Der Universalismus der Menschenrechte und dessen Grenzen. Eine unüberwindbare Aporie?

Eine Analyse des Menschenrechtsverständnis von Hannah Arendt


Seminararbeit, 2018

29 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Begriff und die Bedeutung der Menschenrechte

3. Hannah Arendts Reflexionenüber die Menschenrechtsproblematik
3.1. Die Welt der souveränen Nationalstaaten
3.2. Die abstrakte Nacktheit des Menschen
3.3. Die Aporien der Menschenrechte

4. Die Überwindung der Aporien der Menschenrechte
4.1. Das "Recht, Rechte zu haben" als einzig wahres Menschenrecht
4.2. Die Kritik an Arendts Menschenrechtsbegründung
4.3. Das Konzept des kosmopolitischen Föderalismus
4.4. Neue Perspektiven - die EU als Prototyp einer Durchsetzung der Menschenrechte?

5. Fazit

6.Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Wort Menschenrechte scheint in der heutigen Zeit im Angesicht einer Vielzahl an humanitären Katastrophen, großen Geflüchtetenströmungen und einer enormen Anzahl an Toten durch diese Tragödien eine mehr denn je wichtige und elementare Rolle im Umgang mit und zwischen Menschen einzunehmen. Gerade hinsichtlich des 70. Jubiläums der Erklärung der Menschenrechte kommen vermehrt Stimmen auf, die das Erreichte oder das Scheitern der Rechte proklamieren. Nicht zuletzt wird der Ruf nach diesen in den genannten Krisen durch Nichtregierungsorganisation, Nationalstaaten und nicht zuletzt der UN und deren Sicherheitsrat immer lauter und man intendiert eine Allgemeingültigkeit der Menschenrechte als Grundlage einer liberalen Welt. Doch gerade dadurch wird deutlich, dass solch eine Annahme oftmals mit der Realität nicht mithalten kann und es stellt sich die Frage, inwiefern die Menschenrechte und deren Konzeption an gewisse Grenzen stoßen, die schlichtweg Einschränkungen oder eine Reform dieser fordern.

Die folgende Arbeit befasst sich mit dem Thema des Univeralismus der Menschenrechte und deren Grenzen. Schon Hannah Arendt hatte erkannt, dass, insbesondere am Beispiel des Geflüchteten, die Menschenrechte eine gewisse Problematik inne haben. Die Menschenrechte können in der modernen Staatenwelt als grundlegendes Element demokratischer Verfassungen angesehen werden, sodass eine bedeutsame Relevanz für die politische Theorie besteht. So kann eine politische Perspektive Aufschlussüber die Grundsätze geben und letztendlich aufzeigen, dass eine Garantierung dieser oftmals nur unter sehr eingegrenzten Rahmenbedinungen geschehen kann. So widmet sich die Arbeit der Menschenrechtskonzeption Hannah Arendts, welche im Angesicht desöffentlichen Diskursesüber Menschenrechte und deren Anspruch auf Universalität mehr denn an Aktualität gewinnt. Es sollen die Grenzen der universalistischen Annahmen aufgezeigt und weiterführend die Frage behandelt werden, inwiefern eine Überwindung der von Arendt aufgestellten "Aporien der Menschenrechte" in Form ihrer Lösung des "Rechts auf Rechte" geschehen kann. Die zu untersuchende These lautet, dass Arendt es nicht schafft, eine praktikable Alternative aufzuzeigen, die eine effektivere Gestaltung und Garantierung der Menschenrechte fördert. Auf Grundlage dieser These soll dann weiterhin eine alternative Konzeption Seyla Benhabibs betrachtet werden, die Kritikpunkte Arendts zwar aufnimmt, diese aber in einem alternativen theoretischen Konstrukt zur Verwirklichung der Menschenrechte verarbeitet.

