Unterwegs zur missionalen Theologie. Texte. Thesen. Referate

Studienreihe IGW Band 4


Fachbuch, 2018

203 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einführung
Vorwort
Einführung in die Kultur des Think Tanks
Inhalt der einzelnen Teile
Dank an alle Think-Tank-Teilnehmer und -Teilnehmerinnen

Teil I: Vorbereitende Texte
Einführende Texte zur missionalen Theologie
Einführung in die Texte aus den Jahren 2005, 2008 und 2009
Missional church
Positionspaper zur Konferenz „Zukunft gestalten“
Editorial VISION „Missionale Gemeinde“
Missionale Kirche – Kirche in die Welt gesandt
Missionale Theologie - Die Zukunft gestalten
Missionale Gemeinde - in einem resignativen Umfeld
Kirche ist Mission. Der Mensch Jesu als Vorbild

Teil II: Referate, Thesen und Geschichten zur missionalen Theologie
Missionale Theologie
Einführung in den Think Tank 2009
Impulsreferat missionale Theologie
Die 12 Thesen zur missionalen Theologie
Geschichte: Eine Gemeinde wird missional

Missionale Christologie
Einführung in die beiden Think Tanks 2010 und 2011
Missionale Christologie aus neutestamentlicher Perspektive
Missionale Christologie aus systematischer Perspektive
Missionale Christologie aus praktisch-theologischer Perspektive
Die 13 Thesen zur missionalen Christologie
Geschichte: 3x3emk

Missionale Pneumatologie
Einführung in den Think Tank 2012
Missionale Pneumatologie aus biblischer Sicht
Die Missio Spiritu aus systematischer Perspektive
Die 13 Thesen zur missionalen Pneumatologie
Geschichte: Das große Segelschiff

Missionale Ekklesiologie

Einführung in den Think Tank 2013
Die Missio Ecclesiae aus neutestamentlicher Perspektive – Thesen
Missionale Ekklesiologie aus systematischer Perspektive – Thesen
Die Missio Ecclesiae aus praktisch-theologischer Perspektive
Die 15 Thesen zur missionalen Ekklesiologie
Ausgewählte Geschichte: Barmherzigkeit
Missionale Soteriologie
Einführung in den Think Tank 2014

Missionale Soteriologie aus alt- und neutestamentlicher Perspektive
Thesen zur missionalen Soteriologie aus systematischer Perspektive
Missionale Soteriologie aus missionstheologischer Perspektive
Die 12 Thesen zur missionalen Soteriologie
Ausgewählte Geschichte: Jesus neu entdeckt

Missionale Eschatologie
Einführung in den Think Tank 2015
Missionale Eschatologie aus biblisch-theologischer Perspektive – 7 Thesen
Missionale Eschatologie aus systematischer Perspektive
Missionale Eschatologie aus praktisch-theologischer Perspektive
Die 12 Thesen zur missionalen Eschatologie
Geschichte: Dient den Menschen der Region!

Missionale Hermeneutik
Einführung in den Think Tank 2018
Missionale Hermeneutik aus biblischer Perspektive
Missionale Hermeneutik aus systematischer Perspektive
Missionale Hermeneutik aus praktisch-theologischer Perspektive
Missionale Hermeneutik aus missionstheologischer Perspektive
Die 13 Thesen zur missionalen Hermeneutik

Missionale Theologie und IGW
IGW auf einen Blick
Wie theologiesieren wir am IGW?

Stichworte und Grundsätze

Teil III Anhang

Autorenverzeichnis

Quellenverzeichnis

Begriffsklärungen

Publikationen IGW
Downloadbereich IGW
Thesen
Edition IGW
Studienreihe IGW

Impulshefte

Fußnoten

Widmung

Wir widmen dieses Buch Dr. Roland Hardmeier. Seine Bücher, seine Referate und sein Engagement haben uns am IGW theologisch maßgeblich geprägt. Trotz krankheitsbedingter enigeschränkter Tätigkeit blieb Roland unermüdlich der Mission Gottes verpflichtet: in seinem persönlichen Leben, in seiner Lehre, in seinen Büchern.

Kurze Biografie:

Dr. Roland Hardmeier, Jg. 1965, verheiratet mit Elisabeth. Roland Hardmeier studierte zunächst am Seminar für biblische Theologie Beatenberg (BA äqv.), das Studium an der Akademie für Weltmission Korntal schloss er mit einem MA in biblischer Theologie ab.

Über das akademische Netzwerk GBFE schloss er sein Masterstudium an der Universität von Südafrika mit einem Master of Theology (MTh) und einen Doctor of Theologie (DTh) im Fachbereich Missiologie ab. Seine Doktorarbeit schrieb Roland Hardmeier über „Das ganze Heil für eine heilsbedürftige Welt. Zur Missionstheologie der radikalen Evangelikalen“.

Für sein Buch „Kirche ist Mission“, das auf den Ergebnissen seiner Dissertation beruht, erhielt er 2009 den George W. Peters Preis der Arbeitsgemeinschaft für evangelikale Mission zugesprochen.

Roland Hardmeier war über eine längere Zeit Pastor der Freien evangelischen Gemeinde Kloten. Heute ist er als Dozent und Referent an verschiedenen theologischen Seminaren tätig. Als Autor hat er mehrere theologische Bücher veröffentlicht.

Bibliografie Roland Hardmeier

Hardmeier, Roland 2008. Das ganze Evangelium für eine heilsbedürftige Welt. Zur Missionstheologie der radikalen Evangelikalen. Pretoria (Dissertation): Unisa.

Hardmeier, Roland 2009. Die Vision der jüdischen Propheten als Grundlage des missionalen Gemeindebaus, in Ebeling, Rainer & Meier, Alfred (Hg.). Missionale Theologie. GBFE Jahrbuch. Francke: Marburg. S. 11-24.

Hardmeier, Roland 2009. Interview: Abenteuer gerechter Lebensstil. Dran 1.

Hardmeier, Roland 2009. Interview: Forschung verändert Leben. Idea Spektrum Nr. 36, 10.

Hardmeier, Roland 2009. Kirche ist Mission. Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Missionsverständnis. Schwarzenfeld: Neufeld.

Hardmeier, Roland 2009. Radikale Evangelikale zur Theologie der Transformation, in Faix, Tobias & Reimer, Johannes & Brecht, Volker (Hg.). Die Welt verändern. Grundfragen einer Theologie der Transformation. Marburg: Francke.

Hardmeier, Roland 2009. Zukunft. Hoffnung. Bibel. Eindzeitmodelle im biblischen Vergleich. Augustdorf: Betanien.

Hardmeier, Roland 2012. Geliebte Welt. Auf dem Weg zu einem neuen missionarischen Paradigma. Schwarzenfeld: Neufeld.

Hardmeier, Roland 2012. Nach wie viel Burn ist Mann out? Erfahrung eines Betroffenen. Basel: Fontis.

Hardmeier, Roland 2013. Himmelstöchter! Warum die Stärke der Frau in der Kirche gebraucht wird. Und warum das biblisch ist. Basel: Fontis.

Hardmeier, Roland (Melvin J.) 2014. Der Eindringling. Basel: Fontis.

Hardmeier, Roland 2014. Preisgabe des Evangeliums? In Afflerbach, Horst & Ebeling Rainer & Meier, Elke (Hg.). Reich Gottes - Veränderung - Zukunft. Theologie des Reiches Gottes im Horizont der Eschatologie. GBFE Jahrbuch. Fancke: Marburg.

Hardmeier, Roland 2015. Missionale Theologie. Evangelikale auf dem Weg zur Weltverantwortung. Schwarzenfeld: Neufeld.

Hardmeier, Roland 2016. Der Triumph des Königs. Die große Story der Bibel von der Genesis bis Offenbarung. Norderstedt: GRIN Verlag.

Hardmeier, Roland 2017. Vom sinkenden Schiff zur geliebten Welt, in Loos, Andreas & Schweyer, Stefan (Hg.). Alles Heil. Brunnen: Giessen. S. 66-81.

Dank

Wir danken ganz herzlich unseren Referenten und Impuslgeber, die seit 2009 auf unseren Think Tanks referiert und uns alle inspiriert haben. Es sind dies in alphabetischer Reihefolge:

Dr. Peter Aschoff, Florian Bärtsch, Dr. Rainer Behrens, Dr. Thomas Dauwalter, Dr. Rainer Ebeling, Dr. Roland Hardmeier, Past. Jens Kaldewey, Dr. Heinrich Christian Rust, Dr. Urs Schmid, Björn Wagner, Dr. Stefan Wenger, Dr. Matthias Wenk, Dr. Philipp Wenk.

Studienreihe IGW

Die Studienreihe IGW ermöglicht die Veröffentlichung verschiedener Lehrmittel, Untersuchungen und Abschlussarbeiten. Sie will biblische, aktuelle theologische und gesellschaftliche Themen verständlich einer breiten Leserschaft zugänglich machen. Die Reihe ist als Studien- und Arbeitsbuch konzipiert.

Als Studienbuch dient sie den Studierenden als Lehrmaterial für den Unterrichtsstoff. Einerseits vermittelt die Reihe die Grundlage eines Faches, eines Themas. Und andererseits stellt sie die gegenwärtige aktuelle theologische Diskussion dar. So erhält der Studierende ein gutes Basiswissen, ohne auf die aktuelle Diskussion verzichten zu müssen.

Als Arbeitsbuch dient die Reihe auch Pastoren und Pastorinnen, Katechetinnen und Katecheten, um ihr Wissen zu aktualisieren. Sie erhalten einen guten Überblick über die aktuelle Diskussion und inwiefern sich die Themen verändert haben.

Aber auch interessierte Christen und Christinnen sind eingeladen, mit dem Arbeitsbuch zu arbeiten. Die Reihe eignet sich ausgezeichnet als Arbeitsbuch zu ausgewählten Themen. Die Studienreihe hilft bei der Vorbereitung eines Hauskreisabends, einer Themenreihe.

