Die Wirkungsweise des Fantastischen nach Todorov in "Isabelle"


Hausarbeit, 2016

17 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Das Fantastische nach Todorov
1) Definition des Fantastischen
2) Das Unheimliche und das Wunderbare
3) Die Wirkungsweise des Fantastischen in ‚Isabelle‘

III. Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Was ist eigentlich Fantastik und wie zeichnet sich fantastische Literatur aus? Spielt die Fantasie dabei eine Rolle? Obwohl uns der Begriff der Fantastik bekannt vorkommen mag, fällt es schwer, eine genaue Definition darzulegen. Auch in der Forschung herrschte lange Uneinigkeit darüber, und es ist bis heute nicht ganz geklärt, wie das Genre der fantastischen Literatur zu beschreiben sei.[1] Es heißt, „[d]as Phantastische entsteht aus dem Traum, dem Aberglauben, der Angst, der Reue, der nervlichen oder geistigen Überanspannung, dem Rausch und allen krankhaften Zuständen“.[2] Doch das ist nicht die einzige Beschreibung des Fantastischen. Anders wird es folgendermaßen beschrieben: „‚Das Fantastische… ist gekennzeichnet durch das brutale Eindringen des Mysteriums in den Bereich des wirklichen Lebens‘“.[3] So wird Castex von Tzvetan Todorov zitiert in dessen Buch zur Einführung in die fantastische Literatur. Dazu muss gesagt werden, dass das Interesse an der fantastischen Literatur nicht immer präsent war. Erst Todorov ist es mit seiner strukturalistischen Untersuchung gelungen, das Interesse für das Fantastische zu wecken.[4] Ihm ist es erstmals gelungen, die Fantastik als ästhetische und literaturwissenschaftlich relevante Kategorie darzustellen. Außerdem hat er die Kategorie des Fantastischen als eine motivorientierte, in welcher Belesenheit und Motivpräferenzen des jeweiligen Theoretikers entscheidend seien, stark kritisiert und als Reaktion darauf auf strukturelle Kriterien bei der Definition bestanden.[5]

In dieser Hausarbeit soll die Wirkungsweise des Fantastischen nach der Definition Todorovs am Beispiel der Erzählung ‚Isabelle‘ von Claude Seignolle[6] herausgearbeitet werden. Dabei gehe ich zunächst der Frage nach, wie das Fantastische überhaupt zu definieren und von anderen Genres abzugrenzen ist. Um mehr über die angrenzenden Gattungen und die Abgrenzung von diesen herauszufinden, beschäftige ich mich mit dem Unheimlichen und dem Wunderbaren. Nachdem ich die Definitionen herausgearbeitet habe, werde ich letztendlich die Wirkungsweise des Fantastischen am oben bereits genannten Beispiel herausarbeiten, bevor ich die Hausarbeit mit einem kurzen Fazit und Schlusswort abschließe.

II. Das Fantastische nach Todorov

1) Definition des Fantastischen

Allgemein lässt sich sagen, dass ein Genre sich erst aus seinem Verhältnis zu benachbarten Genres definiert. Das Genre des Fantastischen fungiert hierbei als Trennungslinie zwischen dem Unheimlichen und dem Wunderbaren, den beiden Bereichen, die außerhalb dem des Fantastischen liegen.[7] Der Bereich des Fantastischen wird verlassen, sobald man sich für eine der zwei möglichen Erklärungen entscheidet. Das Fantastische beschreibt die uns bekannte Welt, in der ein Ereignis stattfindet, welches sich mit den uns bekannten Gesetzten dieser Welt nicht erklären lässt. Für denjenigen, der diese Ereignis wahrnimmt, gibt es zwei mögliche Erklärungen: Er erlag entweder einer Sinnestäuschung, und die Welt, die wir kennen hätte weiter Bestand. Oder aber, dieses Ereignis passierte tatsächlich, ist also Bestandteil der Realität. Dies hätte aber zur Folge, dass die Welt von uns unbekannten Gesetzen beherrscht wird.[8] Im Moment der Ungewissheit offenbart sich das Fantastische! „Das Fantastische ist die Unschlüssigkeit, die ein Mensch empfindet, der nur die natürlichen Gesetze kennt und sich einem Ereignis gegenübersieht, das den Anschein des Übernatürlichen hat.“[9] Aus diesen Überlegungen schließt Todorov, dass sich der Begriff des Fantastischen aus seinem Verhältnis zu den Begriffen des Realen und des Imaginären definiert.[10] Allerdings bleibt zunächst ungeklärt, wer genau unschlüssig sein soll, der Leser oder die handelnde Person. Todorov legt dar, dass der Satz „‘Ich war nun fast bereit, zu glauben‘“[11] den Geist des Fantastischen komprimiert wiedergibt. Sowohl uneingeschränkter Glaube als auch absolute Ungläubigkeit würden aus dem Bereich des Fantastischen herausführen. Das Fantastische ist also tatsächlich nur im Moment der Unschlüssigkeit lebendig. Außerdem impliziert es die Integration des Lesers in die Welt der Personen.[12] Allerdings ist es nicht immer notwendig, dass der Leser sich mit einer Person identifiziert oder dass diese Person ebenso unschlüssig ist. Dies ist oft der Fall, es gibt aber genügend Ausnahmen.[13]

