Zugänge zu Geschichtsbildern in historischen Computerspielen

Eine kritische Analyse der Vermittlung des Bildes der Französischen Revolution in Assassin's Creed: Unity


Masterarbeit, 2015

79 Seiten, Note: 2,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theorie
2.1 Geschichtsdidaktik
2.1.1 Geschichtsbild
2.1.2 Geschichtsbewusstsein
2.1.3 Geschichtskultur
2.1.4 Historisches Lernen
2.2 Computerspiele
2.2.1 Computerspiel und Spieler
2.2.2 Historische Computerspiele
2.3 Geschichte in der Assassin's Creed Reihe
2.3.1 Die Welt der Assassin's Creed Spiele
2.3.2 Forschung zu Assassin's Creed Spielen

3 Die Französische Revolution in Assassin's Creed: Unity
3.1 Allgemeiner Überblick
3.2 Verortung
3.3 Gebäude
3.4 Alltag
3.4.1 Demonstration vor Notre-Dame
3.4.2 Meinungsbildung vor dem Panthéon
3.4.3 Die Straßen des revolutionären Paris
3.5 Einzelne Personen
3.5.1 Chevalier d'Eon
3.5.2 Théroigne de Méricourt
3.6 Ereignisse

4 Wahrnehmung der Historizität von Computerspielen
4.1 Fragebogen
4.1.1 Intention und Teilnehmer
4.1.2 Der Fragenkatalog
4.2 Ergebnisse
4.2.1 Teilnehmer
4.2.2 Ergebnisse der Befragung
4.3 Interpretation
4.3.1 Darstellung von Geschichte in historischen Computerspielen
4.3.2 Authentizität von Bildern
4.3.3 Umgang mit Assassin's Creed
4.3.4 Das von Assassin's Creed: Unity vermittelte Geschichtsbild

5 Fazit

6 Quellen- und Literaturverzeichnis
6.1 Spiele
6.2 Quellen
6.3 Monographien
6.4 Sammelbände und Lexika
6.5 Sammelbandaufsätze und Lexikonartikel
6.6 Zeitschriftenaufsätze
6.7 Internetadressen
6.8 Bildverzeichnis

7 Anhang

1 Einleitung

„DIE GENERALSTÄNDE – 5. Mai 1789“ lese ich, während sich mein Blick auf ein eindrucksvolles, barockes Gebäude senkt. Seine Hufeisenform umschließt einen Hof, der mit zahlreichen Personen gefüllt ist, welche sich in den linken Flügel begeben. Plötzlich wird mein Blick auf eine der Kutschen im Hof gelenkt. Ein schwarz gekleideter Mann mit Zylinder hilft einer rothaarigen Dame aus dem Gefährt. „Da seid ihr ja!“ Ich habe François de la Serre und seine Tochter erkannt. Seinetwegen bin ich hier. Doch sie treten in das Gebäude. Ich muss ihnen folgen.

Ich – das heißt Arno Dorian – hocke noch immer auf dem Kreuz auf der Spitze des Kirchturmes, auf welchen ich zuvor geklettert bin. Ohne Zögern springe ich in die Tiefe, um sicher im Strohhaufen auf dem tiefer gelegenen Dach der Kirche zu landen. Schon hechte ich aus dem Stroh heraus, über die Kante des Daches, über einen Bogen herunter auf die Straße. Dem überraschten Aufschrei der hier stehenden Damen schenke ich keine Beachtung, sondern bewege mich schnellen Schrittes auf den Hof zu. Hier drängt sich bereits eine Masse edel gekleideter Herren am Tor, zwischen denen ich mich hindurch schlängele. „Zurück jetzt! Habt ihr gehört?!“ ertönt die Stimme des Soldaten, der verhindert, dass die Menschen weiter in den Hof vordringen. Scheinbar bin ich nicht der einzige, der hier herein will. Sein Blick schweift zur rechten Seite der Menschenmasse. Meine Chance! Ich wende mich nach links. Hier steht eine Kutsche. Hinter der wird er mich nicht sehen. Doch Vorsicht! Hier sind weitere Soldaten. Ich gehe weiter zu einer Personengruppe, die hier offenbar geduldet wird. Hier falle ich nicht weiter auf. Langsamen Schrittes schreite ich weiter. Noch immer stehen hier in einer langen, breiten Schlange zahlreiche Männer, um in den linken Flügel zu gelangen. Die Tür ist jedoch geschlossen, sodass ich hier nicht eintreten kann. Doch dort in der Mitte steht die Tür offen. Hier sind zwar keine Menschen, die mir Deckung geben. Doch kann ich mich hinter den Pflanzenkübeln verstecken, hinter der Wache vorbei und schon bin ich im Inneren.

