Neil Postmans Medienkritik. Zeitloser Impulsgeber zur Förderung von Medienkompetenz?

Eine Interpretation deutscher TV-Nachrichtensendungen


Hausarbeit, 2017

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Rolle des Fernsehens in der Medienkritik Neil Postmans
2.1 TV im Zeitalter des Showbusiness
2.2 Gesellschafts- und kulturkonstituierende Funktionen
2.3 Deutsche Nachrichtensendungen heute: Infotainment unter ökonomischem Diktum

3 Spezifika und Medienwirkung deutscher TV-Nachrichtenformate
3.1 Charakteristika der Informationsdarbietung
3.2 Nutzungsverhalten und Forschungsabriss

4 Analogische Zusammenfassung

5 Einsatzpotentiale zur Förderung von Medienkompetenz
5.1 Medienkompetenz nach Baacke
5.2 Medienpädagogische Handlungsempfehlungen

6 Fazit und Ausblick

7 Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Exemplarischer Entwurf eines Schulprojektes auf Grundlage von Baackes Medienpädagogik (erweiterte Darstellung nach Baacke)

1 Einleitung

Im Zeitalter einer Medienvielfalt, die ursprüngliche Bindungsformen immer mehr ablöst, in denen das Individuum seine Biographie weitestgehend selbst bestimmen darf und muss, ist es unabdingbar, über eine angemessene Medienkompetenz zu verfügen (vgl. Baacke, 1997, S. 21-23).

Die klassischen Medienkritiker haben sich nicht selten als Visionäre zukünftiger technischer Entwicklungen und damit korrespondierenden Herausforderungen für die Medienpädagogik erwiesen, wenn man z. B. an die Vorstellungen McL- uhans vom Global Village denkt, das noch heute als geläufiges Synonym für das Internet rezipiert wird. Der Fokus der letzten fünf Dekaden dieser Disziplin liegt jedoch primär auf einem Medium, das auch zur heutigen Zeit nichts an seiner Popularität verloren hat, jedoch in kritischen Diskursen, z. B. um die Einflüsse von Social Media, Web 2.0 etc. nachgelagert erscheint: dem Fernsehen.

Neil Postmans Medienkritik wird in der vorliegenden Arbeit dahingehend unter- sucht, inwiefern auf ihrer Basis ein Konzept zur Förderung der Medienkompe- tenz nach Baacke entwickelt werden kann. Im Rahmen der Forschungsfrage Welche Aspekte von Neil Postmans Medienkritik lassen sich auf deutsche TV- Nachrichtensendungen ü bertragen? wird zunächst Postmans Medienkritik ge- schildert und anschließend der aktuelle Forschungsstand aufgezeigt, um in Ver- knüpfung durch ein Zwischenresultat zur Beantwortung der Forschungsfrage zu gelangen.

Weiterhin soll der Rezipient in der Lage sein, Medien reflektiert zu nutzen. Hierzu wird untersucht, inwiefern Dieter Baackes „Medienpädagogik“ das Po- tential bietet, ein Konzept zur Steigerung der Medienkompetenz an weiterfüh- renden Schulen in Deutschland zu entwickeln. Im Folgenden wird die Unter- frage Wie k ö nnen Nachrichtensendungen zur F ö rderung von Medienkompetenz im formalen Bildungskontext der SEK I und II eingesetzt werden? nach Schilde- rung Baackes Medienpädagogik bei einer Überführung in Handlungsempfehlun- gen beantwortet. Dabei beschränkt sich die vorliegende Arbeit auf deutsche Hauptnachrichtensendungen, da hier die Datenlage am umfangreichsten ist, sie die größte Resonanz aufzuweisen haben und zudem definitorische Abgrenzun- gen anderer Nachrichten- und Informationssendungen sehr variieren (Kap. 3). Die Arbeit folgt einem deduktiven Ablauf: In Kapitel 2 werden die Kernele- mente von Postmans Kritik am Medium Fernsehen unter besonderer Akzentuie- rung von TV-Nachrichtenformaten herausgearbeitet. Es schließt sich eine diffe- renzierte Auseinandersetzung mit deutschen Nachrichtenformaten an, bevor in Kapitel 4 ein bilanzierendes Zwischenfazit in die Beantwortung der Forschungs- frage mündet. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend erfolgt in Kapitel 5 ein Ver- gleich mit dem Medienkompetenz-Modell nach Baacke. Darauf aufbauend re- sultiert eine medienpädagogische Handlungsempfehlung. Kapitel 6 schließt die Arbeit mit einem Fazit, das der kritischen Reflexion des Arbeitstitels und den Forschungsfragen Rechnung tragen soll. Um eine bessere Lesbarkeit zu erzielen, wird in dieser Arbeit stets die maskuline Form verwendet, jedoch sind hier alle Geschlechter angesprochen.

