Das Schulsystem der Deutschen Demokratischen Republik nach 1965

Politisierung und Militarisierung als Erziehungsziel?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

18 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einleitang

B. Das Schulsystem der DDR - Das einheitlich sozialistische Bildungssystem
1) Die Bildungseinrichtungen und ihre Aufgaben
2) Die Schulfächer - Produktive Arbeit neben Mathematik und Deutsch

C. Die Realität - Zeitzeugen berichten
1) Zeitzeuge Andreas Thieme
2) Zeitzeuge Mario Röllig
3) Zeitzeugin Manuela Pfohl

D. Fazit

E. Quellen und Literatur

F. Anhang

A.Einleitung

״[']In der DDR gibt es keinen Klassenkampf, keine Streiks, keine Überproduktion, keinen Konkur[rjenzkampf, keinen Preisdruck und der Sieg des DDR Systems sei eingeplant und werde ohnehin bald erreicht werden.['] Wer diese Parolen am besten auswendig lernte und am besten heuchelte und wiedergab[,] der durfte zum Abitur und später sogar studieren.“[1]

War die Schule in der DDR tatsächlich so propagandistisch geprägt? Wurde den Schülern diese Meinung aufgezwungen? Wenn dem so war, was bezweckte man damit? Welche Bedeutung wurde dem Abitur zugeschrieben und wer durfte überhaupt Abitur machen? Diese Fragen gilt es, im Folgenden zu klären. Dazu werde ich eine aufschlussreiche Darstellung über das System Schule der DDR darlegen. Außer den verschiedenen schulischen Institutionen werden auch speziell die Unterrichtsfächer interessant für die Klärung meiner Leitfragen sein. Für diese Fragen werde ich mich weitestgehend auf das im Jahre 1965 verabschiedete Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem der Deutschen Demokratischen Republik[2] beziehen.

Um die Schule, wie sie tatsächlich gewesen ist, darzustellen werde ich auf Aussagen von insgesamt drei Zeitzeugen zurückgreifen, deren Aussagen aber als sehr subjektiv einzuschätzen sind. Untermalen werde ich meine Ausführungen durch die Zuhilfenahme von Sekundärliteratur. Dafür greife ich auf ein Werk von Rose Bischof von 1989[3] zurück. Außerdem werde ich mich auf Aussagen von Emmanuel Droit[4] und Tina Kwiatkowski- Celofiga,[5] welche beide ihre Werke 2014 veröffentlichten, beziehen. Das Video des Zeitzeugenberichts Andreas Thiemes[6] wurde im Oktober 2012 von der 'Deutschen Gesellschaft e.v.' veröffentlicht. Das ebenfalls durch Video dokumentierte Interview einer Schülerin eines Rostocker Gymnasiums mit dem Zeitzeugen Mario Röllig[7] wurde im April 2014 ebenfalls von der 'Deutschen Gesellschaft e.v.' veröffentlicht. Der Bericht der dritten Zeitzeugin, Manuela Pfohl,[8] erschien im Oktober 2008 in Form eines von ihr verfassten Artikels im 'Stern'.

В. Schule in der DDR

1. Die Bildungseinrichtungen und ihre Aufgaben

Nachdem die Kinder die Möglichkeit hatten, die Kinderkrippe im Alter von einem bis drei Jahren und den Kindergarten im Alter von drei bis sechs Jahren zu besuchen, waren sie ab ihrem siebten Lebensjahr verpflichtet, die allgemeinbildende polytechnische Oberschule zu besuchen. Die allgemeinbildende polytechnische Oberschule (POS) wurde am 7. Dezember 1959 gesetzlich festgeschrieben.[9] Dieses Gesetz wurde durch das Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem vom 25. Februar 1965 ersetzt. Dieses neue Gesetz war jedoch an den Vorgänger angelehnt und besagte, dass Kinder ab dem 7. Lebensjahr schulpflichtig seien und diese Schulpflicht an der POS anzutreten sei[10]. Außerdem sei der Besuch der POS kostenfrei.[11] Die allgemeinbildende polytechnische Oberschule hatte zur Aufgabe den Schülern ״eine moderne, sozialistische Allgemeinbildung als Grundlage, für jede weiterführende Bildung und die berufliche Tätigkeit“[12] zu vermitteln und ״Bildung und Erziehung eng mit dem Leben, mit der Arbeit und mit der Praxis des sozialistischen Aufbaus“[13] zu verbinden. Die Oberschule war in drei Stufen gegliedert. Klasse eins bis drei bildeten die Unterstufe, Klasse vier bis sechs die Mittelstufe und Klasse sieben bis zehn die Oberstufe.