Auf einem roten Teppich gehe ich den Flur entlang zwischen weißen, goldverzierten Wänden. Ich betrete einen großen Raum, in dem sich einige Herren vor den hohen Fenstern stehend unterhalten. Zu meiner Linken erblicke ich einen Globus, darüber ein großes Gemälde in einem opulenten Rahmen. Auch der nächste Raum ist wieder reich geschmückt: Eine Bronzestatue hält einen Kerzenständer, über einem Sofa hängt ein noch größeres Gemälde, in der anderen Ecke eine Standuhr und weitere Gemälde. Auch hier stehen wieder Männergruppen, einer wohnt auch eine Dame bei. Das interessiert mich jedoch nicht wirklich. Entscheidend ist die durch Leuchten hervorgehobene Tür, durch die ich tiefer ins Gebäude eindringe. Spätestens jetzt muss ich merken, dass dies kein beliebiges Gebäude ist. Gewaltige Säulen umringen einen kristallbesetzten Kronleuchter. Zu meiner Linken sehe ich eine geschlossene Tür, hinter der jemand mit deutlicher Stimme spricht. Ich folge jedoch dem Gang vor mir, an dessen Ende ich eine Treppe wahrnehme, welche sich nach links wendet. Ich gelange in einen dunklen Durchgang. Nur von der linken Seite fällt Licht herein. Dies wird jedoch deutlich gedämpft durch zahlreiche Herren, die sich hier auf der linken Seite zwischen den Pfeilern drängen. Offenbar blicken sie alle in den großen Saal, aus dem die zuvor gehörte Stimme ertönt. Wer mag dort wohl sprechen? Ich bahne mir einen Weg durch die Personen, um einen Blick auf ihn zu werfen. Dort steht er auf einer Bühne; zu seinen Seiten und vor ihm mehrere Soldaten, hinter ihm ein Thron. Das muss der König sein! Oder zumindest ein Vertreter. Schließlich sind wir hier in Versailles und alle Umstände deuten auf die herausgehobene Stellung des Sprechers hin. Während ich ihm ein Ohr schenke, wandert mein Blick durch den Raum: Vor dem König ist der Saal leer. Angesichts des Gedränges, in dem ich mich befinde, ist dies besonders auffällig. Erst am Ende des Raumes erkenne ich wieder Personen, die in Reih und Glied aufgestellt dem König zuhören. Vor ihnen, zur Linken des Herrschers sitzen etwa 40 Personen, die ich aufgrund ihrer Kleidung als Bischöfe interpretiere. Ihnen gegenüber – zur Rechten des Königs – sitzen weitere Herren. Sie müssen wohl eine höhere Position bekleiden, da auch sie sitzen – vielleicht sind es Adlige. Während meine Blicke den Raum untersuchen, lausche ich weiter dem König. Er spricht von der Einberufung der Generalstände, von Staatsschulden, von Verzicht auf Privilegien, von Kürzung der Staatsausgaben und von Prinzipien der Monarchie. Schließlich begebe ich mich wieder auf die Suche nach François de la Serre.[1]

Erleben Spieler[2] von Assassin's Creed: Unity auf diese Weise Geschichte? Ist dies Geschichte? Und wenn ja, sind sich Spieler dieser Geschichte bewusst? Wie gehen sie damit um? Welchen Einfluss hat sie auf die Spieler? Ist sie für die Spieler essentiell? Wissen sie, wie die Entwickler mit ihr umgehen? Wie gehen Entwickler mit ihr um? Welches Ziel hat ihre Verwendung im Computerspiel? In welchem Verhältnis steht die Geschichte im Spiel zur Geschichte der Historiker?

