Generationengerechtigkeit und rentenpolitische Reformen


Seminararbeit, 2009

57 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einführung

2 Aufbau der gesetzlichen Alterssicherung und Finanzierungsproblematik

3 Ursachen der Probleme der gesetzlichen Alterssicherung
3.1 Der demographische Wandel
3.2 Entwicklungen und Gegebenheiten am Arbeitsmarkt

4 Reformen der gesetzlichen Alterssicherung
4.1 Reformen in den 90er Jahren
4.2 Reform 2001 - AVmG
4.3 Reform 2004 – RV-Nachhaltigkeitsgesetz und AEG
4.3.1 RV-Nachhaltigkeitsgesetz
4.3.2 Alterseinkünftegesetz
4.4 Reform 2007 – Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters

5.1 Klärung des Begriffs hinsichtlich seines Kontextes
5.2 Interpretation des Begriffs Generationengerechtigkeit
5.3 Indikatoren zur Messung von Generationen(un)gerechtigkeit
5.3.1 Interne Rendite
5.3.2 Implizite Einkommensteuer
5.3.3 Generationenbilanzen
5.3.4 Vergleich der Indikatoren
5.4 Probleme und Einschränkungen der Indikatoren
5.5 Zur Konzeptionalisierung des Begriffs Generationengerechtigkeit
5.6 Eigene Stellungnahme

6 Weiter zu erachtende Maßnahmen (für mehr Generationengerechtigkeit durch finanzielle Stabilisierung)
6.1 Anhebung des Bundeszuschusses – stärkere Steuerfinanzierung
6.2 Anpassung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung
6.3 Förderung von Zuwanderung
6.4 Förderung von Kindererziehenden in der gesetzlichen Alterssicherung
6.5 Erhöhung der Erwerbsbeteiligung und Ausbildungsinvestitionen
6.6 Übergang in ein System der Mindestsicherung durch eine Grundrente
6.7 Umstieg in eine kapitalgedeckte gesetzliche Alterssicherung
6.8 Kurzes Resümee

7 Kritische Auseinandersetzung mit den Rentenreformen unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit
7.1 Reformschritte im Sinne des Prinzips der Beitragssatzstabilität
7.2 Einschränkende Bestimmungen und diskretionäre Maßnahmen
7.3 Polit-ökonomischer Ansatz
7.4 Bedeutung von Glaubwürdigkeit, Informationspolitik und Transparenz

8 Fazit

9 Literatur

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Grundprinzip der umlagefinanzierten GRV

Abbildung 2: Zusammengefasste Geburtenziffer bis zum Jahr 2050

Abbildung 3: Entwicklung der Bevölkerungszahl in Deutschland

Abbildung 4: Entwicklung der Lebenserwartung 60-jähriger seit 1871/1881

Abbildung 5: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland

Abbildung 6: Formel zur Berechnung des aktuellen Rentenwertes (ARW)

Abbildung 7: Rentenversicherung – Ungerechtigkeitsempfinden nach Alter

Abbildung 8: GRV Schwankungsreserve verschwindet

1 Einführung

Die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland ist durch eine Situation starker finanzieller Anspannung gekennzeichnet. Verschiedene Entwicklungen haben dazu geführt und führen weiterhin dazu, dass die Einnahmen in die Rentenkasse gegenüber den Ausgaben relativ zurückgehen. (Blome et al. 2008: 317). Aufgrund dessen sieht sich die Politik zu Reformmaßnahmen gezwungen. Zudem wird die Gerechtigkeit zwischen den Generationen in Frage gestellt, da gleichfalls zukünftigen Rentnern geringere Rentenleistungen in Aussicht stehen, als der heutigen Rentnergeneration zukommen. (Dallinger/Liebig 2004: 97f.). Die Rentenpolitik hat somit die Aufgabe, sowohl der sich verschlechternden finanziellen Situation der GRV zu entgegnen als auch für einen gerechten Ausgleich zwischen den Generationen zu sorgen.

