Desertec. Neokolonialismus oder Entwicklungshilfe für Nordafrika?


Facharbeit (Schule), 2018

28 Seiten, Note: 14


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Desertec
2.1 Idee – Vision, Konzept und Pläne
2.2 Schlüsseltechnologien – notwendige technische Entwicklungen
2.3 Gescheitertes Projekt 2009 – Gründe
2.4 Aktueller Stand – Probleme, Fragen, Prototypen

3. Beurteilung des Projekts
3.1 Nachfrageländer – Entwicklungshilfe?
3.2 Anbieterländer – Neokolonialismus?

4. Fazit – Beantwortung der Leitfrage

5. Literaturverzeichnis

6. Anhang

1. Einleitung

„Sonnenenergie ist die Zukunft - im Kleinen wie im Großen“[1] (Georges T. Ross, Zukunftsforscher). Neben Wasserkraft, Windkraft, Biothermie oder Geothermie ist die Sonnenenergie eine zukunftsträchtige Energiequelle mit großem Potenzial.[2] „Die Wüsten der Erde erhalten in 6 Stunden mehr Energie von der Sonne, als die Menschheit in einem Jahr verbraucht“[3] (Dr. Gerhard Knies, Desertec-Vordenker). Die Wüstenregion in Nordafrika verspricht eine besonders effektive Nutzung der Sonnenenergie, welche unter dem Projektnamen “Desertec“ in Form von Solarthermie-Anlagen unter der Schirmherrschaft von Europa in die Wege geleitet werden soll.

Eines der größten Probleme der Menschheit ist, neben der unaufhaltsam wirkenden, steigenden Bevölkerungszahl, der damit einhergehende, stetig steigende Energiebedarf der Weltbevölkerung (siehe Abbildung 1). Die Verdopplung des globalen Energieverbrauchs innerhalb der letzten 40 Jahre (siehe Abbildung 1) treibt den Schadstoffausstoß – besonders von CO2[4] – in die Höhe, weshalb versucht wird, immer weniger Energie aus fossilen und immer mehr aus regenerativen Energieträgern zu gewinnen.[5]

Besonders auf Privat- oder Firmendächern findet die Energiegewinnung aus der Sonne, meist in Form von Photovoltaikanlagen, eine immer häufigere Nutzung.[6] Die Anzahl der Sonnenstunden ist in Deutschland vergleichsweise gering – um die 1600 Stunden im bundesweiten Durchschnitt[7] –, die Dauer der Einstrahlung in anderen Regionen der Erde ist deutlich höher. Besonders in Nordafrika ist eine maximale Ausbeute möglich, da dort die Sonnenenergie mit Solarthermie-Anlagen ca. 6200 äquivalente Vollaststunden im Jahr genutzt werden kann.[8]

Die Idee, den Strom in der Wüste von beispielsweise Marokko oder Algerien mit Hilfe von Parabolrinnenkraftwerken zu erzeugen, existiert schon seit 1913.[9] 2009 wurde bereits ein Versuch gestartet, welcher aus später noch zu nennenden Gründen nicht umgesetzt werden konnte. Bei der Stromgewinnung innerhalb der Sahara würde eine verhältnismäßig kleine Fläche (ca. 65.000 Quadratkilometer)[10] ausreichen, um einen Großteil des Stromverbrauchs der gesamten Erde zu decken. Die Europäer sprechen von riesigen Investitionen, die sie auf fremdem Land aus Motivation für den Klimawandel tätigen würden und einer Win-Win-Situation: Regenerativer Strom zur Deckung unseres Energiehaushalts auf der Einen und eine Entwicklungshilfe für die Maghreb-/Mena (Middle-East-North-Africa)-Region (siehe Abbildung 2,3) auf der anderen Seite.[11] Ob dies korrekt ist oder trügt, wird im Folgenden unter der Fragestellung: Desertec – Neokolonialismus oder Entwicklungshilfe für Nordafrika? überprüft.

