Paul Celans Gedichte auf dem Hintergrund einer hochaktuellen, künstlerisch ausgestalteten spirituellen Botschaft


Essay, 2018

46 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Hauptteil

Jeweils wird der lyrische Text vorgestellt und danach eine philosophisch getönte Deutung des Werkes vorgenommen:

Das Geschriebene – Wirk` nicht voraus – Seelenblind – In die Nacht gegangen – Aus Engelsmaterie -Wortaufschüttung – Lichtzwang – Schieferäugige – Augenblicke - Jetzt - Die Unze Wahrheit – Psalm – Bei Wein und Verlorenheit – Vor dein spätes Gesicht- Huriges Sonst – Mit den Verfolgten – Im Leeren – Einmal.

3. Ausklang

4. Quellenhinweise

Einleitung

Paul Celan zählt nach allgemeiner Überzeugung zu den wichtigsten Lyrikern deutscher Zunge im 20. Jahrhundert. Die literarische Fachwelt seiner Zeit hätte sich wohl nicht gewundert, wenn ihm der Nobelpreis für Literatur zugedacht worden wäre. Dass dies nicht geschah, war möglicherweise auch seiner sehr eigenwilligen Sprache zuzuschreiben, die dem Normalleser oft schwer zugänglich ist und die oft einige Satzsplitter als Wortgefüge aneinanderreiht oder Einzelworte bar jeder Grammatik in eine Zeile setzt. Zudem werden wir aufgefordert, über eine Reihe „erschwiegener Worte“ mehr als anderswo „zwischen den Zeilen zu lesen“. Es entsteht eine semantische Mehrdeutigkeit, bei der Interpretationsversuche oft viel über den Deutenden aussagen, der Lücken zu schließen hat, die sowohl seine Phantasie als auch das eigene Menschenbild des Lesers verdeutlichen. Es gilt zudem eine Feststellung, die er selbst dazu formuliert hat: Worte sind keine Gefäße, sondern tiefe Brunnen, deren Wasser wir niemals voll erfassen können.[1]

Wer sich nun aber mit weltanschaulich geprägten Äußerungen des Dichters über seine Arbeit beschäftigt, bemerkt, dass er vom Chassidismus und seiner Mystik stark beeinflusst war. Ja, er wertet sie als Zentrum fast jeden lyrischen Schaffens, wenn er in derselben Quelle feststellt, Lyrik als solche sei Mystik. Dabei scheint er die etablierten Religionen, seien sie jüdisch, christlich oder muslimisch orientiert, nicht als die passenden Sachwalter dieses spirituellen Ansatzes zu erkennen, womit er seine Modernität zum Ausdruck bringt und die Religiösität als ein individuell zu beackerndes Feld ansieht. Dabei begibt er sich inhaltlich wohl in die Nähe eines Karl Rahner, der zu ähnlicher Zeit den berühmten Satz aussprach : Der Mensch des 21. Jahrhunderts wird Mystiker sein oder er wird nicht mehr sein.[2]: In seinen Worten ist die Schlüsselgewalt eingedunkelt[3], die Weltsekunde erscheint für dieses Denken noch nicht gekommen.[4] Aus der lichtvollen Quelle nun, die die Sphäre von Erfahrungen Gottes offenlegen kann, schöpfte er offenbar seinen Sprachreichtum und die Grundlinien seiner Gedankenstruktur. Diese Erkenntnis kann dazu führen, dass wir als Leser die Angst vor den zum Teil dunklen Seiten seiner Poesie verlieren. Diese enthält zwar manchmal auch den Tenor eines Klagegesangs, eine Komponente, die wir aufgrund seiner Biografie mehr als verstehen sollten: Seine Eltern kamen im KZ um, er wurde nur durch mehrfache, sehr günstige Umstände vor demselben Schicksal bewahrt. Die Depressionen, die sich später aufgrund solcher psychischen Torturen immer wieder einstellten, waren sicher auch dem Gefühl geschuldet, diese glückliche Fügung evtl. „nicht verdient“ zuhaben. Sie brachten ihm in jedem Fall immer wieder psychische und allgemein gesundheitliche Probleme, die häufiger Aufenthalte in Kliniken notwendig machten.[5]

