Erasmus von Rotterdam: Philosophia Christiana. Zum Umgang mit der Heiligen Schrift


Hausarbeit, 2003

22 Seiten, Note: 1-

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Forderung nach Unabhängigkeit und Distanz im Umgang mit antiken Texten
2.1 Kritik an der Verkomplizierung von Inhalten
2.2 Kritik an voreiligen Interpretationen

3. Bedeutung der Frömmigkeit (pietas)

4. Die Methode zur Erlangung der philosophia Christiana
4.1 Voraussetzungen für das Studium der christlichen Philosophie
4.1.1 Ethische Voraussetzungen
4.1.2 Philologische Voraussetzungen
4.1.3 Musische Voraussetzungen
4.2 Erarbeitung der Heiligen Schrift
4.2.1 Die methodische Erarbeitung der Heiligen Schrift
4.2.2 Der Umgang mit Kommentaren zur Heiligen Schrift

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Überzeugung, dass erst die Bildung den Menschen zum Menschen macht, beherrschte die ganze Renaissance. Auf ihrem Höhepunkt hat sie Erasmus von Rotterdam, der „in ganz Europa in allen Bildungsfragen als höchste Autorität, als `König der Humanisten´“[1] galt, bekräftigt: „Wie die kaum halbe Mütter sind, die bloß gebären und nicht erziehen, so sind die kaum halbe Väter, welche, während sie das für das leibliche Wohl ihrer Kinder Nötige bis zum Überfluß besorgen, den Geist derselben durch keinerlei ehrenwerte Kenntnisse ausbilden lassen. Bäume wachsen vielleicht von selbst, die dann allerdings weder gar keine oder wilde Früchte tragen; Pferde kommen zur Welt, wenn auch unbrauchbare: aber Menschen, das glaube mir, werden nicht geboren, sondern gebildet.“[2]

Die christliche Ethik war für Erasmus das oberste Ziel aller Bildung und Christus der vorbildlichste aller Lehrer der Menschheit. Dieses christlich-sittlichen Bildungszieles wegen musste auch auf christlichem Gebiet das „ad fontes“ gelten, das Zurückgehen auf die Quelle der Lehre der Meister, auf die Bibel in ihren Ursprachen und die Reinigung der Überlieferung. Erasmus, der neben seinem Vorgänger Lorenzo Valla als Pionier der Bibelwissenschaft gilt, war im Grunde kein Theologe.[3] Seine Bibelarbeit sei, so Exner „eine Bildungstat, ja weithin vielleicht sogar nur eine literarische Angelegenheit“.[4] So sei das „erasmische Christentum ... jene pietas litterata oder philosophia Christiana, die das Ergebnis der `Wandlung von der christlichen humilitas zur christlichen humanitas´ war“ nichts weiter als ein Bildungsziel, allerdings das höchste.[5]

Insbesondere die Einleitungsschriften „Paraclesis“, „Methodus“ und „Apologia“, die Erasmus der Ausgabe des Neuen Testamentes beigab, sowie die Schrift

„Theologische Methodenlehre oder Verfahren, wie man zur wahren Gottesgelehrsamkeit gelangen könne“ enthalten die religiösen und wissenschaftlichen Ansichten von Erasmus, die er unter dem Namen „philosophia Christiana“ zusammenfasste.

Erasmus war der Ansicht, dass jeder Einzelne die christliche Philosophie für sich durch das Studium des Neuen Testamentes erlangen könne. Im Folgenden soll der von Erasmus vorgegebene Weg zur Erreichung dieses höchsten Bildungsziels, insbesondere am Beispiel des „Methodus“ dargestellt werden. Dabei wird zunächst auf die Forderung des Erasmus nach der Unabhängigkeit der Vernunft gegenüber jeglicher Autorität und sein Verständnis von Frömmigkeit eingegangen.