Desertec ist nach wie vor in der Entwicklungsphase, in der häufige Veränderungen der Rahmenbedingungen und Misserfolge die Zielsetzung des Vorhabens immer wieder umwerfen, weshalb es schwer ist, über das Projekt aus dem Gesichtspunkt einer möglichen Kosten-Nutzen-Rechnung der beteiligten Länder und Investoren zu referieren. Zu einer Grundsatzdiskussion, ob ein derartiges Projekt neokolonialistische Züge aufweist oder nicht, lässt sich weitaus mehr Material finden. Für diese Thematik habe ich mich zudem entschieden, da eine solche Fragestellung ihre Aktualität deutlich länger beibehält. Im weiteren Verlauf soll geklärt werden, ob es vertretbar ist, dass ein Land zur Deckung des eigenen Bedarfs anderen Regionen die Sonnenvorkommen “entwenden“ und unter seine eigene Verwaltung und Organisation stellen kann.

Die Forschungsarbeit ist in zwei Themenblöcke gegliedert, in welchen zuerst über die Vision „Desertec“, die dazu notwendigen technischen Schlüsseltechnologien, das gescheiterte Vorhaben 2009 und den aktuellen Stand referiert wird, bevor der Schwerpunkt auf die Beurteilung des Projekts hinsichtlich der Fragestellung „Neokolonialismus oder Entwicklungshilfe“ für Nordafrika gelegt wird. Hierfür dienen hauptsächlich Internetartikel und Videos über das Vorhaben Desertec sowie weitere Onlinequellen und Sachbücher über die Thematik des Neokolonialismus als Quellen.

2. Desertec

2.1 Idee – Vision, Konzept und Pläne

„Desertec“ ist der Name für ein Großprojekt welches, durch in der Sahara erzeugten und über lange Leitungen nach Europa beförderten Strom, einen zunehmend größeren Anteil des europäischen Energiebedarfs decken soll.[12] Zunächst soll der lokale Strombedarf befriedigt und langfristig ein Anteil von 15% zum europäischen Stromverbrauch beigetragen werden.[13] Das „Desertec“ Projekt umfasst zusätzlich die Nutzung von unterschiedlichen Energieerzeugungsmethoden wie z.B. On- und Offshore-Windräder,[14] diese Arbeit zielt jedoch ausschließlich auf die Nutzung der Sonnenenergie in Nordafrika ab. Die dazu am häufigsten angewandte Methode, ist die Verwendung sogenannter Parabolrinnenkraftwerke (siehe Abbildung 4), bei welchen sich die, auf eine Ölleitung gerichteten Spiegel, mit Hilfe von Sensoren mit der Sonne bewegen. Das erhitze Öl produziert durch einen Wärmetauscher Wasserdampf, mit welchem über einen Generator Strom erzeugt wird. Aufgrund ihrer zuletzt gesteigerten Effizienz immer mehr im Kommen sind sogenannte Turmkraftwerke (siehe Abbildung 5), bei welchen durch bewegliche Spiegel, sogenannte Heliostaten, das Sonnenlicht auf eine kleine Fläche in einem Turm projiziert wird, welcher bei deutlich höherer Temperatur einen energiehaltigeren Wasserdampf erzeugen kann.

Bei beiden Varianten fallen extreme Kosten an, welche im dreistelligen Milliardenbereich liegen[15], was einer der Gründe für das Scheitern des Projekts im Jahre 2009 war (siehe 2.3). Um endlich von fossilen Energiequellen abzukommen und in erneuerbare Energieträger zu investieren, wurde 2009 von der Desertec-Verwaltung die DII (Desertec-Industrie-Initiative) ins Leben gerufen, welche bis 2014 die Machbarkeit demonstrieren und die Umsetzung mit Hilfe von Forschungs- und Finanzpartnern weiter vorantreiben soll.[16] Als Ziel wurde die erste Durchleitung von Desertec-Strom im Jahr 2020 angegeben[17] – was Stand heute nicht erfüllt werden kann – und in ferner Zukunft sollen pro Jahr etwa 75 Terawattstunden von Nordafrika nach Europa fließen.[18]