Eine Alternative zur POS waren Spezialklassen und -schulen. Diese gab es in technischer, mathematischer, naturwissenschaftlicher, sprachlicher, künstlerischer und sportlicher Richtung. Ihnen durften Schüler mit Begabungen in einer eben dieser Richtungen beitreten. Meistens führten diese Spezialklassen und -schulen zum Abitur, ausgenommen von denen mit sportlichem oder künstlerischem Schwerpunkt.[14]

Die erweiterte allgemeinbildende polytechnische Oberschule (EOS) führte die Schüler innerhalb von zwei Jahren zum Abitur. Alle Schüler, die einen Oberschulabschluss haben, waren formal berechtigt, die EOS zu besuchen. Allein die Berechtigung reichte jedoch nicht aus. Da die Kapazitäten der EOS begrenzt waren, mussten die Schüler einer Art Bewerbungsverfahren unterliegen. Die Schüler schickten ihre Bewerbungsunterlagen, also ihre Zeugnisse, einen Lebenslauf, ein Empfehlungsschreiben von der Schulleitung und eine Persönlichkeitsbeurteilung an den Schulrat. Dieser traf seine Entscheidung aber keineswegs aus rein fachlicher Motivation. Die Entscheidung für oder auch gegen einen Schüler war auch politisch motiviert.[15] Neben der schulischen Leistung trugen nämlich auch die politische Haltung zum Staat und das gesellschaftliche Verhalten des Bewerbers zur Entscheidung bei.[16] Man wollte mit den Kriterien der Persönlichkeit und dem gesellschaftlichen Verhalten vermeiden, dass ״unliebsame Personen“[17], meist also nonkonforme Schüler, eine akademische Karriere machen konnten. Außerdem wurde die soziale Herkunft des Schülers beachtet. Kinder aus Arbeiter- und Bauernfamilien sollten bevorzugt aufgenommen werden.[18] Diese Quotierung war allerdings nicht so einfach umzusetzen. Zahlen aus Ostberlin belegen, dass die meisten aufgenommenen Schüler aus der sozialen Klasse der Intelligenz stammten.[19] Eine Schule aus dem Berliner Stadtteil Treptow äußert sich dazu mit dem Argument, dass sich Arbeiterkinder ״selten unter den sehr guten Schülern“[20] befänden. Dieses gesamte Auswahlverfahren hatte zum Zweck, dass die Kinder nach den gesellschaftlichen Erfordernissen ausgebildet wurden. Zum einen in der Form, dass mögliche Lücken auf dem Arbeitsmarkt durch das Auswahlverfahren gezielt gefüllt werden konnten,[21] zum anderen aber auch, um Angehörige gefragter Berufsgruppen im Land zu behalten, indem man ihnen Verträge über die Schulbildung ihrer Kinder anbot.[22]

Wurde ein Schüler dann aber auf die EOS aufgenommen, festigten sie hier ihr bisher erlerntes Wissen und bauten dieses selbständig aus. Außerdem konnten der Unterricht bereits auf ihren späteren Studiengang ausgerichtet sein. Hauptaufgabe der EOS war es, die Schüler durch eigenständiges Arbeiten und Forschen auf die spätere wissenschaftliche Arbeit im Studium vorzubereiten. Jedoch Stand trotzdem auch die praktische Arbeit weiterhin im Mittelpunkt.[23]

Die Einrichtungen der Berufsausbildung, im Folgenden Berufsschulen genannt, bereiteten die Schüler gezielt auf den von ihnen gewählten Beruf vor. Allerdings gab es auch auf den Berufsschulen Abiturklassen. Diese konnten jene besuchen, die die POS abgeschlossen haben. Diese Abiturklassen funktionieren ähnlich wie die oben beschriebene EOS. Alle Schüler besuchten die Berufsschule zwei Jahre lang und stiegen dann entweder in den erlernten Beruf ein oder begannen ihr Studium.[24] Sonderschulen wurden für Schüler mit physischen und auch mit psychischen Einschränkungen eingerichtet. Sie sollten die Schüler trotz ihrer Einschränkungen auf das Mitwirken im gesellschaftlichem Leben vorbereiten und sie an das sozialistische Bildungsziel heranführen.[25]