Der Band „Unterwegs zu einer missionalen Theologie“ fasst die Vorarbeiten, Thesen und Impulsreferate der IGW Think Tanks 2009 bis 2018 zusammen. In acht Think Tanks (in den Jahren 2016 und 2017 fand keiner statt) legten die Referenten mit ihren Impulsreferaten die Grundlagen für die theologischen Diskussionen. Im vorliegenden Band sind ausgewählte Referate und die acht Thesensammlungen enthalten. Der ganze Prozess der Thesenbildung wird nicht abgebildet.

Zürich, Juni 2018

Dr. Fritz Peyer-Müller, ehemamls Rektor IGW

Einführung

Vorwort

Michael Girgis, 2018

„Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen“ (Claudius 1774). Die Texte, Thesen und Referate im vorliegenden Buch sind die Dokumentation unserer spannenden theologischen Entdeckungsreise, auf der wir uns als IGW mittlerweile seit rund zehn Jahren befinden (seit 2008). Angestoßen und motiviert durch Impulse von Dr. Roland Hardmeier (2008) und Michael Frost (2008) sind wir neugierig aufgebrochen, angetrieben durch die Hoffnung, Entdeckungen zu machen, die der Kirche helfen mögen, Gottes Wirken in dieser Welt besser zu verstehen und sich daran zu beteiligen. Diese Zielsetzung und Hoffnung hat ihren Niederschlag in der Einleitung zu den ersten Thesen-Publikationen gefunden – und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Wir sind überzeugt, dass die missionale Theologie ihre Kraft und ihre Wirkung in jeder Form von Kirche entfalten kann. Sie wird Veränderungen in der theologischen Arbeit, im Leben und Denken sowie im Glauben und Handeln der Christen auslösen. Es geht um das Grundanliegen der Kirche Jesu: Gottes Auftrag in dieser Welt zu leben (IGW 2009:1).

Wir verstehen diesen Sammelband – mit den nun veröffentlichten „Reisenotizen“ – als Beitrag zu einer weiterführenden Diskussion. Es darf und soll weitergedacht und weitergearbeitet werden. Die Texte, Thesen und Referate erheben weder einen Anspruch auf Vollständigkeit oder absoluten Wahrheitsgehalt noch wollen sie abschließenden Charakter haben. Im Gegenteil: Sie stellen nicht das Ende, sondern den Beginn der Diskussion dar. Sie sind als Einladung zu verstehen, als Inspiration und als Impuls, nicht als neues Dogma. Die Reise ist noch nicht zu Ende. Wir sind noch immer unterwegs – unterwegs zu einer missionalen Theologie, unterwegs zu einer missionalen Kirche, unterwegs zu einer verstärkten missionalen Präsenz in der Gesellschaft. Und wir sind gewiss, dass wir auf dieser Reise immer wieder neue Überraschungen erleben werden. Das ist das Schöne am Reisen. Man entdeckt Neues, bisher Unbekanntes, gar Fremdes. Sich darauf einzulassen erfordert Mut, Offenheit, Lernbereitschaft. Dieses Neue enthält die Chance auf Bereicherung, auf beglückende neue Erfahrungen und Erkenntnisse, aber es birgt auch das Risiko von Veränderung. Gleichzeitig findet man in der Fremde, im Unbekannten, auch unverhofft Bestätigungen und Ähnlichkeiten mit bisher Vertrautem und Liebgewordenem. So verstehen wir theologisches Arbeiten: als Versuch, die aktuellen Herausforderungen und Fragestellungen immer wieder neu im Licht der Wahrheit, des Wortes Gottes, zu beleuchten, und dabei neue Entdeckungen und Antworten zu finden, aber auch Bestätigungen für bisherige Überzeugungen. „Darum gleicht jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, einem Hausvater, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt.“ (Mt 13,52).

Im ersten Teil des Buches finden sich „Vorbereitende Texte“, die rund um die beiden IGW-Konferenzen „Die Zukunft gestalten“ mit Michael Frost als Hauptredner publiziert wurden. Diese Konferenzen in Aarau (März 2009) und Essen (April 2009) bilden so etwas wie den offiziellen, öffentlichen Start unserer Entdeckungsreise ins Land der missionalen Theologie, auch wenn einzelne Gedanken natürlich schon davor gedacht und auch veröffentlicht wurden. So stammt der erste Text zur missionalen Kirche in diesem Buch denn auch aus dem Jahr 2004 (Artikel von Mike Bischoff).

Im zweiten Teil des Buches finden sich „Referate, Thesen und Geschichten zur missionalen Theologie“, also die eigentlichen Texte zur missionalen Theologie. Sie sind in chronologischer Abfolge ihrer Entstehung abgedruckt und dokumentieren die theologische Arbeit von IGW in den letzten zehn Jahren. In diesem Teil finden sich die Impulsreferate und Thesen der bisherigen acht Think Tanks, die zwischen 2009 und 2018 stattgefunden haben. Wenn wir als IGW hier im Bereich missionale Theologie Neuland betreten haben und auf Entdeckungsreise gegangen sind, dann haben wir dabei nichts wirklich Neues entdeckt. Obwohl in der deutschsprachigen theologischen Welt noch relativ neu und unbekannt, stellt die missionale Theologie keineswegs etwas Neues dar. Einerseits verstehen wir die missionale Theologie nur als Wiederentdeckung von biblischen Wahrheiten (im Sinne von Mt 13,52), andererseits ist der internationale Diskurs zur missionalen Theologie schon seit Jahrzehnten im Gange.

Seit den 1950er Jahren haben Missionstheologen nämlich vermehrt die missio dei als Grundlage der christlichen Mission verstanden. Dieser Begriff hat sich nach der fünften Weltmissionskonferenz 1952 in Willingen ziemlich rasch verbreitet. Dieser wesentliche Gedanke, der in der Mitte des 20. Jahrhunderts entfaltet wurde und eine ganz zentrale Grundlage der missionalen Theologie darstellt, ist nun also bald 70 Jahre alt. Wirklich neu ist er also wahrhaftig nicht. Neu ist vielmehr, dass wir uns bewusst mit dieser überwiegend in der englischsprachigen Welt entwickelten Theologie beschäftigt, sie kritisch beleuchtet, geprüft und reflektiert haben und sie der deutschsprachigen Welt Schritt für Schritt zugänglich gemacht haben. Dabei haben wir mit unseren Beiträgen zu den verschiedenen Bereichen der Theologie (von Christologie bis zu Eschatologie und Hermeneutik) durchaus neue, eigenständige Gedanken entwickelt, die wir mit diesem Sammelband als (Zwischen-)Ergebnisse vorlegen – als Beitrag zum weiteren Diskurs. Die Arbeit geht noch lange weiter, und wir sind motiviert, die missionale Theologie im deutschsprachigen Sprachraum im gemeinsamen Hören auf die Bibel, aufeinander (als hermeneutische Gemeinschaft) und auf die Zwei-Drittel-Welt weiter zu entwickeln und zu entfalten. Da wir davon ausgehen, dass jede Theologie (und jegliche Interpretation der Bibel) durch ihren Kontext geprägt und deshalb begrenzt ist, ist und bleibt die missionale Theologie wesensmäßig immer eine Theologie im Werden.

Dieses Buch richtet sich in erster Linie an eine theologisch ausgebildete und interessierte Leserschaft, an Theologie-Studierende, Dozierende, kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Pastorinnen und Pastoren, Leiterinnen und Leiter, Theologinnen und Theologen.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern viel Freude und Inspiration bei der Lektüre. Möge dadurch die Lust am „Reisen“ und Entdecken geweckt und die Motivation für das eigene theologische Arbeiten gefördert werden.

Literatur

Claudius, Matthias 1774. Urians Reise um die Welt.

Hardmeier, Roland 2008. Das ganze Evangelium für eine heilsbedürftige Welt. Zur Missionstheologie der radikalen Evangelikalen. Pretoria (Dissertation): Unisa.

Frost, Michael & Hirsch, Alan 2008. Die Zukunft gestalten: Innovation und Evangelisation in der Kirche des 21. Jahrhunderts. Glashütten: C & P.

IGW 2009. 12 Thesen zur missionalen Theologie. Zürich: IGW. (www.igw.edu/ch/ressourcen).

Einführung in die Kultur des Think Tanks

Michael Girgis, 2018

Für die Entwicklung der theologischen Inhalte zu den verschiedenen Teilbereichen der Theologie haben wir die Form von sog. Think Tanks gewählt. Unsere Think Tanks sind eine interaktive Intensiv-Denkwerkstatt, ein netzwerkartig moderierter gemeinsamer Denkprozess, der die Teilnehmer einlädt, ihr Know-How und ihre Gedanken miteinzubringen. Dafür haben wir eine eigene Form entwickelt, welche diesen jeweils zweitägigen Think Tanks als Grundraster dient. Sie stellt sicher, dass die beiden Tage methodisch abwechslungsreich und verschiedenartig gestaltet und rhythmisiert werden. Elemente sind: Impulsreferate, Arbeit als Großgruppe, Diskussionen, Arbeit in Kleingruppen sowie Pausen, Zeit für Austausch, Networking, Gespräche usw.

Eingeladen werden jeweils interessierte und fachkundige Leitungspersönlichkeiten aus Kirche, Mission und Wirtschaft – mehrheitlich aus der Schweiz, aber auch aus Deutschland und Österreich. Rund 15-25 Verantwortungsträger haben jeweils an den bisherigen acht Think Tanks zwischen 2009 und 2018 teilgenommen.