Der große Vorteil, dass die Solarthermie eine regelbare Energiequelle ist, beruht auf dem integrierten flüssigen Salzwasserspeicher, der tagsüber bei Überproduktion aufgefüllt wird und diese Energie bei Bedarf annähernd die gesamte Nacht freigeben kann (siehe Abbildung 6). In der Verwendung dieser Methode sehen die Initiatoren der „Desertec“-Bewegung einen großen, auch kostenmäßigen Vorteil,[19] denn Solarthermie-Kraftwerke können heimische Netzspitzen genauso schnell ausgleichen, wie die für den Schwankungsausgleich prädestinierten Gaskraftwerke hierzulande.[20]

Die Europäer sehen „Desertec“ als großen Gewinn für beide Seiten an, denn bei der Stromgewinnung werden weniger bis gar keine Schadstoffe produziert und den Einwohnern Nordafrikas wird Entwicklungshilfe geboten, in denen ihnen Infrastruktur und ausreichend Wasser zu Verfügung gestellt wird.[21] Zudem wird der Energiebedarf Europas gedeckt und die Produktion diversifiziert.

2.2 Schlüsseltechnologien – notwendige technische Entwicklungen

Eine der größten Herausforderungen und Hindernisse dieses exorbitanten Projektes wird darin bestehen, den produzierten Strom von der MENA-Region in die weit entfernten Stromverbrauchszentren zu transportieren.[22] Ein Transport bei Wechselspannung, wie hierzulande üblich, wäre zu ineffizient, ebenso wie eine mögliche Speicherung in Wasserstoff-Tanks, durch welche ca. 70 % Verlust auftreten würde.[23] Die einzige, wirtschaftlich kluge Übertragungstechnologie mittels Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsnetzen (HGÜ), würde den Verlust bei ca. 2-4 % der Energie je 1000 Kilometer[24] im Rahmen halten, sodass Verbraucherzentren in 3000-5000 Kilometern Entfernung noch gewinnbringend versorgt werden können. Die Kapazität der Leitungen von MENA nach Europa sollte das geplante Ziel, bis 2050 15 % des europäischen Strombedarfes mit Wüstenstrom decken zu können[25], nicht beschränken, weshalb die Trassen bis 2020 (aus-)gebaut werden sollen, um eine Spannung von 500 kV und eine Kapazität von 2.000 MW zu erreichen.[26]

Ein weiterer Aspekt, den es zu beachten gilt, ist die oben schon angeklungene Produktionstechnik vor Ort. Zu Beginn ist zu entscheiden, ob mit Photovoltaik/Solarthermie oder mit Wind-/Wasserkraft gearbeitet wird – wobei die Solarthermie aufgrund ihrer deutlich höheren Effizienz im Mittelpunkt des Projektes steht. Anschließend gilt es zu klären, welche der konzentrierenden solarthermischen Technologien in Erwägung gezogen wird. Das Potenzial der Sonne lässt sich prinzipiell durch linienkonzentrierende Parabolrinnenkraftwerke und Fresnelkollektoren sowie die punktkonzentrierenden Solartürme und Dish-Stirling-Anlagen nutzen.[27]

Die anhaltenden Forschungen und Entwicklungen hin zu einem für alle Parteien deutlich effizienteren Projekt bringen die Schlüsseltechnologien auf ein immer höheres Level, welches in dem geplanten Ausbau und der Verbesserung der Kapazität der Trassen durch Afrika und das Mittelmeer gipfelt.

2.3 Gescheitertes Projekt 2009 – Gründe

Das 2009 mit großer Euphorie und nach über 5 Jahren Planung gestartete Großprojekt “Desertec“ scheiterte aus unterschiedlichen Gründen, welche eine Fortsetzung unter diesen Umständen unmöglich machten.