2 Die Rolle des Fernsehens in der Medienkritik Neil Postmans

Postman hat sich in seinem Werk „Wir amüsieren uns zu Tode“ (1988) intensiv mit dem Konsum, der Rezeption und gesellschaftlichen Wirkmechanismen moderner Medien auseinandergesetzt. Zentral und vor dem Hintergrund des Erscheinungsjahres plausibel ist dabei das Fernsehen Reflexionsobjekt. Große Passagen widmen sich dezidiert US-amerikanischen Nachrichtenformaten und deren Verwobenheit in ein engmaschiges Netz aus Fakten, Entertainment und Ökonomie. In diesem Kapitel sollen diese Kernpunkte näher beleuchtet und auf die zeit- und kulturübergreifende Relevanz von Postmans Postulaten am Beispiel aktueller deutscher Nachrichtenformate geprüft werden.

2.1 TV im Zeitalter des Showbusiness

Ein Hauptcharakteristikum, das Postman dem Fernsehen zuschreibt, ist dessen enge Anlehnung an das Showbusiness. Ausdrucksstarke bildliche Darstellungen können in ihrer Strahlkraft das gesprochene Wort überblenden (vgl. Postman, 1988, S. 16). Eine Nähe zu von McLuhan selbst gerufenem Geist, den er nicht mehr loswurde, in „Das Medium ist die Botschaft“ (2001), ist unverkennbar. Postman sieht in der kommerziellen Ausrichtung privater Sender eine Tendenz zur Komprimierung von Botschaften, die seit Erfindung des Telegrafen Einzug hielt. Komplexe Sachverhalte werden aus dem Zusammenhang gerissen, einsei- tig beleuchtet und zu sehr vereinfacht (vgl. Postman, 1988, S. 85, 136, 83, 15). Prägnant bringt es die Binsenweisheit Zeit ist Geld auf den Punkt - zudem soll diese auch lukrativ sein. Aktuell gipfelt die Entwicklung in der Präsenz von Nachrichtenformaten in sozialen Netzwerken. Weltgeschehnisse werden in re- gelmäßigen Intervallen distribuiert und zum Liken und Teilen aufbereitet.

Hiermit ist zugleich das Phänomen der Regenbogenpresse angedeutet, das Post- man in starker Kongruenz zur Kulturkritik der Frankfurter Schule sensu Adorno damit umreißt, dass nicht verifizierbare Bruchstücke von Informationen schnell und unpersönlich verschickt und so zur käuflichen Ware werden (ebd., S. 85). Diese Entwicklung ist eng verknüpft mit der Hybridisierung von Medienforma- ten und Informationen, die damit begann, dass Zeitungsmeldungen auch Einzug ins Radio hielten. Diese mediale Interdependenz erschwert es dem Rezipienten zunehmend, Hintergründe näher zu beleuchten und Falschmeldungen zu entlar- ven (ebd., S. 139, 136, 94). Diese These von Postman ist hochaktuell, denkt man beispielsweise an die US-Wahl 2017.

Medienpluralität und Konsum scheinen individueller Urteilsfähigkeit diametral gegenüberzustehen, da heute konkrete Sachverhalte nicht mehr in der Dorfgemeinschaft über Stunden diskutiert, sondern Medien zumeist allein konsumiert werden (ebd., S. 69). Aktuelle Vertreterin, die sich u. a. diesem kommunikativen Isolationsphänomen im Kontext sozialer Medien widmet, ist Sherry Turkle in ihrem Werk „Alone Together“ (2012).