Der Ablauf eines Think Tanks ist wie folgt:

- Zu den einzelnen Schwerpunktthemen eines Think Tanks (meist insgesamt drei bis vier) gibt es als Einstieg jeweils ein 30-minütiges Impulsreferat sowie schriftliche Thesen-Vorschläge des Impulsgebers zur anschließenden Diskussion und Weiterarbeit in Gruppen.
- Nach einer Zeit von Rückfragen, Klärungen und einem ersten Austausch (im Plenum) folgt die 1. Gruppenphase mit einer Diskussion über alle Thesen-Vorschläge (in Kleingruppen).
- In einer 2. Gruppenphase folgt die Nachbearbeitung (Detail-Ausarbeitung) von je ein bis zwei Thesen (in Kleingruppen).
- Diese überarbeiteten neuen Thesen werden dann wieder im Plenum vorgestellt und diskutiert, bevor das nächste Schwerpunktthema mit einem Impulsreferat eigeführt wird.
- Nach drei bis vier solchen Zyklen folgt eine zweite Bearbeitungsrunde, welche die überarbeiteten neuen Thesen in Kleingruppen weiterbearbeitet und zusammenfasst, umformuliert, präzisiert und neu anordnet.
- Diese überarbeiteten neuen Thesen werden dann wiederum im Plenum vorgestellt und diskutiert.
- Nach einer grundlegenden letzten Runde als Großgruppe, in der noch einmal wichtige, grundsätzliche Fragen und Beobachtungen sowie Aufträge in Bezug auf die Weiterarbeit diskutiert werden, endet der Think Tank. Als Ergebnis liegen jeweils rund 20-25 Thesen (in Rohfassung) vor, die anschließend von einer vier bis fünf-köpfigen Arbeitsgruppe inhaltlich und sprachlich weiterbearbeitet werden.

Inhalt der einzelnen Teile

Teil I Vorbereitende Texte

In diesem Kapitel werden Texte und Gedanken zur missionalen Theologie veröffentlicht, die im Vorfeld und im Nachgang unserer Konferenzen in Aarau und Essen pupliziert wurden. Es sind vor allem Beiträge, die in der IGW-Zeitschrift VISION veröffentlicht wurden. Weiter sind Texte aus den Konferenzunterlagen abgedruckt.

Der erste Text zur missionalen Kirche erschien bereits im Jahr 2004. Wir beginnen mit dem Artikel von Mike Bischoff.

Teil II missionale Theologie

Teil II enthält Impulsreferate und Thesen der acht Think Tanks. Die acht Thesensammlungen werden alle aufgeführt. Die Impulsreferate wählten wir nach dem Kriterium, ob sie sich formal zur Publikation eignen. Reine Power-Point-Präsentaionen werden nicht publiziert. In der jeweiligen Einführung zu den Themen wird auf die Auswahl Bezug genommen. Die Themenbereiche werden mit einer passenden Geschichte abschlossen. Die Referate oder Thesen der Impulsgeber werden als Referat publiziert, so dass die Rede noch sichtbar und hörbar ist. Der Prozess der Themenbildung von der ersten Rohfassung bis zur publizierten Version wird in diesem Sammelband nicht abgebildet.

Teil III Anhang

Der dritte Teil enthält Autoren- und Quellenverzeichnisse der publizierten Texte und Referate sowie ein Verzeichnis der theologischen Begriffe. Weiter werden zusätzliche Publikationen zum Thema missionale Theologie aufgeführt.

Dank an alle Think-Tank-Teilnehmer und -Teilnehmerinnen

Impulsgeber inspirierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur intensiven theologischen Diskussion. Den Referenten wurden bereits am Anfang des Buches gedankt.

Darüber hinaus wollen wir allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Think Tanks herzlich danken. Die theologischen Diskussionen während zweier Tage im Ländli, Oberägeri waren engagiert und zugleich offen für neue Thesen und Gedanken. Die grundlegende Offenheit des Theologisierens war mit entscheidend für die Entwicklung der Thesen. In der folgenden Aufzählung werden die Impulsgeber, die beiden Initianten, Organisatoren und Moderatoren Michael Girgis und Fritz Peyer Müller sowie der Visualisierer Cla Gleiser nicht aufgenommen.

Einige Teilnehmer verzichteten darauf, namentlich genannt zu werden. Dieser Bitte sind wir selbstständlich nachgekommen.

2009: Peter Bächinger, Marius Frey, Tobias Giese, Martin Kaltenrieder, Helmut Kuhn, Oliver Merz, Reinhold Scharnowski, Alfred Schweiger, Joel Sommer, Tobias von Känel, Matthias Ziehli, Hansruedi Zumbach.

2010: Thomas Bachofner, Florian Bärtsch, Rainer Ebeling, Boris Eichenberger, Marius Frey-Schafroth, Stefan Gisiger, Peter Gloor, Michael Hein, Michael Hodel, Erwin Imfeld, Kurt Kammermann, Martin Kiener, Reiner Lorenz, Oliver Merz, Sabrina Müller, Hanspeter Nüesch, Marc Nussbaumer, Susanna Rychiger, Beat Sannwald, Reinhold Scharnowski, Urs Thalmann, Björn Wagner, Chrigu Wittwer, Stefanie Wittwer.

2011: Florian Bärtsch, Boris Eichenberger, Stefan Gerber, Michael Hodel, Leonardo Iantorno, Kurt Kammermann, Reiner Lorenz, Sabrina Müller, Marc Nussbaumer, Hans-Jörg Strahm, Urs Thalmann, Andrea Wettstein, Martin Voegelin, Barbara Stotzer-Wyss.

2012: Thomas Dauwalter, Matthias Fankhauser, Marius Frey-Schafroth, Markus Frischknecht, Tobias Giese, Matthias Gubler, Immanuel Haller, Roland Hardmeier, Leonardo Iantorno, Daniel Janzen, Reiner Lorenz, Hanspeter Nüesch, Reinhold Scharnowski, Manuel Schmid, Thomas Schnyder, Daniel Seibert, David Staub, Viktor Steiner, Urs Thalmann, Stefan Wenger, Barbara Stotzer-Wyss.

2013: Christian Allenspach, Thomas Beerle, Markus Burkhart, Stefan Fuchser, Tobias Giese, Peter Gloor, Immanuel Haller, Leonardo Iantorno, Hansjörg Kägi, Kurt Kammermann, Reiner Lorenz, Jonathan Mauerhofer, James Morgan, Marc Nussbaumer, Peter Schmid, Thomas Schnyder, Urs Thalmann, Martin Voegelin.

2014: Rainer Behrens, Thomas Dauwalter, Michael Dufner, Deborah Finger, Markus Frischknecht, Immanuel Haller, Leonardo Iantorno, Daniel Janzen, Reiner Lorenz, Niklaus Meier, Reinhold Scharnowski, Thomas Schnyder, David Staub, Martin Voegelin, Barbara Stotzer-Wyss.

2015: Lukas Amstutz, Immanuel Haller, Viviane Herzog-Palm, Jens Kaldewey, Kurt Kammermann, Reiner Lorenz, Ruedi Röthenmund, Thomas Schnyder, Peter Seeberger, David Staub, Barbara Stotzer-Wyss.

2018: Martin Benz, Jürg Buchegger, Thomas Dauwalter, Boris Eichenberger, Immanuel Haller, Michael Haller, Alain Haudenschild, Beat Hedinger, Viviane Herzog-Palm, Leonardo Iantorno, David Jäggi, Jens Kaldewey, Marc Nussbaumer, Bernhard Ott, Ruedi Röthenmund, Thomas Schnyder, David Staub, Barbara Stotzer-Wyss, Matthias Studer.

Teil I: Vorbereitende Texte

Einführende Texte zur missionalen Theologie

Einführung in die Texte aus den Jahren 2005, 2008 und 2009

In der elektronsichen Zeitschrift IGW Periodical veröffentlichte IGW im Jahr 2005 den ersten Text zur missionalen Theologie. IGW führte im März und April 2009 Konferenzen in Aarau und in Essen durch. Das Thema war: Die Zukunft gestalten. Referent war Michael Frost. Die beiden Konferenzen wie auch der IGW Kongress 2008 „Missionale Gemeinde“ in Aarau führten in das Denken und Handeln einer missionalen Theologie.

In der IGW Zeitschrift VISION bereiteten verschiedene Gedankenanstöße, Aufsätze und Texte die Konferenzen vor und vertieften das Thema missionale Theologie. In diesem Kapitel werden die publizierten wie auch die unveröffentlichten Texte zugänglich gemacht. Die einzelnen Texte werden mit Autor und Quellenagaben Autoren- bzw. Quellenverzeichnis ausgewiesen.

Missional church

Mike Bischoff, 2005

„Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht? Ich mache einen Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde“ (Jes 43,19).

In der aktuellen missiologischen Diskussion im englischsprachigen Raum wird die Thematik der Gemeinde als sog. „Missional church“ heiss debattiert. Mein Essay will Einblick in diese Diskussion geben und gleichzeitig die Aktualität dieses ekklesiologischen Ansatzes für unsere mitteleuropäischen Verhältnisse aufzeigen. Ein adäquater deutscher Ausdruck existiert bislang noch nicht. Übersetzungen hören sich holprig an und es besteht die Gefahr, dass die klare Referenz zu Mission, welche das englische Adjektiv „missional“ zum Ausdruck bringt, verloren geht. Der Einfachheit halber verwende ich darum fortan den englischen Begriff.

Offensichtlich wird bei diesem Ansatz Gemeinde in Beziehung zu Mission gesetzt. Aber in welche? Wie verhalten sich die beiden zueinander? Die Antwort auf diese Frage berührt bereits den Kernpunkt einer „Missional church“. Als Einführung eignen sich Aussagen führender Denker auf diesem Gebiet. Als einer der Initiatoren gilt der bereits verstorbene UNISA-Missiologe David Bosch. In seinem Klassiker „Transforming Mission“ hat Bosch wegweisende Gedanken geäußert (1991: 493). Da schreibt er, wie sich in unserer Zeit das Verständnis von Kirche ändern soll und muss, weg von einem überheblichen und distanzierten Verhältnis zur Welt, hin zum Verständnis, dass die Kirche in die Welt gesandt ist und zum Wohl der Welt existiert. Darin folgt er dem englischen Missiologen Lesslie Newbigin, der dies bereits Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts so formuliert hat.

Mission sei, so Bosch, nicht länger nur eine Aktivität der Gemeinde, sondern Ausdruck der wahren Existenz der Kirche. Die ganze Welt wird zum Missionsfeld, was vor allem auch für die westliche Theologie bedeutet, dass sie sich in einer missionarischen Situation befindet. Bosch schließt seine Argumentation mit einer herausfordernden These: Genauso wie die Kirche aufhört Kirche zu sein, wenn sie nicht missionarisch ist, genauso hört Theologie auf, Theologie zu sein, wenn sie ihren missionarischen Charakter verliert.