Hieran soll dieser Text ansetzen, indem dieser fragt, inwieweit die derzeitige Rentenpolitik mit dem Grundsatz oder Ziel der Schaffung von mehr oder Aufrechterhaltung von bestehender Generationengerechtigkeit vereinbar ist. Des Weiteren sollen Maßnahmen diskutiert werden, welche die Rentenversicherung für die Zukunft sattelfester machen, wodurch zukünftige Generationen wieder mehr aus der Rentenversicherung herausbekommen können.

Um für diese Analyse eine Basis zu haben, ist es notwendig, sich die Ausgestaltung und Prinzipien der GRV und der deutschen Alterssicherung im Allgemeinen zu vergegenwärtigen. Daher führt die Arbeit zu Beginn in den Aufbau der GRV ein, um daran anschließend anhand der Determinanten der Rentenformel und damit der Ein- und Ausnahmeseite der GRV in die Finanzierungsproblematik überzuleiten. Um die Finanzierungsschwierigkeiten des gesetzlichen Rentenhaushalts jedoch umfassender zu verstehen, müssen die Ursachen bekannt sein, welche zu der finanziell angespannten Situation geführt haben und auch gegenwärtig und in der Zukunft hierfür verantwortlich sind. Daher werden diese im nachfolgenden Abschnitt aufgezeigt.

Die Politik sah sich aufgrund deren Wirkungen auf die gesetzliche Rentenversicherung zum Handeln gezwungen und hat durch mehrere Reformmaßnahmen in den vergangenen Jahren hierauf reagiert. Diese werden daher zunächst vorgestellt, um sie anschließend der Frage nach ihrem Bezugspunkt zur Generationengerechtigkeit zuzuführen. Hierbei ist jedoch zuvor der Begriff der Generationengerechtigkeit selbst, wie dieser gemessen werden kann und dessen Relevanz für die Alterssicherung zu klären, welches im vierten Abschnitt geschehen soll.

Daran anschließend werden Maßnahmen diskutiert, welche die finanzielle Situation der Rentenkasse zu verbessern vermögen und auf diesem Wege zu mehr Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit beitragen können, bevor im sechsten Abschnitt die wichtigsten politischen Reformschritte dahingehend überprüft werden sollen, inwiefern sie mit dem Grundsatz der Generationengerechtigkeit abgestimmt und kompatibel sind.

Eine Schilderung der wichtigsten Inhalte unter Einbezug der eingangs aufgestellten Fragen und Ziele der Untersuchung sowie ein kurzer Ausblick bilden dann den Abschluss der Analyse. Zunächst jedoch soll der Aufbau der gesetzlichen Alterssicherung dargelegt werden.

2 Aufbau der gesetzlichen Alterssicherung und Finanzierungsproblematik

Die deutsche Alterssicherung lässt sich in 3 Säulen, eine gesetzliche, eine betriebliche und eine private Form der Altersvorsorge, aufgliedern.[1] Hauptpfeiler ist hierbei mit weitem Abstand die gesetzliche Rentenversicherung (GRV). (Börsch-Supan/Wilke 2006: 42). Nach Stand aus dem Jahr 2008 kommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung ca. 77 % aller Alterssicherungsleistungen für 65-jährige und Ältere. Bei Einbeziehung aller anderen Einkommenskomponenten vom Bruttogesamteinkommen sind es immer noch 65 %. Sie stellt somit die dominierende Einkommensquelle für Menschen im Rentenalter dar. (Deutsches Institut für Altersvorsorge o. A. a: 1).

In der GRV sind u. a. alle Arbeiter, Angestellte, Handwerker und weitere Berufsgruppen pflichtversichert. Daneben besteht für weitere Berufsgruppen die Möglichkeit, sich freiwillig in der GRV zu versichern. Hiervon ausgenommen sind u. a. Richter und Beamte. (Ribhegge 2004: 104f.).

Die hauptsächliche Funktion der GRV besteht darin, über eine Altersrente den Einkommensausfall im Alter aufgrund mangelnder Erwerbsfähigkeit zu kompensieren und finanziell dem Risiko eines überdurchschnittlich langen Lebens vorzusorgen. Ihr kommt somit eine Lohnersatzfunktion zu. (Ribhegge 2004: 104ff.). Neben der Altersrente werden über die GRV auch weitere anteilsmäßig weniger bedeutsame Rentenarten, wie die Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenrente getragen. (Breyer/Buchholz 2007: 115). In dieser Arbeit soll jedoch der Fokus auf der Altersrente liegen.

