbewussten, hat aber bei Schnitzler auch immer die Funktion der Analogie zur eigenen Schreibarbeit: Schritt für Schritt durchforscht er für sich allein die Vergangenheit seiner Seele.

Bemerkenswert scheint zu sein, dass obwohl Freud seine Maßstäbe in der klassischen Literatur hat und Schnitzlers Schaffen trotz psychologischem Raffinement diesen nicht gerecht werden kann, beide sich immer wieder an entscheidenden Punkten einig sind. Für den „Leutnant Gustl“ scheint es deshalb wichtig zu erwähnen, dass beide Männer die These der Ambivalenz vertraten. Sie gehen davon aus, dass es grundsätzlich möglich ist, dass eine Figur eine andere gleichzeitig liebt und hasst.[12]

2. Charakterisierung Gustls

2.1 Die Rolle der Familie

Schnitzler liebte wie viele Autoren in dieser Zeit eine methaphorisch typisierte Namensgebung. Und so ist es nicht verwunderlich, dass er auch seinem Titelhelden einen Namen mit auf den Weg gab, der im engeren Sinne kein Name ist, sondern die Figur schon als Typ charakterisiert. „Gustl“ heißt er, was sogleich an den Typus des törichten oder dummen August mit all seinen negativen Attributen erinnert. Er gehört zum Genre des „Wurstels“, der in seinem Leben nicht viel Positives auf die Beine stellen kann. Eigentümlich ist, dass Gustl keinen Familiennamen zu haben scheint, was darauf hinweisen soll, dass jeder beliebige junge Mann mit Gustl gemeint sein könnte. Auf der anderen Seite kann Gustl auch als Frauenname interpretiert werden. Auf diesen Gesichtspunkt wird unter dem Aspekt „Gustl als Hysteriker“ noch genauer einzugehen sein.

Es handelt sich keines Falls um eine Individualbenennung, vielmehr dient der Name als Etikett. Schon hier wird deutlich, wie unpersönlich die Figur dargestellt wurde. In welche Familiensituation aber hat ihn Schnitzler gesetzt?

„Der Papa und die Mama und die Klara...Ja, ich bin halt der Sohn, der Bruder...Aber was ist denn weiter zwischen uns? Gern haben sie mich ja – aber was wissen sie denn von mir? – Daß ich meinen Dienst mach`, daß ich Karten spiel` und daß ich mit Menschern herumlauf`...aber sonst?“[13]

[...]


[1] Bahr: Zur Überwindung des Naturalismus. Theoretische Schriften 1887 – 1904. Stuttgart/ Berlin/ Köln/ Mainz. 1968. 57 – 60 in: Polt – Heinzl: Arthur Schnitzler. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 2000. 32

[2] ebd. 34

[3] Zmegac (Hrsg.): Geschichte der deutschen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Band II/ 2. Weinheim. 1995. 302

[4] zit. nach: Rattner/Danzer: Österreichische Literatur und Psychoanalyse. Würzburg. 1997. 71

[5] Baumer: Arthur Schnitzler. Berlin. 1992. 36

[6] ebd. 39

[7] vgl.: ebd. 68

[8] zit. nach: Fliedl: Arthur Schnitzler: Poetik der Erinnerung. Wien. Köln. Weimar. 1987. 29

[9] zit. nach: ebd. 72.

[10] vgl.: ebd. 463ff.

[11] vgl.: Fliedl. 455

[12] vgl. ebd. 458

[13] Schnitzler: Leutnant Gustl. Frankfurt am Main. 2001. 32

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Eine Untersuchung zu Schnitzlers 'Leutnant Gustl' aus psychoanalytischer Sicht
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Neuere Deutsche Literatur)
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
22
Katalognummer
V43386
ISBN (eBook)
9783638412001
ISBN (Buch)
9783640319183
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In dem zwischen Literatur und Wissenschaft oszillierenden Werk zeigt der Innere Monolog ein Bewusstseinsprotokoll Gustls. Dieses sowie das Verhältnis Freud - Schnitzler (Doppelgänger oder Kontrahenten) werden beleuchtet. Weiterhin wird die Rolle des Militärs, des Duellwesens und Gustls Familie untersucht um zu diskutieren, welches (sexuelle) Begehren Gustl hat. Es wird der These nachgegangen, ob Gustl ein männlicher Hysteriker ist.
Schlagworte
Eine, Untersuchung, Schnitzlers, Leutnant, Gustl, Sicht
Arbeit zitieren
Juliane Schreck (Autor:in), 2002, Eine Untersuchung zu Schnitzlers 'Leutnant Gustl' aus psychoanalytischer Sicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43386

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