Greifen wir nochmals zurück zur englischen Bezeichnung „Missional church“. Die Begriffskomposition besteht zum einen aus dem Substantiv „Mission“. Mission kommt vom lateinischen Verb mittere, was so viel wie „entsenden“ bedeutet. Substantiviert heißt Mission eigentlich schlicht Sendung und betont die Bewegung. Im christlichen Sinn bedeutet das zuerst einmal die Bewegung von Gott zu den Menschen, wie sie uns vor allem in der Inkarnation Christi (Joh 1) begegnet. Gott wird Mensch mit all seinen Konsequenzen. In der klassischen Missionsstelle in Mt 28 wird diese Aufgabe der Bewegung und Sendung in die Welt an die Jünger Jesu weitergegeben. Sehr pointiert spricht auch Joh 17, 18 über diesen Vorgang: „Wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt“.

In unserem Fall ist „missional“ Adjektiv zu „church“ und deklariert, unter welcher Zielrichtung alle Aktivitäten der Gemeinde geschehen sollen. Der Gesichtspunkt der Mission soll alle Bereiche durchdringen. Gemeinde ist Mission, Mission ist der Herzschlag Gottes. Mission ist darum Zentrum und Essenz der Gemeinde. Dabei taucht natürlich unweigerlich die Frage auf, was Mission alles beinhaltet. Die Verkündigung des Evangeliums? Entwicklungshilfe? Politisches Engagement? Gemeindebau? In der Missionsgeschichte des 20. Jh. ist darüber ein heftiger Streit entbrannt, der bis heute nicht vollständig beigelegt werden konnte. Konservative Evangelikale sprachen sich vor allem für die Wortverkündigung aus. Liberale Kräfte betonten mehr die horizontale Dimension, den Einsatz für soziale Gerechtigkeit. Dieser Dualismus endet meistens in einer Sackgasse und befriedigt nicht. Zum Glück gab und gibt es immer wieder Ansätze, welche diesen Graben zu überbrücken verstehen. Einen überzeugenden Weg wählt meines Erachtens der evangelikale Sozialethiker Ron Sider, weil er zum einen die zentralen biblischen Texte berücksichtigt und zum andern nicht in die Falle des Liberalismus noch die des Fundamentalismus tappt. Sider versteht Mission als Oberbegriff, der sowohl Evangelisation als auch Einsatz für soziale Gerechtigkeit umfasst. Mission wäre dann Verkündigung des Evangeliums und soziales Engagement, ausgerichtet auf den Bau des Reiches Gottes. Das heißt zuerst einmal: Evangelisation und soziale Verantwortung unterscheiden sich, vor allem auch in ihren Ergebnissen. Darum führt es zu unsauberen Resultaten, wenn wir die beiden entweder als identisch ansehen oder wenn wir sie als unvereinbar oder als sich gegenseitig ausschließend betrachten. Ein angemessener Weg zur klaren Unterscheidung der beiden (wenigstens in der Theorie. In der Praxis ist eine scharfe Abgrenzung weniger möglich und auch weniger sinnvoll) ergibt sich, wenn wir nach der Motivation und Intention fragen. In diesem Sinn umfasst dann Evangelisation diejenigen Aktivitäten, die vor allem Nicht-Christen die Botschaft vom Reich Gottes nahebringen wollen. Soziale Aktion umfasst dagegen Aktivitäten, deren vorrangiges Ziel darin besteht, die physischen, sozioökonomischen und politischen Lebensumstände der Menschen durch Notmaßnahmen, Entwicklungshilfe und strukturelle Veränderungen zu verbessern (vgl. Sider 1995:177). So verstehen auch die Vertreter der „Missional church“ Mission ganzheitlich. Mission als Sendung in die Welt, wo Evangelisation und soziale Aktion unauflöslich miteinander verbunden sind, sie sich aber unterscheiden und doch untrennbar miteinander verknüpft sind.

Seit einiger Zeit sorgt das Buch „Shaping the things to come“ der australischen Missiologen Michael Frost und Alain Hirsch für Furore. Sie präsentieren sich darin als vehemente Verfechter der „Missional church“ und definieren ihren Ansatz folgendermassen:

Eine ‘Missional Church’ ist eine Kirche, deren primäre Verpflichtung dem missionarischen Ruf des Volkes Gottes gilt. Als solche ist es eine, die sich einreiht in Gottes missionarische Absichten in der Welt. Ein ‘missional Leader’ ist einer, der Mission ernst nimmt und sie als die treibende Kraft hinter allem versteht, was die Gemeinde tut. Die ‘missional Church’ ist eine gesandte Kirche. Ein Wert, der sie beschreibt, ist die Entwicklung eines Gemeindelebens und einer Glaubenspraxis, kontextualisiert mit der Kultur, in die sich gesandt versteht (2003:225).

(A missional church is one whose primary commitment is to the missionary calling of the people of God. As such, it is one that aligns itself with God’s missionary purposes in the world. A missional leader is one that takes mission seriously and sees it as the driving energy behind all the church does. The missional church is a sent church with one of its defining values being the development of a church life and practice that is contextualized to that culture to which it believes it is sent.)

Als revolutionär neu kann man diese Gedanken nicht bezeichnen. Sie nehmen die Gewichtung und Zielsetzung auf, wie sie seit der Apostelgeschichte immer wieder dynamischen Gemeindebau ausgezeichnet haben. Ungewohnt ist dagegen die Perspektive. Frost und Hirsch schreiben nicht für Missionare in Übersee, sondern haben unsere westliche Welt vor Augen. Gerade für uns in Europa bedeutet dieser Ansatz für viele ein Umdenken in ihrer Ekklesiologie. Noch heute finden wir oft das Denken: Wir haben ja unsere Missionare in Afrika und Asien, wir unterstützen sie mit Gebet und Geld. So kürzlich gesehen in einer Kirche, deren Opferstock eine schöne Zweiteilung aufwies, der eine Teil des Kastens war mit „Gemeinde“, der andere mit „Mission“ überschrieben. Wir, christliche Schweizer oder Deutsche, schicken unsere Leute zu den Heiden. Aussendung von Missionaren nach Übersee ist auch heute noch eine notwendige und gute Sache, wenn sich auch das Verständnis über Ziel und Inhalt dieser Missionsaufgaben in den letzten Jahren verändert hat. Fatal ist aber, dass dabei übersehen wird, dass sich die Verhältnisse verschoben haben, dass wir uns im Zuge der aufklärerischen Moderne und der multireligiösen Postmoderne längst im Zustand eines quasi postchristlichen Europas befinden. Europa ist zu einem der dringendsten Missionsfelder geworden und besonders betroffen sind dabei die urbane Landschaft, die großen Agglomerationen und die Städte. Je nach Statistik sind bei uns 2-5% der Bevölkerung engagierte Christen. Ein weiterer Prozentsatz ist noch christlich angehaucht. Aber eine immer größer werdende Schicht der Gesellschaft bezeichnet sich als religionslos oder interessiert sich zwar für Spiritualität, häufig aber nicht für irgendeine christliche Version, sondern bevorzugt eine östliche Spielart. Die Statistiken belegen also die Richtigkeit der Thesen dieser Missiologen. Der deutschsprachige Raum ist postchristlich geworden. Die Frage ist nur, ob diese Einsicht auch unsere ekklesiologischen Paradigmen verändern kann oder ob wir am Status Quo festhalten wollen. Ein Hinweis zugunsten dieses veränderten ekklesiologischen Ansatzes ist vor allem im englischsprachigen Raum darin ersichtlich, dass heute in theologischen Seminaren Gemeindebau-Fragen im missiologischen Departement angesiedelt sind.

Eine „Missional church“ mobilisiert alle ihre Glieder, sich als Gesandte in die Gesellschaft zu verstehen (Frost & Hirsch 2003:27). Sie bevorzugt eine Geh-Struktur und beschränkt darum ihre missionarische Vision nicht auf die Einladung zu einem sonntäglichen Gottesdienst. Die Aufgabe zur Kontextualisierung gilt auch unserer westlichen Kirche und ist nicht länger nur Ausbildungsziel für Missionare in Übersee-Regionen. Etwas vereinfacht ausgedrückt: Jeder Christ ein Missionar. Mission ist nicht keine delegierbare Aufgabe, die sich an Bibelübersetzungs-Spezialisten, Ethno-Freaks und Abenteurer richtet. Bei jedem ausreisewilligen Missionar nach Übersee setzt man heute voraus, dass er gewillt ist, Sprache und Kultur des jeweiligen Ziellandes sorgfältig zu studieren und inkarnatorisch zu leben. Der zukünftige Missionar soll also nicht einfach unseren westlichen Lebensstil den Einheimischen überstülpen, wie dies vielfach im kolonialistischen Zeitalter geschehen ist.

Wie sieht nun die Applikation für unsere Situation in der Schweiz und in Deutschland aus? Viele werden einwenden: Aber wir kennen doch die Sprache und Kultur unserer Gesellschaft; wir wohnen ja seit unserer Geburt hier. Ich behaupte dagegen: Ein Blick in die Gemeinde- und Gottesdienstformen unserer Länder verrät, dass nur die wenigsten die radikale Kontextualisierung mit der angebrochenen postmodernen Kultur in Angriff genommen haben. Denn der Übergang von der Moderne zur Postmoderne kommt einem Kulturwechsel gleich, wie ihn der Übersee-Missionar erlebt und erfordert große Denkarbeit. Der Futurist und Evangelistik-Professor Leonard Sweet bezeichnet unsere Zeit als EPIC-Times! Jeder der vier Buchstaben verkörpert eine postmoderne Welle, die auch über unsere Gemeinden hinwegrollt und uns herausfordert, diese Dynamik fürs Reich Gottes fruchtbar zu machen!