Historische Computerspiele werfen unweigerlich derartige Fragen auf. Daher gibt es in der Geschichtsdidaktik bereits zahlreiche Untersuchungen zu diesem Thema. Aufgrund der stetig steigenden Menge von Computerspielen, die Geschichte thematisieren, aber auch des Umfangs jedes einzelnen Spieles müssen obige Fragen immer wieder neu gestellt werden und können kaum erschöpfend beantwortet werden. Doch warum sollen diese Fragen von Interesse sein? Historische Computerspiele werden nie die Geschichte abbilden können; allein schon, weil es die Geschichte nicht gibt. Aber auch wenn wir uns als Historiker dieser Tatsache bewusst sind, so gilt dies nicht für alle Menschen und auch ein Historiker kann von geschichtlichen Bildern beeinflusst werden und – bewusst oder unbewusst – in sein Bild der Geschichte integrieren.

„Computerspiele werden vielfach weit häufiger, länger und intensiver genutzt als andere populäre Medien […] Was für ein Geschichtsbild jeweils von einem Historienspiel vermittelt wird, ist daher eine wichtige Frage.“[3]

Aus diesem Grund wollen wir uns hier der Frage widmen, welches Bild einer historischen Situation durch historische Computerspiele vermittelt wird. Da wir dies – wie oben beschrieben – nicht im Allgemeinen beantworten können, werden wir diese Frage exemplarisch untersuchen. Da ich persönlich gerne die Spiele der Reihe Assassin's Creed von Ubisoft spiele, seitdem der erste Teil im Jahr 2007 erschien,[4] und deshalb auch den aktuellen Teil, Assassin's Creed: Unity, spielte, soll dieses historische Computerspiel als Exempel dienen. Den historischen Hintergrund des Spiels bildet die Französische Revolution von 1789. Dementsprechend steht im Fokus dieser Arbeit die Frage, welches Bild der Französischen Revolution von Assassin's Creed: Unity vermittelt wird. Bei genauerer Betrachtung besteht diese Frage aus zwei Teilen, die wir untersuchen müssen: 1. Wie wird die Französische Revolution im Spiel dargestellt? 2. Welches Bild wird vermittelt?

In Anbetracht der zweiten Frage müssen wir als Erstes überlegen, wie Informationen über historische Sachverhalte von Menschen aufgenommen werden. Dies setzt wiederum Wissen darüber voraus, in welcher Form derartige Informationen im kognitiven Vermögen vorliegen und auch welche Art von Informationen es umfassen kann.[5] Eine ebenso bedeutsame Voraussetzung sind Kenntnisse über Computerspiele[6] und ihre Verbindung zu den Spielern. Dies erlaubt uns Überlegungen darüber, wie Darstellungen in Computerspielen auf Personen wirken und somit wie Informationen aus Computerspielen vom Verstand aufgenommen werden. An dieser Stelle bietet es sich auch an, bestehende Forschungen zu historischen Computerspielen in den Blick zu nehmen.[7] Um die Überlegungen über die Voraussetzungen abzuschließen, müssen wir auch die Vorgänger des zu untersuchenden Assassin's Creed: Unity betrachten, um zu verstehen, in welche Welt das Spiel eingebettet ist. Hier lohnt sich, auch bereits bestehende Forschung zu anderen Ablegern der Reihe anzuschneiden, sodass wir diese Ergebnisse in unsere Untersuchungen integrieren können, aber auch um Vergleichsobjekte für unsere Forschung zu erhalten.[8]