Der erste maßgebliche Fehler, welcher seitens der Initiatoren begangen wurde, war, die Situation der Bevölkerung in den teilweise von Diktatoren regierten Ländern zu ignorieren und sich einzureden, es herrsche eine stabile Lage[28]. Mit dem „Arabischen Frühling“ schwand der Glaube an ein funktionierendes, wirtschaftliches und vor allem sicheres Versorgungssystem unter Einbeziehung dieser Länder. Dies zog das schnelle Abspringen zahlreicher, namhafter Investoren wie der Münchner Rück, der Schweizer ABB und der Deutschen Bank nach sich.[29]

Paradoxerweise fungierte die Reaktorkatastrophe in Fukushima nicht als Treiber, sondern eher als Hemmschuh für den weiteren Auf-/Ausbau von Kraftwerken in anderen Ländern.[30] Der Blick ging vermehrt auf eine dezentralere Versorgung, um unabhängiger von anderen Ländern zu werden, sodass der Ausbau der heimischen erneuerbaren Energien vorangetrieben wurde.[31] Daraus resultierte wiederum ein starker Preisverfall des Solarstroms, welcher in Kombination mit den vergleichsweise teuren Produktionskosten der Solarthermie[32] zum weiteren Ausstieg zahlreicher Investoren führte. Allein Siemens musste vor seinem Ausstieg mehr als 400 Millionen Dollar Verluste abschreiben. Die verbliebenen DII-Gesellschafter setzten mehr auf heimische Stromerzeugung vom Maghreb bis zur Levante[33], sodass das Projekt vorerst auf Eis gelegt wurde.

Eine weitere Schattenseite der Region im Nahen Osten – der Terrorismus – trug zusammen mit der anhaltenden Korruption[34] zu diesem Szenario bei. Als 2012 ein deutscher Bauingenieur von Al-Kaida-Truppen entführt und anschließend getötet wurde,[35] nahmen die Bedenken bezüglich einer sicheren Zukunft im Zusammenhang mit den teilweise starken Widerständen der Einheimischen, welche das Projekt in keinster Weise als Entwicklungshilfe ansahen, zu.[36]

Der Strom aus konventionellen Kraftwerken kostete im Jahr 2009 5 Cent pro Kilowattstunde, die bestehenden solarthermischen Kraftwerke in Andalusien erzeugten eine Kilowattstunde für 20 Cent. Aufgrund dieser Preisdifferenz und einem großen vorhergesagten Steigerungspotenzial der dezentralen Photovoltaik bezüglich Anwendungsumfang und Wirtschaftlichkeit, drängten die Vertreter erfolgslos auf langfristige staatliche Abnahmegarantien, um eine vertragliche Absicherung ihrer Investitionen in Desertec zu erlangen.[37]

Die Grundidee von „Desertec“ ist noch lange nicht ausgestorben und keimt in diversen Nachfolgeprojekten und einer immer noch existierenden DII-Gruppe weiter heran, mit der Hoffnung, in Zukunft bei veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen den Durchbruch zu schaffen. „Denn [eins] haben Geld und Strom gemeinsam: beide bevorzugen den Weg des geringsten Widerstandes.“[38]

2.4 Aktueller Stand – Probleme, Fragen, Prototypen

Um ein erneutes Aufgreifen der Desertec-Idee zu ermöglichen, müssen vorerst einige Fragen geklärt und die aktuellen Umstände erläutert werden. Derzeit steht in Südspanien bereits eine Art Prototyp für Desertec, bei welchem es sich um ein Turmkraftwerk mit ca. 5500 äquivalenten Volllaststunden handelt. Es läuft ohne nennenswerte Probleme, was die eingesetzte Technik, wie beispielsweise die HGÜ-Leitungen, bestätigt.[39] Diese Leitungen existieren auf jedem Kontinent, bilden zwischen Marokko und Spanien die bisher einzige Verbindung zwischen Afrika und Europa und müssen für eine Realisierung von Desertec weiter ausgebaut werden.[40]

Ein großes Problem sind die politischen Abhängigkeiten von derartigen Krisengebieten, in denen jeden Moment ein Bürgerkrieg ausbrechen und die Energieerzeugung des „Desertec“-Projektes ruinieren könnte. Um das weitere Abspringen von Investoren zu verhindern, muss eine AAA-Investitionsbedingung durch einen international versicherten Abnahmevertrag geschaffen werden. Harald Lesch schlägt für die weitere Finanzierung eine Volksaktie vor, bei der sich jeder interessierte Bürger beteiligen kann.[41]