- Experiential (erfahrungsorientiert)
- Participatory (partizipatorisch)
- Image-driven (bildgeprägt)
- Community-based (Gemeinschaft, Beziehungen)

Ich kann an dieser Stelle nicht detailliert auf Implikationen von EPIC auf die Gemeindearbeit eingehen. Faktum bleibt aber die unbequeme Herausforderung, dass die Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft und Kultur zum Kerngeschäft eines Missionars gehört und wir Westler uns neu damit beschäftigen sollen und müssen, wenn wir glaubwürdig Gemeindebau in einem post-christlichen Umfeld betreiben wollen. Die genaue Struktur und Form einer „Missional church“, ob nun Megachurch, Hausgemeinde, Emerging Church oder Zellgemeinde ist dabei zweitrangig. Allerdings gibt die Mehrheit der aktuellen Vertreter von „Missional churches“ einem mehr organisch und auf Gemeinschaft ausgerichteten Modell den Vorzug. So trifft man häufig auch die Bezeichnung „missional community“. Die Betonung der Gemeinschaft zeigt, dass wir in diese Sendung von Gott nicht allein gestellt werden, sozusagen als einsame Streitkämpfer des 21. Jahrhunderts, sondern dass wir uns als Gemeinschaft, als Familie in diesem Auftrag befinden. Wir sind also gemeinsam unterwegs und nicht als Einzelne; zusammen sind wir gesandt. Stark programmorientierte und hierarchisch strukturierte Ausprägungen sind eher selten. Doch es gilt unabhängig von der spezifischen Struktur das ekklesiologische Grundverständnis, dass jeder Christ Missionar und jede Gemeinde Mission ist, wenn sie im biblischen Sinn Gemeinde sein will.

Eine weitere wichtige Eigenschaft betont Dan Kimball in seinem Buch The Emerging Church, wenn er die „Missional church“ von der konsum- und programmorientierten Gemeinde „Consumer church“ unterscheidet (2003:95).

Consumer church

Kirche wird in erster Linie als Verteilerin von religiösen Gütern und Gottesdiensten angesehen. Menschen kommen in die Gemeinde, um geistlich genährt zu werden. Sie wollen, dass ihre Bedürfnisse durch qualitativ hochwertige Programme gedeckt werden und Profis in dieser Zeit ihre Kinder über Gott unterrichten. Ich gehe zur Gemeinde. (Church is seen as a dipenser of religious goods and services. People come to church to be fed, to have their needs met trough quality programs and to have professionals teach their children about god. I GO TO CHURCH).

Missional church

Kirche wird als Körper von Menschen gesehen, die sich gemeinsam zur Anbetung, für Ermutigung und Lehre durch Gottes Wort versammeln. So ergänzen sie, was sie unter der Woche bereits selber an geistlicher Nahrung zu sich genommen haben. Sie wissen sich als Gesandte auf einer „Mission“ von Gott. Ich bin Gemeinde. (Church is seen as a body of people sent on a mission who gather in community for worship, encouragement, and teaching from the Word that supplements what they are feeding themselves throughout the week. I AM THE CHURCH).

Merkmale einer „Missional church“

Zusammenfassend einige Kennzeichen und Merkmale einer „Missional church“, wie sie von Kimball (2003:96) und Frost & Hirsch (2003:7-30) porträtiert werden:

- Man geht nicht zur Kirche, sondern man ist Kirche, unterwegs auf einer gemeinsamen Mission/Sendung.
- Persönliches selbstständiges Bibelstudium, so bleibt das Herz „weich“, der Verstand wird geschärft und man ist bereit, Gesprächspartnern über die christliche Hoffnung Auskunft zu geben.
- Christen sehen sich als Botschafter von Jesus und sind motiviert, ein heiliges Leben zu führen, um nicht den Namen ihres Königs zu entehren, den sie repräsentieren.
- Eltern, die sich selber als Kirche verstehen, werden ihre Familie gemäß Dtn 6,4-9 führen und die religiöse Erziehung und Prägung nicht nur der Gemeinde überlassen.
- Christen werden ungleich mehr abhängig vom Gebet für die Gemeinde, weil sie die Bedeutung der Mission verstehen, in der sich die Gemeinde befindet (Joh 15,5).
- Wachsende Sicht, dass die Gemeinde Familie ist und man zusammen als Gemeinschaft „on a mission“ ist.
- Die Gestaltung der verschiedenen Dienste und Strategien bewegt sich weg von großen Programmen und Produktionen hin zur Ausrüstung der Gläubigen (Eph 4,11-12) für ihre Aufgabe in der Gemeinde und Welt.
- Betonung des allgemeinen Priestertums (1Petr 2,5-9).
- Die Bedeutung und Gewichtung von Evangelisation wird drastisch zunehmen, da sich die ganze Gemeinde immer auf einem Missionsfeld bewegt, lokal und global. Die Gemeinde ist nach außen gerichtet.
- Die Gemeinden werden sich ganz natürlich mehr mit sozialer Gerechtigkeit, den Armen und Bedürftigen dieser Welt beschäftigen, weil sie ein holistisches Verständnis von Mission haben.
- Inkarnation in die jeweilige Kultur; Geh-Struktur und nicht Komm-Struktur.
- Sicht der Kirche als Bewegung (Movement) und nicht als Institution.
- Holistisches Verständnis von Spiritualität.
- Sehnsucht nach weniger Struktur und mehr direkter Partizipation der einzelnen Glieder.

Einige Beispiele für „Missional churches“

Sogenannte Boiler-Rooms der 24-7-Gebets-Bewegung. Boiler-Rooms sind Gemeinschaften, die sich rund um die Uhr, 24/7 und nicht nur sonntags in den Gottesdiensten, auf Gebet, Hingabe an Christus, Kreativität, Mission und Dienst für die Armen in den Herzen der Städte fokussieren (Nicholson zitiert in Asley 2004:44): www.boiler-rooms.com.

Die folgenden Kirchen verstehen sich als „missionale churches“.

Church of the Apostles, Seattle: www.apostleschurch.org

Salomon’s Porch, Minneapolis: solomonsporch.com

Vintage Church, Santa Cruz: www.vintagechurch.org

Literatur

Asley, Jennifer (Hg.) 2004. The Relevant Church, A new Vision for Communities of Faith. Lake Mary, FL: Relevant Media Group.

Bosch, David J 1991. Transforming Mission: Paradigm Shifts in Theology of Mission. Maryknoll, NY: Orbis Books.

Frost, Michael & Hirsch, Alan 2003. The Shaping of Things to Come, Innovation and Mission for the 21st-Century Church. Peabody: Hendrickson Publishers.

Kimball, Dan 2003. The Emerging Church, Vintage Christianity for New Generations. Grand Rapids: Zondervan.

Pagitt, Doug 2004. Reimagining Spiritual Formation: A Week in the Life of an Experimental Church. Grand Rapids: Zondervan.

Sider, Ronald 1995. Denn sie tun nicht, was sie wissen. Die schwierige Kunst, kein halber Christ zu sein. Moers: Brendow-Verlag.

Positionspaper zur Konferenz „Zukunft gestalten“

Michael Girgis, Fritz Peyer-Müller, 2009

Einführung

Die Konferenz wie auch ihr Thema haben ihren Ursprung im Fragen nach der Zukunft und dem Auftrag der Kirche im 21. Jahrhundert. Jede Generation, jede Kirche muss sich der Herausforderung dieser Fragen stellen. Gemeinsam wollen wir nun nach zukunftsorientierten Antworten suchen. Wir tun dies in der Gelassenheit und im Wissen darum, dass der Herr der Kirche seine Gemeinde in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geführt hat und führen wird. Die Geschichte der Kirche manifestiert so das Handeln und die Treue Gottes. Der Auftrag, die Zukunft der Kirche zu gestalten, bleibt faszinierend, so dass wir mutig die Frage nach ihrer Zukunft stellen. Denn – um es mit den Worten Nehemias zu sagen – „sie ist ja dein Volk“ (Neh 1,10).

Was wir wollen

Wir wollen Impulse und Denkanstöße für Mission und Evangelisation der Kirche des 21. Jahrhunderts vermitteln. Wir wollen grundsätzliche Fragen zur Gestalt der Gemeinde in der postmodernen und nachchristlichen Kultur diskutieren. Wichtige Stichworte sind dabei:

- Missional
- Inkarnatorisch
- Organisch
- Kontextualisiert
- Transformierend
- Netzwerk
- Christozentrisch
- Kontrastgesellschaft
- Kairos
- Leben im Spannungsfeld des Reiches Gottes
- In die Welt gesandt und doch nicht von der Welt
- Kirche unterwegs
- Multiplikation
- Nachhaltig.

Wir wollen Denker und Praktiker verschiedener Kirchen (bestehender, revitalisierter, neu gegründeter usw.) zu einem innovativen Gespräch einladen, um miteinander und voneinander zu lernen. Gemeindeälteste und Pastoren, Gemeindegründer und Gemeindebewahrer, Mentoren und Mentoranden, Praktiker und Theoretiker, Studierende und Lehrende vernetzen sich so miteinander; neue Ideen und Initiativen können diskutiert und bekannt gemacht werden. Wir wollen dazu ermutigen, die eigene praktische Arbeit in der Kirche mit Freude und Leidenschaft weiterzugestalten.

Was wir nicht wollen

Wir wollen keine Modelldiskussionen führen, sondern intensiv über die Grundlagen der Kirche der Zukunft nachdenken. Wir wollen nicht bei unseren negativen Erfahrungen stehenbleiben, sondern uns für die Mission der Kirche stark machen. Wir verachten nicht die segensreiche und teilweise notvolle Vergangenheit der Kirche, sondern lernen daraus für die Zukunft. Wir wollen nicht übereinander, sondern miteinander reden, aufeinander hören und voneinander lernen.

Editorial VISION „Missionale Gemeinde“

Fritz Peyer-Müller, 2008

„So wie mich der Vater gesandt hat, sende ich euch“, verheiß Jesus seiner Gemeinde (Joh 20,21).

Missionale Gemeinde!