Nach Todorov hat das Fantastische den Anspruch dreierlei Bedingungen zu erfüllen. Zunächst muss der Leser die Welt der handelnden Personen wie eine Welt lebender Personen betrachten. Diese Welt muss ihn unschlüssig werden lassen angesichts der Frage, ob die Ereignisse einer natürlichen oder übernatürlichen Erklärung zugrunde liegen.[14] Des Weiteren wird auf eine Lesart rekurriert, die weder ‚poetisch‘ noch ‚allegorisch‘ sein soll. Bei der Poesie, meint Todorov, dürfe man nicht über die Wörter hinausgehen. Die Poesie darf nicht als darstellend betrachtet werden. Der allegorische Sinn meint, dass Texte mit Elementen des Übernatürlichen, nicht wörtlich zu nehmen sind, zum Beispiel, wenn Tiere sprechen.[15] Außerdem kann die angesichts des Fantastischen empfundene Unschlüssigkeit nicht nur vom Leser empfunden werden, sondern auch von einer handelnden Person. Die Rolle des Lesers wird sozusagen einer handelnden Person anvertraut und die Unschlüssigkeit wird so zum Thema des Werkes.[16] Die dritte Bedingung, die fantastische Literatur zu erfüllen hat, ist die, dass der Leser eine bestimmte Haltung dem Text gegenüber einnimmt. Dazu muss er die poetische sowie auch die allegorische Interpretationsart zurückweisen.

Diese drei Bedingungen müssen nicht alle erfüllt sein, wichtig sind vor allem die erste und die dritte Bedingung, da diese die Fantastik als Gattung konstituieren. Die zweite Bedingung kann dann auch unerfüllt bleiben, meistens jedoch wird auch sie erfüllt.[17]

Das Fantastische ausschließlich als alles Übernatürliche zu bezeichnen, ist nicht präzise genug, da die Reichweite viel zu groß ist. Eine weitere Anschauung nennt das Kriterium einer fantastischen Erzählung die (Angst-)Erfahrung des Lesers. „Eine Erzählung ist ganz einfach dann fantastisch, wenn der Leser zutiefst Furcht und Schrecken, die Gegenwart ungewöhnlicher Welten und Mächte empfindet.“[18] Die Angst ist dabei aber keine notwendige Bedingung des Fantastischen, da Angst zwar oft empfunden wird, dies aber nicht immer der Fall ist.

Um überprüfen zu können, wann ein Text fantastisch ist, nennt Todorov Caillois, der vorschlägt, den Eindruck des Unheimlichen als Indiz des Fantastischen anzusehen.[19]

Eine weitere Möglichkeit, das Fantastische zu deuten, liegt in der Unschlüssigkeit zwischen Realem und Imaginärem. Danach wird nicht das Geschehen der Ereignisse bezweifelt, sondern dass man sich eine falsche Vorstellung vom Geschehen gemacht hat. Oder aber man fragt sich, ob das Wahrgenommene nicht nur ein Produkt der Einbildung ist.[20]

Wichtig für die Erzeugung einer fantastischen Wirkung sind verschiedene Schreibweisen, die jeweils Unsicherheit anzeigen. Todorov schreibt von Modalisation und Imperfekt. Die Modalisation nutzt einführende Wendungen, die die Beziehungen zwischen dem aussagenden Subjekt und der Aussage modifizieren. Als Beispiel nennt er den Satz: „vielleicht regnet es draußen“[21], der den Satz „es regnet draußen“[22] ersetzt und auf die Unsicherheit rekurriert. Das Imperfekt dagegen lässt offen, ob etwas immer noch oder nicht mehr der Fall ist. „Ich liebte Aurélia“[23], „Es schien mir, als…“[24] nennt Todorov unter anderem als Beispiele. Diese Verwendung bewirkt, dass der Leser sich in zwei Welten gleichzeitig befindet. Das Imperfekt bewirkt durch eine Distanz zwischen Leser und Erzähler außerdem, dass die Position des Erzählers für den Leser nicht erkennbar ist.[25]

