Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS). Strukturierte Übersicht über Diagnostik und Fördermaßnahmen


Zusammenfassung, 2011

12 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Kurzer historischer Abriss / Begriffsklärung

2. Erscheinungsbild

3. Diagnose

4. Ursachen
4.1 Phonologische Bewusstheit

5. Fördermaßnahmen
1. Leseanfangsphase / alphabetische Entwicklungsstufe:
2. Spätere Lese- und Schreibphase / orthographische Entwicklungsstufe:

6. Fazit

1. Einleitung

Die Legasthenie bzw. Lese-Rechtschreib-Schwäche/-Störung (LRS) (auf evt. Unterschied LRS vs. Legasthenie wird später noch eingegangen) ist ein wichtiges Thema, gerade für angehende Lehrer. Denn der Erwerb von Lesen und (Recht-)Schreiben ist eines der wichtigsten Bildungsziele des Schulunterrichts überhaupt und der Beherrschung der Schriftsprache kommt für den Erwerb von Wissen und Informationen im Beruf, aber auch im Alltagsleben, immanente Bedeutung zu. Dennoch gibt es Schüler, die trotz größter Bemühungen von Eltern, Lehrern und eigenen Anstrengungen große Schwierigkeiten haben, die Schriftsprache zu erlernen. Auch intensives Üben hat oft leider nur relativ geringe Effekte.

LRS ist eine partielle Lern- und Leistungsschwierigkeit. Eine Lernschwierigkeit/-störung wird dann angenommen, wenn die Leistungen der Schüler unterhalb der tolerierbaren Abweichungen von verbindlichen institutionellen, sozialen und individuellen Bezugsnormen liegen oder aber das Erreichen bzw Verfehlen von Standards mit großen Belastungen verbunden ist.

Teilleistungsstörungen kennzeichnen Leistungsdefizite in begrenzten Funktionsbereichen, die trotz hinreichender Intelligenzleistungen, regelmäßiger Förderung sowie einer körperlichen und seelischen Gesundheit der Betroffenen auftreten und nicht aus einer entsprechenden Behinderung erklärt werden können. Hierfür sind Störungen des Lesens und Rechtschreibens ein Beispiel.

LRS ist eine schwere, massive Normabweichung in einem spezifischen Bereich, die meist dauerhaft vorliegt, jedoch mit entsprechenden Methoden recht gut beeinflussbar ist (heilbar ist LRS aber nicht).

1.1 Kurzer historischer Abriss / Begriffsklärung

Das Phänomen des gestörten Schriftspracherwerbs ist seit der Jahrhundertwende (um 1900) Forschungsgegenstand. Im deutschsprachigen Raum prägte vor allem der Psychiater Ranschburg den Begriff der Legasthenie (1916), wobei der Begriff sich aus lat. legere (lesen) und gr. asthenaia (Schwäche) erklären lässt. Der Terminus Legasthenie wird seitdem oft als mit der Annahme neuronaler Defizite als Ursache der Lese- und Schreibprobleme verbunden angesehen und daher vermieden.

In das breite Interesse von Forschung und Schulpraxis gelangte das Thema im deutschsprachigen Raum jedoch erst nach dem 2. Weltkrieg.

