Anerkannt, geduldet oder abgelehnt? Jüdische Reserveoffiziere im Deutschen Kaiserreich


Seminararbeit, 2010

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Reserveoffizier im Deutschen Kaiserreich

3. Juden im kaiserlich-deutschen Militär
3.1 1871 bis 1914 - Zwischen Anerkennung und Ablehnung
3.2 1914 bis 1918 - Von Kriegsbegeisterung zur 'Judenzählung'

4. Jüdische Reserveoffiziere - Normalität im Deutschen Reich?
4.1 Reserveoffiziere in Preußen
4.2 Reserveoffiziere in Bayern
4.3 Preußen und Bayern im Vergleich

5. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Unsere grundsätzliche Gegnerschaft gegen jüdische Offiziere beruhte indessen nicht so sehr auf religiösen als auf völkischen Gründen. Angehörige der jüdischen >Rasse< sollten und könnten den deutschen Soldaten nicht kommandieren.“1

Mit diesen Worten drückte Kuno Graf von Westarp, ein deutschkonservativer Politiker und Reserveoffizier der preußischen Armee, unmissverständlich die Haltung seiner Partei, der Deutschkonservativen (DKP) und später auch der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) aus: Jüdischen Männern durfte aufgrund LKUHU Ã5DVVHµ keine Gelegenheit gegeben werden, Offizier oder Reserveoffizier zuwerden. Diese Meinung war wohl keine Seltenheit und zog sich durch antisemitische Parteien sowie vor allem konservative und national gesinnte Gruppierungen im Deutschen Reich.

Der hier mitschwingende Antisemitismus war ein Massenphänomen insbesonderedes wilhelminischen Deutschlands. Obwohl durch einige Verfassungsänderungen1850 und auch 1869 die Rechte der jüdischen Bürger zumindest in Preußenangeglichen wurden, bestand eine Gleichstellung oftmals nur auf dem Papier.2 Die Geringschätzung jüdischer Bürger wurde insbesondere im Militär deutlich. Ihnenstanden längst nicht die Aufstiegsmöglichkeiten von Bürgern christlichen Glaubenszur Verfügung. Die Juden sahen sich nun mit dem Problem konfrontiert, dass sie,ebenso wie beinahe alle anderen bürgerlichen Männer, den letzten Schritt zu einemhohen Ansehen im zivilen Leben nur erreichen konnten, wenn sie Reserveoffizierwurden. Wenn ihnen allerdings jegliche Führungsqualifikation abgesprochen wurde,wie Graf Westarp betonte, und sie nicht nur aufgrund von religiösen, sondern vorallem völkischen Gründen solche Aufgaben nicht wahrnehmen durften, wurde ihnendann nicht damit ein großer Teil gesellschaftlichen Lebens vorenthalten? Spiegelt die Einstellung Westarps als Preuße die Meinung und Praxis der gesamtdeutschen Gesellschaft oder nur eines Teils wider? Sahen sich Juden tatsächlich überall im Deutschen Reich einer solchen Einstellung gegenübergestellt?

Die „Würde des Reserveoffiziers“3 scheint in diesem Zusammenhang ein Spiegelbildfür die kaiserlich-deutsche Gesellschaft zu sein. Aufgrund dieser Tatsache befasstsich die vorliegende Arbeit mit der Frage, ob es jüdischen Bürgern möglich war, inder deutschen Gesellschaft des Kaiserreiches den Rang eines Reserveoffiziers zuerlangen, welche Hürden damit verbunden waren und wo dies überhaupt in welcher Art und Weise möglich war. Dazu wird es zu Beginn um die Rolle des Reserveoffiziers im kaiserlichen Deutschland und anschließend um jüdische Soldaten in der Armee des Deutschen Reiches gehen. Dabei wird ganz bewusstzwischen den Zeitspannen 1871-1914 und 1914-1918 unterschieden. Da es wohl fürjüdische Bürger in Bezug auf eine Karriere als Reserveoffizier Unterschiedezwischen den Staaten des Deutschen Reiches gab, wird der Vergleich der Rollenjüdischer Reserveoffiziere bzw. der Vergleich der Möglichkeiten der Ernennung zum Reserveoffizier einerseits in Preußen und andererseits in Bayern das Kernstück der Arbeit bilden, bevor eine Schlussbetrachtung diese abrundet.