Die oftmals gestellte Frage bezüglich der Risikoeinschätzung der Stromversorgung via “Desertec“ ist nach Meinung von Franz Trieb berechtigt, jedoch leicht zu beantworten, da Marokko im Jahr 2017 mit einer Risikostufe (3) sicherer als Deutschlands Großversorger, Russland (4) eingeschätzt wird.[42] Zudem verkleinert ein weiterer Energielieferant die Abhängigkeit gegenüber den anderen.[43] Bei rasanten Entwicklungen der heimischen erneuerbaren Energieproduktion besteht zudem die Gefahr, dass der importierte Strom nicht mehr benötigt wird und durch den heimischen Preisdruck die Wirtschaftlichkeit des gesamten Projektes in Frage gestellt wird. Deshalb muss eine Absicherung seitens der Politik für die Wirtschaft im Sinne des oben genannten Abnahmevertrages gegeben sein.[44]

Ein weiteres Hindernis stellen die schweren Erschließungsmöglichkeiten in der Wüste dar, welche sich besonders durch die fehlende politische Stabilität, Infrastruktur und unterschiedliche Lebensführung darstellt und die Kostenrechnungen noch spürbar nach oben beeinflussen könnte.

Dennoch ist das Ziel einer hundertprozentig nachhaltigen Energieversorgung nach Ansicht der Befürworter nicht ohne Desertec zu erreichen, da die Solarthermie in Afrika regulierbar, höchst effizient und eine große Investition in die Zukunft ist. Franz Trieb geht sogar soweit, dass er eine Nichtnutzung und Nichtabnahme der Sonnenenergie der Maghreb-Region als unverantwortlich deklariert[45].

Für die politische Sicherheit der EUMENA-Region ist Desertec heute immer noch aufgrund des finanziellen Anreizes für eine beständige Stromlieferung „besser als jeder Militärpakt“[46] anzusehen[47].

3. Beurteilung des Projekts

3.1 Nachfrageländer – Entwicklungshilfe?

Desertec dient vor allen Dingen dem Stillen des „Energiehungers“ der europäischen Bevölkerung und sollte zusätzlich noch wirtschaftlichen Nutzen stiften. Das Projekt ist keinesfalls als europäische Barmherzigkeit anzusehen, welches vorrangig die Situation in Afrika verbessern soll, dennoch werden in der Zielsetzung des Projektes entwicklungsbezogene Effekte genannt.[48]

Solarenergie in Deutschland zu fördern und zu nutzen sei so sinnvoll „wie Ananas züchten in Alaska“,[49] meinte der frühere RWE-Chef Jürgen-Großmann. Nebst dem Effektivitätsgrund gibt es weitere Aspekte, die für eine Umsetzung des Desertec-Vorhabens sprechen, wie z.B. eine regenerative Erzeugung des Stromes in großem Maße oder die Herstellung einer ressourcenunabhängigen Grundlage.[50] Diese Arbeit spezialisiert sich jedoch auf die Frage, ob dem Projekt Desertec entwicklungsfördernde Aspekte oder neokolonialistisches Denken zugrunde liegen. Ersteres wird von einem Großteil der europäisches Beteiligten hervorgehoben und bedarf einer sorgfältigen, argumentativen Überprüfung im folgenden Teil.

Der Kohlenstoffdioxidausstoß, welcher weltweit konstant zunimmt,[51] besorgt und beschäftigt die gesamte Menschheit. Im Falle der Umsetzung des Desertec-Projektes wird „der CO2-Ausstoß Europas, Nordafrikas und des Nahen Ostens trotz Steigerung des Energieverbrauchs durch die fortschreitende Technisierung, der Meerwasserentsalzung und des zu erwartenden Bevölkerungswachstums in der MENA-Region um 80% reduziert werden“[52]. Desertec würde dieses globale Problem auch zugunsten von Nordafrika lösen und ihnen indirekt eine Entwicklungshilfe und die Chance auf bessere Lebensumstände bieten.