Manchmal wird zwischen Legasthenie / Lese-Rechtschreib-Störung und LRS /Lese-Rechtschreib-Schwäche unterschieden und letztere als die schwächere Form der Störung angesehen (bspw. im bayerischen sog. Legasthenie-Erlass). Diese Unterscheidung scheint jedoch weitestgehend sinnlos, da keinerlei Belege für unterschiedliche Ursachen von LRS und Legasthenie bekannt sind. Auch wird hier zuweilen anhand des sog. Diskrepanzkriteriums unterschieden. Denn zunächst wurde Legasthenie nur dann diagnostiziert, wenn eine Leseschwäche bei sonst intakter / mindestens durchschnittlicher Intelligenz vorlag (Maria Linder 1951, IQ > 85, Lese- Schreibleistung Prozentrang < 15 ). Damit ist die implizite Annahme verbunden, dass Legastheniker und minderbegabte lrs. Kinder in unterschiedlichem Ausmaß von Fördermaßnahmen profitieren würden. In der Praxis hieß das, dass nur lrs. Kinder mit mindestens durchschnittlicher Intelligenz, also „echte Legastheniker“, gefördert wurden. Auch beispielsweise im bayerischen sog. „Legasthenie-Erlass“ von 1999 wird auf die Diskrepanzdefinition der Legasthenie zurückgegriffen. Dieses Diskrepanzkriterium wurde jedoch kontrovers diskutiert und immer wieder infrage gestellt weil es sich zeigte, dass beispielsweise phonologische Defizite völlig intelligenz-unabhängig sind. Auch ist das Konstrukt „Legasthenie“ inkl. Diskrepanzkriterium theoretisch nicht sinnvoll, würde es doch beinhalten, dass Lese- und Rechtschreibschwächen bei intelligenten Kindern erwartungswidrig sei. Da aber zwischen der Intelligenz und den Lese- und Schreibleistungen nach allem, was man heute weiß, nur ein mittelhoher Zusammenhang besteht, sind schlechte Leistungen in Lesen und Rechtschreiben noch als erwartungsgemäß einzustufen und keinesfalls krankhaft.

Ebenfalls ist dieses Konstrukt therapeutisch nicht brauchbar, denn die so definierten Legastheniker brauchen erwiesenermaßen keine anderen Therapiemaßnahmen als andere Kinder mit LRS. Sowohl durchschnittlich bzw. überdurchschnittlich intelligente lrs. Kinder als auch minderbegabte lrs. Kinder profitieren gleichermaßen von einer gezielten Förderung (bspw. nachgewiesen in der Studie: Profitieren Legastheniker und allgemein lese-rechtschreib-schwache Kinder in unterschiedlichem Ausmaß von einem Rechtschreibtraining? Von Weber, Marx & Schneider 2002 → kein Zusammenhang zwischen nonverbaler Intelligenz und Behandlungserfolg durch ein Rechtschreibtraining, wobei die Effektivität des Trainings an sich gesichert war [aber: nur Kinder in Regelschulen untersucht, keine Kinder mit besonderem Förderbedarf! → Möglichkeit: minderbegabte Kinder, die es in die Regelschule schaffen, haben u. U. bereits Kompensationsstrategien gelernt und profitieren daher evt. auch eher von einem Rechtschreibtraining???]). Dieses Ergebnis spricht für die Empfehlungen der Kultusministerkonferrenz von 1978, alle Kinder mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten unabhängig von ihrer Intelligenz zu fördern.

Außerdem zeigt die LRS von sog. „echten Legasthenikern“ keine spezifische Ätiologie (=Gesamtheit der verursachenden Faktoren), kein anderes Erscheinungsbild, keinen abweichenden Verlauf auf. Daher wird der Sinn der Intelligenzdiskrepanz als Kriterium zur Unterscheidung von „Legasthenie“ und „Lese-Rechtschreib-Schwäche“ meines Erachtens zurecht abgelehnt.

Die Kultusministerkonferenz empfahl 1978, die belastete Bezeichnung Legasthenie aufzugeben und durch den neutraleren Terminus Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (LRS) zu ersetzen.

LRS wird in dieser Arbeit daher als über das ganze Intelligenzspektrum verteilt diagnostizierbar angesehen; eine Unterscheidung zwischen LRS und Legasthenie lehne ich in Übereinstimmung mit einem Großteil der aktuellen Forschung ab.

[Anmerkung: bei IQ < 70 ist es sehr wohl sinnvoll, eine andere Herangehensweise zu wählen, denn Kinder mit einem IQ unter 70 benötigen nebst Lese- und Rechtschreib-Fördermaßnahmen auch ein kognitives Training, das bei einem alleinigen Vorliegen von LRS ohne gleichzeitige Minderbegabung ja nicht wirkt.]