Anhand einer Betrachtung der Konzeption Hannah Arendts zu den Aporien der Menschenrechte, welche sie in ihrem Hauptwerk "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft", der Abhandlung "Es gibt nur ein einziges Menschenrecht" (1949) und einigen weiteren Werken behandelt, soll die These untersucht werden. So gliedert sich die Arbeitüber eine kurze Einführung in ihre Reflexionen zur Welt der Nationalstaaten und der Weltlosigkeit von Geflüchteten und Staatenlosen, wobei diese Elemente die grundlegenden Pfeiler der Kritik des Univeralismus der Menschenrechte darstellen. Über die Ausarbeitung ihrer Begrifflichkeit der Aporien sollen im weiteren Verlauf ihre aufgezeigte Alternative des Rechts auf politische Zugehörigkeit analysiert werden. Den Wendepunkt bildet dabei kritische Betrachtung des Menschenrechtsverständnis von Arendt, ihren Ausformulierungen zur Problematik des Verhältnisses zwischen Universalität und Realität und den daraus enstpringenden Annahmen. Die Betrachtung wird zeigen, dass Arendts Ansichten zwar ein gewisser Mehrwert entnommen werden kann, der vorgebrachte Lösungsansatz jedoch nur schwer realpolitisch zu verwirklichen ist. Schlussendlich soll dadurch ein alternativer Lösungsvorschlag herausgearbeitet und aufgezeigt werden, welcher von der zeitgenössischen Theoretikerin Seyla Benhabib in Form eines diskurstheoretischen Modells artikuliert wird und sich in einem kosmopolitischen Föderalismus niederschlägt.

2. Der Begriff und die Bedeutung der Menschenrechte

Da sich folgende Arbeit mit dem Begriff der Menschenrechte auseinandersetzt, ist es unabdingbar, eine gewisse Annäherung in Form einer Begriffsbestimmung zu vollziehen. Dabei wird eine moderne und aktuelle Auffassung der Menschenrechte fokussiert. So können die Menschenrechte in ihreröffentlichen und allgemeinen Auffassung als Rechte erfasst werden, welche in einer Unabdingbarkeit jedem Menschen qua Geburt zukommen und somit eine Bedingungslosigkeit mit sich ziehen. Damit sind sie unabhängig von jeglicher Herkunft, Ethnie, religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen oder sonstigen Kriterien, die Menschen zugesprochen werden können und nehmen eine universale Bedeutung beziehungsweise Anspruch ein. Weiterhin werden drei Dimensionen der Menschenrechte unterschieden. Einerseits spricht man von politischen Rechten, wenn es um die Protektion der Rechte des Individuums geht und der daraus folgenden Möglichkeit der Emanzipation in einer politischen Gemeinschaft. Eine weitere Dimension bilden die soziokulturelle Ebene in Form von wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rechten, welche die Bewahrung gewisser Standards sichern soll. Die letzte

Dimension bezieht sich auf das Kollektiv und fokussiert Rechte, welche ein Volk beispielsweise in Punkten der Entwicklung oder Frieden hat (vgl. Kim 1995: 11 - 15 / Schwendemann 2010: 5 ff.). Folgend soll der Fokus auf der ersten Dimension liegen, da diese die individuellen Freiheitrechte darstellen, welche sich als traditionelles Menschenrechtsverständnis beispielsweise im "Recht auf Leben", "Recht auf Freiheit" oder "Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz" niederschlagen. Damit stehen die Menschenrechte in der Tradition der aufklärerischen Philosophie und der Einsicht der Vernunfts- und Verstandsbegabung und einer sich daraus ergebenden Mündigkeit des Individuums. Somit stellen die französische und amerikanische Revolution einen wesentlichen Meilenstein in der Deklaration und der weiterführenden Ausformulierung der Menschenrechte dar. So konnte sich auf deren Grundlage eine zunehmende Verknüpfung von Rechten und Würde des Menschen herausbilden, welche sich gerade nach den Erfahrungen des zweiten Weltkrieges, der Schoah und sich daraus ergebenden immensen Menschenrechtsverletzungen in der "Universal Declaration of Human Rights"äußerte. Deutlich wurde hierbei auch, dass sich Menschenrechte grundlegend an einer Staatszugehörigkeit orientieren, sodass "a right to a nationality" (vgl. Universal Declaration of Human Rights: Article 15) jedem Mensche inne ist. Die zunehmende Manifestation nationalstaatlicher Souveränität und die damit einhergehende nationalstaatliche Hoheit und rechtliche Positivität bekräftigt den Gedanken einer Abhängigkeit der Menschenrechte in der Realisierung.