Postman hebt die Macht des visuellen Reizes besonders hervor: Im Fernsehen ist Aussehen ein Argument. Damit stellt das Bild nicht mehr nur den vermeint- lichen Zusatznutzen einer besseren Veranschaulichung dar, sondern wird gar zum Inhalt. Auch die wahrgenommene Glaubwürdigkeit dieses Mediums, die in Kap. 3 dargestellt wird, liefert einen Hinweis darauf. Als weiteres zentrales Er- folgskriterium des modernen Fernsehens sieht Postman den Unterhaltungswert (vgl. 1988, S. 116), der schließlich das Resultat aus der Gesamtheit der TV-ty- pischen Merkmale vereint. Als Paradebeispiel nennt er das amerikanische Fern- sehen als weltweites Vorbild und verweist unter dem Begriff des „Guckguck- Phänomen[s]“ (1988, S. 99) auf leicht konsumierbare und belanglose Unterhal- tung (ebd., S. 109, 99).

2.2 Gesellschafts- und kulturkonstituierende Funktionen

In seiner unverkennbaren Art, Gesellschaftskritik metaphorisch, leicht verständ- lich, bisweilen humoristisch zu behandeln, spricht Postman von den "bösen Geister[n] des Diskurses“ (1988, S. 85), die Einzug hielten, seit Informationen räumlich unbegrenzt in Echtzeit weitergegeben werden konnten. So etablierte sich recht bald eine auf Belanglosigkeit, Handlungsunfähigkeit und Zusammen- hanglosigkeit gründende Kommunikationsweise. Nicht zuletzt durch die Kürze der Mitteilungen konstituiert sich Kultur durch den Einfluss sich wandelnder Medienstrukturen neu (vgl. Kap. 2.1; Postman, 1988, S. 83-85, 15, 19, 40-41). Das Fernsehen hat hier einen erheblichen Beitrag geleistet und ist integraler Be- standteil der heutigen Kultur, die es selbst mit geformt hat. Es agiert als Freund, ist benutzerfreundlich, selbstverständlich und wird als etwas ganz Natürliches wahrgenommen (ebd., S. 40-41, 100, 99-102, 149). Dabei ist das TV nicht nur omnipräsent, es beeinflusst auch andere Medien (vgl. Schludermann, 1981, S. 100) als „Meta-Medium[.]“ (Postman, 1988, S. 100). All dies geschieht zumeist unbewusst - zu sehr hat es sich im Denken verankert. So wie die Erfindung der Uhr eine Einteilung der Zeit nach sich gezogen hat, so übernimmt diese Funktion auch das Fernsehen: Menschen berücksichtigen weltweit bei ihrer Alltagspla- nung das Fernsehprogramm (vgl. Mumford, 1934, zit. nach Postman, 1988, S. 20-21; Röllecke & Volkmer, 1995, S. 67). So hat die Verbreitung des TV nicht bloß eine Weiterentwicklung der Kommunikation nach sich gezogen, sondern sich nach Graham zum machtvollsten Kommunikationsmedium überhaupt ent- wickelt (vgl. Graham, 1983, zit. nach Postman, 1988, S. 146). Als Folge der durch das Fernsehen initiierten Verdrängung des Buches hat sich eine seit Erfin- dung des Alphabets immer wieder im Wandel begriffene, neue Art der Intelli- genz etabliert (vgl. Postman, 1988, S. 21, 37-41). Postman spricht gar davon, dass „wir von Minute zu Minute dümmer werden“ (1988, S. 36). Der Zuschauer droht zunehmend, einer Desinformation zu erliegen, die jedoch durch die sub- jektive Wahrnehmung einer Informiertheit kaschiert wird (ebd., S.133-134) und sich somit gesellschaftlich stabil reproduziert.

Fernsehen bietet nicht länger wahre oder falsche Aussagen, sondern Emotionen, die einer Aufklärung von Unwahrheiten im Wege stehen (ebd., S. 157) und an die aktuelle Debatte des postfaktischen Zeitalters erinnern. Dieser Entwicklung hat sich das Bildungssystem anzupassen, um den Zuschauern Medienkompetenz zur politischen Bildung mit auf den Weg zu geben (ebd., S. 17, 60, 69). Hierbei stellen Nachrichtensendungen ein zentrales Medienformat dar.