Wenn wir auf diese Weise Grundlagen geschaffen haben, auf denen wir unsere Untersuchungen aufbauen können, ist es möglich, uns der anderen Frage zuzuwenden: Wie wird die Französische Revolution im Spiel dargestellt? Der Umfang des Spiels erlaubt offensichtlich keine vollständige Analyse der Darstellung – schließlich umfasst allein die virtuelle Spielwelt eine Fläche von ungefähr 21 Quadratkilometern.[9] Daher werden wir uns auf eine exemplarische Untersuchung beschränken müssen. Um dennoch den vielen Schichten des Spiels gerecht zu werden, sollten wir uns verschiedene Kategorien von Darstellungen ansehen wie die Karte der Spielwelt, historische Orte, Darstellungen der Gesellschaft, historische Personen, aber auch Ereignisse.[10]

Eine derartige Analyse der Darstellungen im Spiel kann jedoch nur das potenziell vermittelte Bild hervorbringen. Wird der historische Hintergrund nicht als solcher wahrgenommen und das Spiel nur als Spiel oder als rein fiktiv angesehen, so ist davon auszugehen, dass er von Spielern nicht als historisches Wissen aufgenommen wird. Aus diesem Grund ist es wichtig, den Umgang der Spieler mit dem Spiel zu untersuchen. Einzig auf diesem Wege ist es möglich zu erarbeiten, welches Bild, das das Spiel anbietet, tatsächlich an die Spieler vermittelt wird. Zur Gewinnung dieser Erkenntnisse bietet sich eine Befragung an. Wenn wir die Ergebnisse interpretieren, können wir schließen, inwieweit das potenziell vermittelte Bild von der Französischen Revolution von Spielern aufgenommen wird.[11]

Natürlich werden wir nicht davon ausgehen, dass es ein Spiel tatsächlich vermöge, einen vergangenen Raum präzise zu rekonstruieren, es uns somit in die Lage versetzen würde, eine Person in die Vergangenheit zu bringen und es dadurch Geschichte lehren könnte. Vielmehr wird uns bei dem oben geschilderten Vorgehen die These leiten, dass Assassin's Creed: Unity – in der Wahrnehmung der Spieler – die Möglichkeit bietet, Geschichte zu erfahren und dabei ein angemessenes Bild der Zustände im Paris der Französischen Revolution von 1789 vermittelt.

2 Theorie

2.1 Geschichtsdidaktik

2.1.1 Geschichtsbild

Zwar wollen wir in der vorliegenden Arbeit nicht die Vermittlung von Geschichtsbildern im fachdidaktischen Sinne untersuchen. Dennoch lohnt sich ein Blick auf diesen Begriff, um ihn gegenüber dem unsrigen abzugrenzen. Im fachdidaktischen Sinne ist es das „stabilisierte Gefüge der historischen Vorstellungen einer Person oder einer Gruppe.“[12] Somit ist das Geschichtsbild nicht auf den visuellen Aspekt des Bildes beschränkt. Es sind Vorstellungen, und das Geschichtsbild beinhaltet somit auch Ideen wie Determiniertheit oder Periodisierung. Als „stabilisiertes Gefüge“ bestehen zwischen diesen Vorstellungen Beziehungen, deren Verknüpfungen nur schwer aufzubrechen sind. Darüber hinaus ist es nicht zwingend mit einzelnen Personen verbunden, sondern kann auch kollektiv vorliegen und identitätsstiftend wirken, da es die Person beziehungsweise die Gruppe in der historischen Entwicklung lokalisiert.[13]

Wenn nicht anders vermerkt, werden wir hier jedoch ein anderes Verständnis von Geschichtsbildern verwenden, bei dem wir den Fokus auf das Bild legen. Wir stellen uns die Frage, welches Bild aufgrund von Assassin's Creed: Unity in einer Person induziert wird, wenn man sie auf die Französische Revolution anspricht: Wie sieht das Paris der Zeit aus? Welche Gebäude sieht man hier? Wie sehen die Menschen auf den Straßen aus? Wie sieht eine bestimmte historische Person aus? Wie sah ein explizites historisches Ereignis aus? Unser Begriff des Geschichtsbildes beschreibt somit die Umgebung, wenn sich ein Spieler in Gedanken in diese Zeit an diesen Ort versetzt.