Die Rezeption der Lyrik war und ist stets vielgestaltig und löste zum Teil Polarisierungen aus; die Gruppe 47 konnte weder mit der gelegentlichen Schwere seines Tenors als auch mit dessen eingelagerter Geistlichkeit etwas anfangen und sprach in einem häufig zitierten Zitat von „Synagogen Singsang“.[6] Eine weitere Gruppe von Lesern und Interpreten zeigte vor allem großen Respekt vor den nicht ganz erfolglosen Versuchen Celans, seinen Schmerz aufgrund des Schicksals seines Volkes mit dem Dichten zu komprimierend zu Ver-Dichten und dadurch ein Stück zu verarbeiten. Dass seine Sprache etwas Intensives mit dem Leser mache, wurde dabei ebenso gewürdigt. Erst eine dritte Gruppe, die sich in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mehr zu Wort meldete, wies auf den spirituell-mystischen Kern seiner Botschaft hin. Als von den Sprachgittern seiner lyrischen Kunst tief bewegter möchte ich diese Spur weiter vertiefen und an lebendigen Sprachbeispielen zu veranschaulichen suchen. Ich betone diesen Aspekt nicht mit dem Ziel, zu behaupten, dass er der prägendste Blickwinkel sei, mit dem sein Werk betrachtet werden sollte. Aber er scheint mir mit dem weltanschaulichen Hintergrund, der bei ihm erkennbar war, ein legitimer und wichtiger Strang der Celan-Deutung. Er kann Menschen zum Teil beeinflussen, das behutsam und still vorzubereiten, was der Dichter in seinen Worten so beschreibt: Wir alle sollten zu Atem kommen und drüber hinaus. Dies kann Leben verändern, wie es auch ein Titel seiner Gedichtreihen aussagt: Eine Atemwende kann eingeleitet werden . Ebenso lassen sich andere ureigene Worte vom Dichter zum Beschreiben der Höhendimension eines wichtigen Teils seiner Lyrik verwenden: Wir alle sollten geistlich zu Atem kommen und drüber hinaus.[7]

Einen letzten Punkt möchte ich noch erwähnen, der mich zu dieser Arbeit bewegt hat: In einer Zeit eines erneut wachsenden Antisemitismus erscheint es mir besonders sinnvoll, großartige Beiträge aus der jüdischen Kultur gerade in deutscher Sprache wieder verstärkt ins Bewusstsein zu rücken.

Zur Textsorte möchte ich noch dies sagen: Ich würde es als Essay bezeichnen, das in wichtigen Grundlinien wissenschaftlichen Anforderungen weitgehend gerecht geworden sein dürfte. Es verstehst sich vorwiegend als philosophisch geprägte Arbeit, die den Bereich Germanistik erst in zweiter Linie streift. Durch das Wesen der Lyrik, deren Lektüre und Deutung stets sehr persönlich gefärbt ist, habe ich mich in dieser Arbeit immer wieder spürbar dazu bekannt, dass ich wesentliche Impulse meiner eigenen idealistisch-neuplatonischen Weltsicht in den ausgewählten Texten bevorzugt wieder gefunden habe. Ich gehe allerdings davon aus, dass nur etwa ein Viertel seiner Gedichte in dieser von mir entdeckten Klarheit diesen philosophischen Hintergrund aufweisen.

Hauptteil

DAS GESCHRIEBENE höhlt sich, das

Gesprochene, meergrün,

brennt in den Buchten,

in den

verflüssigten Namen

schnellen die Tümmler,

in geewigten Nirgends, hier,

im Gedächtnis der über-

lauten Glocken in – wo nur?

Wer

in diesem Schattengeviert

schnaubt, wer

unter ihm

schimmert auf, schimmert auf, schimmert auf?