2.3 Deutsche Nachrichtensendungen heute: Infotainment unter ökonomi- schem Diktum

Der Begriff der Nachricht reicht zurück ins Zeitalter des Absolutismus, in der damaligen Bedeutung von Botschaft bzw. Mitteilung oder Anweisung. Zeit- weise wurde er auch synonym mit Zeitung verwendet, während er heute eine „journalistische Darstellungsform“ (Mehne, 2013, S. 27) beschreibt (vgl. Schulz, 2009, zit. nach Leidenberger, 2015, S. 21; Mehne, 2013, S. 27). Kopper definiert Nachrichten im TV als „Sendungen, die zu festen Zeiten […] in festgelegter Sendezeit die wichtigsten aktuellen Meldungen aus dem Weltge- schehen in festgelegtem Format zusammenstellen und präsentieren“ (2006, S. 302, zit. nach Mehne, 2013, S. 31) und markiert damit die allgemeinen Rahmen- bedingungen, während Schwiesau in seiner Definition die Art des Inhaltes an- spricht und die Nachricht als die „direkte, auf Wesentliches konzentrierte und möglichst objektive Mitteilung über ein neues Ereignis, das für die Öffentlich- keit wichtig und/oder interessant ist“ (2016a, S. 2) charakterisiert. Auch andere Autoren vertreten diese Ansicht und betonen ebenfalls die nötige Tagesaktuali- tät. Schnelligkeit ist hierfür eine notwendige Voraussetzung (vgl. Röllecke & Volkmer, 1995, S. 67; Mehne, 2013, S. 32). Nachrichten gestalten die Öffent- lichkeit, indem sie objektiv und auf das Wesentliche reduziert gut verständlich über gesellschaftlich bedeutende Themen und Ereignisse berichten (vgl. Schwiesau, 2016a, S. 2-3; Mehne, 2013, S. 28, 32; Röllecke & Volkmer, 1995, S. 67; Schwiesau, 2016c, S. 79-86; Ohler, 2016, S. 99-112). Ihnen kommt inner- halb der Medien eine herausragende Rolle zu, stellen sie doch den Ursprung der medialen Entwicklung dar (vgl. Schwiesau, 2016a, S. 3; Kap. 3). Schwiesau betont bei seiner Forderung nach Objektivität medialer Darstellungen zugleich die Schwierigkeit, dieses Ziel zu erreichen (vgl. 2016c, S. 79-86; Mehne, 2013, S. 29).

Postman beschreibt in seinem Werk, wie sich Unterhaltung und Information im- mer mehr vermischen, seit diese zur käuflichen Ware wurden. Dabei machen Massenmedien Menschen weltweit Nachrichten zugänglich - eine konstruierte Informationsdarbietung, die erst durch diese Medien entstanden ist. Eine hohe Resonanz der Nutzer als unabdingbare Voraussetzung für die Verbreitung von Nachrichten verhalf neuen Kommunikationsmedien zum Erfolg (vgl. Postman, 1988, S. 85, 16-17, 27-28). Während diese abhängig von Einschaltquoten wur- den, mussten sie sich immer mehr dem Geschmack des Publikums anpassen. Der zeitliche Druck und die Möglichkeit politisch oder kapitalistisch motivierter Ma- nipulationen ebnen den Weg zu einer Nachrichtenwelt, die ihrem Publikum eine verschleierte Wahrheit präsentiert (vgl. Schludermann, 1981, S. 109-114; Mas- terman, 1980, S. 4-5). Viroli weist hier auf die Macht der bewegten Bilder hin, die zwar Aussagen untermauern, aber auch verfälschen können (vgl. 2016, S. 277), wenn z. B. ein dokumentiertes Ereignis zeitlich oder räumlich nur in Teilen gesendet wird. Dabei fungiert der Journalist als Gatekeeper, der über den Nach- richtenwert und letztlich darüber, was überhaupt gesendet wird, entscheidet (vgl. Mehne, 2013, S. 27, 29-30; Schwiesau, 2016b, S. 13-18). In einer festgelegten, kurzen Redezeit bleibt kaum Raum zur Gegenargumentation: einseitige Darstel- lungen und Verzicht auf Diskussionen sind die Folgen (vgl. Postman, 1988, S. 112-113). Die Seriosität wird durch emotionsstiftend bebilderte Beiträge ge- schmälert, da es sich hierbei nicht um überprüfbare Fakten handelt (vgl. Röllecke & Volkmer, 1995, S. 67; Postman, 1988, S. 111). Postman betont auch, dass er nicht die Unterhaltung per se kritisieren möchte, sondern, dass jedes Thema hierzu dient (vgl. 1988, S. 110).