Wir werden hier somit einen eingeschränkten Begriff des Geschichtsbildes verwenden, der sich vorwiegend auf visuelle Eindrücke bezieht. Dabei werden wir zwar auch auf darüber hinausgehendes Faktenwissen eingehen, nicht jedoch tiefer gehende Vorstellungen über das Wesen von Geschichte untersuchen.

2.1.2 Geschichtsbewusstsein

Als „psychischer Verarbeitungsmodus historischen Wissens“[14] ist das Geschichtsbewusstsein wesentlich für unsere Untersuchung. Denn wenn wir danach fragen, wie ein Bild von Geschichte vermittelt wird, so stellen wir damit die Frage, wie dieses Bild ins Geschichtsbewusstsein integriert wird. Dabei ist Geschichtsbewusstsein jedoch kein Datenspeicher, der dazu dient, historisches Wissen wie beispielsweise Fakten abzurufen. Seine Funktion umfasst vielmehr Sinnbildungsprozesse und verlangt eine Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dadurch stehen Kenntnisse über diese drei Zeitdimensionen nicht diskret nebeneinander, sondern werden aufeinander bezogen, wodurch Sinn induziert wird.[15] Demzufolge ermöglicht ein ausgedehntes historisches Wissen zwar die Ausbildung eines aufgeklärten Geschichtsbewusstseins. Doch wird es nicht automatisch aus diesem Wissen generiert. Es bedarf der Verknüpfung und Reflexion von Wissen. Durch diese Eigenschaft beeinflusst Geschichtsbewusstsein den Umgang mit neuen Erkenntnissen über historische Sachverhalte, kann aber ebenso durch Aufnahme und Einordnung neuer Kenntnisse modifiziert werden. Trotz des Begriffsanteils Bewusstsein bildet sich Geschichtsbewusstsein auch unbewusst aus[16] und liegt auch unbewusst vor.[17] Es steht daher in einem Zustand ständigen Wandels.[18] Aus diesem Grund haben historische Computerspiele einerseits das Potenzial, das Geschichtsbewusstsein von Personen zu verändern. Andererseits wird das Geschichtsbewusstsein der Spieler den Umgang mit den im Spiel angebotenen historischen Informationen beeinflussen. Folglich bestimmt das Geschichtsbewusstsein inwieweit ein Geschichtsbild in das Geschichtsbewusstsein integriert wird, weshalb es für unsere Untersuchungen zentral ist.

Geschichtsbewusstsein lässt sich in verschiedene Dimensionen aufgliedern: 1. Das Temporalbewusstsein ermöglicht die Orientierung des Selbst in der Zeit. 2. Das Wirklichkeitsbewusstsein unterscheidet zwischen Fiktion und Realität. 3. Das Wandelbewusstsein erlaubt das Erkennen von Veränderungen beziehungsweise das Nicht-Vorhandensein derselbigen. 4. Das Identitätsbewusstsein differenziert zwischen eigener und fremder Gruppe und impliziert Konstanz von Identitäten im Lauf der Zeit. 5. Politisches Bewusstsein erkennt die Verteilung von Machtverhältnissen. 6. Ökonomisch-soziales Bewusstsein bezieht sich auf soziale Ungleichheiten in Gesellschaften, die eine Strukturierung der Gesellschaft induzieren. 7. Moralisches Bewusstsein erlaubt eine Bewertung von Handlungen auf Grundlage von Normen.[19] Auch wenn nicht das Geschichtsbewusstsein sondern das Geschichtsbild das Zentrum dieser Arbeit bildet, wollen wir diese Dimensionen im Hinterkopf behalten. Denn sie bilden Kategorien, die uns helfen werden, das im Spiel dargestellte Geschichtsbild zu bewerten.