2. Erscheinungsbild

- keine legasthenie-spezifischen Fehler, also auch kein absolut spezifisches und einheitliches Störungsbild von LRS; Fehlertypen treten auch bei Nicht-Legasthenikern auf, jedoch nicht in dieser Quantität, Ausprägung und auch Dauerhaftigkeit
- Probleme treten meist sowohl beim Lesen als auch beim (Recht-)Schreiben; aber auch isoliertes Auftreten ist (seltener) möglich
- Hauptmerkmal ist eine umschriebene und deutliche Beeinträchtigung der Lese- (und Rechtschreib-) fertigkeiten. Umschrieben meint dabei, dass andere Leistungsbereiche nicht beeinträchtigt sind. Das Leseverständnis kann ebenfalls beeinträchtigt sein, muss aber nicht.
- die Zuordnung von Lauten zu Buchstaben und umgekehrt fällt lrs. Kindern sehr schwer, auch die Umsetzung der gesprochenen in geschriebene Sprache und andersherum ist problematisch - lrs. Kinder haben Probleme

1. Struktur der Lautsprache zu erkennen (phonolog. Bewusstheit)
2. Buchstaben in Laute zu übersetzen (phonolog. Rekodieren)
3. beim raschen Umschalten von einem Wort auf das nächste (serielle Benennungsgeschwindigkeit)
4. teilweise auch bei der visuellen Verarbeitung

- eine Lesestörung zeigt sich unter anderem bei der Lesegenauigkeit, verlangsamten Lesetempo und einem eventuell beeinträchtigten Lesevereständnis

→ Wortteile werden ausgelassen, ersetzt, verdreht, aus dem Gedächtnis entsprechend ergänzt...

Beim Lesen von Pseudowörtern tauchen besondere Probleme auf, denn deren Erlesen gelingt nur dann, wenn der Leser in der Lage ist, schrittweise die einzelnen Buchstabe in die dazugehörigen Lautre umzusetzen und diese dann zu einem Wort zu verschmelzen (synthetisches Lesen).

- eine Rechtschreibstörung zeigt sich zu Beginn der Grundschulzeit v.a. in Defiziten in der lautgetreuen Schreibung (Buchstaben verwechselt (b/d), vertauscht (Arzt – Artz), ausgelassen...); später werden orthographische Regeln nicht korrekt angewandt (Groß- und Kleinschreibung, Dehnungsfehler...); die Rechtschreibfehler fallen nicht nur bei frei verfassten Texten oder Diktaten, sondern auch beim Abschreiben eines vorliegenden Textes auf.

- auffallend ist Fehlerinkonstanz; dasselbe Wort wird einmal richtig, gleich danach falsch geschrieben

- Anzeichen für Lehrer für eine eventuell vorliegende LRS: schlechte Leistungen in Diktat und sonstigen Schreibprozessen; auch bei Abschreiben von Texten (auch in Fremdsprachen); schlechte Leser; Begleitsymptomatik (Verhaltensauffälligkeiten); bei Verdacht des Lehrers genaue diagnostische Abklärung

- LRS ist ein recht stabiles Phänomen (Bsp: Studie von Klicpera 1993: Kinder, die zu Beginn der Grundschulzeit schwache Rechtschreiber waren, waren dies meist in der 8. Klasse auch noch)

- LRS nicht nur im Fach Deutsch hinderlich, wirkt sich meist auch auf andere Fächer aus (Textaufgaben in Mathematik...); besondere Probleme bereitet der Erwerb einer Fremdsprache, vor allem bei Englisch als wenig lautgetreuer Sprache

3. Diagnose

Die WHO definiert LRS im ICD-10 als „umschriebene und eindeutige Beeinträchtigung“ im Lernprozess des Lesens und Rechtschreibens. Die Leseleistung muss deutlich unter dem Niveau liegen, das aufgrund des Alters, der allgemeinen Intelligenz und der Schulklasse zu erwarten ist.

Beim Lesenlernen äußert sich LRS durch charakteristische Fehler wie Auslassen, Ersetzen, Verdrehen, Hinzufügen von Buchstaben oder Wörtern. Später zeigt sich LRS im langsamen, stockenden Lesen.

Eine unkorrigierte Seh- oder Hörschwäche muss ausgeschlossen werden.

LRS ist keine neurologische Erkrankung oder Hirnverletzung (z.B. nach Unfall) und darf auch nicht auf mangelnde Beschulung bzw. Lerngelegenheit zurückgehen.

Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie et al. schätzt die LRS im deutschen Sprachraum auf rund 6% der Bevölkerung (2003). Die Zahlen schwanken, je nach Kriterien, zwischen 4-8%; in der Grundschule sind es mehr Betroffene als in späteren Altersstufen.