Unter dem Leitsatz: „Vom Shatterbelt zum Gateway“[53] versteht man in Europa, dass das Projekt Desertec durch den gemeinsamen finanziellen Reiz und die Abhängigkeit der Staaten aus der von Konflikten geprägten Region ein stabileres Umfeld schafft. Denn „Konflikte zwischen Parteien, die keine gegenseitigen Abhängigkeiten haben, sind wesentlich wahrscheinlicher als zwischen solchen mit Interdependenzen“[54]. Durch die geplanten, länderübergreifenden Leitungen würde aufgrund des übergeordneten Zieles, sich auf Basis dieser finanziellen Unterstützung weiterzuentwickeln, zudem zwangsläufig eine bessere Kooperation innerhalb der gesamten EUMENA (Europa+MENA)-Region existieren.[55]

Die mit dem Bau und der Versorgung der Desertec-Anlage neu entstehenden Arbeitsplätze würden gerade in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit einen ökonomischen und gesellschaftlichen Aufschwung mit sich bringen. So beträgt zum Beispiel die Arbeitslosigkeit in Libyen knapp 20 %[56] und die Jugendarbeitslosigkeit über 40 %[57] und in Ägypten sind über 12 %[58] der Erwachsenen und ca. 33 %[59] der Jugendlichen arbeitslos. Viele Nomaden und andere Minderheiten bekämen durch die Arbeit[60] über eine bestimmte Dauer eine gesicherte Einnahme, sodass sie den Anschluss an die globalisierte Welt (siehe Abbildung 7) erreichen könnten. In Kopplung mit starken Investitionen aus der EU verspricht sich vor allem die marokkanische Industrie Entwicklungsimpulse[61], welche durch das Desertec-Projekt überhaupt erst ermöglicht werden könnten. Eine wichtige Stütze für die Entwicklung der MENA-Region bietet eine sichere Stromversorgung, welche durch Solarthermie – von welcher nicht alles exportiert wird – als Alternative zu den immer geringer werdenden Erdgas- und Erdölvorkommen abgesichert ist.[62]

Die durch Desertec ermöglichte Verbesserung des Arbeitsmarktes und der Stromversorgung ist langfristig gesehen eine Hilfe zur Selbsthilfe.[63] Durch die Bereitstellung der Premiumenergie "elektrischer Strom"[64], werden Wirtschaftskreisläufe gefördert und der Bevölkerung ein nachvollziehbarer Grund geboten, in ihrer Heimat zu bleiben. Dies würde wiederum zukünftige Einwanderungswellen nach Europa mindern.[65]

Des weiteren würde durch Desertec eine bessere Trinkwasserversorgung in den teils trockenen Wüstengebieten ermöglicht werden. Meerwasserentsalzungsanlagen sind für die Reinigung der Spiegel unabdingbar, denn Salzwasser wäre für das Reinigen zu aggressiv und derartige Wassermengen lassen sich unmöglich aus dem tiefgelegenen Grundwasser pumpen. Im Jahr 2013 haben immer noch fünf Milliarden Menschen weltweit – trotz zügigen Ausbaus von Wasserversorgungssystemen – unsaubere Latrinen verwendet.[66] Nach dem UNESCO-Report im Jahre 2009 hängen „80 % der Krankheiten in Entwicklungsländern [...] mit Wasser zusammen, allein an Durchfall stirbt alle 17 Sekunden ein Kind“.[67] Nach der „Welt“ werden 2040 gerade die nordafrikanischen Länder einem Wassermangel-Risiko von über 80 % ausgesetzt sein,[68] woraus ein dauerhaftes Leben in Armut resultiert.[69]

Die dauerhafte Reinigung der Spiegelflächen mit großen Wassermengen schließt die Möglichkeit der Sekundärnutzung nicht aus. In Kombination mit den großflächig schattenspendenden Spiegeln könnte eine Grünfläche entstehen, die zu verhältnismäßig kostengünstigen Agrarflächen transferiert werden könnte.[70] Die Nutzung durch Landwirtschaft mit beispielsweise grasenden Schafen für die Produktion von Berberteppichen würde das Projekt noch effektiver machen und dem Hungerproblem in Nordafrika (siehe Abbildung 8) vorbeugen.[71] Eine Umrandung der Anlage mit Bäumen und Sträuchern zum Schutz der Spiegelflächen würde das Projekt ökonomischer werden lassen und ein oasenähnliches Gebiet komplettieren.[72]

[...]