2.1.3 Geschichtskultur

Geschichtskultur, wie wir sie heute verstehen,[20] ist der Umgang einer Gesellschaft mit Geschichte. In ihr wird Geschichtsbewusstsein „praktisch und äußert sich in den verschiedensten kulturellen Manifestationen.“[21] Somit sind geschichtskulturelle Produkte Darstellungen. Das heißt, dass sie historische Ereignisse zu rekonstruieren versuchen, indem sie Ereignisse narrativ verknüpfen. Auf diese Weise wird eine Situation der Vergangenheit konstruiert.[22] Als Beispiele lassen sich historische Romane, Erinnerungsorte, Denkmäler und zahlreiche weitere Gegenstände nennen, die Bezüge zu historischen Ereignissen, Orten oder Personen aufweisen. Insbesondere sind auch historische Computerspiele Teil der Geschichtskultur. Entscheidend ist dabei, dass der Gegenstand in der „ gegenwärtigen Lebenswelt“[23] betrachtet wird. Daher ist die Geschichtskultur als Vermittler von Geschichtsbildern zu sehen und beeinflusst einerseits das Geschichtsbewusstsein der Rezipienten, während sie andererseits ein Produkt des Geschichtsbewusstseins der Gesellschaft ist.[24]

Durch den vielgestaltigen Charakter der Geschichtskultur und die nicht-professionelle Zielgruppe erreicht sie mehr Rezipienten als geschichtswissenschaftliche Produkte.[25] Obwohl die Inhalte historische Bezüge aufweisen, stehen diese allerdings nicht im Fokus. Dementsprechend finden sich hier geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse mit Fiktion vermischt.[26] Außerdem werden auch Bewertungen vorgenommen. Diese können aus verschiedenen Perspektiven erfolgen, sodass es auch möglich ist, moderne Normen auf vergangene Zeiten zu projizieren. Dies liegt im subjektiven Moment begründet. Ein Produkt der Geschichtskultur hat einen Urheber, dessen Geschichtsbewusstsein und Intention die Gestalt des Produktes beeinflusst. Aus diesem Grund muss im Umgang mit Geschichtskultur beachtet werden, dass diese sowohl über ein objektives, evaluatives als auch subjektives Moment verfügt und somit nur bedingt Geschichte wiedergibt. Um diese Momente zu erkennen, bedarf es der geschichtskulturellen Kompetenz.[27]

Fakten und Fiktion

Als Fakten verstehen wir „Tatbestände, die tatsächlich und nachweisbar vorhanden oder geschehen sind.“[28] Daher lässt sich kein vollständiges Bild einer historischen Situation in Produkten der Geschichtskultur darstellen. Denn nicht für alle Umstände sind Nachweise auffindbar, sodass sich ein komplettes Bild nur mit fiktiven Elementen zeichnen lässt.[29] Dass die zwischen Fakten übrig gebliebenen Lücken aufgefüllt werden, ist meist unerlässlich. So kann in einer Dokumentation ein historisches Ereignis anhand von Quellen rekonstruiert werden, indem Schauspieler in der Rolle historisch verbürgter Persönlichkeiten, womöglich einem Wortprotokoll folgend, das Ereignis am entsprechenden Ort nachspielen. Die Mimik und Aussprache können jedoch, weil darüber kein Zeugnis vorliegt, nicht nachweisbar korrekt nachgestellt werden und sind somit fiktiv.

Obwohl im Beispiel die korrekte Rekonstruktion eines historischen Ereignisses angestrebt wird, kann auf Fiktion nicht verzichtet werden. Entsprechend größer ist der Anteil fiktiver Elemente bei Produkten der Geschichtskultur anzunehmen, für die die Geschichte eine geringere Rolle spielt und möglicherweise nur einen Hintergrund bildet.