DAS GESCHRIEBENE

Der Grundtenor der ersten Zeilengruppe besteht in einem Auflösen von geäußerten Gedanken, bei der diese später eine mystisch anmutende Nicht-mehr-Greifbarkeit erhalten. Das Ergebnis dieses Prozesses ist, dass etwas Erhabenes und Geheimnisvolles geschieht, an dessen Ende aber neue Fragen auftauchen. Diese in einem Schatten sich aufbauende Stimmung ist wohl mit einer starken Erregung verbunden, die ausdrückt, von welch hoher Bedeutung das in ihm Erahnbare sein dürfte. Das lyrische Ich ist offenbar Urheber und staunender Beobachter des Weges, den die Hauptfigur der Zeilen, die geschriebenen und ausgesprochenen Gedanken, nehmen: Beispielsweise schaffen sie es, in einer Hoffnung symbolisierenden grünen Farbe in Meeresbuchten zu brennen und sogar Namen zu verflüssigen: Zitat: Das Gesprochene, meergrün, brennt in den Buchten, von Verflüssigten Namen ist dann die Rede. Naturbilder als lebendige Veranschaulichung und Ausweitung innerer Vorgänge im Menschen findet man bei Celan immer wieder.

In der zweiten Zeilengruppe wird die Blitzartigkeit des Geschehens betont, indem eine extrem wendige und schnelle Fischart, die sich gerne tummeln-den Tümmler- metaphorisch verbunden werden. Die Verflüssigung ist also so weitreichend, dass sogar Wasser als Lebensraum für Fische zu imaginieren ist.

Das Nicht-Fassbare bekommt in Gruppe Drei endgültig sein transzendentes Sahnehäubchen, weil der Dichter dem nirwana-artigen Nirgends das Prädikat des Ewigen zuschreibt. Überlaute Glocken zeigen das Sinnlich-Heftige des sakral gefärbten Geschehens. Die Formulierung überlaut verdeutlicht, dass die normalen Formen der Sinneswahrnehmung überschritten werden. Wer zudem einem Gegenstand aus Guss-Eisen oder Bronze ein „Gedächtnis“ zuschreibt, unterstreicht nochmals seine mystisch-esoterisch anmutende Empfindungsebene. Weiterhin wird die doppelt wiederholte Fragekette der Schlusszeile vorbereitet: Die Frage, wo dieses an morphische Felder erinnernde Gedächtnis genau lokalisiert ist, wird nur ausgesprochen: wo nur? Der Leser ist auf Vermutungen angewiesen.

Die vierte und letzte, auch längste Zeilengruppe steigert die Stimmung in eine Form fragender Hoffnung des lyrischen Ichs hinein: Denn dies bringt den jetzigen Zustand des Seins so auf den Punkt: Mit dem Begriff „Schattengeviert“ wird die fundamentale Bedeutung des Geschehens betont, denn nach Heidegger bezeichnet dieser Begriff den „überschatteten Weltzusammenhang“. Untermalt wird diese vom Menschen ins Dunkle geführte Welt durch animalische Laute: Das Schnauben eines Pferdes wird erwähnt, was die für Celan typische Betonung des Animalischen im Menschen aufzeigt. Das lyrische Ich fragt in einem dreifachen Ausruf aufgewühlt und hoffend, wer denn da wohl in diesem Geschehen („unter ihm“)aufschimmert “, welches Licht also den Schatten überwinden oder mildern könnte. Die Antwort bleibt wiederum offen. Ich würde dazu zwei Vermutungen anstellen: Der Schatten der Vergangenheit des Dichters (Holocaust!) könnte hier als zu überwindende Prägung gemeint sein wie auch die Hoffnung auf das Ende einer „überschatteten“ Welt durch Einbruch des Lichtes, in der solche Katastrophen nicht mehr möglich wären . Dabei könnte sich der Blick möglicherweise auf das Goldene Zeitalter richten, das als Vision auch im Judentum eine Rolle spielt.

Wegen der Vielgestaltigkeit des Gesagten noch mal eine Zusammenfassung:

Der Dichter beschreibt als blitzschnellen, ihn förmlich übermannenden Vorgang das sich Ergießen seiner (?) geschriebenen und gesprochenen Gedanken in die äußere Welt –etwa die Natur- hinein. Der Höhepunkt dieses Vorgangs spielt sich auf sinnlicher Ebene als sakrales Geschehen ab, der an den entsprechenden Orten, die vom Ewigen geprägt sein wollen ( konkret etwa Gotteshäusern, wo Glocken sind…), passiert. Dort hinterlässt dies dauerhafte Spuren („im Gedächtnis“). Dennoch bleibt das Gesamtbild dieser Welt für den Dichter weiterhin „überschattet“; er erwartet jedoch eindringlich, in einem dreimal wiederholten Ausruf ein Etwas, ein „Er“, der die Welt „aufschimmert“, also Licht in sie bringt.