2. Der Reserveoffizier im deutschen Kaiserreich

Nach der Reichsgründung 1871 übertrug sich der Preußen prägende Militarismusbald auch auf die anderen Staaten innerhalb des Deutschen Reiches, wodurch dermilitärmonarchische Staatscharakter Preußens ein gesamtdeutsches Phänomenwurde. In der kaiserlichen Gesellschaft spielte vor allem das Offizierskorps alswichtigster Stand des Staates und somit Sicherungszentrum der Monarchie einegroße Rolle.4 Wer Offizier wurde, gehörte zur einflussreichsten Schicht im Staat undhatte nicht nur bei gesellschaftlichen Anlässen, sondern auch im Alltag Vorrang vorallen anderen Bürgern, egal welchen Berufes, auch wenn er erst Leutnant war. Daslag vor allem daran, dass der Offiziersstand im kaiserlichen Reich durch Einflussnahme des Militärs in den Alltag der Menschen und der damitzusammenhängenden Vermischung kein Berufstand sondern ein Gesellschaftstand darstellte, wozu vor allem Monarch Kaiser Wilhelm II. durch sein Faible fürs Militärund Uniformen in weiten Teilen beitrug. Symbolisch dafür steht insbesondere die Uniformverliebtheit in ausgeprägter Weise nicht nur des Militärs, sondern dergesamten Gesellschaft. Je höher der Dienstgrad, je geschmückter und dekorierter die Uniform, desto höher war das Ansehen. Wer also etwas auf sich hielt und eine Karriere machen wollte, kam um den Status des Offiziers nicht herum.

Die jeweiligen Regimenter hatten bei der Erwählung des Offiziersnachwuchses freie Hand und „in der Praxis hatte der Regimentskommandeur das entscheidende Wort.“ 5 Nun gelang es längst nicht jedem Bewerber, die Aufnahmeprüfung zum Offizier zu bestehen, was vor allem an der benannten Auswahlpraxis lag. Als Bindeglied und Vermittler von elitären Werten der Offizierskorps zwischen der zivilen Gesellschaft und dem Umfeld der Offiziere entstand so der Dienst des , Einjährig-Freiwilligen4 für den .Offiziersersatz im Beurlaubtenstand1 - die Ausbildung zum Reserveoffizier. Auch die Wahl des Offiziersersatzes aus bürgerlichen Kreisen stand dem jeweils aussuchenden Regiment zu. Der Titel eines Reserveoffiziers verlieh Ansehen und gesellschaftliches Renommee, er war ein „Mittel sozialer Angleichung des Bürgertums an den militärisch-monarchischen Staat.“ 6 Das Ziel der Auswahl von Reserveoffizieren, von denen bis 1914 schätzungsweise eine halbe Million ausgebildet wurden, bestand also darin, die monarchischen Herrschaftsverhältnisse zu sichern. Mit diesem Titel gelang es den Männern, mehr Anerkennung zu bekommen, als sie je durch erfolgreiche und lange Arbeit im zivilen Leben erreichen konnten.7 Folglich zog sich der Wunsch, Reserveoffizier zu werden, durch alle Gesellschaftsschichten unabhängig von konfessioneller Zugehörigkeit und war somit auch ein wichtiges Thema bei jüdischen Bürgern. Zutreffend benannte Friedrich Memecke, ein bekannter deutscher Historiker, dieses Phänomen: „Ein preußischer Leutnant ging als junger Gott, der bürgerliche Reserveleutnant wenigstens als Halbgott durch die Welt.“8

3. Juden im kaiserlich-deutschen Militär

3.1 1871 bis 1914 - Zwischen Anerkennung und Ablehnung

Nach der .Revolution' 1848/1849 wurde in der preußischen Verfassung unter anderem ergänzt, dass alle staatsbürgerlichen Rechte unabhängig von der jeweiligen Konfession gelten mussten. Ähnlich weittragend war ein anderer Paragraph, welcherbesagte, dass alle öffentlichen Dienststellen jedem Bewerber mit der entsprechenden Qualifikation offen stehen sollten.9 Dieser überarbeiteten Verfassung nach hatte esalso auch Juden möglich sein müssen, in den preußischen Staatsdienst und somitgleichberechtigt ins Militär eintreten zu können. Praktisch hatte sich bis zum Deutsch-Französischen Krieg jedoch nichts daran geändert, dass Juden nicht gernbeim Militär und speziell nicht als Vorgesetzte gesehen waren. Ähnliche Gleichstellungsgesetze, die im Reichstag des Norddeutschen Bundes 1869verabschiedet wurden, flossen 1871 direkt in die Verfassung des Deutschen Kaiserreiches ein.10 Trotz der Ablehnung in der Praxis wurde viele Juden im Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871 zum Militärdienst eingezogen, über 100wurden zu Reserveoffizieren befördert, davon die meisten im preußischen Kontingent, aber auch 22 in der bayerischen Truppe.11 Auch wenn Juden alsoeigentlich YLHOHQ 0LOLWl UV QLFKW ÃJHHLJQHWµ als Führungspersönlichkeit erschienen,nutzte man ihre Ressourcen dann für den Krieg ± eigentlich ein Widerspruch in der Denkweise, denn anscheinend nur wenn dem Staat das Wasser bis zum Hals standoder ein bedrohlicher Zustand auftrat, sah man sich genötigt, Juden zu Offizieren zumachen. Möglich ist auch, dass man auf Juden zurückgriff, da es besonders in einem Krieg nicht überstürzt möglich war, aus adligen Kreisen viele zusätzliche Führungskräfte zu rekrutieren. Mit ihrem oft tapferen Einsatz in diesem Kriegsorgten die jüdischen Soldaten für eine allgemeine Aufwertung ihres und des Statusaller Juden in der Gesellschaft. Viele Juden wurden nun in der neu entstandenen kaiserlichen Gesellschaft eher als vorher anerkannt und sogar in Preußen zu Reserveoffizieren ernannt, allerdings nur für eine kurze Zeit.12