[1] Surprise, Strassenmagazin, 11

[2] vgl. Potenzial der Sonnenenergie

[3] Desertec Traum oder Alptraum, 6

[4] vgl. Erneuerbare Energien und Klimaschutz

[5] vgl. Rekord für Wind, Sonne und Co.

[6] vgl. Photovoltaik in Deutschland. Entwicklung, Zubau und tatsächliche Einspeisung in Deutschland.

[7] vgl. Anzahl der Sonnenstunden in Deutschland nach Bundesländern im Jahr 2017

[8] vgl. Fernübertragung regelbarer Solarenergie von Nordafrika nach Mitteleuropa, 23

[9] vgl. Solarvision Desertec – wie Ingenieure darüber denken, 27

[10] vgl. Strom aus der Wüste, Z.23

[11] vgl. Desertec – Wirtschaftliche Dynamik und politische Stabilität durch Solarkraft?, 2f.

[12] vgl. Strom aus der Wüste: Das gigantische „Desertec“-Projekt – Spiegel TV (vid.), 00:40f. min

[13] vgl. Desertec – Traum oder Alptraum, Entwicklungspolitische Anforderungen an ein Projekt der Superlative

[14] vgl. Energietransport GIS gestützte Identifikation optimaler Stromleitungstrassen zwischen Nordafrika und Europa, 543

[15] vgl. Desertec: Wirtschaftliche Dynamik und politische Stabilität durch Solarkraft, 2

[16] vgl. Wüstenstrom-Projekt Desertec, 11

[17] vgl. Desertec: Wirtschaftliche Dynamik und politische Stabilität durch Solarkraft, 2

[18] vgl. Desertec: Wirtschaftliche Dynamik und politische Stabilität durch Solarkraft, 4

[19] vgl. Solarvision Desertec – wie Ingenieure darüber denken, 23

[20] vgl. Flexibilität von Kohle- und Gaskraftwerken zum Ausgleich von Nachfrage- und Einspeiseschwankungen. Einspeiseschwankungen

[21] vgl. Wüstenstrom-Projekt Desertec, 16

[22] vgl. Energietransport – GIS-gestützte Identifikation optimaler Stromleitungstrassen zwischen Nordafrika und Europa, 543

[23] vgl. Desertec: Strom aus der Wüste für eine Klima und Ressourcen schonende Energieversorgung Europas, 17

[24] vgl. Energietransport – GIS-gestützte Identifikation optimaler Stromleitungstrassen zwischen Nordafrika und Europa, 543

[25] vgl. Energietransport – GIS-gestützte Identifikation optimaler Stromleitungstrassen zwischen Nordafrika und Europa, 543

[26] vgl. Energietransport – GIS-gestützte Identifikation optimaler Stromleitungstrassen zwischen Nordafrika und Europa, 544

[27] vgl. Bosch 2010, 28 ff.

[28] vgl. Realitätscheck bei Desertec, Z. 44 ff.

[29] vgl. der Traum vom Wüstenstrom ist gescheitert, Z.11ff.

[30] vgl. der Traum vom Wüstenstrom ist gescheitert, Z.34f.

[31] vgl. der Traum vom Wüstenstrom ist gescheitert, Z.40f.

[32] vgl. der Traum vom Wüstenstrom ist gescheitert, Z.48

[33] vgl. der Traum vom Wüstenstrom ist gescheitert, Z.54ff.

[34] vgl. Korruption in Afrika

[35] vgl. Islamisten töten entführten Deutschen

[36] vgl. Entwicklungshilfe für Deutschland? Solarzellen zerstört, (Video)

[37] vgl. Desertec: Wirtschaftliche Dynamik und politische Stabilität durch Solarkraft?, 5

[38] Realitätscheck bei Desertec, 1

[39] vgl. Strom aus der Wüste / Harald Lesch & Franz Trieb, (Video), 21f.