WIRK NICHT VORAUS,

sende nicht aus,

steh

herein:

durchgründet vom Nichts,

ledig allen

Gebets,

feinfügig, nach

der Vor-Schrift,

unüberholbar,

nehm ich dich auf,

statt aller

Ruhe.

WIRK NICHT VORAUS

Celan scheint die erste Zeilengruppe als eine Aufforderung an ein Gegenüber zu richten, das ein schreibender Kollege sein könnte: Denn Celan will ja, wie viele Dichter, Zukunftsweisendes klarmachen, etwas aussenden. Diese Tätigkeit soll nun eine Weile ruhen, stattdessen soll ein Stück Innen-Wendung passieren, einer Atemwende vergleichbar. (Dies war ja der Titel einer seiner bedeutendsten Gedichtsammlungen.) Steh herein. Es soll dabei das scheinbare Gegenteil des Tuns des aktiven Dichters im Vordergrund stehen: Das Nichts soll herrschen, Gebetsinhalte irgendwelcher Art soll es keine geben. Ein Poet, der mit Fug und Recht auch als Priesterdichter gesehen werden kann, gibt also einen sehr ungewöhnlich klingenden Rat. Es solle feinfügig vorgegangen werden. Die Formulierung „ nach der Vor-Schrift “ scheint mir so gemeint: In den Urzeiten des Mensch-seins gab es für ihn ein Ur-Wissen, das keiner Schrift bedurfte. Es können aber auch Aufzeichnungen gemeint sein, die vor der Epoche wichtig waren, bevor das aufkam, was man –in jüdischer Tradition wie im Christentum- „die Schrift“ nannte. Also ein kleiner Seitenhieb auf die etablierte Religion. Das, was da nach Meinung Celans zu finden sei, sei unüberholbar. Eine höhere Wahrheit ist per se garnicht denkbar, vielleicht, weil sie doch direkt von der Quelle stamme.

Die dritte und kürzeste abschließende Zeilengruppe führt nun zu einer Form der Verschmelzung: Dann werde der Dichterbruder vom lyrische Ich aufgenommen. Die Ruhe, die in der beschriebenen Zwischenphase geherrscht habe, werde dann zu Ende sein. Offenbar ist nach dieser reinigenden Zwischenphase das Gegenüber nun reif, auf Augenhöhe mit dem lyrischen Ich eine geistliche Fusion vorzunehmen.

[...]


[1] Notizen zur DVD „Gottes zerstreute Funken“, Mystik bei Paul Celan, von Rüdiger Sünner. htpps://absolutmedien.de

[2] H . Vorgrimler, „Gotteserfahrung im Alltag. Der Beitrag von K.Rahner zu Spiritualität und Mystik, Zürich 1984, S. 62-78

[3] Notizen zur DVD „Gottes zerstreute Funken“, Mystik bei Paul Celan, von Rüdiger Sünner. Htpps://absolutmedien.de

[4] s. Anm. 2

[5] S. Anm. 2

[6] Sendung des DLF vom 21. 05.2017, Helmut Böttiger „Die Wahrheit über Paul Celans Auftritt bei der Gruppe 47“

[7] S. Anmerkung 3

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Paul Celans Gedichte auf dem Hintergrund einer hochaktuellen, künstlerisch ausgestalteten spirituellen Botschaft
Veranstaltung
Hintergründe der Gedichte Paul Celans
Autor
Jahr
2018
Seiten
46
Katalognummer
V429825
ISBN (eBook)
9783668728585
ISBN (Buch)
9783668728592
Dateigröße
671 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Teil der Arbeit wurden mit großem Erfolg als Referate in einer Veranstaltung über die Lyrik Celans aus philosophischer Sicht vorgetragen.
Schlagworte
Celan, Spiritualität, Mystik, Kabbala
Arbeit zitieren
Hellmut Bölling (Autor:in), 2018, Paul Celans Gedichte auf dem Hintergrund einer hochaktuellen, künstlerisch ausgestalteten spirituellen Botschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/429825

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