2) Das Unheimliche und das Wunderbare

Wie bereits erwähnt, existiert das Fantastische im Moment der Unschlüssigkeit. Wenn der Leser sich am Ende einer Geschichte für eine der zwei möglichen Erklärungen entscheidet, schwindet das Gefühl des Fantastischen und geht in ein anderes über. Entscheidet man sich für eine rationale Erklärung, bei der die Gesetze der uns bekannten Welt bestehen bleiben, wird von der Gattung des Unheimlichen gesprochen. Erkennt man dagegen neue Gesetze an, die die vorgefallenen Dinge erklären, nennt man dies die Gattung des Wunderbaren.[26] Das Fantastische muss eher als Grenze zwischen den beiden Gattungen, der des Unheimlichen und der des Wunderbaren definiert werden, als selbst als eigene Gattung zu zählen, da der Moment des Fantastischen sich jederzeit verflüchtigen kann.[27] Es gibt Werke, bei denen das Fantastische nur einen Teil ausmacht, da die Ereignisse, die den Moment des Fantastischen hervorrufen, am Ende aufgeklärt werden. Allerdings gibt es auch Werke, die jene, das Fantastische konstituierende, Unschlüssigkeit aufrechterhalten bis zum Schluss und darüber hinaus.[28]

Todorov unterscheidet zwischen dem unvermischt Unheimlichen, dem Fantastisch-Unheimlichen, dem Fantastisch-Wunderbaren und dem unvermischt Wunderbaren. Das unvermischt Fantastische liegt als Grenze zwischen dem Fantastisch-Unheimlichen und dem Fantastisch-Wunderbaren.

Das Fantastisch-Unheimliche ist dadurch gekennzeichnet, dass Ereignisse, die dem Leser während der Geschichte unheimlich erscheinen, am Ende durch eine rationale Begründung aufgeklärt werden.[29] Es gibt verschiedene Erklärungen, um das Übernatürliche verschwinden zu lassen: Eine davon ist der Zufall, weitere sind das Träumen, Drogen, Sinnestäuschungen und der Wahnsinn. Diese Erklärungen lassen sich auf zwei Gruppen aufteilen, eine, in der überhaupt nichts passiert, da alles nur eingebildet ist, und die andere, in der die Ereignisse zwar wirklich stattgefunden haben, sich trotz allem aber rational erklären lassen.[30]

Nach Todorov gibt es nun aber auch noch das unvermischt Unheimliche. Dies trifft auf Werke zu, in denen Ereignisse stattfinden, die sich durchaus mit den Gesetzen der Vernunft erklären lassen, trotzdem aber auf eine Weise unglaublich, außergewöhnlich und schockierend sind und im Leser eine vom Fantastischen her bekannte Reaktion hervorrufen. Daraus schließt Todorov, dass das Unheimliche eine Voraussetzung für das Fantastische erfüllt, nämlich die der Beschreibung bestimmter Reaktionen, vor allem der Angst.[31] Außerdem geht das Gefühl des Unheimlichen von Themen aus, die an alte Tabus geknüpft sind, und die durch Grenzerfahrungen zum Vorschein kommen.[32]

Der Bereich des Fantastisch-Wunderbaren. Hier werden die Erzählungen als fantastisch präsentiert und enden schließlich mit der Anerkennung des Übernatürlichen. Dieser Bereich kommt dem des unvermischt Fantastischen am Nächsten.[33] Das Fantastisch-Wunderbare unterscheidet sich vom reinen Fantastischen dadurch, dass Ereignisse stattfinden, die unmöglich aus den geltenden Naturgesetzen erklärt werden können und somit den Moment der Unschlüssigkeit gar nicht erst ermöglichen. Todorov nennt hierzu beispielhaft ‚La morte amoureuse‘: „Von heiligem Zorn ergriffen, besprengt der Abbé Sérapion den Leichnam mit Weihwasser. ‚Kaum hatte das Weihwasser die arme Clarimonde berührt, als ihr schöner Körper zu Staub zerfiel, er war nun mehr ein schrecklich ungestaltes Gemisch von Asche und halbverbrannten Knochen‘“.[34]