Die GRV wird, im Gegensatz zu Formen der betrieblichen und privaten Altersvorsorge, welche kapitalgedeckt sind, also ein Kapitalstock über die Zeit aufgebaut wird, seit 1969 komplett nach dem Umlageverfahren organisiert. Das heißt, dass die erwerbstätige Bevölkerung über Beiträge direkt die Leistungen der aktuellen Rentner finanziert, wobei keine oder kaum Reserven gebildet werden (im Fall der GRV liegt eine kleine Schwankungsreserve vor, welche deutlich unter einer Monatsausgabe liegt). (Breyer/Buchholz 2007: 115f.). Über die Beitragszahlungen erwerben die Erwerbstätigen hierbei jedoch selbst Rentenansprüche in der Zukunft an die dann nachfolgende erwerbstätige Generation. Dieses stillschweigende implizite Übereinkommen wird auch als Generationenvertrag bezeichnet. (Dallinger 2005: 32).

Aktuell liegt der Beitragssatz zur GRV bei 19,9 % des Bruttoeinkommens für Vollzeit arbeitende Versicherte. Dieser wird paritätisch von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezahlt. Einkommen oberhalb einer Beitragsbemessungsgrenze werden jedoch nicht für den Beitragssatz angerechnet. (Breyer/Buchholz 2007: 115). Diese liegt aktuell (2009) bei 5400 €/Monat für die alten und 4550 € für die neuen Bundesländer. (Deutsches Institut für Altersvorsorge o. A. b: 1). Zum Bezug einer Altersrente ist zusätzlich eine Mindestversicherungsdauer von 5 Jahren (so genannte Wartezeit) von Nöten. (Blome et al. 2008: 109). Hierbei zählen auch bspw. Kindererziehungszeiten oder Grundwehrdienstzeit. (Ribhegge 2004: 114).

Grundsätzliche charakteristische Eigenschaften der deutschen GRV sind die Kopplung der Rentenanpassungen an die jährliche Arbeitseinkommensentwicklung sowie das Prinzip der Teilhabeäquivalenz. Hiernach richtet sich die Höhe der Altersrente vorwiegend nach der Höhe der zuvor eingezahlten Beiträge und somit dem individuellen durchschnittlichen Bruttoerwerbseinkommen im Erwerbsleben unter Einbeziehung von Arbeitslosigkeit und anderen Ausfallzeiten, welche sich negativ auf die Höhe der späteren Rente auswirken. (Knappe 1997: 280, Ribhegge 2004: 132f.). Über diese zwei Wege soll das Ziel der weitgehenden Aufrechterhaltung des Lebensstandards aus der Erwerbsphase sichergestellt werden. (Bräuniger/Gräf 2005: 9).

Gewährleistet wird dies explizit über die Rentenformel. Diese setzt sich für die Altersrente aus den persönlichen Entgeltpunkten und dem aktuellen Rentenwert zusammen. Die Teilhabeäquivalenz fließt hierbei über die persönlichen Entgeltpunkte ein, welche die individuelle Altersrentenhöhe bestimmen. Die Anzahl persönlicher Entgeltpunkte richtet sich nach dem individuellen Bruttoeinkommen in der Erwerbszeit. Der aktuelle Rentenwert beschreibt hingegen den Betrag, der sich für einen versicherungspflichtigen Jahresdurchschnittsverdienst als monatliche Altersrente ergibt. Über diesen ist die Dynamik der Renten an die Lohnentwicklung integriert. (Ribhegge 2004: 116-119).