Die aufgezeigten Elemente zeichnen ein normatives Bild der Menschenrechte, welche universalistisch jedem und jeder zukommen sollten. Ausgehend von diesem Bild könnte man davon ausgehen, dass all die Katastrophen des 20. Jahrhunderts dazu geführt haben, dass ein Umdenken und eine sich daraus ergebende Garantierung der Menschenrechte eine Selbstverständlichkeit sein sollten. Aber gerade die Manifestation nationalstaatlicher Souveränität, am Beispiel der Etablierung und Verteidigung europäischer Außengrenzen im Bezug auf Geflüchtete oder der willkürliche Umgang mit der Volksgruppe der Rohingya in Myanmar, welche keinen staatsbürgerlichen Status genießen, besonders deutlich, zeigen auf, dass die Realität sich in vielen Bereichen der Welt noch weit entfernt von der normativen Zielsetzung der Menschenrechte befindet (vgl. Volk 2008: 130). Offizielle Zahlen des UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) zeigen auf, dass man von circa 65,3 Millionen Menschen weltweit ausgeht, welchen der Status "forcibly dsplaced" zugeschrieben werden kann, die durch ihre Situation in ihren rechten eingeschränkt sind. Zwar fallen darunter rund ein Drittel

Refugees, die de jure unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen und somit gewisse Rechte in Anspruch nehmen könnten. Inwiefern dies jedoch aktiv in den jeweiligen individuellen Kontexten geschieht ist eine andere Frage. Zwei Drittel, also rund 40 Millionen Menschen, sind "internally displaced persons", welche somit weiterhin unter die nationalstaatliche Souveränität bzw. das Gutdünken ihres jeweiligen Landes fallen. Weiterhin gehen offizielle Zahlen von 3,7 Millionen Menschen aus, welche staatenlos sind. Diese Zahl ist jedoch nur auf Grundlage des Datenzugriffs erhoben worden und wird auch laut UNHCR in der Dunkelziffer deutlich höher geschätzt. Somit sind schätzungsweise zehn Millionen Menschen weltweit staatenlos und genießen auf Grundlage dessen keine staatsbürgerlichen Privilegien (vgl. UNHCR 2016: 2). So kommen trotz völkerrechtlicher Vereinbarungen und universal und unabdingbar angeprangerten Menschenrechten Situation wie beispielsweise die Krise um die Rohingya-Minderheit in Myanmar zu Stande. Folge sind Denaturalisierung, Vertreibungen, Völkermorde und eine systematische Unterdrückung bis hin zu einer Apartheid - während die internationale Staatengemeinschaft zusieht (vgl. Amnesty 2017).

Es stellt sich also mehr denn je die Frage, inwiefern die als universalistisch deklarierten Menschenrechte einen Wert haben in einer Welt der souveränen Nationalstaaten, Millionen von Staatenlosen, Geflüchteten im In- und Ausland und den sich daraus massenweise ergebenden Entrechteten. Ist das etablierte Menschenrechtsverständnis, welches nur all zu oft imöffentlichen Diskurs als Eckpfeiler unserer Zivilisation angeprangert wird,überhaupt anwendbar und inwieweit sollte es hinterfragt werden? Somit sind die Gedanken Hannah Arendts zur Problematik der Menschenrechte aktueller denn je: die Diskrepanz zwischen der normativen Ebene des Univeralismus und der realpolitischen Verfassung einer nationalstaatlichen Welt und die sich anschließende Frage, ob die Menschenrechte eine unüberwindbare Aporie darstellen?

3. Hannah Arendts Reflexionenüber die Menschenrechtsproblematik

Hannah Arendt hat in ihrem Werk "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" schon früh die Menschenrechte und die Problematik der damit verbundenen moralphilosophischen Begründung des Universalismus kritisiert. Im Folgenden gilt es, diese Kritik in ihren Bestandteilen zu skizzieren und eine Auseinandersetzung mit der von ihr aufgestellten These der Aporien der Menschenrechte zu fokussieren.

3.1. Die Welt der souveränen Nationalstaaten

Um die Perspektive Arendts auf historische Gegebenheiten zu verstehen ist es unabdingbar, sich ihrer Art der Betrachtungsweise zu vergewissern. So sieht sie geschichtliche Abläufe und Ereignisse als ein Produkt einer kontigenten und zufälligen Welt. Menschenrechte und der Verstoßdieser in totalitären Systemen, in ihrem Werk anhand der Beispiele des Antisemitismus und der nationalsozialistischen sowie sowjetischen Totalitarismus abgehandelt, sind in diesem Blickwinkel betrachtet eine Folge der Verflechtung historischer, sozioökonomischer, politischer und kultureller Umstände. Arendt nennt hierbei als ein zentrales Element in der Auseinandersetzung mit den Menschenrechten das Dilemmata der Nationalstaaten und die zu Grunde liegende Welt der souveränen Nationalstaatlichkeit. Wie kann das verstanden werden? Als solches ist die Etablierung des Nationalstaates ein gewichtiges Moment in der Zuschreibung der Rechte, da der Staat in einer positivistischen Denkweise als Quelle des Rechts und deren Schaffung angesehen werden kann. Die Herausbildung des Staates in eine souveräne Institution, also die damit einhergehende Emanzipation weg von dem mittelalterlichen Prinzip des quidquid est in territorio est de territorio hin zu einer Rechtsquelle, geschah im Laufe der französischen Revolution (vgl. Arendt 2009: 593 f.). Diese Herausbildung der "Drei-Einigkeit von Volk-Territorium-Staat" (vgl. Ebd.: 684) konnten einen relativ festen Bestand bis zum Ende des 1 .Weltkrieges aufweisen, fing jedoch an zu bröckeln unter den Bedingungen und Folgen der Friedensverträge aus dem Jahr 1919:

"Die moderne Voraussetzung der Macht, die die nationale Souveränität mit Ausnahme der riesigen Staaten zum Gespött werden lassen, der Aufstieg des Imperialismus und die Panbewegungen untergruben die Stabilität des europäischen Systems der Nationalstaaten von außen. Keiner dieser Faktoren enstammte jedoch unmittelbar der Tradition und der Institution der Nationalstaaten selbst. Deren Zerfall setzte erst nach dem Ersten Weltkrieg ein, und zwar mit dem Auftreten von Minderheiten, die durch die Friedensverträge erzeugt wurden, und mit ständig zunehmenden Flüchtlingsbewegungen als Folge von Revolutionen." (Nach Benhabib 1998 in Arendt 1966: 270).

Dieser Sinn lässts sich nur verstehen, wenn man die Folgen der Staatlichkeit des Versailler Vertrages betrachtet. Hierbei wurden, gerade mit dem Zerfall des deutschen Reiches, Österreich-Ungarns und weiter auch Teile des osmanischen Reiches für viele Völker ein einzelner Staat geschaffen, wobei hierdurch eine Konstituierung eines Volkes vorgenommen wurde. So wurden den Tschechen in der ehemaligen Tschechoslowakei beispielsweise ein Staat eingerichtet, in dem sie das Staatsvolk - also die Nation - stellten. Zweitrangig war hierbei das sich durch die Konstituierung ergebende "Außen" innerhalb des Staates in Form der Slowaken. Eine zweitrangige Gruppe im Bezug auf die Hierarchie im Volk war geboren. Diese Fälle gab es zuhauf, sodass die Friedensverträge keine Nationalstaaten errichteten, "sondern eine Reihe von Nationalitätenstaaten im Zwergmaßstab" (vgl. Arendt 2009: 693). Die Unterscheidung zwischen den jeweiligen Mehrheiten und den sich daraus ergebenden Minderheiten in solchen staatlichen Territorien war mehr oder minder eine Illusion und künstlich hervorgerufen. Hierbei werden zwei Dimensionen des Nationalstaates deutlich aufgezeigt: der Staat und die Nation. Bezeichnet Ersteres eine legitime Ordnung in einem rechtspositivistischen Gefüge, welche Freiheitsrechte, politische Rechte und soziale Rechte garantiert, so ist Letztere eine imaginäre Gemeinschaft, welche beispielsweise unter Berufung konstruierter Wertvorstellungen, einem kollektiven Gedächtnis, einer gemeinsamen Abstammung oder einer ethnischen Fundierung geschaffen wird. Ein fokussierter Nationalismus, so auch Isaiah Berlin, sei etwas "ideologisch Bedeutsames und Gefährliches: die Überzeugung, dass man zu einer besonderen Gruppe von Menschen gehört, und dass die Lebensnorm dieser Gruppe sich von der anderer Gruppen unterscheidet" wobei "die wesentliche menschliche Einheit, in der die Natur des Menschen sich ganz verwirklicht, (ist) nicht das Individuum (...) oder ein freiwilliger Verbund von Individuen, der willentlich aufgelöst, verändert oder verlassen werden kann, sondern die Nation" (Berlin 1990: 50f.). Der Konflikt, der sich daraus ergeben kann, bezeichnet Berlin als Tendenz zur Intoleranz. Dies spiegelt sich darin wieder, dass in einem Interessenkonflikt zwischen Gruppen das nationale Interesse Vorrang hat und, wenn nötig, gewaltsam erzwungen wird (vgl. ebd.: 53f.) Das normative Problem, das sich daraus ergibt, ist jenes, dass eine politische Gleichheit innerhalb einer Ungleichheit in der Gesellschaft bestehen sollte. Somit waren die