2. Forderung nach Unabhängigkeit und Distanz im Umgang mit antiken Texten

Ein pädagogisches Grundanliegen im Lebenswerk des Erasmus ist, den Menschen unabhängig von Autoritäten zu machen. Erasmus kritisiert, dass Autoritäten, insbesondere Theologen und Lehrer, oftmals weniger daran interessiert seien, möglichst viele Menschen zu bilden, als sie vielmehr durch Unwissenheit in ihrer Abhängigkeit von Spezialisten zu belassen. Die Menschen müssten sich an Vorschriften, an Regeln, an Lehrsätze halten, die sie nicht verstehen und nicht prüfen könnten. Erasmus klagt in seinen Schriften immer wieder zwei Strategien an, mit denen Autoritäten versuchen, Laien in ihrer Abhängigkeit zu belassen. Einerseits kritisiert Erasmus die Neigung, Textinhalte so kompliziert darzustellen, dass der Laie gar nicht erst in Versuchung gerät, das ihm Vermittelte zu prüfen. Andererseits weist er darauf hin, dass auch das Vortäuschen von Klarheit und Eindeutigkeit davon abhalten kann, Inhalte kritisch zu untersuchen.

2.1 Kritik an der Verkomplizierung von Inhalten

In seinem „Aufruf an den frommen Leser“, den Erasmus seiner Ausgabe des Neuen Testaments voranstellte, heißt es: „Leidenschaftlich rücke ich von denen ab, die nicht wollen, daß die heiligen Schriften in die Volkssprache übertragen und auch von Laien gelesen werden, als ob Christus so verwickelt gelehrt hätte, daß er kaum von einer Handvoll Theologen verstanden werden könne, und als ob man die christliche Religion dadurch schützen könne, daß sie unbekannt bleibt.“[6] Erasmus protestiert hier gegen eine theologische Spezialwissenschaft, „die mit dem Mittel der Komplizierung die Gehalte für diejenigen undurchsichtig macht, für die sie doch eigentlich bestimmt sind“.[7] Der Laie, der keinen Zugang zu Originalquellen habe, müsse darauf vertrauen, dass diejenigen, welche ihm die Inhalte der theologischen Schriften vermitteln, kompetent und redlich seien. Erasmus weist aber darauf hin, dass die Theologen nicht daran interessiert seien, den Bibeltext einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Vielmehr versuchten sie durch die Auswahl der Inhalte und die Formen der Lehre, den Menschen in seiner Unmündigkeit zu belassen. Sie würden den Menschen bestimmte Arten der Aneignung vorgeben und ihnen andere verschließen.

Beim Vergleich des griechischen Urtextes mit der damals gebräuchlichen lateinischen Übersetzung der Evangelien wird Erasmus gewahr, dass die Texte nicht übereinstimmen, und dass der ursprüngliche Sinn des Neuen Testaments verdeckt und verdunkelt ist. Er nimmt die Arbeit einer Übersetzung des Neuen Testamentes aus dem Griechischen ins Lateinische auf sich. Sein Ziel ist es, den Wortlaut der Heiligen Schrift in seiner Bedeutung richtig einzuschätzen, ihn weder über- noch unterzubewerten. Er stellt alle rationalen Zweifel bewusst zurück und geht in der Exegese „zwar kritisch, aber nicht radikal vor“.[8] So leugnet er niemals, dass die Bibel auf göttlicher Inspiration beruht und ist überzeugt von der Heiligkeit der ursprünglichen Texte.[9] Den griechisch-lateinischen Text, der 1516 in Basel erscheint, versieht er mit einem umfangreichen Kommentar, der das theologische Denken des Mittelalters durch eine neuzeitliche Interpretation ersetzt. Mit den Mitteln kritischer Philologie wird dadurch erstmals der Urtext zugänglich, der später auch Luthers Übersetzung ins Deutsche zugrunde liegt. Die von der Kirche genehmigte und seit Jahrhunderten als unantastbar ausgegebene sogenannte Vulgata-Übersetzung des Hieronymus aus dem 5. Jahrhundert verliert damit ihre sakrale Unantastbarkeit.[10]

Auch die Editionen der Väter der Kirche, die der Herausgabe des Neuen Testamentes folgen, dienen der Aufgabe, einem möglichst breiten Lesepublikum alles an die Hand zu geben, was es befähigen könnte, sich selbständig mit dem Wort der Schrift auseinander zu setzen.[11]