Die Rentenformel verknüpft demnach Einnahme- und Ausgabeseite miteinander und verdeutlicht somit die Finanzierungsrestriktion der GRV. Konkret beeinflussen der aktuelle Beitragssatz, das durchschnittlichen Bruttoeinkommen der Arbeitnehmer und das Renteneintrittsalter die Höhe der Einnahmen. Zusätzlich fließt den Einnahmen ein Bundeszuschuss zu, welcher ungefähr ein Drittel derselben ausmacht. Über diesen sollen hauptsächlich s. g. versicherungsfremde Leistungen wie Anrechnungen von Bundeswehr- oder Ausbildungszeit bezahlt werden. Auf der Ausgabenseite stehen die durchschnittlich zu zahlende Rente, die Anzahl der Rentenbezieher sowie ebenfalls das Renteneintrittsalter zu Buche. Hierüber wird schon deutlich, dass das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentenbeziehern, die Höhe von Beitragssatz und durchschnittlicher Rente sowie das Renteneintrittsalter die finanzielle Situation des Rentenhaushalts beschreiben, wobei letzteres sich sowohl auf Einnahme- wie Ausgabenseite auswirken kann. (Bräuniger/Gräf 2005: 7f.). Die folgende Abbildung auf der kommenden Seite soll den Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgabenseite nochmals detailliert nachvollziehbar machen:

Abbildung 1: Grundprinzip der umlagefinanzierten GRV

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Bräuniger/Gräf 2005: 7.

In der Vergangenheit ist es nun zunehmend zu einem Finanzierungsengpass für die gesetzliche Rentenversicherung gekommen, welcher in die Gegenwart anhält. Ursache hierfür war, dass sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern zu Gunsten der letzteren verschoben hat und somit verhältnismäßig mehr Rentner und Renten durch Beiträge der Erwerbstätigen finanziert werden mussten. Sinnbildlich lässt sich dies anhand des Rentnerquotienten veranschaulichen, welcher die Zahl der Rentner mit Ansprüchen aus der GRV zu der Zahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Beitragszahler in Beziehung setzt. (Blankart 2008: 378f.). Dieser ist von 30:100 (1960) und 50:100 (1970) auf 58:100 (2005) angestiegen. (Bräuniger/Gräf 2005: 10, Sesselmeier: 2006: 25). Für die Zukunft wird ein noch stärkerer Anstieg des Rentnerquotienten auf 88:100 für das Jahr 2035 vorausberechnet. (Blankart 2008: 379). Aufgrund dieser ersten Betrachtung sieht sich die Rentenkasse auch in der Zukunft Finanzierungsschwierigkeiten gegenübergestellt. Die Gründe hierfür werden in demographischen und ökonomischen Entwicklungen gesehen. (Bräuniger/Gräf 2005: 5ff.). Um Zugang zu diesen zu bekommen, sollen diese nun folgend dargelegt werden.

3 Ursachen der Probleme der gesetzlichen Alterssicherung

3.1 Der demographische Wandel

Unter dem demographischen Wandel wird die Veränderung der Altersstruktur in der Bevölkerung verstanden, welcher nicht nur Deutschland, sondern auch andere EU-Länder und Industriestaaten erfasst. So verschieben sich die zahlenmäßig starken Jahrgänge in höhere Alter, nimmt der Anteil Älterer in der Bevölkerung zu, während gleichzeitig die Bevölkerung in ihrer Gesamtzahl abnimmt. (Sesselmeier 2006: 25, Statistisches Bundesamt 2006: 34f.). Hiervon ist insbesondere die gesetzliche Rentenversicherung betroffen, denn diese Entwicklungen haben zur Folge, dass sich das Verhältnis von Erwerbspersonen zu Rentnern zu Lasten Ersterer verschiebt. (Blome et al. 2008: 316).

Hierfür sind hauptsächlich zwei Faktoren maßgeblich. Zum einen ist die gesunkene Geburtenrate zu nennen. Diese auf Kalenderjahre bezogene Maßzahl nahm im Anschluss an die Babyboomphase Anfang und Mitte der 60er Jahre, in welcher ca. 2,5 Kinder je Frau im Schnitt geboren wurden, ab 1967 rapide ab.[2] Anfang der 80er Jahre betrug diese lediglich noch etwa 1,3 Kinder je Frau. (Statistisches Bundesamt 2006: 3, Statistisches Bundesamt 2009: 1). Die Geburtenrate zeigt sich seitdem recht stabil auf niedrigem Niveau unterhalb der Bestandserhaltungsgrenze und lag für das Jahr 2007 bei 1,37. (Statistisches Bundesamt 2009: 1). Dies führt zu einem geringeren Wachstum bzw. für Deutschland seit 2003 zu einem Rückgang der Bevölkerungszahl mangels Geburten, welcher sich in nachfolgende Generationen fortpflanzt, wenn die geburtenschwächeren Jahrgänge ein Alter erreicht haben, in dem sie Kinder bekommen. (Knappe 1997: 274, Statistisches Bundesamt 2006: 3f.). Als Gründe für diese Entwicklung können u. a. das damalige Aufkommen neuer Empfängnisverhütungsmethoden sowie die Verlagerung von Geburten in ein höheres Alter um ca. 30 genannt werden. (Blankart 2008: 378, Statistisches Bundesamt 2006: 3f.).