Das ist mehr als ein neues Schlagwort. IGW hat „missional“ zum Thema für das neue Studienjahr 2008/2009 gemacht. Den Anfang machte das vorliegende Heft VISION. In dieser und den beiden nächsten Ausgaben haben wir uns intensiv mit dem Anliegen und den Konsequenzen einer „missionalen Gemeinde“ beschäftigen. Eine weitere Gelegenheit dazu bietet die IGW-Konferenz im September 2008. An unseren internen Mitarbeitertagen griffen wir das Thema ebenfalls auf. Die Kongresse mit Michael Frost im März und April 2009 in der Schweiz und in Deutschland waren ein weiterer Höhepunkt. Unter das Thema „missional“ fällt auch das erste Buch der IGW-Edition. Es ist für uns eine große Freude, Ihnen die erste Ausgabe dieser Buchreihe zu präsentieren. Peter Müller[1] beschreibt in seiner Masterarbeit die Bedeutung und Auswirkung der iroschottischen Mission. Die Tätigkeit dieser Mönche könnte in einem Stichwort zusammengefasst werden: missional!

„Missionale Gemeinde“ ist das Thema im folgenden Artikel von Mike Bischoff. Mike war lange Zeit IGW-Studienleiter in Basel. Er beschäftigt sich seit längerer Zeit mit der Postmoderne und mit missionaler Theologie. Es gilt die missio dei, die Mission Gottes, neu zu entdecken. Gott ist ein sendender Gott. Er hat Jesus Christus in diese Welt gesandt. Er hat seine Gemeinde in diese Gesellschaft, in unsere Generation gesandt. Ich wünsche Ihnen Gottes Segen bei der Lektüre.

Missionale Kirche – Kirche in die Welt gesandt

Mike Bischoff, 2008

„Wir sind ausgezogen“. Das alte Kirchengebäude ist leer. Doch wohin ist die Kirche gezogen? Wo lebt sie nun? Diese Frage berührt die aktuelle Diskussion um die sogenannte „Missional church“. Was soll unter diesem Begriff verstanden werden? Leider existiert noch kein adäquater deutscher Ausdruck, um die Präzision der englischen Version wiederzugeben. Manchmal spricht man heute von missionaler Gemeinde, um die klare Referenz zu Mission nicht zu verlieren, welche das englische Adjektiv „missional“ zum Ausdruck bringt. Offensichtlich wird bei diesem Ansatz Gemeinde in Beziehung zu Mission gesetzt. Als einer der Initiatoren gilt der verstorbene Unisa-Missiologe David Bosch. In seinem Klassiker Transforming Mission (1991) hat Bosch wegweisende Gedanken geäußert. Er schreibt davon, wie sich in unserer Zeit das Verständnis von Kirche ändern soll und muss, weg von einem überheblichen und distanzierten Verhältnis zur Welt hin zum Verständnis, dass die Kirche in die Welt gesandt ist und zum Wohl der Welt existiert. Mission sei, so Bosch, nicht länger nur eine Aktivität der Gemeinde, sondern Ausdruck der wahren Existenz der Kirche. Die ganze Welt wird zum Missionsfeld, was vor allem auch für die westliche Theologie bedeutet, dass sie sich in einer missionarischen Situation befindet. Bosch schließt seine Argumentation mit einer herausfordernden These: Genauso wie die Kirche aufhört Kirche zu sein, wenn sie nicht missionarisch ist, genauso hört Theologie auf Theologie zu sein, wenn sie ihren missionarischen Charakter verliert.

Mission als Herzschlag Gottes

Mission kommt vom lateinischen Verb mittere, was so viel wie „senden“ bedeutet, substantiviert heißt Mission eigentlich schlicht Sendung und betont die Bewegung. Im christlichen Sinn zuerst einmal die Bewegung von Gott zu den Menschen, wie sie uns vor allem in der Inkarnation Christi (Joh 1) begegnet. Gott wird Mensch mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben. In der klassischen Missionsstelle in Mt 28 wird diese Aufgabe der Bewegung und Sendung in die Welt an die Jünger Jesu weitergegeben. Sehr pointiert spricht auch Joh 17,18 über diesen Vorgang: „Wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt“. Gemeinde ist Mission, Mission ist der Herzschlag Gottes. Mission ist Zentrum und Essenz der Gemeinde. Das Adjektiv „missional“ deklariert darum, unter welcher Zielrichtung alle Aktivitäten der Gemeinde geschehen sollen. Der Gesichtspunkt der Mission soll alle Bereiche durchdringen. Die Vertreter der „Missional church“ verstehen Mission ganzheitlich: als Sendung in die Welt, wo unter anderem Evangelisation und soziale Aktion unauflöslich miteinander verbunden sind. Zudem begründet eben nicht die Gemeinde die Mission; vielmehr ist ihr Urheber und Initiator Gott, der sich zuerst selbst sendet. Die Mission wird so trinitarisch verankert. An dieser Mission Gottes (lat. missio dei*) darf und soll die Gemeinde nun mitbeteiligt sein.

Antwort auf die postchristliche Situation

Als revolutionär neu kann man diese Gedanken nicht bezeichnen. Ungewohnt ist dagegen die Perspektive. Die Vordenker schreiben nicht für Missionare in Übersee, sondern haben unsere westliche Welt vor Augen. Gerade für uns in Europa bedeutet dieser Ansatz ein Umdenken in unserem Gemeindeverständnis. Noch heute finden wir oft das Denken: „Wir haben ja unsere Missionare in Afrika und Asien, wir unterstützen sie mit Gebet und Geld.“ Aussendung von Missionaren nach Übersee ist auch heute noch eine notwendige und gute Sache, fatal ist aber, dass dabei übersehen wird, wie radikal die Verhältnisse sich verschoben haben. Wir befinden uns im Zuge der aufklärerischen Moderne und der multireligiösen Postmoderne längst im Zustand eines quasi nachchristlichen Europas. Unser Kontinent ist zu einem der dringendsten Missionsfelder geworden, besonders betroffen ist dabei die urbane Landschaft. Das Konzept der missionalen Gemeinde ist ein Versuch, eine Antwort auf die postchristliche Situation unserer westlichen Welt zu formulieren.

Konsumorientiert oder missional?

Eine „Missional Church“ mobilisiert alle ihre Glieder, sich als Gesandte in die Gesellschaft zu verstehen. Sie bevorzugt eine Geh-Struktur und beschränkt darum ihre missionarische Vision nicht auf die Einladung zu einem sonntäglichen Gottesdienst. Sinnbildlich könnte man darum sagen, die Kirche soll ihre Gebäude nicht ins Zentrum setzen, sondern dorthin gehen, wo sich die Menschen befinden, sei es an den Arbeitsplätzen, in den Parks oder in den Cafés und Pubs. Die genaue Struktur und Form einer missionalen Gemeinde ist dabei zweitrangig, allerdings gibt die Mehrheit der aktuellen Vertreter einem mehr organisch und auf Gemeinschaft ausgerichteten Modell den Vorzug (Stichwort „Missional Community“). Die Betonung der Gemeinschaft zeigt, dass wir von Gott nicht allein in diese Sendung gestellt werden, sondern vielmehr als Gemeinschaft, als geistliche Familie. Eine weitere wichtige Eigenschaft betont Dan Kimball, wenn er etwas schematisch die „Missional Church“ von der konsum- und programmorientierten Gemeinde unterscheidet.

- Konsumorientierte Gemeinde: Die Kirche wird in erster Linie als Verteilerin von religiösen Gütern und Gottesdiensten gesehen. Menschen kommen in die Gemeinde, um geistlich genährt zu werden. Sie wollen, dass ihre Bedürfnisse durch qualitativ hochwertige Programme gedeckt werden und Profis in dieser Zeit ihre Kinder über Gott unterrichten. Gemeindeverständnis: Ich gehe zur Gemeinde.

- Missionale Gemeinde: Kirche wird als Körper von Menschen gesehen, die sich gemeinsam zur Anbetung, Ermutigung und Lehre durch Gottes Wort versammeln. So ergänzen sie, was sie unter der Woche bereits selber an geistlicher Nahrung zu sich genommen haben. Sie wissen sich als Gesandte auf einer „Mission“ von Gott. Gemeindeverständnis: Wir sind Gemeinde.

Missionale Gemeinde ist also weit mehr als ein neuer Trendsetter für coole Gottesdienste mit Kerzen und Multimediagewittern. „Missional“ bezeichnet den Lebensstil eines Menschen, der sich 24 Stunden täglich an 7 Tagen pro Woche seiner Berufung als Gesandter Gottes in die Welt bewusst ist.

Literatur

Bosch, David 1991. Transforming Mission. New York: Orbis Books.

Missionale Theologie - Die Zukunft gestalten

Fritz Peyer-Müller, 2008b

Das Wichtigste zuerst!

IGW thematisiert die missionale Gemeinde, die missionale Theologie. Ein neuer Modegag? Hat denn das Alte ausgedient? Nein. Gerade nicht. Wir sind von der Gemeinde Jesu überzeugt und von ihren Möglichkeiten fasziniert. Wir teilen die Überzeugung mit vielen anderen, missionale Theologie sei ein Thema für die Zukunft jeder Gemeinde. Deshalb haben wir uns entschieden, an den Grundprämissen zu arbeiten. Die Diskussion über das Thema „missionale Gemeinde“ führt in eine grundlegende Klärung der Frage, was denn die Aufgabe der Gemeinde Jesu heute sei. Welche Leidenschaft motiviert Gemeinde, Gemeinde Jesu in der Postmoderne zu sein? So sehen wir die Diskussion um eine missionale Gemeinde als große Chance für bestehende und neue Gemeinden. Ihren Auftrag und ihr Verständnis muss die Gemeinde von einer starken ganzheitlichen Missionstheologie her neu bedenken. Roland Hardmeier, Gemeindeleiter, Dozent und Buchautor, hat an der IGW-Konferenz ausführlich über die Missionstheologie und über die missionale Gemeinde referiert. Seine Missionstheologie basiert nicht allein auf Mt 28. Sie bezieht die prophetische Vision eines anbrechenden Reiches Gottes im Alten Testament mit ein. Ausgehend von seiner Grundfrage fasse ich seinen Vortrag in den wesentlichen Punkten zusammen. Alle Zitate sind dem Vortrag[2] entnommen.

Worum geht es?

Engagiert referierte Hardmeier über ein ganzheitliches Missionsverständnis. Denn Mission hat Priorität und beeinflusst das Verständnis von Gemeinde. Die entscheidende Frage lautet nun:

Wie muss eine Kirche aussehen, die in unserer globalisierten, postmodernen Welt die Mission erfüllt, die Jesus ihr aufgetragen hat? Antwort: Sie muss eine Reich-Gottes-Gemeinschaft sein und ihre Sendung als Verwirklichung des Reiches Gottes verstehen.