Authentizität

Die Frage nach dem Verhältnis von Fakten und Fiktion führt uns zur Authentizität. Authentizität kennzeichnet die Echtheit und Glaubwürdigkeit von historischen Begebenheiten. Somit entscheidet sie darüber, ob eine Aussage über die Geschichte Teil der Geschichtswissenschaft ist, die sich mit tatsächlichen Begebenheiten der Vergangenheit auseinander setzt. Wie oben beschrieben, beinhalten Produkte der Geschichtskultur immer fiktive Elemente, wodurch sie an Authentizität einbüßen. Dies erlaubt uns die Authentizität als Maßstab anzusetzen, mit dem wir angeben können, wie nahe der Inhalt eines geschichtskulturellen Produktes der Geschichtswissenschaft steht.

Dabei unterscheidet Pandel zwischen fünf Formen von Authentizität: 1. Die Personen- und Ereignisauthentizität beschreibt, ob eine Person tatsächlich existierte beziehungsweise, ob ein Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. 2. Die Typenauthentizität bezieht sich auf fiktive Personen. Diese können Eigenschaften aufweisen, die einem gewissen Typus entsprechen und sie dadurch als Mitglieder tatsächlich existierender Gruppen charakterisieren. 3. Die Erlebnisauthentizität zeichnet sich dadurch aus, dass eine dargestellte Begebenheit Betroffenheit zum Ausdruck bringt und auf diese Weise das Erleben der Situation realistisch nachempfinden lässt. Inwieweit dies realistisch ist, lässt sich offensichtlich nur schwer mit Quellen überprüfen. 4. Die Quellenauthentizität bezieht sich auf tatsächliche Quellen, welche wiedergegeben werden. 5. Die Repräsentationsauthentizität ist fiktiven Ereignissen zuzuweisen, welche trotz ihrer fiktiven Natur als für die Epoche repräsentativ anzusehen sind. Damit können fiktive Werke auf verschiedene Weise historische Begebenheiten authentisch darstellen und entsprechend die Möglichkeit historischen Lernens eröffnen.[30]

2.1.4 Historisches Lernen

Historisches Lernen ist die „Auseinandersetzung von Individuen mit Ausschnitten aus dem Universum des Historischen.“[31] Das Ziel ist dabei nicht das Anhäufen von Wissen, sondern die Entwicklung der narrativen Kompetenz, die die Ausbildung des Geschichtsbewusstseins erlaubt. Dadurch wird kritisches Denken gelernt und die Fähigkeit zum imaginären Rollentausch gefördert, indem historische Ereignisse multiperspektivisch untersucht werden.[32]

Multiperspektivität

So kann die Situation einerseits aus der Perspektive von Betroffenen betrachtet werden. Dies kann das Empfinden sekundärer Betroffenheit ermöglichen. Es ist jedoch zu beachten, dass hier verschiedene Perspektiven von Betroffenen notwendig sind, um nicht den Eindruck zu erwecken, eine Form der Betroffenheit sei als universal einzustufen. Andererseits kann die Betrachtung der Situation aus der Perspektive der Lernenden erfolgen, sodass sie eigene Erfahrungen und Werte heranziehen können.[33] Das auf diese Weise Gelernte kann in Beziehung zueinander gesetzt werden und in die Kenntnisse über die Geschichte eingeordnet werden. Somit bildet historisches Lernen Geschichtsbewusstsein aus.

[...]


[1] Vgl. 9 Anhang. 1. Fundort: Ubisoft: Assassin's Creed: Unity. 2014. Sequenz 01, Erinnerung 02.

[2] Zur Verbesserung der Lesbarkeit werden im Folgenden nur männliche Substantive verwendet. Wenn nicht anders markiert, schließen diese die weibliche Form jeweils mit ein.

[3] Angela Schwarz: Geschichte in Computerspielen: Unterhaltungsmedium und Bildung? In: www.lernen-aus-der-geschichte.de URL: http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/10883 28.11.2012. (28.08.2015).

[4] Vgl. Ubisoft: Assassin's Creed. 2007.

[5] Vgl. 2.1 Geschichtsdidaktik.

[6] Für diese Arbeit ist eine Unterscheidung von Computer- und Konsolenspielen nicht notwendig. Wir werden daher den Begriff Computerspiel für beide Formen verwenden.