Die Entwicklung der auf ein Kalenderjahr bezogenen Geburtenrate seit Anfang der 50er Jahre soll die folgende Abbildung auf der nächsten Seite nochmals veranschaulichen:

Abbildung 2: Zusammengefasste Geburtenziffer bis zum Jahr 2050

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Quelle: Statistisches Bundesamt 2006: 9.

Das Geburtendefizit wird sich in der Zukunft noch weiter verschärfen, wenn die Geburtenzahlen weiterhin wie bisher stabil bleiben, da zunehmend zahlenmäßig stärker besetzte Jahrgänge in ein hohes Alter treten (die steigende Lebenserwartung verschiebt hierbei diesen Trend lediglich zeitlich nach hinten) und versterben. Auch ein aus heutiger Sicht realistisches Wanderungsverhalten wird nicht vermögen, diesen Trend signifikant zu beeinflussen. Bis 2050 wird dabei die Bevölkerungszahl von heute etwa 83 Mio. auf einen Wert zwischen 68,7 und 74 Mio. absinken. (Sinn 2003: 79, Statistisches Bundesamt 2006: 31-34). Dies soll die folgende Abbildung zur Entwicklung der Bevölkerungszahl auf der folgenden Seite veranschaulichen:

Abbildung 3: Entwicklung der Bevölkerungszahl in Deutschland

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt 2006: 34.

Zum anderen wirkt sich auch die ansteigende Lebenserwartung auf die Bevölkerungsstruktur aus. So nahm die Lebenserwartung von 1970 bis gegenwärtig um etwa 8 Jahre zu. (Statistisches Bundesamt 2006: 13f.). Für die nächsten 30 Jahre wird zudem nochmals ein Anstieg der Lebenserwartung um ca. 4 Jahre erwartet. Da auch die fernere Lebenserwartung ab 60 bzw. ab 65 Jahren zunahm, stieg die durchschnittliche Rentenbezugsdauer im gleichen Zeitraum von 11,1 auf etwa 17 Jahre. (Sesselmeier 2006: 26) Dies bedeutet zusätzliche Mehrausgaben für die Rentenversicherung aufgrund einer höheren Zahl von Rentnern in hohem Alter. (Dallinger 2005: 30). Als Faktoren für die ansteigende Lebenserwartung werden der medizinische Fortschritt, verbesserte Hygiene, Ernährung, Wohnsituation und Arbeitsbedingungen genannt. (Statistisches Bundesamt 2006: 12).

Die Entwicklung der ferneren Lebenserwartung ab 60 soll die folgende Abbildung auf der nächsten Seite nochmals veranschaulichen:

Abbildung 4: Entwicklung der Lebenserwartung 60-jähriger seit 1871/1881

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt 2006: 14.

Der durch diese beiden Faktoren maßgeblich initiierte und beeinflusste Alterungsprozess der Bevölkerung lässt sich anhand einiger Zahlen verdeutlichen. So wird das Durchschnittsalter in der Bevölkerung nach Vorausberechnungen[3] von 42 Jahre (2005) auf 48 bis 52 Jahre (2050) ansteigen. Was dies für die Rentenversicherung bedeutet, lässt sich ansatzweise ablesen, wenn man auf zwei Altersgruppen: (1.) konkret der 20 bis unter 65-jährigen sowie (2.) auf die Zahl der Personen im Rentenalter, demnach der 65-jährigen und Älteren, abstellt. Für die erste Gruppe wird mit einem Absinken der Zahl der Erwerbspersonen von 50,1 Mio. (2005) auf 35 bis 40 Mio. (2050) gerechnet. Gleichzeitig wird die zweite Gruppe in ihrer Zahl von 15,9 Mio. (2005) auf etwa 23 Mio. (2050) zunehmen. Hier wird eine deutliche Verschiebung sowohl der Anteile als auch der absoluten Zahlen an Menschen in diesen für die Rentenversicherung maßgeblich entscheidenden Bevölkerungsgruppen erkennbar. Besonders verschärfen wird sich diese Entwicklung mit dem Zugang der s. g. Babyboomgeneration in das Rentenalter in den 20er Jahre. (Statistisches Bundesamt 2006: 34-38).