[40] vgl. Strom aus der Wüste / Harald Lesch & Franz Trieb, (Video), 21f.

[41] vgl. Strom aus der Wüste / Harald Lesch & Franz Trieb, (Video), 22f.

[42] vgl. Strom aus der Wüste / Harald Lesch & Franz Trieb, (Video), 19ff.

[43] vgl. Strom aus der Wüste / Harald Lesch & Franz Trieb, (Video), 26f.

[44] vgl. Strom aus der Wüste / Harald Lesch & Franz Trieb, (Video), 20ff.

[45] vgl. Strom aus der Wüste / Harald Lesch und Franz Trieb (vid.), 20:27 min

[46] Desertec: Wirtschaftliche Dynamik und politische Stabilität durch Solarkraft?, 2: zitiert nach Kreimeier, Gassmann und Proissl 2009, Thumann 2009

[47] vgl. Desertec: Wirtschaftliche Dynamik und politische Stabilität durch Solarkraft?, 2

[48] Desertec. The Vision

[49] Solarstrom viel teurer, Z.19f.

[50] vgl. Desertec: Wirtschaftliche Dynamik und politische Stabilität durch Solarkraft?, 2

[51] vgl. Erneuerbare Energien und Klimaschutz, Statistik

[52] Das Desertec-Projekt und der arabisch-Frankophone Maghreb am Fallbeispiel: Marokko, 1

[53] vgl. Desertec: Wirtschaftliche Dynamik und politische Stabilität durch Solarkraft?, 3

[54] Solarstromimporte aus der Wüste, 5

[55] vgl. Solarstromimporte aus der Wüste, 5

[56] vgl. Libyen: Arbeitslosenquote von 2007 bis 2017

[57] vgl. Libyen: Arbeitslosenquote Jugendliche

[58] vgl. Ägypten: Arbeitslosenquote von 2007 bis 2017

[59] vgl. Ägypten: Arbeitslosenquote Jugendliche

[60] vgl. Desertec: Wirtschaftliche Dynamik und politische Stabilität durch Solarkraft?, 4

[61] vgl. Desertec: Wirtschaftliche Dynamik und politische Stabilität durch Solarkraft?, 4

[62] vgl. Desertec: Wirtschaftliche Dynamik und politische Stabilität durch Solarkraft?, 4

[63] vgl. Strom aus der Wüste / Harald Lesch & Franz Trieb, (Video), 26f.

[64] vgl. Strom aus der Wüste / Harald Lesch & Franz Trieb, (Video), 26

[65] vgl. Strom aus der Wüste / Harald Lesch & Franz Trieb, (Video), 26f.

[66] vgl. UNESCO-Report 2009: Sauberes Wasser wird knapper, Z.12ff.

[67] UNESCO-Report 2009: Sauberes Wasser wird knapper, Z.15f.

[68] vgl. In diesen Ländern wird das Wasser knapp

[69] vgl. UNESCO-Report 2009: Sauberes Wasser wird knapper, Z.15

[70] vgl. Strom aus der Wüste / Harald Lesch & Franz Trieb, (Video) 11

[71] vgl. Strom aus der Wüste / Harald Lesch & Franz Trieb, (Video) 11f.

[72] vgl. Strom aus der Wüste / Harald Lesch & Franz Trieb, (Video) 11

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Desertec. Neokolonialismus oder Entwicklungshilfe für Nordafrika?
Note
14
Autor
Jahr
2018
Seiten
28
Katalognummer
V432966
ISBN (eBook)
9783668814981
ISBN (Buch)
9783668814998
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Neokolonialismus, Desertec, Entwicklungshilfe, Grüner Kapitalismus, Kapitalismus, Wüstenstrom, kulturelle Hegemonie, Solarthermie
Arbeit zitieren
Michael Mauß (Autor:in), 2018, Desertec. Neokolonialismus oder Entwicklungshilfe für Nordafrika?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/432966

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