[7] Vgl. 2.2 Computerspiele.

[8] Vgl. 2.3 Geschichte in der Assassin's Creed Reihe.

[9] Vgl. Achim Fehrenbach: Sturm auf die Pixel-Bastille. In: www.zeit.de URL: http://www.zeit.de/digital/games/2014-10/assassins-creed-unity-ubisoft/komplettansicht 10.10.2014. (28.08.2015).

[10] Vgl. 3 Die Französische Revolution in Assassin's Creed: Unity.

[11] Vgl. 4 Wahrnehmung der Historizität von Computerspielen.

[12] Marko Demantowsky: Geschichtsbild. In: Ulrich Mayer, Hans-Jürgen Pandel [u.a.] (Hg.). Wörterbuch Geschichtsdidaktik. 2., überarb. u. erw. Auflage, Schwalbach 2009. 82-83. 82.

[13] Vgl. Ebd.

[14] Hans-Jürgen Pandel: Geschichtsbewusstsein. In: Mayer, Pandel [u.a.] (Hg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik. 80-81. 80.

[15] Vgl. Ebd.

[16] Vgl. Hans-Jürgen Pandel: Geschichtsdidaktik. Eine Theorie für die Praxis. Schwalbach 2013. 131-136.

[17] Vgl. Pandel. Geschichtsbewusstsein. 80.

[18] Vgl. Bernd Schönemann: Geschichtsbewusstsein – Theorie. In: Michele Barricelli, Martin Lücke (Hg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Band 1. Schwalbach 2012. 98-111. 101.

[19] Vgl. Pandel: Geschichtsdidaktik. 137-148.

[20] Für andere Definitionen siehe Hans-Jürgen Pandel: Geschichtskultur. In: Barricelli, Lücke (Hg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. 147-159. 147-149.

[21] Hans-Jürgen Pandel: Geschichtskultur. In: Mayer, Pandel [u.a.] (Hg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik. 86-87. 86.

[22] Vgl. Hans-Jürgen Pandel: Darstellung. In: Mayer, Pandel [u.a.] (Hg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik. 41-42.

[23] Pandel: Geschichtskultur. 2012. 150. Hervorhebung im Original.

[24] Vgl. Pandel: Geschichtskultur. 2009. 86-87.

[25] Vgl. Ebd. 151-152.

[26] Vgl. Pandel: Geschichtskultur. 2009. 86-87.

[27] Vgl. Pandel: Geschichtskultur. 2012. 154-156.

[28] Waldemar Grosch: Fakten. In: Mayer, Pandel [u.a.] (Hg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik. 66-67. 66.

[29] Vgl. Christine Pflüger: Fiktion. In: Mayer, Pandel [u.a.] (Hg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik. 67-68.

[30] Vgl. Hans-Jürgen Pandel: Authentizität. In: Mayer, Pandel [u.a.] (Hg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik. 30-31.

[31] Peter Gautschi: Guter Geschichtsunterricht. Grundlagen, Erkenntnisse, Hinweise. 2. Auflage, Schwalbach 2011. 43.

[32] Vgl. Jörn Rüsen: Historisches Lernen. Grundlagen und Paradigmen. Köln [u.a.] 1994. 41-63.

[33] Vgl. Ebd. 60-62.

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Zugänge zu Geschichtsbildern in historischen Computerspielen
Untertitel
Eine kritische Analyse der Vermittlung des Bildes der Französischen Revolution in Assassin's Creed: Unity
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Note
2,1
Autor
Jahr
2015
Seiten
79
Katalognummer
V431804
ISBN (eBook)
9783668774445
ISBN (Buch)
9783668774452
Dateigröße
1848 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Assassin's Creed, Game, Videospiel, Geschichte, Revolution, Computerspiel, Analyse, Bild
Arbeit zitieren
M.Ed. Patrick Kiedrowski (Autor:in), 2015, Zugänge zu Geschichtsbildern in historischen Computerspielen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/431804

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