Scheiden nun die zahlenmäßig starken Jahrgänge als Erwerbspersonen aus, so macht sich dies insbesondere am s. g. Altenquotienten bemerkbar, an dem sich insbesondere auch die zahlen- und anteilsmäßigen Veränderungen in den beiden Altersgruppen ablesen lassen. Dieser setzt die Anzahl der Personen im Alter von 20 bis 64 zu den 65-jährigen und Älteren ins Verhältnis. So wird für den Altenquotienten ein Anstieg von 32:100 (2005) auf 39:100 (2020), 52:100 (2030) sowie auf 64:100 (2050) nach mittlerem Bevölkerungsszenario vorausberechnet. Die Zahl der 65-jährigen und Älteren wird sich hiernach also bis Mitte des Jahrhunderts verdoppeln. Selbst wenn man stattdessen die Grenze für die beiden Altersgruppen bei 67 Jahren zieht und die Zahl der Personen im Alter von 20 bis 66 mit der der 67 Jahre und Älteren vergleicht, verbleibt immer noch ein Anstieg auf 42:100 (2030) sowie auf 51:100 für das Jahr 2050. Dieser kann auch nicht durch kurzfristige Veränderungen in der Geburtenzahl oder im Wanderungssaldo (Nettozuwanderung pro Jahr) maßgeblich beeinflusst werden. (Statistisches Bundesamt 2006: 42, 44ff.). Die folgende Abbildung auf der kommenden Seite soll die Veränderungen in der Altersstruktur der Bevölkerung von 1910 bis 2050 nochmals veranschaulichen:

Abbildung 5: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt 2006: 35.

Die Alterslast in der Bevölkerung und somit die Ausgaben- und Abgabenlast für die Rentenversicherung wird demnach zunehmen, sofern sich Altenquotienten und Rentnerquotient annähernd gleich entwickeln. Dies war in der Vergangenheit jedoch weniger der Fall. Stieg der Rentnerquotient seit 1970 deutlich an, so verlief der Anstieg des Altenquotienten nur moderat. (Börsch-Supan et al. 2003: 14, Bräuniger/Gräf 2005: 10). Das deutet auf eine zweite Ursache hin, welche in Entwicklungen am Arbeitsmarkt zu suchen ist. Diese sollen im nachfolgenden erläutert werden.

3.2 Entwicklungen und Gegebenheiten am Arbeitsmarkt

Den augenblicklichen Finanzierungsschwierigkeiten der Rentenversicherung sowie auch denen in der Vergangenheit liegen neben dem zunehmend einsetzenden und für die RV bedeutsamer werdenden demographischen Wandel noch eher Entwicklungen am Arbeitsmarkt zu Grunde. Hierbei sind vor allem die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit sowie Veränderungen in der Erwerbsstruktur der Bevölkerung zu nennen. (Sesselmeier 2006: 25).

Infolge der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit mangelt es an Erwerbstätigen und somit Beitragszahlern für die gesetzliche Rentenversicherung und Einnahmen für die Rentenkasse. Den gleichen Effekt haben die Veränderungen in der Erwerbsstruktur. So ist die Zahl sozialversicherungspflichtiger Vollzeitbeschäftigungen rückläufig und Übergänge in Selbständigkeit, Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigungsformen zu verzeichnen. Dies mindert die Einnahmen der GRV. Daneben haben hierzu auch die Nutzung der flexiblen Rentenaltersgrenze durch die Inanspruchnahme von Frühverrentungsmöglichkeiten sowie allgemeine Erweiterungen des Leistungskatalogs der GRV beigetragen. (Blankart 2008: 378, Bräuniger/Gräf 2005: 10).