"Verträge das Resultat eines willkürlichen oder parteiischen oder intriganten Spiels, das den einen die Herrschaft und den anderen die Knechtschaft zuspielte. In den Augen der neuen Staatsvölker war die territoriale Verteilung ebenfalls willkürlich, und sie beeilten sich den schon bestehenden territorialen Konflikten zahllose neue Grenzstreitigkeiten hinzuzufügen. Mehr denn je waren die territorialen Grenzen zu etwas Willkürlichem und Zufälligem geworden, durch das kein Volk und keine Nationalität zu begrenzen war" (ebd.: 695).

Arendt bezeichnet diesen Vorgang als den Niedergang der Nationalstaaten. Hierbei meint sie in keinem Fall das Ende dieser. Viel mehr bezieht sie sich auf den Idealtypus, der in den zwei genannten Dimensionen des Nationalstaates schon Anklang gefunden hat. Das Resultat sind also Herrschaft einer dominierenden nationalen Gruppe gegenüber einer Unterdrückten und im weiteren Sinne die Wandlung des Nationalstaates von einem Organ der Rechtsstaatlichkeit für alle Einwohner_innen, zu einem Instrument nationaler Interessen: die Nation hat den Staat erobert. Und somit waren alle nationalen Interessen vorzuziehen vor juridischer Gleichheit (vgl. Arendt 2009: 704). Benhabib nennt diesen Gedanken weiterführend "die Pervertierung des modernen Staates" (Benhabib 2013: 295). Dabei wird eine Kategorisierung von Menschen vorgenommen, welche wiederum nur auf Grundlage der Transformation des Nationalstaates und dessen Maßnahmen enstehen konnte. Kritisch wird diese Tatsache in dem Sinne, dass eine System der Nationalstaaten, in dem jeder Staat die Souveränität des Anderen anerkennt und die jeweilig eigenen Interessen verfolgt, der Rechtsstatus des Individuums von der staatlichen Obrigkeit, der Staatsmacht, abhängt. Die im Zuge der Friedensverträge und der Schaffung der Staaten geschlossenen Minderheitenverträge, Beschlüsse, welche den Umgang mit den Minderheiten klären sollten, sind letztendlich nur ein weiterer Beweis dafür, dass Staatsbürgerschaft und die nationale Zugehörigkeit nicht voneinander zu trennen sind und dies wiederum bedeutet, dass gerade jene Zugehörigkeit zu einem politischen Gemeinwesen die einzige Quelle der Garantie des Gesetzesschutz darstellt. Der Vollzug einer "Transformation des Staates von einer legalen in eine nationale Institution" (ebd.: 704) und eine damit einhergehende innere Zerstörung des Nationalstaates und dessen Prinzipien hatte sich vollzogen.

Worin kann nun die logische Brücke zu den Menschenrechten gesehen werden? Die Schaffung einer Gruppe von Menschen, die einen Status als Minderheit inne hatten, und dem sich anbahnenden Nationenkonflikt nach dem 1.Weltkrieg mit der Tendenz zu homogenen und nationalen Volksgemeinschaften machte eine Verwirklichung der Menschenrechte, welche in der Idee des Univeralismus gedacht wurden, schon schwierig. Waren diese Minderheiten aber noch de jure in einem gewissen Bezugsrahmen zu verorten, auch wenn dieser in den Zuschreibungen Flüchtling, Vertriebener oder Minderheit selten aktiv und in seinem vollen Umfang verwirklicht werden konnte, machten Menschen ohne jeglichen Aufenthaltsstatus, also Staatenlose, dieser Illusion eines rechtlichen Schutzes bzw. dem Anspruch auf Rechte ein Ende.

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Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Der Universalismus der Menschenrechte und dessen Grenzen. Eine unüberwindbare Aporie?
Untertitel
Eine Analyse des Menschenrechtsverständnis von Hannah Arendt
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Totalitarismus. Hannah Arendts "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft"
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
29
Katalognummer
V429905
ISBN (eBook)
9783668733138
ISBN (Buch)
9783668733145
Dateigröße
540 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hannah Arendt, Arendt, Hannah, Menschenrechte, Aporie, human rights
Arbeit zitieren
Pierre Legrande (Autor:in), 2018, Der Universalismus der Menschenrechte und dessen Grenzen. Eine unüberwindbare Aporie?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/429905

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