Auffällig ist bei diesem Schulsystem, dass es keine Grundschule und somit auch keinen Schulwechsel auf eine weiterführende Schule gab. Diese Form der Schule ließe sich damit erklären, dass auch wie in den einzelnen Klassen das Kollektiv im Mittelpunkt Stand. Den Schülern wurde durch die fehlende Unterteilung in Haupt-, Realschule und Gymnasium ein Gefühl der Gemeinschaft vermittelt. Hilfreich konnte das dabei sein, die Unzufriedenheit so gering wie möglich zu halten und die Bildung von Minderheiten so gut es ging zu vermeiden. Das führte dann im besten Falle zu einer Gutheißung des Systems, was ja das Hauptanliegen des Bildungsministeriums gewesen ist.

2. Die Schulfächer - Produktive Arbeit neben Mathematik und Deutsch

In jeder deutschen Schule bilden heute Mathemathik und Deutsch die Grundlage der Schulbildung. So war es auch in der DDR. Die Grundlagenbildung begann direkt mit der Unterstufe der POS. Der Deutschunterricht ist beinahe mit dem heutigen gleichzusetzen. Daher werde ich auf diesen nicht weiter eingehen.

Auch der Mathematikunterricht war ähnlich aufgebaut wie der heutige. Wichtig war in der DDR jedoch, dass das Erlernte direkt in die Praxis übertragen wurde, um bereits hier eine Verbindung zwischen Unterricht und dem alltäglichen Leben herzustellen.[26] In der Oberstufe wurden die Schüler dann mit der Analysis bekannt gemacht. Sie lernten die mathematische Beweisführung, was auch heute noch auf dem Lehrplan der gymnasialen Oberstufe steht. Doch auch hier sollten die Schüler die erlernten Regeln in Verbindung mit der Praxis bringen.[27] Heute sind die Analysis und die mathematische Beweisführung Bestandteil der gymnasialen Oberstufe. Diese Themen werden also erst ab der elften Klasse behandelt. Hier war die DDR der heutigen Schule zeitlich voraus. Womöglich war dieser straffe Zeitplan ein Mittel, um das Erziehungsziel, nämlich eine möglichst hohe Allgemeinbildung des gesamten Volkes,[28] zu erreichen.

Im Sportunterricht war das Ziel der Unterstufe, die ״allseitige körperliche Grundausbildung“[29]. Diese sollte durch Spiele und körperliche Übungen erreicht werden.[30] In der Mittelstufe ging es bereits um die ״Gesunderhaltung des Körpers“[31]. Schwimmen wurde nun Bestandteil des Sportunterrichts und auch sportliche Wettkämpfe standen immer im Mittelpunkt und waren das Ziel für die Schüler. In der Oberstufe sollten alle Schüler, wenn möglich, eine hohe sportliche Leistung erreichen. Alle Schüler mussten die Prüfung zum Sportabzeichen ablegen. Die sehr sportlichen Kinder durften sogar das Olympiadeabzeichen erwerben.[32] Man möge sich fragen, warum die sportlichen Leistungen der Schüler so stark gefördert wurden. Da die DDR mit einem weiteren Krieg rechnete und permanent die Verteidigung ausbaute, waren die Schüler potentielle Streitkräfte. Sie mussten also körperlich in einer guten Verfassung sein, um gegebenenfalls in einem späteren Krieg für ihr Land zu kämpfen.

Passend hierzu existierte seit 1978 das Fach ״Wehrkundeunterricht“. Dieser war für die neunte und zehnte Klasse verpflichtend. Ziel des Unterrichts war es, den militärischen Nachwuchs zu fördern.[33] Der Unterricht setzte sich aus einem theoretischen und einem praktischen Teil zusammen. Der theoretische Teil trat in der Schule als Unterrichtsfach mit dem Namen ״Stunden über Fragen der sozialistischen Landesverteidigung“[34] auf. Hier sollte den Schülern vermittelt werden, dass sich der Staat nicht auf einen Angriffs­sondern einen Verteidigungskrieg vorbereitet.[35] So war die Zahl der Kritiker sicherlich etwas einzudämmen. Außerdem wurden den Schülern in diesem Unterricht sämtliche Fragen über die Armee gestellt. Abgehalten wurde der Unterricht durch auswärtige Lehrkräfte, also beispielsweise ehemalige Offiziere.[36] Den praktischen Teil des Unterrichts bildete in der neunten Klasse ein zwölftägiges Praktikum in einem Lager, in der zehnten Klasse drei Tage Wehrbereitschaft. Das Wehrlager war ausschließlich für die Jungen. Während des Praktikums trugen alle Jungen Uniform und führten einen mit einem Wehrdienstleistenden vergleichbaren Tagesablauf.[37] Im Lager hielten die Schüler

[...]