Diese Einnahmeausfälle erforderten recht früh höhere Beitragssätze zur GRV, weshalb der Beitragssatz von 14 % des Bruttoeinkommens im Jahr 1967 auf 19,2 % im Jahr 1986 angehoben wurde. (Deutsches Institut für Altersvorsorge 2008: 1). Dies hatte jedoch auch einen negativen Rückkopplungseffekt auf den Arbeitsmarkt zur Folge, da die gestiegenen Beitragssätze über die Lohnnebenkosten den Faktor Arbeit verteuerten und die Arbeitsnachfrage hemmten. (Bräuniger/Gräf 2005: 7).

Zu einer weiteren Erschwernis der finanziellen Situation der Rentenversicherung trug auch die Einbeziehung der neuen Bundesländer und deren Rentner ins Umlageverfahren der GRV nach der politischen Wende 1990 bei. Ursache hierfür ist das vergleichsweise geringe Beitragsaufkommen in den neuen Bundesländern aufgrund der dort im Vergleich zu den alten Bundesländern im Schnitt deutlich höheren Arbeitslosenquote. So werden die derzeitigen Renten in den neuen Bundesländern nur zu etwa 50 % durch das dortige Beitragsaufkommen gedeckt. Die fehlende Hälfte muss entweder staatlich bezuschusst oder durch zusätzliche Beitragszahlungen aus den alten Bundesländern kompensiert werden. (Bräuniger/Gräf 2005: 10).

Diese Entwicklungen haben, wie schon eingangs erläutert, die gesetzliche Rentenversicherung in Finanzierungsschwierigkeiten gebracht. Infolge dessen sah sich die Politik zu Reformmaßnahmen gezwungen, um den ökonomisch ungünstigen Bedingungen und Veränderungen sowie dem sich verstärkenden demographischen Wandel entgegen zu steuern. Auf diese Reformmaßnahmen soll nun nachfolgend eingegangen werden.

4 Reformen der gesetzlichen Alterssicherung

4.1 Reformen in den 90er Jahren

Eine erste größere Reaktion auf die sich ändernden ökonomischen und demographischen Gegebenheiten und den daraus folgenden finanziellen Engpässen erfolgte mit der Reform aus dem Jahr 1992, welche schon 1989 beschlossen wurde. Wesentlicher Beweggrund dieser Reform war es, den prognostizierten Anstieg des Beitragssatzes der GRV von damalig etwa 18 % über 20 % hinaus auf bis zu 40 % Mitte der 30er des 21. Jahrhunderts für den Fall einer Konstanthaltung des Rentenniveaus zu verhindern. Diese wären einer schwerlich zumutbaren Belastung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern durch den Rentenversicherungsbeitrag gleich gekommen. (Schnabel 2008: 98). Ferner belasteten auch die ansteigende Arbeitslosigkeit sowie der vielfache Gebrauch von Frühverrentungsmöglichkeiten den Haushalt der GRV. (Bräuniger/Gräf 2005: 10f.).

Ein erster Reformschritt lag nun in der Umstellung der lohnbezogenen jährlichen Rentenanpassungen von den Brutto- auf die Nettolöhne, wodurch bei steigender Belastung aufgrund von Sozialbeiträgen und Steuern die Rentenanpassungen angesichts der Bruttolohnentwicklung abgeschwächt wurden. (Bräuniger/Gräf 2005: 11). Letzteres bremste wiederum den Anstieg der RV-Beitragssätze und führte somit zu einer gewissen Lastenverteilung zwischen Beitragszahlern und Rentnern. (Thum/von Weizsäcker 2000: 456f.).