Jungen sind 2-3mal häufiger betroffen als Mädchen.

Zur diagnostischen Beurteilung wird eine medizinischen Überprüfung (bspw. Hör- und Sehfähigkeit, Sprache und Motorik) durchgeführt. Auch sollten eventuell ungünstige Rahmenbedingungen wie seelische und psychische Belastungen, unangemessener Leistungsdruck... abgeklärt werden. Als nächstes werden Leistungsstand und Leistungsprofil des Kindes erfasst → standardisierte Lese- und Rechtschreibtests (Rechtschreibtests meist konzipiert als Lückentexte) Sind die Ergebnisse mindestens eine Standardabweichung von der Norm entfernt, so liegt eine Beeinträchtigung im Lesen / Schreiben vor.

Auch ein Intelligenztest wird standardmäßig gemacht, ist es doch wichtig, dass von einer schwachen Lese-/Schreibfähigkeit nicht auf generelle Minderbegabung geschlossen wird, die häufig nicht vorliegt.

Auch eine kinder-/jugendpsychiatrische Untersuchung zur Abklärung von möglichen anderen Ursachen und / oder behandlungbedürftigen Begleitstörungen ist sinnvoll. Derartige Begleitstörungen können zum Beispiel Entwicklungsstörungen sein, Schulangst und ADHS. Gerade ADHS und LRS beeinflussen sich gegenseitig sehr ungünstig, daher muss ADHS unbedingt behandelt werden, damit ein Schriftspracherwerb so gut als möglich stattfinden kann.

Die Erkenntnis, dass die phonologische Informationsverarbeitung für LRS eine zentrale Rolle spielt, hat in den 1990er Jahren Theorien zur Entstehung von LRS sowie die Diagnostik stark verändert. Durch die Diagnostik der phonologischen Reizverarbeitung ist es möglich, bereits vor dem eigentlichen Lese- und Rechtschreiberwerb Kinder zu identifizieren, die LRS-gefährdet sind.

Beispiel: Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese- Rechtschreibschwierigkeiten

(BISC von Jansen, Mannhaupt, Marx & Skowronek, 1999)

- ermöglicht die Vorhersage von Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb für Kinder im letzten Kindergartenjahr

- getestete Leistungsbereiche:

- phonologische Bewusstheit (im engeren (Laut-zu-Wort-Vergleich – I in Igel oder I in Auto?) sowie im weiteren Sinne (reimen – Kind-Wind oder Kind-Stuhl?))
- schneller Abruf aus dem Langzeitgedächtnis
- phonetisches Rekodieren im Kurzzeitgedächtnis
- visuelle Aufmerksamkeitssteuerung

- Objektivität und Reliabilität sind (hinreichend) gegeben, ebenso die Validität: Gesamtscore korreliert zu .55/.58 mit Schreibfähigkeit/Lesefähigkeit Ende 2. Klasse (konvergente Validität)

- weiteres Diagnose-Verfahren: Würzburger Leise Leseprobe (Küspert & Schneider, 1998) zur Früherkennung von Risikokindern in der Grundschule (geeignet als Screening-Verfahren)

- Knuspels Leseaufgaben (Marx, 1998) zur Früherkennung von Risikokindern in der Grundschule

4. Ursachen

Frühere Annahmen für Ursachen haben sich als nicht haltbar erwiesen; früher wurde Legasthenie als Krankheit angesehen. In einem Überblick über nichthaltbare Annahmen nennt Scheerer-Neumann (1979) beispielsweise Linkshändrigkeit, motorische Störungen, Raumlagelabilität...

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Details

Titel
Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS). Strukturierte Übersicht über Diagnostik und Fördermaßnahmen
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Psychologisches Institut)
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
12
Katalognummer
V427488
ISBN (eBook)
9783668745971
ISBN (Buch)
9783668745988
Dateigröße
560 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
LRS, Legasthenie, phonologische Bewusstheit, Beispiele, Erscheinungsbild, Diagnostik, Fördermaßnahmen
Arbeit zitieren
Sonja Filip (Autor:in), 2011, Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS). Strukturierte Übersicht über Diagnostik und Fördermaßnahmen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/427488

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