Nach 1871 und spezieller seit etwa 1880 wandelten sich nun die Argumente gegen jüdische Offiziere von einer Ausstoßung aufgrund des Glaubens in einen „auf pseudobiologischer Rassentheorie fußenden Antisemitismus“ 13, der sicherlich auch durch die nach dem Krieg andauernde Wirtschaftskrise entstand, in welchem die oft wohlhabenden Juden sich vor allem Neid ausgesetzt sahen. Bis zu dieser Entwicklung und teilweise auch noch danach war es Juden möglich, nach der Taufe zum Reserveoffizier befördert zu werden.14 Sehr treffend stellt Michael Berger zu dieser unlogischen Prozedur fest, wenn er die Schrift „Die Juden im Heere"15 zitiert, dass man ,.bei aller Achtung vor der christlichen Weltanschauung nicht ernstlich behaupten wollen [wird], dass mit der Taufe plötzlich die militärische Fähigkeit kommt.“16 Außerdem musste eine Taufe f Ur einen gläubigen Juden als angeblichen Teil seiner Emanzipation eine Zumutung, ein Heucheln dem Staat gegenüber bedeuten. Nach Aufkommen und Verbreitung des völkischen Antisemitismus, der speziell durch den preußischen Hofprediger und wesentlichen Antreiber antisemitischer Propaganda, Adolf Stoecker, verbreitet wurde, blieb einem Juden, der den einjährigen Dienst abgeleistet hatte, die weitere militärische Karriere aber auch nach der Taufe oftmals versperrt. Dennoch dienten zwischen 1880 und 1909 etwa 25.000 bis 30.000 jüdische Bürger als Einjährig-Freiwillige.17

3.2 1914 bis 1918- Von Kriegsbegeisterung zur, Judenzählung'

Als Kaiser Wilhelm II. zu Kriegsbeginn 1914 verkündete, dass er keine Parteien mehr kenne, sondern nur noch Deutsche, begründete er damit eine Art ,Burgfrieden': Die verschiedenen Parteien und Gruppierungen im Deutschen Reich sollten f Ur die Dauer des Krieges auf die offenkundige Austragung von Differenzen untereinander.

[...]


1 Westarp, Kuno von: Konservative Politik im letzten Jahrzehnt des Kaiserreichs, Berlin 1935 (Bd. 1: Von 1908-1914), S. 298.

2 Vgl. Angress, Werner T.: Der jüdische Offizier in der neueren deutschen Geschichte 1813-1918, in: Breymayer, Ursula; Bernd Ulrich; Karin Wieland (Hg.): Willensmenschen. Über deutsche Offiziere, Frankfurt am Main 1999, S. 67-78, hier S. 69-70.

3 Kehr, Eckart: Zur Genesis des Königlich Preußischen Reserveoffiziers, in: Kehr, Eckart: Der Primat der Innenpolitik. Gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert (Hg. v. Hans-Ulrich Wehler), Berlin 1965, S. 53-63, hier S. 59.

4 Vgl. Wette, Wolfram: Militarismus in Deutschland. Geschichte einer kriegerischen Kultur, Frankfurt am Main 2008, S. 51.

5 Vgl. Wette 2008, S. 52.

6 Kehr 1965, S. 57.

7 Vgl. Wette 2008, S. 60.

8 Meinecke, Friedrich: Die deutsche Katastrophe: Betrachtungen und Erinnerungen, Wiesbaden 1946, S. 25.

9 Vgl. Angress 1999, S. 70.

10 Vgl. Berger, Michael: Eisernes Kreuz und Davidstern. Die Geschichte Jüdischer Soldaten in Deutschen Armeen, Berlin 2006, S. 107.

11 Vgl. Ebd., S. 106.

12 Vgl. Ebd., S. 110-111.

13 Ebd., S. 108.

14 Vgl. Ebd., S. 111.

15 Vgl. Verein für Abwehr des Antisemitismus in Berlin (Hg.): Die Juden im Heere, Berlin 1910.

16 Berger 2006, S. 111.

17 Vgl. Ebd. Adolf Stoecker (1835-1909, preußischer evangelischer Hofprediger) war einer deraktivsten Antisemiten des Kaiserreiches. Er gründete unter anderem die Christlich-Soziale Partei.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Anerkannt, geduldet oder abgelehnt? Jüdische Reserveoffiziere im Deutschen Kaiserreich
Hochschule
Universität Osnabrück  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Antisemitismus in Europa (1871-1933)
Note
1,7
Autor
Jahr
2010
Seiten
17
Katalognummer
V430851
ISBN (eBook)
9783668748071
ISBN (Buch)
9783668748088
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Juden, Jüdische Offiziere, Jüdische Reserveoffiziere, Kaiserreich, Kaiserliche Armee
Arbeit zitieren
Christoph Penning (Autor:in), 2010, Anerkannt, geduldet oder abgelehnt? Jüdische Reserveoffiziere im Deutschen Kaiserreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/430851

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