Im Zuge einer weiteren Reformmaßnahme wurden mit der Rentenreform 1992 ab 1998 Rentenabschläge bei vorzeitigem Rentenbeginn vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter eingeführt, welche die persönlichen Entgeltpunkte vermindern. Arbeitnehmer sollten fortan nicht mehr auf Kosten anderer früher in Rente gehen können, wodurch das Prinzip der Teilhabeäquivalenz wieder gestärkt wurde. (Schnabel 2008: 98). Gleichfalls wurde eine schrittweise Anhebung der gesetzlichen Altersgrenze zum Renteneintritt auf 65 ab 2000/2001 beschlossen. Eine weitere Maßnahme lag in der Kürzung für die spätere Rente anrechenbarer Ausbildungszeiten, der in den kommenden Jahren weitere Kürzungen, auch der schul- und hochschulischen Ausbildung folgten. (Deutsches Institut für Altersvorsorge o. A. c: 1, Knappe 1997: 282).

Jedoch brachte die Reform 1992 nicht tatsächlich eine Trendwende für die finanziell angespannte Situation der gesetzlichen Rentenversicherung, auch weil sich die ökonomischen Entwicklungen, insbesondere die Arbeitslosigkeit in den alten und neuen Bundesländern in den 90er Jahren nochmals verschärfte. (Bräuniger/Gräf 2005: 11). Eine erneute Anhebung des RV-Beitragssatzes zwischen 1993 und 1997 von 17,5 % auf 20,3 % war die Folge. (Deutsches Institut für Altersvorsorge 2008: 1). Auch die Schwankungsreserve musste von 1992 bis 1997 von 2,66 auf 0,58 Monatsausgaben beinahe gänzlich aufgezehrt werden. (Deutsches Institut für Altersvorsorge o. A. c: 1). Dass dem nicht so war und der Beitragssatz nicht noch weiter anstieg, lag auch am zwischenzeitlichen Aussetzen der Rentenanpassungen an die Lohnentwicklung, s. g. Nullrunden. Des Weiteren sah man sich zu einer Anhebung des Bundeszuschusses gezwungen. (Bräuniger/Gräf 2005: 10, Schnabel 2008: 98). Prognosen sagten außerdem einen Anstieg des Beitragssatzes bei Konstanthaltung des Rentenniveaus auf immer noch über 30 % für den Zeitraum zwischen 2030 und 2040 voraus. (Blankart 2008: 380f.).

[...]


[1] Betriebliche und private Altersvorsorge unterscheiden sich insbesondere darin, dass die betriebliche Form an eine Erwerbstätigkeit gebunden ist, während die private Altersvorsorge auf individuellen Verträgen unabhängig der Erwerbstätigkeit beruht.

[2] Die auf ein Kalenderjahr bezogene Geburtenrate lässt sich wie folgt interpretieren: Wenn das Geburtenverhalten der Frauen in den 35 Jahren zwischen ihrem 15. und 50. Geburtstag so wäre, wie das durchschnittliche Geburtenverhalten aller 15- bis 49-jährigen Frauen, dann würden sie im Laufe ihres Lebens durchschnittlich entsprechend so viele Kinder bekommen.

[3] Vorausberechnungen beruhen auf Annahmen zur Geburtenhäufigkeit, Sterblichkeit und Änderungen derselben für einen festgelegten Zeithorizont bis zu einem Zieljahr und sind aufgrund möglicher zukünftiger nicht vorhersehbarer Ereignisse oder Entwicklungen mit einer gewissen Unsicherheit behaftet.

Ende der Leseprobe aus 57 Seiten

Details

Titel
Generationengerechtigkeit und rentenpolitische Reformen
Hochschule
Universität Trier
Note
2,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
57
Katalognummer
V433607
ISBN (eBook)
9783668768796
ISBN (Buch)
9783668768802
Dateigröße
1016 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Generationengerechtigkeit, Rente, Alterssicherung, GRV, Demographischer Wandel, Arbeitsmarkt, RV-Nachhaltigkeitsgesetz, Alterseinkünftegesetz, Renteneintrittsalter, Interne Rendite, Implizite Einkommensteuer, Generationenbilanzen, Bundeszuschuss, Lebenserwartung, Zuwanderung, Mindestsicherung, Grundrente, Umlageverfahren, Kapitaldeckungsverfahren, Beitragssatzstabilität
Arbeit zitieren
Diplom-Volkswirt Dani N. Müllers (Autor:in), 2009, Generationengerechtigkeit und rentenpolitische Reformen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/433607

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