Was das konkret bedeutet, wird in fünf Stichworten erläutert.

1. Manifestation

Der Anbruch des Reiches Gottes war im Leben, Dienst und Sterben Jesu zu erkennen. Der Tod Jesu ermöglichte ein neues, versöhntes Verhältnis zu Gott. Jesus bewirkte ganzheitliches Heil. Der Heilige Geist wurde ausgegossen als Zeichen des Reiches Gottes. Die prophetische Verkündigung verband mit der Ankündigung des Reiches Gottes Frieden und Gerechtigkeit. Jesus proklamierte die Ankunft des Reiches Gottes in seiner Person. „Aber Jesus kündigte nicht nur die Herrschaft Gottes an, er begann auch das Volk zu sammeln, das zu dieser Herrschaft gehört“. Darum steht die Gemeinde Jesu für Frieden und Gerechtigkeit ein.

2. Verkündigung

Die wichtigste Aufgabe der Gemeinde Jesu ist die Verkündigung des Evangeliums vom Reich Gottes. Der Kern der urchristlichen und heutigen Verkündigung war und ist das Leiden und Sterben Jesu Christi: Leiden und Sterben (Apg 2,33; 4,10-11), seine Auferstehung (Apg 2,24; 4,10), der Ruf zu Umkehr und Glaube (Apg 2,38-40; 4,11-12; 17,30) und die Zusage der Vergebung (Apg 2,38; 4,12) für alle Menschen (Apg 2,21.39; 17,30- 31) gemäß der Heiligen Schrift (Apg 2,23ff; 4,11). „Dieses Evangelium muss verkündet werden, weil es rettet“, so Hardmeier.

3. Demonstration

Die Gemeinde hat nicht nur die Aufgabe, das Evangelium von Jesus Christus zu verkündigen. Sie hat die Aufgabe, das Evangelium in ihrem Leben auch zu verkörpern. Das Evangelium von Jesus Christus erneuert das Verhältnis der Menschen zu Gott und zueinander. Im Zentrum der prophetischen Vision von erneuerten Beziehungen standen: Hilfe für Arme, Gerechtigkeit für Unterdrückte und Versöhnung von Feinden. In der Person Jesu, in der Jüngergemeinschaft und in der Urkirche begann man, die erneuerten Beziehungen zu leben. Hardmeier sagt: „Was Jesus tat, was er seine Jünger zu tun lehrte und was die Urkirche in ihrem gemeinsamen Leben nachahmte, geht die Kirche aller Zeiten an.“

4. Alternative

Die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus und das Leben als Reich-Gottes-Gemeinschaft stehen im Widerspruch zu den Grundsätzen, nach denen menschliche Gesellschaften funktionieren. „Die Kirche kann ihre Aufgabe in der Welt nur dann erfüllen, wenn sie sich als Alternative zur Gesellschaft versteht“, sagt Roland Hardmeier. Prophetische Botschaft und Verkündigung Jesu zielten auf die Veränderung der jüdischen Gesellschaft hin. Er wählte die Strategie der Senfkorn Revolution. Jesus zog Menschen aus allen Schichten an, sammelte sie um sich und lebte mit ihnen nach den Werten des anbrechenden Reiches Gottes. Hardmeier fordert darum:

Die Kirche sollte als Volk des Reiches nach den Maßstäben dieses Reiches leben und sie verkörpern. Sie stellt einen Kontrast dar zu den Herrschaftsstrukturen, nach denen die Gesellschaften der Welt funktionieren. Wenn die Kirche sich als Reich-Gottes-Gemeinschaft versteht und seine Werte radikal lebt, wird sie eine glaubhafte Demonstration biblischen Heils sein, eine anziehende Alternative mit dem Potenzial, die postmoderne Gesellschaft zu transformieren.

5. Attraktion

Die Gemeinde verkündet und lebt eine Botschaft. Die Gemeinde selbst ist die Botschaft. Jesus lehrt seine Jünger, dass die Welt in uns in der Liebe untereinander, in der Einheit, der Vergebung und den versöhnten Beziehungen die Welt uns als seine Jünger erkennt. Das ganzheitliche Heil Gottes wird sichtbar. „Die Kirche unterstützt nicht nur Mission. Die Kirche ist Mission“. Zusammenfassend heißt das: „Ihre Verkündigung (die gehört werden kann), ihre Anbetung (die erlebt werden kann), ihre Gemeinschaft (die beobachtet werden kann) und ihr Dienst an der Gesellschaft (der gesehen werden kann) bilden zusammen ihre Mission.“ Die Anziehungskraft der Kirche zeigt sich nicht am attraktiven Gottesdienst. Es geht um die Verkörperung des Heils im Leben der Gemeinde und in der Gesellschaft.

Literatur

Hardmeier, Roland 2009. Kirche ist Mission. Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Missionsverständnis. Edition IGW Bd.2. Schwarzenfeld: Neufeld

Hardmeier, Roland 2008. Missional church. Referat von Roland Hardmeier am IGW Kongress 2009. Audiodatei. IGW. Downloadbereich.

Missionale Gemeinde - in einem resignativen Umfeld

Karl Albietz, 2008

Ist das der Durchbruch?

Wenn man 40 Jahre in der christlichen Szene tätig war, hat man viele Erfolgsrezepte kommen und gehen sehen. Nun ist wieder eine Bewegung im Anmarsch, die „missionale Gemeinde“. Als alter Fuchs fragt man sich unwillkürlich: Was bringts eigentlich? Einfach eine Enttäuschung mehr, wenn die erste Euphorie vorüber ist? Oder ist das nun der endgültige Durchbruch zu neuem Leben, auf den wir schon so lange warten? Damit wir uns recht verstehen: Ich freue mich über jede neue Initiative in unserem Land, erst recht, wenn sie so grundsätzlicher Natur ist wie das Konzept der missionalen Gemeinde. Neue Initiativen sind für mich ein Beweis, dass Gott die Liebe zu unserem Land noch nicht verloren hat. Allerdings nützen neue Theorien wenig, wenn sie nicht umsetzbar sind. Wie wenn die missionale Gemeinde nur ein faszinierendes Thema wäre, über das man diskutieren könnte! Manchmal komme ich mir vor wie in einem Team von Ärzten, die über einen schwer kranken Patienten diskutieren – und inzwischen geht der tödliche Verlauf der Krankheit weiter und niemand hilft wirklich. Wo sind die Konzepte, die auch eine schwer kranke, resignierte Gemeinde noch faszinieren und in Fahrt bringen können? Haben traditionelle Gemeinden überhaupt eine Chance zu einer missionalen Gemeinde zu werden? Für mich ist das die Kernfrage, denn 95 % der Gemeinden in unserem Land sind traditionelle Gemeinden. Es ist heute leichter, eine neue Gemeinde zu gründen, als eine alte in Schwung zu bringen.

Nehemia: „Sie sind trotz allem dein Volk!“ (1,10)

Wie viel Barmherzigkeit liegt doch in diesem einen Satz! „Gott, ich begreife, dass du dich abgewandt hast. Wir haben deine Aufmerksamkeit nicht verdient! Aber gib uns doch wenigstens dieses eine Mal noch eine Chance.“ (Zur Erinnerung: Nehemia wohnte über 1200 Kilometer von Jerusalem entfernt. Trotzdem interessiert ihn das Schicksal von Gottes Volk brennend.) Diese Solidarität vermisse ich heute. Dabei ist genau das die Grundvoraussetzung für eine Veränderung am Status quo. Es gibt viele Beobachter der evangelikalen Szene, aber wenige, die nach ersten zaghaften Versuchen nicht das Handtuch werfen. Die Aufgabe, aus einer „normalen“ eine „missionale“ Gemeinde zu machen, scheint ihnen zu schwer, ja aussichtslos. Dabei ist doch die Arbeit an einer missionalen Gemeinde die faszinierendste Aufgabe, die es gibt. Denn in der Gemeinde Jesu steckt Sprengpotenzial. Gott will diese unsere Welt verändern – durch seine Gemeinde.

Missionale Gemeinden brauchen eine neue Qualität von Leitern

Die Gemeinde Jesu braucht bessere Leiter. Schreibtischtäter, die in der Lage sind, neue Ansätze in der Evangelisation (zum Beispiel) zu entdecken und umzusetzen. Sie braucht von der Sache Jesu überzeugte Praktiker, die nicht nur andere anleiten, sondern selber vorangehen. Authentische Männer und Frauen, die nichts vorspielen, sondern durch transparente Information anderen Mut machen. Vor allem braucht die Gemeinde Jesu radikale Leiter, die sich nicht am christlichen Durchschnitt orientieren, sondern am Chef und seinem Auftrag persönlich.

Gibt es noch Hoffnung für die Schweiz?

Lohnt es sich, in unser Land zu investieren? Oder stehen wir auf verlorenem Posten? Meine Hoffnung stützt sich nicht auf Anzeichen der Besserung. Es gibt zwar viele Einzelinitiativen – trotzdem schaffen wir den Durchbruch nicht. Die wenigen positiven Modelle von Gemeinden haben (noch) keine Breitenwirkung. Meine Hoffnung stützt sich ausschließlich auf den lebendigen Gott. Er hat alle Fäden in der Hand. Das letzte Buch der Bibel zeigt Jesus – das „Lamm Gottes“ – als CEO im Himmel. Und wir? Wir kennen ihn persönlich, haben einen heißen Draht zu ihm, haben Einfluss mitten im Schaltzentrum der Macht. Das ist ein Glücksfall! Er, der sich auf der Erde und im Himmel am besten auskennt, leitet die Geschicke, auch unseres Landes.

Darum missionale Gemeinde

Nicht, weil wir so gut wären, sondern weil er gut ist. Jesus hat das Unternehmen Weltmission nicht delegiert, keinem klugen Strategen auf der Erde anvertraut, auch keinem Engel im Himmel. Er kümmert sich selbst um den Lauf der Dinge, er erteilt die Befehle zur Rettung und zum Gericht. Die letzten 2000 Jahre sind der Beweis, dass Gott seine Ziele niemals aufgibt. Schauplätze und Akteure mögen sich verschieben, nicht aber Gottes Absichten mit dieser Welt.