Die letzte Kategorie, die Todorov nennt, ist die des unvermischt Wunderbaren. Auch diese Kategorie ist nicht klar eingegrenzt. Er schreibt: „Beim Wunderbaren rufen die übernatürlichen Elemente weder bei den Personen noch beim impliziten Leser eine besondere Reaktion hervor. Nicht die Haltung gegenüber den berichteten Ereignissen charakterisiert das Wunderbare, sondern die Natur dieser Ereignisse selbst.“[35] Als Teil des Wunderbaren wird oft das Märchen genannt, wobei beim Märchen die Schreibweise charakterisierend ist und nicht die eingenommene Stellung des Übernatürlichen. Das Wunderbare lässt sich weiter aufgliedern in verschiedene Untergruppen. Man spricht vom hyperbolischen Wunderbaren, wenn uns bekannte Ereignisse aufgrund ihrer Ausmaße übernatürlich erscheinen. Das exotisch Wunderbare steht dem ziemlich nahe. In diesem Fall wird von übernatürlichen Ereignissen berichtet, ohne diese als solche zu bezeichnen. Des Weiteren empfindet nur der Leser die Ereignisse als übernatürlich, für die Personen innerhalb der Handlung bewegen sich die Dinge auf dem Niveau des Natürlichen.[36] Das instrumentale Wunderbare weißt auf „Wunder der Technik […], wie sie in der beschriebenen Epoche nicht zu realisieren, aber für sich betrachtet doch durchaus möglich war“[37] hin. Dem instrumentalen Wunderbaren liegt das naturwissenschaftliche Wunderbare nicht fern. Das naturwissenschaftlich Wunderbare ist das, was man heute allgemein als Science-Fiction kennt. Das Übernatürliche wird rational erklärt, aber mit Gesetzen, die die momentane Naturwissenschaft nicht anerkennt. „Das sind Erzählungen, in denen sich die Tatsachen auf der Grundlage irrationaler Prämissen vollkommen logisch entwickeln.“[38]

[...]


[1] Vgl. Durst, Uwe: Theorie der phantastischen Literatur. Berlin: LIT Verlag 2007. S.17.

[2] Brittnacher, Hans Richard / May, Markus (Hg.): Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart/Weimar: J.B Metzler 2013. S.189.

[3] Todorov, Tzvetan: Einführung in die fantastische Literatur. Frankfurt/M / Berlin / Wien: Ullstein o.J. S.27.

[4] Vgl. Durst: Theorie. S.20.

[5] Vgl. Brittnacher / May: Phantastik. S.190.

[6] Vgl. Seignolle, Claude: Isabelle [1966]. In: Möckel, Klaus (Hg.): Das Zimmer der Träume. Wundersame Geschichten aus Frankreich, Berlin 1989, S.50-67.

[7] Vgl. Todorov: Einführung. S.27.

[8] Ebd. S.25f.

[9] Todorov: Einführung. S.26.

[10] Vgl. Ebd.

[11] Todorov: Einführung. S.31.

[12] Vgl. Ebd.

[13] Ebd. S.32.

[14] Ebd. S.33.

[15] Ebd. S.32.

[16] Ebd. S.33.

[17] Ebd.

[18] Todorov: Einführung. S.34.

[19] Vgl. Ebd. S.35.

[20] Ebd. S.36.

[21] Todorov: Einführung. S.37.

[22] Ebd.

[23] Ebd.

[24] Ebd.

[25] Vgl. Ebd. S.38.

[26] Ebd. S.40.

[27] Ebd.

[28] Ebd. S.42.

[29] Ebd. S.43.

[30] Ebd. S.43f.

[31] Ebd. S.45.

[32] Ebd. S.46.

[33] Ebd. S.49.

[34] Todorov: Einführung. S.51.

[35] Ebd.

[36] Vgl. Ebd. S.52f.

[37] Todorov: Einführung. S.53.

[38] Ebd. S.54.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Wirkungsweise des Fantastischen nach Todorov in "Isabelle"
Hochschule
Universität Augsburg
Note
2,7
Autor
Jahr
2016
Seiten
17
Katalognummer
V429771
ISBN (eBook)
9783668741324
ISBN (Buch)
9783668741331
Dateigröße
558 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
wirkungsweise, fantastischen, todorov, isabelle
Arbeit zitieren
Lena Gabel (Autor:in), 2016, Die Wirkungsweise des Fantastischen nach Todorov in "Isabelle", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/429771

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