Im „Lob der Torheit“ kritisiert Erasmus unter anderem Theologen, die ihre überlegene Stellung dazu gebrauchen, um sich „in ihrer Eigenliebe wie im dritten Himmel“ zu sonnen und „aus ihrer erhabenen Höhe voll Verachtung und Mitleid auf alle anderen Sterblichen wie auf schleichendes Gewürm herab [blicken]“[12]: „Sie [die Theologen] verschanzen sich mächtig hinter ihren lehrhaften und verwikkelten [sic!] Vordersätzen und sind so wenig um Ausflüchte verlegen, daß die Fesseln des Vulkan nicht einmal ihre Begriffsbestimmungen zu binden vermöchten. ... Sie sind reich an neuen Wortprägungen und Ungeheuerlichkeiten des Ausdrucks, vor allem wenn sie die tiefen Geheimnisse nach ihrem Gutdünken auslegen, wie zum Beispiel das Weltall gestaltet und eingerichtet ist, durch wen jener Schandfleck der Erbsünde auf die Nachwelt gekommen ist, von welchem Augenblick ab im Leibe der Jungfrau Christus wirklich vorhanden ist, wie in der Eucharistie die Akzidenzien ohne Heimstatt bleiben.“[13] Und an anderer Stelle des Textes heißt es: „Welch ein Glück muß das sein, wenn sie geheimnisvolle Buchstaben wie Wachs nach Gutdünken bilden und umbilden, wenn sie ihre Schlüsse, denen etwa schon Gildenbrüder beigepflichtet haben, an bindender Kraft über die Gesetze Solons und vielleicht gar über die päpstlichen Dekrete gestellt wissen wollen, wenn sie wie die berufenen Sittenrichter der Welt zum Widerruf zwingen, sofern irgendwo keine volle Übereinstimmung mit ihren peinlichen Schlussfolgerungen vorliegt.“ Und: „Ich [die Torheit] muß bisweilen sogar darüber lachen, daß sie sich am meisten in ihrer Theologenrolle gefallen, wenn sie möglichst abgeschmackte Reden führen, wenn sie ein Gestammel vollführen, das nur ein Stammler versteht. Als Scharfsinn bezeichnen sie, was die Menge nicht begreift. Sie behaupten nämlich, es sei der Würde der heiligen Wissenschaft unangemessen, sie unter das Joch sprachlicher Gesetze zu zwingen.“[14]

[...]


[1] Reble, 1999, S. 78.

[2] Erasmus von Rotterdam: Über die Notwendigkeit einer frühzeitigen allgemeinen Charakter- und Geistesbildung der Kinder, in: Gail, 1963, S. 115.

[3] Die Frage, ob Erasmus als Theologe bezeichnet werden kann, ist umstritten; vgl. Winkler, S. 24 f.

[4] Exner, 1939, S. 79.

[5] Ebd.; vgl. auch Ballauf, 1969, S. 577.

[6] Erasmus von Rotterdam: Aufruf, in: Welzig, 1967, S. 15.

[7] Rumpf, 1979, S. 20.

[8] Halkin, 1989, S. 125.

[9] Vgl. Dresden, 1988, S. 102.

[10] Vgl. Rattner, 1956, S. 16.

[11] Vgl. Gail, 1974, S. 59.

[12] Das Lob der Torheit, 2002, S. 70 f.

Zu der Schrift „Das Lob der Torheit“ ist anzumerken, dass Erasmus nicht selber spricht, um all die bitteren Wahrheiten zu sagen, die er den Mächtigen der Welt zudenkt. Er schickt vielmehr die Torheit auf das Katheder, damit sie sich selbst lobe. Da man nie genau weiß, ob Erasmus im Ernst spricht oder die Torheit in persona, entsteht eine Zweideutigkeit, mit der sich Erasmus trotz all der Angriffe eine unangreifbare Position verschaffte. Seine eigene Meinung lässt sich nicht fassen, und sollte es irgend jemandem einfallen, Erasmus wegen einer Beleidigungen zur Verantwortung ziehen zu wollen, so kann er darauf hinweisen, dass nicht er das gesagt habe, sondern die Torheit, und spöttisch fragen, wer denn schon die Narrheit ernst nehmen würde. Vgl. Zweig, 1980, S. 71 f.

[13] Das Lob der Torheit, 2002, S. 71.

[14] A.a.O., S. 75 f.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Erasmus von Rotterdam: Philosophia Christiana. Zum Umgang mit der Heiligen Schrift
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
1-
Jahr
2003
Seiten
22
Katalognummer
V43117
ISBN (eBook)
9783638409902
Dateigröße
481 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erasmus, Rotterdam, Philosophia, Christiana, Umgang, Heiligen, Schrift
Arbeit zitieren
Anonym, 2003, Erasmus von Rotterdam: Philosophia Christiana. Zum Umgang mit der Heiligen Schrift, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43117

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