Zu bemängeln ist an Postmans Medienkritik, dass mit dem Begriff des Infotainment ausschließlich die Manipulation am Publikum angesprochen wird, nicht aber darüber liegende Einflussfaktoren. Mehne zeigt dies durch seine Beschreibung endogener und exogener Einflussfaktoren wie Politik und Zensuren treffend auf (vgl. 2013, S. 29).

3 Spezifika und Medienwirkung deutscher TV-Nachrichtenformate

Schon 1676 stellte Hofrat Ahasver Fritsch fest, dass die Deutschen täglich Neu- igkeiten verlangen - auch heute noch herrscht hierzulande größeres Interesse an Nachrichten als bei anderen Nationen (vgl. Schwiesau, 2016a, S. 1). Die Funktion der Medien ist in Deutschland im Gesetz verankert: Öffentlich- rechtliche Medienanstalten sollen zur politischen Meinungsbildung beitragen, um dem Bürger die Ausübung seines Wahlrechtes zu ermöglichen, zudem wird ihnen eine Bildungs-, Informations-, Beratungs- und Unterhaltungsfunktion auf- getragen. Sie stellen somit einen Teil der Grundversorgung (vgl. Ricker & See- haus, 2009, zit. nach Mehne, 2013, S. 35). Deren Qualität ist also maßgeblich verantwortlich für die Fähigkeit der Bürger zur Beurteilung von Politik und de- ren Funktionen (vgl. Maier, 2009, zit. nach Leidenberger, 2015, S. 49). Private Sendeanstalten müssen sich laut Rundfunkstaatsvertrag hingegen bloß an die verfassungsmäßige Ordnung halten und sind aufgefordert, eine Vielfalt von In- formationen, Kultur und Bildung anzubieten. Sowohl private als auch öffentlich- rechtliche Fernsehnachrichten dienen also gleichermaßen der Wahrung der In- formationsfreiheit der Bürger (vgl. Leidenberger, 2015, S. 42, 49). Dabei stehen Medien in einer Dreiecksbeziehung als Vermittler zwischen Bür- gern und Politik in Top-Down-Manier nach Eilders, umgekehrt (bottom-up) je- doch selten. In dieser Unilinearität begründet sich eine Ungleichheit (vgl. Post- man, 1988, S. 115; Eilders, 2006, zit. nach Leidenberger, 2015, S. 44), die durch Interaktivität angeglichen werden kann. Zudem existieren verschiedene Thesen dazu, ob Politik oder Medien machtvoller sind (vgl. Leidenberger, 2015, S. 44- 48). Leidenberger fasst die Merkmale Aktualität, Visualität, Erwartbarkeit durch regelmäßige und lange unveränderte Sendezeiten und den Belang für die Zu- schauer als allen Nachrichtensendungen gemein dar (vgl. Wilke, 2009, zit. nach Leidenberger, 2015, S. 33-34; Maurer, 2005, zit. nach Leidenberger, 2015, S. 33; Roegele, 1977, zit. nach Leidenberger, 2015, S. 33; Meckel und Kamps, 1998, zit. nach Mehne, 2013, S. 32).

Wittwen nimmt eine Aufteilung verschiedener Nachrichtenformate in drei Ty- pen vor, deren Übergänge jedoch fließend sind: Zunächst grenzt er Sprechersen- dungen dadurch von den anderen beiden Typen ab, als dass dort mit abnehmen- der Relevanz ein Text kommentarlos vorgetragen wird. Die zweite Kategorie stellen Nachrichtenjournale dar, in denen in lockerer Stimmung moderiert und durch die Sendung geführt wird, nicht selten auch mit persönlicher Bewertung. Themen werden erläutert und mit Hintergrundinformationen versehen, es finden Schaltgespräche und Interviews Einzug, thematisch erweitert sich der Umfang um Kulturelles und Human-Interest-Stories. Im Gegensatz zu den ausschließlich auf gesellschaftlich relevanten Informationen (Hard-News) basierenden Sprechermeldungen, kommen hier also auch Soft-News hinzu. Als letzte Kate- gorie wird die News-Show angeführt, die jedoch in ihrer Reinform nicht anzu- treffen ist. Nach amerikanischem Vorbild finden sich hier in überwiegender Zahl in leichter Sprache vorgetragene Soft-News ohne Details, der Anteil an Sport, Wetter und Tragödien ist sehr hoch, das Publikum wird involviert. Die Sendung selbst folgt einem dramaturgischen Verlauf mit einem Spannungshöhepunkt (vgl. Wittwen, 1995, zit. nach Leidenberger, 2015, S. 37-41, 83; Leidenberger, 2015, S. 37-41; Mehne, 2013, S. 35).