Kirche ist Mission. Der Mensch Jesu als Vorbild

David Gysel fasst Kapitel 7 „Der Mensch Jesus“ aus „Kirche ist Mission“ von Roland Hardmeier (2009:252-297) zusammen.

David Gysel, 2009

Der Mensch Jesus als Vorbild

Unser Missionsverständnis muss sich an Jesus Christus als dem Zentrum der Heiligen Schrift messen. Seine Lehre und sein Leben sind maßgebend für das biblische Verständnis der Kirche und ihres missionarischen Auftrags.

Oft konzentriert sich die Wahrnehmung von Jesus in evangelikalen Kreisen auf Kreuz und Auferstehung. Dabei riskieren wir, das Leben Jesu zu wenig zu beachten und unseren Auftrag daher kaum daraus abzuleiten. Wir dürfen Jesus nicht nur als Sohn Gottes sehen, sondern wir müssen ihn auch verstehen als Mensch, der mit uns leidet, als Lehrer, dessen Leben unser Vorbild ist und als Prophet inmitten der Gesellschaft. Die Evangelien geben diesen Aspekten ein großes Gewicht. Eine solche „inkarnatorische“ Sicht haben vor allem Theologen aus der Zwei-Drittel-Welt in die weltweite evangelikale Missionstheologie eingebracht. Mission wird da also nicht allein mit dem Tod und der Auferstehung von Jesus begründet und nicht in erster Linie von den Missionsreisen des Apostels Paulus abgeleitet. So wie Jesus sich in der Menschwerdung (Inkarnation) erniedrigte und sich mit den Menschen und ihren Nöten identifizierte, so muss Mission hingebungsvoller Dienst an den Menschen sein. Aber auch: So wie die unweigerliche Konsequenz der Mission Jesu das Leiden und der Tod waren, so ist der Preis für wahre Mission und wahre Nachfolge das Leiden.

Mission als Inkarnation wird hauptsächlich aus dem Johannesevangelium abgeleitet. In Joh 17,18 betet Jesus für seine Jünger: „Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt.“ Und in 20,21 richtet er sich nach seiner Auferstehung an sie mit den Worten: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Während in Kap. 17 die Betonung grundsätzlich eher auf der persönlichen Beziehung des Jüngers zu Jesus liegt, zeigen diese beiden Stellen, dass „gesandt wie Jesus“ ein Prinzip mit breiter Anwendung ist und für jeden Bereich des christlichen Lebens gilt. Die Sendung Jesu wird in Lukas 4,18 mit alttestamentlichen Zitaten zusammengefasst. Dort definiert Jesus seine Mission als Sendung zu den Armen und Zerschlagenen.

Jesus, Lehrer und Vorbild

Der Blick auf Jesus als den wahren Menschen bietet die Chance, die Sterilität unserer Theologie zu überwinden. Wenn Jesus unser Lehrer ist, unser Vorbild, dem wir folgen, entdecken wir einen unbequemen, faszinierenden, menschlichen Jesus. Dass das Leben Jesu nachgeahmt werden soll, sehen wir speziell aus den Rückbezügen in den neutestamentlichen Briefen. Solche Rückbezüge allgemeiner Art finden wir z. B. in Gal 4,19; Kol 2,6-7; 1 Thess 1,6 und 1 Tim 4,4. Direkte Rückbezüge finden sich in Phil 1,27; 2,5; Röm 15,1-3.7; 2 Kor 8,9; 9,13; Eph 5,1.25. Und schließlich gibt es indirekte Rückbezüge auf die Lehre von Jesus: Man vergleiche dazu Röm 13,7 mit Mt 22,21; Röm 13,8-10 mit Mk 12,30-31; 1 Kor 4,12 mit Lk 6,27-28; 1 Kor 9,19 mit Mt 20,26-28; 1 Tim 6,8-9 mit Mt 6,24 sowie Lk 8,14 und 14,33; 2 Tim 2,22 mit 5,27-30; 2 Tim 4,5 mit Mt 25,14-30.

Jesus wird also im Neuen Testament nicht nur als Erlöser und Sohn Gottes porträtiert. Er ist mit seinem Leben zugleich der Lehrer, dem es zu folgen gilt, und das Vorbild für seine Nachfolger. In seiner Rolle als Erlöser ist Jesus einzigartig, in seinem Leben als wahrer Mensch das Vorbild für unser Leben. Lukas 4,18 mit seinem Bezug auf das Jubeljahr (Lev 25,1ff) macht deutlich, dass dieser Auftrag nicht nur geistlich zu verstehen ist, sondern umfassende Sorge für die Welt beinhaltet. Konkret: Wenn wir gesandt sind wie Jesus, und wenn Jesus sich der Armen und Zerschlagenen annimmt, dann bedeutet missionales Leben, dass wir uns ebenso der Bedürftigen annehmen sollten.

Jesus als Prophet

Jesus wurde von den Juden für einen Propheten gehalten (Mt 16,14) und bezeichnete sich selbst auch als solchen (Lk 4,24; 13,33). Das führt den Leser der Evangelien zurück zum Alten Testament und dessen Propheten. Diese fielen durch ihren leidenschaftlichen Bußruf und ihre scharfe Sozialkritik auf. Sie riefen dazu auf, in das rechte Bundesverhältnis mit Jahwe zurückzukehren, was auch die Abkehr von jeder Art von Unterdrückung beinhaltete. Diese Propheten waren öffentliche Personen, die auch der Konfrontation mit Verantwortungsträgern nicht auswichen.

Jesus selbst leistete Widerstand durch aktive Gewaltlosigkeit (vgl. z. B. Joh 18,23) und erhob prophetische Anklage gegen die Mächtigen. Dies führte geschichtlich gesehen zu seiner Hinrichtung (während theologisch gesehen sein Tod von Gott zur Sühne der menschlichen Schuld bestimmt war). Jesus trug Sorge zum Gottesdienst im Tempel und provozierte die religiösen Bräuche durch die Tempelreinigung. Er provozierte aber auch in Streitgesprächen und durch Heilungen am Sabbat. Provokation war bereits bei alttestamentlichen Propheten üblich und sollte den Aufruf zur Umkehr unterstreichen.

Jesus, der Gekreuzigte und Auferstandene

Da die Kreuzigung von Jesus einmaligen Charakter hat, beschreiben wir hier ihre Folgen. Unter dem Kreuz erkennen sich Menschen jeglicher Stellung und Herkunft als vor Gott bedürftige Sünder. Weil unter dem Kreuz alle gleich sind, wächst aus dieser Gleichheit die Versöhnung zwischen den Menschen und zwischen den Völkern (Eph 2,14-16). Das Kreuz ist im Neuen Testament nicht nur die Grundlage der Rechtfertigung des Sünders (auch wenn dieser Aspekt zentral bleibt), sondern auch die Verpflichtung des Gerechtfertigten zu versöhnendem Handeln. Die Auferstehung ist der Triumph des Gekreuzigten über die Mächte des Bösen und stellt die göttliche Legitimation seiner Sendung dar. Der Kulminationspunkt des Dienstes Jesu und seine hauptsächliche Mission waren sein stellvertretender Sühnetod und seine Auferstehung. Diese Dimension muss zentral in der christlichen Mission sein. Doch der umfassende Blick auf den Sohn Gottes und Propheten aus Galiläa sollte uns Ansporn und Verpflichtung zu einer energischen Spiritualität, einem aktiven Weltbezug und einem ganzheitlichen Missionsverständnis sein.

Literatur

Hardmeier, Roland 2009. Kirche ist Mission. Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Missionsverständnis. Edition IGW Bd.2. Schwarzenfeld: Neufeld.

Teil II: Referate, Thesen und Geschichten zur missionalen Theologie

Missionale Theologie

Einführung in den Think Tank 2009

IGW organisierte den ersten Think Tank im Januar 2009. Eine ausgewählte Teilnehmerschar zog sich für zwei Tage ins Seminarzentrum Ländli, Oberägeri zurück. Thema und Aufgabe waren, Thesen zur missionalen Theologie zu entwickeln. Roland Hardmeier referierte zur Einführung in die Diskussion über sieben Themenbereiche. 1. Mission zwischen 1910 und 2010; 2. Missionale Theologie und die Bibel; 3. Missionale Theologie und visionäres Denken; 4. Missionale Theologie und die Bündnisse; 5. Missionale Theologie und Israel; 6. Missionale Theologie und das Reich Gottes; 7. Missionale Theologie und Jesus. Die Ausführungen zu den Themen sind nur als Power-Point-Präsentation vorhanden. Hardmeier fasst aber nach jedem Thema die wichtigsten Aussagen in Thesen zusammen. Diese Thesen werden im Anschluss an die 12 Thesen als Diskussionsbeitrag aufgeführt.

Die 12 Thesen zur missionalen Theologie basieren im Wesentlichen auf dem Referat und auf den Thesen von Roland Hardmeier.

Impulsreferat missionale Theologie

Roland Hardmeier, 2009

Hardmeier fasste in seinen Referaten auf dem ersten Think Tank 2009 die wichtigsten Aussagen in Thesen zusammen, die im Folgenden aufgeführt werden.

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Ende der Leseprobe aus 203 Seiten

Details

Titel
Unterwegs zur missionalen Theologie. Texte. Thesen. Referate
Untertitel
Studienreihe IGW Band 4
Hochschule
IGW International
Autoren
Jahr
2018
Seiten
203
Katalognummer
V433183
ISBN (eBook)
9783668750371
ISBN (Buch)
9783668750388
Dateigröße
2614 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
unterwegs, theologie, texte, thesen, referate, studienreihe, band
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Dr. Fritz Peyer-Müller (Herausgeber:in)Michael Girgis (Herausgeber:in), 2018, Unterwegs zur missionalen Theologie. Texte. Thesen. Referate, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/433183

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Titel: Unterwegs zur missionalen Theologie. Texte. Thesen. Referate



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