[1] Zeitzeuge Christian M. Auf http://www.ddr- zeitzeugen.de/html/mein_aufsatz_in_staatsburgerkunde_ ·html (abgerufen am 04. Juli 2015).

[2] 1 " - Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem vom 25.02.1965. Abgerufen unter: http://www.verfassungen.de/de/ddr/schulgesetz65.htm. (abgerufen: 10.09.2015).

[3] Bischof, Rose: Bildung und Erziehung in der DDR im Umbruch, hrsg. V. Friedrich-Ebert-Stiftung. 3. Auf! Bonn 1989.

[4] Droit, Emmanuel: Vorwärts zum neuen Menschen? Die sozialistische Erziehung in der DDR (1949­1989) (= Zeithistorische Studien, 54). Köln, Weimar, Wien 2014.

[5] Kwiatkowski-Celofiga, Tina: Verfolgte Schüler. Ursachen und Folgen von Diskriminierung im Schulwesen der DDR (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, 54). Göttingen 2014.

[6] Deutsche Gesellschaft e.v.: Stimmen der Opposition - Andreas Thieme. Abgerufen unter: https://www.youtube.com/watch?v=zdtGJ23NR0k. Veröffentlicht am 07.10.2012 (abgerufen 12.09.2015).

[7] Deutsche Gesellschaft e.V.: Stimmen der Opposition – Mario Röllig. Abgerufen unter: https://www.youtube.com/watch?v=__v7Tb2XOy4. Veröffentlicht am 29.04.2014 (abgerufen12.09.2015).

[8] Pfohl, Manuela: Schulkinder in der DDR. Timur, sein Trupp und ich. In: Stern. 22. Oktober 2008. Abgerufen unter: http://www.stem.de/panorama/schule-in-der-ddr-timur—sein-tmpp-und-ich- 3747878.html. (abgerufen 10.09.2015).

[9] Gesetz über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik vom 2. Dezember 1959. Abgerufen unter: http://www.verfassungen.de/de/ddr/schulgesetz59.htm. (abgerufen: 28.09.2015).

[10] Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem, § 8, (2).

[11] "Ebenda, § 9, (1).

[12] "Ebenda, § 13, (2).

[13] Ebenda.

[14] Ebenda, § 18, (2).

[15] Kwiatkowski-Celofiga, s. 253.

[16] Ebenda, S.58.

[17] Ebenda, s. 165.

[18] Ebenda.

[19] Droit, s. 200.

[20] Ebenda, s. 199.

[21] Kwiatkowski-Celofiga, s. 56.

[22] Ebenda, s. 165.

[23] Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem, § 21.

[24] Ebenda. § 21,(2).

[25] Ebenda, § 19, (2).

[26] Ebenda, § 15, (2).

[27] Ebenda, § 16, (2).

[28] Ebenda, § 3, (1).

[29] Ebenda. § 14, (2).

[30] Ebenda.

[31] Ebenda, § 15, (2).

[32] Ebenda, § 16, (2).

[33] Kwiatkowski-Celofiga, s. 61.

[34] Droit, s. 312.

[35] Ebenda, s. 312.

[36] Ebenda, s. 313.

[37] Ebenda, s. 323.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Das Schulsystem der Deutschen Demokratischen Republik nach 1965
Untertitel
Politisierung und Militarisierung als Erziehungsziel?
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
2,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
18
Katalognummer
V428347
ISBN (eBook)
9783668723597
ISBN (Buch)
9783668723603
Dateigröße
628 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
DDR, Schule, BRD, Deutschland, 1965, Schulsystem
Arbeit zitieren
Luisa Rehmke (Autor:in), 2015, Das Schulsystem der Deutschen Demokratischen Republik nach 1965, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/428347

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