Röllecke und Volkmer analysierten Charakteristika einzelner Hauptnachrichten- sendungen. Mit abnehmender Boulevardisierungstendenz sind zunächst die pri- vaten Sender zu nennen: RTL II-News bietet spricht mit hohem Anteil an Action- News und Infotainment ein junges Publikum an. Berichte beinhalten viel Bewe- gung, sind wenig tiefgründig und Interviews fehlen. RTL bietet mit RTL aktuell auch ein hohes Infotainment-Level durch Boulevard-Meldungen, wenig an- spruchsvoller Berichterstattung mit geringem Ausmaß der Recherche, Span- nung, Smalltalk zwischen sich duzenden Moderatoren, hohem Sport-Anteil und direkten Interviews. Allerdings betonen die Autoren auch den seriösen Anteil der Sendung, der durch Hintergrundinformationen unterstützt wird (vgl. Röl- lecke & Volkmer, 1995, S. 70-71, 80-81). Ein News-Show-Element findet sich in der Interaktivität der Sendung, denn das Publikum wird zunehmend durch on- line-Umfragen mit einbezogen. Als dritte private Nachrichtensendung stellen Vox Nachrichten nach einem Gesamtüberblick in nüchterner, klarer Form The- men aus unterschiedlichen Perspektiven dar (ebd., S. 80-81, 84) und scheint so im Privat-Sektor den geringsten Boulevardisierungsanteil aufzuweisen.

Im öffentlich-rechtlichen Bereich wird heute als ruhiges, abwechslungsreiches Format beschrieben, das ausführlich und aus unterschiedlichen Sichtweisen be- richtet. Die Tagesschau beinhaltet nach Röllecke und Volkmer den höchsten Se- riositätsgrad: Ohne Überblick beginnt eine Sendung in abstrakter Sprache ohne bunte Themen, in der sich ein vorgelesener Text mit einem Korrespondenten abwechselt. Ein Kommentar ist ganz deutlich als solcher gekennzeichnet. Einzig die Wettervorhersage wird mit einer Anekdote eingeleitet (ebd., S. 72-73, 82- 83).

Medieninhalte sind jedoch nicht bloß aus Wohlwollen auf das Publikum zuge- schnitten - neben staatlichen Akteuren übt auch die Industrie Einfluss auf das Programm aus (vgl. Masterman, 1980, S. 4). Besonders private Sendeanstalten richten sich durch ihre kommerzielle Orientierung am Nutzungsverhalten aus, was durch einen hohen Infotainment-Anteil ersichtlich wird (vgl. Mehne, 2013, S. 35, 39). Gleichzeitig sind Einsparungen bei den Produktionskosten wahr- scheinlicher, was eine Beeinflussung der Informationsdarbietung bedingen kann.

[...]

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Neil Postmans Medienkritik. Zeitloser Impulsgeber zur Förderung von Medienkompetenz?
Untertitel
Eine Interpretation deutscher TV-Nachrichtensendungen
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Bildungswissenschaft und Medienforschung)
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
25
Katalognummer
V430223
ISBN (eBook)
9783668735866
ISBN (Buch)
9783668735873
Dateigröße
601 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Neil Postman, TV, Nachrichten, Medienkritik, Medienkompetenz, Infotainment, Informationsdarbietung, Baacke, Schulprojekt, Medienpädagogik, Schule, Fernsehen, Medienkonsum
Arbeit zitieren
Alina Klimpel (Autor:in), 2017, Neil Postmans Medienkritik. Zeitloser Impulsgeber zur Förderung von Medienkompetenz?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/430223

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